Schutzmacht
ist ein Begriff aus dem
Konsularrecht
und bezeichnet einen
Staat
, der einen anderen Staat diplomatisch und konsularisch vertritt. Schutzmachte nehmen anstelle der Entsendestaaten deren Interessen im Empfangsstaat wahr, wenn keine diplomatischen Beziehungen zwischen Entsende- und Empfangsstaat bestehen (beiderseitiges Schutzmachtbedurfnis).
[1]
Schutzmachttatigkeiten in Friedenszeiten sind Abweichungen von der Regelform der Wahrnehmung auswartiger Angelegenheiten eines staatlichen
Volkerrechtssubjekts
durch eigene
Auslandsvertretungen
,
[2]
fur den deutschen
Auswartigen Dienst
geregelt in
§ 1
Abs. 2 des
Gesetzes uber den Auswartigen Dienst
(GAD).
Die Schutzmacht entwickelte sich als
Institut
des
Volkergewohnheitsrechts
uber Jahrhunderte und lasst sich rechtshistorisch in ihren Anfangen bis in das 13. Jahrhundert nachweisen.
[3]
Die Fahigkeit, die eigenen auswartigen Angelegenheiten selbst zu gestalten, ist Voraussetzung, um eine Schutzmacht bestellen zu konnen. Ein volkerrechtliches Abhangigkeitsverhaltnis wie ein
Protektorat
nimmt dem vertretenen Staat jedoch regelmaßig die volkerrechtliche Fahigkeit, seine auswartigen Angelegenheiten selbst zu gestalten. Es steht dem protegierten Staat zumeist nicht mehr frei, seine auswartigen Angelegenheiten durch eine Schutzmacht wahrzunehmen lassen.
[4]
Besteht kein Schutzmachtbedurfnis, kann sich ein Staat dennoch freiwillig aufgrund eines
volkerrechltichen Vertrags
durch einen anderen Staat volkerrechtlich vertreten lassen. Der Vertrag belasst dem vertretenen Staat die volkerrechtliche Fahigkeit zur eigenen Regelung der auswartigen Angelegenheiten. Beispielsweise hat sich
Liechtenstein
seit 1919 in
Deutschland
und
Osterreich
lange durch die
Schweiz
vertreten lassen.
[5]
Bestehen zwar diplomatische Beziehungen, wird jedoch die Mission des Entsendestaats abberufen, so kann der Entsendestaat einem dritten Staat den Schutz seiner Interessen und derjenigen seiner Angehorigen im Empfangsstaat uberlassen.
[6]
Da in diesem Fall nur ein einseitiges Schutzmachtbedurfnis besteht, sind die Regeln uber die Schutzmacht nicht einschlagig. Endet die personliche Mission des Missionschefs, enden damit nicht die diplomatischen Beziehungen. Regelmaßig wird in solchen Fallen ein
Geschaftstrager
ad Interim
tatig.
Erkennen sich zwei Staaten zwar volkerrechtlich an, nehmen jedoch keine diplomatischen Beziehungen auf, konnen zunachst aufgrund bilateraler Vertrage offizielle Handelsvertretungen ohne diplomatischen Status unterhalten werden. Die ?Handelsvertretungen“ der Bundesrepublik Deutschland einerseits und Bulgariens und Ungarns andererseits bestanden bis zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen am 21. Dezember 1973 und der Umwandlung der Handelsvertretungen in
Botschaften
.
[7]
[8]
Die Vorschriften des
Wiener Ubereinkommens uber diplomatische Beziehungen
(WUD) und des
Wiener Ubereinkommens uber konsularische Beziehungen
(WUK) uber die Schutzmacht gehoren zusammen mit den volkergewohnheitsrechtlichen Regeln uber die Schutzmacht zu den
allgemeinen Regeln des Volkerrechts
im Sinne von
Art. 25
Satz 1 GG.
Nach Art. 45 lit. c) WUD kann der Schutz der Interessen des Staates und seiner Angehorigen einem dem Empfangsstaat genehmen dritten Staat ubertragen werden, wenn die diplomatischen Beziehungen abgebrochen werden oder eine Mission endgultig oder vorubergehend abberufen wird. Hierzu bedarf es des Ersuchens des dritten Staates und der vorherigen Zustimmung des Empfangsstaates. Fur den Fall, dass diplomatische Beziehungen nicht bzw. noch nicht bestehen, sieht Art. 46 WUD die Moglichkeit vor, zeitweilig den Schutz der Interessen des im Empfangsstaat nicht vertretenen dritten Staates und seiner Angehorigen einem Staat zu ubertragen. Nach Art. 8 WUK besteht die Moglichkeit, dass eine konsularische Vertretung eines Entsendestaates im Empfangsstaat auch konsularische Aufgaben fur einen dritten Staat wahrnimmt.
Ob neben dritten Staaten als Schutzmachte auch nichtstaatliche Volkerrechtssubjekte wie der
Heilige Stuhl
, das
Internationale Komitee vom Roten Kreuz
oder der romisch-katholische
Souverane Malteser Ritter-Orden
in Betracht kommen, ist in der Literatur umstritten.
[9]
Die
Schweiz
vertritt seit 1980 unter anderem die Interessen der
USA
im
Iran
.
[10]
Bevor 2001 regulare diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Nordkorea aufgenommen wurden, agierte das
Konigreich Schweden
als Schutzmacht fur Deutschland (in Nordkorea). Die
Volksrepublik China
hingegen agierte als Schutzmacht fur Nordkorea (in Deutschland).
[11]
Da die Ukraine nach dem
russischen Uberfall
vom 24. Februar 2022 die diplomatischen
Beziehungen zu Russland
abgebrochen hatte,
[12]
mochte die Ukraine ihre Interessen in Russland kunftig durch die Schweiz vertreten lassen.
[13]
Das
Humanitare Volkerrecht
sieht in den
Genfer Konventionen
die Bestellung von Schutzmachten auch bei Aufrechterhaltung diplomatischer Beziehungen zwischen den Beteiligten internationaler
bewaffneter Konflikte
vor.
Nach Art. 5 des I. Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949
[14]
sind die an einem Konflikt beteiligten Parteien verpflichtet, vom Beginn des Konflikts an die Einhaltung der Genfer Abkommen und des Protokolls I und deren Uberwachung durch einen neutralen oder anderen nicht am Konflikt beteiligten Staat sicherzustellen. Gegebenenfalls bietet das Internationale Komitee vom Roten Kreuz an, unverzuglich eine Schutzmacht zu benennen, mit der die am Konflikt beteiligten Parteien einverstanden sind. Es kann auch selbst als Ersatzschutzmacht tatig werden.
[15]
Seine Beobachter haben etwa Zugang zu
Kriegsgefangenenlagern
und achten dort auf die Einhaltung des Humanitaren Volkerrechts.
[16]
Bereits vor dem Inkrafttreten der Genfer Konventionen wurde in Art. 86 des
Abkommens uber die Behandlung der Kriegsgefangenen
vom 27. Juli 1929 vorgesehen, zur Einhaltung des Abkommens Schutzmachte mit der Wahrnehmung der Interessen der Kriegfuhrenden zu betrauen, 1949 ubernommen in Art. 126 des
Genfer Abkommens uber die Behandlung der Kriegsgefangenen
. Das zweibandige Werk von Niklas Wagner, Holger Raasch und Thomas Propstl
Wiener Ubereinkommen uber diplomatische und konsularische Beziehungen
weist fur die Schweiz eine Ubernahme von 260
diplomatischen Schutzmachtvertretungen
von insgesamt 43 Staaten wahrend des Zweiten Weltkriegs aus.
[17]
Der Rechenschaftsbericht der Abteilung fur fremde Interessen des Eidgenossischen Politischen Departementes der Schweiz aus dem Jahre 1946 listet hingegen nur 35 Staaten auf.
[18]
[19]
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Als ?Schutzmacht“ bezeichnet man auch eine ?Garantiemacht“ fur die Einhaltung anderer
volkerrechtlicher Vertrage
. So ist zum Beispiel Osterreich Garantiemacht fur das
Gruber-De-Gasperi-Abkommen
uber
Sudtirol
;
Großbritannien
,
Griechenland
und die
Turkei
garantierten das
Zurcher und Londoner Abkommen
uber
Zypern
.
Der Begriff ?Schutzmacht“ wird auch im Zusammenhang mit dem
Kolonialismus
/
Imperialismus
verwendet. So bezeichnete das
Deutsche Kaiserreich
seine
Kolonien
als ?Schutzgebiete“ und verstand sich daher eher als Schutzmacht denn als
Kolonialmacht
. Der
Volkerbund
und spater die
UNO
ubertrug einigen Landern wie den USA,
Italien
,
Frankreich
,
Belgien
, Großbritannien,
Sudafrika
,
Australien
sowie
Neuseeland
Mandate uber ehemals deutsche und osmanische Gebiete und Besitzungen. Diese Staaten ubten dann die Schutzmachtfunktion aus. In der Praxis allerdings wurden die meisten ubertragenen Gebiete wie Kolonien verwaltet und in das bestehende
Kolonialreich
oder
Staatsgebiet
eingegliedert.
Frankreich trat vor dem
Deutsch-Franzosischen Krieg
als Schutzmacht des
Papstes
auf; die sich zu dieser Zeit zu einer
Nation
zusammenschließenden
Italiener
beanspruchten aber den
Kirchenstaat
in
Rom
.
Seit dem
Ersten Weltkrieg
wird auch
Russland
als Schutzmacht
Serbiens
gesehen, was sich vor allem auch auf die slawische Volkszugehorigkeit (
Panslawismus
) zuruckfuhren lasst. Zum Beispiel pladierte Russland dagegen, im
Kosovokrieg
1998/99 ohne
UNO-Mandat
auf Seiten der Kosovo-Albaner beziehungsweise der UCK einzugreifen.
Die USA gelten als Schutzmacht
Israels
.
- Ruth Bertschy:
Die Schutzmacht im Volkerrecht: ihre rechtliche und praktische Bedeutung.
Univ.-Diss.
Freiburg
, 1952.
- Maximilian Reimann:
Quasi-Konsularische und schutzmachtahnliche Funktionen des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz außerhalb bewaffneter Konflikte.
Verlag Arnold Fricker, 1971.
- Jean-Pierre Knellwolf:
Die Schutzmacht im Volkerrecht unter besonderer Berucksichtigung der schweizerischen Verhaltnisse.
Univ.-Diss. Bern, 1985.
- Stefanie Eisenhuth:
Die Schutzmacht. Die Amerikaner in Berlin 1945?1994.
Wallstein Verlag, 2018,
ISBN 978-3-8353-3291-1
.
- ↑
Norbert B. Wagner:
Aspekte der Schutzmacht.
2008, S. 5 f.
- ↑
Schutzmacht
. In:
Hans-Jurgen Schlochauer
(Hrsg.):
Worterbuch des Volkerrechts.
3. Band, Berlin 1962,
S. 218 ff.
- ↑
Alfred Escher:
Der Schutz der Staatsangehorigen im Ausland durch fremde Gesandtschaften und Konsulate.
Aarau 1929, S. 10 ff.
- ↑
Jean-Pierre Knellwolf:
Die Schutzmacht im Volkerrecht unter besonderer Berucksichtigung der schweizerischen Verhaltnisse.
Bern, Univ.-Diss. 1985, S. 86 ff.
- ↑
Landesverwaltung Furstentum Liechtenstein
:
Bilaterale Beziehungen.
Amt fur Auswartige Angelegenheiten, abgerufen am 14. August 2022.
- ↑
Vgl. C. Seibt:
Das Recht der diplomatischen Beziehungen wahrend kriegerischer Besetzungen.
AVR
1990, S. 443, 451 f.
- ↑
Wolf Oschlies:
Bonn-Sofia: Vor und nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen.
Osteuropa
1974, S. 586?598.
- ↑
Kurt Kwasny:
Meilenstein in der Normalisierung zwischen Bonn und Budapest: Diplomatische Beziehungen leiten neue Phase der bilateralen Kontakte ein.
Osteuropa 1974, S. 715?723.
- ↑
Jean-Pierre Knellwolf, S. 36, halt offenbar nur Staaten fur taugliche Schutzmachte. Maximilian Reimann, S. 2 ff., will die Tatigkeit des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz in der Ersatzfunktion einer Schutzmacht nur als ?schutzmachtahnlich“ erfassen.
- ↑
Bilaterale Beziehungen Schweiz?Iran
, abgerufen am 21. November 2018.
- ↑
Informationen des Auswartigen Amtes uber die politischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu Nordkorea
, abgerufen am 8. Januar 2013.
- ↑
Ukraine bricht diplomatische Beziehungen zu Russland ab.
Suddeutsche Zeitung
, 24. Februar 2022.
- ↑
Schutzmacht Schweiz? Schweiz soll Ukraine gegenuber Russland vertreten.
Legal Tribune Online
, 11. August 2022.
- ↑
Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 uber den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I)
. Angenommen in Genf am 8. Juni 1977.
- ↑
Albrecht Randelzhofer:
Entwicklungstendenzen im humanitaren Volkerrecht fur bewaffnete Konflikte.
Die Friedens-Warte
1975, S. 23?54.
- ↑
Marc Muller:
Das Humanitare Volkerrecht. Ein Uberblick uber das Recht der internationalen und internen bewaffneten Konflikte, dessen Durchsetzung und aktuelle Herausforderungen.
Bonner Rechtsjournal
2009, S. 144?150.
- ↑
Niklas Wagner, Holger Raasch, Thomas Propstl:
Wiener Ubereinkommen uber konsularische Beziehungen vom 24. April 1963: Kommentar fur die Praxis.
Berlin 2007, S. 398.
- ↑
Rechenschaftsbericht der Abteilung fur fremde Interessen, Anhang VI.
in der Datenbank
Dodis
der
Diplomatischen Dokumente der Schweiz
- ↑
Paul Widmer:
Die Schweizer Gesandtschaft in Berlin. Geschichte eines schwierigen diplomatischen Postens
. Verlag Neue Zurcher Zeitung, Zurich 1997,
ISBN 3-85823-683-7
,
S.
264
.