Die
Allegorie
(
altgriechisch
?λληγορ?α
allegoria
?andere Sprache‘; von
?λλο?
allos
?anders‘, ?verschieden‘, ?auf andere Weise‘ und
?γορε?ω
agoreuo
?eindringlich sprechen‘, ?eine offentliche Aussage machen‘, zu
?γορ?
agora
?Versammlung‘) ist eine Form indirekter Aussage, bei der eine Sache (Ding, Person, Vorgang) aufgrund von
Ahnlichkeits
- oder Verwandtschaftsbeziehungen als
Zeichen
einer anderen Sache (Ding, Person, Vorgang, abstrakter Begriff) eingesetzt wird.
In der
Rhetorik
wird die Allegorie als
Stilfigur
unter den
Tropen
(Formen uneigentlichen Sprechens) eingeordnet und gilt dort als fortgesetzte, das heißt uber ein Einzelwort hinausgehende,
Metapher
. In der
bildenden Kunst
und in weiten Teilen der mittelalterlichen und barocken
Literatur
tritt die Allegorie besonders in der Sonderform der
Personifikation
auf, in der eine Person durch
Attribute
, Handlungsweisen und Reden als Veranschaulichung eines abstrakten Begriffs, zum Beispiel einer Tugend oder eines Lasters, agiert.
Unter
Allegorese
(allegorische Deutung)
[1]
versteht man die Deutung von Allegorien jeder Art, so etwa spricht man von Buchstaben-, Edelstein-, Farb-, Kleider- und Blumenallegorese.
[2]
In der
Literaturwissenschaft
bezeichnet
Allegorese
die historische Auslegung eines Textes nach einem uber den wortlichen hinausgehenden Sinn.
In der mathematischen
Kategorientheorie
ist eine Allegorie nach
Freyd
und Sceodrov die Kategorie
zweistelliger Relationen
zwischen unterschiedlichen Mengen (im Gegensatz zur
Relationsalgebra
homogener zweistelliger Relationen).
[3]
[4]
In der Auslegung
mythologischer
und heiliger Texte hat die Annahme von Allegorien eine besondere Rolle bei dem Anliegen gespielt, den uberlieferten, in seiner wortlichen Aussage teilweise unglaubwurdig oder unverstandlich gewordenen Text auf eine verborgene Weisheit oder Wahrheit hin auszulegen und so das Denken und Glauben der eigenen Zeit und Kultur als bereits in der Vergangenheit vorausgeahnt und beglaubigt auszuweisen.
Als sprachlicher oder kunstlerischer Ausdruck ist eine Allegorie von vorneherein auf ihre
Deutung
hin konstruiert. Vom Horer oder Betrachter erfordert die Allegorie einen Gedankensprung (
Assoziation
= eine bewusste oder
unbewusste
Verknupfung von Gedanken) vom Gesagten oder bildlich Dargestellten zur
gemeinten
Bedeutung. Wenn der Betrachter nicht vertraut ist mit den geistigen oder historischen Zusammenhangen, aus denen die Allegorie heraus konstruiert wurde, bleibt ihm ihr Sinn oft verborgen. Realistische Allegorien ? bei ihnen wirkt schon die
wortliche
oder unmittelbare Bedeutung an sich selber lehrreich oder unterhaltsam ? lassen oft ubersehen, dass es weiter(gehend)e allegorische Intentionen gibt.
Die seit dem 18. Jahrhundert aufgekommenen Versuche, Allegorie und Symbol voneinander abzugrenzen, zeichnen sich oft durch philosophischen Tiefsinn aus, sind aber literatur- und
zeichentheoretisch
wenig
konsistent
und fuhren bei der Anwendung auf die
antike
, mittelalterliche und auch
barocke
Allegorie zu historischen Verkurzungen. Ein
Symbol
wird manchmal verstanden als ein
Zeichen
, das die gesagte Sache auch um ihrer selbst und ihrer Besonderheit willen, und nicht nur um der Verallgemeinerbarkeit der ubertragenen Aussage willen ausspreche, ihren tieferen Sinn außerdem lediglich andeute, ihn aber weniger bestimmt als die Allegorie festlege, und darum schließlich eher
intuitiv
zu verstehen als intellektuell zu entratseln sei. Vor allem soll das Dargestellte im Symbol noch anwesend sein, wodurch eine innere und außere Einheit von Zeichen und Bedeutung gewahrt wird.
Der Allegorie fehlt diese Einheit, sie ist gebrochen und steht in einem Spannungsverhaltnis zur dahinter stehenden Idee. Asthetisch wurde wahrend des
Klassizismus
darum dem als
poetischer
empfundenen Symbol meist der Vorzug gegeben vor der verstandesbetont nuchternen, als Gedankenspiel geringgeschatzten Allegorie, die im Rahmen einer auf Unmittelbarkeit, Gefuhl und Individualitat ausgerichteten Literatur- und Kunstauffassung als die minderwertigere oder sogar unpoetische Ausdrucksform geringgeschatzt wurde. Durch
Walter Benjamin
erfuhr die Allegorie in der
Moderne
eine Aufwertung: ?Das Symbol ist die
Identitat
von Besonderem und Allgemeinem, die Allegorie markiert ihre
Differenz
.“
[5]
Sie wurde als Kunstform gegen die
idealistische
Asthetik
paradigmatisch
fur die Moderne.
Im antiken Griechenland wurden zahlreiche Krafte und Zustande, sofern sie dauerhaft wirkten, vergottlicht. Der griechische Gotterhimmel war daher so vielfaltig, dass es der Allegorie nur selten bedurfte. Soweit bekannt, nutzten die griechischen Maler jedoch personifizierte Abstrakta fur innere Vorgange und Zustande wie Emporung oder Neid, die sie noch nicht durch Mimik oder Gebarden darstellen konnten, und stellten sie neben die handelnden Figuren, um deren Motive zu zeigen. In hellenistischer und romischer Zeit anderte sich das: An die Stelle der Gottheit trat immer ofter die Allegorie. Nicht nur naturliche Vorgange wurden nun allegorisiert, sondern auch staatliche und politische Verhaltnisse.
Einen fruhen Hohepunkt erreichte die Verwendung der Allegorie in der bildenden Kunst der
Fruhrenaissance
, in der vor allem Abstrakta wie geistige Qualitaten personifiziert wurden. Zum besseren Verstandnis mussten Allegorien oft mit Beischriften oder Attributen versehen werden (z. B. wurde Feigheit durch einen Mann reprasentiert, der vor einem Hasen flieht).
Haufig diente seit dem Hochmittelalter die Allegorie moralisch-theologischen Zwecken, z. B. zur Darstellung von Tugenden und Sunden. Die mittelalterliche Kirchenmalerei, Plastik (
Straßburger Munster
) und Goldschmiedekunst (
Verduner Altar
in
Klosterneuburg
) und die barocke Malerei (z. B.
Rubens
) bedienten sich reichlich der belehrenden Allegorie und schufen zahlreiche Figuren, die das Gute oder Bose reprasentieren.
Seit der
Franzosischen Revolution
verkorpern Allegorien auch politische Ideen wie die Freiheit oder die Volkssouveranitat.
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts ? unter dem Einfluss der in London ausgestellten Giebelfiguren des
Parthenon
, der sog.
Elgin Marbles
? wurden vermehrt skulpturale Allegorien (oft weibliche Figuren) als Schmuck- oder Stutzfiguren verwendet, um den Zweck und die Bestimmung von offentlichen Gebauden anzuzeigen (zuvor schon z. B. am Pariser
Pantheon
).
[6]
Die Allegorie kann auch als bildhafte
Personifikation
eines Staates verwendet werden. In der Form einer
Nationalallegorie
findet man beispielsweise fur das
Deutsche Reich
die
Germania
, fur Osterreich die
Austria
, fur
Preußen
die Borussia, fur die
Schweiz
die
Helvetia
, fur
Frankreich
die
Marianne
, fur
Großbritannien
die
Britannia
oder fur die
USA
die
Lady Liberty
oder
Uncle Sam
.
- Der
Tod
als Gerippe (das Fleisch vergeht) und mit der
Sense
(er trifft alle).
- Die
Gerechtigkeit
als Frau (
Justitia
;
iustitia
ist im
Lateinischen
weiblich) mit verbundenen Augen (ohne Ansehen der Person), in der einen Hand eine Waage (genau abwagend) und in der anderen ein Schwert (urteilend).
- Albrecht Durers
Melencolia I
kann entgegen der vorherrschenden Deutung als Melancholie durchaus als eine Allegorie des Trostes durch
Meditation
[7]
verstanden werden (siehe:
Jakobsleiter
des Gebets mit sieben Sprossen ? vgl. auch: Melencolias Pi-Theta-Gurtel entsprechend den Saumen des Kleides von Philosophia bei Boetius’ Trost der Philosophie, 524) als auch der Wissenschaften (
Quadrivium
: Arithmetik, Geometrie, Astronomie & Musik) sowie Durers kunstlerischer Kreativitat und
Kunsttheorie
.
Da die
Allegorie
ein indirektes Zeichen des Dargestellten ist, wird sie nicht direkt verstanden, sondern erst durch
Abstraktion
? oder
Konvention
.
In der Literatur sind bekannt:
Allegorie
und
Allegorese
, Formen, die Inhalte von Texten erklaren, wobei die Allegorese die Interpretationsform ist, die Allegorie die Textform. Das
hermeneutische Verfahren
einer allegorischen Interpretation von Texten wurde zuerst in der Antike fur das Deuten der
Epen
Homers
und der
Theogonie
Hesiods
angewendet. Die verschiedenen philosophischen Schulen versuchten dadurch, die Texte nicht nur wortlich zu verstehen, sondern einen verborgenen Sinn in ihnen zu entdecken. Die in der klassischen Zeit als skandalos empfundenen Gottergeschichten der vorklassischen Zeit, wie etwa von Homer oder Hesiod uberliefert, konnten auf diese Weise gerechtfertigt werden.
In Rom wurde die von den Griechen praktizierte allegorische Interpretation von
Gottermythen
ubernommen. Allegorische Figuren wurden u. a. von
Lukan
(
Roma
),
Vergil
(
Fama
),
Lukrez
und
Ovid
erfunden. Aus spatromischer Zeit stammt
Boethius
’ Buch
Trostungen der Philosophie
, in dem neben den
Musen
der Dichtkunst auch die Philosophie als Person zum Autor spricht. Von weitreichendem Einfluss auf Literatur und Kunst des Mittelalters war
Prudentius
’
Psychomachia
aus dem 4. Jahrhundert n. Chr., eine allegorische Schilderung des Kampfes zwischen den christlichen
Tugenden
und den heidnischen
Lastern
.
Bis zum ausgehenden
Mittelalter
entstanden zahlreiche phantastisch-allegorische Werke, so der
Anticlaudian
des
Alanus ab Insulis
im 12. Jahrhundert, der sich im Vorwort zu seinem Buch ausdrucklich eine nur buchstabliche Lekture des Textes verbat, oder der uberaus populare und weit verbreitete
Rosenroman
von
Guillaume de Lorris
und
Jean de Meung
. Auch die Bibel erschien in allegorischer Form, so im
hochmittelalterlichen
Eupolemius
, in dem die
Heilsgeschichte
vom
Sundenfall
bis zur
Auferstehung Christi
nacherzahlt wird. In der Ubergangszeit zwischen Mittelalter und
Renaissance
schrieb
Petrarca
seine in vielen illustrierten Handschriften uberlieferten
De remediis utriusque fortunae
, eine allegorische Anleitung fur den Menschen uber seinen Umgang mit Gluck und Ungluck, und schließlich
Dante
die
Gottliche Komodie
.
In der
Barockzeit
erlebten Allegorien eine Blute in allen Bereichen der Literatur, sei es in Gedichten, Reden aller Art, Predigten, Grabinschriften usw. Sie treten auch heute noch im Christi-Leiden-Spiel und in der
Passionsprozession
auf.
Der Klassizismus verwirft die in der christlichen Mystik begrundete allegorische Kunstauffassung, die im Symbolismus und der Moderne eine sakularisierte Wiedergeburt erlebt.
[8]
Bezuglich der
Bibel
gibt es zwei grundsatzliche Hauptrichtungen der Allegorese, als Interpretationsform zur Erklarung der Inhalte der jeweiligen heiligen Schriften, fur das
Christentum
die
christliche Bibel
, fur das
Judentum
hauptsachlich
Tora
,
Hebraische Bibel
,
Talmud
,
Responsen
und
Rabbinische Literatur
.
Das Judentum kennt mit der Pardes-
Klassifikation
vier verschiedene Ansatze fur die
Exegese
der Judischen Bibel, des
Tanach
und der heiligen Texte in der Tradition des
rabbinischen Judentums
.
PaRDeS
ist ein
Akronym
fur die klassische
judische
Interpretation
von Texten beim Studium der
Tora
.
Uber klassische Lesarten hinaus lassen sich mit Hilfe dieses Systems Bibelstellen immer wieder in einem neuen, nicht wortwortlichen Sinn interpretieren. Ein Beispiel dafur ist
3. Buch Mose
20,10
EU
, wo fur Ehebrecher und Ehebrecherin der Tod gefordert wird. Insbesondere im
liberalen Judentum
wird diese Forderung heute allegorisch gedeutet. Ehebruch kann hier als Abwendung von Gott als der Quelle allen Lebens verstanden werden. Unter
Drasch
sind personliche Ansichten zur Bedeutung der Ehe denkbar, und die letzte Ebene
Sod
kann als
mystische
Verbundenheit zwischen Mensch und Gott verstanden werden.
Die allegorische Auslegung der Tora wurde schon in der Antike von
Philo von Alexandrien
ausgiebig gebraucht.
In der christlichen Tradition hat sich die Vorstellung vom
mehrfachen biblischen Schriftsinn
entwickelt, wonach der biblische Text einerseits einen historisch wahren oder als fiktional (
Parabel
) einzustufenden
wortlichen Sinn
besitzt (
sensus litteralis
) und andererseits in mehrfach gestufter Bedeutung auf historisch nachzeitige (
typologischer
Sinn), moralische (
tropologischer
Sinn) oder
eschatologische
Dinge (
anagogischer
Sinn) auszulegen ist.
Allegorese wurde schon fruh auch fur die
christliche Bibel
praktiziert. So deutet der Apostel
Paulus
Hagar
und
Sarah
als Alten und Neuen
Bund
(
Gal
4,21?31
LUT
).
[9]
Origenes
bezieht das
Hohelied
des Alten Testaments auf die Liebe zwischen Christus und der Seele des Glaubigen.
Augustinus
pragte uber das
Mittelalter
hinaus die christliche Allegorese. Zur allegorischen Deutung der Heiligen Schrift forderte er vom Interpreten Kenntnisse in
Grammatik
,
Rhetorik
,
Linguistik
sowie umfassendes Wissen uber die Dinge der
Natur
, uber Zahlen und Musik, nicht aber uber
heidnische
Mythen und heidnische
Mantik
oder
Astrologie
.
[10]
Luther
schatzte allegorische Deutungen von Bibeltexten nicht und machte sich uber Origenes lustig. Andererseits verwendete er Allegorien in seinen Tischreden und Predigten, da sie zwar dem Zuhorer nicht ?rationale Erkenntnis des historisch geschehenen
Mysteriums
ermoglichten, aber doch sein Anspiel (
allusio
) und naturliches Ergriffensein“.
[11]
In der
Rhetorik
ist
Allegorie
ein Fachbegriff. Die sprachliche Form der Allegorie wird in der Rhetorik als rhetorischer
Tropus
verstanden. Wie alle Tropen erfordert sie einen Gedankensprung vom Gesagten zum Gemeinten. Durch die semantischen Formen
similitudo
(Vergleich) und
contrarium
(Gegensatz) ist sie verwandt mit der
Metapher
, dem
exemplum
(Beispiel), dem
Aenigma
(Ratsel), dem
proverbium
(
Sprichwort
), der
Ironie
, dem
Euphemismus
usw. In der Rhetorik kann sie auf vielfaltige Weise angewendet werden, so in Lob- und Preisreden, zum Argumentieren, fur das Belehren, fur Satiren, Witze und dergleichen.
Cicero
schrieb in seinem Buch
De oratore
der Allegorie verschiedene Anwendungsmoglichkeiten zu: Sie diene zur Verdeutlichung des Redegegenstandes bzw. zu dessen Verbergen, der Kurze der Darstellung und der Unterhaltung des Publikums. In seinem bis ins Mittelalter maßgebenden Buch uber die Redekunst
De institutione oratoria
lieferte
Quintilian
eine rhetorische Theorie der Allegorie.
Da die Allegorie abstrakte Sachverhalte durch Bilder darstellt,
[12]
ist sie besonders in der
bildenden Kunst
eine Moglichkeit, Konventionen in Bildern deutlich zu machen, und somit eine Moglichkeit, diese Bilder zu deuten. Sie ist damit auch eine Moglichkeit, abstrakte Sachverhalte anschaulicher und dadurch verstandlicher zu machen.
In der bildenden Kunst sind allegorische Darstellungen seit der Antike ublich. In der griechischen Antike finden sich Allegorien unter anderem als Marmorreliefs an Altaren und auf Giebelfeldern der Tempelanlagen, oder als umlaufenden Fries ebenda. Bedeutende vielgestaltige Darstellungen allegorischer Szenerien finden sich auch auf den Vasenmalereien in
Hellas
.
In der romischen Kunst ist die Allegorie eine ubliche Darstellungsform auf
Gemmen
,
Munzen
,
Sarkophagen
oder
Triumphbogen
. Personifizierungen abstrakter Ideen und Vorstellungen ? wie ?Gluck“, ?Frieden“, ?Eintracht“, ?Jahreszeiten“, ?Geld“ oder bestimmter Stadte oder Staatswesen ? wurden benutzt zur bildlichen Erinnerung an einen bestimmten Menschen auf Sarkophagen, zur Verherrlichung bestimmter historischer Ereignisse auf Triumphbogen oder zur Verbildlichung religioser oder
kosmologischer
Vorstellungen.
Beruhmt ist das verschollene Bild
Die Verleumdung
des Malers
Apelles
mit seinem Aufmarsch allegorischer Figuren wie
Gerucht
,
Neid
oder der
nackten Wahrheit
, das in der Renaissance nach einer
Ekphrasis
des
Lukian von Samosata
als Gemalde von
Sandro Botticelli
mit dem Titel
Die Verleumdung des Apelles
neu geschaffen wurde, sowie das nur in einer romischen Kopie erhaltene
Relief
des
Kairos
, eine Allegorie der
gunstigen Gelegenheit
, des hellenistischen Bildhauers
Lysipp
.
Antike allegorische Bildformeln wurden auch in der fruhchristlichen Kunst verwendet und umgedeutet. Von besonderer Wichtigkeit fur die Herstellung allegorischer Bilder in der christlichen Kunst sind Thesen des
Isidor von Sevilla
zur Verwendung allegorischer Texte, die im Zuge des
Bilderstreits
auch als Argumente fur das Bild im Kontext christlicher Religion benutzt wurden. Im Laufe des Mittelalters entwickelten sich im Zusammenhang mit der christlichen
Dogmatik
neue Allegorien, die in unzahligen Varianten in der Malerei, der Skulptur und sogar in der Architektur erscheinen. Typische Beispiele sind die vier
Kardinaltugenden
, die Sieben
Todsunden
, die
Sieben Freien Kunste
, Frau Welt,
Ecclesia und Synagoge
und Zahlenallegorien.
Eine eigene Auspragung allegorischer Interpretation von Texten, die sich in den Bildkunsten widerspiegelt, ist die
Klassifikation
, in der jeweils Ereignisse des Alten und des Neuen Testaments als
Typus und Antitypus
miteinander in Zusammenhang gebracht wurden. Die einzelnen Textstellen der Bibel bzw. ihre bildliche Darstellung konnten verschiedenen Interpretationsmodi unterzogen werden, bei denen der buchstabliche
(sensus litteralis)
und der geistige
(sensus spiritualis)
Sinn zu unterscheiden war. Zu beachten war bei diesem die allegorische Bedeutung
(sensus allegoricus)
, die moralische Bedeutung
(sensus tropologicus)
und die
eschatologische Bedeutung
(sensus anagogicus)
.
Neue Impulse bekamen die Allegorien durch das wachsende Interesse humanistischer Gelehrter am
Neuplatonismus
. Alle Erscheinungen der Welt konnen als Abbilder gottlicher Schonheit gesehen werden. Niederschlag fanden zum Beispiel Ideen neuplatonischer Gelehrter am Hofe der Medici in Florenz in den Bildern
Botticellis
.
Auch
pagane
Quellen konnen ?Spiegel gottlicher Schonheit und Weisheit“ sein. Beispielhaft fur die Neubewertung nichtchristlicher Quellen ist das Interesse an
agyptischen Hieroglyphen
, etwa an der 1419 entdeckten Schrift uber Hieroglyphen des
Horapollon
. 1499 erschien der allegorische Roman
Hypnerotomachia Poliphili
des
Francesco Colonna
, mit dem das Spiel der Kunstler und Dichter von Renaissance und Barock mit der
Emblematik
eroffnet wurde.
Andrea Alciatos
Emblematum liber
von 1531 erlebte viele Auflagen und diente in der Folge den Kunstlern wie die
Iconologia
des
Cesare Ripa
, 1593, als allgemein anerkannte und viel benutztes Buch fur allegorische Darstellungen. Zu den aus dem Mittelalter bekannten Allegorisierungen traten neue, wie z. B. die des
Herkules
als Verkorperung des tugendhaften Menschen bzw. des vollkommenen Herrschers.
Die Tendenz zum Dunklen und Unverstandlichen in Allegorien, die schon Cicero bemerkt hatte, nimmt in der Renaissance zu, beispielhaft zu erkennen in den Bildern fur
Isabella d’Estes
studiolo
, und zeigt sich in schwer zu deutenden Bildern des Manierismus, wie der
Allegorie der Liebe
des
Bronzino
.
Eine Blute erlebte die allegorische Malerei im Zuge der
Gegenreformation
in der Ausmalung katholischer Kirchen und gleichzeitig in der Ausgestaltung barocker Schloss- und Parkanlagen.
In der folgenden Zeit ließ die Lust an der Allegorie bei Kunstlern und Auftraggebern nach. Der Allegorie wurden vermehrt trockene und gefuhlsarme Gedankenkonstruktionen nachgesagt. Kunsttheoretiker des 18. Jahrhunderts wie
Gotthold Ephraim Lessing
,
Moses Mendelssohn
und spater auch
Edgar Allan Poe
stellten den Sinn allegorischer Darstellungen in Frage, wahrend
Johann Joachim Winckelmann
,
Johann Wolfgang Goethe
und vor allem
Nathaniel Hawthorne
? einer der bekanntesten Allegoriker der Weltliteratur ? der Allegorie positiver gegenuberstanden. Trotzdem gab es nach wie vor allegorische Gemalde wie die Allegorie der Freiheit von
Eugene Delacroix
oder die Tageszeitenbilder von
Philipp Otto Runge
. Wahrend der
Wilhelminischen Zeit
spielten allegorische Skulpturen eine bedeutende Rolle bei der Dekoration von reprasentativen Bauten oder
Denkmalern
wie beispielsweise dem
Deutschen Reichstag
oder dem
Niederwalddenkmal
bei
Bingen am Rhein
.
Auch Kunstler des 20. Jahrhunderts, wie z. B.
Max Beckmann
, arbeiten gelegentlich mit allegorischen Darstellungen.
- Lysipp
:
Kairos
, Romische Kopie, Turin, Antikenmuseum
- Ekklesia und Synagoge
, um 1225?1235, Straßburger Munster,
Musee de l’Œuvre Notre-Dame
, Strasburg
- Lorenzetti
: Die gute Regierung; die schlechte Regierung, 1338?1339, Siena,
Palazzo Pubblico
- Botticelli
:
Primavera
, Florenz
Uffizien
, um 1482
- Botticelli:
Die Verleumdung des Apelles
, um 1490/95, Florenz, Uffizien
- Bronzino
:
Allegorie der Liebe
, um 1545,
National Gallery (London)
- Bronzino:
Andrea Doria als Neptun
, 1540?1550, Mailand,
Pinacoteca di Brera
- Heilige Allegorie
, Gemalde von Giovanni Bellini, Florenz, Uffizien
- Rubens
: Allegorie von Krieg und Frieden, National Gallery (London)
- Abu al-Hasan
:
Jahangir und Schah Abbas
(Allegorie des Friedens), 1618,
Freer Gallery of Art
(
Washington
)
- Luca Giordano
: Triumph der Medici in den Wolken des Olymp,
Palazzo Medici Riccardi
, Florenz
- Giovanni Battista Tiepolo
: Allegorie der vier Kontinente, Deckenfresken im Treppenhaus der
Wurzburger Residenz
, 1752?53, Wurzburg
- Asmus Carstens
: Die Nacht und ihre Kinder Schlaf und Tod, 1795, Weimar,
Staatliche Kunstsammlungen
- Delacroix
:
Die Freiheit fuhrt das Volk
oder Der 28. Juli 1830, 1830, Paris,
Louvre
- Gustav Klimt
:
Romisches und Venezianisches Quattrocento
, 1891, Wien,
Kunsthistorisches Museum
- Renoir
: Die Rhone empfangt die Saone, [1901], Paris,
Galerie Durand-Ruel
- Max Beckmann
:
Die Nacht
, Dusseldorf
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
- Die Ausstellung der
Deutschen Guggenheim
in
Berlin
zeigte 2005 unter dem Titel
Douglas Gordon
's The Vanity of Allegory
unter anderem Werke von
Duchamp
,
Damien Hirst
,
Jeff Koons
,
Man Ray
,
Andy Warhol
sowie der Filmregisseure
Bernardo Bertolucci
,
Francis Ford Coppola
,
Walt Disney
,
Federico Fellini
,
Jean-Luc Godard
,
Stanley Kubrick
,
Pier Paolo Pasolini
,
Andrei Tarkovsky
und
Luchino Visconti
.
?Die Allegorie verwandelt die Erscheinung in einen Begriff, den Begriff in ein Bild, doch so, dass der Begriff im Bilde immer noch begrenzt und vollstandig zu halten und zu haben und an denselben auszusprechen ist.
Die Symbolik verwandelt die Erscheinung in Idee, die Idee in ein Bild, und so, dass die Idee im Bild immer unendlich bleibt und, selbst in allen Sprachen ausgesprochen, doch unaussprechlich bliebe.“
?Allegorien sind im Reiche der Gedanken, was Ruinen im Reiche der Dinge.“
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