Im
Standeaufstand in Bohmen
, auch
Bohmischer Aufstand
, rebellierte der bohmische
Adel
gegen die damals schon fast 100 Jahre wahrende
Hegemonialpolitik
der
Habsburger
in den
Landern der Krone Bohmen
. Der Aufstand war die Folge der religiosen, wirtschaftlichen und politischen Krise in
Mitteleuropa
zu Beginn des
17. Jahrhunderts
und zugleich eine der Hauptursachen fur den Ausbruch des
Dreißigjahrigen Krieges
.
Ende des 16. Jahrhunderts existierten in Bohmen zwei religiose Lager: Auf der einen Seite die Anhanger der Lehre des
Abendmahlskelches
(
Hussiten
, spater
Bohmische Bruder
oder Bruder-Unitat), die inzwischen einen Großteil der Glaubigen in Bohmen zahlte, auf der anderen Seite die
Katholiken
. Die Bruder-Unitat und ihre Vertreter wurden durch die Romische Kirche immer wieder unter
Bann
gestellt und deren Wirken verboten. Ihre Kirchen wurden geschlossen, die Bucher verbrannt. Mit Beginn der 1520er Jahre breitete sich auch das
Luthertum
aus, zumeist unter
Deutschbohmen und Deutschmahrern
. Im Zuge der
Reformation
gab es auch einige
Calvinisten
und
Taufer
in Bohmen.
1609 erließ
Kaiser
Rudolf II.
ein Dekret, in dem er als Dank fur die Unterstutzung der
Stande
im Kampf gegen
Erzherzog Matthias
die
Religionsfreiheit
verbriefte und den
Glaubenszwang durch den Landesherren
untersagte (
Majestatsbrief
). Zum Schutz der nichtkatholischen Glaubigen wurde ein Defensorkollegium eingerichtet, das aus je zehn Burgerlichen, Rittern und Vertretern des
Herrenstandes
bestand.
Erzherzog Matthias wurde am 23. Mai 1611 zum
Konig von Bohmen
gekront und nach dem Tod von Rudolf am 20. Januar 1612 auch zum Romisch-deutschen Kaiser gewahlt. Als er seine
Residenz
nach
Wien
verlegt hatte, kam es in Bohmen durch seine Statthalter zur Starkung der katholischen Krafte. 1615 verscharfte sich die religiose, aber auch die politische Situation in ganz Europa. Die Waffenruhe zwischen den protestantischen
Niederlanden
und dem stark katholisch gepragten
Spanien
wurde bruchig, offene kriegerische Auseinandersetzungen waren vorhersehbar. Auch die Thronnachfolge fur den inzwischen schwer erkrankten Matthias in Bohmen war von vornherein konfliktbelastet. In Frage kam Konig
Philipp III. von Spanien
, aber auch Erzherzog
Ferdinand
aus der Habsburger Linie in der Steiermark. Im
Onate-Vertrag
verzichtete Philipp auf seine Anspruche in Bohmen und
Ungarn
. Damit konnte Ferdinand die Nachfolge antreten.
Am 6. Juni 1617 wurde Erzherzog Ferdinand zum Konig von Bohmen gewahlt. Ferdinand ging sofort daran, umfangreiche
Rekatholisierungsmaßnahmen
in Bohmen durchzusetzen und die Rechte der
Stande
einzuschranken. Beide Maßnahmen liefen dem Vertragstext des Majestatsbriefes zuwider und belasteten das Verhaltnis der Stande zu dem neuen Herrscher schwer.
1617 mundete der innere Konflikt in offene Feindschaft. Als Ferdinand in
Braunau
eine evangelische Kirche schließen ließ und auf den erzbischoflichen Landereien in
Klostergrab
eine nichtkatholische Kirche abgerissen wurde, versammelten sich die Adeligen im Marz 1618 und verfassten ein an Ferdinand gerichtetes Protestschreiben. Dieser verbot daraufhin weitere Standeversammlungen.
Der Ungehorsam der protestantischen bohmischen Stande hielt jedoch an. Am 21. Mai 1618 trafen sie sich im Prager
Karolinum
. Nicht dabei waren Vertreter der
Konigsstadte
. Aus einer zunachst ruhig verlaufenden Versammlung wurde schließlich nach einer Rede von
Heinrich Matthias von Thurn
eine tumultartige Veranstaltung.
Am 23. Mai 1618 begaben sich einige der Teilnehmer, darunter Matthias Thurn,
Albrecht Jan Smi?icky von Smi?ice
, Graf
Joachim Andreas von Schlick
,
Wenzel Wilhelm von Roupov
, die Bruder ?i?an, die Bruder Ulrich und
Wilhelm Kinsky
, ein Bruder Wilhelms von Slawata,
Leonhard Colonna von Fels
und Wilhelm von
Lobkowitz
auf die
Prager Burg
. Nach einem langen Streitgesprach mit den dort weilenden Statthaltern Ladislaus von
Sternberg
, Diepold von Lobkowitz,
Jaroslav Borsita von Martinic
und
Wilhelm Slawata von Chlum und Koschumberg
hielten sie ein improvisiertes
Gericht
ab und warfen die kaiserlichen Statthalter Slavata und Martinic sowie den Kanzleisekretar
Philipp Fabricius
aus den Burgfenstern. Diese verletzten sich dabei nur leicht und kamen mit dem Schrecken davon (?
Prager Fenstersturz
“).
Nach dieser sogenannten
Defenestration
wahlten die Aufstandischen am 24. Mai 1618 aus ihren Reihen ein dreißigkopfiges
Direktorium
und enthoben die bisherigen Regenten ihrer Macht. Das Direktorium bestand aus jeweils zehn Vertretern des jeweiligen Standes. Zum Vorsitzenden wurde Wenzel Wilhelm von Roupov gewahlt. Kurz danach wurde mit dem Aufbau einer Armee begonnen und Matthias Thurn ihr
Oberbefehlshaber
.
Damit kam es auch zum endgultigen Bruch mit den Herrschern in Wien, die auf die Situation in Prag zunachst konzeptlos und verwirrt reagierten. Der von den Ereignissen uberraschte Kaiser Matthias, kein Mann schneller Entschlusse, wusste nicht weiter. Der designierte Nachfolger, Erzherzog Ferdinand, bewarb sich zum gleichen Zeitpunkt in
Pressburg
um die
Stephanskrone
. Der erste Minister, Erzbischof
Melchior Khlesl
, war ebenfalls ratlos.
Der Hintergrund dieser Tat, der Wunsch der Bohmen nach religioser Freiheit, fand wenig Resonanz im Burgertum und beim Volk. Die Rebellen handelten ohne Absprache aus eigenem Impuls heraus, ohne die Vertreter der restlichen Stande hinzuzuziehen. Die innere Schwache, an der die Bewegung von Anfang an litt, versuchten sie durch Knupfung von Kontakten mit der
Protestantischen Union
, den Niederlanden und Calvinisten in
England
zu kompensieren. Gleichzeitig erhofften sie sich von dort militarische, aber auch finanzielle Unterstutzung, jedoch gab es nur wenig Resonanz. Lediglich
Mahren
schloss sich am 2. Mai 1619 dem Widerstand an.
In der Anfangsphase wurde von den Adeligen die Vorherrschaft der
Habsburger
noch anerkannt. Dennoch begannen sie mit der Vertreibung der
Jesuiten
und Konfiszierung des katholischen Vermogens zur Finanzierung ihrer Feldzuge.
Nach dem Tod des Kaisers Matthias im Marz 1619 verweigerten sie dem Nachfolger
Ferdinand II.
ganzlich die Gefolgschaft, zumal sich die Lage fur die Rebellen durch innere Krisen im Haus Habsburg besserte.
Karl der Altere von ?erotin
wurde als Verwalter Mahrens zur Ubergabe seiner Macht an den kampferischen
Ladislav Velen von Zerotein
gezwungen.
Am 31. Juli 1619 wurde die neue
Verfassung
verabschiedet. Bohmen wurde zu einer
Konfoderation
gleichberechtigter Lander, angefuhrt von einem durch die Stande gewahlten Herrscher. Dieser Konfoderation schloss sich auch ein Teil des
osterreichischen Adels
an. Am 19. August 1619 wurde Ferdinand endgultig abgesetzt und am
26. August
1619 der Anfuhrer der deutschen Calvinisten, Kurfurst
Friedrich von der Pfalz
, zum Konig gewahlt. Das Direktorium hoffte dabei, England fur seine Sache zu gewinnen (Friedrich war der Schwiegersohn von Konig
Jakob I.
), aber auch
Danemark
und den hollandischen Statthalter
Moritz von Oranien
. Zuvor hatte der lutheranische Kurfurst
Johann Georg I. von Sachsen
die bohmische Konigskrone abgelehnt.
In der Zwischenzeit wurde Ferdinand am 28. August 1619 von den deutschen
Kurfursten
trotz der Ereignisse in Bohmen zum neuen Kaiser gewahlt. Im Machtkampf konnten sich anfangs die Aufstandischen durchsetzen. Teilweise bedrohten sie auch die Vormachtstellung der in sich zerstrittenen Habsburger in Wien. Die bohmische Sache und die politische Schwache Wiens nutzte auch
Gabriel Bethlen
und fiel in die
Slowakei
ein. Unter seinem Einfluss beschloss das
Ungarische Parlament
im Januar 1620, sich der bohmischen Konfoderation anzuschließen. Aber Unstimmigkeiten in den eigenen Reihen, Eifersuchteleien und mangelnde finanzielle Unterstutzung durch den bohmischen Adel hemmten den Erfolg der Rebellen.
Der habsburgische Kaiser vergewisserte sich indes der finanziellen und ideellen Unterstutzung der spanischen Krone, des Papstes und vor allem der
Katholischen Liga
. Ferdinand verband sich mit
Maximilian von Bayern
, dem er im Falle des Sieges die kurfurstliche Stimme des
Friedrich von der Pfalz
versprach. Dem machtigen
Sachsen
unter Kurfurst
Johann Georg
ubertrug der Kaiser die
Lausitzen
als Pfand, daraufhin ging der Kurfurst dort und in
Schlesien
gegen die Rebellen vor. Am 3. Juli 1620 wurde schließlich ein Neutralitatsabkommen zwischen der protestantischen Union und der katholischen Liga geschlossen.
Die Ubermacht des Kaisers Ferdinand wuchs damit, wahrend die bohmischen Adeligen zusehends in Isolation gerieten. Nach der Kapitulation der osterreichischen Stande am 20. August 1620 und deren Abspaltung von der Konfoderation begann man mit der Vorbereitung des Zuges der
Kaiserlichen
auf Bohmen, unterstutzt durch Heere der Liga. 1620 marschierten die Truppen unter der Fuhrung des ligistischen Feldherrn
Johann t’Serclaes von Tilly
uber
Gratzen
ein, nahmen Kurs auf
Budweis
und belagerten Westbohmen.
Christian von Anhalt
zog mit einem zweiten Heer uber Mahren nach Bohmen. Am
Weißen Berg
bei Prag nahmen sie strategisch wichtige Positionen ein. Als das bohmische Standeheer, ein Haufen undisziplinierter, ermudeter und schlecht bezahlter
Soldner
, am 8. November 1620 schließlich eintraf, entschied die Liga die Schlacht innerhalb von zwei Stunden zu ihren Gunsten.
Konig Friedrich floh mit Vertretern des Direktoriums und seinem Hof ins Ausland. Die Soldner des Direktoriums zogen sich nach Prag zuruck. Als der versprochene
Sold
ausblieb, begannen sie mit Plunderungen und begaben sich in die Dienste des kaiserlichen Generals
Karl von Bucquoy
.
Die Macht ubernahm die
Kaiserliche Armee
Karl von Liechtenstein
, Paul Graf
Michna von Waitzenau
(
tschechisch
Pavel Michna z Vacinova
),
Adam von Waldstein
,
Albrecht Wenzel Eusebius von Waldstein
und Karl von Bucquoy in Bohmen und
Franz Seraph von Dietrichstein
in Mahren.
Der Teil des Direktoriums, dem die Flucht nicht mehr gelang, wurde inhaftiert, 43 von ihnen wurden
zum Tod verurteilt
. Am 21. Juni 1621 wurden 27 von ihnen vor dem
Altstadter Rathaus zu Prag
exekutiert.
[1]
Drei der
Hingerichteten
,
Joachim Andreas von Schlick
,
Wenzel von Budovec
und
Christoph Harant von Polschitz und Weseritz
, kamen aus dem
Herrenstand
, sieben waren Ritter und 17 Vertreter des Burgertums. Neben den drei genannten Herren wurden von dem Henker
Johann Seifenmacher
folgende Personen enthauptet: die Ritter
Kaspar Cappleri de Sulewicz
, Prokop Dwo?ecky von Olbramowitz,
Friedrich von Bila
, Heinrich Otto von Loß, Wilhelm Konechlumsky, Bohuslav von Michalovice,
Diwisch Czernin von Chudenitz
, sowie die Prager Burger Walentin Kochan, Tobias ?teffek, Christoph Kober, Wenzel Ma?t??owsky Gizbicky und Johann Theodor Sixt, der
Kuttenberger
Burgermeister Johann Schultys, der
Saazer
Burgermeister Maximilian Ho??alek von Javo?ice, der Rektor der
Karls-Universitat Prag
Jan Jessenius
, der Rat auf der Prager Vorstadt Heinrich Kozel sowie Andreas Kocour, Georg ?e?icky, Michael Witman, Simon Woka?,
Leander Ruppel
und
Georg Haunschild
. Gehangt wurden die Prager Ratsherren Johann Kutnauer, Simon Su?icky und Nathanael Wod?ansky.
Martin Fruwein
wurde verurteilt, kam jedoch vor der Hinrichtung im Gefangnis um. Die Kopfe von zwolf Verurteilten waren zur Abschreckung und Mahnung zehn Jahre lang am Prager
Altstadter Bruckenturm
an langen Stangen aufgesteckt. Die Todesurteile gegen Wilhelm Popel von Lobkowitz und Paul von ?i?an wurden nicht vollstreckt. Johann Wostrowec, Matthias Borbonius, Caspar Huzlar, Melchior Teyprecht, Georg Zawieta, Paul Prezka, Niklas Diwisch und Felix Petipeski erhielten
lebenslange Haftstrafen
auf der Festung
Raab
. Letzter wurde nach seinem Ubertritt zum Katholizismus begnadigt. Das Vermogen und die Landereien der
Exulanten
und der Hingerichteten wurden konfisziert, darunter 115 Herrschaften und Hofe. Bohmische Adelige, die sich als habsburgtreu erwiesen hatten, wurden mit großen Teilen der konfiszierten Guter belohnt, darunter auch Albrecht von Wallenstein.
Die Folgen des Aufstandes waren fur die bohmische Nation katastrophal und starkten die zentralistische Machtposition der Habsburger. 1627 wurde in Wien eine neue Verfassung, die so genannte ?
Verneuerte Landesordnung
“ ratifiziert, in der das Erbrecht der Habsburger auf den bohmischen Thron festgeschrieben, die katholische Lehre als einzige Religion zugelassen und die deutsche Sprache der tschechischen gleichgestellt wurde. Konig Ferdinand schnitt den Majestatsbrief Rudolfs II. eigenhandig auseinander. Den bohmischen Standen wurde das Recht der Konigswahl und -bestatigung aberkannt. Die Gesetzgebung lag in Bohmen ebenfalls in den Handen des Konigs, lediglich in Mahren hatten die Stande das Recht der Gesetzesinitiative zugesprochen bekommen. Die Bodenreform wurde nach feudalistischen Normen neu organisiert, Boden konnte durch die Krone nun jederzeit konfisziert und neu verteilt werden. Die Machtstellung der Stadte und des Burgertums wurde stark beschnitten.
Im Reich weitete sich der Konflikt mit dem Eingreifen von Friedrichs Verbundeten und dem Griff Bayerns nach der pfalzischen Kurwurde massiv aus und setzte den bisher nur schwelenden
Dreißigjahrigen Krieg
endgultig in Gang.
- Hans Sturmberger
:
Aufstand in Bohmen. Der Beginn des Dreißigjahrigen Krieges.
Munchen 1959.
- Golo Mann
:
Wallenstein. Sein Leben erzahlt von Golo Mann
.
ISBN 3-10-347904-2
, S. 133ff.
- Anton Gindely
:
Geschichte des Dreissigjahrigen Krieges: Abtheilung 2: Die Strafdekrete Ferdinands II. und der pfalzische Krieg, (1621?1623).
2002,
ISBN 1-4212-2709-6
.
- Robert Rebitsch
(Hrsg.):
1618. Der Beginn des Dreißigjahrigen Krieges.
Wien / Koln / Weimar, 2017.
- Peter H. Wilson
:
Der Dreißigjahrige Krieg. Eine europaische Tragodie
(Ubersetzt von Thomas Bertram, Tobias Gabel und Michael Haupt), Darmstadt 2017, S. 344?400.
- Vaclav Bu?ek (Hrsg.):
Der Bohmische Standeaufstand 1618-1620. Akteure, Gegner und Verbundete.
Aschendorff, Munster 2021,
ISBN 978-3-402-24761-7
.
- Vaclav B??ek, Pavel Kral und Kate?ina Pra?akov:
Politische Kommunikation wahrend des bohmischen Standeaufstands zwischen Prag, Dresden, Heidelberg und Munchen
In: Fruhneuzeit-Info 30, 2019, ISSN 2409-4277, S. 177?187 (
Online
).
- Thomas Bilek:
Das nordwestliche Bohmen und der Aufstand im Jahre 1618
, in:
Mittheilungen des Vereins fur Geschichte der Deutschen in Bohmen
, Band 24, Prag 1886, S. 155?185 (
Online
) und S. 233?303 (
Online
).
- ↑
Historische Illustration von 1627:
Execution, So zu Prag den 11/21 Iunii 1621 angestelt vnd volnzogen worden
(
Digitalisat
).