Der
Friedensvertrag von Versailles
(auch
Versailler Vertrag, Friede von Versailles
) wurde am 28. Juni 1919 zwischen dem
Deutschen Reich
einerseits sowie
Frankreich
,
Großbritannien
, den
Vereinigten Staaten
und ihren Verbundeten andererseits geschlossen und beendete den
Ersten Weltkrieg
auf
volkerrechtlicher
Ebene. Der
Friedensvertrag
war auf der
Pariser Friedenskonferenz 1919
im
Schloss von Versailles
von den
Alliierten und Assoziierten Machten
ohne Beteiligung Deutschlands ausgehandelt worden. Seine Unterzeichnung war zugleich der Grundungsakt des
Volkerbunds
.
Bereits am 11. November 1918 hatte der
Waffenstillstand von Compiegne
die Kampfhandlungen des Ersten Weltkriegs beendet, nicht aber den
Kriegszustand
. Die deutsche Delegation durfte an den bis Mai 1919 andauernden Verhandlungen nicht teilnehmen, sondern konnte erst am Schluss durch schriftliche Eingaben wenige Nachbesserungen des Vertragsinhalts erwirken. Der Vertrag konstatierte die alleinige Verantwortung Deutschlands und seiner Verbundeten fur den Ausbruch des Weltkriegs und verpflichtete es zu Gebietsabtretungen, Abrustung und
Reparationszahlungen an die Siegermachte
. Nach
ultimativer
Aufforderung unterzeichnete Deutschland den Vertrag unter Protest im
Spiegelsaal von Versailles
. Nach der
Ratifizierung
und dem Austausch der Urkunden trat er am 10. Januar 1920 in Kraft.
Zu den Unterzeichnern gehorten neben Deutschland, den USA, Großbritannien und Frankreich auch
Italien
,
Japan
sowie
Belgien
,
Bolivien
,
Brasilien
,
Kuba
,
Ecuador
,
Griechenland
,
Guatemala
,
Haiti
,
Hedschas
,
Honduras
,
Liberia
,
Nicaragua
,
Panama
,
Peru
,
Polen
,
Portugal
,
Rumanien
, das
Konigreich der Serben, Kroaten und Slowenen
,
Siam
, die
Tschechoslowakei
und
Uruguay
.
China
, das sich seit 1917 mit Deutschland im Krieg befand, unterzeichnete den Vertrag nicht. Auch der
Kongress der Vereinigten Staaten
verweigerte dem Versailler Vertrag 1920 die
Ratifikation
.
[1]
Die USA traten dem Volkerbund nicht bei und schlossen 1921 einen
Sonderfrieden
mit Deutschland, den
Berliner Vertrag
.
Als weitere
Pariser Vorortvertrage
mit den Verlierern folgten am 10. September 1919 der
Vertrag von Saint-Germain
mit
Deutschosterreich
, am 27. November 1919 der
Vertrag von Neuilly-sur-Seine
mit
Bulgarien
, am 4. Juni 1920 der
Vertrag von Trianon
mit
Ungarn
sowie am 10. August 1920 der
Vertrag von Sevres
mit dem
Osmanischen Reich
.
Wegen seiner als hart erscheinenden Bedingungen und der Art seines Zustandekommens wurde der Versailler Vertrag von der Mehrheit der Deutschen als
illegitimes
und
demutigendes
Diktat
empfunden. Insbesondere die
extreme Rechte
in der
Weimarer Republik
nutzte dies, um
Nationalismus
und
Revanchismus
zu schuren. Auch unter zeitgenossischen Vertretern der Siegermachte fand er zahlreiche Kritiker, und spatere
Historiker
sahen in dem Vertrag eine der Ursachen des
Zweiten Weltkriegs
. In der neueren Forschung wird der Vertrag dagegen weniger ungunstig bewertet.
Entstehung und Ratifizierung
Der Vertrag war das Ergebnis der
Pariser Friedenskonferenz 1919
, die im
Schloss Versailles
vom 18. Januar 1919 bis zum 21. Januar 1920 tagte. Ort und Eroffnungsdatum waren nicht zufallig gewahlt worden: 1871 hatten deutsche Wurdentrager wahrend der
Belagerung von Paris
die Kaiserproklamation
im
Spiegelsaal von Versailles
vorgenommen. Dies verstarkte (neben vielen anderen Faktoren, zum Beispiel den hohen Reparationen Frankreichs an Deutschland) die
deutsch-franzosische Erbfeindschaft
und den franzosischen
Revanchismus
(?
Toujours y penser, jamais en parler
“). Frankreichs Regierungschef Georges Clemenceau erhoffte sich durch die Wahl des Ortes die Heilung eines nationalen Traumas.
[2]
Vorangegangen war am 8. Januar 1918 das
14-Punkte-Programm
von US-Prasident
Woodrow Wilson
, das aus deutscher Sicht Grundlage fur den zunachst auf 36 Tage befristeten
Waffenstillstand von Compiegne
am 11. November 1918 war.
Vorab tagte ein engerer Ausschuss des Kongresses, der sogenannte
Rat der Vier
, dem US-Prasident Woodrow Wilson, der franzosische Ministerprasident
Georges Clemenceau
, der britische Premierminister
David Lloyd George
und der italienische Minister
Vittorio Emanuele Orlando
angehorten. Der Rat legte die wesentlichen Eckpunkte des Vertrags fest. An den mundlichen Verhandlungen nahmen nur die Siegermachte teil; mit der deutschen Delegation wurden lediglich
Memoranden
ausgetauscht. Das Ergebnis der Verhandlungen wurde der deutschen Delegation schließlich als Vertragsentwurf am 7. Mai 1919 vorgelegt ? nicht zufallig am Jahrestag der Versenkung der
Lusitania
.
[3]
Die deutsche Delegation ? zu der auch die Professoren
Max Weber
,
Albrecht Mendelssohn Bartholdy
,
Walther Schucking
[4]
und
Hans Delbruck
sowie der General
Max Graf Montgelas
gehorten ? weigerte sich zu unterschreiben und drangte auf Milderung der Bestimmungen, wobei die deutsche Delegation zu den mundlichen Verhandlungen nicht zugelassen wurde; stattdessen wurden Noten ausgetauscht. Zu den wenigen Nachbesserungen in der am 16. Juni von den Alliierten vorgelegten Mantelnote gehorte die Volksabstimmung in
Oberschlesien
. Die Siegermachte ließen weitere Nachbesserungen nicht zu und verlangten ultimativ die Unterschrift. Andernfalls wurden sie ihre Truppen nach Deutschland einrucken lassen. Hierfur hatte der Oberbefehlshaber der alliierten Streitkrafte, Marschall
Ferdinand Foch
, einen Plan ausgearbeitet: Vom bereits besetzten Rheinland aus sollten die Truppen der Entente entlang des
Mains
nach Osten vorrucken, um auf kurzestem Wege die tschechische Grenze zu erreichen und so Nord- und Suddeutschland voneinander zu trennen.
[5]
In Deutschland war die Emporung uber die Friedensbedingungen einhellig groß. Ministerprasident
Philipp Scheidemann
(SPD) stellte am 12. Mai 1919 in der
Weimarer Nationalversammlung
die rhetorische Frage, die spater zum
geflugelten Wort
wurde: ?Welche Hand musste nicht verdorren, die sich und uns in solche Fesseln legte?“
[6]
Der spatere preußische Ministerprasident Otto Braun erklarte am 21. Mai, es sei ?noch nie in der Weltgeschichte ein so schamloser Betrug an einem Volke verubt“ worden. Der Vertrag ziele darauf, ?das deutsche Volk in dauernde Sklaverei zu fuhren“, daher sei er vollstandig unannehmbar und durfe nicht unterzeichnet werden.
[7]
In Kreisen um den
Oberprasidenten
von Ostpreußen,
Adolf von Batocki
, den Sozialdemokraten
August Winnig
und General
Otto von Below
wurden Plane entwickelt, die Friedensbedingungen rundweg abzulehnen und Westdeutschland den einruckenden Truppen der Siegermachte kampflos zu uberlassen. In den preußischen Ostprovinzen, wo die Reichswehr noch verhaltnismaßig stark war, sollte dann ein
Oststaat
als Widerstandszentrum gegen die Entente gegrundet werden.
[8]
Am 20. Juni 1919 trat das
Kabinett Scheidemann
zuruck. Denn unter dem Druck des drohenden Einmarsches und der trotz Waffenstillstand fortbestehenden britischen
Seeblockade
, die eine dramatische Zuspitzung der Ernahrungslage befurchten ließ, fuhrte an einer Ratifizierung des Versailler Vertrags kein Weg vorbei. Am 22. Juni 1919 votierte die Nationalversammlung mit 237 gegen 138 Stimmen fur die Annahme des Vertrags.
[9]
Scheidemanns Parteifreund und Nachfolger
Gustav Bauer
rief in der Sitzung aus:
?Wir stehen hier aus Pflichtgefuhl, in dem Bewußtsein, daß es unsere verdammte Schuldigkeit ist, zu retten zu suchen, was zu retten ist […]. Wenn die Regierung […] unter Vorbehalt unterzeichnet, so betont sie, daß sie der Gewalt weicht, in dem Entschluß, dem unsagbar leidenden deutschen Volke einen neuen Krieg, die Zerreißung seiner nationalen Einheit durch weitere Besetzung deutschen Gebietes, entsetzliche Hungersnot fur Frauen und Kinder und unbarmherzige langere Zuruckhaltung der Kriegsgefangenen zu ersparen.“
[10]
Außenminister
Hermann Muller
(
SPD
) und Verkehrsminister
Johannes Bell
(
Zentrum
) unterzeichneten daher ? unter Protest ? am 28. Juni 1919 den Vertrag.
Die Vertreter der USA, des wichtigsten
Signatarstaats
neben Großbritannien und Frankreich, hatten den Vertrag nach den zwei deutschen Delegierten zwar als Erste unterzeichnet, der amerikanische Kongress ratifizierte den Vertrag jedoch nicht. Am 19. November 1919 und nochmals am 19. Marz 1920 wurden das Vertragswerk und der Beitritt der Vereinigten Staaten zum Volkerbund abgelehnt.
[11]
Die USA schlossen daher mit Deutschland den
Berliner Vertrag vom 25. August 1921
.
Ausgangsbedingungen
Zwei der wichtigsten Machte aus der Zeit des Kriegsbeginns existierten nicht mehr:
Beide Kriegsparteien hatten sich Nationalitatenprobleme in gegnerischen Staaten zunutze gemacht: Die
Mittelmachte
hatten auf dem Gebiet des Zarenreiches
Regentschaftspolen
gegrundet und die Grundung
Litauens
wohlwollend geduldet. Die Alliierten und die
slawischen
Minderheiten der Donaumonarchie hatten sich gegenseitig unterstutzt und waren nun einander verpflichtet.
So war eine generelle Ruckkehr zu den Vorkriegsgrenzen unmoglich und die Neuordnung mit jenen Problemen belastet, die die Grenzziehung zwischen Nationalstaaten unausweichlich mit sich bringt.
Die mit Abstand schwersten Kriegsschaden an der zivilen Infrastruktur hatten
Frankreich
und das von
Deutschland
uberfallene
Belgien
zu verzeichnen.
Ziele der Siegermachte
Die Ziele Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten unterschieden sich betrachtlich; die franzosischen standen vielfach im Widerspruch zu denen der beiden angelsachsischen Machte.
Frankreich
Clemenceaus Mitarbeiter
Andre Tardieu
fasste die Ziele Frankreichs auf der Versailler Friedenskonferenz folgendermaßen zusammen: ?Sicherheit zu schaffen war die erste Pflicht. Den Wiederaufbau zu organisieren war die zweite.“
[12]
Im
Deutsch-Franzosischen Krieg
und im
Ersten Weltkrieg
waren weite Landstriche Frankreichs zum
Kriegsschauplatz
geworden. Daher war es vorrangiges Ziel Clemenceaus, neben der als selbstverstandlich angesehenen Ruckgabe
Elsass-Lothringens
in einem nachsten Krieg mit Deutschland ein erneutes
Eindringen
deutscher Streitkrafte von vornherein unmoglich zu machen. Zu diesem Zweck strebte er die Rheingrenze und eine moglichst weitgehende Schwachung Deutschlands an. Dies ging einher mit seinem zweiten Ziel: der Entschadigung fur die Kriegszerstorungen und der Abdeckung der
interalliierten Schulden
, die Frankreich vor allem bei den Vereinigten Staaten hatte. Eine vollstandige Abdeckung aller Auslagen, die der Krieg gebracht hatte, schien durchaus geeignet, den gefahrlichen Nachbarn nachhaltig zu schwachen.
[13]
Vereinigtes Konigreich
Das Vereinigte Konigreich hatte weit weniger unter dem Krieg gelitten als Frankreich, aber sich ebenfalls zur Finanzierung seiner Kriegsbeteiligung hoch bei den
Vereinigten Staaten
verschuldet. Die
britische Regierung
wollte, auch angesichts der
Entwicklung in Russland
, ein Machtvakuum in Mitteleuropa vermeiden und Deutschland daher im Sinne der klassischen
Balance-of-Power
-Strategie nicht zu sehr schwachen. Die britische Regierung wollte allerdings die deutsche Position in Ubersee nachhaltig schwachen, nachdem das Deutsche Kaiserreich
seine Flotte aufgerustet
hatte und ab ungefahr 1890
seine Kolonialpolitik intensiviert
hatte. Deutlich wird die britische Position in einem Memorandum von Premierminister
Lloyd George
vom Marz 1919:
?Man mag Deutschland seiner Kolonien berauben, seine Rustung auf eine bloße Polizeitruppe und seine Flotte auf die Starke einer Macht funften Ranges herabdrucken. Dennoch wird Deutschland zuletzt, wenn es das Gefuhl hat, dass es im Frieden von 1919 ungerecht behandelt worden ist, Mittel finden, um seine Uberwinder zur Ruckerstattung zu zwingen. […] Um Vergutung zu erreichen, mogen unsere Bedingungen streng, sie mogen hart und sogar rucksichtslos sein, aber zugleich konnen sie so gerecht sein, dass das Land, dem wir sie auferlegen, in seinem Innern fuhlt, es habe kein Recht sich zu beklagen. Aber Ungerechtigkeit und Anmaßung, in der Stunde des Triumphs zur Schau getragen, werden niemals vergessen noch vergeben werden. […] Ich kann mir keinen starkeren Grund fur einen kunftigen Krieg denken, als dass das deutsche Volk, das sich sicherlich als einer der kraftvollsten und machtigsten Stamme der Welt erwiesen hat, von einer Zahl kleinerer Staaten umgeben ware, von denen manche niemals vorher eine standfeste Regierung fur sich aufzurichten fahig war, von denen aber jeder große Mengen von Deutschen enthielte, die nach Wiedervereinigung mit ihrem Heimatland begehrten.“
[14]
Lloyd Georges finanzielle Forderungen sollten ursprunglich nur die britischen
Kriegskosten
decken. Die offentliche Meinung in Großbritannien war durch den Krieg stark gegen Deutschland aufgebracht, was sich nicht zuletzt in den sogenannten
Khaki-Wahlen
,
den Unterhauswahlen vom 14. Dezember 1918
gezeigt hatte. Unter dem starken innenpolitischen Druck hatte Lloyd George eingewilligt, dass in die
Reparationen
, die Deutschland auferlegt wurden, auch der Wert samtlicher Pensionen fur Invalide und Kriegshinterbliebene einberechnet wurde, was die Hohe der Reparationsforderungen enorm steigen ließ.
[15]
Italien
Das
Konigreich Italien
war sehr zogerlich und erst infolge des
Londoner Geheimvertrags von 1915
und der darin in Aussicht gestellten territorialen Gebietsgewinne
[16]
an der Seite der
Triple Entente
in den Krieg eingetreten, nutzte aber die Chance, mit dem Sieg die letzten ?
Irredenta
“-Gebiete
Trentino
und
Triest
dem
italienischen
Staatsgebiet
anzufugen, daruber hinaus eine leicht zu verteidigende Nordgrenze am
Brenner
zu gewinnen und eine Kolonie (
Dodekanes
). Italienische Forderungen gingen folglich im Wesentlichen in die Vertragstexte von
Saint-Germain-en-Laye
und
Sevres
ein.
USA
Das von US-Prasident Woodrow Wilson einberufene Gremium
The Inquiry
hatte bereits seit September 1917 ein Friedensprogramm vorbereitet. Amerikanische Kriegsziele waren demnach die Aufhebung samtlicher Handelsbeschrankungen und die Freiheit der Seeschifffahrt, deren Verletzung durch Deutschlands uneingeschrankten
U-Boot-Krieg
der Anlass zum Kriegseintritt der USA gewesen war. Daruber hinaus strebte Prasident Wilson eine gerechte Friedensordnung an, die einen weiteren Weltkrieg unmoglich machen sollte. Die Skizze einer solchen Friedensordnung, die auch die anderen amerikanischen Kriegsziele enthielt, hatte er im Januar 1918 mit seinem
Vierzehn-Punkte-Programm
veroffentlicht. Postuliert wurde darin unter anderem das Verbot jeglicher
Geheimdiplomatie
, ein
Selbstbestimmungsrecht der Volker
, eine weitgehende
Abrustung
, ein
Volkerbund
, der Ruckzug der Mittelmachte aus allen besetzten Gebieten und die Wiederherstellung
Polens
, das einen Zugang zum Meer erhalten sollte. Diese Forderungen waren teilweise nicht vereinbar; an der Ostseekuste gab es damals nirgends eine polnische Bevolkerungsmehrheit, weshalb der spater im Versailler Vertrag geschaffene
polnische Korridor
zur Ostsee gegen das Selbstbestimmungsrecht der Volker verstieß. Auf Grundlage dieser Forderungen strebte Wilson einen
Verstandigungsfrieden
ohne Sieger und Besiegte an, ruckte aber nach dem deutschen
?Diktatfrieden“ von Brest-Litowsk
davon ab.
Daruber hinaus setzte sich Wilson fur die Selbstbestimmung der Volker als ein unerlassliches Handlungsprinzip ein.
[17]
Inhalt
Territoriale Bestimmungen
Deutschland musste zahlreiche Gebiete abtreten:
Nordschleswig
an
Danemark
, den Großteil der Provinzen
Westpreußen
und
Posen
sowie das oberschlesische Kohlerevier und kleinere Grenzgebiete
Schlesiens
und
Ostpreußens
an den neuen polnischen Staat, die
Zweite Republik
. Außerdem fiel das
Hultschiner Landchen
an die neu gebildete Tschechoslowakei. Im Westen ging das Gebiet des
Reichslandes Elsaß-Lothringen
an Frankreich, und
Belgien
erhielt das Gebiet
Eupen
-
Malmedy
mit einer ebenfalls uberwiegend deutschsprachigen Bevolkerung. Insgesamt verlor das Reich 13 % seines vorherigen Gebietes und 10 % der Bevolkerung. Daruber hinaus wurde der gesamte
reichsdeutsche Kolonialbesitz
dem Volkerbund unterstellt, der ihn als
Mandatsgebiete
an interessierte Siegermachte ubergab. Deutschland musste die Souveranitat Osterreichs anerkennen. Der von
Deutschosterreich
angestrebte Zusammenschluss mit dem nun republikanischen Deutschland wurde im Artikel 80 des Versailler Vertrags untersagt. Dieses Anschlussverbot fand sich ebenfalls in Artikel 88 des Vertrags von Saint-Germain.
Deutsche Gebietsverluste durch den Versailler Vertrag
Ohne Volksabstimmung sofort abgetreten
Nach Volksabstimmungen abgetreten
- Nordschleswig
stimmte mit einer Dreiviertelmehrheit fur
Danemark
; der Sudteil des Schleswigschen Abstimmungsgebiets verblieb mit einer Mehrheit von 80 Prozent bei Deutschland.
- Wahrend der
Volksabstimmung am 20. Marz 1921
war
Oberschlesien
von alliierten Truppen besetzt, damit deutsche Behorden nicht Druck zulasten der polnischen Option ausuben konnten. 60 Prozent der Stimmberechtigten votierten fur den Verbleib bei Deutschland. Nachdem ein gewalttatiger
polnischer Aufstand
am Widerstand deutscher
Freikorps
gescheitert war, beschloss der Oberste Rat der Alliierten im Oktober 1921, das Abstimmungsgebiet zu teilen,
[18]
eine Moglichkeit, die der Versailler Vertrag explizit vorsah. So kam ein Gebiet von etwa einem Drittel der Flache in
Ostoberschlesien
, wo es insgesamt eine Stimmenmehrheit fur Polen gegeben hatte, am 20. Juni 1922 an Polen. Im abgetretenen Teil war bislang fast ein Viertel der deutschen
Steinkohle
gefordert worden. Die Abtrennung verbitterte viele Deutsche, weil die Teilung erst nach der Abstimmung beschlossen wurde und dadurch der großere Teil des industriell wertvollen
Oberschlesischen Industriegebiets
an Polen ging.
[19]
Durch die raumliche Heterogenitat der Stimmenmehrheiten fielen mehrere Orte entgegen der jeweiligen Stimmenmehrheit an Polen. Auch die Kunstlichkeit der Grenzziehung in diesem Ballungsraum, teilweise durch Industriebetriebe und Bergwerke, nahrte die Verbitterung.
- Eupen-Malmedy (
Ostbelgien
) sowie das bisherige
Neutral-Moresnet
an
Belgien
; ursprunglich ohne Abstimmung, eine spatere Abstimmung bestatigte die Zugehorigkeit zu Belgien. Ob die Abstimmung korrekt war oder nicht, wurde von beiden Seiten gegensatzlich dargestellt. Das abgetretene Gebiet umfasste sowohl Gemeinden mit franzosischsprachigen (
Malmedy
,
Weismes
) als auch mit deutschsprachigen Bevolkerungsgruppen (
Eupen
,
Sankt Vith
und andere). Letztere bilden heute die
Deutschsprachige Gemeinschaft
Belgiens.
Nach Volksabstimmungen nicht verloren
Dem Volkerbund unterstellt
Befristet von den Siegermachten besetzt
- Das
Rheinland
; die Raumung sollte bis spatestens 1935 erfolgen. Diese Befristung der
Alliierten Rheinlandbesetzung
hatten die Angelsachsen den Franzosen, deren Ziel ursprunglich die Abtrennung des Rheinlands vom Reich gewesen war, nur schwer abringen konnen. Um die Sicherheit Frankreichs vor Deutschland auch ohne einen solchen massiven Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht der Volker zu gewahrleisten, schlossen die USA und Großbritannien mit der Franzosischen Republik ein Garantieabkommen ab, das jeden erneuten deutschen Angriff auf Frankreich zum
Casus Belli
erklarte. Dieses Garantieabkommen wurde aber wie der gesamte Vertrag vom amerikanischen Kongress nicht ratifiziert, weshalb auch die Briten davon Abstand nahmen.
Wirkung der Gebietsverluste auf die Staatsangehorigkeit
Nach Artikel 91 des Versailler Vertrags erwarben grundsatzlich alle deutschen Reichsangehorigen, die ihren Wohnsitz in den endgultig als Bestandteil des wiedererrichteten polnischen Staates anerkannten Gebieten hatten, von Rechts wegen die
polnische Staatsangehorigkeit
unter Verlust der deutschen. Zwei Jahre lang nach Inkrafttreten des Vertrags waren die hier wohnhaften uber 18 Jahre alten
deutschen Reichsangehorigen
berechtigt, fur die deutsche Staatsangehorigkeit zu optieren. Polen deutscher Reichsangehorigkeit im Alter von uber 18 Jahren, die in Deutschland ihren Wohnsitz hatten, waren berechtigt, fur die polnische Staatsangehorigkeit zu optieren. Allen Personen, die von dem Optionsrecht Gebrauch machten, stand es frei, innerhalb von zwolf Monaten ihren Wohnsitz in den Staat zu verlegen, fur den sie optiert hatten. Sie durften dabei ihr gesamtes bewegliches Gut zollfrei mitnehmen. Es stand ihnen frei, das unbewegliche Gut zu behalten, das sie im Gebiete des anderen Staates besaßen, in dem sie vor der Option wohnten.
[20]
[21]
Diese Bestimmungen erzeugten in den ersten Jahren nach der
Transformation
in innerstaatliches Recht eine nicht unerhebliche Wanderungsbewegung zwischen dem Deutschen Reich und Polen. Viele Deutsche, die die deutsche Reichs- und Staatsangehorigkeit nicht verlieren wollten und entsprechend optiert hatten, sahen sich gezwungen, ihre angestammte Heimat zu verlassen und auch ihren Grundbesitz zu verkaufen, um sich im Reich wieder eine Existenz aufzubauen. Polen sah die in den Nachkriegswirren vorubergehend Abgewanderten als stillschweigende Optanten an, auch wenn diese Deutschen sich noch nicht fur oder gegen die deutsche Staatsangehorigkeit entschieden hatten. Das dadurch erhohte Angebot auf dem polnischen Grundstucksmarkt fuhrte zu fallenden Preisen der Grundstucke und zu Vermogensverlusten.
[22]
Als Folge des Wiener Abkommens
emigrierten
zwischen 1924 und dem Sommer 1926 etwa 26.000 Deutsche teils freiwillig, teils erzwungen aus dem neuen polnischen Staat. Das Deutsche Reich war fur die Aufnahme dieser Menschen schlecht vorbereitet. Die meisten wurden zunachst in einem Lager bei
Schneidemuhl
aufgefangen.
[23]
Militarische Bestimmungen
In der Praambel zum funften Teil des Vertrages, den ?Bestimmungen uber Landheer, Seemacht und Luftfahrt“ (Artikel 159 bis 213), wurde erklart, dass sich Deutschland, ?um den Anfang einer allgemeinen Beschrankung der Rustungen aller Nationen zu ermoglichen“, zur genauen Befolgung der nachstehenden Bestimmungen uber die Land-, See- und Luftstreitkrafte verpflichtet.
- Berufsarmee mit maximal 100.000 Mann einschließlich von hochstens 4.000 Offizieren
- keine allgemeine
Wehrpflicht
- Auflosung des
Großen Generalstabs
- Beschrankung auf eine einmalige Dienstzeit von zwolf Jahren ohne Wiederverpflichtungsmoglichkeit, maximal 5 % der Mannschaften durften vorzeitig jahrlich ausscheiden (so sollte einer heimlichen Wehrpflicht vorgebeugt werden)
[24]
- Verbot von militarischen Vereinen, Militarmissionen und
Mobilmachungsmaßnahmen
- Marine mit 15.000 Mann
, sechs gepanzerten Schiffen, sechs
Kreuzern
, 12
Zerstorern
und 12
Torpedobooten
[25]
- keine schweren Waffen wie
U-Boote
,
Panzer
,
Schlachtschiffe
- Verbot
chemischer Kampfstoffe
- Beschrankung der Waffenvorrate (102.000 Gewehre, 40,8 Mio. Gewehrpatronen)
- Verbot des Wiederaufbaus von
Luftstreitkraften
- Demilitarisierung
des Rheinlands und eines 50 Kilometer breiten Streifens ostlich des Rheins
[26]
- Verbot des
Festungsbaus
entlang der deutschen Grenze
- Verbot von Befestigung und
Artillerie
zwischen Ost- und Nordsee
- Im Weiteren wurden jegliche Maßnahmen verboten, die als zur Vorbereitung eines Krieges geeignet betrachtet wurden. Dies hatte unter anderem Auswirkungen auf das
Deutsche Rote Kreuz
, das in der Folge seine Ursprungsaufgabe in den Hintergrund stellen musste.
Artikel 177 des Vertrages verlangte die Abgabe bzw. Anzeige samtlicher Militarwaffen in zivilem Besitz. Der
Deutsche Reichstag
beschloss in der Folge am 5. August 1920 (damals regierte das
Kabinett Fehrenbach
) mehrheitlich das Entwaffnungsgesetz.
[27]
[28]
[29]
Im Abschnitt IV. legten die Artikel 203 bis 210 die Einrichtung und Arbeitsweise
?Interalliierter Uberwachungsausschusse“
zwecks Uberwachung der Einhaltung dieser Bestimmungen fest.
Strafbestimmungen
Der Vertrag sah in seinem siebten Teil Strafbestimmungen fur deutsche
Kriegsverbrecher
vor. Namentlich der ehemalige Kaiser
Wilhelm von Hohenzollern
sollte ?wegen schwerster Verletzung der internationalen Moral und der Heiligkeit der Vertrage“ vor einem eigens einzurichtenden Gerichtshof der Siegermachte der Prozess gemacht werden. Deutschland musste einwilligen, alle Personen auszuliefern, denen Kriegsverbrechen zur Last gelegt wurden.
[30]
Kriegsschuldartikel (Artikel 231) als Grundlage fur Reparationsforderungen
Im Artikel 231, dem so genannten
Kriegsschuldartikel
, heißt es:
?Die alliierten und assoziierten Regierungen erklaren, und Deutschland erkennt an, daß Deutschland und seine Verbundeten als Urheber fur alle Verluste und Schaden verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehorigen infolge des Krieges, der ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbundeten aufgezwungen wurde, erlitten haben.“
Der Vertrag wies allein Deutschland und seinen Verbundeten die Rolle des Aggressors im Ersten Weltkrieg zu. Er bedeutete eine anfangliche Isolation Deutschlands, das sich als Sundenbock fur die Verfehlungen der anderen europaischen Staaten vor dem Weltkrieg sah.
Die einseitige Schuldzuweisung an Deutschland loste dort die
Kriegsschulddebatte
aus. Die Unterschriften durch Hermann Muller und Johannes Bell, die durch die
Weimarer Nationalversammlung
1919 in ihre Amter gelangt waren, nahrten die vor allem durch
Paul von Hindenburg
und
Erich Ludendorff
sowie spater von
Adolf Hitler
propagierte
Dolchstoßlegende
.
Historiker beurteilen die Ursachen des Ersten Weltkriegs heute differenzierter, als es in dem Vertrag ausgedruckt wird. Der Artikel 231 sollte nicht die historischen Ereignisse bewerten, sondern die fur das Deutsche Reich nachteiligen Friedensbedingungen juristisch und moralisch legitimieren. Daruber hinaus sollte das Deutsche Reich finanziell fur die Schaden an Land und Menschen haftbar gemacht werden, welche die kaiserlichen Truppen insbesondere in Frankreich angerichtet hatten. Der Vertrag von Versailles legte daher den Grund fur die Reparationsforderungen an das Deutsche Reich, deren Hohe allerdings zunachst nicht festgelegt wurde. Die Vertreter des Deutschen Reiches protestierten gegen den Artikel 231 daher nicht bloß aus Grunden der Selbstrechtfertigung, sondern mit dem Ziel, die moralische Basis der gegnerischen Forderungen insgesamt nicht zu untermauern. Die
deutschen Reparationen nach dem Ersten Weltkrieg
belasteten den neuen republikanischen Staat. Sie waren eine von mehreren Ursachen der Inflation der folgenden Jahre bis 1923.
[31]
Wirtschaftliche Bestimmungen und Reparationen
Das Deutsche Reich wurde zur Wiedergutmachung durch Geld- und Sachleistungen in noch durch die
Reparationskommission
festzulegender Hohe verpflichtet. Eine erste Rate von 20 Milliarden
Goldmark
war bis April 1921 zu zahlen.
[32]
Außerdem wurde eine Verkleinerung der reichsdeutschen Handelsflotte festgeschrieben. Die großen deutschen Schifffahrtswege, namentlich
Elbe
,
Oder
,
Donau
und
Memel
, wurden fur international erklart.
[33]
Fur funf Jahre musste das Deutsche Reich den Siegermachten einseitig die
Meistbegunstigung
gewahren. Im sogenannten
Champagnerparagraphen
274 wurde festgelegt, dass Produktbezeichnungen, die ursprunglich Herkunftsbezeichnungen aus den Landern der Siegermachte waren, nur noch verwendet werden durften, wenn die so bezeichneten Produkte auch tatsachlich aus der genannten Region stammten: Seitdem darf
Branntwein
in Deutschland nicht mehr als
Cognac
und
Schaumwein
nicht mehr als
Champagner
verkauft werden ? Bezeichnungen, die bis dahin in den deutschen Landern durchaus ublich waren.
Luxemburg
musste die bislang bestehende
Zollunion
mit dem Deutschen Reich aufgeben.
Volkerbund
Außerdem sah der Vertrag die Grundung des
Volkerbunds
vor, eines der erklarten Ziele von Prasident Wilson. Der Volkerbund war Vorlauferorganisation der heutigen
Vereinten Nationen
, die nach dem
Zweiten Weltkrieg
gegrundet wurden. Deutschland war bis 1926 kein Mitglied.
Internationale Arbeitsorganisation
Ebenso wurde durch den Versailler Vertrag (Kapitel XIII) die
Internationale Arbeitsorganisation
(ILO) ins Leben gerufen, welche bis heute besteht. Auch die Regelungen uber diese Organisation sind in allen Pariser Vorortevertragen enthalten und heben Problemstellungen der Arbeitswelt erstmals auf die Stufe des internationalen Rechtssystems. Der Versailler Vertrag geht somit uber die Regelungen klassischer Friedensvertrage hinaus.
Garantiebestimmungen
Als Garantie fur die Durchfuhrung der ubrigen Bestimmungen des Vertrags wurde eine alliierte Besetzung des linksrheinischen Gebietes und zusatzlicher Bruckenkopfe bei
Koln
,
Koblenz
und
Mainz
vereinbart. Diese sollte zeitlich gestaffelt 5, 10 und 15 Jahre nach dem Ratifizierungsdatum aufgehoben werden (Artikel 428?430).
Women’s International League for Peace and Freedom
Frauen waren bei den Friedensverhandlungen in Versailles nicht zugelassen. Vergeblich drangten sie auf einen Platz am Verhandlungstisch. In der festen Uberzeugung, dass ein gerechter, nachhaltiger Frieden nur mit Einbezug der Frauen moglich ist, organisierten Feministinnen und Pazifistinnen deshalb 1919 in
Zurich
die Folgekonferenz des 1915 in
Den Haag
stattgefundenen
Internationalen Frauenfriedenskongresses
. Anlasslich der Konferenz erhielt die Organisation ihren heutigen Namen
Women’s International League for Peace and Freedom
. Ziel der Konferenz war, Frieden durch mehr soziale Gerechtigkeit, eine bessere Rechtsstellung von Frauen und das nationale Selbstbestimmungsrecht auch fur die Kolonialbevolkerungen zu sichern.
[34]
[35]
[36]
Folgen
Der Vertrag wurde nie zur Ganze umgesetzt. Dies betraf vor allem die Reparationsforderungen, die militarischen und die Strafbestimmungen: Statt die gesamten Kriegskosten der Siegermachte einschließlich Witwen- und Waisenrenten sowie interalliierte Kriegsschulden abzudecken, bezahlte das Deutsche Reich nach offizieller Rechnung insgesamt nur 21,8 Milliarden Goldmark.
[37]
Durch Aufbau und Unterhalt der so genannten
Schwarzen Reichswehr
verstieß Deutschland von Beginn an gegen die im Versailler Vertrag festgelegte Sollstarke seiner Armee.
[37]
Die Bestrafung der mutmaßlichen Kriegsverbrecher blieb sogar fast ganzlich aus. Die Niederlande gewahrten dem ehemaligen Kaiser Asyl und verweigerten seine Auslieferung. Die ubrigen mutmaßlichen Kriegsverbrecher wurden auf einer Liste der Siegermachte aufgezahlt, die 895 Personen umfasste, darunter so prominente wie der ehemalige Reichskanzler
Theobald von Bethmann Hollweg
, den ehemaligen Kronprinzen
Wilhelm von Preußen
, Großadmiral
Alfred von Tirpitz
, Hindenburg und Ludendorff. 1920 verzichteten sie jedoch auf deren Uberstellung gegen die Zusicherung des Reiches, Kriegsverbrechern wurde vor dem
Reichsgericht
der Prozess gemacht.
[38]
Die
Leipziger Prozesse
, die 1921 durchgefuhrt wurden, blieben reine Schauverfahren, einen ernsthaften Versuch, Kriegsverbrechen zu ahnden, stellten sie nicht dar.
[39]
Das Deutsche Reich wurde durch die territorialen Abtretungen in seiner Wirtschaftskraft erheblich geschwacht. Große Teile seiner
Schwerindustrie
wurden getroffen. Es verlor 80 % seiner
Eisenerzvorkommen
, 63 % der Zinkerzlager, 28 % seiner
Steinkohleforderung
und 40 % seiner
Hochofen
. Der Verlust Posens und Westpreußens verringerte die landwirtschaftliche Nutzflache um 15 %, die Getreideernte um 17 % und den Viehbestand um 12 %. Die deutsche Landwirtschaft konnte diesen Verlust zunachst nicht ausgleichen. Deutschlands Bevolkerung verringerte sich um sieben Millionen Menschen (11 %), von denen in den Folgejahren etwa eine Million ins Reich stromte, vor allem aus Elsass-Lothringen und aus den an Polen abgetretenen Gebieten. Durch den Verlust von 90 % der
Handelsmarine
und des gesamten Auslandsvermogens wurde der deutsche Außenhandel stark beeintrachtigt.
Da das Deutsche Reich seine Armee nach Art. 159 ff. Versailler Vertrag auf eine Starke von 115.000 Soldaten (100.000 Heer und 15.000 Marine) verkleinern musste, war es nicht in der Lage, eine etwaige alliierte Invasion militarisch zu verhindern. Bereits 1921 drohten die Siegerstaaten im
Londoner Ultimatum
mit einer Besetzung des Ruhrgebiets; 1923 wurde es dann von franzosisch-belgischen Truppen tatsachlich besetzt (→
Ruhrbesetzung
).
Verschiedene Historiker bezeichneten es als ein Grundproblem des Versailler Vertrages, dass er zwei Ziele gleichzeitig zu erreichen versuchte: zum einen die von Wilson vertretenen Ideale der Selbstbestimmung der Volker und der territorialen Ubereinstimmung zwischen Volk und Staat, zum anderen die Absichten der Siegermachte, insbesondere Frankreichs, das Deutsche Reich entscheidend zu schwachen.
[40]
Sebastian Haffner
schrieb nach dem Zweiten Weltkrieg, das Deutsche Reich als immer noch starkste und geographisch in der Mitte beheimatete, also fur die Stabilitat des Kontinents unentbehrliche europaische Macht sei ?weder dauerhaft entmachtet noch dauerhaft integriert“ worden.
Der Vertrag von Versailles ? gelegentlich ?
Karthagischer Friede
“ genannt ? war fur Deutschland zu hart, als dass ein als politische Einheit und wirtschaftliche Großmacht bestehen gebliebenes Deutsches Reich ihn dauerhaft akzeptieren wurde. Gleichwohl ließ er es machtig genug, dass eine deutsche Regierung weniger als 20 Jahre spater Revanchegedanken in Politik umsetzen konnte, womit sie Europa in die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs sturzte. Marschall Foch außerte zur Zeit des Vertragsabschlusses: ?Das ist kein Frieden. Das ist ein zwanzigjahriger Waffenstillstand.“ ? Foch war fur eine Zerschlagung des Deutschen Reiches eingetreten.
John Maynard Keynes
, der Vertreter des Schatzamts der britischen Delegation bei den Vertragsverhandlungen, trat noch vor Abschluss der Verhandlungen unter Protest gegen die Vertragsbedingungen, die Deutschland auferlegt werden sollten, von seinem Posten in der Delegation zuruck. Auf Anraten des sudafrikanischen Konferenzteilnehmers
Jan Christiaan Smuts
verfasste er ein Buch uber
die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages
, in dem er darlegte, dass die Deutschland auferlegten Zahlungsverpflichtungen sowohl die internationalen Wirtschaftsbeziehungen destabilisieren als auch großeren sozialen Sprengstoff fur Deutschland mit sich fuhren wurden.
[41]
Die Friedensbedingungen wurden in Deutschland als uberraschend und als extrem hart empfunden. Lange hatte die deutsche
Offentlichkeit
geglaubt, auf der Grundlage der wilsonschen Vierzehn Punkte einen milden Frieden erreichen zu konnen, der im Wesentlichen den
Status quo
ante
wiederherstellen wurde. Der Kulturphilosoph
Ernst Troeltsch
schrieb, Deutschland habe sich im ?Traumland der Waffenstillstandsperiode“ befunden, aus dem es mit der Veroffentlichung der Friedensbedingungen brutal geweckt worden sei.
[42]
Hinzu kam die Tatsache, dass die Siegermachte das Deutsche Reich von den Verhandlungen ausgeschlossen und ihm nur am Schluss schriftliche
Eingaben
gestattet hatten: Das Schlagwort vom ?
Versailler Diktat
“ machte die Runde. Diese beiden Faktoren trugen dazu bei, dass der Widerstand der Reichsregierung gegen den Vertrag, wie der Historiker
Hans-Ulrich Wehler
schreibt, ?von einem nahezu luckenlosen Konsens im ganzen Land“ getragen wurde.
[43]
In den folgenden Jahren war die
Revision
dieses Vertrages erklartes Ziel der deutschen Außenpolitik: Weder die ?
Legitimitat
des Friedens“
[44]
noch die Tatsache, dass Deutschland den Krieg militarisch verloren hatte (→
Dolchstoßlegende
), wurden akzeptiert. Auf unterschiedlichen Wegen versuchten alle Regierungen der Weimarer Republik, die ?Fesseln von Versailles abzuschutteln“, weshalb man von einem regelrechten ?Weimarer Revisionssyndrom“ sprechen kann. Neben der Art seines Zustandekommens und den Inhalten des Vertrages ? insbesondere auch die Gebietsabtretungen mit deutschen Bevolkerungsgruppen ? beschadigte dieses Revisionssyndrom nachhaltig das Ansehen der demokratischen Westmachte und das Vertrauen in die neue
Demokratie
in Deutschland.
[45]
Manche Historiker sehen in dem Vertrag eine wichtige Ursache fur den Aufstieg des
Nationalsozialismus
. So außerte
Theodor Heuss
, damals liberaler Reichstagsabgeordneter, 1932 in seiner Schrift
Hitlers Weg
: ?Der Ausgangspunkt der nationalsozialistischen Bewegung ist nicht Munchen, sondern Versailles.“
[46]
In der neueren Forschung wird der Vertrag in gunstigerem Licht gesehen: Er habe in den Grenzen des damals Moglichen Frieden geschaffen, eine neue internationale Ordnung etabliert und eine offene Zukunft ermoglicht, die nicht zwangslaufig auf den nachsten Krieg hinausgelaufen sei.
[47]
[48]
Auf die hohen Reparationsforderungen und die Industriedemontagen im Ruhrgebiet versuchte die deutsche Reichsregierung mit einem Generalstreik zu reagieren, der mit standig nachgedrucktem Geld unterstutzt werden sollte. Das heizte die Inflation zu einer
Hyperinflation
an, die große Teile der Bevolkerung in Not und Elend sturzte. Sie war vor allem dadurch zustande gekommen, dass den Kriegsanleihen, mit denen das Kaiserreich vorher den Krieg finanziert hatte, durch die militarische Niederlage keine Sachwerte gegenuberstanden. Wahrend und nach der Inflation geriet das Reich in eine zunehmende Abhangigkeit von auslandischen Krediten, besonders US-amerikanischen. Die von den USA ausgehende
Weltwirtschaftskrise
traf das Deutsche Reich extrem hart, da seine Volkswirtschaft starker als andere mit der US-Wirtschaft verwoben war.
Die durch den Versailler Vertrag begrundeten bedeutsamen wirtschaftlichen Folgen und die außenpolitische Isolation des Deutschen Reichs versuchte
Walther Rathenau
im
Vertrag von Rapallo
zu entscharfen. Darin wurde das Verhaltnis zur
Sowjetunion
normalisiert und auf gegenseitige Anspruche verzichtet. Die militarischen Bestimmungen des Vertrags wurden unter anderem durch die
geheime Zusammenarbeit zwischen Roter Armee und Reichswehr
zu umgehen versucht.
Hitler konnte in den ersten Jahren seiner Regierungszeit durch die Beseitigung der letzten Zwange des Versailler Vertrags, unter anderem durch die militarische Wiederaufrustung und
Wiederbesetzung des Rheinlandes
, großes innenpolitisches Prestige gewinnen. Die USA zogen sich alsbald von der europaischen Politik zuruck. Frankreich und Großbritannien entschieden sich fur eine
Appeasement-Politik
.
Der kleine Vertrag von Versailles
Neben dem hier erlauterten Friedensvertrag von Versailles existiert noch ein weiterer weniger bekannter
Pariser Vorortvertrag
mit gleichem Namen. So wird der polnische Minderheitenvertrag vom 28. Juni 1919 als ?der kleine Vertrag von Versailles“ bezeichnet. Dabei handelt es sich um den ersten volkerrechtlichen Vertrag mit konkret ausgearbeiteten
Schutzrechtbestimmungen
fur
nationale Minderheiten
.
Siehe auch
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Weblinks
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Archiviert vom
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