Neuwahl
ist eine Weiterleitung auf diesen Artikel. Zum gleichnamigen niederlandischen Spieleautor siehe
Niek Neuwahl
.
Vorgezogene Neuwahlen
sind
Wahlen
nach der
Auflosung eines Parlaments
im Zuge der vorzeitigen Beendigung der
Legislaturperiode
.
Dieser Artikel oder Absatz stellt die
Situation in Deutschland
dar. Bitte hilf uns dabei, die Situation in anderen Staaten zu schildern.
Das
Grundgesetz
sieht zwei Moglichkeiten vor, die zu vorgezogenen Neuwahlen fuhren konnen. Nach
Art. 68
Abs. 1 kann der
Bundesprasident
den
Bundestag
auf Vorschlag des
Bundeskanzlers
innerhalb von 21 Tagen
auflosen
, sofern dieser bei einer
Vertrauensfrage
keine Mehrheit im Parlament gefunden hat. Im Falle eines erfolgreichen
konstruktiven Misstrauensvotums
erlischt das Recht zur Auflosung des Bundestages. Wird ein Bundeskanzler gemaß
Art. 63
Abs. 4 mit
relativer
, aber nicht mit
absoluter Mehrheit
der Mitglieder des Bundestages gewahlt, so kann der Bundesprasident den Bundestag ebenfalls auflosen. Ein
Selbstauflosungsrecht
des Bundestages gibt es nicht,
wird aber diskutiert
. Lost der Bundesprasident den Bundestag auf, so mussen nach
Art. 39
Abs. 1 Neuwahlen innerhalb von 60 Tagen stattfinden.
Die erste vorgezogene Bundestagswahl in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland war die
Bundestagswahl 1972
. Vorausgegangen war ein Misstrauensvotum gegen
Willy Brandt
im April 1972, bei dem, falls es konstruktiv ausgegangen ware,
Rainer Barzel
(CDU) zum Bundeskanzler gewahlt worden ware. Es scheiterte an zwei fehlenden Stimmen. Dabei war mindestens die Stimme gegen Barzel von
Julius Steiner
(CDU) durch das
Ministerium fur Staatssicherheit
(MfS) gekauft worden (
Steiner-Wienand-Affare
). Trotz der erfolgreichen Abstimmung besaß die Koalition keine handlungsfahige Mehrheit mehr, sodass Bundesprasident
Gustav Heinemann
nach einer negativ beantworteten Vertrauensfrage Brandts den Bundestag aufloste.
1982 loste sich mitten in der Legislaturperiode die FDP aus der
sozialliberalen Koalition
, um eine
Regierung mit der CDU
zu bilden.
Helmut Kohl
wurde zum Bundeskanzler gewahlt. Eine Neuwahl des Bundestages sollte die neue Koalition legitimieren. Die Koalition wahlte die gescheiterte Vertrauensfrage zur Herbeifuhrung der Neuwahlen. Uber die Vertrauensfrage stimmte das Parlament am 17. Dezember 1982 ab. Obwohl erst am Tag zuvor der gemeinsame Bundeshaushalt fur 1983 beschlossen worden war, sprach das Parlament dem Kanzler das Vertrauen nicht aus. Nach heftigen Diskussionen uber die Verfassungsmaßigkeit dieses Vorganges entschied sich der Bundesprasident
Karl Carstens
dafur, die Auflosung des Bundestages anzuordnen und Neuwahlen fur den 6. Marz 1983 auszuschreiben. Die
Bundestagswahl vom 6. Marz 1983
konnte die CDU/CSU klar fur sich entscheiden, die FDP blieb trotz innerparteilicher Auseinandersetzungen und schwerer Verluste Koalitionspartner.
Unmittelbar nach der Wahlniederlage der SPD bei der
Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2005
kundigte der Bundes- und Fraktionsvorsitzende
Franz Muntefering
eine Neuwahl an. Er begrundete dies damit, dass das Vertrauen der Bevolkerung in die
rot-grune Bundesregierung
nicht mehr erkennbar sei. Bundeskanzler
Gerhard Schroder
richtete die Vertrauensfrage an das Parlament, das ihm mit dem
Votum vom 1. Juli 2005
das Vertrauen vorenthielt. Anschließend schlug der Kanzler Bundesprasident
Horst Kohler
die Auflosung des Bundestags vor. Dieser loste am 21. Juli 2005 den 15. Deutschen Bundestag auf und ordnete die Neuwahl an. Die Verfassungsmaßigkeit dieses Verfahrens wurde wie 1982 in Frage gestellt, wurde aber vom
Bundesverfassungsgericht
als verfassungskonform bestatigt
. Bei der
Bundestagswahl 2005
am 18. September 2005 verlor die rot-grune Koalition ihre Mehrheit.
Auf Landesebene ist, anders als auf Bundesebene, die Moglichkeit der Selbstauflosung des Parlaments verbreitet. So loste sich der
Hessische Landtag
am 19. November 2008 auf und ermoglichte somit die
Neuwahl am 18. Januar 2009
. Fur vorgezogene Neuwahlen wird ein Beschluss des Landtages, des Landtagsprasidenten oder des Ministerprasidenten auf Auflosung des Landtages und vorzeitige Beendigung der Wahlperiode benotigt. Die
Landtagswahl in Schleswig-Holstein am 6. Mai 2012
wurde nach Abbruch der Legislaturperiode durch das
Landesverfassungsgericht
vom 30. August 2010 notig.
Beispiele fur vorgezogene Neuwahlen auf Landesebene sind die
Burgerschaftswahlen in Hamburg im Dezember 1982
,
1987
,
1993
,
2004
und
2011
, die
Wahl zur Stadtverordnetenversammlung von Groß-Berlin 1948
, die
Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus 1950
,
1981
,
1990
und
2001
, die
Landtagswahl in Hessen 2009
sowie die
Landtagswahl in Niedersachsen 2017
. Die
Landtagswahl in Schleswig-Holstein 2012
war die zweite vorgezogene Neuwahl in Folge, nachdem bereits fur die
Landtagswahl 2009
aufgrund einer Vertrauensfrage des Ministerprasidenten der Landtag vor dem regularen Ablauf der Legislaturperiode aufgelost wurde. Auch die
Landtagswahl 1988
war eine vorgezogene Neuwahl.
Der
Nationalrat
kann sich durch einfaches Gesetz selbst auflosen oder vom Bundesprasidenten aufgelost werden.
[1]
Wahrend Selbstauflosungen durch einen Neuwahl-Beschluss ofters vorgekommen sind, hat der Bundesprasident erst einmal im Jahr 1930 von seinem Auflosungsrecht Gebrauch gemacht.
[2]
Auch die
Landtage
haben ein Selbstauflosungsrecht.
Nach einer Totalrevision der Bundesverfassung mussen der
Nationalrat
und der
Standerat
neu gewahlt werden.
[3]
Ansonsten sind vorgezogene Wahlen nicht vorgesehen.
Im
Vereinigten Konigreich
lost der Konig das Unterhaus (
House of Commons
) auf Vorschlag des Premierministers auf, spatestens jedoch etwa 5 Jahre nach der vorherigen Wahl. Die Neuwahlen finden innerhalb von 25 Arbeitstagen nach der Auflosung des Parlaments statt, weshalb historisch gesehen vorgezogene Neuwahlen im Vereinigten Konigreich sehr haufig sind, da sie der Premierminister typischerweise dann in die Wege leitet, wenn es aufgrund der politischen Stimmung und Umfragen so erscheint, als konne seine Partei die Neuwahlen fur sich entscheiden.
Die folgenden Wahlen wurden durch eine freiwillige Entscheidung der Regierung weniger als vier Jahre nach der vorherigen Wahl anberaumt:
- Dezember 1923
: Obwohl die Konservativen (Tories) nach dem Sieg von
Bonar Law
bei der Unterhauswahl am 15. November 1922 eine Mehrheit im Unterhaus gewonnen hatten, rief
Stanley Baldwin
ein Jahr spater eine Wahl aus. Die Tories erhielten 258 von 616 Mandaten (nach 344 bei der Wahl 1922). Baldwin trat 1924 zuruck.
Ramsay MacDonald
bildete toleriert von der Liberalen Partei die erste Labour-Minderheitsregierung des Landes und wurde Premierminister.
- 1931
: Weil seine Regierung uber den Umgang mit der
Weltwirtschaftskrise
gespalten war, bot MacDonald dem Konig im August 1931 seinen Rucktritt an. Stattdessen wurde er uberredet, mit den Konservativen und Liberalen eine nationale Regierung zu bilden. Labour schloss ihn deshalb aus der Partei aus. Das Kabinett beschloss daraufhin eine vorgezogene Neuwahl. Die Tories erhielten 55 % der Stimmen und 470 von 615 Sitzen; Labour nur 46 Sitze (nach 287 Sitzen 1929).
- Wahl am 25. Oktober 1951
: Clement Attlee bewirkte (nur 20 Monate nach der letzten Wahl) diese Wahl, um die Unterhaus-Mehrheit seiner Regierung zu erhohen, die bei der Unterhauswahl am 23. Februar 1950 auf nur funf Sitze reduziert worden war. Winston Churchill kehrte mit einer Mehrheit von 17 Unterhaus-Sitzen an die Regierung zuruck.
- 1955: Nachdem Winston Churchill im April 1955 in den Ruhestand getreten war, ubernahm Anthony Eden das Amt und bewirkte sofort eine vorgezogene Nweuwahl, um ein Mandat fur seine Regierung zu erhalten.
- 1966: Harold Wilson berief die Wahl siebzehn Monate nach dem knappen Sieg von Labour bei der Parlamentswahl von 1964. Die Regierung hatte eine kaum funktionierende Mehrheit von vier Sitzen gewonnen, die nach der Nachwahl von Leyton im Januar 1965 auf zwei reduziert worden war. Labour gewann 1966 eine Mehrheit von 98 Sitzen.
- Februar 1974
: Premierminister
Edward Heath
bewirkte in einer wirtschaftlich schwierigen Situation (im Marz 1973 war das
Bretton-Woods-System
, ein System fast starrer Wechselkurse, zusammengebrochen und im Oktober hatte eine
Olpreiskrise
begonnen) eine vorgezogene Neuwahl. Labour erhielt vier Sitze mehr als die Konservativen.
Harold Wilson
wurde (wie schon 1964 bis 1970) Premierminister.
- Oktober 1974
: Labour erhielt 319 von 635 Sitzen, eine knappe Mehrheit.
- 3. Mai 1979
Premierminister James Callaghan (Labour) hatte am 28. Marz 1979 ein
Misstrauensvotum
im Unterhaus verloren.
- Gordon Brown
stand im Herbst 2007 kurz davor, eine vorgezogene Wahl zu bewirken. Spater sank seine Popularitat und Labour verlor die
Unterhauswahl am 5. Mai 2010
.
- 8. Juni 2017
: Premierminister Cameron war nach dem verlorenen
Brexit-Referendum
im Juli 2016 zuruckgetreten und
Theresa May
war seine Nachfolgerin geworden. May ließ im April 2017 das Unterhaus uber Neuwahlen abstimmen; dieses stimmte fast einstimmig zu. Die Tories erhielten 42,2 % der Stimmen und 318 von 650 Sitzen.
- Auf Betreiben von Premierminister
Boris Johnson
stimmte das Unterhaus am 29. Oktober 2019 einer vorgezogenen Neuwahl zu. Diese fand
am 12. Dezember 2019 statt
.
Die Auflosung des Parlaments ist in den meisten Staaten ein Recht des Staatsoberhauptes. In vielen Staaten kann das Staatsoberhaupt nur unter bestimmten Voraussetzungen eine vorgezogene Neuwahl veranlassen. Ein
Selbstauflosungsrecht
gibt es in Osterreich, Israel und in Polen. Polen und Osterreich kennen gleichzeitig ein Auflosungsrecht des Prasidenten. In Lettland kann das Parlament durch eine Volksabstimmung aufgelost werden, was
2011
geschehen ist.
Keine Parlamentsauflosung kennen die Vereinigten Staaten und Norwegen.
In einigen Monarchien lost der Konig das Unterhaus auf Vorschlag des Premierministers auf, zum Beispiel in den Niederlanden, in Belgien und in Danemark.
- ↑
Bundes-Verfassungsgesetz Art. 29.
In:
Rechtsinformationssystem der Republik Osterreich
.
1. Januar 2004,
abgerufen am 18. Mai 2019
.
- ↑
Christian Bohmer:
Warum Thomas Klestil zuruckschreckte, das Parlament zu entlassen.
In:
kurier.at.
31. Marz 2016,
abgerufen am 20. Mai 2019
.
- ↑
Art. 193 BV Totalrevision ? Bundesverfassung.
In:
Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft
.
Abgerufen am 18. Mai 2019
.