Die
Paulskirche
in
Frankfurt am Main
ist ein als Ausstellungs-, Gedenk- und Versammlungsort genutzter ehemaliger Kirchenbau. Sie wurde 1789 bis 1833 anstelle der 1786 abgerissenen mittelalterlichen
Barfußerkirche
erbaut und diente bis 1944 als evangelisch-lutherische
Hauptkirche
Frankfurts, als die heute die
Katharinenkirche
dient. In dem
klassizistischen
Rundbau des Architekten
Johann Friedrich Christian Hess
tagten 1848 bis 1849 die Delegierten der
Frankfurter Nationalversammlung
, der ersten
Volksvertretung
fur ganz Deutschland. Die Paulskirche gilt damit neben dem
Hambacher Schloss
als Symbol der
demokratischen Bewegung in Deutschland
und
Nationalsymbol
. Aus dieser fur die Paulskirche und die deutsche Demokratiegeschichte bedeutendsten Epoche ist von der Innenausstattung jedoch fast nichts mehr zu erleben.
Am 18. Marz 1944 brannte die Paulskirche wie viele der umliegenden Bauten der
Frankfurter Altstadt
nach einem der
Luftangriffe auf die Stadt
aus. Nach dem
Zweiten Weltkrieg
wurde sie 1947/48 als erstes historisches Gebaude Frankfurts mit Hilfe von Spenden aus allen
deutschen Landern
außerlich bis auf das Kegeldach
wiederaufgebaut
. Im Inneren entstanden anstelle des fruheren Kirchenraumes mit Emporen eine niedrige Wandelhalle mit daruberliegendem Versammlungsraum in Plenarsaal-Bestuhlung. Der Innenraum wurde aus Mangel an Geld und Baumaterial sehr schlicht gestaltet.
[1]
Zum hundertsten Gedenktag der Nationalversammlung wurde sie am 18. Mai 1948 als
Haus aller Deutschen
wiedereroffnet. Im Jahr 1986 wurde das Gebaude renoviert.
Die Paulskirche ist ein nationales Denkmal und wird fur Ausstellungen und offentliche Veranstaltungen genutzt. Die bekannteste wiederkehrende Veranstaltung ist die Verleihung des
Friedenspreises des Deutschen Buchhandels
.
Die Paulskirche wurde 1270 erbaut und wurde als Frankfurter
Barfußer
- oder
Franziskanerkloster
erstmals urkundlich erwahnt. Moglicherweise war es jedoch bereits einige Jahrzehnte alter. Der Frankfurter
Patrizier
Achilles Augustus von Lersner
berichtete in seiner 1706 erschienenen
Chronik
, dass die Barfußerkirche bereits 1238 bestanden haben musse, wie aus einer (nicht erhaltenen) Grabinschrift des Stifters
Henrich Knoblauch
an der Kirche hervorginge.
[2]
Die Barfußer ubernahmen zahlreiche
seelsorgerliche
Aufgaben in Frankfurt, dessen Bevolkerung im 13. Jahrhundert rasch anwuchs. Die Pfarreirechte fur die gesamte Stadtbevolkerung lagen jedoch weiterhin ausschließlich beim kaiserlichen Stift
St. Bartholomaus
.
Architektonisch entsprach die Kirche des Klosters, die Barfußerkirche, dem Typ einer zunachst einschiffigen, ab 1350 zweischiffigen
Bettelordenskirche
im
gotischen
Stil. 1478 errichtete man einen
Kreuzgang
, ab 1485 wurde die Kirche ? vor allem der
Lettner
und die
Gewolbe
? ausgebaut. Aus dem Jahr 1489 stammte die
Kanzel
. 1491 gab der Rat der Stadt die Genehmigung zum Bau einer unterirdischen Entwasserung in den Stadtgraben. 1500 bis 1510 wurde der
Chor
neu gebaut. Statt eines
Kirchturms
erhielt die Kirche einen
Dachreiter
. Wegen des Baus gab es Konflikte und Grenzstreitigkeiten mit den Nachbarn.
[3]
Mehrfach nahmen verfolgte Straftater das
Asylrecht
des Klosters in Anspruch.
[4]
1522 hielt der Marburger Franziskaner
Hartmann Ibach
in der
Katharinenkirche
die erste
reformatorische
Predigt in Frankfurt. Nach dem
Frankfurter Zunftaufstand
im April 1525 begann sich die Reformation in der
Frankfurter Burgerschaft
durchzusetzen. 1525 wurden mit
Dionysius Melander
und
Johann Bernhard
die ersten reformatorischen Prediger durch den Rat der Stadt beauftragt. Seit 1526 wurden in der Barfußerkirche regelmaßig evangelische Predigten gehalten, am 18. Marz 1528, dem Sonntag
Reminiscere
, erstmals das Abendmahl
unter beiderlei Gestalten
gereicht.
[5]
Am 9. Juni 1529 ubergaben sechs der acht verbliebenen Bruder ihr Kloster an den Rat. Die Barfußerkirche wurde zu einer evangelischen Kirche. In den Klosterraumen wurden 1530 der
Allgemeine Almosenkasten
und das Kasternamt untergebracht. 1542 belegte die
stadtische Lateinschule
ehemalige Klostergebaude, wo sie bis zu deren Abriss 1839 blieb. Nach dem
Schmalkaldischen Krieg
sah sich der Rat gezwungen, das
Augsburger Interim
anzunehmen, und am 14. Oktober 1548 sechs katholische Stifts- und Ordenskirchen, darunter auch den
Kaiserdom St. Bartholomaus
, an ihre Orden bzw. Stiftsgeistlichen zuruckzugeben. Den evangelischen Christen der Stadt, inzwischen rund 98 % der Burgerschaft, blieben die Barfußer-, Katharinen-, Weißfrauen-, Peters-, Dreikonigskirche und die Kirche des
Hospitals zum Heiligen Geist
. Mit diesem Kompromiss sicherte der Rat die politische Unabhangigkeit der Stadt und ihre wichtigsten Privilegien, vor allem die Messen und die Kaiserwahlen. Dieser kluge Schritt zahlte sich aus: Seit 1562 wurden fast alle Kaiser nicht nur in Frankfurt gewahlt, sondern auch
gekront
.
Die Barfußerkirche als großte der verbliebenen evangelischen Kirchen wurde somit ab 1548 zur Hauptkirche. 1599 bis 1604 wurde eine neue Orgel eingebaut und eine
Empore
fur die Manner im Seitenschiff. Mit der auf diese Weise vergroßerten Kapazitat genugte die Kirche lange Zeit den Anforderungen der Burgerschaft. Die zwolf evangelischen Geistlichen der Stadt bildeten das
evangelische Predigerministerium
, dessen Vorsitzender, der
Senior
, zugleich erster Prediger der Barfußerkirche war und seine Wohnung im ehemaligen Kloster hatte. Nach der Lersnerschen Chronik fanden neben den taglichen
Gottesdiensten
(werktags einmal, sonn- und feiertags zweimal, darunter einmal mit
Abendmahlsfeier
) in der Barfußerkirche montags und dienstags auch
Trauungen
sowie sonntags, dienstags und donnerstags nachmittags
Taufen
statt.
Von 1666 bis 1686 war
Philipp Jakob Spener
Senior in Frankfurt. Er grundete 1670 gemeinsam mit
Johann Jakob Schutz
das erste
collegium pietatis
(
Hauskreis
) und verfasste 1675 sein bedeutendstes Werk, eine kurze Programmschrift mit Namen
Pia Desideria oder Herzliches Verlangen nach gottgefalliger Besserung der wahren evangelischen Kirche
(1675), deren Erscheinen als Grundungsdatum des
Pietismus
angesehen wird.
In der zweiten Halfte des 18. Jahrhunderts machte sich allmahlich die Baufalligkeit der alten Barfußerkirche bemerkbar. Vor allem nahm man aber zunehmend Anstoß an der beengten Lage der Kirche. Am 21. Februar 1782 fand der letzte Gottesdienst in der Barfußerkirche statt. Weil sich Risse im Gewolbe zeigten, verfugte der Rat die Schließung der Kirche. Im August 1786 begann ihr Abbruch, der Anfang 1787 abgeschlossen war.
Uber die Gestaltung des Neubaus waren sehr unterschiedliche Vorschlage erarbeitet worden. Der damalige Frankfurter Stadtbaumeister
Johann Andreas Liebhardt
schlug einen ovalen Hallenbau mit Kuppeldach und einem Turm im Westen der Kirche vor. Der Rat beauftragte jedoch die Architekten
Johann Georg Christian Hess
und
Nicolas de Pigage
, die ebenfalls Vorschlage eingereicht hatten, mit der Uberarbeitung der Plane. Als Liebhardt im Januar 1788 starb, ergab sich eine weitere Verzogerung. Schließlich erhielt Hess, der auch dessen Nachfolger als Stadtbaumeister war, den Auftrag, neue Plane zu erstellen und dabei gewisse Vorgaben des Rates einzuarbeiten.
1789 begann der Neubau. Als Baumaterial verwendete man ? wie bei fast allen bedeutenden Frankfurter Bauwerken ?
roten Mainsandstein
. Im Juni 1792 war das Gebaude bis auf das Dach, die Treppenhauser und den Turm fertiggestellt. Aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Krise wahrend der
Koalitionskriege
zog sich der Neubau von da an uber einen langeren Zeitraum hin. 1796 erhielt die Kirche ein Dach, erst 1802 wurden Fenster eingesetzt, um den Bau vor der Witterung zu schutzen. Turm und Treppenhauser blieben jedoch weiterhin unvollendet.
Danach konnten erst 1810 wieder stadtische Mittel fur den Weiterbau bereitgestellt werden. Man vermietete die unfertige Kirche als Lagerraum an Frankfurter Kaufleute und wollte die Mieteinnahmen in den stadtischen Bauetat einstellen. Sie wurden allerdings durch die hohen Kontributionen, die die Stadt infolge der franzosischen Besatzung zu leisten hatte, aufgezehrt.
1816 wurde
Johann Friedrich Christian Hess
als Nachfolger seines Vaters zum Stadtbaumeister ernannt. Der fur 1821 vorgesehene Weiterbau verzogerte sich jedoch weiterhin, zumal Hess durch einen weiteren Großbau ? die
Stadtbibliothek
? beschaftigt war.
Die Verzogerung des Kirchenbaus war nicht allein eine Folge der Mittelknappheit nach den Koalitionskriegen. Nach der Wiederherstellung der
Freien Stadt Frankfurt
musste der Senat zunachst fur geordnete politische Verhaltnisse sorgen. Hierzu zahlte auch die Reform der Kirchenordnung: Die stadtische Verfassung, die
Konstitutionserganzungsakte
, stellte 1816 das lutherische
Konsistorium
wieder her, das wie auch der reformierte und der katholische Kirchenvorstand seine Gemeinde vertrat. 1820 wurde ein von der Geistlichkeit unabhangiger evangelischer Gemeindevorstand berufen und schließlich, nach langen Verhandlungen, Anfang 1830 in der sogenannten
Dotationsurkunde
die finanzielle Ausstattung der Kirche geregelt. Die Stadt verpflichtete sich darin, fur Wohnung und Gehalt der zwolf lutherischen Geistlichen zu sorgen und der lutherischen Gemeinde drei Schulen und sechs Kirchen ?zum immerwahrenden Gebrauch“ zu uberlassen, darunter auch die Barfußerkirche.
Unmittelbar darauf wurden im Fruhjahr 1830, nach fast dreißigjahriger Unterbrechung, die Bauarbeiten wieder aufgenommen. Die bereits fertiggestellten Bauteile waren inzwischen vollig verwahrlost, aus den zertrummerten Fenstern und den unverglasten Fensterschachten des Turmes und der Treppenhauser wuchsen Baume und Straucher.
Am 23. Mai 1833 beschloss das lutherische Konsistorium der Stadt, der neuen Kirche nach
Paulus
, dem Apostel des
sola fide
, den Namen
Paulskirche
zu geben. Der bisherige Name wurde fur unpassend gehalten, ?indem die Barfußermonche ja selbst aus der katholischen Kirche wenigstens in Deutschland verschwunden sind“.
Am gleichen Tag beschloss der stadtische Senat, dass der Festgottesdienst zur Einweihung am 9. Juni 1833 stattfinden solle. In den Feiern zeigte sich das burgerliche Reprasentationsbedurfnis der politischen Gemeinde, die kirchliche Zeremonie verlief eher schlicht. Die Einweihungspredigt hielt Pfarrer
Anton Kirchner
.
Als im Zuge der
Deutschen Revolution 1848
ein Sitz fur das erste gesamtdeutsche
Parlament
gesucht wurde, bot sich die Paulskirche als großter und modernster Saal Frankfurts an. Am 18. Marz 1848 uberreichten die Frankfurter Rechtsanwalte Binding und
Friedrich Siegmund Jucho
dem evangelischen Gemeindevorstand ein Schreiben, in dem sie um die Bereitstellung der Paulskirche baten. Bereits am 21. Marz erklarte sich der damalige
Senior
Dancker namens aller Vorstande ?mit Freuden einverstanden“ und wies den
Kirchendiener
Meyer an, dem Vorbereitungskomitee zur Hand zu gehen.
[6]
Erst spater stritt man sich im Frankfurter Gemeindevorstand daruber, ob die Kirche fur politische Zwecke genutzt werden solle: Anlass dafur waren die
Frankfurter Barrikadenkampfe
vom 18. September 1848 und noch starker die
standrechtliche
Erschießung des Abgeordneten
Robert Blum
durch osterreichisches Militar als Folge der Niederschlagung des
Oktoberaufstandes
in
Wien
.
In aller Eile nahm man Ende Marz 1848 die notwendigen Umbauten vor: Wande und Fenster der Kirche wurden mit Fahnen in den neuen Bundesfarben
Schwarz-Rot-Gold
geschmuckt, die Kanzel wurde mit einem Tuch verhullt, die Orgel durch einen breiten Vorhang verdeckt, der ein Gemalde zeigte: die
Germania
mit Fahne und Schwert, rechts und links davon je ein Lorbeerkranz mit vaterlandischen Versen. Anstelle des Altars wurde der Prasidententisch aufgebaut. ?Wie vollig man sofort nach Eroffnung der Verhandlungen von dem kirchlichen Charakter des Versammlungsortes absah, fand seinen klarsten Ausdruck in der schroffen Ablehnung eines Eroffnungsgebetes, wobei
Raveaux
sagte, das Beten gehort in die Kirche und an das Wort erinnerte: Hilf dir selbst, so wird dir Gott helfen.“
[7]
Vom 31. Marz bis zum 3. April 1848 war die Kirche Versammlungsort des
Vorparlaments
, eines Treffens von Liberalen und Demokraten, das die Wahl zur
Frankfurter Nationalversammlung
vorbereitete. Am 18. Mai 1848 trat die Nationalversammlung zum ersten Mal hier zusammen und wurde deshalb auch
Paulskirche
oder
Paulskirchenparlament
genannt. Andere Bezeichnungen waren Nationalparlament, Reichsversammlung oder auch schon Reichstag.
Am 29. Juni 1848
[8]
wahlte die Nationalversammlung Erzherzog
Johann von Osterreich
zum
Reichsverweser
und damit zum ersten von einem Parlament gewahlten deutschen Staatsoberhaupt. Nach der Niederschlagung der Revolution im Fruhjahr 1849 ubergab Johann im Dezember seine Befugnisse einer
Bundeszentralkommission
.
Zwischen dem 6. November 1848 und dem 9. Januar 1849 musste die Nationalversammlung fur insgesamt 40 Sitzungen in die
deutsch-reformierte Kirche
am
Kornmarkt
ausweichen, da in der Paulskirche eine der ersten
Zentralheizungen
Deutschlands eingebaut wurde. Bis dahin hatte die ?unertragliche Kalte“ in der Kirche jeden Winter fur Verdruss gesorgt; nunmehr sorgten zwei mit
Steinkohle
befeuerte
Heizkessel
und eine fur die damalige Zeit hochmoderne Warmwasser-
Fußbodenheizung
fur angenehme 15
°R
(18
°C
) bei einer Außentemperatur von ?8 °R (?10 °C). Gleichzeitig hatte die Kirche eine
Gasbeleuchtung
aus 37
Lustern
erhalten.
Am 28. Marz 1849 verabschiedete die Nationalversammlung eine Verfassung fur das deutsche Reich, die heute Frankfurter
Reichsverfassung
oder
Paulskirchenverfassung
genannt wird. Der
preußische Konig
Friedrich Wilhelm IV.
lehnte jedoch die Wurde
eines Kaisers der Deutschen
ab. Preußen und Osterreich, auch andere Staaten, verlangten widerrechtlich von den Abgeordneten aus ihren Landern, ihr Mandat aufzugeben.
Im Mai 1849 kam es in verschiedenen deutschen Staaten, vor allem in
Baden
, zu Aufstanden zur Durchsetzung der Frankfurter Reichsverfassung (
Reichsverfassungskampagne
), die mit preußischer Hilfe mit Waffengewalt niedergeschlagen wurden. Am 31. Mai 1849 beschlossen die Mehrheit der noch in Frankfurt verbliebenen Abgeordneten, die Nationalversammlung nach
Stuttgart
zu verlegen, um sich dem preußischen Zugriff zu entziehen. Damit endete nach etwas mehr als einem Jahr die Rolle der Paulskirche als Parlamentssitz.
Der Kirchengemeinde stand die Paulskirche uber vier Jahre lang nicht zur Verfugung, von Marz 1848 bis Juni 1852. Wahrend dieser Zeit nutzte man die
Alte Nikolaikirche
am
Romerberg
, die bereits wahrend der langen Bauzeit als Ausweichquartier gedient hatte.
Nach der Ruckgabe der Paulskirche an die Kirchengemeinde wurde 1856 eine von Anfang an geplante Einfriedung um den Altar gebaut. Nach dem Dombrand vom 14. August 1867 richtete man eine Feuerwache auf dem Turm ein (bis 1878).
In den Jahren 1892/1893 erfolgte die erste großere Renovierung des Innenraums: Der Maler Karl Gratz schmuckte die Decke mit Bildern der vier Propheten
Jesaja
,
Jeremia
,
Ezechiel
und
Daniel
und mit 16 betenden Engeln. Auf der Brustung der Empore wurden vor dem Orgelprospekt Statuen der vier Evangelisten
Matthaus
,
Markus
,
Lukas
und
Johannes
aufgestellt.
Auch nach dem Verlust der staatlichen Unabhangigkeit und der
Annexion
durch
Preußen
1866 blieb Frankfurt noch bis 1899 bei der aus dem Mittelalter uberlieferten Kirchenverfassung. Das Stadtgebiet einschließlich Sachsenhausens bildete eine eigene
Landeskirche
, die
Evangelische Kirche im Konsistorialbezirk Frankfurt am Main
mit einer einzigen Gemeinde. Die (seit 1830) zwolf Pfarrer ? davon zwei an der Paulskirche ? waren stadtische Beamte und wurden auf den Konig von Preußen als Inhaber des Kirchenregiments vereidigt.
Erst am 27. September 1899 wurde die
Kirchengemeinde- und Synodalordnung
erlassen, in der die Vereinigung des lutherischen und reformierten Konsistoriums und die Aufteilung des Stadtgebiets in sechs lutherische Gemeinden, darunter auch die Paulsgemeinde, und zwei reformierte Gemeinden festgelegt wurde. Bislang hatten die evangelischen Frankfurter Familien selbst zu wahlen, zu welcher Kirche oder zu welchem Prediger sie sich halten wollten; nunmehr wurden auch in Frankfurt
Parochien
eingefuhrt. Die Paulsgemeinde, die den dichtbesiedelten sudlichen und ostlichen Teil der
Altstadt
umfasste, zahlte zu dieser Zeit bis zu 20.000 Gemeindeglieder.
In der Kaiserzeit fanden in der Paulskirche zahlreiche nationale Gedachtnisfeiern statt. Man ehrte die Parlamentarier
Ernst Moritz Arndt
,
Ludwig Uhland
und
Wilhelm Jordan
. 1908 fand die Eroffnungsfeier zum 11. Deutschen Turnfest statt, bei der 12.000 Turner aus aller Welt die Paulskirche besuchten und eine Gedenktafel mit Silberband an
Friedrich Ludwig Jahns
Platz im Parlament angebracht wurde. Nachdem am 10. Marz 1913 unter großer offentlicher Anteilnahme die Jahrhundertfeier zum Gedachtnis der
Freiheitskriege
stattgefunden hatte, war die Paulskirche endgultig zu einer nationalen Gedenkstatte geworden.
Mit der
Novemberrevolution
fiel das
Landesherrliche Kirchenregiment
in sich zusammen. Bei den demokratischen Kraften setzten sich die Anhanger einer
Trennung von Staat und Kirche
durch, wie sie bereits in der
Paulskirchenverfassung
gefordert worden war. Noch im November 1918 erließ der neue preußische Kulturminister und aktive Kirchengegner
Adolph Hoffmann
eine Reihe von entsprechenden Verordnungen und ließ den
Religionsunterricht
als ordentliches Lehrfach aufheben. Hoffmann schied allerdings schon Anfang 1919 aus gesundheitlichen Grunden aus seinem Amt, und die gemaßigten Krafte drangen auf eine
offentlich-rechtliche Gestaltung
des Verhaltnisses von Staat und Kirche. In der
Weimarer Reichsverfassung
vom August 1919 wurden
Religionsfreiheit
und
kirchliches Selbstbestimmungsrecht
garantiert.
Die Folgen des
Ersten Weltkriegs
, vor allem die
Inflation von 1923
, fuhrten zu einer zunehmenden Verelendung der
Altstadt
. Davon war die Paulsgemeinde besonders betroffen. Unterstutzungsvereine wie der ?Evangelische Volksdienst“ mit ehrenamtlichen Helfern kummerten sich insbesondere um die zahlreichen Jugendlichen, deren Zukunftsperspektiven wegen der sozialen Misere duster waren. Der wachsenden
Kirchenferne
in der organisierten Arbeiterbewegung versuchte man durch eine ?Christliche Volksmission“ zu begegnen.
Politisch gehorten die meisten Pfarrer der Frankfurter Kirche dem deutschnationalen Lager an. Sie standen der Republik misstrauisch gegenuber und furchteten einen allgemeinen Verfall von Sitten und Moral als Folge der zunehmenden Entkirchlichung der Gesellschaft. Die Sozialdemokratie und vor allem die kommunistische
Gottlosenbewegung
lehnten sie vehement ab. Besonders hervorzuheben ist der 1918 bis 1925 und 1929 bis 1939 an der Paulskirche wirkende
Karl Veidt
(1879?1946). Veidt war ein profilierter Theologe, und zugleich Abgeordneter der
Deutschnationalen Volkspartei
im Reichstag und im preußischen Landtag.
Die Paulskirche wurde in den 1920er Jahren zu einem Brennpunkt politischer Auseinandersetzungen, da sie sowohl fur die Kirche als auch fur die kirchenfernen Parteien der Weimarer Republik ein Symbol war. Seit 1922 fanden jahrlich am 11. August die Verfassungsfeiern in der Kirche statt. Zur Gedachtnisfeier fur das 75-jahrige Jubilaum der Nationalversammlung 1923 kamen Vertreter der Reichsregierung, aller deutscher Staaten und Osterreichs.
Als das erste freigewahlte deutsche Staatsoberhaupt, der
Reichsprasident
Friedrich Ebert
, starb, beschloss der Frankfurter Magistrat am 2. Marz 1925, ihm ein Denkmal an der Paulskirchenfassade zu widmen. Der Bildhauer
Richard Scheibe
entwarf in nur sieben Tagen eine monumentale mannliche
Aktfigur
aus
Bronze
, die in der ostlichen Nische zwischen Turm und Kirchenhalle in vier Metern Hohe auf einem Steinsockel aufgestellt wurde.
Gegen das Denkmal protestierte der damalige Kirchenvorstand der Paulsgemeinde. Die sozialdemokratische
Volksstimme
antwortete daraufhin am 28. Juli 1926.
- Der Kirchenvorstand der Paulskirche, der sich bekanntlich seit langer Zeit schon als Parteifiliale der Deutschnationalen und Volkischen betrachtet, erdreistet sich, in einem Schreiben an den Magistrat gegen die Aufstellung eines Ebertgedenksteins an der Paulskirche Stellung zu nehmen.
Die Zeitung interpretierte den Protest also rein politisch; auf die moralischen und asthetischen Bedenken der konservativen Kirchenvertreter gegen die Statue eines nackten Mannes an der Kirche ging sie nicht ein.
Letztlich setzte sich die Behorde als Eigentumer der Kirche gegen den Widerstand der Gemeinde durch. Am 11. August 1926 weihte
Oberburgermeister
Ludwig Landmann
anlasslich der Verfassungsfeier die Denkmalstatue ein. Das Gemeindeblatt ?Der Paulskirchenbote“ kommentierte das Denkmal sarkastisch: ?Deutschland, dem man selbst das letzte Hemd noch ausgezogen hat“ ? Eine Anspielung auf den nackten Jungling und die Reparationszahlungen, zu denen Deutschland aufgrund des
Versailler Vertrages
verpflichtet war.
Welche Verbitterung in der Gemeinde uber die staatliche Inanspruchnahme der Kirche herrschte, zeigt ein Zitat von Pfarrer Struckmeier aus der Festschrift zum hundertjahrigen Bestehen der Paulskirche 1933.
- Zu den Versuchen, die Paulskirche der demokratisch-republikanisch-pazifistischen Idee dienstbar zu machen, mussen die jahrelang von den Behorden in der Kirche veranstalteten Verfassungsfeiern gerechnet werden, in denen Redner zu Wort kamen, deren Gedankengange mit nationalem, geschweige denn mit christlichem Geist nichts mehr zu tun hatten … Der sichtbarste und eindrucksvollste Versuch nach dieser Richtung war die Anbringung des Ebert-Gedachtnis-Males an der Außenwand der Kirche … Es bedurfte erst einer nationalen Revolution, um diesem Akt der Vergewaltigung nationalen und evangelischen Empfindens ein Ende zu bereiten.
Nach der Machtubernahme der Nationalsozialisten wurde das Denkmal am 12. April 1933 abgebaut. Die inzwischen illegal publizierende ?Arbeiterzeitung“ der
KPD
kommentierte in ihrer April-Ausgabe:
- Ohne Ebert,
Noske
,
Severing
usw. ware es doch unmoglich gewesen, daß heute SA und SS herumlauft. Wir Kommunisten machen den Nazis den Vorschlag, das Ebert-Standbild wieder an seinen alten Platz zu bringen und ihm den hochsten Nazi-Orden um den Hals zu hangen fur unsterbliche Verdienste fur die Reaktion.
[9]
Das Denkmal uberstand die Zeit des
Nationalsozialismus
eingelagert im Keller des
Volkerkundemuseums
, wurde aber nach dem Krieg nicht mehr an seinem ursprunglichen Ort aufgestellt, da sich der Kunstler dagegen aussprach. Stattdessen schuf er mit Einwilligung der Stadt eine neue, starker an den klassischen Idealen orientierte Figur, die am 28. Februar 1950 eingeweiht wurde.
[10]
Nach der nationalsozialistischen
Machtubernahme
, die sich in Frankfurt mit der Kommunalwahl vom 12. Marz 1933 vollzog, begrußte die Kirche zunachst die ?nationale Revolution“ und versuchte, sie mit ihrem Gedanken einer umfassenden Volksmission zu verknupfen. Am 21. Marz predigte Pfarrer Veidt vor etwa 1.500 Besuchern, darunter zahlreiche Schutzpolizisten, in einem Gottesdienst aus Anlass der Reichstagseroffnung, des ?
Tages von Potsdam
“ und kritisierte die Weimarer Republik in scharfen Worten: ?Es war nicht nur ein Verbrechen, sondern auch offenkundige Torheit, dass in der Revolution des Jahres 1918 und bei dem Staatsneubau 1919 bewusst der Bruch mit den nationalen, geistigen, sittlichen und religiosen Kraften, die unser Volk gestaltet und groß gemacht haben, vollzogen wurde.“ Er warnte, die nationale Bewegung musse ?uber kurz oder lang versanden, […] wenn sie nicht ihre tragende Kraft […] bei Jesus und aus dem Evangelium“ hole. ?Staat, Volk und Volkstum gehoren in den Bereich des Verganglichen, wahrend Ausgangspunkt und Ende des Reiches Gottes in der Ewigkeit liegen.“ Anders als viele seiner Amtsgenossen war Veidt bereits seit 1929 ein profilierter Gegner des
Nationalsozialismus
. Aus Protest gegen den politischen Kurs
Alfred Hugenbergs
war er von der DNVP zum
Christlich-Sozialen Volksdienst
gewechselt, fur den er bis 1933 Abgeordneter im
preußischen Landtag
war.
Veidt gehorte bald nach der Machtubernahme zu den fuhrenden Vertretern des
Pfarrernotbundes
und war ab 1934 Vorsitzender des Landesbruderrates Nassau-Hessen der
Bekennenden Kirche
. Er wurde zu einer der Hauptfiguren des
Kirchenkampfes
in Frankfurt. Im Herbst 1934 wurde er durch die Kirchenleitung gemaßregelt und strafversetzt. Veidt hatte gegen den zwangsweisen Zusammenschluss der drei Evangelischen Landeskirchen von Frankfurt, Hessen und Nassau protestiert und gegen die Einsetzung des neuen Landesbischofs
Ernst Ludwig Dietrich
, eines Vertreters der volkischen
Deutschen Christen
. Veidt weigerte sich jedoch, seine Stelle an der Paulskirche zu raumen und klagte vor dem Frankfurter Landgericht gegen die Kirchenleitung. Am 10. Marz 1935 wurden die Schlosser der Paulskirche und der Alten Nikolaikirche getauscht, um ihn am Betreten der Kirche zu hindern. Mit Hilfe einiger Anhanger gelangte er dennoch in die Alte Nikolaikirche und hielt dort den ganzen Tag uber eine Predigt nach der anderen.
Oberburgermeister
Friedrich Krebs
verfugte daraufhin am 16. Marz unter Berufung auf das Eigentumsrecht der Stadt die Schließung der Paulskirche, wurde jedoch am 9. April durch den
Regierungsprasidenten
in
Wiesbaden
angewiesen, sich neutral zu verhalten. Am 30. April gewann Veidt seinen Prozess gegen die Kirchenleitung. Die Disziplinarmaßnahmen wurden zuruckgenommen, und ab Herbst 1935 durfte Veidt wieder als Paulskirchenpfarrer amtieren. Obwohl er seinen Kampf gegen die Landeskirche erfolgreich durchgestanden hatte, war er in den folgenden Jahren zunehmender Verfolgung durch die
Gestapo
ausgesetzt. Veidt wurde mit
Redeverbot
belegt und mehrfach in Haft genommen. 1939 wechselte er an die
Matthauskirche
im
Westend
, wo er den Krieg und die Zerstorung der Stadt miterlebte.
Im Zweiten Weltkrieg wurde die Paulskirche beim ersten Bombenangriff auf die Innenstadt am 4. Oktober 1943 von funf
Brandbomben
getroffen, die jedoch rasch geloscht werden konnten und keinen Schaden anrichteten.
[11]
Daraufhin verstarkte man die Brandschutzmaßnahmen. Decken und Gebalk wurden mit feuerhemmenden Mitteln impragniert und alle Turen mit
Asbestplatten
abgeschirmt. In der Kirche wurde eine Brandwache eingerichtet.
Am 12. Marz 1944 fand der letzte Gottesdienst in der Kirche statt. Am 18. Marz 1944 folgte der nachste schwere Luftangriff, der vor allem in der ostlichen Altstadt schwere Schaden verursachte. Die Paulskirche und ihre Umgebung blieben zunachst unversehrt, gegen Ende des Angriffs trafen jedoch einige Brandbomben und setzten das Dach in Brand. Da die vorbereiteten Feuerloschschlauche wegen des Druckabfalls in den
Hydranten
nicht eingesetzt werden konnten, fraß sich der Brand durch den Dachstuhl, bis das Gebalk zusammensturzte und auch den Innenraum zerstorte.
[11]
Vier Tage spater fand der nachste Bombenangriff statt, der auch die restliche Altstadt Frankfurts fast vollstandig zerstorte.
Als
nationales Symbol
fur die Freiheit und aufgrund ihrer Rolle als
Wiege der Demokratie
in Deutschland wurde sie als eines der ersten Gebaude in Frankfurt nach dem Zweiten Weltkrieg unter der Leitung von
Rudolf Schwarz
(zusammen mit
Eugen Blanck
,
Gottlob Schaupp
und
Johannes Krahn
) wieder aufgebaut. Am 17. Marz 1947 wurde der neue
Grundstein
gelegt.
Vorangegangen war eine heftige Debatte, die sich am Beispiel der Paulskirche auch grundsatzlich mit dem Wiederaufbau der zerstorten deutschen Stadte auseinandersetzte. 1946 hatte die Stadtkanzlei den Kunsthistoriker
Fried Lubbecke
mit der Leitung des Wiederaufbaus der Paulskirche beauftragt. Lubbecke war zu diesem Zeitpunkt bereits offentlichkeitswirksam als Befurworter einer Rekonstruktion des zerstorten Stadtbilds aufgetreten. Zudem hatte er eine Leitungsposition in der Paulskirchengemeinde inne. Im November 1946 wurde ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben. Unter den 109 Bewerbungen setzten sich Entwurfe durch, die die Paulskirche modernisiert wiederaufbauen wollten. Es folgten zum Teil auch publizistisch ausgetragene Auseinandersetzungen, in denen der zweitplatzierte Architekt Franz Throll und Lubbecke als Fursprecher einer weitgehenden Rekonstruktion der alten Paulskirche auftraten. Besonders wurden die Entfernung der oberen Galerie und das flachere Dach kritisiert. Auch die Funktionen der beauftragten Architekten im ?Dritten Reich“ wurde dabei kritisiert. Vor allem Baustadtrat Eugen Blanck trat der Kritik am Siegerentwurf als Fursprecher der Modernisten entgegen. Als er sich nicht durchsetzen konnte, ließ Lubbecke im Februar 1947 seine Tatigkeit im Rahmen des Paulskirchenprojekts ruhen und trat im Oktober ganz von dieser Funktion zuruck.
[12]
Umstritten war auch das Eigentum des Kirchenbaus. Wahrend die lutherische Gemeinde der Stadt Frankfurt als Gegenleistung fur den Wiederaufbau ein auf zehn Jahre befristetes Nutzungsrecht in der Folge der Hundertjahrfeier des Paulskirchenparlaments einraumen wollte, strebte die Stadtspitze eine Profanisierung und die eigene Kontrolle an. Letztlich setzte sich die Stadt in diesem Streit durch.
[13]
Der Wiederaufbau wurde auch uber die Stadt hinaus politisch aufgeladen. So warb Oberburgermeister
Walter Kolb
in einem Aufruf vom 20. Januar 1947 um internationale Unterstutzung und ausdrucklich auch aus allen alliierten Besatzungszonen. Dieser Aufruf war erfolgreich. So stiftete die britische Besatzungszone eine Glocke, vier weitere wurden in
Apolda
in der sowjetischen Besatzungszone gefertigt. Rund die Halfte der vier Millionen Reichsmark Geldbeitrage zu dem Vorhaben, die bis zur Wahrungsreform 1948 eingingen, stammten aus Spenden. Die noch folgenden 700.000 D-Mark kamen mehrheitlich aus offentlichen Kassen.
[14]
Aus Kostengrunden und Mangel an Baumaterial wurde beim Wiederaufbau die ursprungliche Innengestaltung stark verandert. Ein neuer Zwischenboden trennt das Untergeschoss, das heute als Ausstellungsraum dient, vom eigentlichen Saal im Obergeschoss. Vor allem aber wurden anstelle der fruheren Kuppel ein Flachdach gebaut und
Milchglasfenster
eingesetzt.
Zum hundertjahrigen Jubilaum der Nationalversammlung am 18. Mai 1948 wurde die wiederaufgebaute Kirche eroffnet. Die Festansprache hielt
Fritz von Unruh
. Seine ?Rede an die Deutschen“ war eine kritische Analyse der NS-Zeit. Am 28. August 1948 bekam Fritz von Unruh in der Paulskirche den
Goethepreis der Stadt Frankfurt
verliehen. Seit 1949 wird der Goethepreis i. d. R. alle drei Jahre in der Paulskirche verliehen.
Durch die Zerstorungen im Zweiten Weltkrieg war die Wohnbevolkerung der
Altstadt
stark zuruckgegangen. Die kleiner gewordene Paulsgemeinde benotigte keine so große Kirche mehr. Sie erhielt deshalb 1949 die wesentlich kleinere
Alte Nikolaikirche
am Romerberg als Gemeindekirche zugewiesen. Am 12. Mai 1953 wurde die Paulskirche aus der bisherigen
Dotationsverpflichtung
herausgenommen und gegen das
Dominikanerkloster
getauscht. Dabei verpflichtete sich die Stadt, dass das Kreuz auf der Kirche nicht entfernt werden darf. Der
Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau
steht seither ein Nutzungsrecht zu, von dem sie jedoch selten Gebrauch macht, da der Raum heute fur Gottesdienste wenig geeignet ist. Stattdessen entwickelte sich die an der
Hauptwache
gelegene Katharinenkirche zur evangelischen Hauptkirche Frankfurts.
Seit 1948 ist die Paulskirche somit keine Kirche mehr, sondern wird hauptsachlich fur Ausstellungen und staatliche oder stadtische Veranstaltungen genutzt. Am bekanntesten ist die Verleihung des
Friedenspreises des Deutschen Buchhandels
im Rahmen der jahrlichen
Frankfurter Buchmesse
. Die ersten beiden Buchmessen wurde 1949 und 1950 noch in der Paulskirche abgehalten, danach wurde sie auf das Messegelande verlegt.
In der Kirche fand 1955 ein Kongress von Mitgliedern von
SPD
,
DGB
und
Gesamtdeutscher Volkspartei
gegen die
Wiederbewaffnung
statt. Die sich anschließende kurzlebige außerparlamentarische Bewegung wurde als
Paulskirchenbewegung
bekannt.
Am 25. Juni 1963 besuchte der
US-Prasident
John F. Kennedy
Frankfurt und sprach dabei auch in der Paulskirche. In seiner Ansprache wies er darauf hin, dass ?kein anderes Gebaude in Deutschland begrundeteren Anspruch auf den Ehrentitel der
Wiege der deutschen Demokratie
erheben“ konne.
[15]
Von 1988 bis 1991 wurde die Paulskirche renoviert. Dabei erhielt sie neue Fenster, die an die historischen Fenster vor 1944 erinnerten. Die ebenfalls diskutierte Wiederherstellung des alten Kuppeldaches unterblieb jedoch; das schlichte Flachdach der Nachkriegszeit galt inzwischen ebenfalls als denkmalschutzwurdig. Am 16. April 1991 wurde das kolossale Wandgemalde
Der Zug der Volksvertreter zur Paulskirche
des Berliner Malers
Johannes Grutzke
feierlich enthullt.
Am 12. Juni 1994 spannte der franzosische
Artist
Philippe Petit
ein 300 Meter langes Seil zwischen Paulskirche und Dom und vollfuhrte darauf einen dreißigminutigen
Hochseillauf
. In 60 bis 70 Metern Hohe stellte er wichtige Ereignisse aus der Frankfurter Geschichte mimisch dar. Die Vorfuhrung wurde vom
Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt
des
Hessischen Rundfunks
begleitet. Sie war ein Hohepunkt der 1200-Jahr-Feiern der Stadt Frankfurt am Main und kam auf Initiative des
Varietes
Tigerpalast
zustande.
Zur 150-Jahr-Feier 1998 der Nationalversammlung wurde die Dauerausstellung ?Die Paulskirche. Symbol demokratischer Freiheit und nationaler Einheit“ neu gestaltet.
Die 175-Jahr-Feier wurde in Frankfurt mit einem Paulskirchenfest vom 18. Mai 2023 bis 21. Mai begangen, bei welchem neben dem
Paulsplatz
und dem
Romerberg
auch der
Mainkai
miteinbezogen wurde
[16]
. 250 000 Besucher zahlte die Stadt Frankfurt wahrend der 4 Tage dauernden ?Mischung aus Diskurs und Volksfest“
[17]
[18]
. In zahlreichen Veranstaltungen, Diskussionsrunden, Konzerten, Ausstellungen und Workshops wurde sowohl der Eroffnung der Nationalversammlung als auch demokratischer Errungenschaften gedacht.
Bundesprasident
Steinmeier
wurdigte in einem Festakt die nationale Bedeutung der Paulskirche: Sie sei ?ein Schatz nationaler Bedeutung, den wir gemeinsam zum Glanzen bringen sollten“
[19]
.
2017 gab der Frankfurter Magistrat ein Gutachten in Auftrag, um den Sanierungsbedarf der Paulskirche festzustellen. Die erforderlichen Arbeiten sollen bis zum 175. Jubilaum der Nationalversammlung und dem 75. Jahrestag des Wiederaufbaus der Paulskirche 2023 abgeschlossen sein.
[20]
Zudem soll die Paulskirche zum
Lernort der Demokratie
aufgewertet und um ein Besucher- und Dokumentationszentrum erweitert werden.
[21]
Bundesprasident
Steinmeier
forderte, die Gestaltung der Paulskirche als ?moderne Erinnerungsstatte fur die Demokratie“ aus Bundesmitteln zu unterstutzen.
[22]
Ausgelost durch einen Aufruf von Benedikt Erenz in der
Zeit
im Oktober 2017 begann eine offentliche Diskussion, ob im Rahmen der Sanierung der Bauzustand von 1848 mit historischem Kuppeldach und Emporen im Innenraum wiederhergestellt oder der Bauzustand von 1948 erhalten wird. Ersteres wurde die Bedeutung der Paulskirche als evangelische Kirche und Tagungsort der
Frankfurter Nationalversammlung
betonen, letzteres die Bedeutung als Baudenkmal der deutschen
Nachkriegsmoderne
und Symbol des demokratischen Neubeginns Deutschlands. Erenz kritisierte, der Wiederaufbau von 1948 durch den Architekten
Rudolf Schwarz
habe zu einem ?verlogenen Zustand“ gefuhrt und sei mit einer ?zweiten Zerstorung“ vergleichbar. Eine Sanierung musse den Parlamentsraum von 1848 wieder erlebbar machen.
[23]
Schwarz habe von der politischen Bedeutung der Paulskirche nichts begriffen und dem Bau eine ?edle Buß- und Reu-Architektur“ verordnet, ?als ware ausgerechnet das Paulskirchenparlament schuldig gewesen am deutschen Sundenfall“. Die Bundesrepublik musse die sich jetzt bietende Sanierungschance nutzen, um die Paulskirche ?endlich so herzurichten und zu prasentieren, wie es der Urzelle, dem nationalen Kerngehause der deutschen Demokratie gebuhrt“.
[24]
Die Entscheidung in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung verzogert sich, da das Konzept fur die Sanierung auf Wunsch des Oberburgermeisters durch einen Burgerdialog begleitet werden soll. Verantwortliche der Koalitionsparteien im Frankfurter Magistrat haben sich gegen eine Rekonstruktion des Zustandes von 1848 ausgesprochen. Diese wurde ?ein Denkmal wiedererstehen lassen, das an eine gescheiterte Demokratie erinnert“. Uberdies sprachen praktischen Erwagungen dagegen, wie fehlender Platz fur Garderoben und Empfange, auch konnten die ehemals vorhandenen Emporen im Falle einer Rekonstruktion aus Brandschutzgrunden gar nicht genutzt werden. Dem entgegnet Erenz, das Paulskirchenparlament sei nicht gescheitert, sondern ?diejenigen, die sich diesen Grundrechten in den Weg gestellt und die Ideen von 1848 unterdruckt haben: das
wilhelminische Kaiserreich
und das
NS-Regime
“.
[24]
Oberburgermeister
Peter Feldmann
(SPD) erwarte hingegen einen Kompromiss zwischen Befurwortern einer Rekonstruktion und Anhangern des Bestandsbaus. Außerdem seien mogliche Gestaltungswunsche des
Bundesprasidenten
zu berucksichtigen.
[25]
Im November 2019 einigte sich die Frankfurter Ratskoalition aus CDU, SPD und Grunen darauf, lediglich eine Sanierung des Gebaudes vornehmen zu lassen und damit den historisch gewachsenen Zustand des Wiederaufbaus von 1948 zu erhalten. In der Nahe soll als Erganzung ein ?Haus der Demokratie“ als Neubau errichtet werden, wobei aber noch Unklarheit uber den Standort und die Gestaltung besteht.
[26]
Die Paulskirche ist ein klassizistischer Bau mit der Grundrissform einer Ellipse, deren langster Durchmesser ca. 40 Meter und deren kurzester Durchmesser ca. 30 Meter betragt. Der Ellipse ist an der Langsseite im Suden ein dreigeschossiger Turm auf quadratischem Grundriss angelagert. Der Turmeingang ist mit einer Giebelfront geschmuckt, die von zwei dorischen Halbsaulen getragen wird. Die Fensteroffnungen in den Obergeschossen des Turmes werden von flachen
Pilastern
gerahmt, im zweiten Geschoss von
dorischen
und im dritten Geschoss von
ionischen
. Die
Traufe
liegt in einer Hohe von 28 Metern.
An der Nordost- und Nordwestseite befinden sich zwei Treppenaufgange, die bis zur Hohe der
Attika
hinaufreichen. Uber der Attika erhob sich bis zur Zerstorung 1944 ein kuppelformiges
Deutsche Dach
, das durch sieben kleine
Mansarden
aufgelockert war. Der Dachstuhl aus Tausenden von
Bindern
und
Streben
aus Tannen- und Eichenholz uberspannte freitragend einen 37 Meter durchmessenden
Tambour
. Der ursprungliche Entwurf von Johann Friedrich Christian Hess zeigte noch deutlicher das Vorbild des
Pantheons
in
Rom
. Er sah ein großes
Oberlicht
vor, um den Kirchenraum von oben zu beleuchten. Dieser Entwurf konnte jedoch aus Kostengrunden nicht ausgefuhrt werden.
Beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg verzichtete der Architekt
Rudolf Schwarz
auf die hohe Kuppel und errichtete ein nur leicht gewolbtes, mit Kupfer gedecktes Dach. Diese Entscheidung wurde spater haufig kritisiert, doch ließen die Umstande des Wiederaufbaus nichts anderes zu. Allein der Mangel an Bauholz und qualifizierten Zimmerern hatte keine Rekonstruktion des komplizierten Dachgebalks zugelassen. Bei der herrschenden
Wohnungsnot
ware es zudem politisch nicht zu rechtfertigen gewesen, einen noch großeren Aufwand fur den Wiederaufbau eines Denkmals zu betreiben. Bei der Renovierung der Paulskirche 1984 bis 1988 respektierte man die Nachkriegsentscheidung und verzichtete auf die Wiederherstellung des ursprunglichen Zustandes.
In der Fachwelt wird der heutige Zustand kontrovers beurteilt. Der
Kunsthistoriker
Christian Welzbacher verglich die beiden Bauzustande mit den Worten, Schwarz habe ?den evangelischen
Sakralbau
in einen katholischen
Profanbau
“ verwandelt. Der Architekturkritiker
Dieter Bartetzko
bezeichnete die Paulskirche im Zustand von 1948 als ?der Ort, in dem der Bußergang nach dem Kriege baulich Gestalt angenommen hat“.
[24]
Im dritten Turmgeschoss ist der
Glockenstuhl
eingebaut. Daruber erhebt sich eine kupfergedeckte
Laterne
, in der 1838 durch den
Physikalischen Verein
eine astronomische Beobachtungsstation eingerichtet wurde. Nach den von hier aus taglich gegebenen Zeitsignalen justierte man bis 1893 die anderen Frankfurter Uhren.
Die Fassade der Paulskirche ist in zwei Geschosse gegliedert, die sich auf einem niedrigen Sockel erheben. Im Sockelgeschoss befanden sich ursprunglich keine Fenster, erst beim Wiederaufbau nach dem Krieg wurden auch hier Fensteroffnungen eingebracht, um das neu entstandene Untergeschoss zu beleuchten.
Große Rundbogenfenster im ersten und zweiten Geschoss sorgen fur eine gute Beleuchtung des Innenraums. Der von Hess konzipierte Innenraum war nach Suden hin orientiert, wo sich an der Innenseite des Turms der Altar, daruber die Kanzel und auf der Empore die Orgel befanden. Die Empore wurde von 20
korinthischen
Saulen getragen und bot 1200 Personen Platz. Im Parterre konnten uber 500 Personen sitzen.
Alle Platze orientierten sich nach Suden, zum Turmportal hin. Dort befanden sich
Altar
und
Kanzel
(in Form eines Kanzelaltars), daruber auf der Empore die
Orgel
. Symbolisch wurden damit die drei wesentlichen Elemente des lutherischen Gottesdienstes zusammengefasst, das
Sakrament
, die
Verkundigung
und der Lobpreis.
Bereits bei der Einweihung der Kirche zeigte sich ihre schlechte
Akustik
. Die
Nachhallzeit
war mit uber funf Sekunden viel zu lang und zwang den Prediger, unnaturlich langsam und gedehnt zu sprechen. Trotz mehrerer Versuche gelang es nie, die Probleme zu beheben. So wurde zunachst ein Schalldeckel uber der Kanzel angeordnet. Um die Kirche als Versammlungssaal fur die Nationalversammlung herzurichten, wurde eine zusatzliche, mit Leinwand bespannte und mit Leimfarbe gestrichene Holzdecke vom Dachstuhl abgehangt.
Beim Wiederaufbau wurde das Innenraumkonzept vollkommen verandert. Die Kirche erhielt ein Tiefgeschoß, in dem die notigen Nebenraume eingerichtet wurden. Uber eine Treppe im Turmeingang betritt man nun zunachst eine nur vier Meter hohe Wandelhalle mit einem Saulenkranz aus Marmor. Aus der Wandelhalle fuhren zwei Treppen entlang der geschwungenen Wand in den Saal hinauf, der somit wesentlich hoher liegt als in der alten Kirche. Der 28 Meter hohe Festsaal ist betont schlicht gehalten, bis hin zum Gestuhl, das an eine Aula oder ein Parlament erinnert. Durch den Verzicht auf die Emporen wirkt der Raum monumentaler als vor der Zerstorung. Einziger Schmuck der Wande sind die Flaggen der
Bundesrepublik Deutschland
, der sechzehn
Bundeslander
und der Stadt Frankfurt.
Panorama: Innenraum der Paulskirche (Plenarsaal, Obergeschoss) (2010)
Die Paulskirche entstand in dem Viertel zwischen
Neue Krame
im Osten,
Großer Sandgasse
im Norden,
Wedelgasse
und
Paulsgasse
im Suden und Kornmarkt im Westen. Sie war wahrend der Bauzeit an allen Seiten von dichter Bebauung umgeben. Erst nach der Niederlegung der alten Klostergebaude ab 1840 erstreckte sich im Suden, vor der Turmfassade, ein einigermaßen großzugiger, neu angelegter Platz, der
Paulsplatz
.
Im Osten der Kirche, zwischen Paulsplatz und Neuer Krame, entstand etwa gleichzeitig mit der Kirche ein Hauserblock, dessen nordlichen Abschluss die 1840 bis 1842 errichtete
Alte Borse
bildete. Die Flache fur diesen neuen Block wurde frei, weil die ost-west-orientierte Barfußerkirche und ihre Klostergebaude eine großere Ausdehnung nach Osten besaßen, wahrend die Paulskirche als Zentralbau eine rund doppelt so große Nord-Sud-Ausdehnung besaß, aber nicht so weit nach Osten reichte.
Die beengte Lage der Kirche, die den großzugigen Bau kaum zur Wirkung kommen ließ, wurde bereits von Zeitgenossen kritisiert. 1797 schrieb
Johann Wolfgang Goethe
:
?Die neue lutherische Hauptkirche gibt leider viel zu denken. Sie ist als Gebaude nicht verwerflich, ob sie gleich im allermodernsten Sinne gebaut ist; allein da kein Platz in der Stadt weder wirklich noch denkbar ist, auf dem sie eigentlich stehen konnte und sollte, so hat man wohl den großten Fehler begangen, daß man zu einem solchen Platz eine solche Form wahlte. Sie stickt, da man ringsherum wohl schwerlich viel wird abbrechen lassen, zwischen Gebauden, die ihrer Natur und Kostbarkeit wegen unbeweglich sind, und will doch von allen Seiten gesehen sein; man sollte sie in großer Entfernung umgehen konnen … Um sie herum ist das großte Gedrang und Bewegung der Messe, und es ist nicht daran gedacht, wie auch irgend nur ein Laden stattfinden konnte. Man wird also wenigstens in der Meßzeit holzerne Buden an sie heranschieben mussen, die vielleicht mit der Zeit unbeweglich werden, wie man an der Katharinenkirche noch sieht und ehemals um den
Munster
von
Straßburg
sah.“
Die zeitgenossischen Darstellungen, etwa zur
Eroffnung der Nationalversammlung
, lassen den Platz großer erscheinen als er war. Die Delegierten, die auf dem Bild in die Kirche einziehen, mussen sich zuvor entweder durch die enge Wedelgasse gezwangt haben oder aus der auf den Platz mundenden Romerhalle gekommen sein.
Von 1893 bis 1906 wurde, zur Erschließung der Altstadt mit neuzeitlichen Verkehrsmitteln, ein
Straßendurchbruch
durchgefuhrt. Der Straßenzug
Bethmann-
und
Braubachstraße
verlief in west-ostlicher Richtung etwa im Verlauf der bisherigen
Paulsgasse
uber den sudlichen Rand des Paulsplatzes. Ostlich der Neuen Krame wurde die neue Straße mitten durch die Hauserblocks der Altstadt gelegt, wobei zahlreiche wertvolle Gebaude, darunter der
Nurnberger Hof
, abgerissen wurden. Gleichzeitig mit dem Bau der Straße entstand das
Neue Rathaus
(1900?1908,
Franz von Hoven
und
Ludwig Neher
), westlich an den Romer angrenzend. Die Bauteile nordlich und sudlich der Bethmannstraße wurden dabei durch eine Brucke verbunden. An der neu entstandenen Kreuzung Neue Krame und Braubachstraße gingen der Paulsplatz und der Romerberg nun direkt ineinander uber. Schrag gegenuber dem mittelalterlichen
Salzhaus
, einem der schonsten Fachwerkhauser der Stadt, entstand ein großes Wohn- und Geschaftshaus (F. Geldermacher, 1906), das trotz seiner grunderzeitlichen Dimensionen Architekturelemente barocker Altstadthauser aufgriff. Nach Fertigstellung des Straßendurchbruchs fuhr auch die
Straßenbahn
uber den Paulsplatz.
Die
Vernichtung der Altstadt im Marz 1944
und der anschließende Wiederaufbau veranderten die Umgebung der Kirche ein weiteres Mal erheblich. Der Anfang des 19. Jahrhunderts mit der Kirche errichtete Straßenblock wurde nicht wieder aufgebaut, der Paulsplatz reicht deshalb heute bis an die Neue Krame. Anfang der 1950er Jahre wurde nordlich parallel zum ersten ein weiterer Straßendurchbruch durchgefuhrt, diesmal der
autogerechten Stadt
zuliebe. Etwa im Verlauf des Straßenzuges Große Sandgasse-Schnurgasse, nordlich an der Paulskirche vorbei, wurde eine vierspurige Verkehrsschneise, die
Berliner Straße
, durch die Ruinen der Altstadt geschlagen. An dieser Straße befindet sich heute, direkt hinter der Paulskirche, ein Parkplatz fur Touristenbusse. Diese Situation erleichtert sicherlich den Ablauf von Stadtrundfahrten, dient jedoch nicht der Schaffung eines attraktiven Stadtbilds.
Die Neue Krame, die heute die Ostseite des Paulsplatzes bildet, wurde dank des freien Blicks auf die Paulskirche zu einem attraktiven Standort fur zahlreiche Straßencafes, deren Terrassen im Sommer große Teile des Platzes einnehmen. Neben einigen weiteren Festen findet auf dem Paulsplatz, wie auch auf dem Romerberg und in der Neuen Krame, der
Frankfurter Weihnachtsmarkt
statt.
Westlich der Kirche steht heute der Erweiterungsbau des Neuen Rathauses, nordlich und sudlich fuhren die zwei Straßendurchbruche der Berliner- und der Braubachstraße an ihr vorbei. Die stadtebauliche Situation der Ursprungszeit wurde somit ins genaue Gegenteil verkehrt: statt der engen und extrem dicht bebauten Einbindung ins Gefuge der Altstadt ist die Kirche heute nach drei Seiten hin freigestellt.
Wann die erste
Orgel
in der Barfußerkirche entstand, ist nicht bekannt. Ab dem 14. Jahrhundert waren stets ein oder mehrere
Orgelbauer
in Frankfurt ansassig. 1466 werden zwei Orgeln in der Barfußerkirche erwahnt;
[27]
es kann vermutet werden, dass zumindest eine davon damals schon langer bestand. Die zweite stammte wahrscheinlich von
Leonhard Mertz
, auch
Magister Leonhardus
genannt, der 1470 zum
Guardian
des Barfußerkonvents gewahlt wurde. Er war einer der bedeutendsten Orgelbauer seiner Zeit und schuf auch in Frankfurt nachweislich mehrere Werke, so fur St. Bartholomaus, die
Liebfrauenkirche
und die
Weißfrauenkirche
.
Aus dem 16. Jahrhundert sind kaum Zeugnisse uber die Orgeln bekannt.
Lersner
berichtet in seiner Chronik, dass 1599 bis 1604 von den
Brudern Grorock
eine neue Orgel mit 10 Registern fur die Barfußerkirche errichtet worden war. Damals hatte es schon lange keinen Organisten mehr an der Kirche gegeben, so dass vermutlich keine der alteren Orgeln mehr in Gebrauch gewesen war. Das neue, von dem Maler
Philipp Uffenbach
ausgeschmuckte, Werk kostete 1000 Gulden und galt als ein
herrlich gut Werk
.
[28]
Auf dem Holzschnitt von 1653 sieht man es auf der rechten Seite als ?
Schwalbennestorgel
“ an der sudlichen Langhauswand in Hohe der Empore. Die Grorock-Orgel bestand uber 100 Jahre und wurde immer wieder erneuert, so etwa 1624 durch
Nikolaus Grunwald
aus
Nurnberg
und 1671.
1736 beauftragte der Rat der Stadt den
Schweizer
Orgelbauer
Johann Conrad Wegmann
mit dem Bau einer neuen Orgel, die 1740 durch
Johann Christian Kohler
fertiggestellt wurde. Die Disposition des mit 41
Registern
fur die damalige Zeit sehr großen Werkes ist durch eine Beschreibung des mit Wegmann konkurrierenden Elsasser Orgelmeisters
Johann Andreas Silbermann
uberliefert, in der er vernichtende Kritik an dem Werk seines Konkurrenten ubt und seinen ehemaligen Gesellen Nicolaus Seitz mit folgenden Worten zitiert: ?Erstlich blast sie als wie der lebendige Teuffel und heulet auch schon und ist geloth als wanns die Hund gekotzt hatten. Der Schien (
Prospekt
) sieht wie Bley die Fuß stauchen sich schon er kann sein Tag kein jamerlich Leben so gesehen haben als daß ist.“
[29]
Der Rat schien jedoch mit dem Werk, das 16.000 Gulden gekostet hatte, recht zufrieden zu sein. Er ließ es 1766 durch
Philipp Ernst Wegmann
aufwendig restaurieren. Beim Abbruch der Barfußerkirche 1786 wurde die Orgel abgebaut und im benachbarten Gymnasium eingelagert. Die lange Lagerzeit bekam ihr allerdings nicht gut: Ob aus Mangel an Sorgfalt bei der Demontage oder wegen des
Mutwillens
der Gymnasiasten ? 1808 waren nur noch Reste der Orgel vorhanden, die fur 715 Gulden an den Schlossermeister Dissmann veraußert wurden.
[30]
1824, noch vor der Wiederaufnahme der Bauarbeiten an der noch immer unvollendeten Paulskirche, ließ der Rat einen Orgelneubau ausschreiben. Es bewarben sich 15 namhafte Orgelbauer ?aus allen deutschen Gauen“, darunter auch der junge
Eberhard Friedrich Walcker
aus
Ludwigsburg
. Er schlug eine fur die damalige Zeit neuartige Disposition mit einem hohen Anteil an Grundstimmen und verhaltnismaßig wenigen Aliquoten, Mixturen und Zungenregistern vor, wie er sie bei
Abbe Vogler
kennengelernt hatte.
[31]
Am 27. Februar 1827 erhielt er von der Frankfurter Orgelkommission, welche die Angebote gepruft hatte, den Zuschlag.
[32]
Fast sechs Jahre arbeitete Walcker in seiner Ludwigsburger Werkstatt an der neuen Orgel, seinem
opus 9
. Samtliche Teile wurden auf dem Wasserweg uber
Neckar
,
Rhein
und
Main
nach Frankfurt transportiert. Da der
Zollverein
noch nicht bestand, mussten die Teile unterwegs dreimal verzollt werden: in
Mannheim
,
Mainz
und
Hochst
. Der Aufbau und vor allem die
Intonation
der Orgel stellten Walcker vor unerwartete Schwierigkeiten. Insbesondere das fur die damalige Zeit sehr anspruchsvolle offene 32-Fuß-Register im Pedal versagte bei den ersten Versuchen. Nach einigen Umbauten gelang jedoch seine Intonation, und zur Einweihung der Paulskirche am 9. Juni 1833 erklang die Orgel erstmals vor einem großen Publikum. Die
Frankfurter Zeitung
schrieb am 14. Juni 1833: ?Die neue Orgel steht nun als Meisterwerk da, das an Starke des Tons, an Mannigfaltigkeit, Zartheit und Reinheit der Stimmen, keiner bis jetzt bekannten Orgel nachsteht, die meisten weit ubertrifft.“
Die Walcker-Orgel besaß 74
Register
, verteilt auf drei
Manuale
und zwei
Pedale
. Nach dem Werkstattbuch von Walcker lautete die Disposition:
[33]
I. Hauptwerk
C?f
3
|
0
1.
|
GroßPraestant
|
16′
|
0
2.
|
Viola di Gamba
|
16′
|
0
3.
|
Flauto major
|
16′
|
0
4.
|
Man. Untersaz
[A 1]
0
|
32'
|
0
5.
|
GroßOctav
|
0
8′
|
0
6.
|
Viola di Gamba
|
0
8′
|
0
7.
|
Gemshorn
|
0
8′
|
0
8.
|
Offene Floete
|
0
8′
|
0
9.
|
Quint
|
5
1
⁄
3
′
|
10.
|
Octav
|
0
4′
|
11.
|
Hohlfloete
|
0
4′
|
12.
|
Fugara
|
0
4′
|
13.
|
Gemshorn
|
0
4′
|
14.
|
Terz
|
3
1
⁄
5
′
|
15.
|
Princ.Quint
|
2
2
⁄
3
′
|
16.
|
Kl.Octav
|
0
2′
|
17.
|
Waldfloete
|
0
2′
|
18.
|
Terz discant
|
1
3
⁄
5
′
|
19.
|
Cornett
|
10
2
⁄
3
′
|
20.
|
Mixtur 5 fach
|
21.
|
Scharff 4 fach
|
22.
|
Superoctav
|
0
1′
|
23.
|
Fagott
|
16′
|
24.
|
Trompete
|
0
8′
|
|
II. Manual
C?f
3
|
25.
|
Praestant
|
0
8′
|
26.
|
Gedekt
|
16′
|
27.
|
Salicional
|
0
8′
|
28.
|
Dolce
|
0
8′
|
29.
|
Floet travers
|
0
4′
|
30.
|
Groß Gedekt
|
0
8′
|
31.
|
Quintfloete
|
5
1
⁄
3
′
|
32.
|
Octav
|
0
4′
|
33.
|
Quintatoen
|
0
8′
|
34.
|
Rohrfloete
|
0
4′
|
35.
|
Gemshornquinte
[A 2]
0
|
36.
|
Octav
|
0
2′
|
37.
|
Mixtur 5fach
|
38.
|
Posaune
|
0
8′
|
39.
|
Vox humana
|
0
8′
|
|
III. Manual (Schwellwerk)
C?f
3
|
40.
|
Praestant
|
0
8′
|
41.
|
Quintatoen
|
16′
|
42.
|
Harmonica
|
0
8′
|
43.
|
Dolcißimo
|
0
8′
|
44.
|
Bifra
|
0
8′
|
45.
|
Hohfloete
|
0
8′
|
46.
|
Spitzfloete
|
0
4′
|
47.
|
Liebl.Gedekt
|
0
8′
|
48.
|
Flute d’amour
|
0
4′
|
49.
|
Flautino
|
0
2′
|
50.
|
Nasard
|
2
2
⁄
3
′
|
51.
|
Clarinette
|
0
8′
|
52.
|
Physharmonica
0
|
0
8′
|
|
Tremulant
|
|
I. Pedal
C?d
1
|
53.
|
PrincipalB.
|
16′
|
54.
|
Baßismajor offen
0
|
32′
|
55.
|
Contra Baß
|
16′
|
56.
|
Octav Baß
|
16′
|
57.
|
Violon Baß
|
16′
|
58.
|
Quint Baß
|
10
2
⁄
3
′
|
59.
|
Octav Baß
|
0
8′
|
60.
|
Violoncell
|
0
8′
|
61.
|
Terz offen
|
10
2
⁄
3
′
[A 3]
|
62.
|
Quint
|
0
5
1
⁄
3
′
|
63.
|
Octav
|
0
4′
|
64.
|
Floete
|
0
4′
|
65.
|
Posaune
|
16′
|
66.
|
Trompete
|
0
8′
|
67.
|
Clarine
|
0
4′
|
68.
|
Krumhorn
|
0
2′
|
|
II. Pedal
C?d
1
|
69.
|
Gedekt
|
16′
|
70.
|
Praestant
|
0
8′
|
71.
|
Floete
[A 4]
|
0
8′
|
72.
|
Floete
[A 5]
|
0
4′
|
73.
|
Fagott
|
16′
|
74.
|
Waldfloete
0
|
0
2′
|
|
Anmerkungen
- ↑
tiefe Oct. fehlt
- ↑
2
2
⁄
3
′
- ↑
mit Bleistift durchgestrichen und
6
2
⁄
5
uberschrieben
- ↑
?ged“ mit blauem Stift erganzt
- ↑
?ged“ mit blauem Stift erganzt
Als Nebenzuge nennt Walcker:
- Fur jedes Clavier ein Sperrventil
- Tremulant II. Clav.
- Crescendokasten furs III. Clavier
- Crescendofußtritt zur Vox humana
- I Ped. zum Hauptwerk
- I Ped. z. II Ped.
- Copel II Ped. z. II. Man.
- Copel v. I. M. z. II. Man.
- Copel v. II. M. z. III. Man.
- Crescendofußtritt z. III. Clavier
Es war die erste Orgel, die Walcker mit einem
Schwellkasten
versehen hatte. Um das Instrument mit
Wind
zu versorgen, wurden zwolf
Blasebalge
benotigt, die von zwei
Calcanten
getreten wurden.
Die Orgel stellte einen Meilenstein in der Geschichte des Orgelbaus dar und machte Walcker mit einem Schlag beruhmt.
[34]
Der Rat bot ihm das Frankfurter
Burgerrecht
an. Walcker lehnte jedoch ab, da er einen Ruf nach Russland erhalten hatte, wo er in den Folgejahren zwei große Orgeln in
Sankt Petersburg
und
Reval
schuf. 1844 besuchte der franzosische Orgelbauer
Aristide Cavaille-Coll
die Paulskirche, um die Orgel zu studieren. Er charakterisierte ihren Klang als schon, aber ? aufgrund einer unzulanglichen Windversorgung ? zu zaghaft: ?Es ist ein schoner Mann, aber von Schwindsucht befallen.“
In den folgenden Jahrzehnten wurde die Orgel stets gut instand gehalten. Ende des 19. Jahrhunderts machte jedoch der zunehmende Verschleiß der Mechanik und der Blasebalge eine umfassende Reparatur erforderlich. 1898 beauftragte das Hochbauamt damit die Firma Walcker. Die Orgel wurde jedoch nicht nur repariert, sondern auch entsprechend dem Klangideal der Spatromantik umgebaut. Die neue Disposition orientierte sich noch starker am Orchesterklang als es fruher der Fall gewesen war. Durch den Ausbau des zweiten Pedals wurde die Orgel auf 63 Stimmen verkleinert. Die bisherigen
Schleifladen
wurden auf
Kegelladen
mit
pneumatischer Traktur
umgestellt und die Tatigkeit der Calcanten durch ein elektrisches Geblase ersetzt. Die pneumatische
Traktur
bewahrte sich allerdings nicht; sie wurde bereits 1910 durch Walcker auf elektrische Traktur umgebaut.
[35]
In dieser Form bestand die Orgel bis zu ihrem Untergang am 18. Marz 1944.
1947 beim Wiederaufbau wurde wiederum die Firma Walcker mit der Planung eines neuen Instrumentes beauftragt. Es entstand die Disposition einer dreimanualigen Orgel mit 50 Registern. Die
Wahrungsreform
entwertete jedoch die bis dahin gesammelten Spenden, und die Stadt Frankfurt konnte ihre Finanzierungszusagen nicht einlosen. Am 8. Dezember 1948 wurde daher eine provisorische Orgel installiert. Der Spieltisch besaß drei Manuale, von denen aber nur das III. Manual mit 13 Registern ausgefuhrt war. Ein Pedal war uberhaupt nicht eingebaut worden.
Das Provisorium uberdauerte fast vierzig Jahre, bis 1988 im Rahmen der Kirchenrenovierung eine neue Orgel durch die Bonner Orgelbaufirma
Klais
entstand. Die neue Paulskirchenorgel ist ein mittelgroßes Werk mit 45
Registern
, verteilt auf drei
Manuale
und ein
Pedal
.
[36]
I Ruckpositiv
C?g
3
|
0
1.
|
Gedackt
|
0
8′
|
0
2.
|
Quintade
|
0
8′
|
0
3.
|
Praestant
|
0
4′
|
0
4.
|
Rohrflote
|
0
4′
|
0
5.
|
Nasard
|
2
2
⁄
3
′
|
0
6.
|
Waldflote
|
0
2′
|
0
7.
|
Terz
|
1
3
⁄
5
′
|
0
8.
|
Quinte
|
1
1
⁄
3
′
|
0
9.
|
Scharff IV
|
10.
|
Cromorne
0
|
0
8′
|
|
Tremulant
|
|
II Hauptwerk
C?g
3
|
11.
|
Bourdon
|
16′
|
12.
|
Principal
|
0
8′
|
13.
|
Doppelflote
0
|
0
8′
|
14.
|
Gambe
|
0
8′
|
15.
|
Octave
|
0
4′
|
16.
|
Hohlflote
|
0
4′
|
17.
|
Quinte
|
2
2
⁄
3
′
|
18.
|
Octave
|
0
2′
|
19.
|
Mixtur V
|
20.
|
Cymbel III
|
21.
|
Cornet V
|
0
8′
|
22.
|
Trompete
|
0
8′
|
|
III Schwellwerk
C?g
3
|
23.
|
Gedackt
|
16′
|
24.
|
Principal
|
0
8′
|
25.
|
Rohrflote
|
0
8′
|
26.
|
Salicional
|
0
8′
|
27.
|
Voix Celeste
|
0
8′
|
28.
|
Octave
|
0
4′
|
29.
|
Flauto Traverso
|
0
4′
|
30.
|
Quinte
|
2
2
⁄
3
′
|
31.
|
Piccolo
|
0
2′
|
32.
|
Progressio III?V
0
|
33.
|
Basson
|
16′
|
34.
|
Oboe
|
0
8′
|
35.
|
Clairon
|
0
4′
|
|
Tremulant
|
|
Pedal
C?f
1
|
36.
|
Praestant
|
16′
|
37.
|
Subbass
|
16′
|
38.
|
Octave
|
0
8′
|
39.
|
Gedackt
|
0
8′
|
40.
|
Octave
|
0
4′
|
41.
|
Nachthorn
|
0
4′
|
42.
|
Rauschpfeife IV?V
0
|
43.
|
Posaune
|
16′
|
44.
|
Trompete
|
0
8′
|
45.
|
Clarine
|
0
4′
|
|
- Koppeln
:
I/II, III/II, I/P, II/P, III/P
Die alte Barfußerkirche erhielt um das Jahr 1300 den ersten Dachreiter. Vermutlich hat die Kirche nur eine Lauteglocke besessen, dazu im Chor auch eine Uhr mit zwei kleinen Schlagglocken. 1685 zersprang die
Kirchenglocke
der Barfußerkirche. Daraufhin wurde ein neuer Dachreiter errichtet, der Platz fur drei Glocken bot, die von dem Glockengießer
Benedict Schneidewind
geliefert wurden.
Beim Abriss der Barfußerkirche 1786 wurden die Glocken herabgenommen und eingelagert, um in den Neubau uberfuhrt zu werden. In den folgenden vierzig Jahren zersprang jedoch die kleinste der Barfußerglocken. 1829 beschloss der stadtische Rat daher die Anschaffung eines neuen Gelautes. Die mittlere Barfußerglocke wurde der katholischen Gemeinde ubergeben und in den Turm der
Deutschordenskirche
gebracht; die große Barfußerglocke wurde in die neue Paulskirche uberfuhrt. Daruber hinaus wurden 1830 durch
Carl Mappes
, den letzten Frankfurter Glockengießer, weitere drei Glocken gegossen. Das Gelaut bestand somit aus vier Glocken:
Nr.
|
Name
|
Nominal
(16tel)
|
Gewicht
|
Durchmesser
|
Gießer, Gussort
|
Gussjahr
|
1
|
Christusglocke
|
cis
1
|
1830 kg
|
1470 mm
|
Gebruder Barthels & Mappes, Frankfurt am Main
|
1830
|
2
|
Barfußerglocke
|
e
1
+10
|
970 kg
|
1187 mm
|
Benedict Schneidewind, Frankfurt am Main
|
1685
|
3
|
Dankesglocke
|
g
1
+1
|
500 kg
|
984 mm
|
Gebruder Barthels & Mappes, Frankfurt am Main
|
1830
|
4
|
Lutherglocke
|
h
1
|
220 kg
|
720 mm
|
Gebruder Barthels & Mappes, Frankfurt am Main
|
1830
|
Im
Ersten Weltkrieg
, als rund die Halfte der Frankfurter Glocken abgeliefert und als kriegswichtiger Rohstoff eingeschmolzen wurden, blieb das Paulskirchengelaute wegen seines historischen Wertes erhalten. 1942 wurden jedoch die Christus- und die Dankesglocke konfisziert und nach
Hamburg
auf den sogenannten
Glockenfriedhof
transportiert. Da jede Kirche eine Lauteglocke behalten durfte, fiel die Wahl auf die kleine Lutherglocke. Sie ging am 18. Marz 1944 mit der Paulskirche im
Feuersturm
unter.
Die Barfußerglocke wurde im Tausch gegen eine gleich große jungere Glocke in die
Peterskirche
gebracht und blieb dort als Lauteglocke. Sie uberstand den Brand der Peterskirche, blieb dort nach dem Krieg im unzuganglich gewordenen Turm hangen und geriet in Vergessenheit.
Von den nach Hamburg abgelieferten Glocken aus ganz Deutschland hatten rund 14.000 den Krieg uberstanden, darunter neben dem vollstandigen Domgelaute auch die beiden Glocken der Paulskirche. Am 15. August 1947 wurden sie nach Frankfurt zuruckgebracht. Sie kamen allerdings zunachst nicht mehr in die Paulskirche, da diese beim Wiederaufbau ein neues Gelaute erhalten sollte.
Die Handelskammer der
britischen Besatzungszone
stiftete eine monumentale
Stahlglocke
, die
Evangelische Kirche in Thuringen
vier Bronzeglocken der Gießerei Schilling in
Apolda
. Alle Glocken waren musikalisch misslungen, was bei der Stahlglocke an ihrer falschen Konstruktion und bei den Bronzeglocken an dem zeitbedingten Mangel an hochwertiger Glockenbronze lag.
Die erhaltene Christusglocke wurde wieder in den Turm der Paulskirche gebracht, die Dankesglocke kam in das
Historische Museum
. Dort fand sich auch die verschollene Barfußerglocke wieder, die 1965 beim Wiederaufbau der Peterskirche entdeckt worden war.
Wegen ihrer klanglichen Mangel wurden die Nachkriegsglocken seit den 1980er Jahren nicht mehr gelautet. 1987 wurde der Plan des
Frankfurter Stadtgelautes
vollendet, den der Glockensachverstandige
Paul Smets
1954 entwickelt hatte. Die Nachkriegsglocken wurden dem Historischen Museum ubergeben und durch drei neue Glocken der Karlsruher Glockengießerei ersetzt. Die Burgerglocke (fis
0
) erinnert an die Proklamation der Burger- und Menschenrechte durch die Nationalversammlung. Sie tragt die Inschrift
BURGERGLOCKE HEISSE ICH / DER BURGER RECHTE KUNDE ICH / DIE KARLSRUHER GLOCKENGIESSEREI GOSS MICH 1987
und ein Bilderband mit Ereignissen der deutschen Geschichte 1848 bis 1949. Sie ist eine der großten nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland entstandenen Glocken. Entworfen wurde der Glockenschmuck von
Harry MacLean
. Die Stadtglocke (h
0
) soll an die Toten des Krieges und die Zerstorung der Stadt erinnern. Die Lutherglocke (h
1
) ist sowohl vom
Schlagton
als auch von ihren Inschriften und ihrer Verzierung her eine Kopie der verbrannten Lutherglocke von 1830.
Die historische Christusglocke (cis
1
) loste sich beim Stadtgelaut am Pfingstsamstag 1997 aus ihrem Joch und sturzte herab, wobei sie vollkommen zerstort wurde.
[37]
Als Ersatz goss die Firma Rincker in
Sinn
1998 eine neue gleichschwere cis
1
-Glocke, die
Jubilaumsglocke
,
[38]
benannt nach dem 150-jahrigen Jubilaum der Frankfurter Nationalversammlung. Zusammen mit den historischen Glocken ergibt sich damit folgende Disposition des Paulskirchengelautes:
Nr.
|
Name
|
Nominal
(16tel)
|
Gewicht
|
Durchmesser
|
Gießer, Gussort
|
Gussjahr
|
1
|
Burgerglocke
|
fis
0
+1
|
8590 kg
|
2266 mm
|
Glocken- und Kunstgießerei, Karlsruhe
|
1987
|
2
|
Stadtglocke
|
h
0
+1
|
3690 kg
|
1689 mm
|
Glocken- und Kunstgießerei, Karlsruhe
|
1987
|
3
|
Jubilaumsglocke
|
cis
1
+6
|
1755 kg
|
1466 mm
|
Glockengießerei Rincker, Sinn
|
1998
|
4
|
Barfußerglocke
|
e
1
+10
|
970 kg
|
1187 mm
|
Benedict Schneidewind, Frankfurt am Main
|
1685
|
5
|
Dankesglocke
|
g
1
+1
|
500 kg
|
981 mm
|
Gebruder Barthels & Mappes, Frankfurt am Main
|
1830
|
6
|
Lutherglocke
|
h
1
+5
|
437 kg
|
860 mm
|
Glocken- und Kunstgießerei, Karlsruhe
|
1987
|
Das Gesamtgewicht der Paulskirchenglocken betragt 15942 kg. Damit ist es nach dem Domgelaute das zweitgroßte in Frankfurt.
1987 gewann der Berliner Maler
Johannes Grutzke
einen Kunstlerwettbewerb zur Gestaltung eines 32 auf drei Meter messenden
Frieses
fur die Innenseite des ovalen Wandelganges. Sein kolossales Gemalde
Der Zug der Volksvertreter
entstand 1989 bis 1991 in seinem Atelier in Berlin, von wo es in die Kirche transportiert wurde. In zehn Szenen zeigt es die Parlamentarier im Verhaltnis zum Volk. Wahrend das Volk ? bunte, allegorische Figuren ? im Vordergrund verharrt, schreiten seine monochrom grau-schwarz gekleideten Vertreter hinter ihm vorbei, einem unsichtbaren Ziel entgegen. Das Deutsche Reich ist als antikisierende Frauenstatue dargestellt, die mit der linken Hand ihren schwangeren Leib stutzt. Nur vereinzelt gibt es Bezuge zu konkreten historischen Ereignissen, z. B. in der Darstellung des
fusilierten
Robert Blum
.
In der Wandelhalle des Untergeschosses wurde am 28. Juni 2022 die Dauerausstellung ?Paulskirche ? Demokratie, Debatte, Denkmal“ eroffnet. Diese zeigt zum einen die wechselvolle Baugeschichte der historischen Paulskirche sowie des heutigen Gebaudes aus der Nachkriegsmoderne. Die Besucherinnen und Besucher konnen sich vertieft uber die Nationalversammlung und deren Verfassungsgeschichte informieren. Weitere Themen sind die mehr als 70 Jahre bundesrepublikanische Debattenkultur und ein Ausblick auf den kunftigen Demokratieort Paulskirche sowie das Haus der Demokratie. Die digitale, vollstandig auch im Internet abrufbare Ausstellung ersetzt die 1985 konzipierte Dauerausstellung ?Die Paulskirche. Symbol demokratischer Freiheit und nationaler Einheit“, welche 1998 zum 150-jahrigen Jubilaum der Nationalversammlung nochmals aktualisiert und uberarbeitet wurde.
Gelegentlich finden hier auch Sonderausstellungen statt. 1997 wurde beispielsweise die umstrittene erste Fassung der
Wehrmachtsausstellung
Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941?1944
des
Hamburger Institutes fur Sozialforschung
gezeigt. Die kontroversen Diskussionen in der Offentlichkeit zu dieser Darstellung der
Verbrechen der Wehrmacht
fuhrten spater zur Uberarbeitung der in vielen Stadten gezeigten Wanderausstellung. Auch im Tiefgeschoß der Paulskirche finden von Zeit zu Zeit Ausstellungen statt.
Im Laufe der Jahre wurden zahlreiche Tafeln und Denkmaler an der Außenfassade der Kirche angebracht, um an bedeutende Personen oder Ereignisse der deutschen Geschichte zu erinnern. Das erste war das bereits erwahnte, von dem damaligen Leiter des
Stadelschen Kunstinstituts
Richard Scheibe
geschaffene Denkmal fur den ersten Reichsprasidenten Friedrich Ebert. Es wurde am 11. August 1926 eingeweiht und am 12. April 1933 nach der nationalsozialistischen Machtubernahme wieder entfernt. Nach dem Wiederaufbau schuf Richard Scheibe eine neue Statue fur das Ebert-Denkmal, da er gegen die Wiederaufstellung des alten Ebert-Denkmals Einwande erhoben hatte, Das neue Ebert-Denkmal wurde am 28. Februar 1950 durch den
Frankfurter Oberburgermeister
Walter Kolb
und den
hessischen
Ministerprasidenten
Christian Stock
feierlich enthullt.
Das Denkmal befindet sich an der Ostseite des Turmes.
Links unterhalb des Ebert-Denkmals wurde 1980 zum 275. Todestag von
Philipp Jakob Spener
eine Gedenktafel angebracht. Sie erinnert daran, dass Spener von 1666 bis 1686
Senior
des lutherischen Predigerministeriums von Frankfurt war. Wahrend dieser Zeit entstand sein 1675 erschienenes Hauptwerk
Pia Desideria oder Herzliches Verlangen nach gottgefalliger Besserung der wahren evangelischen Kirche
, zudem grundete er 1670 die ersten
collegia pietatis
(
Hauskreise
).
An der Sudostseite des Kirchenschiffes befindet sich eine Gedenktafel fur den hessischen Ministerprasidenten
Georg-August Zinn
. Es folgt eine steinerne Relieftafel fur
Heinrich Friedrich Karl Freiherr vom Stein
, der 1816 wegen seiner Verdienste um die Wiederherstellung der
stadtischen Freiheit
zum
Ehrenburger
ernannt wurde. Die Tafel wurde 1931 zu seinem 100. Todesjahr angebracht.
Mit
Theodor Heuss
ist einem weiteren Ehrenburger Frankfurts etwas weiter nordlich eine Plakette gewidmet. An der Nordostseite der Kirche folgt eine am 25. Juni 1966 durch Oberburgermeister
Willi Brundert
enthullte Relieftafel fur den ermordeten amerikanischen Prasidenten
John F. Kennedy
. Er hatte am 25. Juni 1963 in der Paulskirche eine Rede gehalten, aus der die Tafel den Satz zitiert: ?Niemand soll von dieser unserer atlantischen Generation sagen, wir hatten Ideale und Visionen der Vergangenheit, Zielstreben und Entschlossenheit unseren Gegnern uberlassen.“
Neben dem Nordeingang der Paulskirche wurde 2002 eine Plakette des
Deutschen Turner-Bundes
angebracht. Damit wird aus Anlass des 150. Todestages des
Turnvaters Jahn
die historische Verbindung zwischen der Turnbewegung und der Nationalversammlung geehrt.
Am nordwestlichen Treppenturm der Paulskirche befindet sich seit 1964 ein Mahnmal fur die Opfer des Nationalsozialismus. Die von dem Bildhauer
Hans Wimmer
geschaffene Statue steht auf einem Sockel, welcher die Namen der nationalsozialistischen
Konzentrationslager
tragt. Neben dem Denkmal wurde eine Gedenktafel fur die Kommunalpolitikerin
Johanna Kirchner
angebracht.
An der Sudwestseite der Kirche folgen weitere Gedenktafeln fur
Carl Schurz
sowie fur den Prasidenten der Nationalversammlung
Heinrich von Gagern
. Die Westseite des Turmes tragt seit 2002 aus Anlass seines 100. Geburtstages eine Plakette fur den ersten freigewahlten Oberburgermeister von Frankfurt,
Walter Kolb
.
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Denkmal fur den Aufbau Deutschlands ? Die Paulskirche in Frankfurt am Main.
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(=
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ISBN 3-8035-8920-7
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- Konrad Bund (Hrsg.):
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ISBN 3-7829-0211-0
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Zum baulichen Zustand der Frankfurter Paulskirche nach 1945.
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Denkmalpflege und Kulturgeschichte.
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Werkstatt der Demokratie. Die Frankfurter Nationalversammlung 1848/49.
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ISBN 978-3-593-51651-6
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Auch Geschichte braucht Planung.
In: Landesamt fur Denkmalpflege Hessen:
Denkmalpflege und Kulturgeschichte.
2-2020, S. 21?26.
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Alles fur Deutschland, Deutschland fur Christus. Evangelische Kirche in Frankfurt am Main 1929 bis 1945.
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Erzherzog Johann ? Habsburgs gruner Rebell.
3. Auflage. Styria, Graz 1982, S. 352.
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Das Leben in Frankfurt zur NS-Zeit.
Bd. 4. Der Widerstand. Frankfurt am Main 1986, S. 36.
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Zur Geschichte des Friedrich Ebert-Denkmals an der Paulskirche siehe auch:
Die Neuerrichtung des Friedrich-Ebert-Denkmals 1950.
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a
b
Georg Struckmeier:
Vom Sterben der Paulskirche.
In:
Frankfurter Kirchliches Jahrbuch 1955.
S. 136ff.
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50.111194444444
8.6808611111111
Koordinaten:
50° 6′ 40″
N
,
8° 40′ 51″
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