Die ersten drei
Prasidenten
des indigenen
Samen
-Parlaments in
Norwegen
: Sven-Roald Nystø,
Aili Keskitalo
und Ole Henrik Magga (2006)
Neuseelandische
M?ori
feiern 2010 die Anerkennung ihres Landes in der Erklarung der Vereinten Nationen uber die Rechte der indigenen Volker
Indigene Volker
(von lateinisch
indigenus
?eingeboren“) sind im Sinne der Definition der
UN-Arbeitsgruppe uber Indigene Bevolkerungen
von 1982
Bevolkerungsgruppen
, die sich als
Nachkommen
der Bewohner eines bestimmten
raumlichen Gebietes
betrachten, die bereits vor der
Eroberung
,
Kolonisierung
oder
Staatsgrundung
durch Fremde dort lebten, die eine enge (emotionale, wirtschaftliche und/oder spirituelle) Bindung an ihren Lebensraum haben und die uber eine ausgepragte
ethnisch-kulturelle Identitat
als
Gemeinschaft
mit eigenen soziopolitischen und kulturellen
Traditionen
verfugen.
[1]
In bestimmten Kontexten ist bzw. war auch der Ausdruck
autochthone Volker
(?ursprungliche“) gebrauchlich. Uber die Definition hinaus wird oft davon ausgegangen, dass diese Bevolkerungsgruppen oft einer politischen oder gesellschaftlichen
Marginalisierung
ausgesetzt sind.
Einer Studie aus dem Jahr 2012 zufolge lebten damals schatzungsweise 175 Millionen Angehorige indigener und isoliert lebender Volker auf der Erde;
[2]
allein auf der pazifischen Insel
Neuguinea
werden 832 indigene Volker mit jeweils eigener Sprache gezahlt.
[3]
Der Begriff
indigene Volker
beinhaltet vor allem politische
menschenrechtliche
Anspruche, weil Angehorige indigener Volker oft
diskriminiert
und an den
Rand der Gesellschaft
gedrangt werden (
Marginalisierung
). Dazu gibt es bei den
Vereinten Nationen
drei Organe: den
Expertenmechanismus fur die Rechte indigener Volker
(vormals
UN-Arbeitsgruppe uber Indigene Bevolkerungen
), den
UN-Sonderberichterstatter fur die Rechte indigener Volker
und das
Standige Forum fur indigene Angelegenheiten
.
Bestrebungen traditioneller Gesellschaften, moderne Kulturelemente als ?etwas Eigenes“ in die indigene Kultur zu integrieren, sowie moderner Gesellschaften, indigene Elemente einzufugen, bezeichnet man als
Indigenisierung
. Wenn bereits weitgehend assimilierte Ethnien traditionelle Elemente wiederbeleben und in modifizierter Form erneut in ihre Kultur integrieren, spricht man von
Re-Indigenisierung
.
Die meistgebrauchte Definition des Begriffes geht auf den
UN-Sonderberichterstatter
Jose Martinez-Cobo zuruck, der ihn 1986 in seiner grundlegenden Studie uber Diskriminierung gegen indigene Volker an vier Kriterien knupfte.
[4]
Der folgende Wortlaut weicht leicht von der Definition Cobos ab und orientiert sich an der weiter prazisierten Fassung aus dem Jahre 1996 von
Erica-Irene Daes
, der langjahrigen Vorsitzenden der
UN-Arbeitsgruppe uber Indigene Bevolkerungen
:
[5]
- Zeitliche Prioritat in Bezug auf die Nutzung oder Besiedlung eines bestimmten
Territoriums
: Indigene Volker sind relativ gesehen die
?ersten“ Bewohner eines Gebiets
.
- Die
freiwillige Bewahrung kultureller Besonderheit
, in den Bereichen Sprache, Gesellschaftsorganisation, Religion und spirituelle Werte, Produktionsweisen und
Institutionen
: Indigene Volker sind kulturell deutlich von der
Mehrheitsgesellschaft
unterschieden.
- Selbstidentifikation
und Anerkennung durch andere als eine eigenstandige Gemeinschaft: Die Betroffenen mussen selbst mehrheitlich der Ansicht sein, dass sie einer eigenstandigen Gruppe (einem
Volk
) angehoren und dass diese als ?indigen“ anzusehen ist. Gleichzeitig muss diese Ansicht von anderen in nennenswertem Umfang geteilt werden, etwa von Angehorigen anderer indigener Volker.
- Eine Erfahrung von
Unterdruckung
,
Marginalisierung
,
Enteignung
, Ausschluss oder
Diskriminierung
, wobei diese Bedingungen fortbestehen oder nicht: Der Grad der heute fortbestehenden Unterdruckung kann hochst unterschiedlich sein ? von struktureller Benachteiligung bei Aufstiegsmoglichkeiten bis hin zu Zwangsvertreibung und Ausrottung (
Ethnozid
). Eine als Gruppe erfahrene Unterdruckung bestimmt in jedem Fall grundlegend das politische Selbstverstandnis indigener Volker.
Diese vier Kriterien mussen nicht immer in gleicher Weise zutreffen, sie werden als Arbeitsdefinition verstanden, welche die Mehrzahl der Falle angemessen beschreibt. Eine ausschließende, ?harte“ Definition des Begriffs der
indigenen Volker
kann und soll es nach Ansicht der Vertreter vieler indigener Gruppen nicht geben, diese Ansicht wurde auch geteilt von der UN-Arbeitsgruppe uber Indigene Bevolkerungen (2006 aufgelost und 2008 ersetzt durch den
Expertenmechanismus fur die Rechte indigener Volker
).
[5]
Das Konzept
indigen
findet teilweise auch dann Anwendung, wenn einzelne Kriterien nicht oder nicht mehr zutreffen. So kann die Selbstidentifikation als
indigen
fortdauern, auch wenn die erlittene Marginalisierung bereits (weitestgehend) uberwunden ist, so etwa bei den
Inuit
in
Gronland
.
Ein zentrales Element der Unterscheidung indigener Gemeinschaften von der nicht-indigenen Mehrheitsgesellschaft ist oftmals die besonders enge Bindung indigener Kulturen an ihr jeweiliges Landgebiet sowie die besonders
enge Beziehung
zu diesem, die zumeist auch
spirituelle
Bereiche einschließt.
[6]
Zentral zum Verstandnis des Begriffs ist der Aspekt des
Kollektiven
: Indigene Volker existieren als soziale Gesellschaften, nicht als bloße Ansammlung von Einzelpersonen. Entsprechend sind die Forderungen nach
indigenen
Rechten uberwiegend Forderungen nach
Kollektivrechten
, insbesondere
sozialen Menschenrechten
.
Die Bezeichnung ?indigene Volker“ ist eine relativ junge
Lehnubersetzung
wahrscheinlich vom spanischen
pueblos indigenas
und bezeichnet
Gemeinschaften
von ursprunglichen Bewohnern einer Region oder eines Landes. Der Ausdruck ?indigene Volker“ hat in
Lateinamerika
als Sammelbezeichnung fur alle Nachkommen der
vorkolumbischen
Bevolkerung die Bezeichnungen
Indios
und
Indianer
ersetzt, die noch auf
Christoph Kolumbus
’ Verwechslung des
amerikanischen
Doppelkontinents mit seinem damaligen Zielland
Indien
beruhte.
Das Wort
indigen
setzt sich zusammen aus dem
altlateinischen
indi- (indu-)
?innen, ein-“ und
-genus
?geboren“, was als ?eingeboren“ oder ?Eingeborener“ zu ubersetzen ist. Allerdings wurde die Bedeutung von
indigen
zunachst falschlich gedeutet im Sinne von ?aus Indien stammend“ oder ?indianischen Ursprungs“ (
lateinisch
indus
?indisch“, nach Kolumbus auch ?indianisch“, und
-genus
?geboren, stammend“), weil mit der Bezeichnung Volker beschrieben wurden, die von prakolumbianischen Hochkulturen (also ?indianischen“ Kulturen) abstammen.
In internationalen politischen Zusammenhangen ist
indigene Volker
(
indigenous people[s]
,
pueblos indigenas
)
die ubliche
Sammelbezeichnung
fur Ureinwohnervolker aller Kontinente, wahrend im jeweils
nationalen
Rahmen oft andere offizielle Sammelbegriffe verwendet werden, beispielsweise
Aborigines
in
Australien
,
native Americans
und
First Nations
in
Nordamerika
sowie
Adivasi
in
Indien
.
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Die Bezeichnung ?autochthone Volker“ (von
altgriechisch
autos
?selbst“ und
chth?n
?Erde“) ist ein
Synonym
fur
indigene Volker
, das vor allem im
Franzosischen
haufig verwendet wird
(peuples autochtones)
. Das Gegenteil ware
allochthon
?von fremder Herkunft“.
In den Niederlanden werden auch heute ?einheimische Niederlander“, also Menschen mit zwei in den Niederlanden geborenen Eltern, als ?autochthon“ bezeichnet, in Abgrenzung zu denjenigen, die ?allochthon“ genannt werden.
[7]
?Ureinwohner“ und ?Urbevolkerung“ bezeichnen eine Gruppe, fur die Punkt 1 der UN-Arbeitsgruppe uber Indigene Bevolkerungen zutrifft: ?Zeitliche Prioritat in Bezug auf die Nutzung oder Besiedlung eines bestimmten Territoriums: Relativ gesehen die ?ersten‘ Bewohner eines Gebiets.“ In Europa waren als solches vielleicht die
Samen
oder die
Basken
zu bezeichnen (aber auch das ist unklar),
anthropologisch
korrekt musste der Ausdruck auf
Homo erectus
angewendet werden. Im Gegensatz zur indigenen Bevolkerung mussen fur Ureinwohner jedoch nicht die Punkte 2?4 der UN-Arbeitsgruppe uber Indigene Bevolkerungen zutreffen.
Die deutsche Entsprechung des Begriffs
indigen
ist ?eingeboren“, doch findet das Wort
Eingeborene
aufgrund seines kolonialen oder romantisierenden Beiklangs heute wenig Verwendung.
Die Bezeichnung
Naturvolk
wird im
Deutschen
oft gleichbedeutend mit ?indigene Volker“ verwendet (
synonym
).
Naturvolk
ist jedoch heute eine unscharfe
Sammelbezeichnung
fur kleine
Volker
oder lokale
Bevolkerungsgruppen
, die weitgehend unberuhrt von der technischen
Zivilisation
auf uberlieferte Weise in dunn besiedelten
Wildnisgebieten
leben. Das Wort kennt eine franzosische Entsprechung
(les Naturels)
, aber keine englische.
[8]
Von der modernen
Ethnologie
(Volkerkunde) wird die Bezeichnung
Naturvolker
zur
Einordnung
von Menschengruppen weitestgehend abgelehnt, da er als abwertend (
pejorativ
) oder irrefuhrend betrachtet wird. Er entstammt der historischen deutschen Volkerkunde und sollte Gruppen mit angeblich ?
primitiver
und kulturloser“ Lebensweise von den ?
zivilisierten
Kulturvolkern“ unterscheiden. Im 20. Jahrhundert erfolgte ein Bedeutungswandel im Sinne ?naturangepasster Volker“. Im Endeffekt scheiterten jedoch alle Umwidmungsversuche.
[9]
Als
populare Kategorie
wird die Bezeichnung im
allgemeinen Sprachgebrauch
, in den
Massenmedien
und einigen
Nachschlagewerken
ungeachtet der Begriffsproblematik weiterhin verwendet.
[10]
[11]
Eine wesentliche Kritik betrifft heute die mogliche Gleichsetzung mit dem
romantisch
verklarten Bild des ?
edlen Wilden
“ aus der Zeit der
Aufklarung
.
[12]
?Indigen“ ist eine
volkerrechtlich
definierte
politische Kategorie
, die keinen Ruckschluss auf die Lebensweise zulasst und insofern ungeeignet als Ersatz fur ?Naturvolker“. Eine große Zahl der Indigenen hat heute einen
westlichen
Lebensstil
. Daruber hinaus ist der Begriff ?indigen“ in diesem Zusammenhang bisweilen unzutreffend, so beispielsweise fur die brasilianischen
Quilombolas
? Nachkommen afrikanischer Sklaven
[13]
? oder fur viele traditionell lebende Ethnien Afrikas, die in ihren Landern keine
Minderheiten
sind und demnach nach der geltenden Definition
nicht
als Indigene betrachtet werden durften.
[14]
Fur eine differenzierte Benennung von traditionell lebenden Bevolkerungsgruppen werden heute verschiedene Umschreibungen verwendet: Laut
Anja von Hahn
kommt die Bezeichnung ?
lokale Gemeinschaften
“ der wertfreien Auslegung des Naturvolkbegriffes am nachsten.
[15]
Vertreter indigener Volker legen großen Wert auf die Unterscheidung zwischen ihrer Bezeichnung als
nationalen Minderheiten
, als
Volksgruppen
, oder als
indigen
. Zu den wichtigsten Unterscheidungsmerkmalen gehoren die
ursprungliche Bindung
indigener Gruppen an ihre jeweiligen Gebiete, der Umstand der sozialen und politischen und okonomischen Verdrangung (
Marginalisierung
) sowie der großere kulturelle und soziale Abstand zur jeweiligen
Mehrheitsgesellschaft
. Außerdem umfasst der Begriff ?nationale Minderheit“ auch Gruppen, die selbst eine Vorbevolkerung uberlagert haben oder im Nachhinein
zugewandert
sind.
Eindeutig um nationale Minderheiten handelt es sich bei Angehorigen einer
Ethnie
, die in einem anderen
Staat
die
Titularnation
stellt, von deren Namen sich also die Bezeichnung des Heimatstaates und seiner
Staatsburger
ableitet. Dies sind beispielsweise
Ungarn
in
Rumanien
,
Danen
in
Schleswig-Holstein
,
Serben
in
Kroatien
oder
Polen
in
Litauen
. In
Deutschland
sind Danen,
Friesen
,
Sorben
und
Roma
deutscher Staatsburgerschaft gesetzlich als nationale Minderheiten anerkannt. Als
territorial nicht gebundene Minderheit
sind in der
Schweiz
?
Fahrende
“ anerkannt. Inwieweit diese Gruppen dann unter den Begriff
indigen
fallen, steht aber in keinem Zusammenhang zu ihrem offiziellen
Minderheiten
-Status.
Eine
Volksgruppe
ist im rechtlichen Zusammenhang nur in
Osterreich
synonym
zu einer nationalen Minderheit. Die Bezeichnung
Volksgruppe
kann sich auch auf einzelne ethnische Gruppen innerhalb von polyethnischen Gesellschaften beziehen (
Vielvolkerstaaten
), und in der
Umgangssprache
kann damit jegliche
ethnische Minderheit
gemeint sein.
Bis auf wenige Ausnahmen entstammen alle indigenen Volker Kulturen, die ihr Wissen ursprunglich nur mundlich uberlieferten und die in
lokalen Gemeinschaften
lebten, so dass sich viele eigenstandige Religionen, Mythen und Weltanschauungen entwickeln konnten. Fur alle ethnischen Religionen gilt, dass sie weder
heilige Schriften
noch
Religionsstifter
kennen und nicht
missionieren
. Sehr haufig kommt ein
spiritueller
Bezug zur naturlichen Umwelt vor, allmachtige
Gotter
oder gar (streng)
monotheistische
Vorstellungen finden sich fast nirgends. Ebenso gibt es nur selten religiose Institutionen; Alltag und Religion werden nicht als etwas Getrenntes betrachtet. Daraus folgt auch eine sehr große Wandlungsfahigkeit der jeweiligen ?Lehren“: Jeder Angehorige kann seine personlichen religiosen Erfahrungen einbringen und fremdes Gedankengut wird schnell ubernommen, wenn es sich als vorteilhaft erweist. Insofern gibt es heute nahezu keine indigene Religion mehr, die nicht von einer der Weltreligionen beeinflusst wurde.
[16]
Neue Erkenntnisse der
Mythenforschung
deuten darauf hin, dass die altesten Kulturvorstellungen
mythischer
Art waren: Menschen waren davon uberzeugt, dass alle Vorgange sowohl im als auch außerhalb des Menschen durch die
Geister-
oder
Gotterwelt
bewirkt werden. Die Geschichten deren Wirkens, die der Philosoph und Mythosforscher
Kurt Hubner
als
archai
bezeichnet, zeugen von einer großen emotionalen Verwandtschaft mit der Welt, einer allgegenwartigen Spiritualitat und einem zyklischen Zeitbewusstsein, das den Jahreslauf der Natur ritualisiert.
[17]
Dieses zyklische Zeitbewusstsein ist typisch fur viele indigene Volker.
Das
Zeitalter der Entdeckungen
durch die Europaer lautete den Beginn des
Kolonialismus
ein, in dessen Verlauf die traditionellen Weltanschauungen in mannigfaltiger Weise massiv beeinflusst wurden. In Lateinamerika erschienen zuerst die spanischen und portugiesischen Eroberer, die ihre gewalttatige Herrschaftsubernahme offiziell als ?gottlichen Auftrag“ legitimierten. Ihnen folgten in ganz Amerika im 16. und 17. Jahrhundert katholische Missionare. In Afrika und Ozeanien gerieten die Stammesreligionen besonders ab dem 18. Jahrhundert unter Druck; zuletzt die australischen Aborigines ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Dabei erganzten sich die Kolonialherren ? durch Besiedlungsplane und militarische Aktionen ? sowie die Missionare verschiedener christlicher Konfessionen gegenseitig. Trotz alledem konnten sich viele lokale Religionen bis heute behaupten.
[18]
Zudem entstanden zahlreiche ?neue
synkretistische
Mischreligionen“,
[19]
die durch den Einfluss fremder Kulturen als ?Krisenreaktion“ entstanden. Beispiele sind die
Ratana
-Kirche der M?ori, die
Geistertanzbewegung
der Prarie-Indianer, der
Peyotismus
in Nordamerika oder der
Laestadianismus
bei den nordeuropaischen Sami.
Nach wie vor sind
fundamentalistische
religiose Organisationen bestrebt, auch noch die letzten ?
Heiden
“ oder ?
K?fir
“ zu bekehren ? selbst wenn es (wie etwa in Brasilien) verboten ist und die negativen Folgen hinlanglich bekannt sind. So hat beispielsweise das evangelikale
Joshua Project
ein internetgestutztes Netzwerk aufgebaut, um u. a. mit Hilfe eines Jesus-Films in allen moglichen Sprachen zu missionieren. Die ?Erfolge“ tausender Unterstutzer weltweit werden in einer Datenbank veroffentlicht und mit einer visuellen ?Bekehrungsampel“ bewertet, um zu weiteren Anstrengungen zu motivieren.
[20]
James Anaya, bis 2014
UN-Sonderberichterstatter fur die Rechte indigener Volker
, und seine Nachfolgerin
Victoria Tauli-Corpuz
(2013 in Kuala-Lumpur)
Haufig umstrittene Fragen sind die Rechte an
Landbesitz
, teils umfassender an ganzen Landflachen. Viele indigene Volker verstehen Landbesitz als gruppeneigene, kollektive Rechte, die innerhalb einer
Familie
,
Abstammungsgruppe
,
Erblinie
oder einem
Clan
eigenstandig verwaltet und auch vererbt werden. Mit der Verfugungs- und Nutzungsgewalt uber Land(flachen) sind immer auch genau ausgehandelte Land-Nutzungsrechte anderer Gruppen des sozialen Gefuges verbunden, wie auch eigene Nutzungs- und Durchquerungsrechte an deren Land(besitz). Ihr eigenes Land gilt indigenen Gruppen und erst recht ganzen Volkern als grundsatzlich unveraußerlich. Im Falle von
Nomaden
und
Halbnomaden
kann sich der Flachenanspruch weit ausdehnen, oft verbunden mit jahreszeitlich vorgegebenen Ortswechseln. Beispielsweise leben auch in heutiger Zeit noch einige indigene Volker und
Ethnien
als
Jager und Sammler
(Wildbeuter, siehe auch
Indigene Bevolkerungsgruppen in Wildnisgebieten
).
Demgegenuber wird in modernen
Industriestaaten
wie auch in europaisch gepragten, liberalen Gesellschaften der Grundbesitz als ein individuelles Recht verstanden, als
Privateigentum
. Verschiedene Verwertungsinteressen der Industriestaaten an Rohstoffen und Materialien kommen schnell in Konflikt mit indigenen Volkern bezuglich der Vorstellungen von Landnutzung. Dazu kommen Verwertungsinteressen von Indigenen an ihrem ?eigenen Land“, die ihren eigenen Rechtstraditionen entgegenstehen konnen.
Da viele indigene Volker in zum Teil ressourcenreichen Gebieten der Erde leben, sind
Konflikte
, vor allem um Landnutzung und -rechte, ein generelles Problem dieser
Volker
. Ein Großteil der Uran-, Erdol-, Gold- und Kohleforderung der Erde findet in den Gebieten indigener Volker statt. Ahnliches gilt fur einen großen Teil der Atomtests der letzten Jahrzehnte, fur Atommullendlager und Großstaudamme. Dabei ziehen die Aktivitaten
transnationaler Konzerne
oftmals Militarisierung, Gewalt und bewaffnete Konflikte nach sich, so etwa auf der zu
Papua-Neuguinea
gehorenden Insel
Bougainville
, bei der ein Burgerkrieg wegen einer Kupfermine des Konzerns
Rio Tinto Group
etwa 10.000 Menschen das Leben kostete.
[21]
Auch die Einrichtung von Großschutzgebieten zur Erhaltung der Natur verlauft nicht immer konfliktfrei fur die Ureinwohner. So wurden insbesondere in mehreren afrikanischen Landern indigene Gruppen von ihrem angestammten Land vertrieben, um die Gebiete in Nationalparks umzuwandeln. Interessenvertreter der Indigenen sehen darin wirtschaftliche Interessen: Ehemals okonomisch wertlose Gebiete, in denen durch die in der
Subsistenzwirtschaft
lebenden Volker weder Geld hinein noch hinaus floss, werden durch den Status von Nationalparks und infolge von Tourismus sowie Infrastrukturmaßnahmen monetar in Wert gesetzt. Als Verursacher oder zumindest Dulder dieses Vorgehens werden auch die großen Umweltschutzorganisationen
WWF
,
Conservation International
und
Nature Conservancy
genannt.
[22]
Auf der anderen Seite verlieh der WWF 2011 einem
samischen
Verein in Nordschweden eine Auszeichnung fur das zukunftsweisende indigene Management des
Laponia
-Welterbeparks.
[23]
Die Erkenntnis, dass
traditionelle indigene Lebens- und Wirtschaftsweisen
ein integraler Bestandteil ursprunglicher Naturlandschaften sind, ware fur die betroffenen Volker ein bedeutender Schritt in die richtige Richtung. Als Vorbild sei z. B. der
Parque Indigena do Xingu
in Brasilien genannt (siehe auch:
?Traditionelle Volker und Gemeinschaften“ in Brasilien
). Uber die Einrichtung von Großschutzgebieten fur die Natur
und
die Indigenen als ihre ?Verwalter“ ließen sich Landrechtskonflikte sicherlich deutlich entscharfen.
In
Kanada
, den
USA
und mehreren sudamerikanischen Landern gibt es seit vielen Jahrzehnten
Indianerreservate
sehr unterschiedlicher Große und mit ganz verschiedenen Rechten fur die dort wohnenden Ethnien. Daruber hinaus existieren in Kanada großraumige Territorien mit speziellen Rechten fur die
First Nations
wie
Nunavut
und
Nunavik
, die eine weitreichende
Territorialautonomie
ermoglichen. Australiens
Aborigines
sind seit Anfang des 21. Jahrhunderts wieder Eigentumer großer Landgebiete, die zum Teil als
Indigenous Protected Area
zum Schutz der Natur und der Ureinwohner ausgewiesen werden. Aus der rein rechtlichen Festlegung von Gebieten fur Indigene auf diesen drei Kontinenten lassen sich allerdings keinerlei Ruckschlusse auf den okologischen Zustand oder die konkrete Situation ihrer Bewohner ziehen.
Die jahrhundertelange Kolonisierung war sehr haufig mit Bestrebungen verbunden, die Indigenen zu
entwurzeln
und in die europaischen Kulturen zu
assimilieren
. Da die eigene Sprache ganz wesentlich zum Erhalt einer Kultur beitragt, gab es ? ebenso wie bei sprachlichen Minderheiten in den eigenen Landern ? etliche systematische Versuche, indigene Sprachen auszuloschen. Dass diese Strategie ?erfolgreich“ war, ist an der großen Zahl bereits
ausgestorbener
und
bedrohter Sprachen
erkennbar, bei denen es sich mehrheitlich um indigene Sprachen Nord- und Sudamerikas, Australiens und Asiens handelt.
[24]
[25]
Je nach Schatzung sollen zwischen 50 Prozent und 90 Prozent aller lebenden Sprachen im 21. Jahrhundert ernsthaft gefahrdet sein beziehungsweise verschwinden.
In der Diskussion besteht eine langjahrige Debatte, ob bzw. welchen indigenen Volkern
volkerrechtlich
der Status eines
Volks
zukommen sollte. Damit sind weitreichende und spezifische Rechte verbunden, zuallererst das Recht auf Selbstbestimmung (
Selbstbestimmungsrecht der Volker
), was die freie Verfugung uber Land und Ressourcen einschließt. Da manche indigene Volker haufig in ressourcenreichen Regionen leben, furchten zahlreiche Staaten im Falle einer Anerkennung dieses Rechts, die Kontrolle uber diese
Bodenschatze
zu verlieren. Weiterhin besteht in Landern, in denen gewaltsame Konflikte zwischen Regierungen und indigenen Volkern herrschen, mitunter die Befurchtung einer
Sezession
.
Diese Debatte wird auch als
Streit ums kleine ?s“
bezeichnet ? verkurzt darauf, ob es eine Sprachregelung zugunsten von
indigenous peoples
(Volker) oder
indigenous people
(Menschen) geben soll. Einige UN-Institutionen vermeiden diese Problematik gezielt, so hieß die zustandige UNO-Arbeitsgruppe
Working Group on Indigenous Populations (
UN-Arbeitsgruppe uber Indigene Bevolkerungen
(UNWGIP)), das 2008 neu eingerichtetes UN-Gremium in New York heißt
Permanent Forum on Indigenous Issues (
Standiges Forum uber indigene Angelegenheiten
)
.
Weltweit haben sich mehr als hundert indigene Gruppen dafur entschieden, von der Außenwelt isoliert zu leben ? meist nicht freiwillig, sondern aufgrund katastrophaler Erfahrungen.
[26]
Diese Gruppen werden zumeist als ?isolierte Volker“ bezeichnet
(uncontacted peoples)
. Der Grad der Isolation ist unterschiedlich, einige der Gruppen unterhalten Kontakte zu benachbarten Gruppen oder erlauben Verwaltungsbeamten oder Forschern gelegentlichen Zutritt. Ungewollter Kontakt und Vertreibung entstehen durch Rodung, Bergbau, Straßenbau und Eindringen von Goldsuchern. Aufgrund ihrer Isolation besitzen Angehorige solcher Gruppen teils keine wirksame Immunabwehr gegen Krankheiten, die fur Angehorige der Mehrheitsgesellschaft zumeist harmlos sind.
Zahlreiche isolierte Gruppen leben in den Regenwaldern
Perus
und
Brasiliens
. Auf den zu
Indien
gehorenden
Andamanen
leben mit den
Sentinelesen
und
Jarawa
zwei Volker in verschiedenen Graden der Isolation.
[27]
In verschiedenen Veroffentlichungen weisen Vertreter unterschiedlicher indigener Volker immer wieder darauf hin, dass ihre Kulturen und Weltanschauungen Alternativen fur die moderne westliche Lebensweise und ihre globalen Problemfelder bieten konnten. Haufig wird dabei kritisiert, dass die westliche Welt ihre Kulturen als primitiv oder unterentwickelt betrachten wurde, obwohl sie in der Regel auf eine Jahrtausende wahrende erfolgreiche Lebensstrategie zuruckblicken konnten. In allen diesen Publikationen geht es nicht um eine romantisch verklarte Ruckkehr zum Leben in der Natur, sondern vielmehr um die Aufnahme bewahrter Elemente oder
traditioneller
, oftmals
nachhaltig
orientierter Werte ihrer Kulturen in die moderne Lebensweise.
[28]
[29]
[30]
Insbesondere der globalisierte
Kapitalismus
steht dem entgegen. So hat sich z. B. die Situation der
kleinen Volker Nordsibiriens
nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion aufgrund der neuen Marktstrukturen drastisch verschlechtert und der Preisdruck fur Rentierfleisch zwingt immer mehr nordeuropaische
Sami
zur umweltschadigenden Intensivierung oder Aufgabe der traditionellen Rentierzucht. Beim 8.
Weltsozialforum
in Belem (2009) forderten indigene Organisationen eine Abkehr von der ?
kapitalistischen Ausbeutung
“, welche die ?kolonialistische westliche Zivilisation“ uber die Lander Sudamerikas gebracht habe. Es bedurfe neuer und kreativer Optionen fur eine ?Koexistenz zwischen Natur und Gesellschaft“ nach dem Vorbild der indigenen Kulturen.
[31]
Eine weitreichende anti-westliche Philosophie, die den Europaer als krankhaft bosen Menschen darstellt, dessen Symptomatik (genannt ?Wetiko-Psychose“) sich seuchenartig auf die unterworfenen Volker ubertragen wurde, entwickelte der US-indianische Professor
Jack D. Forbes
.
Zentrale Forderung der meisten Organisationen indigener Volker ist die verbindliche und uneingeschrankte Anerkennung ihrer
Menschenrechte
, beginnend mit dem Recht auf
Selbstbestimmung
, wie es in den ersten Artikeln der Internationalen Pakte uber wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie uber burgerliche und politische Rechte, also der beiden wichtigsten
volkerrechtlich
verbindlichen Menschenrechtsdokumente ausdrucklich anerkannt wird.
Dabei ist
Selbstbestimmung
keineswegs gleichbedeutend mit Sezession (obwohl das Sezessionsrecht als Teil des Selbstbestimmungsrechtes der Volker diskutiert wird) und der Grundung eines eigenen Staates, sondern es geht um die prinzipielle Anerkennung eines
Rechts
.
In Fallen, wo z. B. transnationale Konzerne große industrielle Vorhaben (Bau von Großstaudammen, Erdol- oder Uranforderung, Atomtests, Entsorgung von Giftmull) auf von indigenen Volkern genutzten oder bewohnten Territorien planen, fordern indigene Volker, dass dies nur nach einer
freien, vorherigen und informierten Zustimmung
[32]
geschehen darf.
In einigen Landern ist die Forderung nach
Free, Prior and Informed Consent
bereits gesetzlich verwirklicht, so etwa auf den
Philippinen
.
Auf der Ebene des internationalen Rechts gehoren die Verabschiedung einer
Erklarung der Rechte indigener Volker
der UN-Generalversammlung vom 13. September 2007
(Resolution 61/295 der UN-Generalversammlung)
[33]
[34]
(uber 20 Jahre nachdem die
entsprechende Arbeitsgruppe
mit der Erarbeitung begonnen hatte), sowie die Ratifizierung des
Ubereinkommens Nr. 169
der
Internationalen Arbeitsorganisation
[35]
zu den Hauptforderungen.
Die Gesamtzahl der Angehorigen der indigenen Volker der Erde wird auf etwa 350 Millionen Menschen geschatzt, die großte Dichte indigener Volker kommt auf der Insel
Neuguinea
(uber 1000) vor, davon in
Papua-Neuguinea
uber 770. Dabei bestehen vor allem in Asien und Afrika erhebliche Unsicherheiten, denn in diesen Kontinenten stellen sich viele Regierungen auf den Standpunkt, die gesamte Bevolkerung sei
indigen
, wahrend fur
Ethnologen
?echte“ indigene Gruppen auch nach der Unabhangigkeit ehemaliger
Kolonien
oft weiter unterdruckt werden, was bei der Mehrheitsbevolkerung nicht der Fall ist. Sie bezeichnen indigene Volker daher oft auch als
innere Kolonien
oder
Vierte Welt
.
Die
kulturvergleichende Sozialforschung
hat im Laufe der Zeit zu verschiedenen Versuchen gefuhrt (teils stark kritisiert), ahnliche indigene Kulturen zu geographisch abgrenzbaren
Kulturraumen
oder (zumeist historischen)
Kulturarealen
zusammenzufassen. Beide Konzepte bieten eine einfache Moglichkeit, einen ersten Uberblick uber die indigene Vielfalt der Erde zu gewinnen (vergleiche
Nordamerikanische Kulturareale
und die australischen
Kulturareal Desert
und
Kulturareal Western Desert
).
Ubersichten indigener Volker:
- Afrika
- Amerika
- Asien
- Australien und Ozeanien
- Europa
Um die Weltoffentlichkeit auf die Probleme der indigenen Volker aufmerksam zu machen, widmeten ihnen die Vereinten Nationen erstmals 1993 ein
Internationales Jahr
. Von 1994 bis 2004 schloss sich das erste ?Internationale Jahrzehnt der indigenen Volker der Erde“ und von 2005 bis 2014 das zweite internationale Jahrzehnt an. 1994 wurde uberdies der
9. August
als jahrlicher
Internationaler Aktionstag
der indigenen Volker eingerichtet.
- Kerstin Asmuss:
Anspruche indigener Volker auf Ruckfuhrung rechtswidrig ausgefuhrten Kulturgutes. Eine Untersuchung fur Anspruche aus Art. 5 UNIDROIT-Konvention 1995 und aus allgemeinem Volkerrecht
(=
Veroffentlichungen aus dem Institut fur Internationale Angelegenheiten der Universitat Hamburg.
Band 36). Nomos, Baden-Baden 2011,
ISBN 978-3-8329-6538-9
(Doktorarbeit 2010 Universitat Hamburg).
- Erica-Irene Daes
:
Indigenous Peoples. Keepers of our Past ? Custodians of our Future.
International Work Group for Indigenous Affairs, Kopenhagen 2008,
ISBN 978-87-91563-43-0
(englisch).
- Janne Mende:
Kultur als Menschenrecht? Ambivalenzen kollektiver Rechtsforderungen
. Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York 2015,
ISBN 978-3-593-50315-8
.
- James S. Anaya
:
Indigenous peoples in international law
. Oxford University Press, Oxford 1996,
ISBN 0-19-517349-X
(englisch).
- Ronald Niezen:
The origins of indigenism. Human rights and the politics of identity
. University of California Press, Berkeley/Los Angeles 2003,
ISBN 978-0-520-23554-0
(englisch).
- Dieter Gawora, Maria Helena de Souza Ide, Romulo Soares Barbosa (Hrsg.):
Traditionelle Volker und Gemeinschaften in Brasilien
(=
Entwicklungsperspektiven.
Nr. 100). Lateinamerika-Dokumentationsstelle, Kassel University Press, Kassel 2011,
ISBN 978-3-86219-150-5
.
- Bruce E. Johansen (Hrsg.):
Indigenous Peoples and Environmental Issues: An Encyclopedia.
Greenwood, Westport 2003,
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a
b
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UNWGIP
;
@1
@2
Vorlage:Toter Link/daccess-dds-ny.un.org
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Seite nicht mehr abrufbar
.
Suche in Webarchiven
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Archiviert vom
Original
(nicht mehr online verfugbar) am
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abgerufen am 19. Oktober 2012
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Vergleiche die Informationsseite:
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In:
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2014, abgerufen am 18. Juli 2014.
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In:
Survival International
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Memento
vom 9. Oktober 2004 im
Internet Archive
) Website der deutschen Kampagne fur eine Ratifizierung des ILO-Ubereinkommens Nr. 169, 10. Juli 2004.