Grandville

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Selbstportrat, um 1833

Grandville oder Jean-Jacques Grandville (* 13. September 1803 in Nancy ; † 17. Marz 1847 in Vanves bei Paris ; eigentlich Jean Ignace Isidore Gerard ) war ein franzosischer Lithograf, Maler und Zeichner, dessen beruflicher Werdegang eng verbunden war mit den unruhigen politischen Verhaltnissen in der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts in Frankreich. Zur Zeit der Julimonarchie arbeitete er mit großem Erfolg als politischer Karikaturist fur die oppositionellen Zeitschriften La Caricature und Le Charivari in Paris. Nach 1835 machte er sich einen Namen als Illustrator klassischer und zeitgenossischer Literatur. Sein formales Hauptmotiv war die anthropomorphe Tier- und Pflanzendarstellung: er zeichnete Mischwesen aus Teilen von Menschen, Tieren und Gewachsen, um bestimmte Eigenschaften der Dargestellten zu charakterisieren. Das Gesamtwerk Grandvilles besteht aus rund 3000 Zeichnungen. Sein Privatleben verlief unglucklich, dem fruhen Tod in geistiger Verwirrung ging eine Reihe von Todesfallen in der engeren Familie voraus.

Historischer Uberblick [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

1804 kronte sich Napoleon Bonaparte zum Kaiser Napoleon I. Nach dessen Abdankung kehrte Frankreich 1814 zur Herrschaft der Bourbonen zuruck, Ludwig XVIII. wurde als Konig eingesetzt. Der Wiener Kongress verhandelte die Neuordnung Europas im Sinne der Restauration . Seit etwa 1820 nahm die politische Unterdruckung in Frankreich zu, die Zensur wurde wieder eingefuhrt. Im Juli 1830 erließ Charles X. , Konig seit 1825, Gesetze zur weiteren Einschrankung der burgerlichen Freiheiten. Dies fuhrte zum Ausbruch der Julirevolution . Charles X. zog sich nach England zuruck, neuer Konig wurde Louis-Philippe I. mit anfanglich liberalem Auftreten und einer Regierung, die das Großburgertum begunstigte. Schon 1831 setzte eine verstarkt restaurative Entwicklung ein. Die beginnende Industrialisierung hatte eine Verelendung der Arbeiter zur Folge, einzelne Aufstande wurden blutig niedergeschlagen. Die repressiven ? Septembergesetze “ von 1835 brachten das Ende der Pressefreiheit mit sich. Die folgende Zeit erzwungener relativer Ruhe mundete in die burgerliche Revolution von 1848 .

Privatleben [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Jugend und Ausbildung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Selbstportrat, um 1820?1822

Jean Ignace Isidore Gerard wurde als Sohn des Miniaturmalers Jean Baptiste Mathias Gerard Grandville (1766?1854) und dessen Frau Catherine Emilie Viot in Nancy im Nordosten Frankreichs geboren. Er hatte zwei Bruder und zwei Schwestern. Seine Großeltern hatten als Schauspieler den Kunstlernamen ?Grandville“ angenommen, sein Vater verwendete diesen Namen als Zusatz zu seinem Familiennamen, um sich von seinem alteren Bruder zu unterscheiden, der ebenfalls als Miniaturmaler tatig war.

1815 besuchte Grandville das Gymnasium in Nancy. Er blieb trotz Nachhilfestunden ein maßiger Schuler. 1817 wurde er Lehrling bei seinem Vater. In der Miniaturmalerei war er nicht sehr erfolgreich, da er sich nicht dazu verstehen konnte, seinen Kunden zu schmeicheln. Er zeichnete jedoch sehr viel, mit erkennbarer Neigung zur Karikatur. Schon damals entstanden die ersten Tierfiguren mit menschlichen Zugen ( hommes-betes ), ein haufiges Motiv in seinen spateren Arbeiten. Als Autodidakt erlernte er die Technik der Lithografie , die sich noch im Anfangsstadium ihrer Entwicklung befand (in spateren Jahren lieferte er nur noch die Vorzeichnungen zu seinen Arbeiten; professionelle Lithografen ubertrugen sie auf den Stein und besorgten den Druck).

Ehe, Krankheit, Tod [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Am 22. Juli 1833 heiratete Grandville in Nancy seine Cousine Marguerite Henriette Fischer (1810?1842) und bezog mit ihr eine neue Wohnung in Paris. Ihr erster Sohn Ferdinand wurde 1834 geboren, er lebte nur vier Jahre. Die Geburt hatte Henriette nachhaltig geschwacht. Nach jeder weiteren Schwangerschaft verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand weiter. Ein zweiter Sohn, Henri, kam im Herbst 1838 zur Welt, er starb 1841, als er in Gegenwart seiner Eltern an einem Stuck Brot erstickte. Von der Geburt des dritten Sohnes, Georges, im Juli 1842 erholte sich Henriette nicht mehr, sie starb im selben Monat an einer Bauchfellentzundung . Im Oktober 1843 heiratete Grandville erneut, wie es Henriette gewunscht hatte. Armand, das einzige Kind aus der Ehe mit Catherine Marceline (?Celine“) Lhuillier (1819?1888), kam 1845 zur Welt. Im Januar 1847 starb nach kurzer Krankheit Georges, der dritte Sohn aus Grandvilles erster Ehe.

Grandville hatte in zehn Jahren seine Frau und drei Kinder verloren und war korperlich wie seelisch gebrochen. Er erkrankte mehrfach in kurzen Abstanden und kundigte entschieden seinen nahen Tod an, obwohl die Arzte noch nicht ernstlich besorgt waren. Ein Freund berichtete, wie er nach einem Schlaganfall und wegen zunehmender Verwirrtheit in das Irrenhaus ( maison des sante ) von Vanves verbracht wurde, wo ?der Ungluckliche nach einer furchtbaren Agonie , die drei Tage und drei Nachte dauerte, seinen letzten Atemzug aushauchte“ [1] Grandville starb am 17. Marz 1847. In Saint-Mande , dem Ferienort der Familie im Osten von Paris, wurde er neben seiner ersten Frau und den drei gemeinsamen Sohnen beerdigt. Seine Grabinschrift hatte er selbst formuliert: ?Hier liegt J. J. Grandville. Er beseelte Alles und machte, nach Gott, Alles leben, sprechen oder gehen, er selbst aber verstand es nicht, den rechten Weg zu seinem Gluck einzuschlagen“. [1]

Arbeitsleben [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

1825 bis 1830 [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

1825 hatte Grandvilles Vater Besuch von einem Fachkollegen aus Paris, der von den Zeichnungen des Sohnes so beeindruckt war, dass er ihn einlud, in seinem Atelier in der Hauptstadt zu arbeiten. Familiaren Anschluss fand Grandville dort bei seiner Cousine und deren Mann, Regisseur am Theatre Royal de l’ Opera-Comique . Auch in Paris konnte er sich mit dem Beruf des Miniaturmalers nicht anfreunden. Vor der schnellen Ruckkehr nach Nancy bewahrte ihn 1826 ein Auftrag der Opera-Comique, fur die er 22 kolorierte Lithografien von Opernkostumen anfertigte; das Honorar blieb man ihm schuldig. Erste Bekanntheit errang er 1827 mit Chaque age a ses plaisirs , einem Album von 12 Lithografien, in dem die ?vier Jahreszeiten des menschlichen Lebens“ dargestellt sind.

1828 folgte der Auftrag fur ein zweites Album mit 12 Farblithografien ( Les Dimanches d’un bourgeois de Paris ou Les Tribulations de la petite Propriete ). Die Einnahmen ermoglichten es dem Zeichner, sein dunkles Hotelzimmer aufzugeben und eine helle Mansarde in der Nahe der Ecole des Beaux-Arts anzumieten. Hier empfing er seine Freunde, unter ihnen der Karikaturist und Journalist Charles Philipon (1806?1862) und der Romancier Alexandre Dumas der Altere (1802?1870). Dumas beschrieb ihn wie folgt: ?Grandville lachte wenig, deklamierte wenig, rauchte wenig, und er trank wenig. Er saß an seinem Tisch, ein Blatt Papier vor sich, eine Feder oder einen Stift in der Hand, manchmal lachelte er, und er zeichnete unentwegt. Was brachte er zu Papier? Er selber wußte es nicht. Eine Laune, die an Wahnsinn grenzte, fuhrte seinen Stift.“ [1]

1829 erschienen sechs Lithografien unter dem Titel Galerie mythologique , danach die Folge von 72 farbigen Lithografien Les Metamorphoses du jour , die den endgultigen Durchbruch fur Grandville bedeuteten. In dieser Arbeit setzte er fruhere Versuche fort, er zeichnete Tiere mit menschlichen Merkmalen und Eigenschaften, um bestimmte Aspekte des Zusammenlebens zu verdeutlichen ? eine Technik, die er in seinen politischen Karikaturen und Illustrationen immer wieder anwendete. Nach dem Erfolg der Metamorphoses war er stets ausreichend mit Auftragen versorgt. Noch im selben Jahr begann er, fur die satirische Zeitschrift La Silhouette zu arbeiten, die Vorlauferin von La Caricature und Le Charivari .

1830 bis 1835 [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Wiederauferstehung der Zensur , 1832
Großer Kreuzzug gegen die Freiheit , Blatt 1, 1834

Um 1830 setzte eine Zeit der sturmischen Entwicklung fur das Presse- und Verlagswesen in Frankreich ein. Politischer Hintergrund war die Verteidigung der burgerlichen Freiheiten, einschließlich der Pressefreiheit , die in der Julirevolution gerade errungen worden waren. Technisch brachte die kurz zuvor entwickelte Lithografie einen großen Fortschritt, die Zeitungen konnten nun mit großflachigen, auch farbigen Illustrationen erscheinen. Diese Bilder wurden oft als Einzelblatter in Pariser Kunsthandlungen ausgehangt und bekamen so Bedeutung selbst fur die nicht lesekundige Bevolkerung, die in den Kunstlern ihre Verbundeten sehen konnte.

An den Barrikadenkampfen der Julirevolution 1830 in Paris hatte auch Grandville teilgenommen. Im Herbst desselben Jahres grundete Charles Philipon, zuvor Karikaturist bei La Silhouette , die Wochenzeitschrift La Caricature , die bis August 1835 erschien. Sie druckte Karikaturen und Kommentare zur aktuellen politischen Situation, Chefredakteur war anfangs Honore de Balzac , zu den Mitarbeitern gehorte Honore Daumier . Grandville war der produktivste Kunstler der Zeitschrift, er lieferte 122 Lithografien von insgesamt 524 veroffentlichten Blattern. Als besondere Form entwickelte er Bildserien ( Processions politiques ), in denen er uber mehrere Heftfolgen hinweg Personen des offentlichen Lebens kritisch darstellte. Im November 1831 erhielt Philipon als Verantwortlicher wegen Beleidigung des Konigs eine Gefangnisstrafe von sechs Monaten. Im Verlauf dieses Prozesses wurde die Karikatur Louis-Philippes als ?Birne“ zum Symbol der Julimonarchie, ungeachtet aller Strafen.

Seit Dezember 1832 gab Philipon Le Charivari (Katzenmusik, Getose) heraus, eine etwas billigere Tageszeitung in kleinerem Format. Sie sollte ?in den Pausen zwischen den großen Schlachten der Caricature  […] den alltaglichen Krieg gegen die Lacherlichkeiten des Alltags“ fuhren. [2] Hauptgegenstande der dort gedruckten, meist schwarz-weißen Lithografien waren Mode, Theaterauffuhrungen und gesellschaftliche Ereignisse. Louis-Philippe, als ?Birne“ karikiert, erschien jedoch auch in dieser Zeitung, was Philipon eine hohe Geldstrafe eintrug. Grandville arbeitete hier nur gelegentlich mit, lieferte aber doch insgesamt 60 Zeichnungen.

Nach einer missgluckten republikanischen Erhebung im Sommer 1832 war La Caricature , wie auch andere oppositionelle Zeitschriften, von neuen Repressionen betroffen. Grandville thematisierte die Kontroverse der freiheitlichen Presse mit der Obrigkeit in einer siebenteiligen Folge von Farblithografien mit dem Titel Großer Kreuzzug gegen die Freiheit ( Grande Croisade contre la Liberte ). [3]

Auf Anregung Philipons modellierte Daumier im Jahre 1834 eine Gruppe von 36 Terrakottabusten mit den satirisch deformierten Physiognomien zeitgenossischer Politiker. Wahrend Daumier und andere Mitarbeiter von Caricature und Charivari sich fruher oft an den Arbeiten Grandvilles orientiert hatten, dienten jetzt diese Terrakotten als Vorlagen fur Grandville und die ubrigen Zeichner. Infolge der Septembergesetze von 1835 wurden 30 Zeitungen und Zeitschriften eingestellt, darunter auch La Caricature . In Le Charivari behandelte man statt politischer Fragen nun nur noch allgemein gesellschaftliche Themen. Grandville zeichnete dafur die Bildfolgen Les Parisiens pittoresques ( Die pittoreske Pariser Bevolkerung ) (12 Lithografien) sowie Types modernes, observations critiques, le dedans de l’homme explique par le dehors (9 Lithografien).

1836 bis 1847 [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Illustration aus Gullivers Reisen , 1838
Illustration aus Hundert Sprichworter , 1844

Das Jahr 1836 war ein Wendepunkt in Grandvilles beruflicher Orientierung. Seine speziellen Fahigkeiten als politischer Karikaturist konnte er wegen der restriktiven Pressegesetze nicht mehr anwenden. Bei Le Charivari fuhlte er sich gegenuber Daumier zuruckgesetzt. Neuer Schwerpunkt seiner Arbeit wurde die Illustration literarischer Texte. In rund zehn Jahren schuf er auf diesem Gebiet ein umfangreiches Werk, das ihm neben Gustave Dore einen Platz als Erneuerer der Buchillustration in Frankreich eintrug. [4]

Am Anfang dieser Arbeiten standen Grandvilles 100 (von insgesamt 120) Holzschnitten fur die ?Œuvres completes“ des popularen republikanischen Lyrikers und Liedtexters Pierre-Jean de Beranger , der fur seine regimekritischen Texte im Gefangnis gesessen hatte. Die dreibandige, illustrierte Ausgabe seiner Liedtexte wurde ein großer Publikumserfolg. Zwischen 1836 und 1838 entstand ein Kinderbuch ( Le Livre des enfants ), in dem Grandville und andere Zeichner bekannte Marchen wie Rotkappchen , Blaubart und Der gestiefelte Kater illustrierten. In Saint-Mande begann Grandville 1837 mit der Arbeit an den Fabeln Jean de La Fontaines ( Fables de la Fontaine ). In zehn Monaten zeichnete er dafur 300 Illustrationen und Vignetten und nahm dabei sein Motiv der Mensch-Tier-Verwandlungen wieder auf. 1838 folgten Zeichnungen fur Jonathan Swifts Gullivers Reisen ( Voyages de Gulliver dans des convees lointaines ), 1839 fur Daniel Defoes Robinson Crusoe ( Aventures de Robinson Crusoe ) und die Werke des klassischen franzosischen Autors Nicolas Boileau ( Œvres de Boileau ). Von 1840 bis 1842 arbeitete Grandville vor allem an zwei Buchern, die er selbst zu seinen Hauptwerken zahlte: Kleine Unglucksfalle des menschlichen Lebens ( Petites miseres de la vie humaine ) und Bilder aus dem Staats- und Familienleben der Tiere ( Scenes de la vie privee et publique des animaux ), letzteres eine verschlusselte Satire auf die herrschenden politischen Verhaltnisse mit anonymen Beitragen angesehener Schriftsteller wie Balzac, Alfred de Musset und George Sand .

1844 arbeitete Grandville an den Hundert Sprichwortern ( Cent proverbs ) und einem Text von Jean de La Bruyere ( Les Characteres ou les mœurs de siecle ). In Buchform erschien sein Spatwerk Eine andere Welt ( Un autre monde ), das im Jahr zuvor in 36 wochentlichen Folgen herausgegeben worden war. Fur die skurrile Phantastik der rund 180 Illustrationen und des von Taxile Delord nachtraglich dazu geschriebenen Textes gab es in der Kunst jener Zeit kein vergleichbares Beispiel. Im 20. Jahrhundert leitete dieses Werk die Wiederentdeckung Grandvilles ein, man betrachtete es nun als Vorwegnahme surrealistischer Bild-Erfindungen. Posthum erschienen 1848 die zwei von Grandville illustrierten Bande Don Quichotte de la Manche von Miguel de Cervantes .

Tiermenschen und Menschentiere [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Naturhistorisches Kabinett , 1833
Spitzmaus, Naturstudie, um 1837

Grandville war beruhmt fur seine Darstellungen von Mischwesen, hauptsachlich von Menschen mit Tierkopfen und Tieren mit Menschenkopfen; er zeichnete aber auch Kombinationen von Menschen mit Pflanzen oder von Menschen mit Maschinen oder er verband Teile von vollig unterschiedlichen Tieren miteinander. Der Kunstler kannte und schatzte die Arbeiten des Schweizer Schriftstellers und Philosophen Johann Caspar Lavater (1741?1801), der 1775 in seinem Werk Physiognomische Fragmente … eine Anleitung geliefert hatte, aus Gesichtszugen und Korperformen bestimmte Charaktere zu erkennen. [5] 1788 veroffentlichte der Schweizer Gelehrte seine Schrift Konstruierte Karikaturen und Metamorphosen , Studien uber die Vergleichbarkeit menschlicher Gesichter mit den Kopfen von Tieren. Diese Theorien wurden zu Grandvilles Zeit lebhaft diskutiert. Anders als Lavater, der auf eine allgemeine Typisierung abzielte, beschaftigte Grandville sich jedoch mit einzelnen, bestimmten Individuen, die er auch durch Kleidung und Utensilien in ein konkretes historisches Umfeld stellte.

Seine Zeichnungen verbinden genauesten Realismus in den Details mit phantastischen Zusammenstellungen und satirischen Inhalten. Eine Voraussetzung fur derartige Arbeiten war intensive Naturbeobachtung. Grandville betrieb seine Studien hauptsachlich im Pariser Jardin des Plantes , aber auch in der eigenen Wohnung. Alexandre Dumas berichtet in seinen Memoiren von Besuchen bei Grandville, wo er Kanarienvogel, Goldfische und Eidechsen vorfand, Grandvilles Freund und Biograf Samuel Clogenson erwahnt Katzen in den verschiedenen Wohnungen des Zeichners und sah Frosche als Studienobjekte auf dem Tisch. Bei aller naturwissenschaftlicher Genauigkeit wird schon an manchen Studienblattern das Interesse Grandvilles erkennbar, Parallelen zum Menschlichen herzustellen. Beispielhaft dafur ist die Zeichnung einer sitzenden Spitzmaus , deren Haltung diesem Tier eigentlich nicht moglich ist.

Im Jardin des Plantes und auf dem Pariser Friedhof Pere Lachaise entstanden intensive botanische Studien als Grundlage fur jene Illustrationen, in denen Pflanzen zu menschlichen Formen und Verhaltensweisen mutierten. Ein wesentliches Beispiel dafur ist, neben Une autre monde , das Buch Les Fleurs animees ( Die Seele der Blumen ) von 1846/47, wieder mit Texten von Taxile Delord. Darin erscheinen Blumen als elegante Damen, ihr Gestus entspricht den tatsachlichen oder symbolisch zugeschriebenen Eigenschaften der verschiedenen Blutenpflanzen. Etwa 1350 Naturstudien Grandvilles werden im Musee des Beaux-Arts de Nancy aufbewahrt.

Bedeutung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Das Dampfconcert aus Eine Andere Welt , 1843/44
Sensitive aus Lebende Blumen , 1846/47

Obwohl Grandville ein bekannter und erfolgreicher Zeichner mit einem umfangreichen Gesamtwerk war, geriet er schon relativ bald nach seinem fruhen Tod 1847 weitgehend in Vergessenheit und wurde erst rund hundert Jahre spater als bedeutender Kunstler des 19. Jahrhunderts anerkannt. Diese Entwicklung hatte drei wesentliche Grunde. Da er ausschließlich als Karikaturist und Illustrator arbeitete, konnte Grandville in der seinerzeit geltenden akademischen Hierarchie der Bildgattungen keinen hohen Rang einnehmen. Außerdem besteht sein Werk zu einem großen Teil aus politischen Karikaturen und gesellschaftskritischen Blattern und war durch diese Inhalte stark zeitgebunden. Hinzu kam, dass der Schriftsteller und posthum hochberuhmte Lyriker Charles Baudelaire ihn in seinem 1857 veroffentlichten Text uber die franzosischen Karikaturisten ( Quelques caricaturistes francais ) sehr kritisch beurteilt hatte, vor allem im Vergleich mit Grandvilles zeitweiligem Kollegen und Konkurrenten Honore Daumier. Mit Daumier war Baudelaire befreundet, ihn nannte er ein ?Genie“. Grandville war fur ihn ?ein auf krankhafte Weise literarischer Geist, der immer um unzulangliche Mittel bemuht war, mit denen sich seine Gedanken in den Bereich der Bildenden Kunst ubertragen ließen; weshalb wir ihn denn auch des ofteren das alte Verfahren anwenden sahen, das darin besteht, seine Gestalten mit Spruchbandern auszustatten, die ihnen aus dem Mund hangen.“ [6]

Von einem speziellen Standpunkt aus beschaftigte sich der Philosoph und Ubersetzer Walter Benjamin (1892?1940) mit Grandville ? nicht als Kunsthistoriker (obwohl er neben anderem auch Kunstgeschichte studiert hatte), sondern als Geschichtsphilosoph. In einem Kapitel seines fragmentarischen Passagenwerkes , entstanden in den 1930er Jahren im Pariser Exil, untersuchte er den franzosischen Fruhkapitalismus und hier besonders die Entwicklung der Ware zum neuen Fetisch der menschlichen Gesellschaft. In Grandvilles Zeichnungen, vor allem in Eine andere Welt , sah er eine Verherrlichung dieser Entwicklung: ?Die Inthronisierung der Ware und der sie umgebende Glanz der Zerstreuung ist das geheime Thema von Grandvilles Kunst“. Uber den Kunstler schrieb er: ?Wenn die Ware aber ein Fetisch ist, so ist Grandville ihr Zauberpriester“. [7]

Die oft ratselhaften Bildschopfungen Grandvilles erlauben jedoch weit auseinanderliegende Interpretationen. Gerade die Illustrationen zu Eine andere Welt wurden auch als sarkastische , fast verzweifelte Warnung vor einer von Maschinen und Kapital dominierten Zukunft gedeutet. Baudelaire schrieb dazu: ?Dieser Mensch hat mit ubermenschlichem Mut sein Leben damit verbracht, die Schopfung zu verbessern. Er nahm sie in seine Hande, drehte sie herum, rang mit ihr, legte sie aus, und die Natur verwandelte sich zur Apokalypse “. [1] Der deutsche Kunsthistoriker Thomas W. Gaehtgens uberschrieb seinen Essay von 2007: Absurde Bildwelt und Gesellschaftskritik in J. J. Grandvilles Un autre monde . [8] Der marxistische Philosoph Ernst Bloch (1885?1977) wiederum bezeichnete Grandville als einen ? schizophrenen Kleinburger“, dessen Spott nur ?utopischen Unsinn“ hervorgebracht habe. [9]

Ehrungen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Die Stadt Nancy schrieb 1849 einen Wettbewerb zu einer Eloge de Grandville aus. 1855 wurden im Musee des Beaux Arts in Nancy 600 Zeichnungen von Grandville ausgestellt. Dessen uberlebender Sohn aus zweiter Ehe uberließ der Stadt 50 000 Francs fur ein Denkmal seines Vaters, das 1893 fertiggestellt war. Gleichzeitig begann eine Ausstellung von 1400 Zeichnungen Grandvilles. Wahrend der deutschen Besetzung im Zweiten Weltkrieg wurden die Metallteile des Monuments eingeschmolzen. Heute steht vor der Rue Grandville in Nancy eine Kopie der ursprunglichen Bronzebuste, die Ernest Bussiere geschaffen hatte.

Popularkultur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Die britische Band Queen verwendete 1991 fur das Cover ihres 14. Studioalbums Innuendo und die Cover der ausgekoppelten Singles, Ilustrationen Grandvilles. [10]

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Commons : Grandville (caricaturist)  ? Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Grandville  ? Quellen und Volltexte (franzosisch)

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. a b c d Eine Andere Welt von Plinius dem Jungsten Illustriert von J. J. Grandville . Nachwort. Diogenes Verlag, Zurich 1979, ISBN 3-257-26002-4 .
  2. J. J. Grandville. Karikatur und Zeichnung . Ausstellungskatalog, S. 15. Hatje Cantz Verlag, 2000, ISBN 3-7757-0987-8 (Buchhandelsausgabe)
  3. J. J. Grandville. Karikatur und Zeichnung . Ausstellungskatalog. Hatje Cantz Verlag, 2000, ISBN 3-7757-0987-8 , S. 91?97.
  4. J. J. Grandville. Karikatur und Zeichnung. Ausstellungskatalog. Hatje Cantz Verlag, 2000, ISBN 3-7757-0987-8 , S. 17.
  5. J. J. Grandville. Karikatur und Zeichnung. Ausstellungskatalog. Hatje Cantz Verlag, 2000, ISBN 3-7757-0987-8 , S. 166.
  6. Melton Prior Institut. In: meltonpriorinstitut.org.
  7. Walter Benjamin: Das Passagenwerk. Gesammelte Schriften V, S. 249.
  8. Essay von Thomas W. Gaehtgens: Absurde Bildwelt und Gesellschaftskritik in J. J. Grandvilles ?Un autre monde“
  9. J. J. Grandville. Karikatur und Zeichnung. Ausstellungskatalog. Hatje Cantz Verlag, 2000, ISBN 3-7757-0987-8 , S. 51.
  10. QueenOnline.com - Music. Abgerufen am 23. Februar 2023 .