Das
Weichselland
, auch
Weichselgebiet
oder
Russisch-Polen
genannte Territorium (
russisch
Привислинский край
Priwislinski
kraj
;
polnisch
Kraj Nadwi?la?ski
, auch
Kraj Przywi?la?ski
) bezeichnete ab Marz 1867 die westlichste Provinz des
Russischen Reiches
, die zwischen 1831 und 1867 sukzessive im 1815 eingerichteten ?
Kongresspolen
“ errichtet wurde. In der zaristischen amtlichen Korrespondenz wurde bereits 1864 versucht, die Erinnerung an eine polnische Eigenstaatlichkeit zu tilgen. Trotz des Namens beschrankte sich das russische Herrschaftsgebiet auf die mittlere
Weichsel
, denn der Oberlauf um
Krakau
unterstand als
Großherzogtum Krakau
der
Habsburgermonarchie
, der Unterlauf ab
Thorn
durchfloss die
preußische
Provinz Westpreußen
.
Nachdem
Polen-Litauen
in der zweiten Halfte des 18. Jahrhunderts durch zahlreiche vorangegangene Kriege und Konflikte stark geschwacht war, geriet es 1768 unter die Vormundschaft
Russlands
. In den Jahren 1772, 1793 und 1795 kam es zu den drei
Teilungen Polens
unter den Nachbarmachten Russland,
Preußen
und
Osterreich
, so dass ab 1795 fur uber 120 Jahre kein eigenstandiger polnischer Nationalstaat mehr existierte. Dies rief jedoch den Widerstand der
Polen
hervor. In mehreren Aufstanden versuchten sie, insbesondere die russische Fremdherrschaft abzuschutteln.
Im Jahre 1807 errichtete
Napoleon
aus den ehemals polnischen und nun von Preußen und Osterreich besetzten Gebieten das
Herzogtum Warschau
, einen Rumpf- und
Satellitenstaat
, der bis 1815 existierte. Als sein Nachfolger wurde auf dem
Wiener Kongress
das konstitutionelle
Konigreich Polen
(?
Kongresspolen
“) geschaffen
[1]
, das durch
Personalunion
eng mit dem
russischen Zarenreich
verbunden war.
Im polnischen
Novemberaufstand
von 1830 wurde der Zar
Nikolaus I.
vom polnischen Parlament als polnischer Konig abgesetzt. Nach der Wiederherstellung der russischen Macht 1831 wurden die 1815 beschlossenen Strukturen, wie der polnische Konigstitel fur den russischen Zaren, die Verfassung von 1791 oder das Parlament, nicht mehr beibehalten. Somit entsprach der weiterhin gefuhrte Name des Landes ?Konigreich Polen“ nicht mehr den Tatsachen (die im Deutschen ubliche Bezeichnung ?Kongresspolen“ gibt den Widerspruch nicht deutlich wieder).
Der gescheiterte
Januaraufstand
von 1863 hatte eine weitere Einschrankung der Autonomie und der nationalen Rechte zur Folge. Die Anfuhrer des Aufstands wurden hingerichtet, Rechte und kulturelle Freiheiten eingeschrankt.
Polnisch
wurde als Amtssprache verboten und aus dem offiziellen Gebrauch (z. B. in den Schulen) verdrangt.
Im Jahre 1867 wurde das Wappen von ?Kongresspolen“ abgeschafft und seine zehn
Gouvernements
direkt ins Zarenreich integriert. Obwohl der alte Name nie offiziell geandert wurde,
[2]
[3]
wurde seit den 1880er Jahren auch in verschiedenen Verwaltungsakten immer haufiger die Bezeichnung ?Weichselland“ verwendet und das Wort ?Polen“ sogar als geographischer Begriff von russischer Seite gemieden.
Bis 1880 stieg das ?Weichselland“ zur wirtschaftlich hochstentwickelten russischen Provinz auf. Die politische Situation stagnierte dagegen. Die Bevolkerung wuchs bis 1900 auf 9,4 Millionen Menschen an. Mit der Thronbesteigung Zar
Nikolaus II.
1894 waren keine wesentlichen Veranderungen in den Verhaltnissen verbunden. Die
Revolution von 1905
hatte kleinere Zugestandnisse in kulturellen und religiosen Fragen zur Folge.
Im
Ersten Weltkrieg
wurde das Weichselland sogleich Kriegsschauplatz
(Schlacht an der Weichsel)
. 1915 verschob sich die
Front
stark nach Osten, als
deutsche
und
osterreichisch-ungarische Krafte
die
russische Armee
zu ihrem
Großen Ruckzug
zwangen und den bisher russischen Teil Polens eroberten und besetzten. Die
zaristische
Herrschaft in Polen war damit
de facto
beendet, was Russland im
Friedensvertrag von Brest-Litowsk
Anfang 1918 auch anerkannte. Zwischenzeitlich versuchten die
Mittelmachte
ab 1916, mit der Grundung eines
Regentschaftskonigreichs Polen
einen Satellitenstaat zu schaffen, dessen Verfassung formell an die polnische Monarchie anknupfte. Als dieser Versuch mit dem
Waffenstillstand von Compiegne
im November 1918 gescheitert war, bildete sich die
Zweite Polnische Republik
.
Von den zehn Gouvernements (russ.
Guberniya
), in die das Gebiet 1867?1916 eingeteilt war, lagen funf rechts der Weichsel:
Funf lagen links davon:
1912 wurde aus Teilen der Gouvernements Lublin und Siedlce ein
Gouvernement Cholm
(
Холмская
, Sitz in
Chełm
) gebildet, das aber aus dem ?Weichselland“ ausgegliedert und dem
Generalgouvernement Kiew
unterstellt wurde.
Der Titel
Vizekonig
wurde 1874 durch den des
Generalgouverneurs
ersetzt
- Manfred Alexander:
Kleine Geschichte Polens.
Stuttgart: Reclam 2003 (Quelle).
- Roman Dmowski
:
Deutschland, Rußland und die polnische Frage (Auszuge).
In: Andrzej Chwalba (Hrsg.):
Polen und der Osten. Texte zu einem spannungsreichen Verhaltnis
(=
Denken und Wissen. Eine Polnische Bibliothek.
Band 7).
ISBN 3-518-41731-2
.
- Hensel, Jurgen (Hrsg.):
Polen, Deutsche und Juden in Lodz 1820?1939. Eine schwierige Nachbarschaft.
fibre Verlag, Osnabruck 1999.
- Hartmut Michael Kuhn:
Polen im Ersten Weltkrieg: Der Kampf um einen polnischen Staat bis zu dessen Neugrundung 1918/1919.
Peter Lang Verlag, Berlin 2018,
ISBN 978-3-631-76530-2
.
- ↑
Krolestwo Polskie.
Encyklopedia PWN,
abgerufen am 10. Dezember 2011
.
- ↑
W. Bartel:
Historia pa?stwa i prawa Polski.
In: J. Bardach, M. Senkowska-Gluck (Red.):
Od rozbiorow do uwłaszczenia.
Band 3, Pa?stwowe Wydawnictwo Naukowe, Warschau 1981, S. 67.
- ↑
M. Czapli?ski, Autorenkollektiv:
Słownik encyklopedyczny: Historia.
Wydawnictwo Europa Sp. zo. o, Wrocław. 2007. S. 199.