Referendum in Finnland 1994 uber den Beitritt zur Europaischen Union

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Beitrittsverhandlungen zur EU 1992?94:
 Finnland
 Osterreich, Norwegen und Schweden
 Europaische Gemeinschaft

Am 16. Oktober 1994 fand in Finnland ein Referendum uber den Beitritt zur Europaischen Union statt. 56,9 % der Abstimmenden votierten fur den von der Regierung befurworteten Beitritt zur Europaischen Union (EU).

Nach dem Zerfall der Sowjetunion und des von ihr beherrschten Ostblocks in den Jahren 1989?1991 eroffneten sich fur die Staaten Ostmitteleuropas und Nordosteuropas neue politische Moglichkeiten und Perspektiven. Finnland hatte zwar nicht zum Ostblock gehort, jedoch trotz seines westlich-demokratischen Gesellschaftssystems aufgrund seiner geografischen Lage in direkter Grenze zur Sowjetunion eine strikte Politik der Blockfreiheit verfolgt. Mit der Sowjetunion unterhielt Finnland enge wirtschaftliche Beziehungen. Gleichzeitig war es Mitglied der europaischen Freihandelszone EFTA .

Esko Aho ( Zentrumspartei , Foto von 2010), Ministerprasident Finnlands 1990 bis 1995

Angesichts der politischen Umbruche 1989 schlug EG - Kommissionsprasident Jacques Delors die Bildung einer europaischen Freihandelszone, eines Europaischen Wirtschaftsraums (EEA) von Europaischer Gemeinschaft und EFTA-Staaten vor. [1] Die finnische Regierung und offentliche Meinung in Finnland schienen zunachst mit dieser EEA-Perspektive zufrieden, jedoch kam das Thema einer moglichen EG-Mitgliedschaft immer wieder auf die politische Tagesordnung. Wahrend einer Fernsehdebatte einen Tag vor der Parlamentswahl in Finnland 1991 wurden Spitzenpolitiker verschiedener Parteien gefragt, ob Finnland in den kommenden vier Jahren die EG-Mitgliedschaft beantragen solle. Vertreter der Sozialdemokraten , der Zentrumspartei und des Linksbundnisses antworteten mit ?Nein“. Die Konservativen und Grunen enthielten sich und ein ?Ja“-Votum wurde durch die Schwedische Volkspartei , die Liberalen , die Konstitutionalisten und kleinere Gruppen geaußert.

Die Verhandlungen zwischen EG und EFTA zogen sich in die Lange. In den Jahren 1990 und 1991 stellten zudem zwei EFTA-Staaten ? Osterreich und Schweden ? direkte Aufnahmeantrage in die Europaische Gemeinschaft. Nach dem fehlgeschlagenen Augustputsch 1991 in der Sowjetunion erklarten die drei baltischen Staaten Estland , Litauen und Lettland ihre Unabhangigkeit von der Sowjetunion. In Finnland begann ein Umdenken und im Marz 1992 gab die finnische Regierung unter Esko Aho offiziell bekannt, dass Finnland Beitrittsverhandlungen mit der EG aufnehmen werde und am 18. Marz 1992 stimmte das finnische Parlament dem zu. [2]

Die Argumente der Mitgliedschaftsbefurworter zielten vor allem auf die angenommene verbesserte politische Stabilitat und Sicherheit Finnlands bei einer Mitgliedschaft in Zeiten des politischen Umbruchs in Europa sowie auf wirtschaftliche Vorteile. Insbesondere die politische Instabilitat des benachbarten Russlands betrachteten viele Finnen mit Sorge. Bei der Parlamentswahl in Russland 1993 schnitt die rechtsextreme Bewegung von Wladimir Schirinowski weit besser ab als zuvor erwartet. Zeitgleich gewannen die EU-Mitgliedschaftsbefurworter in Finnland in den Meinungsumfragen vorubergehend fast 20 % hinzu. [2] Die Gegner der Mitgliedschaft fuhrten vor allem den Verlust an Souveranitat und die einseitige Bindung Finnlands an den Westen, sowie eventuelle wirtschaftliche Nachteile vor allem fur die Landwirtschaft an. In Meinungsumfragen zeigte sich eine deutliche Altersabhangigkeit in der Einstellung zur Frage der EU-Mitgliedschaft. Jungere Wahler waren mehrheitlich deutlich dafur, altere dagegen. Je hoher der Bildungsabschluss der Befragten, desto hoher war auch die Zustimmung zur Mitgliedschaft. Wahler burgerlicher Parteien sprachen sich deutlich fur die Mitgliedschaft aus, bei den Anhangern der Sozialdemokraten gab es eine knappe Mehrheit dafur, die Grunen waren gespalten und die Linksorientierten gegen die Mitgliedschaft. Manner waren eher geneigt fur die Mitgliedschaft zu stimmen als Frauen. [2]

Am 1. Februar 1993 nahm Finnland zusammen mit Osterreich und Schweden Verhandlungen mit der EG auf. Da viele Probleme schon im Rahmen der vorangegangenen EEA-Verhandlungen geklart worden waren, schritten die Verhandlungen zugig voran und kamen am 1. Marz 1994 zum offiziellen Abschluss. [1] Norwegen nahm seine Verhandlungen mit der EU separat auf. Alle vier Staaten entschieden sich, Volksabstimmungen uber den EU-Beitritt durchzufuhren. Formell hatte die Abstimmung in Finnland jedoch nur einen konsultativen Status, jedoch wurde ihr ein hohes politisches Gewicht beigemessen.

Dem finnischen Referendum ging die Volksabstimmung in Osterreich am 12. Juni 1994 voraus, bei der sich die Wahler mit großer Mehrheit von 66,6 % fur den EU-Beitritt aussprachen.

Die im Referendum am 16. Oktober 1994 gestellte Frage ?Soll Finnland im Rahmen der getroffenen Vereinbarungen der Europaischen Union beitreten?“ lautete in den beiden Landessprachen Finnisch und Schwedisch :

?Tuleeko Suomen liittya Euroopan unionin jaseneksi neuvotellun sopimuksen mukaisesti?“

? Frage des Referendums auf Finnisch [3]

?Bor Finland bli medlem av Europeiska unionen i enlighet med det avtal som forhandlingarna har lett till?“

? Frage des Referendums auf Schwedisch [4]

Die Frage war mit ?Kylla“/?Ei“ bzw. ?Ja“/?Nej“ zu beantworten.

Die Wahlbeteiligung lag bei 70,79 % und damit unter der der vorangegangenen Prasidentschaftswahl am 16. Januar und 6. Februar 1994 (78 %) aber uber der der Parlamentswahl 1991 (68 %). Tendenziell war die Zustimmung zum Beitritt vor allem im Suden ausgepragt. Die hochste Zustimmung von 87,8 % gab es in der Gemeinde Kauniainen , die niedrigste mit 19,4 % in Ullava . [2]

Kartografische Darstellung der Ergebnisse des Referendums. Zahlenmaßig dargestellt ist der Anteil an ?Ja“-Stimmen, d. h. Befurwortung der EU-Mitgliedschaft
Region Wahl-
berechtigte
Wahler Beteiligung
(in %)
Ungultige
(in %)
Stimmen (Zahl) Stimmen in %
Ja Nein Ja Nein
Sudsavo 133.861 90.816 67,84 0,41 49.268 41.167 54,48 45,52
Nordsavo 197.171 135.588 68,77 0,36 65.127 69.960 48,21 51,79
Nordkarelien 134.302 89.809 66,87 0,42 42.919 46.516 47,99 52,01
Kainuu 71.862 50.880 70,8 0,40 18.016 32.663 35,55 64,45
Uusimaa 899.718 700.261 77,83 0,45 493.811 203.333 70,83 29,17
Ita-Uusimaa 64.545 48.708 75,46 0,49 30.760 17.708 63,46 36,54
Varsinais-Suomi 330.644 248.801 75,25 0,47 140.209 107.422 56,62 43,38
Kanta-Hame 126.245 93.897 74,38 0,55 53.125 40.258 56,89 43,11
Paijat-Hame 152.136 111.221 73,11 0,42 68.596 42.147 61,94 38,06
Kymenlaakso 150.492 109.439 72,72 0,41 72.173 36.807 66,23 33,77
Sudkarelien 109.178 78.484 71,89 0,42 49.722 28.432 63,62 36,38
Mittelfinnland 195.490 141.062 72,16 0,42 66.813 73.663 47,56 52,44
Sudosterbotten 150.585 113.272 75,22 0,37 43.945 68.910 38,94 61,06
Osterbotten 129.832 99.703 76,79 0,57 50.318 48.817 50,76 49,24
Satakunta 189.002 140.400 74,28 0,47 70.541 69.192 50,48 49,52
Pirkanmaa 330.297 247.180 74,84 0,49 134.719 111.248 54,77 45,23
Mittelosterbotten 52.361 40.025 76,44 0,43 17.036 22.815 42,75 57,25
Nordosterbotten 249.932 180.451 72,2 0,46 82.658 96.961 46,02 53,98
Lappland 149.718 108.205 72,27 0,39 51.117 56.675 47,42 52,58
Alandinseln 18.752 11.483 61,24 1,34 5.885 5.444 51,95 48,05
Finnen im Ausland 206.484 22.156 10,73 0,28 13.968 8.123 63,23 36,77
Finnland †† 4.042.607 2.861.841 70,79 0,45 1.620.726 1.228.261 56,89 43,11
Quelle: European Eclection Database, Universitat Bergen

bezogen auf die Zahl der Wahler †† ohne Finnen im Ausland

Nach dem Referendum

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Finnland trat am 1. Januar 1995 im Rahmen der sogenannten ? EFTA-Erweiterung “ der Europaischen Union bei. Das Land hatte mehrfach die EU-Ratsprasidentschaft inne, so von Juli bis Dezember 1999, Juli bis Dezember 2006 und Januar bis Juli 2020. [5] In den Anfangsjahren der Mitgliedschaft erfreute sich diese einer betrachtlichen Popularitat. [6] Finnland trat auch im Gegensatz zum benachbarten Schweden und zu Danemark der Eurozone bei. Alle finnischen Regierungen haben wiederholt Bekenntnisse zur Mitgliedschaft des Landes in der Europaischen Union abgegeben, dabei aber durchaus auch Verbesserungsbedarf hinsichtlich des Funktionierens der EU-Institutionen angemahnt. [7]

Einzelnachweise

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  1. a b Jan Store: EU Membership Has Been Good for Finland @1 @2 Vorlage:Toter Link/www.diplomaatia.ee ( Seite nicht mehr abrufbar , festgestellt im April 2024. Suche in Webarchiven )     Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prufe den Link gemaß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. . Diplomaatia, No. 137/138, Februar 2015
  2. a b c d Suomen EU-kansanaanestys 1994 (Bericht des finnischen Außenministeriums, 1994, bearbeitet von Pertti Pesonen). ISBN 951-724-014-7 (Finnisch, mit englischer Zusammenfassung)
  3. Laki neuvoa-antavasta kansanaanestyksesta Suomen liittymisesta Euroopan unionin jaseneksi: 3 § Kysymyksenasettelu ja vastausvaihtoehdot. Abgerufen am 5. November 2016 (finnisch).
  4. Lag om en radgivande folkomrostning angaende fragan om Finland skall bli medlem av Europeiska unionen : 3 § Fragestallningen och svarsalternativen. Abgerufen am 5. November 2016 (schwedisch).
  5. Europaische Union: Finnland. Europaische Union, abgerufen am 5. November 2016 .
  6. Finland and the EU: In and happy. The Economist , 9. Oktober 1997, abgerufen am 5. November 2016 (englisch).
  7. Finland in the European Union. Amt des finnischen Premierministers, archiviert vom Original (nicht mehr online verfugbar) am 5. November 2016 ; abgerufen am 5. November 2016 (englisch).   Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft. Bitte prufe Original- und Archivlink gemaß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. @1 @2 Vorlage:Webachiv/IABot/vnk.fi