Der
Nationalsozialismus
ist eine radikal
antisemitische
,
rassistische
,
ultranationalistische
,
volkische
,
sozialdarwinistische
,
antikommunistische
,
antidemokratische
und
antipluralistische
Ideologie
. Seine Wurzeln hat er in der
volkischen Bewegung
, die sich etwa zu Beginn der 1880er Jahre im
deutschen Kaiserreich
und in
Osterreich-Ungarn
entwickelte. Ab 1919, nach dem
Ersten Weltkrieg
, wurde er zu einer eigenstandigen
politischen Bewegung
im deutschsprachigen Raum.
Die 1920 gegrundete
Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei
(NSDAP) gelangte unter
Adolf Hitler
am
30. Januar 1933
in Deutschland zur Macht, wandelte die
Weimarer Republik
durch
Terror
, Rechtsbruche und die so genannte
Gleichschaltung
in die
Diktatur
des
NS-Staats
um. Dieser loste 1939 mit dem
Uberfall auf Polen
den
Zweiten Weltkrieg
aus, in dessen Verlauf die Nationalsozialisten und ihre
Kollaborateure
zahlreiche
Kriegsverbrechen
und
Massenmorde
verubten, darunter den
Holocaust
an etwa sechs Millionen europaischen
Juden
und den
Porajmos
an den europaischen
Roma
. Die
Zeit des Nationalsozialismus
endete mit der
bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht
am 8. Mai 1945.
Im Zeichen der
Bewaltigung der NS-Vergangenheit
sind seit 1945
NS-Propaganda
, das Verwenden damaliger
Symbole
und politische Betatigung im nationalsozialistischen Sinn in Deutschland und
Osterreich
verboten. In weiteren Staaten bestehen ahnliche Verbote.
Neonazis
und andere
Rechtsextremisten
vertreten weiterhin nationalsozialistische oder damit verwandte Ideen und Ziele. In der
NS-Forschung
ist umstritten, ob der Nationalsozialismus mit verallgemeinernden Begriffen wie
Faschismus
oder
Totalitarismus
beschrieben werden kann oder ob es sich um ein singulares Phanomen handelt.
Bezeichnungen
?
Nationaler Sozialismus
“ bezeichnete im deutschsprachigen Raum seit etwa 1860 Verbindungen von
nationalistischen
und
sozialistischen
Ideen. Vom ?Nationalsozialismus“ sprach zuerst die 1903 in Osterreich gegrundete
Deutsche Arbeiterpartei
, die sich 1918 in
Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei
(DNSAP) umbenannte. Entsprechend benannte sich auch die 1919 in Deutschland gegrundete
Deutsche Arbeiterpartei
(DAP) 1920 in NSDAP um.
[1]
Mit der Bezeichnung ?Nationalsozialismus“ grenzten diese neuen
Parteien
ihre
Ideologie
gegen den
Internationalismus
der
sozialdemokratischen
und
kommunistischen Parteien
und vom
konservativen
Nationalismus alterer Parteien ab, indem sie sich deren Wahlerschichten (Arbeitern und Mittelstand) als bessere Alternative anboten. Außerdem stellten sie einzelne
antikapitalistische
Forderungen in den Rahmen eines volkisch-rassistischen Nationalismus und prasentierten sich seit 1920 als ?Bewegung“, nicht als Partei, um so
Protestwahler
und Politikverdrossene zu erreichen.
Heute bezeichnet der Begriff meist die besondere Ideologie Adolf Hitlers und seiner Anhanger. Als ?Nationalismus“ definierte Hitler die Hingabe des Individuums an seine
Volksgemeinschaft
; deren Verantwortung fur das Individuum nannte er ?Sozialismus“. Die Vergesellschaftung der
Produktionsmittel
, ein Hauptziel der Sozialisten, lehnte er entschieden ab.
[2]
Laut dem Historiker
Hans-Ulrich Wehler
lebte der Sozialismus in der NSDAP nur ?in verballhornter Form“ als Volksgemeinschaftsideologie fort.
[3]
Zudem unterschied die NSDAP ihren Nationalsozialismus vom
italienischen Faschismus
.
Faschismus
dient seit 1925 (ausgehend von der
Sowjetunion
) jedoch vielfach als Oberbegriff fur ?Nationalsozialismus“ (?
Hitlerfaschismus
“), italienischen Faschismus und verwandte antikommunistische Ideologien, Regimes und Systeme. In
marxistischen Faschismustheorien
wird der Nationalsozialismus als Form des Faschismus eingestuft. Nichtmarxistische Forscher, die den Nationalsozialismus als eine Spielart des Faschismus erklaren, sind etwa
Ernst Nolte
, der ihn in seinem Werk
Der Faschismus in seiner Epoche
(1963) in Abgrenzung vom italienischen ?Normalfaschismus“ als ?Radikalfaschismus“ kennzeichnete,
[4]
oder
Wolfgang Benz
, der ihn 2010 als die ?radikalste Erscheinungsform faschistischer Ideologien“ bezeichnet.
[5]
Jorg Echternkamp
argumentiert, dass erst das von der transnationalen Faschismusforschung entwickelte Koordinatensystem eine Einordnung des Nationalsozialismus und einen Vergleich mit anderen Bewegungen erlaube. Die von vielen Wissenschaftlern bejahte Wesensverwandtschaft zwischen ihnen zeige sich aber weniger in den jeweiligen Programmen als in ihrem
Aktionismus
und ihrer immensen
Gewaltbereitschaft
.
[6]
Nach 1945 wurde der Nationalsozialismus besonders in den
USA
und der fruheren
Bundesrepublik Deutschland
als
Totalitarismus
bezeichnet und unter diesem Oberbegriff mit der Ideologie und dem Herrschaftssystem des
Stalinismus
parallelisiert. Faschismus- und Totalitarismustheorien werden in der Forschung kontrovers diskutiert. Die Historiker
Michael Burleigh
und
Wolfgang Wippermann
argumentieren, dass die Subsumierung des Nationalsozialismus unter eine dieser Theorien seinen Wesenskern, das rasseideologische Programm, verkenne.
[7]
Laut der franzosischen Psychoanalytikerin
Janine Chasseguet-Smirgel
und dem deutschen Sozialwissenschaftler
Samuel Salzborn
rationalisiert die Anwendung des Faschismusbegriffs auf den Nationalsozialismus den Holocaust und verharmlost ihn dadurch. Dies diene unbewusst der
Verdrangung
und
Abwehr
der Schuld der Eltern- bzw. Großelterngeneration.
[8]
Aus diesen und anderen Grunden pladieren diese Forscher, aber auch
Karl Dietrich Bracher
und
Bernd Martin
dafur, den Nationalsozialismus als eigenstandiges und singulares Phanomen anzusehen.
[9]
Die Ausdrucke ?
Nazis
“ fur die Nationalsozialisten
[10]
und ?
Nazismus
“ fur ihre Ideologie wurden seit den 1920er Jahren bei ihren Gegnern in der
Arbeiterbewegung
, spater auch bei den befreiten Haftlingen des
KZ Buchenwald
und in der
DDR
ublich. Bis heute werden sie außerhalb des deutschsprachigen Raums standardmaßig verwendet.
[11]
Heutige Anhanger des Nationalsozialismus werden oft ?
Neonazis
“ genannt.
Entstehung
Deutsche Antisemiten hatten sich seit 1879 in mehreren politischen Parteien, vielen Gruppen und Vereinen organisiert. Die
Antisemitenparteien
wollten die
judische Emanzipation
beenden und revidieren, verfehlten ihre Ziele jedoch. Nach Stimmverlusten bei der
Reichstagswahl 1912
bildeten sich neue, uberparteiliche antisemitische Vereine und Verbande wie der
Reichshammerbund
von
Theodor Fritsch
, der ?
Verband gegen die Uberhebung des Judentums
“ und der geheime
Germanenorden
, aus dem 1918 die Munchner
Thule-Gesellschaft
hervorging. Aus ihrer Zeitschrift, dem
Munchener Beobachter
mit dem
Hakenkreuz
als Titelsymbol, wurde das Parteiorgan der NSDAP, der
Volkische Beobachter
.
Ein weiterer Vorlaufer des Nationalsozialismus war der kleine, extrem nationalistische und imperialistische uberparteiliche
Alldeutsche Verband
(gegrundet 1891). Er strebte eine kriegerische Erweiterung des deutschen ?
Lebensraums-
“ und Unterwerfungspolitik an. Im Ersten Weltkrieg erreichte er mit seiner starken antisemitischen Propaganda die staatliche
Judenzahlung
von 1916. Nach 1918 forderte er eine ?nationale Diktatur“ gegen ?Fremdvolkische“.
1914 grundete sich der
Deutschnationale Handlungsgehilfenverband
, und zwei altere Antisemitenparteien vereinten sich als
Deutschvolkische Partei
(DVP). Diese vereinte sich im Kriegsverlauf mit dem Alldeutschen Verband. Auf dessen Initiative hin vereinten sich gegen Kriegsende aufgeloste mit neugegrundeten volkischen Gruppen wie dem
Deutsch-Osterreichischen Schutzverein Antisemitenbund
, der
Deutschvolkischen Beamtenvereinigung
und dem
Bund volkischer Frauen
zum
Deutschvolkischen Schutz- und Trutzbund
. Dieser hatte 1920 rund 200.000 Mitglieder in 600 Ortsgruppen, wurde aber nach dem
Hitler-Ludendorff-Putsch
1923 verboten. Nach der Wiederzulassung der NSDAP verlor er ihr gegenuber an Einfluss und wurde 1933 ganz aufgelost.
Zudem verbreiteten sich seit der
Oktoberrevolution
von 1917 und dem folgenden
Russischen Burgerkrieg
unter anderem durch russische Fluchtlinge viele antikommunistische Gruppen.
[12]
Unter dem Propagandaschlagwort ?
judischer Bolschewismus
“ setzten nationalkonservative Eliten und aus Frontsoldaten gebildete
Freikorps
Juden und Kommunisten gleich. Sie vertraten oft auch die
Verschworungstheorie
eines angeblichen weltbeherrschenden
Weltjudentums
.
[13]
Darunter war die 1920 in Munchen gegrundete ?
Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung
“. Diese unterstutzte die NSDAP finanziell und ideologisch.
[14]
Im Nationalsozialismus verschmolzen diese Stromungen und Gruppen ihre rassistischen, nationalistisch-?alldeutschen“ und imperialistischen Vorstellungen und Ziele miteinander.
[15]
Das starkste tragende Bindeglied ihrer vielfaltigen Ideen war der Antisemitismus. Dieser zeigte sich seit der
Novemberrevolution
von 1918 zugleich als radikale Ablehnung der
Weimarer Republik
, die diese Gruppen als von
Novemberverbrechern
geschaffene ?Judenrepublik“ denunzierten. Die Volkischen definierten ihre Weltanschauung als strikten Gegensatz zum
Marxismus
der Linksparteien, zum politischen
Katholizismus
der
Zentrumspartei
und zu ihrer Fiktion eines ?Weltjudentums“. Teile der volkischen Bewegung vertraten auch schon Ideen von ?Menschenzucht“ (
Eugenik
).
[16]
Programmatik
25-Punkte-Programm
Der Nationalsozialismus bildete als Sammelbewegung volkischer, rassistischer und
revisionistischer
Gruppen zunachst keine konsistente Ideologie.
Hans Frank
erklarte daher spater in den
Nurnberger Prozessen
, es habe ?so viele Nationalsozialismen wie Nationalsozialisten“ gegeben. Zusammengehalten wurde die Partei durch die Person Hitler, der als
charismatischer
?
Fuhrer
“ das Interpretationsmonopol daruber innehatte, was Nationalsozialismus bedeute: ?Unser Programm heißt Hitler“, lautete eine nationalsozialistische Losung.
[17]
Schriftlich niedergelegt war das Programm im bei der Grundung der NSDAP 1920 beschlossenen 25-Punkte-Programm.
[18]
An erster Stelle standen außenpolitische Ziele. Aus dem ?Zusammenschluss aller Deutschen … zu einem Groß-Deutschland“ mit Berufung auf das
Selbstbestimmungsrecht der Volker
leitete Punkt 2 die Aufhebung des
Versailler Friedensvertrages
, Punkt 3 ?Land und Boden (
Kolonien
) zur Ernahrung unseres Volkes und Ansiedlung unseres Bevolkerungsuberschusses“ ab. Dem folgten innenpolitische Forderungen nach Ausgrenzung bestimmter Bevolkerungsteile durch eine rassistische Fremdengesetzgebung:
Daraus folgerte Punkt 6 den Ausschluss von Juden aus allen Staats- und Parteiamtern, Punkt 8 ein Einwanderungsverbot und sofortige Zwangsausweisung aller als ?Nichtdeutsche“ definierten Personen, die seit 2. August 1914 eingewandert waren.
Die Leitidee der rassischen Volksgemeinschaft wurde also nach außen expansiv, nach innen als Entrechtung eines Teils der Deutschen ausformuliert. Dem folgten in Punkt 9?17 einige plakative und ressentimentgetrankte wirtschafts- und sozialpolitische Forderungen, die den Anspruch der Partei, die Interessen deutscher Arbeiter zu vertreten, zeigen sollten:
Punkt 18 forderte die
Todesstrafe
fur ?gemeine Volksverbrecher, Wucherer, Schieber usw. ohne Rucksichtnahme auf Konfession und Rasse“: erneut ein deutlicher Hinweis auf die gemeinte Zielgruppe, die Juden. Punkt 19 forderte den Ersatz eines angeblich ?materialistischen“ romischen Rechtes durch ein ?deutsches Gemeinrecht“.
Der Idee einer Einheit von Volk und Staat folgten Forderungen nach staatlichem Ausbau der Volksbildung (20), ?Hebung der Volksgesundheit“ durch ?korperliche Ertuchtigung“ (21), Bildung eines ?Volkesheeres“ (22). Die angestrebte Abschaffung der
Pressefreiheit
und Einfuhrung von
Pressezensur
wurde als ?gesetzlicher Kampf gegen die bewußte politische Luge und ihre Verbreitung“ (23) bemantelt. Indem nur ?Volksgenossen“ Zeitungsredakteure und Verlagseigentumer sein sollten, zeigte sich auch hier ein antisemitischer Impuls: Der Topos von der ?judischen Weltpresse“ war unter Antisemiten seit Langem ublich. Zugleich sollten auch Kunst und Kultur von dem ?zersetzenden Einfluß auf unser Volksleben“ ?gereinigt“ werden: Darauf fußte die NS-Kulturpolitik, insbesondere das Vorgehen gegen sogenannte ?
entartete Kunst
“.
Im scheinbaren Widerspruch dazu bekraftigte Punkt 24 die
Religionsfreiheit
?im Staat“, allerdings nur, ?so weit sie nicht dessen Bestand gefahrden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefuhl der germanischen Rasse verstoßen.“ Mit dem Bekenntnis zu einem ?
positiven Christentum
“ ohne Bindung an eine bestimmte
Konfession
, aber in einheitlicher Frontstellung gegen einen ?judisch-materialistischen Geist in und außer uns“ war eine Voraussetzung fur den spateren
Kirchenkampf
genannt.
Das Programm gipfelte in der Parole ?Gemeinnutz vor Eigennutz“ und der Forderung nach einer ?
starken Zentralgewalt
des
Reiches
“, deren in ?unbedingter Autoritat“ erlassene ?Rahmengesetze“ neu gebildete Stande- und Berufskammern in den Bundesstaaten durchfuhren sollten. Damit deutete sich die spatere
Gleichschaltungspolitik
gegenuber foderalen Institutionen schon an. Die Parteifuhrer wurden ?wenn notig unter Einsatz des eigenen Lebens“ fur die Programmverwirklichung eintreten.
Wahrend die außen- und innenpolitischen Hauptforderungen in Punkt 1?8 prazise und konkret formuliert waren und tatsachlich ab 1933 staatlich großenteils umgesetzt wurden, blieben viele der wirtschafts- und kulturpolitischen Forderungen in Punkt 9?20 vage (11), unklar (13), skurril oder praktisch unrealisierbar (etwa der ?Einzug aller Kriegsgewinne“ in Punkt 14). Diese Unklarheiten fuhrten zu einer teilweise heftigen internen Ideologiedebatte und verschiedenen Wirtschaftsprogrammen.
Otto Wagener
etwa forderte die Unterstutzung des Mittelstandes,
Richard Walther Darre
die der Bauern,
Gottfried Feder
verlangte die von ihm erfundene ?Brechung der Zinsknechtschaft“. Hitler trug diesem Streit als Parteifuhrer spater zum Teil Rechnung, indem er einige Programmforderungen revidierte, reduzierte oder ignorierte. 1928 reduzierte er die angekundigte Bodenreform auf Enteignung ?judischer“ Bodenspekulationsgesellschaften. Wie die ?Zinsknechtschaft gebrochen“ werden sollte, ließ er jedoch offen. Nach heftigen Auseinandersetzungen um den ?
Sozialismus
“ im Nationalsozialismus wurde das 25-Punkte-Programm auf der
Bamberger Fuhrertagung
1926 fur ?unabanderlich“ erklart, eine Konkretisierung oder Festlegung auf eine bestimmte Deutung fand nicht statt.
[19]
In einem Interview mit einem
katalanischen
Journalisten erklarte Hitler im November 1923, warum die NSDAP sich fur die Entfernung der Juden aus Deutschland einsetzte: Sie ausnahmslos umzubringen, ?ware naturlich die beste Losung“. Da dies aber wegen der zu erwartenden Reaktion des Auslands nicht moglich sei, bleibe als Losung nur die Massenvertreibung.
[20]
Mein Kampf
In
Mein Kampf
bekraftigte Hitler vor allem die außen- und bevolkerungspolitischen Ziele des NSDAP-Programms, allen voran den
Anschluss Osterreichs
an das nunmehrige ?
Großdeutsche Reich
“. Im Unterschied zum Kaiserreich, das mit dem britischen Weltreich als Kolonialmacht in Afrika und Fernasien zu konkurrieren versuchte, wollte Hitler
Lebensraum
nicht in Westeuropa und in Ubersee, sondern in
Osteuropa
gewinnen. Damit schloss er sich wahrscheinlich
geopolitischen
Theorien von
Rudolf Kjellen
,
Halford Mackinder
und
Karl Haushofer
an, die die Eroberung und Beherrschung der Landmasse von ?Eurasien“ als Schlussel zur Weltherrschaft sahen. Auch der mittelalterliche Mythos mancher Ordensritter von einem deutschen ?Drang nach Osten“ stand hinter dieser Idee.
Dabei dachte Hitler an ?Russland und die ihm untertanen Randstaaten“. Um sie zu erobern, wollte er zuerst den Versailler Vertrag revidieren, dann Frankreich mit Hilfe eines Bundnisses mit
Großbritannien
und
Italien
isolieren, spater ganz vernichten. Damit revidierte er Punkt 3 des NSDAP-Programms: Das Erobern von Kolonien wurde England zu Protesten herausfordern. Dessen Kolonialmacht musse Deutschland garantieren, dann wurden die Briten es auf dem Kontinent gewahren lassen. Polen erwahnte Hitler hier nicht, auch die USA und Japan kamen nur am Rande vor. Diese Prioritaten waren gegenuber den Vorlieben kaiserlicher Imperialisten neu.
[21]
Zur Wirtschaftspolitik außerte sich Hitler in
Mein Kampf
nur auf funf Seiten. Den Punkt der Volksgesundheit dagegen fuhrte er breit aus und brachte dabei den auch die wirtschafts- und kulturpolitischen Vorstellungen tragenden Rassismus der NS-Ideologie deutlich zur Geltung. Seine beiden untrennbar miteinander verknupften Grundgedanken waren
- die These von hoheren und niederen Rassen, die miteinander im Kampf liegen;
- die These, dass eine ?Rassenvermischung“ schadlich fur die hohere Rasse sei, diese unweigerlich schwache und langfristig auflose.
Diese Ideologiegrundsatze hatten
Sozialdarwinisten
,
Eugeniker
und
Rassentheoretiker
des 19. und fruhen 20. Jahrhunderts wie
Francis Galton
,
Ernst Haeckel
,
Alfred Ploetz
und
Wilhelm Schallmayer
begrundet. Neu war nur, dass ?
Rassenhygiene
“ erstmals zum umfassenden politischen Programm gemacht wurde. Hitler sah die ?Arterhaltung“ als Hauptaufgabe des Staates und folgerte, dass dieser die ?unvermischten Bestande an nordisch-germanischen Menschen“ im deutschen Volk konsequent schutzen und so ?langsam aber sicher zur beherrschenden Stellung emporfuhren“ musse. Der starke Fuhrerstaat musse ?den Sieg des Besseren, Starkeren“ und die Unterordnung des ?Schlechteren und Schwacheren“ fordern. Dies bedeutete konkret etwa
Zwangssterilisation
von als ?behindert“ und ?erbkrank“ Klassifizierten und zugleich Kindergeld, billige Wohnungen und materielle Vergunstigungen fur ?deutsche Familien“. Die ?Trager hochster Rassenreinheit“ sollten ein ?Siedlungsattest“ erhalten und in noch zu erobernden ?Randkolonien“ angesiedelt werden. Hitler betonte am Schluss nochmals seine Zielvorstellung:
?Ein Staat, der sich im Zeitalter der Rassenvergiftung der Pflege seiner besten rassischen Elemente widmet, muß eines Tages zum Herrn der Erde werden.“
Das Gegenbild zu dieser Vision bildete das ?Weltjudentum“, das in Hitlers
Verschworungstheorie
als Urheber aller negativen Zeiterscheinungen, etwa des Ersten Weltkriegs, der Niederlage darin, der Novemberrevolution und der Inflation dargestellt wurde. Dabei identifizierte er das Judentum sowohl mit dem ?
Finanzkapital
“ in den USA als auch mit dessen weltpolitischem Gegner, dem ?
Bolschewismus
“. Dieser globalen Ubermacht scheinbar widersprechend betonte Hitler jedoch zugleich die absolute Minderwertigkeit und unterlegene Abhangigkeit der Juden von ihren
arischen
?
Wirtsvolkern
“ und beschrieb sie als Schmarotzer,
Parasiten
, Bazillen, Blutegel, Spaltpilze, Ratten usw. In allen seinen Erscheinungsformen strebe das Judentum die ?Zersetzung“, ?Bastardisierung“ und ?Blutvergiftung“ des deutschen Volkes an: etwa durch
Prostitution
, Verbreitung von Geschlechtskrankheiten, Verfuhrung ahnungsloser arischer Madchen. Dieses pornografische Bild zu propagieren wurde Hauptaufgabe des eigens dazu gegrundeten Hetzblattes
Der Sturmer
des Gauleiters von Franken,
Julius Streicher
.
Im zweiten Band von
Mein Kampf
sprach Hitler zuletzt auch die Idee einer stellvertretenden, praventiven Judenvernichtung offen aus:
[22]
?Hatte man zu Kriegsbeginn und wahrend des Krieges zwolf- oder funfzehntausend dieser hebraischen Volksverderber so unter Giftgas gehalten, wie hunderttausende unserer allerbesten deutschen Arbeiter aus allen Schichten und Berufen es im Felde erdulden mussten, dann ware das Millionenopfer an der Front nicht vergeblich gewesen. Im Gegenteil: Zwolftausend Schurken zur rechten Zeit beseitigt, hatte vielleicht einer Million ordentlicher, fur die Zukunft wertvoller Deutscher das Leben gerettet.“
Diese Aufgabe kunftig zu vollstrecken, dazu sah Hitler sich von der ?
Vorsehung
“ ? so sein Ausdruck fur
Gott
? bestimmt:
?Indem ich mich des Juden erwehre, erfulle ich das Werk des Herrn.“
Deshalb spricht der Historiker
Saul Friedlander
im Blick auf die nationalsozialistische Bewegung und ihre unmittelbaren Vorlaufer von einem besonderen, uber traditionelle christliche, aber auch volkische und sozialdarwinistische Judenfeindschaft hinausgehenden ?Erlosungsantisemitismus“.
[23]
Fuhrerkult und Fuhrerstaat
In allen Staaten
Europas
gab es seit Beginn des 20. Jahrhunderts starke Tendenzen zu autoritaren, antidemokratischen Politikkonzepten, deren Akzeptanz sich nach 1918 auch aus Enttauschung uber die
pluralistische
Demokratie und Massenelend speiste. Als ?Fuhrerkult“ ließ sich schon die Verehrung des Herrschers in einer
Monarchie
, begrundet etwa mit der Idee des
Gottesgnadentums
, auffassen. Der Erste Weltkrieg enttauschte das Bild vom
Heldenkaiser
, verstarkte bei Nationalisten aber noch die Sehnsucht nach dem
heldischen Fuhrer
. Zu einem parteipolitischen Konzept machte dies der aufstrebende Faschismus: zuerst mit dem
Duce
Benito Mussolini
in Italien, dann dem
Caudillo
General
Franco
in
Spanien
, aber auch im Kult um ?Vaterchen“
Stalin
in der Sowjetunion.
Anders als in Italien begann der
Personenkult
um den ?Fuhrer“ schon zehn Jahre vor der ?
Machtergreifung
“ nach dem Hitlerputsch von 1923, aus dessen Scheitern Hitler folgerte, dass die NSDAP eine straff gefuhrte
Fuhrerpartei
sein musse und er selbst zu Deutschlands ?Rettung“ bestimmt sei. Dem kam die Erwartung der Parteibasis an ihn entgegen. Der deutsche Fuhrerkult ging also mit der Entwicklung der NSDAP zur Massenpartei einher und diente ihrer Integration, Schlagkraft und Ausdehnung. Er wurde 1933 auch nicht wie in Spanien oder Russland einer bestehenden zentralisierten Militardiktatur zu deren Absicherung aufgepfropft, sondern zum Organisationsprinzip eines durch ersatzlose Gleichschaltung aller bestehenden Verwaltungs- und Regierungsinstitutionen geschaffenen Fuhrerstaates. Nach dem Tode des Reichsprasidenten
von Hindenburg
wurde Hitler am 2. August 1934 als
Fuhrer
und
Reichskanzler
auch
Oberster Befehlshaber der
Wehrmacht
; seit 1938 trat auch das
Regierungskabinett
nicht mehr zusammen.
Anders als in der Sowjetunion, die nach Stalins Tod 1953 noch bis 1991 fortbestand, untergrub das
Prinzip der ?charismatischen Fuhrerpersonlichkeit“
(
Max Weber
), die die rivalisierenden Krafte in Staat und Partei durch ihren ?Willen“ lenkte und orientierte, das selbstandige Funktionieren der Burokratie in Deutschland. Der lange Zeit mit
Fuhrererlassen
und -verordnungen direkt regierte Staat konnte Kriegsniederlage und Tod Hitlers demzufolge nur sehr kurz uberdauern. Nach
Ian Kershaw
stand und fiel der deutsche
NS-Staat
mit der Person des ?Fuhrers“.
[24]
Auch das
Vichy-Regime
(1940?1944) im Suden Frankreichs war ein ?Fuhrerstaat“; sein Fuhrer war
Philippe Petain
.
Weitere Merkmale und Entwicklungen der NS-Ideologie
Weitere Hauptmerkmale des Nationalsozialismus waren:
- die zentrale Rolle von
NS-Propaganda
und Massen-
Inszenierungen
als Mittel zur Herrschaft und ihrer Sicherung nach innen und außen.
- Totalitarismus
: Zerschlagung der
Demokratie
, Einparteienherrschaft, Aufhebung der
Gewaltenteilung
, Instrumentalisierung aller politischen Kontrollinstanzen und Medien, weitreichende Vollmachten fur Geheimdienste und
Denunzianten
,
Polizeistaat
- Militarismus und Imperialismus: Schon wahrend des Aufstiegs der NSDAP wurden Waffenlager eingerichtet, bewaffnete Schlagerbanden ausgebildet, die Straßengewalt ausubten, um politische Gegner einzuschuchtern. In den Jahren der Weimarer Republik konzentrierte sich die nationalsozialistische Propaganda zunachst auf den die revisionistische Forderung nach Wiederaneignung der infolge der deutschen Kriegsniederlage verlorenen Gebiete und damit nach Aufhebung oder Bruch des
Versailler Vertrags
. Dieser wurde als ?Schmach von Versailles“ oder ?Versailler Schanddiktat“ diffamiert. Von 1933 an wurde Aufrustung betrieben, zunachst geheim, dann offen, und die vertraglichen Bindungen an
Volkerbund
und
Volkerrecht
erst unterlaufen, dann gebrochen. Sobald die Wehrmacht stark genug sein wurde, plante Hitler gezielte Angriffskriege zur Wiederherstellung und Erweiterung eines auf militarische Machtentfaltung gebauten Großdeutschlands. Dabei sollte ein Land nach dem anderen isoliert und einzeln niedergekampft werden. Das Endziel war nach Meinung der meisten Historiker die Eroberung des kontinentalen Festlands, der Sowjetunion bis zur Linie Archangelsk?Uralgebirge?Kaukasus sowie die Besiedelung dieser Gebiete durch die Deutschen, andere Forscher glauben Belege dafur zu haben, dass Hitler die (utopische)
Weltherrschaft
anstrebte. Die Herrschaft uber die besetzten Gebiete sollte durch Vertreibung unerwunschter Bevolkerungsgruppen gestarkt werden.
- Die
Blut-und-Boden-Ideologie
, die Verherrlichung des Bauernstandes (des ?Nahrstands“). Manche Nationalsozialisten lehnten die Verstadterung und die zunehmende Industrialisierung ab und sehnten sich nostalgisch nach einem Land, das wie eh und je von Bauern bestellt wurde. Auch
Heinrich Himmler
hatte solche Gedanken, als er vorschlug, die eroberten Gebiete der Sowjetunion mit Bauern zu besiedeln, die zugleich Soldaten (?Wehrbauern“) sein sollten. Russen, Ukrainer und Polen sollten die Landarbeiter, das Hauspersonal, die Bauarbeiter oder die Hilfsarbeiter stellen.
- Die Propagierung der
Herrenrasse
bzw. des Herrenvolkes, das das Recht habe, andere ?minderwertige Volker“ zu unterdrucken, zu vertreiben oder zu vernichten.
- Mannerherrschaft und Mannlichkeitskult, also Propagierung von Werten wie
Tapferkeit
und soldatischer Harte. ?Weibliche Werte“ werden bei Mannern als
Feigheit
, Krankheit und ?Zersetzung der Wehrkraft“ denunziert.
- Verschworungstheorie
: Die
wahnhafte Idee
, das internationale Judentum hatte sich verschworen, um die
Weltherrschaft
zu erringen, wird von verschiedenen Historikern
[25]
als Kern des Nationalsozialismus angesehen. Diese Verschworungstheorie tritt bereits in einem 1924 von
Dietrich Eckart
veroffentlichten Gesprach mit Hitler zu Tage, in dem eine ungebrochene Kontinuitat der angeblichen judischen Machenschaften vom zweiten vorchristlichen Jahrtausend an behauptet wird.
[26]
In der Bildsprache der nationalsozialistischen Propaganda, etwa in den Wahlplakaten vor 1933 oder in den Karikaturen des
Sturmers
, wurde ?der“ Jude regelmaßig in verschworungstheoretischen Metaphern wie dem Drahtzieher hinter den Kulissen des Weltgeschehens oder der weltumspannenden Krake oder Spinne dargestellt. Und wahrend des
Kriegs gegen die Sowjetunion
begrundete die Wehrmacht die Umsetzung der verbrecherischen Befehle wie des
Kommissarbefehls
oder des
Kriegsgerichtsbarkeitserlasses
verschworungstheoretisch mit der These vom
judischen Bolschewismus
: Hinter dem Sowjetsystem stehe in Wahrheit das Judentum. So wies
General von Manstein
am 20. November 1941 seine Truppen an, ?Verstandnis“ aufzubringen fur die ?harte Suhne am Judentum“:
?Das Judentum bildet den Mittelsmann zwischen dem Feind im Rucken und den noch kampfenden Resten der Roten Armee und der Roten Fuhrung […]. Das judisch-bolschewistische System muß ein fur allemal ausgerottet werden.
[27]
“
Kapitalismus und Antikapitalismus
Im Zentrum der wissenschaftlichen Auseinandersetzung uber den Charakter der nationalsozialistischen Wirtschaftsideologie steht seit jeher die Frage, ob der Nationalsozialismus
kapitalistisch
oder
sozialistisch
gewesen sei.
[28]
Der deutsche Soziologe
Max Horkheimer
vertrat 1939 noch vor Kriegsbeginn die Position:
Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll vom Faschismus schweigen.
[29]
Der marxistische Historiker
Manfred Weißbecker
bezeichnet in einem 2011 erschienenen Buch den Namen NSDAP als reine
Demagogie
, da die Partei in Wahrheit weder national noch sozialistisch gewesen sei, sondern faschistisch.
[30]
Dagegen attestierte der osterreichisch-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler
Ludwig von Mises
dem faschistischen Wirtschaftsprogramm 1927 antiliberal und interventionistisch zu sein, wenn auch nicht so weitgehend wie der
Bolschewismus
.
[31]
Die wirtschaftspolitische Ausrichtung des Nationalsozialismus wird auf verschiedenen Ebenen untersucht:
- als Frage nach den Finanzquellen der NSDAP und den Kreisen, die Hitler an die Macht brachten,
- als Frage nach der Bedeutung antikapitalistischer Elemente fur die Ideologie der Nationalsozialisten,
- als Frage nach der tatsachlichen Wirtschaftspolitik des NS-Regimes 1933?1945.
Finanzquellen der NSDAP
Marxisten sehen die Spendenpraxis deutscher Industrieller wie
Fritz Thyssen
und
Emil Kirdorf
und die
Industrielleneingabe
vom November 1932, die Reichsprasident
Paul von Hindenburg
aufforderte, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen, meist als Belege fur die Verantwortung der
Großindustrie
fur die Machtubergabe an Hitler. Der DDR-Historiker
Eberhard Czichon
etwa meinte deshalb, dass eine ?Nazi-Gruppe“ deutscher ?Industrieller, Bankiers und
Großagrarier
Hitlers Kanzlerschaft gewollt und organisiert“ habe.
[32]
Sein westdeutscher Kollege
Reinhard Neebe
betonte dagegen, dass die meisten deutschen Unternehmer und ihr Dachverband, der
Reichsverband der Deutschen Industrie
, nicht Hitler, sondern die Vorgangerregierungen von
Heinrich Bruning
,
Franz von Papen
und
Kurt von Schleicher
unterstutzten.
[33]
Diese Sicht untermauerte der US-amerikanische Historiker
Henry Ashby Turner
mit Untersuchungen, wonach die NSDAP ihre Finanzmittel nicht vorwiegend aus Industriespenden, sondern aus Mitgliedsbeitragen und Eintrittsgeldern bezog. Die Großindustrie habe ihr immer deutlich weniger Geld zukommen lassen als ihren Konkurrenten
DNVP
,
DVP
und
Zentrum
. Sie habe sich damit auch nur fur den unerwunschten Fall einer NS-Machtergreifung absichern wollen.
[34]
Die Großunternehmer gelten daher heute kaum noch als Hauptverursacher des Aufstiegs der Nationalsozialisten und der Machtubernahme Hitlers 1932?1934.
Antikapitalismus in der NS-Ideologie
In Rhetorik und Ideologie gaben sich die Nationalsozialisten oft egalitar und antikapitalistisch, diese ideologischen Elemente waren aber stets
antisemitisch
gepragt. Inwieweit der schon lange vor 1933 ausgeschaltete
Strasser-Flugels
der NSDAP tatsachlich antikapitalistisch war, ist in der Forschung umstritten. Die radikale Ablehnung von
Sozialdemokratie
,
Kommunismus
und
Marxismus
war dagegen von Beginn an ein pragendes Kennzeichen der NSDAP. Ihr ideologischer Bezugspunkt war die ?Rasse“, nicht die Klasse.
[35]
Das
25-Punkte-Programm
der Partei von 1920, das Hitler bis 1926 fur ?unabanderlich“ erklarte, enthielt mehrere antikapitalistische Forderungen wie
Brechung der Zinsknechtschaft
, Verstaatlichung von
Trusts
und Gewinnbeteiligung an Großbetrieben. Anfangs verwendeten fuhrende Nationalsozialisten wie
Joseph Goebbels
,
Gregor Strasser
und sein Bruder
Otto
, der mit seiner Anhangerschaft die Partei bereits 1930 verließ, regelmaßig
sozialistische
Versatzstucke in ihren Reden. Hitler selbst hatte sich klar zum
Privateigentum
bekannt, in der nationalsozialistischen Praxis kam es jedoch zu zahlreichen Enteignungen von Privateigentum, so z. B. im Zuge der sogenannten ?
Arisierung
“. Betroffen von
Enteignung
waren vor allem Juden aber auch nichtjudische
Emigranten
und politische Gegner der Nationalsozialisten.
Albrecht Ritschl verweist auf die schrittweise Ausschaltung des ?sozialistischen“ Parteiflugels zwischen 1930 und 1934 und deutet die antikapitalistischen Tone als verkappten Antisemitismus.
[36]
Die enge Verbindung von Antikapitalismus und Antisemitismus in der nationalsozialistischen Propaganda zeigt sich etwa in dem Antrag, den der Vorsitzende der NSDAP-Fraktion im Reichstag am 18. Oktober 1930 stellte. Darin forderte er die Enteignung des gesamten Vermogens der ?Bank- und Borsenfursten, der seit 1. August 1914 zugezogenen Ostjuden und sonstigen Fremdstammigen […] zum Wohl der Allgemeinheit des deutschen Volkes.“
[37]
1931, auf dem Hohepunkt der
Weltwirtschaftskrise
, forderte die NSDAP staatliche Arbeitsbeschaffungsprogramme, um die Arbeiterschaft als NSDAP-Wahler anzuwerben. Im Mai 1933 zerschlug das NS-Regime die organisierte
Arbeiterbewegung
in Form der Linksparteien und der Gewerkschaften. Die NSDAP betrachtete marxistische und kommunistische Gruppen innenpolitisch als Hauptgegner, so wie außenpolitisch der Bolschewismus der Hauptfeind war.
Die Alternative, der ?nationale Sozialismus“, wurde als ?
Volksgemeinschaft
“ definiert. Diese wurde als ?Einheit von Volk und Staat“ unter der einheitlichen NS-Ideologie und einem ?
starken Staat
“, gelenkt von einem ?Fuhrer“, verstanden. Die Einordnung aller Staatsburger in die Arbeitspflicht und die rassisch definierten nationalen Interessen ließen offen, ob dazu die
Produktionsverhaltnisse
umgesturzt werden sollten: Dieses Stichwort fehlte im 25-Punkte-Programm. Als Gegenkonzept zur Leitidee der internationalen
klassenlosen Gesellschaft
im Marxismus, aber auch zur individuelle Freiheiten schutzenden pluralen und parlamentarischen
Sozialdemokratie
gedacht, unterschied es die NSDAP von den damaligen Programmen aller sozialistischen Parteien.
Fur
Joachim Fest
waren im Sozialismus-Begriff Hitlers weder ein humanitarer Antrieb noch das Bedurfnis nach einem Neuentwurf der Gesellschaft spurbar. Hitler habe sich aus machttaktischen Erwagungen, den Stimmungswert einer popularen Vokabel zunutze gemacht, und den Begriff zur reinen Spielmarke degradiert.
[38]
Verhaltnis zu Privateigentum und Konkurrenzprinzip
Der in die USA emigrierte Politologe
Franz L. Neumann
konstatierte in seinem Buch zur Struktur und Praxis des Nationalsozialismus
Behemoth
von 1942/1944, dass der nationalsozialistische Herrschaftsapparat sich nicht von der Basis der privatkapitalistischen Produktionsweise gelost, sondern einen ?totalitaren
Monopolkapitalismus
“ hervorgebracht habe.
[39]
Der
marxistische
Historiker
Dietrich Eichholtz
glaubte, es sei fur den NS-Staat unmoglich gewesen, in die Eigentumsstruktur einzugreifen. Als Beispiel fuhrt er die Verstaatlichungsplane der Elektrizitatswirtschaft von
Albert Speer
an: Speer erhielt am 6. Mai 1942, wie
Henry Picker
nach einem gemeinsamen Tischgesprach notierte, fur seinen Plan ?das Elektrizitatswesen in einem Reichsunternehmen (wie etwa der Reichsbahn) zusammenzufassen“ zunachst Hitlers Zustimmung. Am 26. Juli 1942 habe sich Hitler dann plotzlich gegen einen ?Staatssozialismus“ mit ?zentralistischer Tendenz“ in der Energiewirtschaft gewandt und seine Zustimmung verweigert.
[40]
Hitlers Bekenntnis zum
Privateigentum
erfolgte 1919 privat
[41]
und 1926 im
Hamburger Nationalklub
offentlich.
[42]
Der Berliner Wirtschaftshistoriker
Albrecht Ritschl
macht aber auf Außerungen Hitlers aufmerksam, die er im Marz 1942 im Kreise seiner Adjutanten machte, das heißt ohne Zwang, seine wahren Ansichten zu kaschieren. Hitler wandte sich hier grundsatzlich ?gegen anonymen Privatbesitz der
Aktie
. Ohne selbst etwas dazu zu tun, erhalte der
Aktionar
mehr
Dividende
, wenn die Arbeiter der
Aktiengesellschaft
fleißig statt faul seien oder wenn ein genialer
Ingenieur
an der Spitze des Betriebs stehe“.
[41]
Demnach ware die haufige Ablehnung eines
?raffenden“
im Gegensatz zum lobenswerten ?schaffenden“ Kapital von ihm ernst gemeint gewesen.
Am 26. Juni 1944 wiederum forderten Hitler und
Albert Speer
in Reden vor wichtigen Personen aus der Rustungswirtschaft, darunter u. a.
Walter Rohland
, auf dem
Obersalzberg
?Selbstverantwortung“ und kundigten fur die Zeit nach dem Siege eine großte Epoche fur die ?private Initiative der deutschen Wirtschaft“ an.
[43]
Der ehemalige NSDAP-Politiker und konservativ-burgerliche
Faschismustheoretiker
Hermann Rauschning
attestierte Hitler in Wirtschaftsfragen eine rein ?realpolitische Haltung“, die ?sich […] von allen Doktrinen frei zu machen versuchte“.
[44]
Nach Rauschning ordnete Hitler die Wirtschaft ubergeordneten politischen Zielen konsequent unter, verfolgte auf diesem Gebiet also keine prinzipiellen Ordnungsvorstellungen, sondern nur flexibel anpassbare Ziele.
Henry A. Turner kommt zu dem Schluss, dass Hitler das ?liberale Konkurrenzprinzip“ und das Privateigentum bejaht habe, wenn auch nur, ?weil er sie in entstellter Weise in seine sozialdarwinistische Sicht des Wirtschaftslebens einbauen konnte“.
[45]
Avraham Barkai
widerspricht dieser These und sieht einen extremen Antiliberalismus Hitlers und eine grundsatzliche Ablehnung des
Laissez-faire
-Prinzips.
[46]
Ein von Turner unvollstandig wiedergegebenes Belegzitat in den Folgesatzen weise auf eine mit dem liberalen Konkurrenzprinzip unvereinbare Haltung hin.
[47]
Der von Turner unter anderem als Beleg angefuhrte Hermann Rauschning wurde 1984 in seiner Glaubwurdigkeit als
Zeitzeuge
so stark erschuttert,
[48]
dass Kershaw erklarte, die ?Gesprache mit Hitler“ seien ?ein Werk, dem man heute so wenig Authentizitat zumißt, daß man es besser ganz außer acht laßt“.
[49]
Laut
Jorn Axel Kammerer
lehnte Hitler die
Privatisierungsbestrebungen
der zwanziger Jahre ab und befurwortete vielmehr die
Verstaatlichung
der großen Aktiengesellschaften, der Energiewirtschaft und anderer Wirtschaftszweige. Zwar seien Verstaatlichungen bestehender Industriebetriebe nicht umgesetzt worden, jedoch seien reichseigene Unternehmen (z. B.
Reichswerke Hermann Goring
) gegrundet worden. Diese Unternehmensgrundungen sowie Weichenstellungen der Nationalsozialisten im Wirtschaftsrecht wirkten zum Teil bis heute nach.
[50]
Verhaltnis zum Ordoliberalismus
Fur den Wirtschaftswissenschaftler
Ralf Ptak
deuten ?die vielfaltigen Publikationsmoglichkeiten
ordoliberaler
Autoren in diesem Zeitraum auf eine nationalsozialistische Duldung gegenuber dem ordoliberalen Projekt“ hin.
[51]
Der Wirtschaftswissenschaftler
Nils Goldschmidt
widerspricht Ptaks Schlussfolgerung und fuhrt die Schrift
Nationalokonomie ? wozu?
(1938) von
Walter Eucken
als Beispiel fur ein Publikationsverbot an. Ferner weist Goldschmidt auf ordoliberalen
Widerstand gegen den Nationalsozialismus
, wie etwa durch die
Freiburger Kreise
hin.
[52]
Hauke Janssen schreibt, dass ?vor allem die Freiburger“ Widerstand gegen die interventionistischen und zentralverwaltungswirtschaftlichen Tendenzen im Nationalsozialismus geleistet hatten.
[53]
Egalitare Prinzipien und Verhaltnis zum Sozialismus
Friedrich August von Hayek
hebt hervor, dass sich Nationalsozialismus und Sowjetkommunismus in diktatorischen und antiliberalen Grundzugen ahnelten.
[54]
Fur Hayek weisen Sozialismus und Nationalsozialismus die gleichen totalitaren Tendenzen auf, um ihre ? durchaus unterschiedlichen ? Ziele zu verfolgen. Beide seien, da sie sich des Mittels zentraler Planung bedienten, Varianten des Kollektivismus, dessen Eigendynamik zur Zerstorung von Wohlstand, Demokratie und Rechtsstaat fuhre.
[55]
Rainer Zitelmann
versteht Hitler als ?
Revolutionar
“, dem die Verbesserung der
Aufstiegschancen
der Arbeiter, soweit sie seinen Rassevorstellungen entsprachen, ein ehrliches Anliegen gewesen sei. Dabei sei es ihm nicht ?um die Ermoglichung der bestmoglichen Entfaltung des Individuums, sondern um die Optimierung des Nutzens fur die
deutsche Volksgemeinschaft
“ gegangen.
[56]
Gegenuber der Wirtschaft habe er einen ?
Primat der Politik
“ angestrebt, der ?auf eine Revolutionierung des Verhaltnisses von Politik und Okonomie“ hinausgelaufen sei. Das kapitalistische Wirtschaftssystem habe Hitler durch eine gemischte Wirtschaftsordnung ersetzen wollen, in welcher markt- und planwirtschaftliche Elemente zu einer neuen Synthese vereint waren. Die vom Nationalsozialismus ausgeloste ?soziale Revolution“ sei durchaus ernst zu nehmen. Gegen diese These wandten Wolfgang Wippermann und Michael Burleigh indirekt ein, dass sie den rassistischen und damit
reaktionaren
Charakter des NS-Regimes uber Gebuhr herunterspiele.
[57]
Laut
Joachim Fest
ist ?die Diskussion uber den politischen Standort des Nationalsozialismus nie grundlich gefuhrt worden“. Stattdessen habe man ?zahlreiche Versuche unternommen, jede Verwandtschaft von Hitlerbewegung und Sozialismus zu bestreiten“. Zwar habe Hitler keine Produktionsmittel verstaatlicht, aber ?nicht anders als die Sozialisten aller Schattierungen die soziale Gleichschaltung vorangetrieben“.
[58]
Auch nach Ansicht von
Gotz Aly
versuchte das NS-Regime, das er als ?Gefalligkeitsdiktatur“ bezeichnet, durch soziale Fursorge egalitare Prinzipien zu verwirklichen.
[59]
Das Programm der NSDAP stutze sich auf zwei mit dem Antisemitismus kombinierbare Gleichheitsideen: Einer der Grundgedanken war der der ethnischen Homogenitat, zum anderen versprachen sie als ?nationale Sozialisten“ mehr soziale Gleichheit. Neuere Arbeiten identifizieren vor allem den
Reichsarbeitsdienst
, die
Hitlerjugend
und das
Militar
als Bereiche, in denen tatsachlich versucht wurde, dieses Versprechen in die Tat umzusetzen.
[60]
Dieser egalitare Anspruch bezog sich im Unterschied zum Marxismus aber nicht auf die gesamte Bevolkerung, sondern beschrankte sich auf ?das ethnisch definierte Großkollektiv deutsches Volk“.
[61]
Wirtschaftspolitik des NS-Regimes
Umstritten ist, inwieweit die wirtschaftspolitischen praktischen Maßnahmen des NS-Regimes einem nationalsozialistischen wirtschaftspolitischen Leitbild entsprachen oder einfach ?den pragmatischen Anforderungen der Aufrustungs- und Kriegspolitik des Regimes geschuldet“ waren (vgl. auch
Kriegswirtschaft
).
[62]
Nach
Willi Albers
griffen aufgrund der Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg und dem Scheitern einer zu Anfang des Zweiten Weltkriegs in einzelnen Landern versuchten liberalen Kriegswirtschaftspolitik alle am Zweiten Weltkrieg beteiligten Staaten zu
dirigistischen
Maßnahmen.
[63]
Markus Albert Diehl weist darauf hin, dass schon zur Zeit der
Weimarer Republik
angesichts massiver okonomischer Probleme zu staatsdirigistischen Maßnahmen gegriffen wurde, z. B. wurden
Devisen
bewirtschaftet.
[64]
Insgesamt sind die Befunde angesichts der von 1933 bis 1945 tatsachlich praktizierten Wirtschaftspolitik widerspruchlich. Auf der einen Seite spricht die Re
privatisierung
der in der
Bankenkrise
1931 de facto
verstaatlichten
Großbanken fur eine prokapitalistische Haltung der Regierung. Auf der anderen Seite ließen u. a. nach
Avraham Barkai
,
Timothy Mason
und
Dietmar Petzina
die dirigistischen Eingriffe in die Wirtschaft unter
Hjalmar Schachts
?
Neuem Plan
“ (1934), unter dem
Vierjahresplan
(1936) und vollends die Kriegswirtschaft unter
Rustungsminister
Albert Speer
(ab 1942) vom freien Unternehmertum wenig ubrig. Gemaß dem Wirtschaftsziel
Autarkie
wurde die freie Marktwirtschaft in der
Landwirtschaft
1933 mit dem
Reichsnahrstand
praktisch abgeschafft, wobei in den 30er Jahren auch in anderen europaischen Staaten in der Landwirtschaft planwirtschaftliche Politik sich ausweitete.
[65]
Im Zeichen der
Aufrustung der Wehrmacht
wurde fur zahlreiche Produkte der
Preismechanismus
durch
Rationierung
ersetzt. Dies betraf beispielsweise Stahl, Devisen, Kapitalverkehr und den
Arbeitsmarkt
.
[66]
Der Historiker
Klaus Hildebrand
fasst den Stand der Forschung in
Oldenbourg Grundriss der Geschichte
so zusammen: ?Zwar blieben die Betriebe in privaten Handen der Unternehmer, ohne Zweifel stiegen auch die finanziellen Ertrage aus der Rustungskonjunktur. Doch wurde das fur eine kapitalistische Wirtschaft verbindliche Prinzip der Zweck-Mittel-Rationalitat im Banne der Rustungsanforderungen und des Autarkieprinzips auf Befehl
Hermann Gorings
mehr und mehr außer Kraft gesetzt.“
[67]
Nach
Adam Tooze
hatten die großen Banken nie weniger Einfluss in der deutschen Geschichte als zwischen 1933 und 1945, der Einfluss der Großindustrie (
big business
) wurde schon in der
Weltwirtschaftskrise
1929 gegenuber dem Staat geschwacht, erst recht im Nationalsozialismus; trotzdem verblieb der Privatindustrie eine Machtgrundlage, weil das nationalsozialistische Regime fur seine Ziele, insbesondere Kriegsrustung, auf sie angewiesen blieb.
[68]
Dietmar Petzina formuliert: ?Das NS-System entzieht sich einer eindeutigen Zuordnung zu den ordnungspolitischen Kategorien Zentralverwaltungswirtschaft und Marktwirtschaft.“ Die Wirtschaftsordnung wandelte sich ?von einer korporatistischen Wirtschaft hin zu einer staatlichen Kommandowirtschaft, in der das unternehmerische Gewinnprinzip zwar nicht ausgeschaltet, die wesentlichen
Verfugungsrechte
jedoch nachhaltig eingeschrankt waren“. Nach Adam Tooze wurde auslandisches Kapital in Deutschland (z. B.
Opel
,
Ford
, Anteile an
IG Farben
) nicht enteignet. Ein Kapitalabzug war aber wegen der
Kapitalverkehrskontrollen
nur mit großen Verlusten moglich, sodass auslandisches Kapital seine Gewinne notgedrungen in Deutschland wieder investierte.
[69]
Gerold Ambrosius
stellt fest: ?Bis zum Kriegsbeginn war der Grundstein fur den Ubergang zu einer zentralen Planung und Lenkung gelegt.“
[70]
Gestutzt wird diese These von aktuellen ordnungstheoretischen Untersuchungen: Michael von Prollius beschreibt das NS-Wirtschaftssystem als ?Ergebnis unablassiger Neu- und Umorganisation […] und zahllosen Lenkungs- und Burokratisierungsmaßnahmen“;
[71]
fur Markus Albert Diehl ?entfernte sich die deutsche Wirtschaftsordnung unter der nationalsozialistischen Herrschaft immer weiter vom Idealtyp der
Marktwirtschaft
und entsprach schließlich weitgehend dem Idealtyp der
Zentralplanwirtschaft
“.
[64]
Nach
Gotz Aly
und
Susanne Heim
trat die propagierte Forderung des
Mittelstandes
in der Praxis hinter der wirtschaftlichen Rationalisierung zuruck, was zu Bankrott und Schließung zahlreicher mittelstandischer Betriebe fuhrte.
[72]
Ideologisch wurde die Einbindung der Privatwirtschaft in die deutsche Kriegswirtschaft unter
Reichsminister fur Bewaffnung und Munition
Fritz Todt
als Anwendung der Prinzipien ?Fuhrertum“ und ?
Unternehmertum
“ dargestellt.
[73]
Planungen fur die Nachkriegszeit waren einerseits verboten, andererseits, so der Historiker
Bernhard Loffler
, beauftragte die ?
Reichsgruppe Industrie
“ 1943
Ludwig Erhard
mit wirtschaftspolitischen Planungen fur die Zeit nach dem absehbar verlorenen Krieg. Diese waren ?an einem marktwirtschaftlichen Konzept ausgerichtet“ und standen ?damit im Gegensatz zum NS-System“. Industrie und staatliche Stellen wie das
Reichswirtschaftsministerium
und das von
Hans Kehrl
geleitete Planungsamt im
Reichsministerium fur Bewaffnung und Munition
planten, den Ubergang von der Kriegs- und Lenkungswirtschaft zur Friedens- und Marktwirtschaft behutsam durchzufuhren. Im Reichswirtschaftsministerium hielt
Otto Ohlendorf
seine ?schutzende Hand uber die marktwirtschaftliche Nachkriegsplanung“ und zeigte sich ?gegenuber der Neugestaltung einer liberaleren, unternehmensfreundlichen Marktordnung bei allen tiefgehenden weltanschaulichen Unterschieden erstaunlich aufgeschlossen […]“.
[74]
An die Stelle des burokratischen Lenkungsapparates musse im Frieden ein ?aktives und wagemutiges Unternehmertum“ treten, so Ohlendorf. Ohlendorf selbst wurde von Himmler geschutzt, der die seiner Auffassung nach ?total
bolschewistische
“ Wirtschaftslenkung Speers ablehnte.
[75]
Verhaltnis zu den Gewerkschaften
Im Fruhjahr 1933 ordnete Adolf Hitler den 1. Mai als gesetzlichen Feiertag mit dem Namen ?Tag der deutschen Arbeit“ an. Damit wurde eine Gewerkschaftsforderung ausgerechnet von der Regierung erfullt, die von den Gewerkschaften strikt abgelehnt wurde. Die Gewerkschaften riefen zur Teilnahme an den Maiveranstaltungen auf, da sie sich als Initiatoren des Maigedankens fuhlten. Das offizielle Programm war schon stark durch die Nationalsozialisten gepragt: ?6 Uhr Wecken durch die SA-Kapellen. 8 Uhr Flaggenhissung in den Betrieben, Abmarsch zum Exerzierplatz, 9 Uhr Ubertragung der Kundgebung von dem Lustgarten in Berlin auf die offentlichen Platze der Stadte. 10.45 Uhr Staatsakt der Hessischen Regierung (…), Empfang einer Arbeiterdelegation aus den drei Hessischen Provinzen. (…) Gemeinsamer Gesang des ,Liedes der Arbeiter'. (…) 7.30 Uhr Ubertragung von dem Tempelhofer Feld, Berlin: Manifest des Reichskanzlers Adolf Hitler, ?Das erste Jahr des Vierjahresplanes‘. Anschließend Unterhaltungsmusik und Deutscher Tanz. 12 Uhr: Ubertragung der Rede des Ministerprasidenten Hermann Goring. (…) Ehemals marxistische Gesang-, Turn- und Sportvereine konnen an den Zugen teilnehmen, jedoch ist die Mitfuhrung marxistischer Fahnen oder Symbole zu unterlassen.“ Das bose Erwachen fur die Gewerkschaften kam einen Tag spater, als die ?NSDAP die Fuhrung der roten Gewerkschaften ubernahm“: ?Die seitherigen marxistischen Fuhrer in
Schutzhaft
? Ein 3-Millionen-Konto des fruheren Reichstagsprasidenten Lobe gesperrt ? Die Rechte der Arbeiter gesichert ? Die Gebaude der Freien Gewerkschaften besetzt“, titelten die bereits im ganzen Reich gleichgeschalteten Zeitungen.
[76]
Verhaltnis zur Religion
Die Nationalsozialisten vertraten keine einheitliche Religiositat. Einige propagierten als
Deutsche Christen (DC)
einen nationalistisch-antisemitischen
Protestantismus
, andere einen rassistischen
Neopaganismus
mit Bezugen zur
germanischen Mythologie
. So verlangte der NS-Ideologe
Alfred Rosenberg
in seinem Hauptwerk
Der Mythus des 20. Jahrhunderts
eine Ablosung des Christentums durch eine Religion von ?
Blut und Boden
“. Ein besonders scharfer Kritiker des Christentums in der NSDAP war der
Reichsfuhrer SS
Heinrich Himmler. Himmler sah in der Uberwindung des Christentums und in der Wiederbelebung einer ?germanischen“ Lebensweise eine zentrale Aufgabe der SS.
[77]
Nationalsozialismus als politische Religion
Bereits 1938/39 hat der deutsch-amerikanische Politologe
Eric Voegelin
den Nationalsozialismus erstmals systematisch als politische Religion interpretiert.
[78]
Eine wichtige Rolle spielte dabei die zeitgenossische Darstellung Hitlers als unfehlbare, nahezu gottgleiche Figur ? eine Sichtweise, die u. a. durch den Film
Triumph des Willens
der Regisseurin
Leni Riefenstahl
propagiert wurde. Seit den 1990er Jahren haben Historiker wie
Emilio Gentile
oder
Michael Burleigh
diesen Interpretationsansatz aufgegriffen und ausgebaut.
[79]
Diese Interpretation ist in der historischen Forschung allerdings umstritten.
[80]
So argumentiert
Hans Gunter Hockerts
, die Nationalsozialisten hatten zwar eine Art politischer Religion geschaffen, um ?heimatlos gewordene religiose Energie“ zu binden, der
Volkermord an den Juden
habe jedoch auf ethnisch und
eugenisch
begrundetem Rassismus beruht. Gegen eine Interpretation des Nationalsozialismus als Religion spreche vor allem die Abwesenheit von
Transzendenzvorstellungen
.
[81]
Verhaltnis zum Christentum
Das NSDAP-Programm von 1920 bejahte ein ?
Positives Christentum
“, definiert als ?Freiheit aller religiosen Bekenntnisse im Staat, soweit sie nicht dessen Bestand gefahrden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefuhl der germanischen Rasse verstoßen.“ Die Formulierung wurde damals als
Toleranz
und Unparteilichkeit gegenuber den christlichen Konfessionen im Rahmen der Staatsrason und des Gemeinwohls missverstanden und begrußt, obwohl Hitler bereits 1925 eine Drohung gegen politische Aktivitat von Christen in anderen Parteien als der NSDAP damit verband. Tatsachlich ordnete der Programmpunkt das Christentum dem Rassismus unter und vereinnahmte es fur den Antisemitismus, ausgedruckt als ?Kampf gegen die judisch-materialistische Weltauffassung“, und fur die vom autoritaren Staat gelenkte ?Volksgemeinschaft“, ausgedruckt als ?Gemeinnutz vor Eigennutz“. Hitler bejahte das Christentum in seinen Regierungserklarungen vom 1. Februar
[82]
und 23. Marz 1933 nur aus machttaktischen Motiven, um die Unterstutzung der Großkirchen fur den Aufbau des
gleichgeschalteten
Fuhrerstaats
zu erhalten und weil er an einem
Reichskonkordat
mit dem
Vatikan
Interesse hatte (das am 20. Juli 1933 tatsachlich geschlossen wurde). Vor allem die evangelische Kirchen hat diese Unterstutzung bereitwillig geleistet und den Widerspruch zur eigenen universalen Lehre erst allmahlich im
Kirchenkampf
(ab 1934) erkannt und ausgesprochen.
[83]
Von katholischer Seite warnten die deutschen Bischofe bereits fruh und wiederholt vor der
NS-Ideologie
und erklarten im Jahr 1932, dass die Zugehorigkeit zur NSDAP ?unvereinbar mit dem christlichen Glauben“ sei
[84]
. Dies fuhrte dazu, dass sich der katholische Bevolkerungsteil bis zur letzten freien Wahl der Weimarer Republik als erheblich resistenter gegenuber dem Nationalsozialismus erwies als der Rest der Bevolkerung. Im uberwiegend katholischen
Rheinland
und in
Bayern
erreichte die NSDAP kaum mehr als 20 % der abgegebenen Stimmen gegenuber teilweise mehr als 60 % in evangelischen Regionen, im Schnitt betrug das Ergebnis der NSDAP bei den Wahlen im Juli 1932 in homogen katholischen Wahlkreisen lediglich 15 %, in homogen evangelischen Wahlkreisen hingegen 39 %.
[85]
Haufig fand der Widerstand im Verborgenen statt, so etwa, als die katholische Kirche ab 1935 mit Wissen des Vatikans Juden die geheime Emigration ermoglichte.
[86]
Der Nationalsozialismus verstand seine rassistische Ideologie als vom Fuhrerstaat in allen Gesellschaftsbereichen durchzusetzende ?Weltanschauung“. Dieser totalitare Absolutheitsanspruch tendierte auf Konflikte mit anderen ?Bekenntnissen“. Einerseits garantierte das NSDAP-Programm wie auch Hitler in ?Mein Kampf“ den Großkirchen den Bestandschutz und innerkirchliche Selbstverwaltung, andererseits strebte man ihre Begrenzung auf unpolitische Belange und weitreichende Eingriffe in kirchliche Strukturen an. So versuchten die DC seit 1933, die
Deutsche Evangelische Kirche
(DEK) im Sinne einer konfessionslosen, zentral gelenkten Reichskirche zu vereinheitlichen und ideologisch dem Nationalsozialismus anzugleichen. Das
Alte Testament
wiesen sie als ?Verjudung“ des Christentums zuruck und versuchten, es abzuschaffen. Als dieser Versuch im Kirchenkampf scheiterte, wandte sich das NS-Regime von den DC ab.
Hitler gewahrte dem Vatikan und den deutschen Bischofen 1933 im
Reichskonkordat
die Freiheit des Bekenntnisses,
Konfessionsschulen
und Universitaten, solange die romisch-katholische Kirche dafur auf jegliche politische Aktivitat verzichte. Die katholische Zentrumspartei
loste sich am 5. Juli 1933 auf
, nachdem sie dem
Ermachtigungsgesetz
zugestimmt und so Hitlers Diktatur die notwendige verfassungsandernde Mehrheit mit verschafft hatte. Als die Kirchen ab 1940 einigen Massenmorden des NS-Regimes widersprachen, starkte Hitler die kirchenfeindlichen Krafte in der NSDAP und erlaubte ihnen in eroberten Gebieten wie dem
Warthegau
, die Kirchen zu entmachten, indem diese von Korperschaften offentlichen Rechts zu bloßen Religionsvereinen herabgestuft wurden.
Anders als die DC glaubte Hitler nicht, dass sich die ?judische Wurzel“ des Christentums kappen und dieses vollstandig ?entjuden“ lasse. Hitler unterstutzte daher intern die Kritiker des Christentums in der NSDAP. Er außerte diesen Standpunkt aber bewusst nie offentlich, weil er befurchtete, seinen Ruckhalt in der Bevolkerung zu verlieren.
[87]
Eine langfristige Beseitigung des Christentums kann daher als politisches Fernziel des Nationalsozialismus angenommen werden.
?Gottglaubigkeit“
1936 initiierten die Nationalsozialisten eine
Kirchenaustrittsbewegung
. Zwischen 1937 und 1939 verlor die evangelische Kirche mehr als eine Million Mitglieder. Auch die katholische Kirche wurde in dieser Zeit durch zahlreiche Austritte geschwacht.
[88]
Ideologisch begleitet wurde die Austrittsbewegung durch Schriften des Parteiideologen Alfred Rosenberg, insbesondere durch seinen
Mythus des 20. Jahrhunderts
,
[89]
sowie durch Veroffentlichungen
Erich Ludendorffs
und seiner Ehefrau
Mathilde
. Der Ausdruck ?gottglaubig“, gedacht als positiver Gegensatz zu ?unglaubig“, sollte echt-religiose oder nur scheinbar-religiose, konfessionell ungebundene Personen mit ideologischer Nahe zum Nationalsozialismus positiv kennzeichnen.
[90]
?Gottglaubig“ war gemaß Philosophischem Worterbuch von 1943 definiert als ?amtliche Bezeichnung fur diejenigen, die sich zu einer artgemaßen Frommigkeit und Sittlichkeit bekennen, ohne konfessionell-kirchlich gebunden zu sein, andererseits aber Religions- und Gottlosigkeit verwerfen“.
[91]
Die Einfuhrung des Begriffs fur alle kirchlich nicht gebundenen, aber nicht glaubenslosen ?
Volksgenossen
“ wird als der Versuch gesehen, eine religiose Identifikationsformel fur Funktionare und Mitglieder der NSDAP sowie der ?
Deutschglaubigen Bewegung
“ jenseits der Kirchen und sonstigen Glaubensgemeinschaften zu schaffen.
[92]
Da sowohl die Zugehorigkeit zu einer Religionsgemeinschaft als auch ?Freidenkertum“ im Nationalsozialismus nicht als karrierefordernd galten, bot die durch Erlass des
Reichsinnenministers
vom 26. November 1936 offiziell eingefuhrte Bezeichnung ?Gottglaubig“ fur konfessionslose Nationalsozialisten einen Ausweg,
[93]
um so zu dokumentieren, dass man durch einen Kirchenaustritt nicht automatisch ?unglaubig“ bzw. freidenkerisch-liberal werde.
[94]
Siehe auch
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Letzteres vertritt in ihrem Resumee Friederike Sattler:
Wirtschaftsordnung im Ubergang: Politik, Organisation und Funktion der KPD/SED im Land Brandenburg bei der Etablierung der zentralen Planwirtschaft in der SBZ/DDR 1945?52.
Band 1 (=
Diktatur und Widerstand. Wirtschaftsordnung im Ubergang: Politik, Organisation und Funktion der KPD/SED im Land Brandenburg bei der Etablierung der zentralen Planwirtschaft in der SBZ/DDR 1945?52
, Bd. 5). Lit Verlag, Munster 2002,
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, S. 508.
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a
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(= Beitrage zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Nr. 104). Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2005, S. 179.
- ↑
Vgl.
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- ↑
Adam Tooze:
Wages of Destruction: The Making and Breaking of the Nazi Economy.
2007, S. 260 ff.
- ↑
Klaus Hildebrand:
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Adam Tooze:
Wages of Destruction: The Making and Breaking of the Nazi Economy.
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Adam Tooze:
Wages of Destruction: The Making and Breaking of the Nazi Economy.
2007, S. 132 ff.
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Friederike Sattler:
Wirtschaftsordnung im Ubergang: Politik, Organisation und Funktion der KPD/SED im Land Brandenburg bei der Etablierung der zentralen Planwirtschaft in der SBZ/DDR 1945?52.
Band 1 (=
Diktatur und Widerstand. Wirtschaftsordnung im Ubergang: Politik, Organisation und Funktion der KPD/SED im Land Brandenburg bei der Etablierung der zentralen Planwirtschaft in der SBZ/DDR 1945?52
, Bd. 5). Lit Verlag, Munster 2002, S. 61 f.
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Vordenker der Vernichtung ? Auschwitz und die deutschen Plane fur eine neue europaische Ordnung.
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Vgl. Adam Tooze:
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, archiviert vom
Original
(nicht mehr online verfugbar) am
5. Oktober 2016
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abgerufen am 28. Dezember 2014
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Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik
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Filmografie: Pagen in der Traumfabrik ? Schwarze Komparsen im deutschen Spielfilm.
In:
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