Putschversuch in der Turkei 2016
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Datum
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15. bis 16. Juli 2016
[1]
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Ort
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Ankara
,
Istanbul
,
Marmaris
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Ausgang
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gescheitert
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Konfliktparteien
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Befehlshaber
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unbekannt;
beschuldigt werden:
Vermutete Unterstutzung von:
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Verluste
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24
[20]
bis 104 getotete Personen
[5]
[21]
|
- mind. 62 getotete Polizisten,
[20]
- mind. 5 getotete Soldaten
[20]
- 179 Zivilisten
[20]
|
Insgesamt uber 290 Tote
[22]
[23]
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|
Der
Putschversuch in der Turkei 2016
in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli 2016 war ein gescheiterter
Putsch
von Teilen des
turkischen Militars
mit dem Ziel, die
turkische Regierung
mit
Staatsprasident
Recep Tayyip Erdo?an
und dem
Kabinett Yıldırım
(
AKP
) zu sturzen.
In
Ankara
und
Istanbul
kam es zu schweren Angriffen und Zusammenstoßen mit Zivilisten. Es gelang jedoch, einen Teil der Putschisten am weiteren Vorstoß zu hindern, indem sich viele Burger, oft in Gruppen, ihren
Panzern
in den Weg stellten. Dies trug entscheidend dazu bei, dass der Putsch niedergeschlagen werden konnte. Parallel zu den Kampfhandlungen griff ein Teil der Putschisten das
Parlament
, den Geheimdienst
Milli ?stihbarat Te?kilatı
(M?T) und das
Dezernat fur Sondereinsatze der turkischen Polizei
in Ankara an.
[24]
In den Morgenstunden des 16. Juli 2016 flog eine Sondereinheit an Putschsoldaten nach
Marmaris
, um Prasident Erdo?an zu toten oder festzunehmen, der dort mit Familie und Stab gerade Urlaub machte.
[25]
[26]
[27]
Erdo?an entkam dem Anschlag, bei dem zwei Sicherheitskrafte ums Leben kamen und sieben verletzt wurden.
[24]
[27]
Nach ersten Meldungen gab es 249 Todesopfer. Die Zahl der Verletzten wurde mit uber 2000 angegeben.
[24]
[28]
[29]
Im Juli 2019 ging die turkische
Staatsanwaltschaft
von einer Beteiligung von 8000 Soldaten mit 35 Kampfflugzeugen, 37 Helikoptern, 74 Panzern und 246 Panzerwagen aus.
[30]
Dem Scheitern des Staatsstreichs folgten
radikale Maßnahmen der Regierung
, darunter Massenentlassungen in zahlreichen staatlichen und nichtstaatlichen Bereichen. Allein beim Militar wurden mehr als ein Drittel der
Offiziere
im
Generals
- und
Admiralsrang
, 3185 von insgesamt rund 600.000 Armeeangehorigen, darunter auch 248 Kampfpiloten, verhaftet oder
unehrenhaft entlassen
(Stand August 2016).
[31]
Ermittlungsbehorden und staatliche Stellen beschuldigen
Fethullah Gulen
, den Umsturzversuch mit Anhangern der
Gulen-Bewegung
, die in der Turkei als
FETO
(
Fethullahcı Teror Orgutu
, ?Fethullahistische Terrororganisation“) bezeichnet wird, geplant und durchgefuhrt zu haben. Auch die Regierungspartei
AKP
und Teile der Opposition sehen Gulen in der Verantwortung.
[32]
Es wird weithin angenommen, dass die
kemalistische Ideologie
bei den Motiven fur den Putschversuch keine oder nur eine geringe Rolle spielte, anders als bei fruheren Militarputschen in der Turkei.
[33]
Die
turkischen Streitkrafte
(TSK) sahen sich seit der Einfuhrung der
Mehrparteiendemokratie
im Jahr 1946 zusammen mit der
Justiz
als Huter der kemalistischen Ideale und des unter
Mustafa Kemal Ataturk
errichteten
sakularen
turkischen Nationalstaates
gegen jene politischen Parteien, die sich fur eine großere Rolle des
Islams
und von Minderheiten einsetzten. Militar und Justiz griffen jedoch seit der
Ausrufung der Republik Turkei
regelmaßig in die Befugnis gewahlter Parteien zur politischen Willensbildung ein, um diese nach ihren Vorstellungen zu gestalten.
Das Militar sturzte vier gewahlte Regierungen durch Militarputsche:
1960
,
1971
,
1980
und
1997
. Mehrere politische Parteien wurden auf Betreiben des Militars verboten. 1998 wurde
Erdo?an
, damals Burgermeister von
Istanbul
, auf Lebenszeit aus der Politik ausgeschlossen und inhaftiert, weil er Jahre zuvor auf einer offentlichen Versammlung ein Gedicht vorgetragen hatte, das fur eines von
Ziya Gokalp
gehalten wurde. 2007 sprach sich das Militar in einem
E-Memorandum
gegen die Wahl von
Abdullah Gul
von der
Partei fur Gerechtigkeit und Aufschwung
(AKP) zum Prasidenten aus. Dennoch wurde Gul gewahlt, als die AKP das
Verfassungsreferendum in der Turkei 2007
fur sich entscheiden konnte. Auch die Stichwahl 2007 gewann die AKP, sodass sie mit einer großeren Mehrheit als zuvor wieder in das
Parlament
einzog.
[34]
Im Gegensatz zu fruheren politischen Einflussnahmen stellten sich die AKP und die staatsnahen Medien von Anfang an auf den Standpunkt, dass der Putschversuch nicht von der kemalistischen Ideologie motiviert wurde, sondern durch das umfangreiche von dem muslimischen Geistlichen
Fethullah Gulen
angefuhrte Netzwerk.
[33]
Schon zwischen 2007 und 2012 wurden gegen hochrangige Kemalisten, darunter fuhrende Offiziere der turkischen Streitkrafte, eine Reihe von Prozessen gefuhrt und Sauberungen vorgenommen, denen eine Beteiligung an einem Geheimbund mit dem Codenamen
Ergenekon
nachgesagt wurde. Die Sauberungen, unterstutzt von islamistisch gesinnten Staatsanwalten, Sicherheitsbeamten und Medien, ermoglichten Offizieren der gleichen religiosen Richtung, jedoch auch niedrigeren Ranges, hohere Positionen im Militar einzunehmen.
[35]
Die Sauberungen wurden als Versuch der Regierung unter Prasident Erdo?an gewertet, die Vorherrschaft uber das Militar zu erlangen.
[34]
[36]
In diesen Prozessen des Jahres 2013 sollen 275 Personen, darunter hochrangige Militaroffiziere, Journalisten, Anwalte und Akademiker, in die sogenannte Ergenekon-Verschworung verwickelt gewesen sein, durch die 2003/2004 ein Putsch gegen den damaligen Premierminister Erdo?an geplant gewesen sein soll.
[36]
Einige Militaroffiziere sollen auch an einer anderen Verschworung namens
Balyoz
beteiligt gewesen sein.
[36]
Gleichzeitig beforderte Erdo?an rangniedrigere Offiziere, um einerseits sicherzustellen, dass der
Generalstabschef
ihm gegenuber loyal war, andererseits, um die Armee zu schwachen.
[37]
Den Maßnahmen der Strafverfolgungsbehorden gingen
Korruptionsvorwurfe
voraus, die Ende 2013 ihren Anfang nahmen.
[38]
[39]
Nach dem Bruch zwischen der AKP und Gulen soll Prasident Erdo?an jedoch erkannt haben, dass es von Vorteil ware, zumindest die Armee zu rehabilitieren.
[37]
Die Ergenekon-Verurteilungen wurden im April 2016 vom
Kassationshof
aufgehoben, da die Existenz des Netzwerks nicht habe bewiesen werden konnen.
[36]
[40]
Einige am Putschversuch Beteiligte sollen, als es um die justizielle Aufarbeitung ging, versucht haben, zur Rechtfertigung auch das Thema Korruption in der Turkei heranzuziehen.
[41]
[42]
Am 13. Juli 2016, zwei Tage vor dem Putschversuch, unterzeichnete Erdo?an ein Gesetz, das turkischen Soldaten bei der Teilnahme an inlandischen Operationen
Straffreiheit
gewahrt. Das Gesetz sah vor, dass Falle, die sich gegen
Kommandeure
richten, vom
Premierminister
genehmigt werden mussen, wahrend
Bezirksgouverneure
Falle gegen Soldaten mit niedrigeren Rangen behandeln konnen. Das Immunitatsgesetz (vgl.
Politische Immunitat
und
Straffreiheitsgesetz
) wurde als Teil der
Entspannungspolitik
zwischen der Regierung und den
turkischen Streitkraften
betrachtet, nachdem Militars zunehmend Operationen in kurdisch besiedelten Gebieten (siehe:
Autonome Region Kurdistan
und
Rojava
) durchfuhrten, die zuvor der Polizei und
paramilitarischen Einheiten
oblagen.
[43]
Das Buro des
Hohen Kommissars der Vereinten Nationen fur Menschenrechte
veroffentlichte im Februar 2017 einen Bericht, in dem ausgefuhrt wurde, wie durch Operationen der turkischen
Infanterie
, der
Artillerie
, durch
Panzer
und moglicherweise Flugzeuge von Juli 2015 bis Ende 2016 bis zu einer halben Million Menschen aus ihren Hausern vertrieben wurden. Ermittler der
Vereinten Nationen
wollen eine Reihe von
Menschenrechtsverletzungen
(vgl. auch
Menschenrechte in der Turkei
) durch die Sicherheitskrafte festgestellt haben, darunter
extrajustizielle Hinrichtungen
,
standrechtliche Totungen
, ?Verschwindenlassen“ inkriminierter Personen,
Folter
(vgl. auch
Folter in der Turkei
),
Vergewaltigungen
,
Gewalt gegen Frauen
und die Verweigerung des Zugangs zu medizinischer Versorgung, Nahrung und Wasser.
[44]
|
Orte der Putschangriffe und Luftwaffenstutzpunkte (Auswahl)
|
Am 15. Juli 2016 um etwa 22:00 Uhr war nicht mehr zu ubersehen und zu uberhoren, dass ein feindlicher Angriff im Gange war. Wahrend uber
Ankara
Kampfflugzeuge des Typs
General Dynamics F-16
aufstiegen, unterbrachen von Putschisten gefuhrte Panzer des Typs
Leopard 2
den Verkehr auf den Brucken, die den europaischen mit dem asiatischen Teil
Istanbuls
verbinden.
[24]
Zwei der drei Brucken, die uber den
Bosporus
auf asiatischer Seite fuhren, die
Fatih-Sultan-Mehmet-Brucke
und die
Bosporus-Brucke
, wurden geschlossen.
[45]
[46]
[47]
[48]
Parallel dazu griffen Putschisten staatliche Einrichtungen an, darunter das Hauptquartier des
turkischen Generalstabs
in Ankara und das
Dezernat fur Sondereinsatze der turkischen Polizei
in
Ankara-Golba?ı
.
[24]
Generalstabschef
Hulusi Akar
wurde im Hauptquartier des Generalstabs in Ankara, festgesetzt.
[49]
Hulusi sei auf den
Militarflugplatz Akıncı
nordwestlich von Ankara, eine der Basen der Putschisten, verbracht und noch im Laufe der Nacht von regierungstreuen Kraften befreit worden.
[50]
[51]
[52]
Weitere Angriffsziele waren Militarschulen, der
Flughafen Istanbul-Ataturk
, die Stadthalle in Istanbul und fur den offentlich-rechtlichen Rundfunk
TRT
, die nationale Telekommunikation und Satellitensysteme bedeutende Anlagen.
[24]
Im Hauptgebaude des nationalen Rundfunks in Ankara kam es zu einer Explosion und zu Schießereien zwischen Putschisten, Polizeibeamten und der
Gendarmerie
. Strategisch von den Putschisten gewahlte Ziele wie das
Parlament
, der Flughafen Istanbul-Ataturk, Polizeistationen, die Zentrale des Geheimdienstes
M?T
in Ankara und die Bodenstation von
Turksat
wurden ebenfalls angegriffen.
[53]
[54]
Auch auf einer der Bosporus-Brucken fielen Schusse, wurden Personen getotet oder verletzt.
[51]
Panzer fuhren vor dem Flughafen Istanbul-Ataturk auf, auf dem, ebenso wie auf dem
Flughafen Ankara
, der Flugbetrieb eingestellt wurde.
[45]
[46]
[47]
[48]
Etwa um 23:00 des 15. Juli 2016 Uhr kam es zur ersten offiziellen Reaktion. Ministerprasident
Binali Yıldırım
erklarte, dass militarische Maßnahmen außerhalb der Befehlskette ergriffen wurden, Teile des Militars einen Versuch, die Macht zu ergreifen, unternommen haben, und bestatigte damit den Putschversuch.
[24]
[55]
Gleichzeitig stellte Yıldırım klar, ?dass die Verantwortlichen den hochsten Preis bezahlen mussen“.
[56]
[57]
Noch wahrend der Angriffe verhangte die Regierung eine Nachrichtensperre und unterband den Zugriff auf die
Sozialen Medien
Twitter
,
Facebook
und
YouTube
. Der offentlich-rechtliche Rundfunk TRT musste den Sendebetrieb am 16. Juli 2016 von 00:15 Uhr bis 2:30 Uhr einstellen.
[58]
Die von Putschisten genommenen Geiseln, Luftwaffenchef
Abidin Unal
und Generalstabschef Hulusi Akar, wurden in den fruhen Morgenstunden des 16. Juli 2016 von Spezialeinheiten aus dem
Militarstutzpunkt Akıncı
befreit.
[59]
Die
Turkischen Streitkrafte
gaben bekannt, dass die Angriffe am 16. Juli 2016 um 4:30 Uhr endeten. Die Regierung erklarte den Putschversuch als gescheitert. Mehr als 1500 Militarangehorige seien bereits festgenommen worden.
[60]
[61]
[62]
Die Putschisten hinterließen weder ein
Bekennerschreiben
, noch gab es Verlautbarungen uber ihre Identitat. Auch die Besetzung und die Große des ?Rates“ blieben ungenannt.
[63]
[64]
Die Putschisten verrieten nur, im Namen eines ?
Rates des Friedens in der Heimat“
(turkisch:
Yurtta Sulh Konseyi)
zu handeln.
[24]
Erst spater wurde bekannt, wie sich die Putschisten Gehor verschafften. Sie nahmen am 16. Juli 2016, kurz nach Mitternacht, die Sendezentrale des offentlich-rechtlichen Senders TRT in Ankara gewaltsam ein.
[65]
In ihrem sogenannten
Manifest
sprachen sie von ?anwachsendem Terrorismus und einer Beschadigung der verfassungsmaßigen Ordnung“, ohne Prasident Erdo?an namentlich zu nennen. Es gehe ihnen darum, die Korruption zu bekampfen, die verfassungsmaßige Ordnung, Menschenrechte, Freiheit und die offentliche Sicherheit wiederherzustellen:
?Rechtsstaat
und die offentliche Sicherheit, die beschadigt worden waren, wiederherzustellen. […] Alle volkerrechtlichen Vertrage sind nach wie vor gultig. Wir hoffen, dass unsere guten Beziehungen zu allen Staaten weiter bestehen.“
[66]
[67]
[68]
Die Verkundung des Manifestes erstreckte sich uber mehrere Stunden. Teile des Manifestes, die auf die Bewahrung der staatlichen Einheit, auf
kemalistische
und
nationalistische
Grundsatze zielen, konnten ein Versuch gewesen sein, die Gunst der Oppositionsparteien
CHP
und
MHP
zu gewinnen. In deren Parteizentralen sollen Anrufe von Putschisten eingegangen sein, um sie daruber zu informieren, dass ein Militarputsch im Gange ist. Die linksgerichtete Oppositionspartei
HDP
soll nicht kontaktiert worden sein.
[69]
[70]
Da weder ein Kontakt mit Oppositionsparteien stattfand, noch Oppositionsfuhrer in Gewahrsam genommen wurden, wird vermutet, dass sich der Umsturzversuch gegen Prasident Erdo?an gerichtet hat.
[24]
Es gibt eine weitgehend vollstandige Uberlieferung des Textes des Manifestes in deutscher Sprache.
[71]
Eine Version in turkischer Sprache ist auf
Wikisource
im Artikel 2016
Turkiye askeri darbe giri?imi bildirisi
nachzulesen.
[72]
Am 16. Juli 2016, kurz nach Mitternacht, gab Prasident Erdo?an dem TV-Nachrichtensender
CNN Turk
uber
Facetime
ein Interview. Darin sagte er, dass von
Fethullah Gulen
gesteuerte Aufruhrer die Turkei uberfallen.
[24]
[73]
Erdo?an rief die Bevolkerung auf, ?sich im Namen der Demokratie gegen die Putschisten zu stellen, auf offentlichen Platzen zu versammeln und den Ataturk-Flughafen in Istanbul wieder einzunehmen“.
[24]
Prasident Erdo?an gelang durch seinen Aufruf eine Massenmobilisierung.
[74]
[75]
In Istanbul und Ankara stromten Tausende Menschen auf die Straßen, um sich vor die Panzer der Putschisten zu stellen.
[24]
[76]
Darunter befanden sich auch viele Anhanger der Regierungspartei AKP.
[77]
Von den Menschen, die schon vor Erdo?ans Aufruf auf die Straßen gingen, waren laut einer Umfrage, die das Demoskopie-Institut
Konda
zehn Tage spater durchfuhrte, 57 % Parteimitglieder der AKP, wovon 83 % bei den Wahlen im November 2015 fur die Partei stimmten. Nach dem Aufruf stieg der Anteil der AKP-Wahler auf 90 %.
[24]
[78]
Uber 80.000
Moscheen
im ganzen Land schlossen sich dem Aufruf Prasident Erdo?ans an und forderten zum Widerstand gegen die Putschisten auf. Vertreter des
Diyanet
forderten
Imame
auf, das traditionell bei Begrabnissen verwendete
Sal?t
-Gebet als Zeichen der Verurteilung des Putschangriffs zu sprechen. Viele
Muezzins
begaben sich in die
Minarette
ihrer Moscheen, um das Gebet wiederholt uber Lautsprecher zu
rezitieren
und die Burger aufzufordern, ?ihr Land und ihre Regierung fur die Liebe Gottes und des Propheten zu verteidigen.“
[24]
Analysten sind uberzeugt, dass die schnelle Mobilisierung der Bevolkerung auch der Anwesenheit von Mitgliedern der AKP sowohl vor Ort als auch den Kommunikationsmoglichkeiten uber soziale Medien zu verdanken war.
[24]
Der Leiter des Bezirksburos der AKP in
Mamak
, einem Distrikt von
Ankara
, erklarte, dass sich schon nach etwa einer Viertelstunde nach den ersten Meldungen AKP-Parteikader zusammenfanden.
[24]
[79]
Innerhalb von nur einer halben Stunde erreichten die Bezirksvertreter 105.000 AKP-Mitglieder uber
Textnachrichten
und die Sozialen Medien. Ein Teil der panzerfuhrenden Putschisten konnte das Tor des Armee-Stutzpunktes in Mamak nicht mehr passieren, da ihnen bereits Tausende Menschen den Weg versperrten.
[24]
Die Regierung konnte auch auf die Medien, in erster Linie die regierungstreuen, und das Internet zahlen.
[24]
Die damalige
Holding
von
CNN Turk
, die
Do?an Media Group
, war in der Vergangenheit haufig von der AKP angegriffen worden, erwies sich aber in der Putschnacht als hilfreich.
[24]
Da trotz der laufend ausgestrahlten Nachrichten Detailinformationen uber die genauen Ablaufe weitgehend fehlten, boten die
Postings
von Istanbuler und Ankaraner Burgern, die sie direkt erlebten, wertvolle Informationen. Der
Traffic
auf
Twitter
stieg mit einer halben Million
Tweets
auf das 35-fache seines ublichen Volumens.
[24]
Die Stadtverwaltung Istanbul mobilisierte Lastwagen, welche die Ausfahrten der wichtigsten Kasernen blockierten. In
U?ak
und weiteren Stadten leisteten Gemeinden und Stadtverwaltungen zusatzliche Hilfe, indem quer vor die Tore von Militarstutzpunkten schwere Baumaschinen gestellt wurden. Allein in Istanbul wurden 6000 Lastwagen und Planierraupen positioniert, um Panzern der Putschisten die freie Fahrt zu nehmen. Auch von der Privatwirtschaft wurde die Regierung unterstutzt. Nach Angaben des Vorsitzenden eines Herstellers von Baumaschinen wurden 20.000 schwere Geratschaften eingesetzt, um den Putschisten den Weg abzuschneiden.
[24]
Prasident Erdo?an befand sich zum Zeitpunkt der Angriffe, mit einem Teil seines Stabs, seit sechs Tagen im Grand-Yazıcı-Hotel in
Marmaris
im Urlaub. Er sagte gegenuber
CNN International
, er sei gegen 22:00 Uhr (des 15. Juli 2016) informiert und ihm eine Warnung von
General
Umit Dundar
, Kommandant der
1. Armee
, ubermittelt worden. Nachdem der Luftraum geschlossen wurde, hatten Putschsoldaten mit vierzig Bussen nach Marmaris fahren wollen. Nachdem die Fahrer der Busse verhaftet wurden, machte sich eine
Elite-Einheit
mit Hubschraubern auf den Weg nach Marmaris. Erdo?an soll am 16. Juli 2016 kurz nach Mitternacht das Hotel verlassen und sich zum
Flughafen Dalaman
begeben haben. Etwa eine halbe Stunde nach dem Verlassen des Hotels sei die Spezialeinheit dort eingetroffen und habe es aus drei Hubschraubern heraus bombardiert. Bei dem Angriff wurden zwei
Sicherheitskrafte
getotet und sieben verletzt. Erdo?an behauptete, dass der Anschlag auf ihn erfolgreich gewesen ware, wenn er sich 15 Minuten langer in dem Hotel aufgehalten hatte.
[26]
[27]
Um 1:40 Uhr des 16. Juli 2016 soll sich Prasident Erdo?an mit der Prasidentenmaschine, einer
Gulfstream IV
, in Begleitung von zwei
General Dynamics F-16
auf den Flug nach Istanbul begeben haben. Da der Ataturk-Flughafen in Istanbul noch von Putschisten besetzt war, habe die Maschine erst einmal ca. 40 Minuten lang Warteschleifen uber der Sudkuste des
Marmarameeres
gedreht.
[27]
Um 3:20 Uhr Ortszeit des 16. Juli 2016 sei sie dann in Istanbul gelandet. Etwa 20 Minuten spater versicherte Erdo?an der jubelnden Menschenmenge, dass die Regierung die volle Kontrolle habe.
[27]
Mit der Ankunft des Prasidenten verbunden mit seinem begeisterten Empfang, konnte der Putsch nicht nur militarisch, sondern auch gesellschaftlich als gescheitert gelten.
[26]
Erdo?an versprach auf
NTV
danach auch, das Militar konsequent zu saubern.
[80]
Erdo?an sei den Angreifern nicht nur einmal, sondern sogar zweimal entkommen. Zunachst hatten etwa 25 Soldaten das Hotel in Marmaris gesturmt, das er 20 Minuten zuvor verlassen habe. Dann hatten Putschisten mit zwei F-16-Kampfflugzeugen versucht, die Prasidentenmaschine abzuschießen. Den Piloten der Gulfstream sei es jedoch gelungen, den Angreifern per Funk glaubhaft zu machen, dass es sich bei der Prasidentenmaschine um eine Linienmaschine der
Turkish Airlines
handele. Ein
Offizier
habe spater behauptet, dass die Piloten der Gulfstream den
Transpondercode
auf den einer Maschine der Turkish Airlines anderten, damit die Prasidentenmaschine im Luftraum unerkannt bleibt. So sei es gelungen, zwei Jagdflugzeuge der Putschisten zu vertreiben. Die Zahl der Maschinen der Verfolger und die genauen Ablaufe sind nicht bekannt.
[81]
[82]
Erdo?an musse aber schon klar gewesen sein, dass, unter regularen Flug- und Sicherheitsablaufen, seine Maschine vom
Radar
der Angreifer zu orten ist. Die Putschisten hatten gegen 22:00 Uhr des 15. Juli 2016 sechs Kampfjets vom Typ F-16 gekapert und seien damit vom
Luftwaffenstutzpunkt Diyarbakır
aus auf dem Weg nach Istanbul gewesen. Wenn die Prasidentenmaschine tatsachlich bereits beim Start als Turkish-Airlines-Flug registriert war und von F-16 Kampfjets verfolgt wurde, hatte dies, so die Meinungen, auch der militarischen Bodenstation auffallen mussen. Es sei aber selbst noch unklar geblieben, in wessen Gewalt sich die Bodenstation zu diesem Zeitpunkt befand.
[83]
Nach einem Bericht von
Yeni ?afak
wurde die Prasidentenmaschine in der Putschnacht nur von einer F-16 direkt verfolgt. Weil aber gleichzeitig mehrere von Putschisten gekaperte Kampfjets in der Luft gewesen seien, habe die Prasidentenmaschine ihre Flugroute geandert und sei erst einmal eine halbe Stunde uber der Stadt
Bandirma
gekreist. Als ein Kampfjet, der die Prasidentenmaschine bereits geortet gehabt habe und in ihre Richtung geflogen sei, um sie abzuschießen, hatten die Angreifer davon Abstand nehmen und umdrehen mussen, weil sie bemerkt hatten, dass ihnen der Sprit zur Neige geht.
[84]
Auf dem
Luftwaffenstutzpunkt ?ncirlik
in der sudlichen Provinz
Adana
, den Putschisten zum Auftanken gekaperter
F-16 Kampfflugzeuge
nutzten, fielen in der Nacht zum 16. Juli 2016 vor dem Haupttor Schusse. In den fruhen Morgenstunden bewachten bereits 1000 Militars die Basis, um auszuschließen, dass Putschisten noch Flugzeuge unter ihrer Kontrolle haben. Der Zugang zur Basis und deren Verlassen wurden aus Sicherheitsgrunden streng untersagt. Nach Abriegelung der Basis, wodurch sie seit 16. Juli 2016 ganzlich gesperrt war, der Kappung der Energieversorgung und der Sperrung des Luftraums saßen auch deutsche und US-Flugzeuge in ?ncirlik fest.
[85]
[86]
[87]
[88]
[89]
Die Behorden verlangerten am 17. Juli 2016 die Sperrung. Funf Tage lang blieb die Basis noch von der Stromversorgung getrennt.
[90]
[91]
Das US-Konsulat in der Turkei riet dem gesamten amerikanischen Militar- und sonstigen Personal der Basis, den Luftwaffenstutzpunkt ?ncirlik, auf dem etwa
50 Atombomben
gelagert sind, zu meiden, bis der normale Betrieb wiederhergestellt werden konnte.
[92]
[93]
[94]
Das
US-Armeekommando fur Europa
erhohte die Sicherheitsstufe auf den hochsten Wert
?Delta“
.
[95]
[96]
[97]
[98]
Etwa 24 Stunden nach den ersten Meldungen uber die Schließung bestatigte das
US-Verteidigungsministerium
, dass der Luftraum wieder geoffnet wurde und amerikanischen Maschinen der Flugbetrieb wieder erlaubt ist.
[99]
Am 17. Juli 2016 wurden in ?ncirlik elf Militars und ein Polizist festgenommen, darunter
Brigadegeneral
Bekir Ercan Van
und
Generalleutnant
?shak Dayıo?lu. Van beantragte spater erfolglos
Asyl
in den USA.
[100]
Mehrere fuhrende Medien schrieben Leitartikel, in denen sie sich fur den Abzug der US-Atomwaffen aus ?ncirlik aussprachen.
[101]
[102]
[103]
Auf der anderen Seite ist die Basis fur die Bemuhungen der USA, den
Burgerkrieg in Syrien
zu befrieden und den
ISIL
und andere militante Gruppierungen zu bekampfen, von einiger Bedeutung.
[104]
[105]
Auf dem Stutzpunkt sind fast 1.500 amerikanische Soldaten stationiert.
[106]
Nach griechischen und inlandischen Angaben kaperten Putschisten wahrend der fruhen Abendstunden des 16. Juli 2016 auf dem
Marinestutzpunkt
in
Golcuk
die turkische Fregatte
Yavuz
mit dem obersten Befehlshaber der
turkischen Marine
,
Admiral
Veysel Kosele. Unklar blieb, ob Kosele bei dem Putschversuch mitwirkte oder als Geisel genommen wurde.
[107]
Am 19. Juli 2016 hieß es, dass Kosele bereits zu Beginn der Angriffe nicht mehr erreichbar gewesen sei. 14 Schiffe und zwei Helikopter mit 25 Spezialkraften galten als vermisst.
[108]
Auf dem
Luftwaffenstutzpunkt Diyarbakır
im Sudosten der Turkei wurden am 16. Juli 2016 rund 100 Angehorige der
Turkischen Streitkrafte
festgenommen.
[109]
Am Morgen des 18. Juli 2016 durchsuchten Sondereinheiten der Polizei die Militarakademie der Luftwaffe in Istanbul. Einer der Festgenommenen ist General Mehmet Di?li, der wahrend des Putschversuchs
Generalstabschef
Hulusi Akar
hatte festnehmen lassen. Mehmet Di?li ist ein Bruder von ?aban Di?li, einem hochrangigen Mitglied der
AKP
.
[110]
Die Reaktionen der Angreifer auf die zu Tausenden auf die Straßen stromenden Menschen fielen gemischt aus. Einige Putschisten gaben lieber ihre Waffen ab, als auf Zivilisten zu schießen. Es gab jedoch tragische Zwischenfalle, bei denen gerade jene auf solche Weise zu Tode kamen oder von Panzern uberrollt wurden. Nach einem Bericht von Januar 2017 wurden funf am Putsch unbeteiligte Soldaten, 62 Polizeibeamte und 173 Zivilisten getotet und uber 2000 Menschen verletzt.
[24]
Der
kommissarisch
eingesetzte
Generalstabschef
Umit Dundar
, zuvor Kommandeur der
1. Armee
im Raum Istanbul, gab am Morgen nach dem Putschversuch bekannt, dass 104 Militarangehorige des ?Friedensrates“, 41 Polizisten (Polizei und
Gendarmerie
) und 47 Zivilisten getotet wurden.
[111]
Im Laufe des 16. Juli 2016 hieß es, dass in Ankara 42 Menschen getotet wurden.
Anadolu
meldete, dass bei einem Luftangriff auf das
Hauptquartier der Spezialkrafte der Polizei
in Ankara 17 Polizisten ums Leben kamen. Der turkische Sender
NTV
meldete, dass 13 Soldaten im Zuge ihres Versuchs, in das Prasidialburo in Ankara einzudringen, festgenommen wurden.
[112]
Am 20. Juli 2016 wurde berichtet, dass es 264 Todesopfer gegeben habe: 173 Zivilisten, 67 regierungstreuen
Sicherheitskraften
und 24 Putschisten.
[113]
Im Cengelkoy-Viertel im Istanbuler Stadtteil
Uskudar
, wo Putschisten das Polizeirevier angegriffen und Geiseln genommen hatten, sollen 18 Zivilisten getotet worden sein.
[114]
Mustafa Cambaz, ein Fotoreporter der
Yeni ?afak
, wurde dort ebenfalls erschossen.
[69]
[70]
[115]
Am Sarachane-Platz im Istanbuler Bezirk
Fatih
sollen 17 Personen getotet worden sein, als F-16-Jets uber eine Menschenmenge flogen.
[116]
Auch zwei Fahrer von Baumaschinen, die Putschisten den Weg abschneiden wollten, bezahlten dies mit ihrem Leben.
[24]
DHA
meldete, dass in Istanbul sechs Zivilisten erschossen und fast 100 verletzt worden seien.
[112]
Erster Hauptverdachtiger:
Fethullah Gulen
. Der Geistliche soll fur die Planung und Durchfuhrung des Putschversuchs verantwortlich sein. Gulen verurteilte das Vorgehen und wies jede Beteiligung daran zuruck.
Zweiter Hauptverdachtiger: General
Akın Ozturk
, ehemaliger Befehlshaber der turkischen Luftwaffe. Bei ihm soll es sich um den militarischen Anfuhrer des Putschversuchs handeln.
Die Anfuhrer und Drahtzieher des Umsturzversuchs sind nicht vollstandig bekannt.
[25]
[117]
Nach dem Informationsstand von Ende 2016 wurde er von Angehorigen des turkischen Militars und Anhangern der
Gulen-Bewegung
ubereilt durchgefuhrt, nachdem Geheimdienst und Militarfuhrung Informationen uber
subversive
Vorgange im Militar erlangt hatten.
[25]
Als unbestritten gilt, dass Geheimdienstchef
Hakan Fidan
und
Generalstabschef
Hulusi Akar
spatestens am Nachmittag des 15. Juli 2016 von einem bevorstehenden Putsch wussten.
[118]
Fraglich ist, ob die Regierung ihn bewusst geschehen ließ.
[119]
Einigkeit besteht darin, dass der Putschversuch Folge einer schon langer schwelenden Kontroverse war und Gulenisten seither versuchten, die Macht Prasident Erdo?ans zu brechen.
[24]
Nach dem Bruch zwischen den Gulenisten und der AKP hatten die Gulenisten seit 2012 sukzessive daran gearbeitet, einen ?stillen Burgerkrieg“ auszutragen.
[120]
[121]
Der Umstand, dass sich niemand zu einer unmittelbaren Anfuhrerschaft bekannte, soll die These zulassen, dass es auch außerhalb der Mehrheit gulenistisch gesinnter Militars schon einige Zeit Umsturzplane gab, denen sich, als es ernst wurde, auch
sakular
gesinnte Krafte zur Gefolgschaft machten. Eine andere Lesart ist, dass sich niederrangige Soldaten wegen der ?Gehorsamskultur“ in den Streitkraften den Putschisten anschlossen, es aber auch Druck bis hin zu Erpressung gegeben haben konnte.
[24]
[122]
Ermittlungen sollen dagegen ergeben haben, dass Militars, die nicht den Gulenisten zuzurechnen sind, weder in die Putschplanungen eingebunden, noch auf dem
Luftwaffenstutzpunkt Akıncı
, einer der Basen der Putschisten, anzutreffen waren.
[120]
Schon lange vor dem Bruch zwischen der
AKP
und dem Gulen-Netzwerk 2013 hatten Kritiker in der Turkei gewarnt, dass es sich dabei um eine
Sekte
handele, deren eigentliches Ziel der Staatsstreich sei. So habe
Fethullah Gulen
1999 in einem Video seine Anhanger aufgefordert, ?die Macht im Staat zu ubernehmen, sobald man in allen verfassungsmaßigen Institutionen uber eine entscheidungsfahige Mehrheit verfuge“. Dass die Gulenisten ihre Ziele erreicht hatten, zumindest zeitweise, davon gehe eine lange Liste kundiger Personen aus, darunter
investigativ tatige Journalisten
wie
Ahmet ?ık
und
Nedim ?ener
, Richter wie Orhan Gazi Ertekin, US-Botschafter, hochrangige Polizeioffiziere und
Mesut Yılmaz
, der ehemalige Ministerprasident der Turkei. Yılmaz brachte in der
ARD
-Dokumentation
?Die Nacht, in der die Panzer rollten“
zum Ausdruck, dass die Etablierung der AKP und ihr weiterer Aufstieg gleichzeitig auch die Blutezeit der Gulen-Sekte war.
[123]
Wahrend die Behauptung der Regierung, dass gulenistisch gesinnte Militars die Verantwortung fur den Putschversuch tragen, stets aufrechterhalten wurde, und auch verschiedene Anhaltspunkte fur ihre Verstrickung darin existierten, ließ sich eine Beteiligung Fethullah Gulens selbst nicht belegen.
[120]
Insider wollen jedoch Kenntnis davon erlangt haben, dass gulenistische Offiziere die Drahtzieher waren.
[121]
Die Uberzeugung der Regierung, dass es sich dabei nur um Gulen selbst handeln kann, beruht auf der Behauptung von
Generalstabschef
Hulusi Akar
, dass der
Brigadegeneral
der Luftwaffe Hakan Evrim ihm (Akar) nach seiner Geiselnahme im
Luftwaffenstutzpunkt Akıncı
angeboten habe, sich den Putschisten anzuschließen und ihn (Akar) in Kontakt mit Gulen als deren ?Meinungsfuhrer“ zu bringen. Dies wurde von Evrim bestritten.
[117]
Fethullah Gulen, den Prasident Erdo?an als einen der Hauptverschworer ansieht, verurteilte den Putschversuch und bestritt jede Beteiligung daran: ?Ich verurteile den versuchten Militarputsch in der Turkei auf das Scharfste. Eine Regierung sollte durch freie und faire Wahlen gewonnen werden, nicht durch Gewalt. Ich bete zu Gott fur die Turkei, die turkischen Burger und alle, die sich derzeit in der Turkei aufhalten, dass diese Situation friedlich und schnell gelost wird. Als jemand, der in den letzten funf Jahrzehnten unter mehreren Militarputschen gelitten hat, ist es besonders beleidigend, beschuldigt zu werden, in irgendeiner Weise an einem solchen Versuch beteiligt zu sein. Ich weise solche Anschuldigungen kategorisch zuruck.“
[124]
Prasident Erdo?an forderte die Vereinigten Staaten auf, Gulen auszuliefern.
[125]
Ministerprasident
Binali Yıldırım
drohte jedem Land, das Gulen unterstutzen wurde, mit Krieg.
[126]
Der turkische Arbeitsminister
Suleyman Soylu
behauptete, dass Amerika hinter dem Putsch steckt.
[127]
US-Außenminister
John Kerry
forderte die turkische Regierung auf, bevor die USA einem Auslieferungsersuchen nachkommen konnten, stichhaltige Beweise fur eine Schuld Gulens vorzulegen.
[128]
Am 15. August 2016 außerte sich der ehemalige US-Diplomat
James Franklin Jeffrey
, der von 2008 bis 2010
Botschafter der Vereinigten Staaten in der Turkei
war, so: ?Die Gulen-Bewegung hat zumindest das Militar infiltriert, soweit ich weiß. Naturlich hatten sie fruher auch extrem die Polizei und die Justiz unterwandert. Ich habe das gesehen, als ich fruher in der Turkei war, insbesondere im Fall
Balyoz
, im Fall
Hakan Fidan
und bei den Korruptionsfallen im Jahr 2013. Offensichtlich wurde ein bedeutender Teil der turkischen Burokratie infiltriert und hat sich einer Bewegung angeschlossen. Das ist naturlich absolut inakzeptabel und extrem gefahrlich. Es hat wahrscheinlich zu dem Putschversuch gefuhrt.“
[129]
[130]
Nach dem Putschversuch gab die
Republikanische Volkspartei
(CHP) eine Erklarung ab, in der sie sich gegen den Putschversuch positionierte. Die
Hurriyet Daily News
berichtete, dass auch der Vorsitzende der
Nationalistischen Bewegung
(MHP),
Devlet Bahceli
, mit Premierminister
Binali Yıldırım
telefonierte, um ihm zu sagen, dass er (Bahceli) den Putschversuch verurteilt.
[131]
Die Co-Vorsitzenden der
Demokratischen Volkspartei
(HDP) erklarten, die Partei sei unter allen Umstanden und aus Prinzip gegen jede Art von Putsch.
[132]
Do?u Perincek
von der
Vaterlandspartei
(VP) beschuldigte Fethullah Gulen und die USA, die Drahtzieher des Putschversuchs zu sein.
[133]
Die
Arbeiterpartei Kurdistans
(PKK), die von der Turkei und manchen Verbundeten als Terrororganisation eingestuft wird, forderte ihre Anhanger auf, sich aus der Diskussion herauszuhalten.
[134]
Die
Kommunistische Partei
(KP) rief die Bevolkerung auf, die
AKP-Regierung
zu sturzen, da diese ?ein ?Feind der Menschheit“ sei.
[135]
Schon als die Putschangriffe noch andauerten, gab der Generalsekretar des
Europarats
,
Thorbjørn Jagland
, auf
Twitter
eine Erklarung ab, betonte insbesondere, dass jeder Versuch, die demokratisch gewahlte Fuhrung zu sturzen, inakzeptabel ist.
[136]
Russlands
Prasident
Wladimir Putin
nahm mit seinem Amtskollegen Erdo?an noch vor den Staatsoberhauptern von
NATO
-Mitgliedslandern Kontakt auf. Soweit der kasachische Prasident
Nursultan Nasarbajew
gegenuber seinem turkischen Amtskollegen Solidaritat bekundete, bedankte sich Erdo?an bei dieser Gelegenheit bei Nasarbajew auch fur die Unterstutzung bei der Losung der zu diesem Zeitpunkt schon fast acht Monate andauernden Krise um die
abgeschossene russische Suchoi Su-24
im November 2015.
[137]
Erdo?ans Dank galt nicht zuletzt auch dem griechischen Premierminister
Alexis Tsipras
, der zu den ersten Staats- und Regierungschefs der NATO-Lander gehorte, die den Putschversuch schon fruh verurteilten.
[138]
[139]
Der pakistanische Premierminister
Nawaz Sharif
lobte das turkische Volk und die AKP-Regierung und verurteilte, dies ausdrucklich als Versuch bezeichnend, die Demokratie in der Turkei zu untergraben: ?Wir bewundern zutiefst die Entschlossenheit des tapferen und widerstandsfahigen turkischen Volkes, das sich gegen die Krafte der Finsternis und der
Anarchie
erhoben hat, um seine Unterstutzung und sein Engagement fur die Demokratie zum Ausdruck zu bringen.“
[140]
Die Mehrheit westlicher Staaten sprach entweder von Unterstutzung der turkischen Regierung oder rief nur zur Zuruckhaltung auf. Am 16. Juli 2016 wurde jedoch eine Erklarung des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
, in welcher der Putschversuch einstimmig verurteilt werden sollte, von
Agypten
aufgrund von Unstimmigkeiten uber den Wortlaut nicht akzeptiert. Agyptische Diplomaten erklarten, der Rat sei nicht in der Lage, die turkische Regierung oder irgendeine andere Regierung ?als demokratisch gewahlt“ oder ?nicht demokratisch gewahlt“ zu bezeichnen. Die Einwande der USA und des Vereinigten Konigreichs fuhrten dazu, dass Agypten eine neue Erklarung anregte, in der alle Seiten aufgefordert werden, die demokratischen und verfassungsmaßigen Grundsatze und die Rechtsstaatlichkeit zu respektieren. Auch die Neuformulierung wurde nicht ratifiziert, sodass der Sicherheitsrat den Putschversuch nicht verurteilen konnte, jedenfalls nicht offiziell.
[141]
Russland ist eines der funf standigen Mitglieder im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Der Vorsitzende der nationalistischen
Liberaldemokratischen Partei Russlands
(LDPR),
Wladimir Schirinowski
, außerte offen seine Sympathie fur die Putschisten.
[142]
Al-Monitor
, ein in
Washington, DC
, USA, ansassiges Internet-Nachrichtenportal, das sich mit Hintergrundberichten und Analysen aus und uber den
Nahen Osten
befasst, brachte Kritik am Westen dahingehend zum Ausdruck, dass dieser bis zum Scheitern des Putsches gezogert habe, um erst dann Solidaritatserklarungen abzugeben. Dagegen habe der
Iran
, genauer sein Außenminister
Mohammed Dschawad Sarif
, sich bereits in den ersten Stunden auf Twitter klar positioniert. Das Gemunkel, der Westen habe durch sein Schweigen sozusagen ?hinter verschlossenen Turen auf einen erfolgreichen Putsch gehofft“, wurde vom Prasidenten des Iran,
Hassan Rohani
, fur bare Munze genommen. Rohani sagte seinem Amtskollegen Erdo?an, der Putschversuch sei ?ein Test, um Ihre in- und auslandischen Freunde und Feinde zu identifizieren.“
[143]
Ein iranischer Beamter wies auf Parallelen zwischen dem Putschversuch in der Turkei und der ?
Operation Ajax
“, dem Sturz des iranischen Premierministers
Mohammad Mossadegh
im Jahr 1953, hin: ?Wir wissen, dass dieser Versuch von auslandischer Seite ausgelost wurde. Das haben wir in der Vergangenheit auch schon erlebt. Da Herr Erdo?an heute einen positiveren Weg in der Region einschlagen will, wollen sie ihn sturzen.“
[144]
Mustafa Akıncı
, Prasident von
Nordzypern
, begrußte den Umstand, ?dass keine Gemeinschaft in der Turkei […] den Putsch beklatscht hat, wie noch in der Vergangenheit.“
[145]
Aserbaidschan
verurteilte den versuchten Militarputsch aufs Scharfste.
Novruz M?mm?dov
, stellvertretender Leiter der aserbaidschanischen Prasidialverwaltung und Chef der Abteilung fur Außenbeziehungen, bezeichnete solche Aktionen als ?inakzeptabel“.
[146]
Der seinerzeit fur die
EU-Beitrittskandidatur der Turkei
zustandige EU-Kommissar
Johannes Hahn
hielt es fur denkbar, dass die turkische Regierung vor dem Putschversuch Listen uber politische Gegner erstellt und auf den richtigen Zeitpunkt zum Handeln gewartet habe.
[147]
In diesem Sinne kritisierte auch die
EU
die Entscheidung der Turkei, den Putschversuch pauschal in das Themenfeld des
Terrorismus
einzuordnen, insbesondere wenn dies, ebenso pauschal und ohne Differenzierung, mit der Verletzung von Grundrechten und Grundfreiheiten vieler, moglicherweise auch unschuldiger Betroffener einhergeht.
[148]
Am 19. Juli 2016 erklarte der Sprecher des
Weißen Hauses
,
Josh Earnest
, wahrend eines Pressebriefings, dass Prasident
Barack Obama
ein Telefongesprach mit Prasident Erdo?an gefuhrt habe: ?Der Prasident nutzte das Telefonat, um noch einmal das starke Engagement der Vereinigten Staaten fur die demokratisch gewahlte Zivilregierung der Turkei zu bekraftigen. Der Prasident sagte der turkischen Regierung jede erforderliche Unterstutzung bei der Durchfuhrung der Ermittlungen zu, um die genauen Geschehnisse zu klaren.“
[149]
Am 20. Juli 2016 sagte
NATO
-Generalsekretar
Jens Stoltenberg
: ?Die Turkei hat eine große Streitmacht, professionelle Streitkrafte und […] Ich bin sicher, dass sie weiterhin ein engagierter und starker NATO-Verbundeter sein wird.“
[150]
In einer am 10. August 2016 veroffentlichten Erklarung verurteilte Stoltenberg den Putschversuch erneut und bekraftigte seine volle Unterstutzung fur die demokratischen Institutionen der Turkei. Dies brachte der Generalsekretar auch gegenuber der Regierung zum Ausdruck und bekundete gleichzeitig seinen Respekt fur den Mut des turkischen Volkes.
[151]
Am 29. Juli 2016 wies der Befehlshaber des
US-Zentralkommandos
, General
Joseph L. Votel
, Behauptungen Prasident Erdo?ans zuruck, wonach er (Votel) den Putschversuch in der Turkei unterstutzt habe.
[152]
Am 1. August 2016 besuchte der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs der USA, General
Joseph F. Dunford
, die Turkei und verurteilte vor Ort den Putschversuch.
[153]
Er sagte: ?Das durchgangige Thema des Tages war die Bekraftigung der Bedeutung der Beziehungen zwischen den USA und der Turkei ? die Notwendigkeit unserer Zusammenarbeit.“
[154]
Die erste Reaktion der deutschen Regierung erfolgte in der Nacht zum 16. Juli 2016 durch Regierungssprecher
Steffen Seibert
: ?Die demokratische Ordnung in der Turkei muss respektiert werden. Alles muss getan werden, um Menschenleben zu schutzen.“
[155]
Noch am selben Tag erklarte Bundeskanzlerin
Angela Merkel
, dass sie den Versuch, die gewahlte Regierung und den Prasidenten zu sturzen, auf das Scharfste verurteilt. Im Umgang mit den Verantwortlichen musse sich nun der Rechtsstaat beweisen.
[156]
Kritischer wurden die Stimmen, als die turkische Regierung begann, regressive Maßnahmen einzuleiten. Bundestagsprasident
Norbert Lammert
sagte am 22. Juli 2016, dass sich die Turkei von den europaischen Mindeststandards, auf die sie sich als Mitglied des
Europarats
verpflichtet habe, immer weiter entferne. Besorgniserregend seien vor allem die Massenverhaftungen und Amtsenthebungen. Es sehe danach aus, dass diese schon langer vorbereitet gewesen sind.
[157]
Bundestagsvizeprasident
Johannes Singhammer
forderte, die Zahlungen der
EU
an die Turkei einzufrieren.
[158]
Bundesaußenminister
Frank-Walter Steinmeier
forderte am 21. Juli 2016 die turkische Regierung auf, den
Ausnahmezustand
auf moglichst kurze Zeit zu beschranken.
[159]
Deutsche Medien mutmaßten, der Putschversuch konnte von Prasident Erdo?an als ?Vorwand“ benutzt worden sein, das
Prasidialsystem
einzufuhren, um danach noch harter gegen
Oppositionelle
vorzugehen.
[11]
[160]
[161]
[162]
[163]
Außerhalb der Turkei wird von Behorden und anderen offiziellen Stellen fast ausnahmslos der Theorie widersprochen, dass
Fethullah Gulen
und seine Anhanger fur den Putschversuch verantwortlich sind.
[164]
Der Prasident des
Bundesnachrichtendienstes
,
Bruno Kahl
, schloss sich den Bedenken an.
[165]
Am 16. Juli 2016 gab es Pressemeldungen, dass acht turkische Militarangehorige verschiedener Dienstgrade an Bord eines
Black-Hawk-Hubschraubers
in der nordostgriechischen Stadt
Alexandroupoli
gelandet seien und
Asyl
in
Griechenland
beantragt hatten. Wahrend der turkische Außenminister
Mevlut Cavu?o?lu
die schnellstmogliche Auslieferung ?der acht Verrater“ forderte, erklarten griechische Behorden: ?Wir werden die Verfahren des internationalen Rechts befolgen. Wir geben jedoch zu bedenken, dass die (Anm. die turkischen Militars) in ihrem eigenen Land beschuldigt werden, die verfassungsmaßige Ordnung zu verletzen und zu versuchen, die Demokratie zu sturzen.“
[166]
Der Hubschrauber wurde in die Turkei zuruckgebracht.
[167]
Die acht Asylbewerber wurden spater nach
Athen
verlegt. Am 26. Januar 2017 entschied sich der
Oberste Gerichtshof Griechenlands
gegen eine Auslieferung. Dies wurde damit begrundet, dass den acht Personen bei einer Ruckfuhrung in ihr Heimatland aller Voraussicht nach kein faires Verfahren bevorstunde.
[168]
[169]
Am 15. Februar 2017 verschafften sich funf turkische Kommandosoldaten uber den
Fluss Evros
illegal den Ubertritt auf griechisches Territorium. Nach der Einreise trennte sich die Gruppe. Zwei von ihnen, die der turkischen Marine angehorten, stellten sich der Polizei und beantragten in
Alexandroupolis
Asyl. Die von den beiden angegebenen Namen stimmten angeblich mit den Namen von zwei Fluchtigen uberein, die im Zusammenhang mit einer geheimen Operation gegen Prasident Erdo?an gesucht wurden. Die griechische Regierung wies darauf hin, dass sie nicht zulassen werde, in die laufenden Auseinandersetzungen zwischen der Turkei und Anhangern
Fethullah Gulens
hineingezogen zu werden.
[170]
[171]
Von den anderen drei Gefluchteten gab es keine Spur. Es soll aber Hinweise darauf gegeben haben, dass sie in Griechenland verhaftet wurden und ihnen eine Abschiebung in die Turkei drohte.
[172]
Es waren auch zwei turkische Militarattaches zusammen mit ihren Familien in
Athen
untergetaucht. Dabei handelt es sich um den
Oberstleutnant
?lhan Ya?ıtlı und den Marineattache und
Oberst
Halis Tunc. Am 7. August 2016 hob das griechische Außenministerium die
Akkreditierung
der beiden auf Antrag des
turkischen Außenministeriums
auf. Griechische Medien berichteten, dass sie nach
Italien
geflohen sein konnten.
[173]
Am 11. August 2016 bestatigte der turkische Außenminister
Mevlut Cavu?o?lu
die Berichte, wonach die beiden Attaches Griechenland in Richtung Italien verlassen hatten. Bei den italienischen Behorden werde jeweils ein
Auslieferungsersuchen
gestellt.
[174]
[175]
Admiral
Mustafa Zeki U?urlu, der beim
Allied Command Transformation
der
NATO
in
Norfolk, Virginia
, stationiert war, beantragte
Asyl
in den Vereinigten Staaten, nachdem er von der turkischen Regierung zuruckgerufen worden war. Der Asylantrag hatte keinen Erfolg.
[176]
[177]
Mitte November 2016 wurde offiziell bestatigt, dass rund 40 turkische Militarangehorige verschiedener Dienstgrade in
Deutschland
und
Belgien
Asyl beantragt haben.
[178]
[179]
Im Januar 2017 berichteten das Magazin
Der Spiegel
und die
ARD
, dass 40 weitere hochrangige turkische Soldaten, die in Einrichtungen der
NATO
in Deutschland arbeiteten, in Deutschland Asyl beantragt hatten.
[180]
Ende Februar 2017 gaben die zustandigen deutschen Behorden an, seit dem Putschversuch im Zeitraum von August 2016 bis Januar 2017 insgesamt 136 Asylantrage von Turken mit
Diplomatenpassen
erhalten zu haben.
[181]
Das
Bundesamt fur Migration und Fluchtlinge
(BAMF) teilte ebenfalls Mitte November 2016 mit, dass bis Oktober 2016 4.437 Asylantrage turkischer Staatsangehoriger eingegangen seien, was einer Steigerung um 2.670 Antrage im Vergleich zum gesamten Vorjahr entspreche.
Stephan Mayer
, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, sagte: ?Wir mussen damit rechnen, dass die Zahl der Turken, die in Deutschland politisches Asyl suchen, noch weiter steigen wird.“
[182]
[183]
Im Januar 2018 stand Deutschland an erster und Griechenland an zweiter Stelle der EU-Lander, in denen turkische Staatsangehorige nach dem Putschversuch Asyl beantragt haben.
Im November 2016 erklarte der Generalsekretar der
NATO
,
Jens Stoltenberg
, dass turkische NATO-Offiziere in den Landern, in denen sie stationiert waren, um
Asyl
gebeten hatten. Stoltenberg nannte weder die betreffenden Lander noch die Anzahl der Asylsuchenden. Er betonte jedoch, dass die Entscheidung den jeweiligen Landern obliege: ?Einige turkische Offiziere, die in der NATO-Kommandostruktur arbeiten, […] haben in den Landern, in denen sie arbeiten, um Asyl gebeten. […] Wie immer ist dies eine Angelegenheit, die von den verschiedenen NATO-Verbundeten als nationale Angelegenheit bewertet und entschieden werden muss.“
[178]
[184]
Im Marz 2017 gewahrte
Norwegen
vier turkischen Soldaten und einem Militarattache Asyl.
[185]
Mehrere turkische Staatsburger mit Diplomatenpassen sollen auch in der
Schweiz
politisches Asyl beantragt haben.
[186]
Am 20. Juli 2016 verkundete Prasident Erdo?an einen dreimonatigen
Ausnahmezustand
. Dabei konnte er sich auf Artikel 120 der
turkischen Verfassung
(?Ausrufung des Ausnahmezustands wegen verbreiteter Gewalttaten und schwerwiegender Storung der offentlichen Ordnung“) berufen.
[187]
[188]
[189]
Wahrend eines Ausnahmezustands kann gemaß Artikel 121 ?der Ministerrat unter dem Vorsitz des Prasidenten der Republik in den durch den Ausnahmezustand bedingten Angelegenheiten Verordnungen mit Gesetzeskraft erlassen“. Anschließend mussen die Verordnungen vom
Parlament
gebilligt werden.
[188]
Der Ausnahmezustand wurde am 21. Juli 2016 mit 346 gegen 115 Stimmen bestatigt.
[190]
Ministerprasident
Binali Yıldırım
erklarte vor dem Parlament, der Ausnahmezustand sei erforderlich, ?um diese Plage schnell loszuwerden.“
[191]
Der stellvertretende Ministerprasident
Numan Kurtulmu?
kundigte an, dass die Turkei, um dem Ausnahmezustand Geltung zu verschaffen, einen Teil der
EMRK
vorubergehend aussetzen werde.
[192]
Kurtulmu? berief sich dabei auf Artikel 15 der Konvention (?Abweichen im Notstandsfall“). Die Maßnahmen mussen dem Europarat angezeigt werden. Sie durfen das
Recht auf ein faires Verfahren
oder das
Folterverbot
auch nicht verletzen.
[190]
Am 3. Oktober 2016 erklarte Kurtulmu?, dass die Regierung beabsichtige, den Ausnahmezustand um weitere drei Monate zu verlangern. Die Oppositionsparteien
CHP
und
HDP
positionierten sich ablehnend zu diesem Plan, wollten eine solche Verlangerung nicht mittragen. Nachdem der
Nationale Sicherheitsrat
sie jedoch empfohlen hatte, fasste Prasident Erdo?an sogar einen einjahrigen oder moglicherweise noch langeren Ausnahmezustand ins Auge. Der Vorsitzende der CHP,
Kemal Kılıcdaro?lu
, kritisierte, dass die Außerung des Prasidenten, der Ausnahmezustand konne noch langer als zwolf Monate andauern, die Gefahr eines ?Gegenputsches“ und die Aussicht auf entsprechende Entwicklungen erhohe.
[193]
Die Mehrheit der Regierungspartei
AKP
sorgte am 19. Oktober 2016 dafur, dass die dreimonatige Verlangerung beschlossen werden konnte.
[194]
Tatsachlich wurde der Ausnahmezustand erst zum 19. Juli 2018, also nach weiteren zwei Jahren, beendet.
[195]
Der Putschversuch fuhrte zu Massenentlassungen in nahezu allen Bereichen des offentlichen Dienstes und Lebens.
The New York Times
und andere westliche Medien wie beispielsweise
The Economist
bezeichneten die Maßnahmen als ?Gegenputsch“.
[196]
[197]
Die New York Times postulierte, dass Prasident Erdo?an ?rachsuchtiger und kontrollbesessener als je zuvor wird und die Krise nicht nur dazu nutzt, meuternde Soldaten zu bestrafen, sondern auch, um jeden
Dissens
, der in der Turkei noch vorhanden ist, zu unterdrucken.“
[198]
Bis 20. Juli 2016 waren im Zuge der Sauberungen bereits uber 45.000 Militars, Polizisten, Richter,
Gouverneure
und Beamte verhaftet oder suspendiert worden, darunter samtliche
Universitatsdekane
des Landes.
[199]
163
Generale
und
Admirale
wurden inhaftiert, was etwa 45 % des gesamten turkischen Militars entspricht.
[200]
Am 18. Juli 2016 forderte der Außenminister der
USA
,
John Kerry
, die turkischen Behorden auf, das harte Vorgehen einzustellen. Der franzosische Außenminister
Jean-Marc Ayrault
außerte sich ebenso besorgt, warnte vor einem politischen System, das sich von der Demokratie abwende.
[201]
Am 17. August 2016 begann die Turkei mit der
Entlassung von etwa 38.000 Gefangnisinsassen
, um Platz fur etwa 35.000 Personen zu schaffen, die wegen ihrer tatsachlichen oder mutmaßlichen Verstrickung in den Putschversuch zu Haftstrafen verurteilt wurden.
[202]
[203]
Am 28. September 2016 erklarte der turkische Justizminister
Bekir Bozda?
, dass sich 70.000 Falle noch im Ermittlungsstadium befinden. Gegen 32.000 Personen lagen bereits
Haftbefehle
vor.
[204]
Generalmajor
Cahit Bakir, der die turkischen Streitkrafte in
Afghanistan
befehligte, und
Brigadegeneral
Sener Topuc, zustandig fur Bildung und Hilfe in Afghanistan, wurden in
Dubai
festgenommen.
[205]
General
Akın Ozturk
, ehemaliger Befehlshaber der
turkischen Luftstreitkrafte
, war
Militarattache
der Turkei in
Israel
. Ozturk wurde unter der Anschuldigung verhaftet, eine fuhrende Rolle bei dem Putschversuch gespielt zu haben.
[206]
Auch General
Adem Huduti
, Befehlshaber der
Zweiten Armee
, die an den sudlichen Grenzen zu
Syrien
und
Nordirak
operiert, und General Erdal Ozturk, Befehlshaber der
Dritten Armee
, wurden festgenommen.
[206]
Am 20. Juni 2019 schrieb
Ci?dem Akyol
, deutsche
Journalistin
und
Autorin
, auf
n-tv.de
einen Artikel, der sich unter anderem mit den Urteilen vom 20. Juni 2019 (siehe dazu unter: Urteile des Strafgerichtshofs in Sincan bei Ankara) befasst. Darin fuhrte sie auch aus, dass seit dem Putschversuch nach Regierungsangaben rund 500.0000 Personen wegen angeblicher
Gulen-Verbindungen
festgenommen worden seien. Rund 30.000 sollen sich weiter in Haft befinden. Es reiche schon aus, ein Bankkonto bei einer Gulen-nahen Bank zu haben, um in Verdacht zu geraten.
[207]
Am 26. November 2020 schrieb die
FAZ
, wobei sie sich auf die Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur
Anadolu
bezog, dass Innenminister
Suleyman Soylu
ihr (der Nachrichtenagentur) gegenuber geaußert habe, dass bis 26. November 2020 292.000 Personen bei Einsatzen gegen die
Gulen-Bewegung
festgenommen und 96.000 verhaftet wurden. Seit dem Putschversuch gehe die Sache nach Beteiligten ohne Unterlass weiter.
[208]
Nach den zahlreichen Festnahmen und Inhaftierungen forderten Tausende Demonstranten die Verhangung der
Todesstrafe
gegen die Beschuldigten. Prasident Erdo?an bekannte sich offen zu einer Wiedereinfuhrung: ?In einer Demokratie bekommt das Volk, was es will.“ Allerdings hat die turkische Strafjustiz bereits seit 1984 niemanden mehr hingerichtet. Im Jahr 2004 wurde die Todesstrafe als eine der Vorbedingungen fur die
Beitrittsverhandlungen der Turkei mit der Europaischen Union
gesetzlich abgeschafft. Der franzosische Außenminister
Jean-Marc Ayrault
sagte, die Turkei musse im Rahmen der Gesetze arbeiten, um das Demokratieverstandnis Europas zu wahren.
[209]
Zur gleichen Zeit stellte die damalige
Hohe Vertreterin der EU fur Außenpolitik
,
Federica Mogherini
, klar, dass kein Land in die Europaische Union aufgenommen werden kann, das die Todesstrafe verhangt oder wieder einfuhrt.
[210]
[211]
Der Sprecher der
Bundesregierung
,
Steffen Seibert
, erklarte, dass ihre Wiedereinfuhrung die Beendigung der Beitrittsverhandlungen zur Folge hatte.
[212]
Die Turkei ist Mitglied des
Europarats
und hat die
Europaische Menschenrechtskonvention
(EMRK) ratifiziert. Die EMRK ist ein volkerrechtlicher Vertrag zwischen den Mitgliedern des Europarats, der unter anderem die Abschaffung der Todesstrafe vorsieht (
13. Zusatzprotokoll zur EMRK
). Somit konnte die Todesstrafe nicht wieder eingefuhrt werden, ohne gegen eine eingegangene Verpflichtung aus einem volkerrechtlichen Vertrag zu verstoßen.
[213]
Am 7. August 2016 versammelten sich mehr als eine Million Menschen zu einer Anti-Putsch-Kundgebung in
Istanbul
. Prasident
Recep Tayyip Erdo?an
(AKP) nahm daran teil, so wie auch die beiden Vorsitzenden der großen Oppositionsparteien,
Kemal Kılıcdaro?lu
(CHP) und
Devlet Bahceli
(MHP).
[214]
[215]
[216]
Die
turkische Polizei
fuhrte nahezu zeitgleich in 18 Stadten
Razzien
gegen Unternehmen durch, die mit
Fethullah Gulen
in Verbindung stehen sollen. Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur
Anadolu Ajansı
durchsuchte die Beamten 204 Raumlichkeiten und nahmen 187 Geschaftsleute wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation und finanzieller Unterstutzung einer Terrororganisation, so jedenfalls die Vorwurfe, fest. Die Vermogen aller Verdachtigen wurden beschlagnahmt.
[217]
Durch den Putschversuch bußte das turkische Militar an Zustimmung in der Bevolkerung ein. 2015, im Jahr davor, hatten noch rund 62 % der Teilnehmer an einer jahrlich stattfindenden Umfrage der Kadir-Has-Universitat ihm das Vertrauen ausgesprochen. Nach dem Putschversuch waren es nur noch 47 %. Damit fiel das Militar, fast identisch mit Prasident Erdo?an, um 15 Prozentpunkte zuruck, der mit rund 49 % nur noch knapp die Halfte seiner fruheren Sympathiewerte erreichte.
[218]
[219]
[220]
Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts
Andy-Ar
(1.496 Teilnehmer) glaubten 64,4 %, dass
Fethullah Gulen
fur den Putschversuch verantwortlich ist. 3,8 % hatten die USA, 3,6 % auslandische Machte und 2,2 % Prasident Erdo?an selbst im Verdacht. 72,6 % meinten, dass die Putschisten von auslandischen Staaten unterstutzt wurden. 81,5 % meinten, dass es richtig ware, Gulen in die Turkei zuruckzubringen. 77,7 % gaben an, dass sie ihn und seine Anhanger als Gefahr fur die offentliche Ordnung sehen.
[221]
[222]
Nach einer weiteren, vom Demoskopie-Institut MetroPOLL durchgefuhrten Meinungsumfrage, bei der zwischen dem 28. Juli und dem 1. August 2016 1.275 turkische Burger befragt wurden, begrußten 67,6 % die Maßnahmen der Regierung.
[114]
[223]
Ende Juni 2016 belief sich die Zustimmung auf nur noch 47 %.
[224]
Knapp zwei Jahre spater, in einer im Februar 2018 veroffentlichten Studie des
Center for American Progress
, gaben 49 % der Befragten an, die Maßnahmen zu begrußen. 39 % außerten sich gegenteilig.
[225]
Im belgischen
Beringen
versuchten Angreifer schon kurz nach dem Putschversuch ein Gebaude zu sturmen, das der pro-Gulen-Bewegung ?Vuslat“ gehort. Die Polizei setzte einen
Wasserwerfer
ein, um sie in Schach zu halten. In der Presseberichterstattung hieß es, die Polizei habe gleichzeitig die Hauser von Gulen-Anhangern geschutzt. Auch in
Heusden-Zolder
, einem anderen Teil Belgiens, kam es zu Unruhen.
[226]
Die Regierung in
Somalia
ordnete die vollstandige Beendigung aller Aktivitaten einer mit der Gulen-Bewegung verbundenen Organisation an und gab deren Mitarbeitern sieben Tage Zeit, das Land zu verlassen.
[227]
Die staatsnahe turkische Tageszeitung
Yeni ?afak
schrieb am 25. Juli 2016, der inzwischen pensionierte US-Armeegeneral
John F. Campbell
sei der Drahtzieher hinter dem Putschversuch.
[228]
Campbell bezeichnete die Behauptung als ?absolut lacherlich“. Prasident
Barack Obama
sagte zeitgleich: ?Alle Berichte, dass wir von einem Putschversuch gewusst hatten, dass die USA daran beteiligt gewesen waren, dass wir die turkische Demokratie in irgendeiner Weise untergraben wollen, sind vollig falsch, eindeutig falsch.“
[229]
In einer Rede am 29. Juli 2016 sagte Prasident Erdo?an, der Chef des
United States Central Command
,
Joseph L. Votel
, stehe auf der Seite der Putschisten.
[230]
Erdo?an behauptete auch, die Vereinigten Staaten wurden
Fethullah Gulen
, von dessen Rolle als Drahtzieher des Umsturzversuchs die turkische Regierung uberzeugt ist, zu schutzen.
[231]
Premierminister
Binali Yıldırım
außerte sich ahnlich.
[232]
In seiner Erwiderung bezeichnete Votel die Außerungen der turkischen Regierung als ?unglucklich und vollig unzutreffend“. Zudem gab Vogel zu bedenken, dass die Massenverhaftungen und Entlassungen die militarische Zusammenarbeit zwischen den USA und der Turkei im Kampf gegen den
Islamischen Staat
(ISIS) empfindlich storen konnten. Die gleiche Befurchtung außerte der
Director of National Intelligence
,
James R. Clapper
.
[230]
Am 2. August 2016 sagte Prasident Erdo?an, dass westliche Lander den Terrorismus und den Militarputsch geradezu fordern. Besonders den USA gegenuber verscharfte er seine Worte: ?Ich frage die Vereinigten Staaten, was fur strategische Partner sind wir, dass Sie immer noch jemanden aufnehmen, dessen Auslieferung ich gefordert habe?“
[233]
Als zeitgleich die Spannungen mit den Vereinigten Staaten ihren Hohepunkt erreichten, stellte Erdo?an die diplomatischen Beziehungen grundlegend in Frage. Er schoss sich auch pauschal gegen den Westen ein, indem er unterstellte, ?das Drehbuch fur den gescheiterten Putsch sei im Ausland geschrieben worden.“
[234]
Er habe Prasident Barack Obama personlich gebeten, Fethullah Gulen an die Turkei auszuliefern.
[235]
Als die US-Regierung antwortete, dass sie vor einer Auslieferung Beweise fur dessen Schuld benotige, antwortete Erdo?an: ?Als ihr um die Auslieferung eines Terroristen gebeten habt, haben wir keine Dokumente verlangt. […] Wir wollen ihn vor Gericht stellen.“
[217]
Am 31. Januar 2017 sagte der
britische
Staatsminister fur Europa und Amerika,
Alan Duncan
, er glaube, dass die Gulen-Bewegung fur den Putschversuch verantwortlich ist und behauptete, dass die Organisation, die den Staat unterwanderte, versucht hat, die demokratische Struktur in der Turkei zu beseitigen.
[236]
Generalleutnant Erdal Ozturk (links), hier mit US-Armeegeneral
Martin E. Dempsey
(rechts). Ozturk, Befehlshaber der 3. Armee, wurde wegen angeblicher Beteiligung am Putschversuch verhaftet.
Am 1. Dezember 2017 erließ die
Generalstaatsanwaltschaft
in
Istanbul
einen
Haftbefehl
gegen den amerikanischen Politikanalysten, ehemaligen Beamten der
Central Intelligence Agency
(CIA) und ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden des
National Intelligence Council
(NSA), Graham E. Fuller. Der Haftbefehl wurde mit der Beteiligung Fullers an dem Putschversuch begrundet.
[237]
Der ehemalige Leiter auch einer CIA-Dependance in
Kabul
war angeblich am 15. Juli 2016 in Istanbul an einem Treffen beteiligt, bei dem es um die Organisation und Koordinierung eines Militarputsches ging. Ein weiterer Teilnehmer an dem Treffen soll nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft der US-Amerikaner Henri J. Barkey gewesen sein, der bereits eine Woche nach dem Putschversuch als Verdachtiger gehandelt wurde.
[238]
Griechische Behorden auf mehreren
Agaisinseln
forderten Notmaßnahmen, um den wachsenden
Fluchtlingsstrom
aus der Turkei einzudammen. Die Zahl der Fluchtlinge nahm nach dem Putschversuch deutlich zu.
Vincent Cochetel
, Direktor des
Europa-Buros des Amtes des Hohen Fluchtlingskommissars der Vereinten Nationen
, sagte im August 2016, dass Teile des Abkommens zwischen der
Europaischen Union
und der Turkei, wie das Thema Migration gehandhabt werden soll, im Ergebnis bereits wirkungslos geworden sind. In griechischen Haftanstalten sei auch kein turkischer Polizeibeamter anzutreffen, der mithilft, angeordnete
Abschiebungen
zu vollziehen.
[239]
[240]
Der Regierende Burgermeister von
Berlin
,
Michael Muller
, sagte, die Turkei fuhre einen Krieg gegen Anhanger der
Gulen-Bewegung
in Deutschland. Muller sei gefragt worden, ob er bereit ist, die turkische Regierung bei ihrem Kampf gegen die Bewegung zu unterstutzen. Dies habe er abgelehnt. Solche Konflikte konnten nicht in Berlin ausgetragen oder von der Stadt gelost werden.
[241]
[242]
Der Spiegel
soll geheime Dokumente veroffentlicht haben, aus denen hervorgehe, dass der
turkische Geheimdienst
(M?T) den
Bundesnachrichtendienst
(BND) um Unterstutzung bei der Ausforschung von Gulen-Anhangern in Deutschland gebeten hat. Der M?T habe vom BND zudem erwartet, dass er (der BND) seinen Einfluss geltend macht, um den deutschen Gesetzgeber zu uberzeugen, dass auch von dessen Seite etwas gegen Gulen-Anhanger unternommen werden muss. Die turkische Regierung selbst habe
Auslieferungsersuchen
an die zustandigen Behorden in Deutschland gerichtet.
Am 31. Juli 2016 kam es in
Koln
zu einer Großdemonstration, an der rund 40.000 Menschen, uberwiegend Deutschturken, fur Prasident Erdo?an und ihr Herkunftsland demonstrierten. 2.700 Polizisten sollen im Einsatz gewesen und auch
Wasserwerfer
bereitgestanden haben. Zu Ausschreitungen kam es jedoch nicht. Ursprunglich war geplant, Erdo?an auf einer Großleinwand live zuzuschalten, was dann aber verboten wurde. Erdo?ans Sprecher,
?brahim Kalın
, bezeichnete das Ubertragungs-Verbot als ?inakzeptablen Zustand“ und will gar eine Verletzung der
Meinungsfreiheit
erkannt haben. Es sei schon nicht hinnehmbar, dass die deutschen Behorden Demonstrationen der verbotenen
kurdischen Arbeiterpartei PKK
zuließen, jedoch eine ?Demokratie-Veranstaltung“ gegen den Putschversuch unter Verweis auf die Sicherheitslage verhindern wollten. Gegen Ende der Kundgebung konnte nur eine Botschaft Erdo?ans verlesen werden. Darin lobte er, dass sich die turkische Bevolkerung den Putschisten mutig entgegenstellte, dankte auch den Burgern, die in Deutschland auf die Straße gegangen waren. Erdo?an: ?Heute ist die Turkei starker als sie je vor dem 15. Juli gewesen ist.“
[243]
Die Anrufung des
Bundesverfassungsgerichts
blieb erfolglos.
[244]
[245]
Staatliche Stellen befurchteten, dass turkische
Moscheen
in Deutschland in eine Rolle schlupfen konnten, die sich nicht mehr nur ihrem religiosen Auftrag verpflichtet fuhlt, sondern auch eine Art ?Innenpolitik“ im Sinne der turkischen Regierung betreiben konnten. Dies wurde sich dann nicht mehr nur lokal auswirken. Demgegenuber wurde die D?T?B (
Turkisch-Islamische Union der Anstalt fur Religion
) in Deutschland jahrelang geradezu ermutigt, in ausreichender Zahl islamkundige Lehrer fur Bildungseinrichtungen der Gulen-Bewegung fur die turkische
Diaspora
zu rekrutieren. Die D?T?B verwaltet in Deutschland rund 900 Moscheen. Die Gulen-Bewegung unterhalt mindestens 100 Bildungseinrichtungen.
[246]
In einer
Predigt
der D?T?B (
Freitagsgebet
vom 22. Juli 2016) heißt es unter anderem: ?Unser nobles Volk hat mit diesem Eintreten seinen Glauben und seine Loyalitat an die Rechtsstaatlichkeit, universalen und demokratischen Werte nochmals bekraftigend an die ganze Welt verkundet. Aber durch dieses Ereignis wurde sichtbar, dass diejenigen, die seit vierzig Jahren die gesaten Korner der Aufwiegelei, Aufruhr und Feindschaft unserem Volk sehr großen Schaden zugefugt haben.“
[247]
Nach Auffassung von
Volker Beck
, Abgeordneter von
Bundnis 90/Die Grunen
im
Deutschen Bundestag
, sei die D?T?B eine politisch gepragte Organisation, keine Religionsgemeinschaft.
[248]
Volker Kauder
, der damalige Vorsitzende der
CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag
, schloss sich Becks Auffassung an. Kauder sagte: ?Es war eine Gehorsamserklarung gegenuber Herrn Erdo?an und seinen Maßnahmen seit dem Putschversuch. Wer mit Ditib redet, redet mit Ankara.“ Man konne wohl erwarten, dass
Deutschturken
sich in erster Linie dem Land verpflichtet fuhlen, in dem sie leben.
[249]
[250]
Der
turkische Geheimdienst
(M?T) soll turkischstammige Deutsche, von denen er glaubt, dass sie der Gulen-Bewegung tatsachlich angehoren oder dies sein konnten, massiv bespitzeln und unter Druck setzen. Allein in Deutschland verfuge die Turkei uber ein Netz von 6.000 Geheimdienstlern und Informanten. Der Grunen-Politiker
Hans-Christian Strobele
sprach seinerzeit von einem ?unglaublichen Ausmaß an geheimen Aktivitaten des M?T in Deutschland“.
Erich Schmidt-Eenboom
, ein deutscher
Publizist
und
Friedensforscher
mit Schwerpunkt
Nachrichtendienste
, sagte, dass es zu
DDR-Zeiten
nicht einmal die
Stasi
schaffte, ein so großes ?Agentenheer“ zu unterhalten: ?Hier geht es nicht nur um nachrichtendienstliches Sammeln, sondern zunehmend auch um nachrichtendienstliche Repression.“
[251]
Mitglieder des
Deutschen Bundestages
sollen eine Untersuchung gefordert und der turkischen Regierung vorgeworfen haben, Gulen-Anhanger oder solche, bei denen sie meint, dass sie mit der Bewegung etwas zu tun haben, ohne Rechtfertigung in Deutschland zu bespitzeln und zu verfolgen.
[252]
Nach dem Putschversuch veroffentlichte die Enthullungsplattform
WikiLeaks
E-Mails und Dokumente der turkischen Regierung.
[253]
Als die Telekommunikationsbehorde der Turkei (Bilgi ?leti?im ve Teknolojileri Kurumu, auch kurz BTK genannt) dessen gewahr wurde, sorgte sie fur die umgehende
Nichtverfugbarkeit der Webseite
von WikiLeaks.
[253]
Am 17. Juli 2016 gab WikiLeaks auf
Twitter
bekannt, rund 300.000 E-Mails und uber 500.000 Dokumente, darunter auch solche an und von der
AKP
, geleakt zu haben.
[254]
Sofort nach der Ankundigung einer Veroffentlichung des Materials habe es bei WikiLeaks einen
Angriff
unbekannter
Hacker
gegeben. WikiLeaks behauptete, dass dahinter die Turkei steckt. In einem weiteren
Tweet
heißt es: ?Unsere Infrastruktur ist einem anhaltenden Angriff ausgesetzt.“
[255]
[256]
Die Plattform
twitterte
weiter: ?Wir sind unsicher uber den wahren Ursprung des Angriffs. Der Zeitpunkt deutet auf eine turkische Staatsmacht oder deren Verbundete hin. Wir werden uns durchsetzen & veroffentlichen“, ?Die Turken werden wahrscheinlich zensiert werden, um sie daran zu hindern, unsere bevorstehende Veroffentlichung von mehr als 100.000 Dokumenten uber die Politik, die zum Putsch fuhrte, zu lesen“, ?Wir bitten die Turken, mit Systemen zur Umgehung der
Zensur
wie
TorBrowser
und
uTorrent
bereit zu sein“ und dass alle anderen bereit sind, ihnen zu helfen, die Zensur zu umgehen und ?unsere Links durch die kommende Zensur zu schieben“.
[255]
[256]
Nach der Veroffentlichung der E-Mail-Dumps (der englische Begriff
dump
bezeichnet im Wesentlichen einen ?Auszug“) war in der
International Business Times
zu lesen, dass die E-Mails wenig bis gar keine belastenden Informationen enthalten, sondern es sich dabei um Mails einer offentlichen (somit nicht geheimen)
Mailingliste
handele, die mit ?Wahlerinformationen uber alle Frauen, die in 78 der 81 Provinzen der Turkei zur Wahl registriert sind“ verlinkt worden seien.
[257]
[258]
Aus Medienberichten, die zwischen dem 7. und dem 22. Dezember 2016 erschienen, geht hervor, dass das
Diyanet
turkische Vertretungen
und religiose Reprasentanten gebeten habe, Profile von im Ausland lebenden Mitgliedern der
Gulen-Bewegung
zu erstellen.
[259]
[260]
Es seien auch Gulen-nahe Schulen, Unternehmen, Stiftungen, Vereine und Medien im Ausland einbezogen und vom Diyanet Informationen uber
Imame
in 38 Landern gesammelt worden.
[261]
Belgische
Behorden sollen versichert haben, turkischen
Moscheen
notfalls die Anerkennung zu entziehen.
Am 21. Dezember 2016 berief die turkische Regierung Yusuf Acar, den
Attache
fur religiose Angelegenheiten der turkischen Botschaft in den
Niederlanden
, ab, nachdem dortige Behorden ihn der
Spionage
bezichtigt hatten. Acar habe Informationen uber Personen gesammelt, die in den Niederlanden mit
Fethullah Gulen
sympathisieren und diese an turkische Behorden weitergegeben haben. Acar sei in den Niederlanden zur
Persona non grata
erklart und ihm solle die Ausweisung angedroht worden sein. Es lagen unerwunschte und nicht hinnehmbare Einmischungen in das Leben niederlandischer Burger vor.
[259]
[260]
Am 26. Januar 2017 forderte Prasident Erdo?an bei seinem Besuch in
Tansania
Prasident
John Magufuli
auf, gegen das Gulen-Netzwerk vorzugehen.
[262]
Der Prozess gegen Beteiligte des Angriffs auf Prasident Erdo?ans Urlaubshotel in Marmaris fand in
Mu?la
statt. Nach einem Medienbericht vom 23. Februar 2017 habe es sich bei
Brigadegeneral
Gokhan Sonmezate? um den Chef des Kommandos gehandelt, der zusammen mit 37 anderen Soldaten vor Gericht stand. An den Absperrgittern hatten sich Demonstranten eingefunden, um lautstark die
Todesstrafe
fur die Angeklagten zu fordern. Im Vorfeld des Verfahrens habe einer der Angeklagten, der
Unteroffizier
Zekeriya Kuzu, Verbindungen zur Gulen-Sekte eingeraumt. Zwei fuhrende Kommandanten sollen im Prozess dann jedoch entschieden bestritten haben, mit
Fethullah Gulen
und seiner Sekte irgendetwas zu tun zu haben.
Oberst
?ukru Seymen, der unter dem Befehl von Sonmezate? ein Team von zwolf Soldaten anfuhrte, habe ausgesagt: ?Ich habe mich an dem Putsch beteiligt, dazu stehe ich, aber ich lehne diese unsinnigen Beschuldigungen ab, im Auftrag oder als Mitglied einer islamischen Sekte gehandelt zu haben“. Seymen und Sonmezate? hatten wiederholt betont: ?Wir sind Elitesoldaten. Wir kampfen seit Jahren gegen die
PKK
im Osten der Turkei und im Irak
. Niemand von uns gehort einer islamischen Sekte an.“
Kuzu habe uberraschend seine fruheren Aussagen uber Verbindungen zu Gulen zuruckgezogen und nun behauptet, er sei unter Druck gesetzt worden. Auf Frage von Erdo?ans Anwalt, warum sie denn geputscht hatten, wenn nicht in dessen Auftrag, habe Seymen zu Protokoll gegeben: ?Aus demselben Grund wie
General
Kenan Evren
1980 und Oberst
Alparslan Turke?
1961: Um unser Land zu retten“. Seymen und Sonmezate? hatten drei Beweggrunde genannt: ?Die fehlerhaften Verhandlungen mit der PKK, die
Korruption im Umfeld Prasident Erdo?ans
und die
Zusammenarbeit mit den Islamisten in Syrien
“.
Die Befehle habe General
Semih Terzi
gegeben, von dessen Erschießung Seymen und Sonmezate? aber nichts mitbekommen hatten. Der am fruhen Morgen des 16. Juli 2016 nach Verzogerungen ergangene Befehl, zu Erdo?ans Urlaubshotel zu fliegen, sei vom
Luftwaffenstutzpunkt Akıncı
gekommen. Zu diesem Zeitpunkt hatten die fuhrenden Putschisten langst gewusst, dass der Prasident bereits auf dem Weg nach Istanbul war. Sonmezate? habe vermutet, dass die Soldaten in eine Falle gelockt wurden, ?um dem Ganzen einen dramatischen Anstrich zu geben“.
[263]
Die Urteile wurden am 4. Oktober 2017 gefallt. 40 Angeklagte, darunter Sonmezate?, seien, jeweils bis zu vier Mal, zu
lebenslanger Haft
verurteilt worden. Weitere Angeklagte hatten weniger als lebenslang bekommen, darunter Erdo?ans fruherer
Adjutant
Ali Yazıcı, der zu 18 Jahren Haft verurteilt worden sei. Ein
Offizier
sei freigesprochen worden. Der Prozess gegen drei Angeklagte, darunter der gegen Fethullah Gulen selbst, sei ausgegliedert worden.
[264]
Fur den Massenprozess gegen Putschbeschuldigte, der am 1. August 2017 begann, wurde im Gefangnis von
Sincan bei Ankara
, dem
Sincan T Tipi Kapali Ceza ?nfaz Kurumu
, ein großer Gerichtssaal mit uber 1500 Platzen eingerichtet.
[265]
Am 12. Juli 2018 verurteilte das
25. Strafgericht in Istanbul
72 ehemalige Militars zu lebenslangen Freiheitsstrafen.
[266]
[267]
Mit ursprunglich 224 Angeklagten war der Prozess in Sincan einer der großten im Zusammenhang mit dem Putschversuch. Am 20. Juni 2019 verurteilte das Gericht 17 Angeklagte zu lebenslangen Freiheitsstrafen, kumuliert auf 141 Mal lebenslanglich. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass die 17 Militars bei dem Putschversuch fuhrende Rollen gespielt haben. Bei einem der Verurteilten handelt es sich um
General
Akın Ozturk
, den ehemaligen
Oberkommandierenden
der
Luftstreitkrafte
. Den 17 Verurteilten wird angelastet, fur den Tod von 251 Menschen verantwortlich zu sein.
[207]
[268]
[269]
Justizminister
Abdulhamit Gul
soll die Urteile gelobt und dabei die Ruckkehr der
Gerechtigkeit
, die Wahrung von
Menschenrechten
und der
Demokratie
besonders hervorgehoben haben: ?Die turkische Justiz hat ein großartiges Beispiel fur
Rechtsstaatlichkeit
gezeigt.“
[207]
Am 26. November 2020 schrieb die
FAZ
, wobei sie sich auf die Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur
Anadolu
stutzte, dass nun, mehr als vier Jahre nach dem Putschversuch, ein Gericht in Ankara Urteile gegen Hunderte weitere am Putschversuch Beteiligte gefallt habe. Insgesamt seien in dem Mammutverfahren 475 Militars angeklagt worden, darunter auch Anfuhrer. Das Gericht habe gegen 337 Angeklagte, unter anderem wegen
Umsturzversuchs
, eines
Attentats
auf den Prasidenten und
vorsatzlicher Totung
, Strafen von bis zu 79-facher lebenslanglicher Haft unter erschwerten Bedingungen verhangt. 60 weitere Angeklagte seien zu Haftstrafen verurteilt worden. 75 Beteiligte habe das Gericht freigesprochen. Unter den Verurteilten befanden sich ranghohe Militars, Piloten und Zivilisten, die alle, rund um den Luftwaffenstutzpunkt Akıncı, von wo aus der Umsturzversuch geleitet wurde, daran beteiligt gewesen sein sollen.
[208]
Nach dem Putschversuch erhob die turkische Regierung den 15. Juli zum alljahrlich wiederkehrenden Gedenktag als
Nationalfeiertag
unter der Bezeichnung
?Tag des Gedenkens fur die Martyrer“.
[270]
Prasident Erdo?an kundigte am 22. Juli 2016 in einer Ansprache in
Ankara
an, der 15. Juli solle die Erinnerung an den Putschversuch lebendig halten und der Opfer gedenken. Der neue Feiertag solle gewahrleisten, dass kunftige Generationen niemals all die heldenhaften Zivilisten, Polizisten und Soldaten vergessen, die am 15. Juli 2016 demokratischen Widerstand geleistet haben.
[271]
Ende September 2016 regte der
Nationale Sicherheitsrat der Turkei
an, den 15. Juli kunftig alljahrlich als
?Tag der Demokratie und Freiheiten“
zu begehen.
[272]
Am 25. Oktober 2016 verabschiedete das
Parlament in Ankara
ein Gesetz, das den Jahrestag des 15. Juli als
?Tag der Demokratie und nationalen Solidaritat“
(Demokrasi ve Milli Birlik Gunu) zum gesetzlichen
Feiertag in der Turkei
erhebt.
[273]
Am 11. Juli 2017 begannen Feierlichkeiten im ganzen Land, um an den Putschversuch zu erinnern.
[274]
Die
AKP
organisierte Demokratiewachen, bei denen sich die Burger eine Woche lang allabendlich auf den Straßen und Platzen versammeln sollten.
[274]
[275]
Als Hohepunkt der Gedenkfeiern war eine Ansprache von Prasident Erdo?an im Parlament in Ankara am fruhen Morgen des 16. Juli 2017 um 02:32 Uhr Ortszeit geplant, der Uhrzeit, zu der es die Putschisten ein Jahr zuvor bombardierten.
[274]
Wie in der Putschnacht, als
Muezzins
die Burger zum Widerstand aufriefen, sollte ein besonderer Gebetsruf von den
Minaretten
der 90.000
Moscheen
erklingen.
[274]
[275]
Prasident Erdo?an und Ministerprasident
Binali Yıldırım
besuchten am 11. Juli 2017 zum Gedenken an den Umsturzversuch einen Martyrerfriedhof im Istanbuler Stadtteil Edirnekapı.
[29]
Nach der Einfuhrung des neuen Nationalfeiertages wurde eine Sprachansage von Prasident Erdo?an bei den Mobilfunkanbietern
Turkcell
und
Vodafone
eingeschaltet. Sobald ihre Kunden einen Anruf tatigten, horten sie die Stimme des Prasidenten:
?Als Prasident uberbringe ich Ihnen meine besten Wunsche zum Tag der Demokratie und der nationalen Einheit“.
[276]
Am 15. Juli 2019 wurde mit Gebeten und anderen Zeremonien der dritte Jahrestag des Putschversuchs begangen. Prasident Erdo?an nahm dabei auch an einer Gebetsrezitation in der
Moschee
des
Prasidentensitzes in Ankara
teil. Fur den Abend war eine Rede am ehemaligen
Ataturk-Flughafen
vorgesehen.
Zwei Museen erinnern an die Menschen, die wahrend des Putschversuchs getotet oder verletzt wurden. Ein Museumsgebaude liegt in
Istanbul
, auf der asiatischen Seite an der ersten
Brucke uber den Bosporus
. Das zweite Museum befindet sich in
Ankara
und war ab 16. Juli 2019 fur Besucher zuganglich. In beiden Museen werden die Ablaufe des Putschversuchs dargestellt.
[277]
Im Istanbuler Museum
15 Temmuz ?ehitler Anıtı ve Muzesi
sind kunstlich zerschossene Treppengelander ausgestellt. An den Wanden konnen, in Dauerschleife, Bilder der Putschnacht betrachtet werden, die zum Teil bisher unveroffentlicht geblieben waren. An der Decke hangen weiße Vogel ohne Gesicht. Diese sollen die Seelen der 251
?ehits
(turkisches Wort fur
Martyrer
) darstellen. Per
Touchscreen
konnen die Besucher eine
Kurzbiografie
jedes Sehits lesen. Am Eingang der Gedenkstatte stehen ihre Schuhe. Manche davon sind auf einer Treppe platziert, was den ?Weg ins Paradies“ symbolisieren soll. Auch ein paar mit Broschen und Glitzersteinen besetzte
Stockelschuhe
sind dabei. Links daneben ist ein von Panzern zerquetschtes Auto ausgestellt, dessen zerbeultes Blech die Farbe Rot und der
turkische Halbmond
zieren. In dem mit Vorhangen abgetrennten verdunkelten ?Zentrum des Martyrerseins“ leuchten kleine Lampen wie Sterne. Ein
Video
zeigt Manner mit Waffen und Frauen mit Schleier in einer Wustenlandschaft.
Koransuren
rufen zum ?Martyrersein“ auf, dann folgen Bilder aus der Putschnacht. Die Raume der Dauerausstellung sind nachtdunkel, um die Augen der Besucher besonders auf die beleuchteten
Artefakte
zu lenken, zum Beispiel den Helm eines Soldaten, das
Portemonnaie
eines Martyrers, einen Haufen Munition, die angeblich fur den Prasidenten gedacht war, und das weiße iPhone einer
CNN
-Journalistin, uber das er sich fur seinen Aufruf an die Burger wandte. An einer Wand stehen, in schwarzer Farbe auf grauem Untergrund, die Namen der Menschen, die den Tod fanden. Nach knapp funf Minuten wird der nachsten Besuchergruppe Platz gemacht. Darunter befinden sich immer wieder auch Besucher, die mit ihren Kindern kommen. Ein Familienvater: ?Wir sind hier, damit wir nie vergessen, was war. Denn wenn wir es vergessen, kann es noch einmal passieren.“ Was am 15. Juli 2016 geschah, sei nicht nur der missgluckte Versuch gewesen, die Regierung zu sturzen. Es sei um das Uberleben der Turkei gegangen, auch wenn der Westen das bis heute nicht verstehe.
[278]
Mehrere Orte wurden zum Gedenken an den Putschversuch des 15. Juli 2016 umbenannt:
- Bosporus-Brucke →
Brucke der Martyrer des 15. Juli
- Wahrend des Putschversuches wurde die Brucke, als strategisch wichtiger Ort, zu einem der Schauplatze von heftigen Auseinandersetzungen zwischen den gegen die Regierung gerichteten Militarangehorigen und Unterstutzern des Prasidenten sowie der turkischen Polizei.
[279]
- Kızılay-Platz →
Kızılay-Platz des nationalen Willens des 15. Juli
[280]
- Aufgrund seiner zentralen Lage war der Platz Schauplatz blutiger Konfrontationen zwischen Putschisten und Pro-Erdo?an-Demonstranten
- Großer Busbahnhof Istanbul → Istanbul Busbahnhof der Demokratie des 15. Juli
[281]
- Kazan →
Kahramankazan
(
Kahraman
heißt auf turkisch ?Held“)
[282]
- Ni?de-Universitat → Ni?de Omer Halisdemir Universitat
- Die Universitat wurde zu Ehren von
Oberstleutnant
Omer Halisdemir umbenannt, der im Verlauf der Putschangriffe im Dienst getotet wurde, nachdem er einen
General
der Putschisten erschossen und so verhindert hatte, dass sie das Hauptquartier des Kommandos der Spezialkrafte in
Ankara
einnahmen.
Im Jahr 2018 beschloss der
Istanbuler Stadtrat
, die Namen von insgesamt 90 Straßen zu andern, die Worter enthalten, die mit der
Gulen-Bewegung
in Verbindung gebracht werden konnten.
[283]
Christoph Neumann
, Professor fur Geschichte und Kultur der Turkei am Institut fur den
Nahen
und
Mittleren Osten
der
Universitat Munchen
, außerte in einem Interview am Tag nach dem Putschversuch, dass es der
AKP
wohl gelang, ihren Einfluss auf das turkische Militar auszubauen und die wichtigsten Kommandeursposten mit Erdo?an-loyalen Personen zu besetzen. Neumann betonte:
?Der Putsch starkt Erdo?an. Er wird zum Diktator. Es hat ihn bestatigt, weil es ihm gelungen ist, den Putsch abzuwenden. Das gibt ihm erneut eine Gelegenheit, seine Macht zu starken. Er kann jetzt immer darauf verweisen, dass es im Land Krafte gibt, die die Ordnung bedrohen.“
[284]
Erich Vad
gab am 17. Juli 2016 dem
Politikmagazin Cicero
ein ausfuhrliches Interview. Vad erachtet es als moglich, dass der Putsch nicht vollig uberraschend geschah.
[285]
Fraglich sei, ob er als ?halb inszeniert“ gelten kann. Auf Frage, was es konkret sei, das zu der Uberzeugung fuhren konnte, dass der Putschversuch ein ernster Versuch war, Erdo?an tatsachlich zu sturzen, brachte Vad die Militarputsche in der jungeren Geschichte der Turkei, zuletzt im Jahr 1980, in Erinnerung. Damals hatten die Putschisten große Teile der Gesellschaft hinter sich gehabt, aber dieses Mal sei dies nicht der Fall gewesen. Insofern sei der innerhalb von Stunden gescheiterte Putsch einiger
Generale
und
Obristen
von Anfang an mit Risiken einhergegangen. Wenn man zudem bedenke, dass die Luftwaffe beteiligt war, Erdo?an jedoch von seinem Urlaubsort Marmaris nach Istanbul flog, klinge das nicht recht glaubwurdig. Auch der fruhe Abend, an dem die Angriffe begannen, stimme ihn skeptisch, da die Erdo?an mehrheitlich freundlich gestimmte Bevolkerung zu dieser Zeit noch nicht in ihren Betten gelegen haben kann.
?Coup d’etats“
wurden nicht am fruhen Abend, sondern aus militartaktischen Grunden stets in den fruhen Morgenstunden durchgefuhrt. Außerdem ließen fruh erfolgte Gegenoffensiven der Regierung vermuten, dass die Uberraschung ganz so groß nicht gewesen sein kann.
John Owen, Experte fur Internationale Beziehungen an der
University of Virginia
, vermutet nicht
Fethullah Gulen
hinter dem Putschversuch, sondern sieht Teile des Militars als Drahtzieher.
[286]
Marek Jan Chodakiewicz
, Historiker am
Institute of World Politics
, fasste die Ereignisse fur die
?Selous Foundation“
als Versuch von Teilen des Militars zusammen, den in der
Verfassung
garantierten
Sakularismus
wiederherzustellen. Die Sauberungen wirkten so ?passgenau“ vorbereitet, dass man nur zu dem Schluss kommen konne, dass sie bereits im Vorfeld geplant waren. Entweder habe Erdo?an den Putschversuch ?vorausgeahnt“ oder aber selbst durch gezielte
Provokation
ausgelost.
[287]
Dani Rodrik
, Professor im Fachbereich Wirtschaftspolitik an der
Harvard University
zeigte, mit der gleichen Vermutung, Schwierigkeiten fur den Beweis einer gulenistischen Verstrickung in den Putschversuch auf.
[120]
James F. Jeffrey
, seit seinem Ruhestand tatig fur das
Washington Institute for Near East Policy
, betrachtet es als dagegen als naheliegend, dass Gulen-Anhanger den Staatsstreich sowohl geplant als auch durchgefuhrt haben. Jeffrey raumte im August 2016 in einem Interview allerdings ein, dass Beweise dafur fehlen.
[288]
Shadi Hamid, Nahost-Experte und
Analyst
des
Think-Tanks
Brookings Institution
, meinte, dass die Drahtzieher eines Militarputsches bereit sind, die Gewalt notfalls bis zum Außersten zu treiben. Das Scheitern gehe nicht zuletzt mit der Abwendung einer Katastrophe einher, die schwere Folgen gehabt hatte.
[289]
Zulfu Livaneli
schrieb in einem Gastbeitrag fur die
FAZ
am 18. Juli 2016, dass ein Erfolg der Putschisten ein ?Desaster“ gewesen ware. Die Turkei sei ein
polarisiertes
Land, gespalten zwischen sakularen Turken,
Religiosen
und
Kurden
. Es gebe keine andere Wahl, als den politischen und gesellschaftlichen Dialog auf demokratische und faire Weise zu fuhren.
[290]
Orhan Pamuk
, der als bekanntester Schriftsteller der Turkei gilt, appellierte eindringlich:
?Wir mussen Demokratie akzeptieren, auch wenn die Menschen nicht pro-westliche Parteien wahlen.“
Stimmen in den USA lauteten anders.
Ralph Peters
, Analyst bei
Fox News
, meinte: ?Wenn der Putsch erfolgreich ist, verlieren die Islamisten und wir gewinnen.“
Ben Shapiro
bezeichnete einen Sturz Erdo?ans als ?Segen fur die Welt und Bevolkerung.“
[292]
Michael Rubin
schrieb in der
Foreign Policy
einen Artikel mit dem Titel
?Erdogan has nobody to blame for the coup but himself“
und einen mit dem Titel ?
Why the coup in Turkey could mean hope“
in der
New York Post
.
[292]
[293]
[294]
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(06:24 Min.), 17. Juli 2017, ARD-Weltspiegel-Reportage von Oliver Mayer-Ruth.
- Pulverfass Turkei (1) ? Deutschland und der Putsch/Das schwierige Verhaltnis zum EU-Anwarterstaat
(43 Min.), ZDF-Dokumentarfilm von Nadja Kolling, Erstausstrahlung: ZDFinfo, 30. September 2016.
- Pulverfass Turkei (2) ? Zwischen Demokratie und Diktatur
(44 Min.), ZDF-Dokumentarfilm von Sabine Kuper-Busch und Thomas Busch, Datum: Erstausstrahlung: 24. Februar 2017.
- Die Nacht, in der die Panzer rollten ? Erdogan und der gescheiterte Putsch ? Die Story im Ersten
(45 Min.), ARD-Dokumentarfilm von Oliver Mayer-Ruth, Ahmet ?enyurt und Cemal Ta?dan, Erstausstrahlung: Das Erste, 10. Juli 2017.
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(28:25 Min; in englischer Sprache), Deutsche Welle, Bericht von Gunnar Kohne, veroffentlicht vom YouTube-Kanal
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am 11. Juli 2017.
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am 13. Juli 2017. Mit Omer Ta?pınar, Soner Ca?aptay und James F. Jeffrey.
- ?Die Turkei unter Erdogan ein Jahr nach dem Putschversuch“ ? Presseclub vom 16.07.17
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. Einzelthemen: Innere Sicherheit Turkei, Messkonzept Innere Sicherheit, Modell Innere Sicherheit, Leitbild von Demokratie und Rechtsstaat, Defekte Innerer Sicherheit, Ursachen von Defekten Innerer Sicherheit, Europaische Sicherheitsarchitektur, Polizei, Militar. Digitalisat nicht verfugbar. Siehe aber: ?Zusammenfassende Ausfuhrungen zur Dissertation Entwicklung, Wandlung und Perspektiven Innerer Sicherheit in der Turkei“,
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(PDF, 2 Seiten), abgerufen am 25. November 2018.
- Florian Volm, Dissertation an der Otto-Friedrich-Universitat Bamberg, Fakultat Geistes- und Kulturwissenschaften 2017:
Die Gulen-Bewegung im Spiegel von Selbstdarstellung und Fremdrezeption
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Eine textuelle Performanzanalyse der Schriften der
BefurworterInnen (Innenperspektive) und KritikerInnen (Außenperspektive)
. Herausgegeben von: Zentrum fur Interreligiose Studien der Universitat Bamberg, Band 17, Ergon Verlag Baden-Baden 2018,
ISBN 978-3-95650-346-7
. Leseprobe bei Google Books:
Downloadseite
(die Leseprobe offnet sich, wenn nach Anklicken dieses Links auf den Hauptlink und dann auf den Namen Florian Volm geklickt wird).
- Ercan Karakoyun
:
Die Gulen-Bewegung, was sie ist, was sie will
. 224 Seiten, vollstandig uberarbeitete und erweiterte Neuausgabe 2018, Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2017.
ISBN 978-3-451-39980-0
(Print),
ISBN 978-3-451-81322-1
(E-Book). Leseprobe bei Google Books:
Downloadseite
(die Leseprobe offnet sich hier, wenn nach dem Anklicken dieses Links erst auf den Namen Ercan Karakoyun und dann auf den Hauptlink geklickt wird). Kurzbeschreibung aus dem Web, also keine Eigenbeurteilung der Wikipedia: Seit dem niedergeschlagenen Putsch gegen den turkischen Prasidenten Erdo?an ist die
Hizmet
(
Gulen-Bewegung
) in der Turkei Staatsfeind Nr. 1. Ihre Mitglieder werden mit Ausreiseverboten belegt, entlassen, enteignet oder ins Gefangnis gesteckt. Ercan Karakoyun beschreibt erstmals seit dem Putschversuch von 2016, was die auch in Deutschland aktive Gulen-Bewegung wirklich will: einen menschlichen Islam, Demokratie und Bildung. Karakoyun, selbst Beispiel einer gelungenen Integration in Deutschland, berichtet auch daruber, wie Hizmet-Mitglieder in Deutschland und in Europa seit dem Putschversuch von Erdo?an-treuen Turken angefeindet, aus Moscheen geworfen oder sogar mit dem Tod bedroht werden.
- Friedmann Eißler:
Die Gulen-Bewegung (Hizmet) ? Herkunft, Strukturen, Ziele, Erfahrungen
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Texte (Nr. 238) der Evangelischen Zentralstelle fur Weltanschauungsfragen
, Berlin 2015. Ohne ISBN, im Buchhandel jedoch erhaltlich.
- Die Gulen-Bewegung (Hizmet) ? Das Bildungsnetzwerk um Fethullah Gulen
(Kompakt-Infos der Evangelischen Zentralstelle fur Weltanschauungsfragen), mit Literatur-/Zeitschriften-Nachweisen und Weblinks (Dr. Friedmann Eißler, Mai 2017),
Downloadseite
(PDF, 2 Seiten), abgerufen am 10. Dezember 2018. Darin kann auch in einer komprimierten Abhandlung nachgelesen werden: Einschatzung (die
Cemaat
betreffend), Die Gulen-Bewegung
(Hizmet)
? Das Bildungsnetzwerk um Fethullah Gulen (Geschichte, Lehre und religioser Hintergrund, Organisationsform).
- Die umstrittene Gulen-Bewegung ? Radioberichte und Meinungen, Berichte von und mit Ulrich Pick, Utku Pazarkaya, Knut Bauer sowie eine Diskussion mit Eggert Blum u. a.
Horbuch, deutsch. Ungekurzte Ausgabe, erschienen am 21. Februar 2014 im
Verlag SWR Edition
, Spieldauer: 56 Minuten. Das Horbuch enthalt folgende Produktionen: 1.
Dubios? Die umstrittene Fethullah-Gulen-Bewegung in Deutschland.
Autor und Sprecher: Utku Pazarkaya, Erstsendung: 6. Februar 2009,
SWR cont.ra
. O-Tone: Merdan Yanarda?, turkischer Journalist (turkisch, deutsche Ubersetzung) und
Claudia Dantschke
,
Zentrum Demokratische Kultur
in Berlin: Verbreitung von Bildungseinrichtungen, die Fethullah Gulen zugeordnet werden konnen:
?Fethullah Gulen ist kein Reformtheologe, er ist ein Vertreter des traditionellen, konservativen Islam. Er traumt davon, dass der Islam zur Grundlage der Gesellschaft wird“.
2. Stichwort ?Gulen-Bewegung“. Autor und Sprecher: Ulrich Pick, Erstsendung: 27. Dezember 2013,
SWR2
. 3. Gulen-Bewegung an Ludwigsburger Schule. Autor und Sprecher: Knut Bauer, Erstsendung: 4. Februar 2014,
SWR4
. O-Tone: Mutter einer ehemaligen Schulerin und Schulleiter Hakan Cakar. 4. Turkische Vereine und Gulen-Bewegung, Erstsendung: 11. Februar 2014, SWR4. 5.
?Baut Schulen statt Moscheen!“
. Download-Moglichkeiten fur das Horbuch, jeweils mit Horprobe: www.amazon.de,
Downloadseite
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MP3
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Download
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