Arnold Hauser

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Arnold Hauser (* 8. Mai 1892 in Temesvar , Konigreich Ungarn , Osterreich-Ungarn ; † 28. Januar 1978 in Budapest , Volksrepublik Ungarn ) war ein ungarisch-deutscher Kunsthistoriker und -soziologe , der lange in Großbritannien lebte. Hauser gilt als Grenzganger zwischen verschiedenen Theorien und Disziplinen wie Kunstgeschichte , Psychoanalyse , Kunsttheorie , Asthetik , Sozialgeschichte , Kunstsoziologie und Kunstpsychologie.

Hausers umfangreiche Arbeiten zur Geschichte und Soziologie der Kunst sind einem unorthodoxen marxistischen Verstandnis in der Tradition von Georg Lukacs verpflichtet. Seine umfassende und intime Kunstkenntnis und seine jahrelange Tatigkeit im Filmgeschaft haben seinen Blick fur Kunst als einerseits autonomes und andererseits gesellschaftliches Phanomen gescharft. Im Kunststreit zwischen West (formimmanente Interpretation) und Ost (gesellschaftliche Bedingtheit von Kunst) wahrend des Kalten Krieges wollte und konnte Arnold Hauser vermitteln.

Biografie [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Nach dem Besuch des Gymnasiums studierte Hauser Germanistik und Romanistik sowie Philosophie an der Universitat Budapest und absolvierte anschließend einen Studienaufenthalt in Paris . 1916 fuhrt ihn sein Freund Karl Mannheim in den Budapester ?Sonntagskreis“ um Georg Lukacs mit Bela Balazs , Edith Hajos, Bela Fogarasi , Frederick Antal , Emma Ritook, Juliska Lang und Anna Schlamadinger ein. 1917 grundeten Mitglieder des Sonntagskreises unter Beteiligung von Lajos Fulep , Zoltan Kodaly , Bela Bartok , Ervin Szabo die ?Freie Schule der Geisteswissenschaften“, an der Hauser Vorlesungen zur nachkantschen Asthetik hielt. 1919 beteiligte sich Arnold Hauser an der Kulturpolitik der ungarischen Raterepublik . Nach dem Zusammenbruch der Raterepublik floh Hauser nach Italien.

Von 1919 bis 1938 hielt sich Hauser zu Exil-, Studien- und Wanderjahren in Italien, Deutschland und Osterreich auf und arbeitete unter anderem im Filmgeschaft. Ab 1938 begann seine Schaffensperiode in Großbritannien. 1940 bat ihn Karl Mannheim, ein Vorwort zu einer Anthologie kunstsoziologischer Werke zu schreiben. Statt eines Vorwortes entstand in zehnjahriger Arbeit seine Sozialgeschichte der Kunst und Literatur .

1951 bis 1957 arbeitete Hauser als Lektor an der Universitat Leeds, danach hatte er bis 1959 eine Gastprofessur an der Brandeis-Universitat in Waltham (Massachusetts) , lehrte bis 1962 am Hornsey College of Art in London und war bis 1965 Gastprofessor an der Staatsuniversitat Ohio, USA.

1965 kehrte er nach London zuruck und siedelte 1977 wieder nach Ungarn uber.

Hauser wurde 1954 mit dem Deutschen Kritikerpreis fur Literatur ausgezeichnet. Er war Ehrenmitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften .

Theoretisches Grundkonzept [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Hauser hielt Mitte des 20. Jahrhunderts ?die Stunde der soziologischen Deutung“ von Kunst fur gekommen, akzentuierte sozialgeschichtliche Aspekte der Kunstentstehung und -verbreitung, ohne formale, psychoanalytische bzw. psychologische u. a. Momente vernachlassigen zu wollen. Kunst analysierte er sowohl als autonomes bzw. autarkes Gebilde und als vielseitigen Kommunikationsprozess innerhalb zeitbestimmter Kunstverhaltnisse, die sich teils nach ?Bildungsschichten“ spezifizieren. Basierend auf Karl Mannheims Wissenssoziologie betrachtete Hauser Kunst als standortgebundenes ?soziologisches Dokument“, das auch ideologiekritisch gedeutet werden muss. Weil Kunst traditionell wie antitraditionell, nonkonform agiert, bedeuten auch neue (Re)Produktionsmoglichkeiten nicht das Ende der Kunst. Neuere ? Massenkunst “ ( Filmkunst , Beat , Pop-Art ) fand bei Hauser als einem der ersten Eingang in die Kunstgeschichte. Die eigentliche Kunstkrise sah Hauser im antihumanen Kampf der Gesellschaftssysteme nach 1945 begrundet und in einer gewissen Sprachlosigkeit der Kunst. Aber selbst das neue ?negativ Kunstlerische ... bewegt sich noch ... in mehr oder weniger unverkennbar asthetischen Kategorien...“ wie bei Samuel Beckett . Letztendlich findet Hausers Kunstbestimmung, ausgehend von der Widerspruchlichkeit im Manierismus , sein Zentrum im Begriff der Paradoxie als ?Vereinigung unversohnlicher Gegensatze“, ?unvermeidliche Zweideutigkeit und ewiger Zwiespalt“ des kunstlerischen Bildes. Paradox sei schließlich die gesamte ? Dialektik des Asthetischen“ (Wechselspiel von Form- Inhalt , Distanz-Bindung, Faktischem-Phantastischem, Geschichtlichkeit-Zeitlosigkeit, Bewusstem-Unbewusstem usw. usf.). Es bewahrt sich bei Hauser als durchgangig gehandhabtes Erklarungsmuster, welches im ?Paradoxen, der Verbindung von Unvereinbarem, eine Grundform der Kunst“ entdeckt.

Hausers konkrete kunstgeschichtlichen Arbeiten und seine kunstsoziologische Konzeption zeugen von Gedankenreichtum, Kunstkenntnis und großer Dialogbereitschaft. Hauser greift u. a. in der Kunstgeschichte auf Theodor W. Adorno , Walter Benjamin , Konrad Fiedler , Georg Wilhelm Friedrich Hegel , Georg Lukacs , Alois Riegl und Heinrich Wolfflin , in der Psychoanalyse auf Sigmund Freud , in der Soziologie auf Emile Durkheim , Friedrich Engels , Karl Mannheim, Karl Marx , Georg Simmel und Max Weber zuruck. Spricht er uber den Film, beachtet er gleichermaßen westliche Regisseure wie Ingmar Bergman , Robert Bresson , Federico Fellini , Luchino Visconti und die Russen Sergei Michailowitsch Eisenstein und Wsewolod Pudowkin .

Trotz gewichtiger Unterschiede bestehen viele Beruhrungspunkte in den kunsttheoretischen Ansichten Adornos, Lukacs’ und Hausers (und zum Teil in deren Biographien). Hauser will sich nicht nur hinsichtlich der gesellschaftlichen Prognosen und politischen Ambitionen zwischen Lukacs und Adorno platziert wissen und versucht, sich im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlichem Totatitatsideal und voranschreitendem Entfremdungsprozess zu behaupten. Gleichermaßen vermittelnde Positionen vertritt Hauser in Fragen des klassischen kunstlerischen Erbes (von Lukacs verabsolutiert), der Moderne , Avantgarde und des ?offenen“ Kunstwerkes (von Adorno verabsolutiert) sowie in seiner Realismusauffassung .

Schon der wissenssoziologische Ansatz Hausers insistiert auf einen Spielraum sowohl fur Kunstproduktion und Kunstrezeption. Dass die Kunst zweitens wesentlich paradox ist, eben widerspruchlich und bspw. nicht nur Form oder Inhalt, verteidigt Kunst gegen einseitige Vereinnahmungen. Und drittens stutzt Hauser sein Suchen nach der rechten Mitte durch die Methode des ?tertium datur“ (dritten Weges). Im Altersessay ?Variationen uber das tertium datur bei Georg Lukacs“ heißt es: ?Die Wahl des ?goldenen Mittelweges‘ gehort zu den altesten Lehren der Weisheit...“

Wirkung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Arnold Hauser spielte fur Kunsthistoriker in West und Ost eine große Rolle. Die Außenseiterposition seiner zweibandigen Sozialgeschichte der Kunst und Literatur in der zweiten Halfte des 20. Jahrhunderts ist aber nicht zu ubersehen. Sein scharfster intellektueller Konkurrent Georg Lukacs resumierte 1969 in einem Radiogesprach mit Hauser: ?Wenn ich nun von Ihrem Werk sprechen darf, so betrachte ich es als eines seiner ungewohnlichen Verdienste, dass es inmitten dieser uberwaltigenden neopositivistischen Stromung in einer betrachtlichen Anzahl von Soziologen und Historiker den schwindenden Sinn fur die wirklichen Zusammenhange aufrechterhielt...“ Fur viele Leser wirkte nach Worten des Journalisten Walter Christian Gneuss die Sozialgeschichte wie eine ?Offenbarung... und offnete wieder den Blick fur historische Fragestellungen.“ [1]

Die Kritik reagierte auf Hausers Werk sehr widerspruchlich. Hinter den unterschiedlichen Wertungen verbergen sich unterschiedliche Auffassungen von einer Kunstsoziologie; nicht minder reflektieren sie die Schwierigkeiten bei der Analyse des realen Kunstprozesses als auch tatsachliche Widerspruche in Hausers Theorie selbst. Theodor W. Adorno und Max Horkheimer lobten die Sozialgeschichte als ein verbindliches Zeugnis soziologischer Kunstanalyse und deren gluckliche Gesamtdarstellung. Jurgen Scharfschwerdt begriff diese nur ?schwer prazisierbare kunstsoziologische Konzeption“ als eine ?letzte große Sinnsuche und Sinngebung der burgerlichen Gesellschaft.“ Ekkehard May charakterisierte Hauser als den ?unbestreitbar popularsten Mentor interdisziplinarer Arbeit.“ Alphons Silbermann wiederum polemisierte nachdrucklich gegen unkritische Adepten, ?die sich soziologisch gebarend der ?Hauserschen Methode ‘ angeschlossen haben“ und wertet dessen Veroffentlichungen als ein ?grenzenloses Gemisch aus Sozialgeschichte, Philosophie, Psychologie, Asthetik und marxistischer Ideologie “. Ungeachtet solcher Einwande spiegelt sich Hausers wissenschaftliche Bedeutung unter anderem in der Tatsache, dass er bereits ein Jahr nach seinem Tode ? ubrigens in einem von Silbermann (!) herausgegebenen Sammelband ? als ?Klassiker der Kunstsoziologie“ empfohlen wird.

Die Sozialgeschichte der Kunst und Literatur als seine zweifellos bekannteste Arbeit lag 1990 in etwa 20 Sprachen vor. In der BRD belief sich ihre Gesamtausgabe mit der zehnten Auflage 1990 auf 70.000 Exemplare. Einige seiner Bucher sind nach wie vor im Buchhandel verfugbar. Solche Auflagenziffern signalisieren zumindest den potenziellen Einfluss Hausers. Zu berucksichtigen sind ferner seine jahrelange Lehrtatigkeit und die Ubernahme von Gastprofessuren an den Universitaten Leeds (Großbritannien), Brandeis und Ohio (USA) sowie am Londoner Hornsey College of Art. Darauf anspielend meinte Zoltan Halasz im positiven Sinne, Hauser habe eine eigene ?Schule“ begrundet (siehe Sekundarliteratur).

Anmerkungen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Vgl. Peter Ruhmkorfs Studienerinnerungen Die Jahre die ihr kennt . Reinbek 1972.

Werke [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • 1951: The Social History of Art and Literature ; dt.: Sozialgeschichte der Kunst und Literatur (1953)
  • 1958: Philosophie der Kunstgeschichte ; en.: The Philosophy of Art History (1959); dt. Nachdruck: Methoden moderner Kunstbetrachtung (1970);
  • 1964: Der Manierismus. Die Krise der Renaissance und der Ursprung der modernen Kunst ; en.: Mannerism: The Crisis of the Renaissance and the Origin of Modern Art (1965); dt. Nachdruck: Der Ursprung der modernen Kunst und Literatur (1979);
  • 1974: Soziologie der Kunst ; en.: Sociology of Art (1982);
  • 1978: Im Gesprach mit Georg Lukacs . Sammelband mit drei Interviews und dem Essay ?Variationen uber das tertium datur bei Georg Lukacs“
  • Sozialgeschichte und Literatur (Band 1/2). Verlag der Kunst, Dresden 1987 ( Fundus-Reihe 106/107).
  • Sozialgeschichte und Literatur (Band 2/2). Verlag der Kunst, Dresden 1987 ( Fundus-Reihe 108/109/110).

Sekundarliteratur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Alberto Tenenti : Hauser, Arnold: Art, histoire sociale et methode sociologique . In: Annales. Economies, Societes, civilisations . Paris: 12(1957)3, S. 474?481.
  • Zoltan Halasz: In Arnold Hauser’s workshop . In: The new Hungarian quarterly . Budapest: 16(1975)58, S. 90?96.
  • Ekkehard Mai : Kunst, Kunstwissenschaft und Soziologie. Zur Theorie und Methodendiskussion in Arnold Hausers ?Soziologie der Kunst“. In: Das Kunstwerk. 1/1976, S. 3?10.
  • Jurgen Scharfschwerdt: Arnold Hauser. In: Alphons Silbermann (Hrsg.): Klassiker der Kunstsoziologie. Beck, Munchen 1979, S. 200?222.
  • K.-J. Lebus: Eine sozialhistorische Sicht auf Kunst und Gesellschaft. (Annotation zur Herausgabe der Sozialgeschichte... im Verlag der Kunst, Dresden, 1987) . In: Bildende Kunst . Berlin: 35(1988)12, S. 572.
  • K.-J. Lebus: Zum Kunstkonzept Arnold Hausers . In: Weimarer Beitrage . Berlin 36(1990)6, S. 210?228. ( online )
  • Hauser, Arnold , in: Ulrike Wendland : Biographisches Handbuch deutschsprachiger Kunsthistoriker im Exil. Leben und Werk der unter dem Nationalsozialismus verfolgten und vertriebenen Wissenschaftler . Munchen : Saur, 1999, ISBN 3-598-11339-0 , S. 267?270

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]