Friedensvertrag von Versailles

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William Orpen : The Signing of Peace in the Hall of Mirrors . Vertragsunterzeichnung in der Spiegelgalerie des Schlosses von Versailles 1919.
?Gesetz uber den Friedensschluß zwischen Deutschland und den alliierten und assoziierten Machten“. Veroffentlicht im Deutschen Reichsgesetzblatt vom 12. August 1919 mit dem kompletten, 3-sprachigen Vertragstext
The Signing of the Peace Treaty of Versailles

Der Friedensvertrag von Versailles (auch Versailler Vertrag, Friede von Versailles ) wurde am 28. Juni 1919 zwischen dem Deutschen Reich einerseits sowie Frankreich , Großbritannien , den Vereinigten Staaten und ihren Verbundeten andererseits geschlossen und beendete den Ersten Weltkrieg auf volkerrechtlicher Ebene. Der Friedensvertrag war auf der Pariser Friedenskonferenz 1919 im Schloss von Versailles von den Alliierten und Assoziierten Machten ohne Beteiligung Deutschlands ausgehandelt worden. Seine Unterzeichnung war zugleich der Grundungsakt des Volkerbunds .

Bereits am 11. November 1918 hatte der Waffenstillstand von Compiegne die Kampfhandlungen des Ersten Weltkriegs beendet, nicht aber den Kriegszustand . Die deutsche Delegation durfte an den bis Mai 1919 andauernden Verhandlungen nicht teilnehmen, sondern konnte erst am Schluss durch schriftliche Eingaben wenige Nachbesserungen des Vertragsinhalts erwirken. Der Vertrag konstatierte die alleinige Verantwortung Deutschlands und seiner Verbundeten fur den Ausbruch des Weltkriegs und verpflichtete es zu Gebietsabtretungen, Abrustung und Reparationszahlungen an die Siegermachte . Nach ultimativer Aufforderung unterzeichnete Deutschland den Vertrag unter Protest im Spiegelsaal von Versailles . Nach der Ratifizierung und dem Austausch der Urkunden trat er am 10. Januar 1920 in Kraft.

Zu den Unterzeichnern gehorten neben Deutschland, den USA, Großbritannien und Frankreich auch Italien , Japan sowie Belgien , Bolivien , Brasilien , Kuba , Ecuador , Griechenland , Guatemala , Haiti , Hedschas , Honduras , Liberia , Nicaragua , Panama , Peru , Polen , Portugal , Rumanien , das Konigreich der Serben, Kroaten und Slowenen , Siam , die Tschechoslowakei und Uruguay . China , das sich seit 1917 mit Deutschland im Krieg befand, unterzeichnete den Vertrag nicht. Auch der Kongress der Vereinigten Staaten verweigerte dem Versailler Vertrag 1920 die Ratifikation . [1] Die USA traten dem Volkerbund nicht bei und schlossen 1921 einen Sonderfrieden mit Deutschland, den Berliner Vertrag .

Als weitere Pariser Vorortvertrage mit den Verlierern folgten am 10. September 1919 der Vertrag von Saint-Germain mit Deutschosterreich , am 27. November 1919 der Vertrag von Neuilly-sur-Seine mit Bulgarien , am 4. Juni 1920 der Vertrag von Trianon mit Ungarn sowie am 10. August 1920 der Vertrag von Sevres mit dem Osmanischen Reich .

Wegen seiner als hart erscheinenden Bedingungen und der Art seines Zustandekommens wurde der Versailler Vertrag von der Mehrheit der Deutschen als illegitimes und demutigendes Diktat empfunden. Insbesondere die extreme Rechte in der Weimarer Republik nutzte dies, um Nationalismus und Revanchismus zu schuren. Auch unter zeitgenossischen Vertretern der Siegermachte fand er zahlreiche Kritiker, und spatere Historiker sahen in dem Vertrag eine der Ursachen des Zweiten Weltkriegs . In der neueren Forschung wird der Vertrag dagegen weniger ungunstig bewertet.

Entstehung und Ratifizierung

Amerikanische Karikatur zur militarischen Drohkulisse gegen Deutschland: Weil Wilsons 14-Punkte-Plan angeblich nicht eingehalten wird, fugt Marschall Foch als 15. Punkt seine Sabelspitze hinzu.

Der Vertrag war das Ergebnis der Pariser Friedenskonferenz 1919 , die im Schloss Versailles vom 18. Januar 1919 bis zum 21. Januar 1920 tagte. Ort und Eroffnungsdatum waren nicht zufallig gewahlt worden: 1871 hatten deutsche Wurdentrager wahrend der Belagerung von Paris die Kaiserproklamation im Spiegelsaal von Versailles vorgenommen. Dies verstarkte (neben vielen anderen Faktoren, zum Beispiel den hohen Reparationen Frankreichs an Deutschland) die deutsch-franzosische Erbfeindschaft und den franzosischen Revanchismus (? Toujours y penser, jamais en parler “). Frankreichs Regierungschef Georges Clemenceau erhoffte sich durch die Wahl des Ortes die Heilung eines nationalen Traumas. [2]

Vorangegangen war am 8. Januar 1918 das 14-Punkte-Programm von US-Prasident Woodrow Wilson , das aus deutscher Sicht Grundlage fur den zunachst auf 36 Tage befristeten Waffenstillstand von Compiegne am 11. November 1918 war.

Vorab tagte ein engerer Ausschuss des Kongresses, der sogenannte Rat der Vier , dem US-Prasident Woodrow Wilson, der franzosische Ministerprasident Georges Clemenceau , der britische Premierminister David Lloyd George und der italienische Minister Vittorio Emanuele Orlando angehorten. Der Rat legte die wesentlichen Eckpunkte des Vertrags fest. An den mundlichen Verhandlungen nahmen nur die Siegermachte teil; mit der deutschen Delegation wurden lediglich Memoranden ausgetauscht. Das Ergebnis der Verhandlungen wurde der deutschen Delegation schließlich als Vertragsentwurf am 7. Mai 1919 vorgelegt ? nicht zufallig am Jahrestag der Versenkung der Lusitania . [3] Die deutsche Delegation ? zu der auch die Professoren Max Weber , Albrecht Mendelssohn Bartholdy , Walther Schucking [4] und Hans Delbruck sowie der General Max Graf Montgelas gehorten ? weigerte sich zu unterschreiben und drangte auf Milderung der Bestimmungen, wobei die deutsche Delegation zu den mundlichen Verhandlungen nicht zugelassen wurde; stattdessen wurden Noten ausgetauscht. Zu den wenigen Nachbesserungen in der am 16. Juni von den Alliierten vorgelegten Mantelnote gehorte die Volksabstimmung in Oberschlesien . Die Siegermachte ließen weitere Nachbesserungen nicht zu und verlangten ultimativ die Unterschrift. Andernfalls wurden sie ihre Truppen nach Deutschland einrucken lassen. Hierfur hatte der Oberbefehlshaber der alliierten Streitkrafte, Marschall Ferdinand Foch , einen Plan ausgearbeitet: Vom bereits besetzten Rheinland aus sollten die Truppen der Entente entlang des Mains nach Osten vorrucken, um auf kurzestem Wege die tschechische Grenze zu erreichen und so Nord- und Suddeutschland voneinander zu trennen. [5]

In Deutschland war die Emporung uber die Friedensbedingungen einhellig groß. Ministerprasident Philipp Scheidemann (SPD) stellte am 12. Mai 1919 in der Weimarer Nationalversammlung die rhetorische Frage, die spater zum geflugelten Wort wurde: ?Welche Hand musste nicht verdorren, die sich und uns in solche Fesseln legte?“ [6] Der spatere preußische Ministerprasident Otto Braun erklarte am 21. Mai, es sei ?noch nie in der Weltgeschichte ein so schamloser Betrug an einem Volke verubt“ worden. Der Vertrag ziele darauf, ?das deutsche Volk in dauernde Sklaverei zu fuhren“, daher sei er vollstandig unannehmbar und durfe nicht unterzeichnet werden. [7] In Kreisen um den Oberprasidenten von Ostpreußen, Adolf von Batocki , den Sozialdemokraten August Winnig und General Otto von Below wurden Plane entwickelt, die Friedensbedingungen rundweg abzulehnen und Westdeutschland den einruckenden Truppen der Siegermachte kampflos zu uberlassen. In den preußischen Ostprovinzen, wo die Reichswehr noch verhaltnismaßig stark war, sollte dann ein Oststaat als Widerstandszentrum gegen die Entente gegrundet werden. [8]

Am 20. Juni 1919 trat das Kabinett Scheidemann zuruck. Denn unter dem Druck des drohenden Einmarsches und der trotz Waffenstillstand fortbestehenden britischen Seeblockade , die eine dramatische Zuspitzung der Ernahrungslage befurchten ließ, fuhrte an einer Ratifizierung des Versailler Vertrags kein Weg vorbei. Am 22. Juni 1919 votierte die Nationalversammlung mit 237 gegen 138 Stimmen fur die Annahme des Vertrags. [9] Scheidemanns Parteifreund und Nachfolger Gustav Bauer rief in der Sitzung aus:

?Wir stehen hier aus Pflichtgefuhl, in dem Bewußtsein, daß es unsere verdammte Schuldigkeit ist, zu retten zu suchen, was zu retten ist […]. Wenn die Regierung […] unter Vorbehalt unterzeichnet, so betont sie, daß sie der Gewalt weicht, in dem Entschluß, dem unsagbar leidenden deutschen Volke einen neuen Krieg, die Zerreißung seiner nationalen Einheit durch weitere Besetzung deutschen Gebietes, entsetzliche Hungersnot fur Frauen und Kinder und unbarmherzige langere Zuruckhaltung der Kriegsgefangenen zu ersparen.“ [10]

Außenminister Hermann Muller ( SPD ) und Verkehrsminister Johannes Bell ( Zentrum ) unterzeichneten daher ? unter Protest ? am 28. Juni 1919 den Vertrag.

The Accuser . Karikatur des amerikanischen Zeichners Rollin Kirby aus dem Jahr 1920: Die Menschheit klagt den Senat der Vereinigten Staaten an, weil er den Versailler Vertrag ermordet hat.

Die Vertreter der USA, des wichtigsten Signatarstaats neben Großbritannien und Frankreich, hatten den Vertrag nach den zwei deutschen Delegierten zwar als Erste unterzeichnet, der amerikanische Kongress ratifizierte den Vertrag jedoch nicht. Am 19. November 1919 und nochmals am 19. Marz 1920 wurden das Vertragswerk und der Beitritt der Vereinigten Staaten zum Volkerbund abgelehnt. [11] Die USA schlossen daher mit Deutschland den Berliner Vertrag vom 25. August 1921 .

Ausgangsbedingungen

Deutsche Friedensunterhandler vor ihrer Abfahrt ins Hotel Trianon. Von links: Leinert , Melchior , Giesberts , Brockdorff-Rantzau , Landsberg , Schucking

Zwei der wichtigsten Machte aus der Zeit des Kriegsbeginns existierten nicht mehr:

Beide Kriegsparteien hatten sich Nationalitatenprobleme in gegnerischen Staaten zunutze gemacht: Die Mittelmachte hatten auf dem Gebiet des Zarenreiches Regentschaftspolen gegrundet und die Grundung Litauens wohlwollend geduldet. Die Alliierten und die slawischen Minderheiten der Donaumonarchie hatten sich gegenseitig unterstutzt und waren nun einander verpflichtet.

So war eine generelle Ruckkehr zu den Vorkriegsgrenzen unmoglich und die Neuordnung mit jenen Problemen belastet, die die Grenzziehung zwischen Nationalstaaten unausweichlich mit sich bringt.

Die mit Abstand schwersten Kriegsschaden an der zivilen Infrastruktur hatten Frankreich und das von Deutschland uberfallene Belgien zu verzeichnen.

Ziele der Siegermachte

Die Ziele Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten unterschieden sich betrachtlich; die franzosischen standen vielfach im Widerspruch zu denen der beiden angelsachsischen Machte.

Frankreich

Der franzosische Ministerprasident Georges Clemenceau

Clemenceaus Mitarbeiter Andre Tardieu fasste die Ziele Frankreichs auf der Versailler Friedenskonferenz folgendermaßen zusammen: ?Sicherheit zu schaffen war die erste Pflicht. Den Wiederaufbau zu organisieren war die zweite.“ [12] Im Deutsch-Franzosischen Krieg und im Ersten Weltkrieg waren weite Landstriche Frankreichs zum Kriegsschauplatz geworden. Daher war es vorrangiges Ziel Clemenceaus, neben der als selbstverstandlich angesehenen Ruckgabe Elsass-Lothringens in einem nachsten Krieg mit Deutschland ein erneutes Eindringen deutscher Streitkrafte von vornherein unmoglich zu machen. Zu diesem Zweck strebte er die Rheingrenze und eine moglichst weitgehende Schwachung Deutschlands an. Dies ging einher mit seinem zweiten Ziel: der Entschadigung fur die Kriegszerstorungen und der Abdeckung der interalliierten Schulden , die Frankreich vor allem bei den Vereinigten Staaten hatte. Eine vollstandige Abdeckung aller Auslagen, die der Krieg gebracht hatte, schien durchaus geeignet, den gefahrlichen Nachbarn nachhaltig zu schwachen. [13]

Vereinigtes Konigreich

Der britische Premierminister David Lloyd George

Das Vereinigte Konigreich hatte weit weniger unter dem Krieg gelitten als Frankreich, aber sich ebenfalls zur Finanzierung seiner Kriegsbeteiligung hoch bei den Vereinigten Staaten verschuldet. Die britische Regierung wollte, auch angesichts der Entwicklung in Russland , ein Machtvakuum in Mitteleuropa vermeiden und Deutschland daher im Sinne der klassischen Balance-of-Power -Strategie nicht zu sehr schwachen. Die britische Regierung wollte allerdings die deutsche Position in Ubersee nachhaltig schwachen, nachdem das Deutsche Kaiserreich seine Flotte aufgerustet hatte und ab ungefahr 1890 seine Kolonialpolitik intensiviert hatte. Deutlich wird die britische Position in einem Memorandum von Premierminister Lloyd George vom Marz 1919:

?Man mag Deutschland seiner Kolonien berauben, seine Rustung auf eine bloße Polizeitruppe und seine Flotte auf die Starke einer Macht funften Ranges herabdrucken. Dennoch wird Deutschland zuletzt, wenn es das Gefuhl hat, dass es im Frieden von 1919 ungerecht behandelt worden ist, Mittel finden, um seine Uberwinder zur Ruckerstattung zu zwingen. […] Um Vergutung zu erreichen, mogen unsere Bedingungen streng, sie mogen hart und sogar rucksichtslos sein, aber zugleich konnen sie so gerecht sein, dass das Land, dem wir sie auferlegen, in seinem Innern fuhlt, es habe kein Recht sich zu beklagen. Aber Ungerechtigkeit und Anmaßung, in der Stunde des Triumphs zur Schau getragen, werden niemals vergessen noch vergeben werden. […] Ich kann mir keinen starkeren Grund fur einen kunftigen Krieg denken, als dass das deutsche Volk, das sich sicherlich als einer der kraftvollsten und machtigsten Stamme der Welt erwiesen hat, von einer Zahl kleinerer Staaten umgeben ware, von denen manche niemals vorher eine standfeste Regierung fur sich aufzurichten fahig war, von denen aber jeder große Mengen von Deutschen enthielte, die nach Wiedervereinigung mit ihrem Heimatland begehrten.“ [14]

Lloyd Georges finanzielle Forderungen sollten ursprunglich nur die britischen Kriegskosten decken. Die offentliche Meinung in Großbritannien war durch den Krieg stark gegen Deutschland aufgebracht, was sich nicht zuletzt in den sogenannten Khaki-Wahlen , den Unterhauswahlen vom 14. Dezember 1918 gezeigt hatte. Unter dem starken innenpolitischen Druck hatte Lloyd George eingewilligt, dass in die Reparationen , die Deutschland auferlegt wurden, auch der Wert samtlicher Pensionen fur Invalide und Kriegshinterbliebene einberechnet wurde, was die Hohe der Reparationsforderungen enorm steigen ließ. [15]

Italien

Das Konigreich Italien war sehr zogerlich und erst infolge des Londoner Geheimvertrags von 1915 und der darin in Aussicht gestellten territorialen Gebietsgewinne [16] an der Seite der Triple Entente in den Krieg eingetreten, nutzte aber die Chance, mit dem Sieg die letzten ? Irredenta “-Gebiete Trentino und Triest dem italienischen Staatsgebiet anzufugen, daruber hinaus eine leicht zu verteidigende Nordgrenze am Brenner zu gewinnen und eine Kolonie ( Dodekanes ). Italienische Forderungen gingen folglich im Wesentlichen in die Vertragstexte von Saint-Germain-en-Laye und Sevres ein.

USA

Der amerikanische Prasident Woodrow Wilson

Das von US-Prasident Woodrow Wilson einberufene Gremium The Inquiry hatte bereits seit September 1917 ein Friedensprogramm vorbereitet. Amerikanische Kriegsziele waren demnach die Aufhebung samtlicher Handelsbeschrankungen und die Freiheit der Seeschifffahrt, deren Verletzung durch Deutschlands uneingeschrankten U-Boot-Krieg der Anlass zum Kriegseintritt der USA gewesen war. Daruber hinaus strebte Prasident Wilson eine gerechte Friedensordnung an, die einen weiteren Weltkrieg unmoglich machen sollte. Die Skizze einer solchen Friedensordnung, die auch die anderen amerikanischen Kriegsziele enthielt, hatte er im Januar 1918 mit seinem Vierzehn-Punkte-Programm veroffentlicht. Postuliert wurde darin unter anderem das Verbot jeglicher Geheimdiplomatie , ein Selbstbestimmungsrecht der Volker , eine weitgehende Abrustung , ein Volkerbund , der Ruckzug der Mittelmachte aus allen besetzten Gebieten und die Wiederherstellung Polens , das einen Zugang zum Meer erhalten sollte. Diese Forderungen waren teilweise nicht vereinbar; an der Ostseekuste gab es damals nirgends eine polnische Bevolkerungsmehrheit, weshalb der spater im Versailler Vertrag geschaffene polnische Korridor zur Ostsee gegen das Selbstbestimmungsrecht der Volker verstieß. Auf Grundlage dieser Forderungen strebte Wilson einen Verstandigungsfrieden ohne Sieger und Besiegte an, ruckte aber nach dem deutschen ?Diktatfrieden“ von Brest-Litowsk davon ab.

Daruber hinaus setzte sich Wilson fur die Selbstbestimmung der Volker als ein unerlassliches Handlungsprinzip ein. [17]

Inhalt

Die Unterzeichnungszeremonie in Versailles und die ersten zwei Seiten der Unterschriften und Siegel unter dem Vertrag

Territoriale Bestimmungen

Deutschland musste zahlreiche Gebiete abtreten: Nordschleswig an Danemark , den Großteil der Provinzen Westpreußen und Posen sowie das oberschlesische Kohlerevier und kleinere Grenzgebiete Schlesiens und Ostpreußens an den neuen polnischen Staat, die Zweite Republik . Außerdem fiel das Hultschiner Landchen an die neu gebildete Tschechoslowakei. Im Westen ging das Gebiet des Reichslandes Elsaß-Lothringen an Frankreich, und Belgien erhielt das Gebiet Eupen - Malmedy mit einer ebenfalls uberwiegend deutschsprachigen Bevolkerung. Insgesamt verlor das Reich 13 % seines vorherigen Gebietes und 10 % der Bevolkerung. Daruber hinaus wurde der gesamte reichsdeutsche Kolonialbesitz dem Volkerbund unterstellt, der ihn als Mandatsgebiete an interessierte Siegermachte ubergab. Deutschland musste die Souveranitat Osterreichs anerkennen. Der von Deutschosterreich angestrebte Zusammenschluss mit dem nun republikanischen Deutschland wurde im Artikel 80 des Versailler Vertrags untersagt. Dieses Anschlussverbot fand sich ebenfalls in Artikel 88 des Vertrags von Saint-Germain.

Deutsche Gebietsverluste durch den Versailler Vertrag

Deutsche Gebietsverluste durch den Versailler Vertrag in Europa
Ohne Volksabstimmung sofort abgetreten
Nach Volksabstimmungen abgetreten
Volksabstimmung in Oberschlesien 1921:
              Reichsgrenze von 1918 und oberschlesische Kreise               Niederschlesische Kreise
  •  Tschechoslowakei einschließlich des von Deutschland erhaltenen Gebiets
  •  Polen einschließlich des von Deutschland ohne Volksabstimmung erhaltenen Gebiets
  •  Nach der Abstimmung an Polen gekommenes Gebiet
  •  Nach der Abstimmung bei Deutschland verbliebenes Gebiet
    • Nordschleswig stimmte mit einer Dreiviertelmehrheit fur Danemark ; der Sudteil des Schleswigschen Abstimmungsgebiets verblieb mit einer Mehrheit von 80 Prozent bei Deutschland.
    • Wahrend der Volksabstimmung am 20. Marz 1921 war Oberschlesien von alliierten Truppen besetzt, damit deutsche Behorden nicht Druck zulasten der polnischen Option ausuben konnten. 60 Prozent der Stimmberechtigten votierten fur den Verbleib bei Deutschland. Nachdem ein gewalttatiger polnischer Aufstand am Widerstand deutscher Freikorps gescheitert war, beschloss der Oberste Rat der Alliierten im Oktober 1921, das Abstimmungsgebiet zu teilen, [18] eine Moglichkeit, die der Versailler Vertrag explizit vorsah. So kam ein Gebiet von etwa einem Drittel der Flache in Ostoberschlesien , wo es insgesamt eine Stimmenmehrheit fur Polen gegeben hatte, am 20. Juni 1922 an Polen. Im abgetretenen Teil war bislang fast ein Viertel der deutschen Steinkohle gefordert worden. Die Abtrennung verbitterte viele Deutsche, weil die Teilung erst nach der Abstimmung beschlossen wurde und dadurch der großere Teil des industriell wertvollen Oberschlesischen Industriegebiets an Polen ging. [19] Durch die raumliche Heterogenitat der Stimmenmehrheiten fielen mehrere Orte entgegen der jeweiligen Stimmenmehrheit an Polen. Auch die Kunstlichkeit der Grenzziehung in diesem Ballungsraum, teilweise durch Industriebetriebe und Bergwerke, nahrte die Verbitterung.
    • Eupen-Malmedy ( Ostbelgien ) sowie das bisherige Neutral-Moresnet an Belgien ; ursprunglich ohne Abstimmung, eine spatere Abstimmung bestatigte die Zugehorigkeit zu Belgien. Ob die Abstimmung korrekt war oder nicht, wurde von beiden Seiten gegensatzlich dargestellt. Das abgetretene Gebiet umfasste sowohl Gemeinden mit franzosischsprachigen ( Malmedy , Weismes ) als auch mit deutschsprachigen Bevolkerungsgruppen ( Eupen , Sankt Vith und andere). Letztere bilden heute die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens.
    Nach Volksabstimmungen nicht verloren
    Dem Volkerbund unterstellt
    Karte Europas a) vor dem Ersten Weltkrieg und b) nach den Bestimmungen der Pariser Vorortvertrage
    Befristet von den Siegermachten besetzt
    • Das Rheinland ; die Raumung sollte bis spatestens 1935 erfolgen. Diese Befristung der Alliierten Rheinlandbesetzung hatten die Angelsachsen den Franzosen, deren Ziel ursprunglich die Abtrennung des Rheinlands vom Reich gewesen war, nur schwer abringen konnen. Um die Sicherheit Frankreichs vor Deutschland auch ohne einen solchen massiven Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht der Volker zu gewahrleisten, schlossen die USA und Großbritannien mit der Franzosischen Republik ein Garantieabkommen ab, das jeden erneuten deutschen Angriff auf Frankreich zum Casus Belli erklarte. Dieses Garantieabkommen wurde aber wie der gesamte Vertrag vom amerikanischen Kongress nicht ratifiziert, weshalb auch die Briten davon Abstand nahmen.

    Wirkung der Gebietsverluste auf die Staatsangehorigkeit

    Nach Artikel 91 des Versailler Vertrags erwarben grundsatzlich alle deutschen Reichsangehorigen, die ihren Wohnsitz in den endgultig als Bestandteil des wiedererrichteten polnischen Staates anerkannten Gebieten hatten, von Rechts wegen die polnische Staatsangehorigkeit unter Verlust der deutschen. Zwei Jahre lang nach Inkrafttreten des Vertrags waren die hier wohnhaften uber 18 Jahre alten deutschen Reichsangehorigen berechtigt, fur die deutsche Staatsangehorigkeit zu optieren. Polen deutscher Reichsangehorigkeit im Alter von uber 18 Jahren, die in Deutschland ihren Wohnsitz hatten, waren berechtigt, fur die polnische Staatsangehorigkeit zu optieren. Allen Personen, die von dem Optionsrecht Gebrauch machten, stand es frei, innerhalb von zwolf Monaten ihren Wohnsitz in den Staat zu verlegen, fur den sie optiert hatten. Sie durften dabei ihr gesamtes bewegliches Gut zollfrei mitnehmen. Es stand ihnen frei, das unbewegliche Gut zu behalten, das sie im Gebiete des anderen Staates besaßen, in dem sie vor der Option wohnten. [20] [21]

    Diese Bestimmungen erzeugten in den ersten Jahren nach der Transformation in innerstaatliches Recht eine nicht unerhebliche Wanderungsbewegung zwischen dem Deutschen Reich und Polen. Viele Deutsche, die die deutsche Reichs- und Staatsangehorigkeit nicht verlieren wollten und entsprechend optiert hatten, sahen sich gezwungen, ihre angestammte Heimat zu verlassen und auch ihren Grundbesitz zu verkaufen, um sich im Reich wieder eine Existenz aufzubauen. Polen sah die in den Nachkriegswirren vorubergehend Abgewanderten als stillschweigende Optanten an, auch wenn diese Deutschen sich noch nicht fur oder gegen die deutsche Staatsangehorigkeit entschieden hatten. Das dadurch erhohte Angebot auf dem polnischen Grundstucksmarkt fuhrte zu fallenden Preisen der Grundstucke und zu Vermogensverlusten. [22]

    Als Folge des Wiener Abkommens emigrierten zwischen 1924 und dem Sommer 1926 etwa 26.000 Deutsche teils freiwillig, teils erzwungen aus dem neuen polnischen Staat. Das Deutsche Reich war fur die Aufnahme dieser Menschen schlecht vorbereitet. Die meisten wurden zunachst in einem Lager bei Schneidemuhl aufgefangen. [23]

    Militarische Bestimmungen

    Zerlegen eines schweren Geschutzes (1919/20)

    In der Praambel zum funften Teil des Vertrages, den ?Bestimmungen uber Landheer, Seemacht und Luftfahrt“ (Artikel 159 bis 213), wurde erklart, dass sich Deutschland, ?um den Anfang einer allgemeinen Beschrankung der Rustungen aller Nationen zu ermoglichen“, zur genauen Befolgung der nachstehenden Bestimmungen uber die Land-, See- und Luftstreitkrafte verpflichtet.

    Anordnung zur Ablieferung von Waffen vom 25. August 1920

    Artikel 177 des Vertrages verlangte die Abgabe bzw. Anzeige samtlicher Militarwaffen in zivilem Besitz. Der Deutsche Reichstag beschloss in der Folge am 5. August 1920 (damals regierte das Kabinett Fehrenbach ) mehrheitlich das Entwaffnungsgesetz. [27] [28] [29]

    Im Abschnitt IV. legten die Artikel 203 bis 210 die Einrichtung und Arbeitsweise ?Interalliierter Uberwachungsausschusse“ zwecks Uberwachung der Einhaltung dieser Bestimmungen fest.

    Strafbestimmungen

    Der Vertrag sah in seinem siebten Teil Strafbestimmungen fur deutsche Kriegsverbrecher vor. Namentlich der ehemalige Kaiser Wilhelm von Hohenzollern sollte ?wegen schwerster Verletzung der internationalen Moral und der Heiligkeit der Vertrage“ vor einem eigens einzurichtenden Gerichtshof der Siegermachte der Prozess gemacht werden. Deutschland musste einwilligen, alle Personen auszuliefern, denen Kriegsverbrechen zur Last gelegt wurden. [30]

    Kriegsschuldartikel (Artikel 231) als Grundlage fur Reparationsforderungen

    Im Artikel 231, dem so genannten Kriegsschuldartikel , heißt es:

    ?Die alliierten und assoziierten Regierungen erklaren, und Deutschland erkennt an, daß Deutschland und seine Verbundeten als Urheber fur alle Verluste und Schaden verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehorigen infolge des Krieges, der ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbundeten aufgezwungen wurde, erlitten haben.“

    Der Vertrag wies allein Deutschland und seinen Verbundeten die Rolle des Aggressors im Ersten Weltkrieg zu. Er bedeutete eine anfangliche Isolation Deutschlands, das sich als Sundenbock fur die Verfehlungen der anderen europaischen Staaten vor dem Weltkrieg sah.

    Die einseitige Schuldzuweisung an Deutschland loste dort die Kriegsschulddebatte aus. Die Unterschriften durch Hermann Muller und Johannes Bell, die durch die Weimarer Nationalversammlung 1919 in ihre Amter gelangt waren, nahrten die vor allem durch Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff sowie spater von Adolf Hitler propagierte Dolchstoßlegende .

    Historiker beurteilen die Ursachen des Ersten Weltkriegs heute differenzierter, als es in dem Vertrag ausgedruckt wird. Der Artikel 231 sollte nicht die historischen Ereignisse bewerten, sondern die fur das Deutsche Reich nachteiligen Friedensbedingungen juristisch und moralisch legitimieren. Daruber hinaus sollte das Deutsche Reich finanziell fur die Schaden an Land und Menschen haftbar gemacht werden, welche die kaiserlichen Truppen insbesondere in Frankreich angerichtet hatten. Der Vertrag von Versailles legte daher den Grund fur die Reparationsforderungen an das Deutsche Reich, deren Hohe allerdings zunachst nicht festgelegt wurde. Die Vertreter des Deutschen Reiches protestierten gegen den Artikel 231 daher nicht bloß aus Grunden der Selbstrechtfertigung, sondern mit dem Ziel, die moralische Basis der gegnerischen Forderungen insgesamt nicht zu untermauern. Die deutschen Reparationen nach dem Ersten Weltkrieg belasteten den neuen republikanischen Staat. Sie waren eine von mehreren Ursachen der Inflation der folgenden Jahre bis 1923. [31]

    Wirtschaftliche Bestimmungen und Reparationen

    Das Deutsche Reich wurde zur Wiedergutmachung durch Geld- und Sachleistungen in noch durch die Reparationskommission festzulegender Hohe verpflichtet. Eine erste Rate von 20 Milliarden Goldmark war bis April 1921 zu zahlen. [32] Außerdem wurde eine Verkleinerung der reichsdeutschen Handelsflotte festgeschrieben. Die großen deutschen Schifffahrtswege, namentlich Elbe , Oder , Donau und Memel , wurden fur international erklart. [33] Fur funf Jahre musste das Deutsche Reich den Siegermachten einseitig die Meistbegunstigung gewahren. Im sogenannten Champagnerparagraphen 274 wurde festgelegt, dass Produktbezeichnungen, die ursprunglich Herkunftsbezeichnungen aus den Landern der Siegermachte waren, nur noch verwendet werden durften, wenn die so bezeichneten Produkte auch tatsachlich aus der genannten Region stammten: Seitdem darf Branntwein in Deutschland nicht mehr als Cognac und Schaumwein nicht mehr als Champagner verkauft werden ? Bezeichnungen, die bis dahin in den deutschen Landern durchaus ublich waren. Luxemburg musste die bislang bestehende Zollunion mit dem Deutschen Reich aufgeben.

    Volkerbund

    Der Volkerbundpalast in Genf

    Außerdem sah der Vertrag die Grundung des Volkerbunds vor, eines der erklarten Ziele von Prasident Wilson. Der Volkerbund war Vorlauferorganisation der heutigen Vereinten Nationen , die nach dem Zweiten Weltkrieg gegrundet wurden. Deutschland war bis 1926 kein Mitglied.

    Internationale Arbeitsorganisation

    Ebenso wurde durch den Versailler Vertrag (Kapitel XIII) die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) ins Leben gerufen, welche bis heute besteht. Auch die Regelungen uber diese Organisation sind in allen Pariser Vorortevertragen enthalten und heben Problemstellungen der Arbeitswelt erstmals auf die Stufe des internationalen Rechtssystems. Der Versailler Vertrag geht somit uber die Regelungen klassischer Friedensvertrage hinaus.

    Garantiebestimmungen

    Als Garantie fur die Durchfuhrung der ubrigen Bestimmungen des Vertrags wurde eine alliierte Besetzung des linksrheinischen Gebietes und zusatzlicher Bruckenkopfe bei Koln , Koblenz und Mainz vereinbart. Diese sollte zeitlich gestaffelt 5, 10 und 15 Jahre nach dem Ratifizierungsdatum aufgehoben werden (Artikel 428?430).

    Women’s International League for Peace and Freedom

    Frauen waren bei den Friedensverhandlungen in Versailles nicht zugelassen. Vergeblich drangten sie auf einen Platz am Verhandlungstisch. In der festen Uberzeugung, dass ein gerechter, nachhaltiger Frieden nur mit Einbezug der Frauen moglich ist, organisierten Feministinnen und Pazifistinnen deshalb 1919 in Zurich die Folgekonferenz des 1915 in Den Haag stattgefundenen Internationalen Frauenfriedenskongresses . Anlasslich der Konferenz erhielt die Organisation ihren heutigen Namen Women’s International League for Peace and Freedom . Ziel der Konferenz war, Frieden durch mehr soziale Gerechtigkeit, eine bessere Rechtsstellung von Frauen und das nationale Selbstbestimmungsrecht auch fur die Kolonialbevolkerungen zu sichern. [34] [35] [36]

    Folgen

    Massenkundgebung vor dem Reichstag gegen den Versailler Vertrag, 1919

    Der Vertrag wurde nie zur Ganze umgesetzt. Dies betraf vor allem die Reparationsforderungen, die militarischen und die Strafbestimmungen: Statt die gesamten Kriegskosten der Siegermachte einschließlich Witwen- und Waisenrenten sowie interalliierte Kriegsschulden abzudecken, bezahlte das Deutsche Reich nach offizieller Rechnung insgesamt nur 21,8 Milliarden Goldmark. [37] Durch Aufbau und Unterhalt der so genannten Schwarzen Reichswehr verstieß Deutschland von Beginn an gegen die im Versailler Vertrag festgelegte Sollstarke seiner Armee. [37] Die Bestrafung der mutmaßlichen Kriegsverbrecher blieb sogar fast ganzlich aus. Die Niederlande gewahrten dem ehemaligen Kaiser Asyl und verweigerten seine Auslieferung. Die ubrigen mutmaßlichen Kriegsverbrecher wurden auf einer Liste der Siegermachte aufgezahlt, die 895 Personen umfasste, darunter so prominente wie der ehemalige Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg , den ehemaligen Kronprinzen Wilhelm von Preußen , Großadmiral Alfred von Tirpitz , Hindenburg und Ludendorff. 1920 verzichteten sie jedoch auf deren Uberstellung gegen die Zusicherung des Reiches, Kriegsverbrechern wurde vor dem Reichsgericht der Prozess gemacht. [38] Die Leipziger Prozesse , die 1921 durchgefuhrt wurden, blieben reine Schauverfahren, einen ernsthaften Versuch, Kriegsverbrechen zu ahnden, stellten sie nicht dar. [39]

    Das Deutsche Reich wurde durch die territorialen Abtretungen in seiner Wirtschaftskraft erheblich geschwacht. Große Teile seiner Schwerindustrie wurden getroffen. Es verlor 80 % seiner Eisenerzvorkommen , 63 % der Zinkerzlager, 28 % seiner Steinkohleforderung und 40 % seiner Hochofen . Der Verlust Posens und Westpreußens verringerte die landwirtschaftliche Nutzflache um 15 %, die Getreideernte um 17 % und den Viehbestand um 12 %. Die deutsche Landwirtschaft konnte diesen Verlust zunachst nicht ausgleichen. Deutschlands Bevolkerung verringerte sich um sieben Millionen Menschen (11 %), von denen in den Folgejahren etwa eine Million ins Reich stromte, vor allem aus Elsass-Lothringen und aus den an Polen abgetretenen Gebieten. Durch den Verlust von 90 % der Handelsmarine und des gesamten Auslandsvermogens wurde der deutsche Außenhandel stark beeintrachtigt.

    Da das Deutsche Reich seine Armee nach Art. 159 ff. Versailler Vertrag auf eine Starke von 115.000 Soldaten (100.000 Heer und 15.000 Marine) verkleinern musste, war es nicht in der Lage, eine etwaige alliierte Invasion militarisch zu verhindern. Bereits 1921 drohten die Siegerstaaten im Londoner Ultimatum mit einer Besetzung des Ruhrgebiets; 1923 wurde es dann von franzosisch-belgischen Truppen tatsachlich besetzt (→  Ruhrbesetzung ).

    Verschiedene Historiker bezeichneten es als ein Grundproblem des Versailler Vertrages, dass er zwei Ziele gleichzeitig zu erreichen versuchte: zum einen die von Wilson vertretenen Ideale der Selbstbestimmung der Volker und der territorialen Ubereinstimmung zwischen Volk und Staat, zum anderen die Absichten der Siegermachte, insbesondere Frankreichs, das Deutsche Reich entscheidend zu schwachen. [40]

    Sebastian Haffner schrieb nach dem Zweiten Weltkrieg, das Deutsche Reich als immer noch starkste und geographisch in der Mitte beheimatete, also fur die Stabilitat des Kontinents unentbehrliche europaische Macht sei ?weder dauerhaft entmachtet noch dauerhaft integriert“ worden.

    Der Vertrag von Versailles ? gelegentlich ? Karthagischer Friede “ genannt ? war fur Deutschland zu hart, als dass ein als politische Einheit und wirtschaftliche Großmacht bestehen gebliebenes Deutsches Reich ihn dauerhaft akzeptieren wurde. Gleichwohl ließ er es machtig genug, dass eine deutsche Regierung weniger als 20 Jahre spater Revanchegedanken in Politik umsetzen konnte, womit sie Europa in die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs sturzte. Marschall Foch außerte zur Zeit des Vertragsabschlusses: ?Das ist kein Frieden. Das ist ein zwanzigjahriger Waffenstillstand.“ ? Foch war fur eine Zerschlagung des Deutschen Reiches eingetreten.

    John Maynard Keynes , der Vertreter des Schatzamts der britischen Delegation bei den Vertragsverhandlungen, trat noch vor Abschluss der Verhandlungen unter Protest gegen die Vertragsbedingungen, die Deutschland auferlegt werden sollten, von seinem Posten in der Delegation zuruck. Auf Anraten des sudafrikanischen Konferenzteilnehmers Jan Christiaan Smuts verfasste er ein Buch uber die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages , in dem er darlegte, dass die Deutschland auferlegten Zahlungsverpflichtungen sowohl die internationalen Wirtschaftsbeziehungen destabilisieren als auch großeren sozialen Sprengstoff fur Deutschland mit sich fuhren wurden. [41]

    Die Friedensbedingungen wurden in Deutschland als uberraschend und als extrem hart empfunden. Lange hatte die deutsche Offentlichkeit geglaubt, auf der Grundlage der wilsonschen Vierzehn Punkte einen milden Frieden erreichen zu konnen, der im Wesentlichen den Status quo ante wiederherstellen wurde. Der Kulturphilosoph Ernst Troeltsch schrieb, Deutschland habe sich im ?Traumland der Waffenstillstandsperiode“ befunden, aus dem es mit der Veroffentlichung der Friedensbedingungen brutal geweckt worden sei. [42] Hinzu kam die Tatsache, dass die Siegermachte das Deutsche Reich von den Verhandlungen ausgeschlossen und ihm nur am Schluss schriftliche Eingaben gestattet hatten: Das Schlagwort vom ? Versailler Diktat “ machte die Runde. Diese beiden Faktoren trugen dazu bei, dass der Widerstand der Reichsregierung gegen den Vertrag, wie der Historiker Hans-Ulrich Wehler schreibt, ?von einem nahezu luckenlosen Konsens im ganzen Land“ getragen wurde. [43] In den folgenden Jahren war die Revision dieses Vertrages erklartes Ziel der deutschen Außenpolitik: Weder die ? Legitimitat des Friedens“ [44] noch die Tatsache, dass Deutschland den Krieg militarisch verloren hatte (→  Dolchstoßlegende ), wurden akzeptiert. Auf unterschiedlichen Wegen versuchten alle Regierungen der Weimarer Republik, die ?Fesseln von Versailles abzuschutteln“, weshalb man von einem regelrechten ?Weimarer Revisionssyndrom“ sprechen kann. Neben der Art seines Zustandekommens und den Inhalten des Vertrages ? insbesondere auch die Gebietsabtretungen mit deutschen Bevolkerungsgruppen ? beschadigte dieses Revisionssyndrom nachhaltig das Ansehen der demokratischen Westmachte und das Vertrauen in die neue Demokratie in Deutschland. [45] Manche Historiker sehen in dem Vertrag eine wichtige Ursache fur den Aufstieg des Nationalsozialismus . So außerte Theodor Heuss , damals liberaler Reichstagsabgeordneter, 1932 in seiner Schrift Hitlers Weg : ?Der Ausgangspunkt der nationalsozialistischen Bewegung ist nicht Munchen, sondern Versailles.“ [46] In der neueren Forschung wird der Vertrag in gunstigerem Licht gesehen: Er habe in den Grenzen des damals Moglichen Frieden geschaffen, eine neue internationale Ordnung etabliert und eine offene Zukunft ermoglicht, die nicht zwangslaufig auf den nachsten Krieg hinausgelaufen sei. [47] [48]

    Kundgebung gegen den Versailler Vertrag 1932 im Berliner Lustgarten

    Auf die hohen Reparationsforderungen und die Industriedemontagen im Ruhrgebiet versuchte die deutsche Reichsregierung mit einem Generalstreik zu reagieren, der mit standig nachgedrucktem Geld unterstutzt werden sollte. Das heizte die Inflation zu einer Hyperinflation an, die große Teile der Bevolkerung in Not und Elend sturzte. Sie war vor allem dadurch zustande gekommen, dass den Kriegsanleihen, mit denen das Kaiserreich vorher den Krieg finanziert hatte, durch die militarische Niederlage keine Sachwerte gegenuberstanden. Wahrend und nach der Inflation geriet das Reich in eine zunehmende Abhangigkeit von auslandischen Krediten, besonders US-amerikanischen. Die von den USA ausgehende Weltwirtschaftskrise traf das Deutsche Reich extrem hart, da seine Volkswirtschaft starker als andere mit der US-Wirtschaft verwoben war.

    Die durch den Versailler Vertrag begrundeten bedeutsamen wirtschaftlichen Folgen und die außenpolitische Isolation des Deutschen Reichs versuchte Walther Rathenau im Vertrag von Rapallo zu entscharfen. Darin wurde das Verhaltnis zur Sowjetunion normalisiert und auf gegenseitige Anspruche verzichtet. Die militarischen Bestimmungen des Vertrags wurden unter anderem durch die geheime Zusammenarbeit zwischen Roter Armee und Reichswehr zu umgehen versucht.

    Hitler konnte in den ersten Jahren seiner Regierungszeit durch die Beseitigung der letzten Zwange des Versailler Vertrags, unter anderem durch die militarische Wiederaufrustung und Wiederbesetzung des Rheinlandes , großes innenpolitisches Prestige gewinnen. Die USA zogen sich alsbald von der europaischen Politik zuruck. Frankreich und Großbritannien entschieden sich fur eine Appeasement-Politik .

    Der kleine Vertrag von Versailles

    Neben dem hier erlauterten Friedensvertrag von Versailles existiert noch ein weiterer weniger bekannter Pariser Vorortvertrag mit gleichem Namen. So wird der polnische Minderheitenvertrag vom 28. Juni 1919 als ?der kleine Vertrag von Versailles“ bezeichnet. Dabei handelt es sich um den ersten volkerrechtlichen Vertrag mit konkret ausgearbeiteten Schutzrechtbestimmungen fur nationale Minderheiten .

    Siehe auch

    Literatur

    Textausgabe
    Verhandlungsprotokolle und weitere Quellen
    • Auswartiges Amt: Materialien, betreffend die Friedensverhandlungen , Deutsche Verlagsgesellschaft fur Politik und Geschichte m.b.H., Charlottenburg 1919;
      • Teil I, abgeschlossen am 21. Mai 1919 ( online )
      • Teil II, abgeschlossen am 25. Mai 1919 ( online )
      • Teil III, abgeschlossen am 29. Mai 1919 ( online ).
    • Klaus Schwabe unter Mitarbeit von Tilman Stieve und Albert Diegmann: Quellen zum Friedensschluss von Versailles . Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1997 (Ausgewahlte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit, Bd. XXX). ISBN 3-534-04822-9 .
    Monographien

    Weblinks

    Commons : Friedensvertrag von Versailles  ? Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
    Audio

    Einzelnachweise

    1. The Senate and the League of Nations. In: mtholyoke.edu . Archiviert vom Original am 20. April 2022 ; abgerufen am 13. November 2018 (englisch): ?Reservations with Regard to the Treaty“ .
    2. 100 Jahre Friedensvertrag ? Die Burde von Versailles. Abgerufen am 28. Juni 2019 .
    3. Martin Schramm: Das Deutschlandbild in der britischen Presse 1912?1919. Berlin 2007, S. 509.
    4. Vgl. Ulf Morgenstern: ?Ach das ist schon hier!“ Privatbriefe Walter Schuckings aus der Versailler Friedensdelegation 1919. In: Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung 30 (2018), S. 299?335.
    5. Henning Kohler: Novemberrevolution und Frankreich. Die franzosische Deutschland-Politik 1918?1919. Droste Verlag, Dusseldorf 1980, S. 310 f.
    6. Christian Gellinek: Philipp Scheidemann. Gedachtnis und Erinnerung. Waxmann, Munster 2006, ISBN 3-8309-1695-7 , S. 44.
    7. Hagen Schulze : Otto Braun oder Preußens demokratische Sendung. Eine Biographie. Propylaen, Frankfurt am Main 1977, ISBN 3-550-07355-0 , S. 257.
    8. Hagen Schulze : Der Oststaat-Plan 1919. In: Vierteljahrshefte fur Zeitgeschichte. 18 (1970), S. 123?163 ( PDF ).
    9. Michael Kotulla : Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Alten Reich bis Weimar (1495?1934). Springer, Berlin 2008, S. 584.
    10. Justus H. Ulbricht (Hrsg.): Weimar 1919. Chancen einer Republik. Bohlau, Koln/ Weimar 2009, ISBN 978-3-412-20359-7 , S. 86.
    11. Stephan G. Bierling: Geschichte der amerikanischen Außenpolitik. Von 1917 bis zur Gegenwart. Beck, Munchen 2003, ISBN 3-406-49428-5 , S. 75.
    12. Andre Tardieu: La Paix. Paris 1921, S. 308.
    13. Henning Kohler: Novemberrevolution und Frankreich. Die franzosische Deutschland-Politik 1918?1919. Droste Verlag, Dusseldorf 1980, S. 26?31.
    14. Klaus Schwabe (Hrsg.): Quellen zum Friedensschluß von Versailles . Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1997, ISBN 3-534-04822-9 , S. 156 f.
    15. Bruce Kent: The Spoils of War. The Politics, Economics, and Diplomacy of Reparations 1918?1932. Clarendon, Oxford 1989, S. 36?40.
    16. Georg Grote , Hannes Obermair : A Land on the Threshold. South Tyrolean Transformations, 1915?2015 . Peter Lang , Oxford-Bern-New York et al. 2017, ISBN 978-3-0343-2240-9 , S.   XVII?XX .
    17. Stefan Reinecke: Essay Folgen des Ersten Weltkriegs: Hundert Jahre nach Versailles . In: Die Tageszeitung: taz . 6. Mai 2019, ISSN   0931-9085 ( taz.de [abgerufen am 7. Mai 2019]).
    18. a b Werner Conze: Die Weimarer Republik. In: Peter Rassow (Hrsg.): Deutsche Geschichte im Uberblick. Stuttgart 1973, ISBN 3-476-00258-6 , S. 645.
    19. Peter Kruger: Die Außenpolitik der Republik von Weimar. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1985, S. 134 f.
    20. Helmut Lippelt: Zur deutschen Politik gegenuber Polen 1925/26. In: Hans Rothfeld, Theodor Eschenburg (Hrsg.): Vierteljahrshefte fur Zeitgeschichte . 19. Jahrgang 1971 / 4. Heft / Oktober, Institut fur Zeitgeschichte, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, S. 331 ( PDF; 6 MB ).
    21. Vgl. das Deutsch-polnische Abkommen uber Staatsangehorigkeits- und Optionsfragen vom 30. August 1924 ? Wiener-Abkommen ? ( RGBl. 1925 II, S. 33 f.) und den Minderheitenschutzvertrag zwischen den alliierten und assoziierten Hauptmachten und Polen vom 28. Juni 1919 ( Text auf Clio-online / Themenportal Europaische Geschichte , abgerufen am 8. September 2012).
    22. Helmut Lippelt: Zur deutschen Politik gegenuber Polen 1925/26. In: Hans Rothfeld, Theodor Eschenburg (Hrsg.): Vierteljahrshefte fur Zeitgeschichte . 19. Jahrgang, Oktober 1971, 4. Heft, Institut fur Zeitgeschichte, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, S. 326 ( PDF; 6 MB ).
    23. Jens Boysen: Die polnischen Optanten. Ein Beispiel fur den Zusammenhang von Krieg und volkerrechtlicher Neuordnung. In: Bruno Thoß , Hans-Erich Volkmann (Hrsg.): Erster Weltkrieg ? Zweiter Weltkrieg. Ein Vergleich. Krieg, Kriegserlebnis, Kriegserfahrung in Deutschland. Schoningh, Paderborn/Wien 2002, ISBN 3-506-79161-3 , S. 593?614, hier: S. 593, 604?607.
    24. Friedensvertrag von Versailles, Teil V: Bestimmungen uber Landheer, Seemacht und Luftfahrt, Kapitel III: Heereserganzung und militarische Ausbildung, Artikel 173 und 174.
    25. Dan van der Vat: Schlachtfeld Atlantik. ISBN 3-453-04230-1 , S. 82.
    26. Artikel 42 bis 42
    27. Deutsches Historisches Museum: 1920 , abgerufen am 4. August 2009.
    28. Reichs-Entwaffnungsgesetz vom 7. August 1920.
    29. Entwaffnungsgesetz in: bundesarchiv.de
    30. Gerhard Werle : Volkerstrafrecht , Mohr Siebeck, Tubingen 2007, S. 4 f., Rn. 5 ff.
    31. Hans-Ulrich Wehler : Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Band 4: Vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis zur Grundung der beiden deutschen Staaten 1914?1949. 2., durchges. Auflage. C.H. Beck, Munchen 2003, S. 245.
    32. Bruce Kent: The Spoils of War. The Politics, Economics and Diplomacy of Reparations 1918?1932 . Clarendon, Oxford 1989, S. 72 f.
    33. Friedensvertrag von Versailles. 28. Juni 1919. Kapitel III. Artikel 331.
    34. Friedensmacherinnen Der Frauenfriedenskongress in Zurich 1919 In: bpb.de vom 5. April 2019
    35. Kein Frieden ohne Frauen ? Clara Ragaz' feministischer Pazifismus In: Zeitblende von Schweizer Radio und Fernsehen vom 20. April 2024 (Audio)
    36. 100 Jahre Friedenskonferenz 1919: Die zahe Neuordnung der Welt In: Taz vom 6. Januar 2019
    37. a b Eberhard Kolb : Der Frieden von Versailles. Beck, Munchen 2005, S. 100.
    38. Heinrich August Winkler : Weimar 1918?1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie. C.H. Beck, Munchen 1998, S. 158.
    39. Gerhard Werle: Volkerstrafrecht . Mohr Siebeck, Tubingen 2007, S. 6 f., Rn. 8?11 ff.
    40. Christian Hillgruber : Woran scheiterte der Friedensvertrag von Versailles? BRJ 2015, S. 6?12.
    41. Bruce Kent: The Spoils of War. The Politics, Economics, and Diplomacy of Reparations 1918?1932. Clarendon, Oxford 1989, S. 79 f. u.o.
    42. Zitiert nach Henning Kohler : Deutschland auf dem Weg zu sich selbst. Eine Jahrhundertgeschichte . Hohenheim-Verlag, Stuttgart 2002, S. 161.
    43. Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Band 4, C.H. Beck, Munchen 2003, S. 408.
    44. Oskar Stillich : Der Friedensvertrag von Versailles im Spiegel deutscher Kriegsziele. Verlag O. Wachsen, Berlin 1921 (eine soziologische Betrachtung uber: Methoden seiner Bekampfung, seine Gegner, seinen rechtlichen Charakter, seine materielle Erfullbarkeit, seinen Einfluss auf die Neugestaltung der Welt).
    45. Michael Salewski : Das Weimarer Revisionssyndrom. In: Aus Politik und Zeitgeschichte . 2 (1980), S. 14?25.
    46. Vater ist schuld . In: Der Spiegel . Nr.   21/1959 ( online [abgerufen am 23. Juni 2014]).
    47. Jorn Leonhard: Der uberforderte Frieden. Versailles und die Welt 1918?1923 C.H. Beck, Munchen 2018, S. 28f
    48. Margaret MacMillan: Die Friedensmacher. Wie der Versailler Vertrag die Welt veranderte , Propylaen, Berlin 2015, S. 628?632 u. 638?640