Der
Begriff
Sarazenen
(von lateinisch
sar[r]acenus;
wahrscheinlich uber
arabisch
??????
,
DMG
?arq?y?n
?Menschen des Ostens‘ in Bezug auf die Bewohner der arabischen Halbinsel, von
arabisch
????
,
DMG
?arq?
?ostlich‘)
[1]
bezeichnet ursprunglich einen im Nordwesten der
arabischen Halbinsel
siedelnden
Volksstamm
. Infolge der
islamischen Expansion
wurde der Begriff in lateinischen Quellen und im christlichen Europa als Sammelbezeichnung fur die islamisierten Volker verwendet, die ab etwa 700 n. Chr. den ostlichen und sudlichen
Mittelmeerraum
beherrschten, auch unter dem Eindruck der von ihnen ausgehenden
Piraterie
.
[2]
Zu ihren Vertretern zahlen z. B. die Herrscherdynastien der
Abbasiden
,
Fatimiden
und
Ziriden
.
Griechisch
Sarakenoi
(
Σαρακηνο?
),
syrisch
Sarkaye
und
lateinisch
Saraceni
bezeichneten in der Spatantike (zweites bis viertes Jahrhundert) zunachst einen oder mehrere
Nomadenstamme
im Nordwesten Arabiens und auf der
Sinai-Halbinsel
, und zwar nach der Darstellung des
Ptolemaus
im Gebiet von
Nabataa
. Die Herkunft und Bedeutung des Begriffs
Sarazenen
wurde fruher unterschiedlich gesehen. Ptolemaus verband den Begriff mit dem Toponym
Saraka
(
Σ?ρακα
), das einerseits eine Stadt in
Arabia Felix
, zum anderen eine Wuste auf der Sinai-Halbinsel (auch
Sarak?n?
,
Σαρακην?
) bezeichnete.
[3]
Seit dem dritten Jahrhundert wurde die Bezeichnung synonym mit
Arabes Scenitae
(gr.
Σκην?ται
) verwendet, die sich ihrerseits als ?Zelt-Araber“ verstehen lasst, aber wohl in keinem etymologischen Zusammenhang mit
Sarak?noi
steht. Seit dem sechsten Jahrhundert bezeichnete
Sarak?noi
in Byzanz alle Arabisch sprechenden Volker.
[3]
Unter den
Etymologien
, die in moderner Zeit vorgeschlagen wurden, begegnet am haufigsten eine im 18. Jahrhundert aufgekommene Herleitung von
Scharqiyun
(?Morgenlander“) aus
arabisch
????
scharqi
,
DMG
?arq?
?ostlich, orientalisch, Orientale‘, von dem sich auch die arabische Bezeichnung fur den
Orient
,
al-Ma?riq
, herleitet. Daneben wurde auch eine Herleitung aus der semitischen Wurzel
?rkt
?Stamm, Konfoderation“ vorgeschlagen.
[3]
Der Theologe und Arabist
Gunter Luling
hat die mittelalterliche
[4]
Verbindung mit der alttestamentlichen
Sara
, der Ehefrau Abrahams und Erzmutter Israels, wiederaufgenommen und eine Bedeutung ?Bekampfer Sarahs“ vermutet, indem er den Wortbestandteil
-kenos
zu gr.
konein
(κ?νειν) ?bekampfen“ stellte und das Wort fur ein Synonym von
Hagarener
(
Hagarenoi
) hielt, einer weiteren aus der Bibel abgeleiteten Bezeichnung fur die arabischen Stamme.
[5]
Die Bedeutung wurde seit der
Spatantike
sukzessive erweitert, zuerst auf die ubrigen arabischen Stamme der
vorislamischen Zeit
(
Eusebius
,
Hieronymus
), dann im Laufe der kriegerischen Auseinandersetzungen mit
maurischen
und arabischen Armeen in Europa auf die islamischen Volkerschaften schlechthin. In dieser erweiterten Bedeutung wurde das Wort seit der Zeit der
Kreuzzuge
aus dem Griechischen und Lateinischen auch in die europaischen Volkssprachen ubernommen.
Der Gebrauch im christlichen Schrifttum war hierbei von einer die bezeichneten Volker abwertenden, gelehrten
Volksetymologie
gepragt. Bereits bei Hieronymus und
Sozomenos
, also in vorislamischer Zeit, erscheint die Worterklarung, dass die Agarener (oder Hagarener), die Nachfahren der
Hagar
, der verstoßenen Sklavin und Nebenfrau
Abrahams
, sich falschlich als ?Sarazenen“ bezeichnet hatten, um sich als Abkommlinge der
Sarah
, der Freien und Ehefrau Abrahams auszugeben und sich dadurch aufzuwerten. Diese Worterklarung, die die Sarazenen als verkappte Agarener, und damit in Anknupfung an die paulinische Deutung des alttestamentlichen Themas (
Gal
4,21?31
EU
) als Angehorige eines von Gott heilsgeschichtlich verstoßenen Volkes deutete, wurde bei den christlichen Autoren des Mittelalters seit dem Aufkommen des Islams zu einem anti-islamischen
Topos
, der in der europaischen Literatur uber die Kreuzzuge und den Islam weitere Verbreitung erlangte.
Der romische Terminus
Saracenus
fur die arabischen Eroberer Spaniens fand als
Sarqy
auch Eingang ins
Hebraische
.
[6]
Das Wort
saracenus
und seine volkssprachlichen Entsprechungen haben im Verlauf ihrer mittelalterlichen Bedeutungsentwicklung neben der primaren ethnischen oder religiosen Bedeutung ?islamischen Volkern zugehorig“ zum Teil auch die weitere Bedeutung ?
heidnisch
“ oder allgemein ?fremdartig, alt“ angenommen (so in Bezeichnungen von Bauwerken oder Ruinen der romischen Antike als ?sarazenisch“, daher auch engl.
sarsen (stone)
fur
Megalithen
in
prahistorischen
Monumenten), außerdem in bestimmten Zusammenhangen die ubertragene Bedeutung ?schwarz, dunkel“. Sprach- und sachgeschichtlich ist deshalb oft schwer oder nur anhand des jeweiligen Kontextes zu entscheiden, ob gegebene Verwendungsweisen auf der primaren oder einer der sekundaren Bedeutungen beruhen.
Als zu Beginn des 15. Jahrhunderts in romanischen und deutschsprachigen Landern erstmals Gruppen der ursprunglich aus Indien stammenden, uber
Byzanz
und den
Balkan
zugewanderten
Roma
auftauchten und von der einheimischen Bevolkerung als Angehorige eines fremden, dunkelhautigen und aus dem Osten stammenden Volkes wahrgenommen wurden, wurde neben anderen Bezeichnungen wie ?Agypter“, ?
Zigeuner
“ (beides schon im byzantinischen Sprachgebrauch vorgebildet), ?Heiden“ und ?
Tataren
“ zuweilen auch die Bezeichnung ?Sarazenen“ fur Roma verwendet, so hauptsachlich in romanischen Sprachen, und unter deren Einfluss dann im 15. Jahrhundert vereinzelt auch im Deutschen.
Besonders in Frankreich und der Schweiz ist noch heute der Familienname
Sarasin
oder
Sarrasin
bzw.
Sarazin, Sarrazin
(von mittelhochdeutsch
Sarrazin
[7]
) verbreitet, in der
deutschsprachigen Schweiz
auch
Saratz
, in
Italien
und der
italienischsprachigen Schweiz
Saraceno
, Sarraceno, Saracino, Sarracino
oder
Saraceni
, Sarraceni
, im Englischen die aus dem Franzosischen bzw.
Anglonormannischen
noch weiter entwickelte Form
Sarson
. Vorlaufer solcher Namen ist im Mittelalter ein in den lateinischen Quellen seit dem elften Jahrhundert vielfach dokumentierter Name oder Beiname
Saracenus
, der in vielen Fallen wegen einer ?sarazenischen“ Herkunft des Tragers, in anderen Fallen aber auch nur wegen eines zeitweiligen Aufenthaltes bei den ?Sarazenen“ oder, wie lat.
Maurus
, nordfrz.
Moreau
, engl.
Moore
, zur Hervorhebung einer besonders dunklen Haut- oder Haarfarbe entstand. Sofern der Name erst im Spatmittelalter in Gebrauch kam, ist auch mit der Moglichkeit zu rechnen, dass er im Hinblick auf die mogliche Bedeutung ?Zigeuner“ gewahlt wurde.
Historisch namhafte mittelalterliche Trager waren unter anderem:
- Johannes Afflacius
Saracenus (auch Johannes Agarenus), ubersetzte zu Beginn des 12. Jh. medizinische Schriften mit seinem Lehrer
Constantinus Africanus
aus dem Arabischen ins Lateinische
- Sarrasine, Ehefrau des Kreuzfahrers
Hugo VII. von Lusignan
(† 1151), deren in den Quellen nicht dokumentierte Herkunft man als arabisch, armenisch oder franzosisch zu deuten versucht hat
- Johannes Sar(r)acenus
, ubersetzte 1166/67 die Werke des
Pseudo-Dionysius
aus dem Griechischen ins Lateinische
- Jean Sarrasin
, Pariser Kammerherr
Ludwigs IX.
und 1248 Teilnehmer des
sechsten Kreuzzuges
, zu dem er einen Brief verfasste
- Petrus Saracenus de Andreocta
, Angehoriger des romischen Adelsgeschlechts der
Saraceni
, im ersten Drittel des 13. Jh. als Diplomat in Diensten
Heinrichs III.
von England an der papstlichen Kurie und in Frankreich tatig. Weitere Mitglieder der Familie, die mit den Papareschi, dem Geschlecht des Papstes
Innozenz II.
verwandt war, sind als papstliche Kaplane oder Bischofe nachweisbar:
Johannes Saracenus de Urbe
war von 1259 bis 1280 Erzbischof von
Bari
.
Gegenwartig bekanntester Namenstrager in Deutschland ist der ehemalige Bundesbankvorstand und SPD-Politiker
Thilo Sarrazin
.
Da ?Sarazenen“ (d. h.
Mauren
uberwiegend
berberischer
Herkunft, sie lagerten zwischen ca. 890 und 970 in der Gegend um
Fraxinetum
) wahrend des neunten und zehnten Jahrhunderts vereinzelt auch Zuge uber die Westalpen in die Schweiz unternahmen, wo sie ? uber das
Hospiz auf dem Grossen St. Bernhard
? unter anderem bis nach
Chur
und
St. Gallen
kamen, hat man in spaterer Zeit einige Schweizer Ortsnamen mit solchen ?Eindringlingen“ in Verbindung bringen wollen. Auch in denjenigen Fallen, in denen sich ein solches Toponym sprachlich tatsachlich aus dem Namen der Sarazenen herleiten lasst ? wie speziell im Fall von
Pontresina
(1137?1139 als
pons sarasina
, 1303 als
ponte sarracino
belegt) und der Wasserleitung
Bisse de Sarrazin
im Walliser
Vercorin
? ist jedoch zu bedenken, dass im Hintergrund auch ein nicht oder nicht mehr ethnisch bedingter Personenname des namengebenden Erbauers oder Besitzers stehen kann oder eine allgemeinere Bedeutung wie ?fremdartig, alt“. So schreibt das Historische Lexikon der Schweiz: ?Der immer wieder postulierten arabischen Etymologie einiger Walliser Orts- und Bergnamen steht die linguistische Forschung ablehnend gegenuber.“
[8]
Als ?sarazenisches Korn“ wird in den romanischen Sprachen der
Buchweizen
bezeichnet (frz.
ble sarrasin
, ital.
grano saraceno
, span.
trigo sarraceno
), der ursprunglich aus
China
stammt und den Europaern als Kulturpflanze von den Tataren vermittelt wurde (in Deutschland erstmals 1396 urkundlich bezeugt).
[9]
[10]
Dass der Name primar im Sinne ?Korn der Sarazenen“ (vgl. lat.
frumenta sarracenorum
, 1460) zu verstehen ist und hiermit auf die Herkunft aus einem fremden, heidnischen Volk hinweist, wird durch vergleichbare Bezeichnungen im Deutschen (mittelhochd.
heidenkorn
, sudl. Osterreich:
Haid, Heid, Hoad
und
Heidensterz
) und in ost- und nordeuropaischen Sprachen (
bohm.
tatarka
oder
pohanka
von lat.
paganus
,
slk.
tatarka, pohanka
,
estn.
tatar
,
finn.
tattari
) nahegelegt. Lediglich sekundar konnte der romanische Name dann zusatzlich auch durch die dunkle Farbe der Fruchte des Buchweizens motiviert sein (vgl. frz.
ble noir
, ital.
grano nero
, deutsch
Schwarzes Welschkorn
).
In der Entstehung ungeklart ist die Verwendung
(aristolochia) sarracenica
(16. Jh.?,
Tabernaemontanus
), franzosisch
sarrasine
(1611 mit der engl. Ubersetzung ?Heatwort, or Birthwort“), eingedeutscht
Saracenkraut
(18. Jh.,
Johann Leonard Frisch
) fur Pflanzen aus der Familie der
Osterluzeigewachse
.
Senecio sarracenicus
ist der botanische Name des
Fluss-Greiskrauts
.
Der wissenschaftliche lateinische Name der in Amerika verbreiteten
Familie
der
Schlauchpflanzengewachse
,
Sarraceniaceae
, und ebenso derjenige der zu dieser Familie gehorenden
Gattung
der
Schlauchpflanzen
oder Trompetenpflanzen,
Sarracenia
bzw. im Plural
Sarraceniae
, sind jeweils abgeleitet von dem Namen des
franzosisch-kanadischen
Botanikers
Michel Sarrazin
(1659?1734).
- ↑
Nabil Osman (Hrsg.):
Kleines Lexikon deutscher Worter arabischer Herkunft.
3. Auflage. C.H.Beck, Munchen 1992, S. 108.
- ↑
R. Southern:
Das Islambild des Mittelalters.
Stuttgart 1981.
- ↑
a
b
c
Isabel Toral-Niehoff: ?Saraka“. In:
Der Neue Pauly
, hrsg. von Hubert Cancik, Helmuth Schneider, and Manfred Landfester, Brill Reference Online
doi:10.1163/1574-9347 dnp e1101160
, abgerufen am 8. Juni 2017.
- ↑
Vgl. das Zitat aus Ranulf Higdons
Polychronicon
(1387) im
Eintrag ?Saracen“
. In:
Online Etymology Dictionary
, abgerufen am 8. Juni 2017.
- ↑
Gunter Luling:
Ein neues Paradigma fur die Entstehung des Islam und seine Konsequenzen fur ein neues Paradigma der Geschichte Israels
, in:
Sprache und Archaisches Denken. Neun Aufsatze zur Geistes- und Religionsgeschichte
. Verlagsbuchhandlung Hannelore Luling, Erlangen 1985 (
Textausschnitt
).
- ↑
Norman Roth:
Jews, Visigoths, and Muslims in Medieval Spain ? Cooperation and Conflicts
, E. J. Brill, 1994,
ISBN 90 04 09971 9
, S. 49
- ↑
Matthias Lexer
:
Mittelhochdeutsches Handworterbuch. Zugleich als Supplement und alphabetischer Index zum Mittelhochdeutschen Worterbuche von Benecke-Muller-Zarncke.
I?III und Nachtrage, Leipzig 1872?1878, Band II, 609.
- ↑
Hannes Steiner:
Sarazenen.
In:
Historisches Lexikon der Schweiz
.
11. Januar 2012
, abgerufen am
4. Juni 2019
.
- ↑
Ohmi Ohnishi:
Search for the wild ancestor of buckwheat. III. The wild ancestor of cultivated common buckwheat, and of tatary buckwheat
. In:
Economic Botany
. Band 52, 1998, S. 123?133.
ISSN
0013-0001
- ↑
Friedrich J. Zeller:
Buchweizen (Fagopyrum esculentum Moench) ? Nutzung, Genetik, Zuchtung
.
@1
@2
Vorlage:Toter Link/www.laoek.botanik.uni-greifswald.de
(
Seite nicht mehr abrufbar
, festgestellt im April 2019.
Suche in Webarchiven
)
Info:
Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prufe den Link gemaß
Anleitung
und entferne dann diesen Hinweis.
(PDF) In:
Die Bodenkultur
. Band 52, 3, 2001, S. 259?276.
ISSN
0006-5471