Eine
Amnestie
(von
altgriechisch
?μνηστ?α
amn?stia
, deutsch
‚Vergessen [des erlittenen Unrechts]‘
;
[1]
auch
Abolition
von
lateinisch
abolitio
‚Vergehenmachen, Abschaffen, Aufheben‘
[2]
[3]
) ist ein vollstandig oder zu Teilen erfolgter
Straferlass
oder eine Strafmilderung fur eine Vielzahl von Fallen. Eine Amnestie beseitigt weder das
Urteil
noch die
Schuld
des Straftaters. Im Gegensatz zur
Begnadigung
wirkt die Amnestie uber Einzelfalle hinaus fur ganze Tatergruppen.
Im engeren Sinne bezieht sich der Begriff Amnestie auf das Strafrecht. Ein Verzicht auf offentlich-rechtliche Forderungen (z. B. auf Steuer(nach)zahlungen) wird ublicherweise nicht darunter subsumiert. Das Gleiche gilt fur den Erlass privatrechtlicher Forderungen.
Auch
Kronzeugenregelungen
werden ublicherweise nicht unter dem Begriff der Amnestie diskutiert.
In Einzelfallen wurde nicht eine Strafmilderung, sondern lediglich eine zeitliche Verzogerung des Eintritts der Strafe beschlossen. Ob dies unter den Begriff einer Amnestie fallt, ist umstritten.
Abgrenzungsprobleme ergeben sich auch zu amnestieahnlichen Regelungen der Exekutive. In vielen Landern, so auch in Deutschland und Osterreich, werden beispielsweise Entlassungen von
Gefangenen
, die auf die nachweihnachtliche Zeit fallen, auf die Zeit vor Weihnachten vorgezogen, um eine Feier der Entlassenen mit der Familie zu ermoglichen, dies wird
Weihnachtsamnestie
genannt.
Eine Mischform stellt die
Grace amnistiante
(?Gnadenamnestie“) dar. Hierbei handelt es sich um eine auf Gesetz basierende Gnadenregelung. Gesetzlich sind jedoch lediglich die amnestiefahigen Handlungen definiert. Die Entscheidung uber den Strafverzicht im Einzelfall trifft jedoch ein anderes Staatsorgan. Dies ist in Frankreich beispielsweise der Staatsprasident.
Ein anderer Grenzfall sind bedingte Amnestieregelungen und Amnestien unter Gremienvorbehalt. So regelte das Amnestiegesetz in Sudafrika nach dem Ende der Apartheid, dass die Amnestie im Einzelfall vorbehaltlich eines positiven Votums der
Wahrheitskommission
erfolgen sollte.
Ist die Zahl der von der Amnestie Begunstigten klein, so liegt ein Grenzfall zur Begnadigung vor.
Im Rahmen der Schiedsgerichtsbarkeit unterwerfen sich Streitparteien vielfach Schiedsgerichten (z. B. in Sportverbanden, Vereinen, Parteien). Eine Aufhebung von Sanktionen fur Personengruppen, die im Rahmen solcher Schiedsverfahren verordnet wurden, werden lediglich umgangssprachlich als Amnestie bezeichnet. Ein Beispiel ware eine ?Amnestie“ von
Dopingsundern
durch einen Sportverband.
Als
Kalte Amnestie
wird (uberwiegend
pejorativ
und meist im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der
NS-Verbrechen
) eine Verkurzung der
Verfolgungsverjahrung
bezeichnet (siehe
Verjahrungsskandal
).
Eine Amnestie kann fur alle Straftaten und Straftater gelten (
Generalamnestie
, veraltet
Generalpardon
) oder auf bestimmte Tatergruppen oder Taten beschrankt sein. Im zweiten Fall spricht man von einer
Spezialamnestie
. Der Ubergang der Begriffe ineinander und der der Spezialamnestie zur Begnadigung ist dabei fließend. Die Amnestie kann sich auf verurteilte Tater oder auf Personen mit laufenden Ermittlungs- oder Strafverfahren (Verfahrensamnestie) beziehen. Als Bewahrungsamnestie wird eine Amnestieform bezeichnet, bei der die Strafen nicht ausgesetzt, sondern in Bewahrungsstrafen umgewandelt werden. Die Amnestie kann politisch motiviert sein (z. B. sich auf politisch motivierte Straftaten beziehen) oder aus unpolitischen Motiven resultieren. Sie kann einmalig sein oder in regelmaßigen Abstanden wiederholt werden. Ein Beispiel fur regelmaßig wiederkehrende Amnestien sind die sogenannten ?
Septennatsamnestien
“. Hierbei handelt es sich um traditionelle Amnestiegesetze, die in
Frankreich
bisher immer bei der Wahl des
Staatsprasidenten
erlassen wurden. Die Amnestie kann unbedingt oder an Bedingungen geknupft sein. Vielfach werden Amnestien beispielsweise an die Strafhohe gebunden, so dass nur geringere Straftaten amnestiert werden. Die Voraussetzung kann auch an die Person gebunden sein. So kann vorgeschrieben werden, dass nur diejenigen von der Amnestie profitieren, die ein formliches Gnadengesuch stellen. Insbesondere bei Amnestieankundigungen wird vielfach ein Mitwirken des Taters (
Selbstanzeige
bei Steuervergehen, sich Stellen bei Deserteuren oder Ahnliches) verlangt.
Eine Unterscheidung ist nach dem Regelungsgeber moglich. Die Amnestie kann innerstaatlich oder im Rahmen eines zwischenstaatlichen Abkommens geregelt werden. In einem foderalistischen Staat kann die Amnestie auf Ebene des Bundes oder eines Teilstaates erfolgen. Die Amnestie kann vom
Staatsoberhaupt
eines Landes oder dessen
Parlament
verfugt werden.
Inhaltlich lassen sich die folgenden Typen von Amnestieregelungen unterscheiden.
[4]
Eine zwischenstaatliche Friedens-Amnestie wird haufig nach
bewaffneten Konflikten
erlassen, um entweder eine Straflosigkeit zu erreichen oder einen angestrebten
Aussohnungsprozess
zu begunstigen. Sie zeichnet sich oft durch einen erheblich inklusionistisch formulierten Erlass aus, der alle Taten innerhalb einer Zeit oder bis zu einer gewissen Schwere miteinbezieht. Vielfach sind in
Waffenstillstands
- oder
Friedensvertragen
diese Amnestieregelungen enthalten, die den Kriegsteilnehmer und die Parteiganger der Kriegsparteien strafrechtlicher Verfolgung entziehen sollen.
Diese Form der Amnestie war historisch vielfach dahingehend eingeschrankt, dass
Spione
,
Verrater
und
Deserteure
von ihr ausgenommen wurden. Seit dem 20. Jahrhundert werden vielfach
Kriegsverbrechen
und
Verbrechen gegen die Menschlichkeit
ausgenommen.
Nach inneren Konflikten in Staaten werden vielfach Amnestien zur
Befriedung
angeordnet. Dies gilt insbesondere fur
Burgerkriege
. Ein Beispiel ist das
Patent fur das Herzogthum Schleswig, betreff die Amnestie
vom 10. Mai 1851, mit dem der
danische
Konig
Friedrich VII.
den meisten Teilnehmern der
Schleswig-Holsteinischen Erhebung
eine Amnestie anbot.
Vielfach sind von solchen Amnestien hauptsachlich politische Straftaten betroffen. So erließ
Preußen
beispielsweise 1848 nach der
Marzrevolution
eine Amnestie fur alle, ?die wegen politischer oder durch die Presse verubter Vergehen und Verbrechen angeklagt oder verurteilt worden sind“.
Bei kleineren Unruhen oder gesellschaftlichen Veranderungen kommen Amnestieregelungen vor, die der Erhohung der Akzeptanz der Regierung dienen sollen.
Beispielhaft erfolgte die Amnestie in der
DDR
1960 mit dem Ziel, die innenpolitischen Spannungen zu mildern. Nach dem Volksaufstand des 17. Juni 1953 hatte das Regime seine Macht durch eine massive Welle der Repression gesichert. In der Folge war die Zahl der aus politischen Grunden strafrechtlich verfolgten Burger massiv gestiegen. Mit der Amnestie wurde die exorbitante Zahl der strafrechtlich verfolgten Gegner des Regimes gemildert. Betroffen waren 16.000 Verurteilte und 70.000 Burger, gegen die ermittelt wurden.
[5]
Auch die Amnestie in der DDR vom 28./29. Oktober 1989
[6]
sollte den Reformdruck auf die
SED
mindern.
In der Bundesrepublik Deutschland hatte das Straffreiheitsgesetz 1970
[7]
Amnestiecharakter. Amnestiert wurden nicht nur Taten, die mit dem Gesetz entkriminalisiert wurden, sondern auch andere Straftaten, die im Zuge der
Studentenbewegung
erfolgten.
In Zeiten politischer Umbruche in Revolutionen werden ublicherweise durch die neuen Machthaber Amnestien verkundet. So erfolgte zum Beispiel nach der
Novemberrevolution
mit Ziffer 6 des Aufrufs ?an das Deutsche Volk“ des ?Rates der Volksbeauftragten“ vom 12. November 1918 eine ?Revolutions-Amnestie“: ?Fur alle politischen Straftaten wird Amnestie gewahrt. Die wegen solcher Straftaten anhangigen Verfahren werden niedergeschlagen.“
Es ist dabei gleich, ob es sich um einen Wechsel zur Demokratie oder zur Diktatur handelt. So erließen die Nationalsozialisten nach der
Machtergreifung
die Amnestie vom 21. Marz 1933.
[8]
Amnestiert wurden gemaß § 1 ?Straftaten, die im Kampf fur die nationale Erhebung des Deutschen Volkes, zu ihrer Vorbereitung oder im Kampf fur die deutsche Scholle begangen“ worden waren. Fur die Beamten wurde am 23. Juni 1933 das
Gesetz uber die Aufhebung der im Kampf fur die nationale Erhebung erlittenen Dienststrafen und sonstigen Maßregelungen
erlassen.
[9]
Eine ?Notamnestie“ ist eine Amnestie als Reaktion auf eine wirtschaftliche Krise und die damit zusammenhangende Zunahme der Kriminalitat.
Beispiele sind die Holzdiebstahle und Forstfrevel betreffende Amnestie in
Preußen
1848
[10]
oder die sich auf Forst-, Jagd-, Fischerei- und Feldstrafen beziehende Amnestie im
Großherzogtum Hessen
.
[11]
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Anderungen des StFG 1949 und 1954 die Wirkung einer Notamnestie.
[12]
Amnestiert wurden kleinere Taten, die begangen wurden, ?weil sich der Tater infolge der Kriegs- oder Nachkriegszeit in einer unverschuldeten Notlage befunden hat oder weil er einer solchen Notlage anderer abhelfen wollte“.
[13]
Ein vollig anderer Typ von Amnestie ist dem Mangel an Ressourcen geschuldet und insbesondere in Kriegszeiten ublich. Um den Mangel an Soldaten zu beheben, wurden Amnestien verkundet, die an die Bedingung geknupft waren, sich als Soldaten bereitzustellen. Beispiele finden sich bereits in der Antike. 480 vor Christus bot Athen eine Amnestie der
ostrakisierten
Adligen an. Ihre Verbannung wurde aufgehoben, wenn sie sich am Krieg gegen die Perser beteiligten.
[14]
Eine derartige Mobilmachungs-Amnestie wurde auch in Deutschland beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs beschlossen. Bei einer ?freiwilligen“ Kriegsteilnahme wurden kriegsdiensttaugliche Straftater amnestiert.
[15]
Auch das Gegenstuck, eine De-Mobilisierungs-Amnestie, ist historisch verburgt. So regelte das ?General-Pardon“ des preußischen Konigs vom 12. April 1813 eine Amnestie fur alle preußischen Untertanen, die in franzosisch besetzten Gebieten waren, wenn sie sich binnen zwei Wochen nach Preußen begeben.
Seit dem 20. Jahrhundert sind Fiskalamnestien bekannt, also Amnestien, die unter der Voraussetzung greifen, dass Steuern erklart und nachgezahlt werden (siehe
Gesetz zur Forderung der Steuerehrlichkeit
).
Eine ?Jubelamnestie“ erfolgt aus Anlass eines besonderen Ereignisses wie Gedenktagen.
Beispiele sind die Amnestien anlasslich des Geburtstags des Kaisers im deutschen Kaiserreich oder die ?Rheinlandamnestie“ 1936 aus Anlass der Rheinlandbesetzung.
In der
DDR
wurden funf ?Jubelamnestien“ erlassen. Der
Staatsrat der DDR
veranlasste zum 23. Jahrestag der Staatsgrundung am 7. Oktober 1972 die Entlassung von mehr als 30.000 Gefangenen (sowohl
politische Haftlinge
als auch wegen Kriminaldelikten Gefangene). Durch die Amnestie zum 38. Jahrestag der DDR 1987 sank die Belegung der Haftanstalten um mehr als 80 %, von 32.500 Gefangenen auf 5.300 Gefangene.
Eine Form einer Privilegierungs-Amnestie ist eine Begunstigungsamnestie. Hier amnestiert sich eine Diktatur selbst bezuglich der von ihr begangenen Verbrechen.
In
El Salvador
erließ 1993 das Parlament infolge des
Burgerkriegs
(1980?1992) eine Generalamnestie fur alle vor 1992 begangenen Kriegsverbrechen. International war die Amnestie stark umstritten. Funf Tage vor dem Erlass hatten viele Ermittlungskommissionen, darunter die
Comision de la Verdad para El Salvador
, ihre Ergebnisse veroffentlicht. Letztere hatte eine Liste von 13.569 Fallen teilweise schwerer
Kriegsverbrechen
und
Menschenrechtsverletzungen
angelegt. Die Straffreiheit fuhrte zu extremen innenpolitischen Spannungen, die langere Zeit anhielten.
Ahnliche Problematiken bestehen in vielen lateinamerikanischen Landern. Dort wurden in den 1970er und 1980er Jahren die meisten Lander
langere Zeit von politisch rechtsgerichteten Militardiktaturen
regiert. Diese unterdruckten fast durchweg mit Gewalt die Opposition. Ein verbreitetes Mittel dazu war die heimliche Entfuhrung (
Verschwindenlassen
) von missliebigen Personen durch anonym bleibende Mitglieder von Sicherheitskraften. Die Opfer wurden wahrend der Haft in
Geheimgefangnissen
meist gefoltert und erniedrigt und in sehr vielen Fallen anschließend ermordet (siehe
Desaparecidos
). Allein wahrend der
Militardiktatur in Argentinien
von 1976 bis 1983
verschwanden
auf diese Weise bis zu 30.000 Menschen spurlos. Nach dem Ubergang der Staaten zur Demokratie, meist in den 1980er und 1990er Jahren, wurde die Strafverfolgung solcher Verbrechen in vielen Landern durch generelle Amnestiegesetze fur die Tater verhindert (z. B. durch Pinochets Amnestiegesetz ?No. 2.191“ vom 18. April 1978). Diese wurden in den letzten Jahren jedoch in mehreren Landern ruckwirkend aufgehoben, so dass zahlreiche ehemalige Diktatoren und Folterer mittlerweile bestraft wurden oder noch vor Gericht stehen.
Eine Amnestie kann dazu verwendet werden, die Strafrechtspflege den gewandelten Verhaltnissen anzupassen. So geschah dies in Sudafrika und in Argentinien nach dem Niedergang der Diktaturen.
Zur Rechtskorrektur kann eine Amnestie zur Anpassung der geltenden Gesetzeslage (Abschaffung oder Abmilderung der Strafbarkeit bestimmter Delikte) dienen. Eine derartige ?Reformamnestie“ war das ?Gesetz zum teilweisen Straferlass“ von 28. September 1990
[16]
anlasslich der Ubernahme des bundesdeutschen Strafrechtes in der ehemaligen DDR. Bei einer
Rehabilitierungsamnestie
geht es um die pauschale Rehabilitierung und gleichzeitige Strafbefreiung.
Keine Amnestien im engeren Sinne sind ?Unrechtsbereinigungsgesetze“, mit denen Strafnormen ruckwirkend aufgehoben werden, da sie nun als Unrecht bewertet werden. Mit diesen entfallt die Strafbarkeit, die Wirkung ist daher einer Amnestie gleich. Beispiele sind das Rehabilitationsgesetz der DDR vom 6. September 1990
[17]
oder das ?erste Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht (SED-UnberG)“ vom 29. Oktober 1992.
[18]
In der Schweiz ist am 1. Januar 2004 das "Bundesgesetz uber die Aufhebung von Strafurteilen gegen Fluchtlingshelfer zur Zeit des Nationalsozialismus" in Kraft getreten.
[19]
In ihrem Schlussbericht vom 29. Februar 2012 berichtete die Rehabilitierungskommission der Bundesversammlung uber 137 Aufhebungen entsprechender Strafurteile.
[20]
Als
Jugendamnestie
wird eine Amnestie bezeichnet, die nach dem Ende des
Zweiten Weltkrieges
und dem Zusammenbruch des
nationalsozialistischen Staates
in den
Westzonen
diejenigen betraf, welche nach dem 1. Januar 1919 geboren worden waren.
[21]
Fur die Angehorigen der betreffenden Jahrgange hatte ab dem Jahr 1946 eine ausschließlich nominelle Zugehorigkeit zu
NS-Organisationen
keine negativen Folgen mehr, wenn sich diese beispielsweise um einen
Studienplatz
an einer
Universitat
bewarben.
Amnestieregelungen stehen (in Abhangigkeit von ihrer Ausgestaltung) im Konflikt mit einer Reihe von Prinzipien.
Eine Amnestie behandelt Personen, die ihre Strafe bereits verbußt haben, unterschiedlich zu denen, die in den Genuss der Amnestie kommen. Diese Verletzung des Gleichheitsprinzips ist der Amnestie immanent. Auch wird dadurch vielfach das
Gerechtigkeitsempfinden
der Bevolkerung verletzt. Der Volksmund formuliert diesen Fall als ?Gnade vor Recht“.
Die Amnestien in der
Bundesrepublik Deutschland
1949 und 1954 widersprachen zum Beispiel deutlich dem Grundsatz der
Entnazifizierung
und stellten die politische Befriedung uber den
Rechtsfrieden
. Viele der Amnestierten waren NS-Belastete.
Amnestien durfen sich nicht auf Straftaten beziehen, die erst in der Zukunft erfolgen, um die Strafbarkeitsnorm nicht unwirksam zu machen und damit dem Tater eine ?Blanko-Vollmacht“ fur kunftige Straftaten zu geben. Der Konflikt ergibt sich auch aus wiederkehrenden Amnestien. So ist in Frankreich eine Zunahme von Straßenverkehrsvergehen vor Prasidentenwahlen zu verzeichnen. Die Burger vertrauen darauf, dass die Strafzettel dann unter die Amnestie fallen.
zu 1951 siehe u. a.:
Nachkriegsgeschichte der Gestapo
.
Eine Amnestie bedarf eines
Parlamentsgesetzes
. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes folgt aus der konkurrierenden Gesetzgebungszustandigkeit auf dem Gebiet des Strafverfahrens und des Strafvollzugs (
Art. 74
Ziff. 1 GG).
[22]
Der
Bundesprasident
hat ein
Begnadigungsrecht
im Einzelfall (
Art. 60
Abs. 2 GG).
Einige Landesverfassungen enthalten einen
Gesetzesvorbehalt
fur Amnestien. Dies gilt fur Art. 52 Abs. 2
Verfassung des Landes Baden-Wurttemberg
, Art. 121 Abs. 3
Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen
, Art. 44 Abs. 2
Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg
, Art. 36 Abs. 2
Niedersachsische Verfassung
, Art. 59 Abs. 2
Verfassung fur das Land Nordrhein-Westfalen
, Art. 103 Abs. 2
Verfassung fur Rheinland-Pfalz
und Art. 39 Abs. 2
Verfassung des Landes Schleswig-Holstein
. Da die konkurrierende Gesetzgebungszustandigkeit beim Bund liegt, ist die praktische Bedeutung dieser Regelungen gering.
[23]
Amnestien liegen fur das gesamte Bundesstrafrecht in der Kompetenz des Bundes (
Art. 384
StGB). Zustandig ist die
Bundesversammlung
, welche uber ein Amnestiebegehren in getrennter Beratung von
Nationalrat
und
Standerat
entscheidet, anders als uber Begnadigungsgesuche, uber welche die Vereinigte Bundesversammlung in gemeinsamer Beratung beider Rate abstimmt (
Art. 173
Abs. 1 Bst. k BV,
Art. 156
BV,
Art. 157
Abs. 1 Bst. c BV). Im 19. Jahrhundert haben die Eidgenossischen Rate dreimal, im 20. Jahrhundert nur einmal (im Jahre 1955) eine Amnestie gewahrt; vierzehn Amnestiebegehren wurden abgelehnt.
[24]
Zu unterscheiden von der strafrechtlichen Amnestie ist die Steueramnestie, bei der nicht bloss auf eine Strafe, sondern auch nachtraglich auf den Einzug von Steuern verzichtet wird. Steueramnestien bedurfen einer Gesetzesanderung oder wegen des damit verbundenen Eingriffs in die Zustandigkeit der Kantone sogar einer Verfassungsrevision. Strafrechtliche Amnestien wurden demgegenuber bisher in der Form des einfachen Bundesbeschlusses beschlossen und also nicht dem fakultativen Referendum unterstellt. Gemaß dem heutigen Rechtsverstandnis ware zu prufen, ob sie nicht auch in Form eines Bundesgesetzes beschlossen werden mussten.
[25]
Reichsprasident
Paul von Hindenburg
erließ 1925, 1928, 1932 und 1934 Generalamnestien (die sogenannten
Hindenburg-Amnestien
). Die erste war die umfangreichste. Sie erleichterte das Aufkommen des Nationalsozialismus und der NSDAP. So konnte
Hermann Goring
infolge dieser Amnestie nach Deutschland zuruckkehren.
1990 wurden verschiedene Amnestiearten fur in der DDR einsitzende Haftlinge diskutiert.
[26]
Wahrend der
kubanischen Revolution
musste aufgrund von Massendemonstrationen eine Generalamnestie fur
Fidel Castro
,
Che Guevara
und weitere politische Gefangene erlassen werden.
Bei einem Aufstand der Inhaftierten des
Attica-Correctional-Facility
-Gefangnisses in den USA im Jahre 1971 stellten die Gefangenen unter Geiseln mehrere Forderungen, darunter bessere Haftbedingungen und Amnestie aller Gefangenen. Nachdem aber einem bei der Eroberung des Gefangnisses uberwaltigten Beamten ein doppelter Schadelbruch zugefugt wurde und dieser im Krankenhaus seinen Verletzungen erlag, forderten sie eine Generalamnestie.
Seit 2009 kennt die
Schweiz
die sogenannte Steueramnestie. Sie ermoglicht jedem, der in der Schweiz Steuern hinterzogen hat, einmal im Leben eine straffreie Selbstanzeige; die Steuern mussen dann ruckwirkend auf maximal zehn Jahre verzinst nachbezahlt werden.
[27]
- Kaja Harter-Uibopuu
,
Fritz Mitthof
:
Vergeben und Vergessen? Amnestie in der Antike: Beitrage zum 1. Wiener Kolloquium zur Antiken Rechtsgeschichte, 27.-28. Okt. 2008
. (=
Wiener Kolloquien zur Antiken Rechtsgeschichte.
Band 1). Holzhausen, Wien 2013,
ISBN 978-3-902868-85-5
.
- Frank Suß:
Studien zur Amnestiegesetzgebung.
Duncker und Humblot, Berlin 1999,
ISBN 3-428-10227-4
.
- Katrin Gebhardt, Ulrich B. Gensch:
Gnade vor Recht?
In:
Forum Recht.
Heft 3/2000.
- Siegmar Schmidt,
Gert Pickel
,
Susanne Pickel
:
Amnesie, Amnestie oder Aufarbeitung? Zum Umgang mit autoritarer Vergangenheit und Menschenrechtsverletzungen.
Wiesbaden 2009,
ISBN 978-3-531-13868-8
.
- ↑
Wilhelm Pape
, Max Sengebusch (Bearb.):
Handworterbuch der griechischen Sprache
. 3. Auflage, 6. Abdruck. Vieweg & Sohn, Braunschweig 1914 (
zeno.org
[abgerufen am 23. Dezember 2020]).
- ↑
Johann Christoph Adelung
:
Grammatisch-kritisches Worterbuch der Hochdeutschen Mundart
. 2. Auflage.
Johann Gottlob Immanuel Breitkopf und Compagnie
, Leipzig 1793 (
zeno.org
[abgerufen am 23. Dezember 2020] Lexikoneintrag ?Abolition“).
- ↑
Karl Ernst Georges
:
Ausfuhrliches lateinisch-deutsches Handworterbuch
. 8., verbesserte und vermehrte Auflage. Hahnsche Buchhandlung, Hannover 1918 (
zeno.org
[abgerufen am 23. Dezember 2020]).
- ↑
Die Gliederung folgt Franz Suß
- ↑
Beschluss des Staatsrates vom 1. Oktober 1960.
GBl. I 533, zitiert nach S. 223.
- ↑
Neues Deutschland.
28./29. Oktober 1990, S. 1, Nr. 1.
- ↑
Drittes Gesetz zur Reform des Strafrechts (3. StrRG) vom 20. Mai 1970, BGBl. I, S. 505 ff.
- ↑
RGBl. I 134
- ↑
Gesetz uber die Aufhebung
, bei unibe.ch, PDF
- ↑
vom 26. Juni 1848 ?JMBl. 231
- ↑
vom 14. Marz 1848,
Großherzoglich hessisches Regierungsblatt.
1848, S. 67.
- ↑
§§2,3 StFG 1949, BGBl, S. 37 und § 3 StFG 1954 BGBl, S. 203.
- ↑
§ 3 StFG 1954.
- ↑
Frank Suß:
Studien zur Amnestiegesetzgebung.
S. 240.
- ↑
JMBl. 1914, S. 656, und Frank Suß:
Studien zur Amnestiegesetzgebung.
S. 240.
- ↑
GBl. I, S. 1987.
- ↑
GBl. DDR 1990 I, 1459.
- ↑
BGBl. I, 1814.
- ↑
Parlamentsdienste:
99.464 Parlamentarische Initiative. Rehabilitierung der Fluchtlingsretter und der Kampfer gegen Nationalsozialismus und Faschismus.
In:
Geschaftsdatenbank Curiavista (mit Links auf Bericht der Kommission, Parlamentsverhandlungen, beschlossener Gesetzestext).
Abgerufen am 29. September 2020
.
- ↑
Parlamentsdienste:
Rehabilitierungskommission REHAKO.
Abgerufen am 29. September 2020
.
- ↑
Wolfgang Benz:
Demokratisierung durch Entnazifizierung und Erziehung.
Bundeszentrale fur politische Bildung (bpb)
, 11. April 2005,
abgerufen am 29. August 2019
.
- ↑
BVerfG, Beschluss vom 22. April 1953 - 1 BvL 18/52
= BVerfGE 2, 213 (zum
Straffreiheitsgesetz
1949)
- ↑
Maunz/Durig
Art. 74, Rn 71.
- ↑
Parlamentsdienste:
Gewahrung von Begnadigungen und Amnestien.
Abgerufen am 29. September 2020
.
- ↑
Alexandre Schneebeli Keuchenius:
Art. 40: Kommission fur Begnadigungen und Zustandigkeitskonflikte
. In: Martin Graf, Cornelia Theler, Moritz von Wyss (Hrsg.):
Parlamentsrecht und Parlamentspraxis der Schweizerischen Bundesversammlung. Kommentar zum Parlamentsgesetz (ParlG) vom 13. Dezember 2002
. Basel 2014,
ISBN 978-3-7190-2975-3
,
S.
336
(
sgp-ssp.net
).
- ↑
Vgl. Birger Dolling:
Strafvollzug zwischen Wende und Wiedervereinigung - Kriminalpolitik und Gefangenenprotest im letzten Jahr der DDR
. Ch. Links Verlag, 2009,
ISBN 978-3-86153-527-0
.
- ↑
Parlamentsdienste:
06.085 Vereinfachung der Nachbesteuerung in Erbfallen und Einfuhrung der straflosen Selbstanzeige. Bundesgesetz.
In:
Geschaftsdatenbank Curiavista (mit Links auf Botschaft des Bundesrates, Parlamentsberatungen, beschlossener Gesetzestext).
Abgerufen am 29. September 2020
.