Walentin Michailowitsch Falin
(
russisch
Валентин Михайлович Фалин
, wissenschaftl.
Transliteration
Valentin Michajlovi? Falin;
*
3. April
1926
in
Leningrad
; †
22. Februar
2018
in
Moskau
) war ein
sowjetischer
Diplomat
und
Buchautor
. Falin war von 1971 bis 1978
Botschafter der Sowjetunion in der Bundesrepublik Deutschland
.
Falin wuchs in seiner Geburtsstadt und, nach dem Umzug seiner Familie 1930, in Moskau auf. Wahrend des
Zweiten Weltkrieges
war er als
Dreher
in der Moskauer Rustungsfabrik
Roter Proletarier
dienstverpflichtet. Von 1945 bis 1950 studierte Falin an der
Moskauer Hochschule fur internationale Beziehungen
(MGIMO) mit den Hauptfachern Deutsch und Deutschlandkunde sowie Volkerrecht und schloss sein Studium mit dem Pradikat
magna cum laude
ab.
Bereits in seiner Kindheit begann er Deutsch zu lernen ? zunachst mit Widerwillen. Nach dem Abschluss seiner Studien entwickelte er sich zum anerkannten Deutschland-Experten.
[1]
1950 bis 1951 gehorte er dem Stab der
Sowjetischen Kontrollkommission
in Deutschland an, die nach der Grundung der
DDR
die
Sowjetische Militaradministration
ersetzt hatte. Von 1952 bis 1958 war er im Informationskomitee des
sowjetischen Außenministeriums
tatig. Er bekleidete nacheinander die Posten eines Referenten, Beraters und des stellvertretenden Abteilungsleiters. Ab 1953 war er Mitglied der
KPdSU
. Seit 1958 war er Referent der Informationsabteilung des Zentralkomitees (ZK) der KPdSU, dann, nach der Abschaffung der Abteilung, ab 1959 im Außenministerium. Unter anderem war er Abteilungsleiter der 3. Europaischen Abteilung (Deutschland und Osterreich). Falin war Autor mehrerer Memoranden und Reden fur die offiziellen Ministeriumssprecher.
1961 wurde er Mitglied des personlichen Beraterstabes von
Nikita Chruschtschow
und war darin Experte fur Fragen der Deutschlandpolitik. Nach seinen eigenen Worten war er nicht immer mit der Position des sowjetischen Parteichefs einverstanden, der oft die Ratschlage seiner Umgebung in den Wind schlug. Er gehorte zu den Verfassern eines
Memorandums
, in dem der politischen Fuhrung davon abgeraten wurde, militarischen Druck auf
West-Berlin
auszuuben: Derartige Versuche konnten zu einem Weltkrieg eskalieren.
[2]
Nach dem Sturz Chruschtschows wurde er im Januar 1965 Chef der Beratergruppe des sowjetischen Außenministers
Andrei Gromyko
. Er war Autor fast aller Reden Gromykos, darunter der Rede auf dem XXIII.
Parteitag der KPdSU
, die angeblich in 17 Varianten ausgearbeitet wurde. Von 1968 bis 1971 war Falin Leiter der 2. Europaischen Abteilung des Außenministeriums (
Großbritannien
).
Von 1971 bis 1978 war Falin
Botschafter der Sowjetunion in der Bundesrepublik Deutschland
. Schon 1970, im Jahr vor seinem Amtsantritt in Bonn, hatte er beim Aushandeln des
Moskauer Vertrages
maßgeblich mitgewirkt.
[3]
[4]
Seit September 1978 leitete er die Internationale Abteilung beim Zentralkomitee der KPdSU. Nach einem Konflikt mit dem neuen sowjetischen Partei- und Staatschef
Juri Andropow
schied Falin 1983 aus dem ZK-Apparat aus. Spater gab er an, er habe angesichts der 1980/81 in Polen von der Gewerkschaft
Solidarno??
erhobenen Forderungen nach Aufklarung des
Massakers von Katyn
vorgeschlagen, Historiker mit dieser Aufgabe zu betrauen; doch sei dieser Vorstoß von seinen Vorgesetzten im ZK abgeblockt worden.
[5]
Falin bekam einen anderen Funktionarsposten der Partei: Er wurde politischer Redakteur des Regierungsorgans
Iswestija
.
Wahrend dieser Zeit promovierte er.
Sein zweiter Aufstieg begann mit der
Perestrojka-Politik
von
Michail Gorbatschow
. Ende 1985 wurde er Mitarbeiter des
USA- und Kanada-Instituts
der
Akademie der Wissenschaften der UdSSR
. Er war einer der Koautoren des Rechenschaftsberichts von Gorbatschow auf dem XXVII. Parteitag der KPdSU im Februar 1986. Im gleichen Jahr wurde er durch die Protektion des Politburomitglieds
Alexander Jakowlew
Leiter der Nachrichtenagentur
Nowosti
. Falin wurde Kandidat des ZK der KPdSU (1986?1989) und 1989 bis 1991 Vollmitglied. Seit 1988 war er Leiter der Internationalen Abteilung des ZK der KPdSU. In dieser Funktion trieb er erneut die Aufklarung des Massakers von Katyn voran. Unterstutzt von Alexander Jakowlew und Außenminister
Eduard Schewardnadse
konnte er Gorbatschow davon uberzeugen, im April 1990 die Taterschaft der sowjetischen Geheimpolizei
NKWD
durch die amtliche Nachrichtenagentur
TASS
eingestehen zu lassen.
[6]
Bei den Verhandlungen uber die deutsche Einheit im Sommer 1990 zwischen
Helmut Kohl
und Michail Gorbatschow spielte Falin als dessen Berater noch einmal eine wichtige Rolle. Vom 13. Juli 1990 bis 23. August 1991 war er Sekretar des Zentralkomitees der KPdSU. Gleichzeitig war er seit April 1991 Vorsitzender der Kommission fur Probleme der internationalen Politik des ZK der KPdSU.
Falin war Delegierter auf vier Parteitagen der KPdSU und von 1989 bis 1991 Deputierter des
Obersten Sowjets der UdSSR
. Er war gegen die Abschaffung des sechsten Artikels der sowjetischen Verfassung, in dem die fuhrende Rolle der kommunistischen Partei verankert war. Falin war Initiator der Erhebung von sowjetischen autonomen Republiken in den Status von
Sowjetrepubliken
, was zu einem verstarkten Streben dieser Republiken nach mehr Selbstandigkeit und nach Souveranitatsrechten fuhrte.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, fur den er seinen Mentor Gorbatschow verantwortlich machte, ließ sich Falin auf Einladung von
Egon Bahr
in
Tostedt
bei
Hamburg
nieder und war von 1992 bis 2000 Mitarbeiter des
Instituts fur Friedensforschung und Sicherheitspolitik
. Im Jahre 2000 kehrte Falin nach Moskau zuruck, wo er als Dozent an seiner alten Hochschule, dem
Staatlichen Moskauer Institut fur Internationale Beziehungen
(MGIMO), lehrte. Er verhehlte nicht, dass er der Sowjetunion nachtrauerte.
[7]
Falin war Preistrager des Staatspreises der Sowjetunion (1982) und wurde mit mehreren Orden ausgezeichnet, darunter mit dem
Orden der Oktoberrevolution
und mit drei
Orden des Roten Banners der Arbeit
.
In einer Vielzahl zeitgeschichtlicher Dokumentationen war Falin ein gefragter Zeitzeuge.
?Wenn Roboter die Kriege fuhren, werden die Hauptopfer dieser Kriege die Menschen, die Volker, bleiben. Darum wird die Vervollkommnung der Kriegstechnik unweigerlich eine umso grausamere Kriegsstrategie nach sich ziehen. Die einzige Moglichkeit, die Beziehungen unter den Volkern zu humanisieren, besteht darin, die Instrumente der Gewalt zu zerstoren und das Bewusstsein umzubauen. Das ist der schwierigste Teil der Konversion des Denkens.“
?
Walentin Falin
- mit Wladimir Sagladin &
Dmitri Ustinow
:
Angebote zum Frieden. Initiativen der Sowjetunion zur Abrustung.
Verlag Marxistische Blatter, Frankfurt 1981,
ISBN 3-88012-652-6
- Politische Erinnerungen.
Droemer Knaur, Munchen 1993,
ISBN 3-426-26657-1
; mit einem aktuellen Vorwort versehene Taschenbuchausgabe ebd. 1995,
ISBN 3-426-80061-6
.
- Zweite Front. Die Interessenkonflikte in der Anti-Hitler-Koalition.
Droemer Knaur, Munchen 1995,
ISBN 3-426-26810-8
.
- mit
Alexander Kluge
:
Interview mit dem Jahrhundert.
Rotbuch-Verlag, Hamburg 1995,
ISBN 3-88022-817-5
(
Auszug
)
- Konflikte im Kreml. Zur Vorgeschichte der deutschen Einheit und Auflosung der Sowjetunion.
Blessing, Munchen 1997,
ISBN 3-89667-012-3
; Edition Berolina, Berlin 2014,
ISBN 978-3-86789-834-8
.
- Ziele und Voraussetzungen eines geeinten Europas Vorstellung des Projektes Strategien und Optionen fur die Zukunft Europas
. Gutersloh:
Verlag Bertelsmann-Stiftung
, 1988. ? 39 S.
In dem zweiteiligen Doku-Drama
Deutschlandspiel
(2000) uber die Wende in der DDR und die deutsche Wiedervereinigung wurde Falin von
Ezard Haußmann
gespielt.
- ↑
Theo Sommer
:
Ein russischer Patriot in Zeiten des Kommunismus
. Valentin Falin rechnet in seinen Erinnerungen auch mit Gorbatschow ab: Zu fruh fur ein Requiem. In:
Die Zeit
. 12. November 1993,
ISSN
0044-2070
(
zeit.de
[abgerufen am 27. September 2016]).
- ↑
Falin Walentin Michailovitsch.
Meschdunarodny obedinjonny biografitscheski zentr
- ↑
Werner Link
:
Die Entstehung des Moskauer Vertrages im Lichte neuer Archivalien.
In:
Vierteljahrshefte fur Zeitgeschichte
.
49, 2001, S. 295?315 (
PDF
).
- ↑
Valentin Falin:
Politische Erinnerungen.
Droemer Knaur, Munchen 1993, S. 208.
- ↑
Inessa Jaschborowskaja, Anatoli Jablokow, Walentina Parsadanowa:
Katynskij sindrom w sowetsko-polskich otnoschenijach.
Moskau 2009, S. 230?231.
- ↑
Inessa Jaschborowskaja, Anatoli Jablokow, Walentina Parsadanowa:
Katynskij sindrom w sowetsko-polskich otnoschenijach.
Moskau 2009, S. 306?310.
- ↑
rve., Valentin Falin 90, in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung
, 2. April 2016, S. 6.