Am
16. Oktober
1994
fand in
Finnland
ein
Referendum uber den Beitritt zur Europaischen Union
statt. 56,9 % der Abstimmenden votierten fur den von der Regierung befurworteten Beitritt zur
Europaischen Union
(EU).
Nach dem
Zerfall der Sowjetunion
und des von ihr beherrschten
Ostblocks
in den Jahren 1989?1991 eroffneten sich fur die Staaten Ostmitteleuropas und Nordosteuropas neue politische Moglichkeiten und Perspektiven. Finnland hatte zwar nicht zum Ostblock gehort, jedoch trotz seines westlich-demokratischen Gesellschaftssystems aufgrund seiner geografischen Lage in direkter Grenze zur Sowjetunion eine strikte Politik der
Blockfreiheit
verfolgt. Mit der Sowjetunion unterhielt Finnland enge wirtschaftliche Beziehungen. Gleichzeitig war es Mitglied der
europaischen Freihandelszone EFTA
.
Angesichts der politischen Umbruche 1989 schlug
EG
-
Kommissionsprasident
Jacques Delors
die Bildung einer europaischen Freihandelszone, eines
Europaischen Wirtschaftsraums
(EEA) von Europaischer Gemeinschaft und EFTA-Staaten vor.
[1]
Die finnische Regierung und offentliche Meinung in Finnland schienen zunachst mit dieser EEA-Perspektive zufrieden, jedoch kam das Thema einer moglichen EG-Mitgliedschaft immer wieder auf die politische Tagesordnung. Wahrend einer Fernsehdebatte einen Tag vor der
Parlamentswahl in Finnland 1991
wurden Spitzenpolitiker verschiedener Parteien gefragt, ob Finnland in den kommenden vier Jahren die EG-Mitgliedschaft beantragen solle. Vertreter der
Sozialdemokraten
, der
Zentrumspartei
und des
Linksbundnisses
antworteten mit ?Nein“. Die Konservativen und
Grunen
enthielten sich und ein ?Ja“-Votum wurde durch die
Schwedische Volkspartei
, die
Liberalen
, die Konstitutionalisten und kleinere Gruppen geaußert.
Die Verhandlungen zwischen EG und EFTA zogen sich in die Lange. In den Jahren 1990 und 1991 stellten zudem zwei EFTA-Staaten ?
Osterreich
und
Schweden
? direkte Aufnahmeantrage in die Europaische Gemeinschaft. Nach dem fehlgeschlagenen
Augustputsch 1991
in der Sowjetunion erklarten die drei baltischen Staaten
Estland
,
Litauen
und
Lettland
ihre Unabhangigkeit von der Sowjetunion. In Finnland begann ein Umdenken und im Marz 1992 gab die finnische Regierung unter
Esko Aho
offiziell bekannt, dass Finnland Beitrittsverhandlungen mit der EG aufnehmen werde und am 18. Marz 1992 stimmte das finnische Parlament dem zu.
[2]
Die Argumente der Mitgliedschaftsbefurworter zielten vor allem auf die angenommene verbesserte politische Stabilitat und Sicherheit Finnlands bei einer Mitgliedschaft in Zeiten des politischen Umbruchs in Europa sowie auf wirtschaftliche Vorteile. Insbesondere die politische Instabilitat des benachbarten Russlands betrachteten viele Finnen mit Sorge. Bei der
Parlamentswahl in Russland 1993
schnitt die rechtsextreme Bewegung von
Wladimir Schirinowski
weit besser ab als zuvor erwartet. Zeitgleich gewannen die EU-Mitgliedschaftsbefurworter in Finnland in den Meinungsumfragen vorubergehend fast 20 % hinzu.
[2]
Die Gegner der Mitgliedschaft fuhrten vor allem den Verlust an Souveranitat und die einseitige Bindung Finnlands an den Westen, sowie eventuelle wirtschaftliche Nachteile vor allem fur die Landwirtschaft an. In Meinungsumfragen zeigte sich eine deutliche Altersabhangigkeit in der Einstellung zur Frage der EU-Mitgliedschaft. Jungere Wahler waren mehrheitlich deutlich dafur, altere dagegen. Je hoher der Bildungsabschluss der Befragten, desto hoher war auch die Zustimmung zur Mitgliedschaft. Wahler burgerlicher Parteien sprachen sich deutlich fur die Mitgliedschaft aus, bei den Anhangern der Sozialdemokraten gab es eine knappe Mehrheit dafur, die Grunen waren gespalten und die Linksorientierten gegen die Mitgliedschaft. Manner waren eher geneigt fur die Mitgliedschaft zu stimmen als Frauen.
[2]
Am 1. Februar 1993 nahm Finnland zusammen mit Osterreich und Schweden Verhandlungen mit der EG auf. Da viele Probleme schon im Rahmen der vorangegangenen EEA-Verhandlungen geklart worden waren, schritten die Verhandlungen zugig voran und kamen am 1. Marz 1994 zum offiziellen Abschluss.
[1]
Norwegen nahm seine Verhandlungen mit der EU separat auf. Alle vier Staaten entschieden sich, Volksabstimmungen uber den EU-Beitritt durchzufuhren. Formell hatte die Abstimmung in Finnland jedoch nur einen
konsultativen
Status, jedoch wurde ihr ein hohes politisches Gewicht beigemessen.
Dem finnischen Referendum ging die
Volksabstimmung in Osterreich
am 12. Juni 1994 voraus, bei der sich die Wahler mit großer Mehrheit von 66,6 % fur den EU-Beitritt aussprachen.
Die im Referendum am 16. Oktober 1994 gestellte Frage ?Soll Finnland im Rahmen der getroffenen Vereinbarungen der Europaischen Union beitreten?“ lautete in den beiden Landessprachen
Finnisch
und
Schwedisch
:
?Tuleeko Suomen liittya Euroopan unionin jaseneksi neuvotellun sopimuksen mukaisesti?“
?
Frage des Referendums auf Finnisch
[3]
?Bor Finland bli medlem av Europeiska unionen i enlighet med det avtal som forhandlingarna har lett till?“
?
Frage des Referendums auf Schwedisch
[4]
Die Frage war mit ?Kylla“/?Ei“ bzw. ?Ja“/?Nej“ zu beantworten.
Die Wahlbeteiligung lag bei 70,79 % und damit unter der der vorangegangenen
Prasidentschaftswahl am 16. Januar und 6. Februar 1994
(78 %) aber uber der der
Parlamentswahl 1991
(68 %). Tendenziell war die Zustimmung zum Beitritt vor allem im Suden ausgepragt. Die hochste Zustimmung von 87,8 % gab es in der Gemeinde
Kauniainen
, die niedrigste mit 19,4 % in
Ullava
.
[2]
Region
|
Wahl-
berechtigte
|
Wahler
|
Beteiligung
(in %)
|
Ungultige
(in %)
†
|
Stimmen (Zahl)
|
Stimmen in %
|
Ja
|
Nein
|
Ja
|
Nein
|
Sudsavo
|
133.861
|
90.816
|
67,84
|
0,41
|
49.268
|
41.167
|
54,48
|
45,52
|
Nordsavo
|
197.171
|
135.588
|
68,77
|
0,36
|
65.127
|
69.960
|
48,21
|
51,79
|
Nordkarelien
|
134.302
|
89.809
|
66,87
|
0,42
|
42.919
|
46.516
|
47,99
|
52,01
|
Kainuu
|
71.862
|
50.880
|
70,8
|
0,40
|
18.016
|
32.663
|
35,55
|
64,45
|
Uusimaa
|
899.718
|
700.261
|
77,83
|
0,45
|
493.811
|
203.333
|
70,83
|
29,17
|
Ita-Uusimaa
|
64.545
|
48.708
|
75,46
|
0,49
|
30.760
|
17.708
|
63,46
|
36,54
|
Varsinais-Suomi
|
330.644
|
248.801
|
75,25
|
0,47
|
140.209
|
107.422
|
56,62
|
43,38
|
Kanta-Hame
|
126.245
|
93.897
|
74,38
|
0,55
|
53.125
|
40.258
|
56,89
|
43,11
|
Paijat-Hame
|
152.136
|
111.221
|
73,11
|
0,42
|
68.596
|
42.147
|
61,94
|
38,06
|
Kymenlaakso
|
150.492
|
109.439
|
72,72
|
0,41
|
72.173
|
36.807
|
66,23
|
33,77
|
Sudkarelien
|
109.178
|
78.484
|
71,89
|
0,42
|
49.722
|
28.432
|
63,62
|
36,38
|
Mittelfinnland
|
195.490
|
141.062
|
72,16
|
0,42
|
66.813
|
73.663
|
47,56
|
52,44
|
Sudosterbotten
|
150.585
|
113.272
|
75,22
|
0,37
|
43.945
|
68.910
|
38,94
|
61,06
|
Osterbotten
|
129.832
|
99.703
|
76,79
|
0,57
|
50.318
|
48.817
|
50,76
|
49,24
|
Satakunta
|
189.002
|
140.400
|
74,28
|
0,47
|
70.541
|
69.192
|
50,48
|
49,52
|
Pirkanmaa
|
330.297
|
247.180
|
74,84
|
0,49
|
134.719
|
111.248
|
54,77
|
45,23
|
Mittelosterbotten
|
52.361
|
40.025
|
76,44
|
0,43
|
17.036
|
22.815
|
42,75
|
57,25
|
Nordosterbotten
|
249.932
|
180.451
|
72,2
|
0,46
|
82.658
|
96.961
|
46,02
|
53,98
|
Lappland
|
149.718
|
108.205
|
72,27
|
0,39
|
51.117
|
56.675
|
47,42
|
52,58
|
Alandinseln
|
18.752
|
11.483
|
61,24
|
1,34
|
5.885
|
5.444
|
51,95
|
48,05
|
Finnen im Ausland
|
206.484
|
22.156
|
10,73
|
0,28
|
13.968
|
8.123
|
63,23
|
36,77
|
Finnland
††
|
4.042.607
|
2.861.841
|
70,79
|
0,45
|
1.620.726
|
1.228.261
|
56,89
|
43,11
|
Quelle:
European Eclection Database, Universitat Bergen
|
†
bezogen auf die Zahl der Wahler
††
ohne Finnen im Ausland
Finnland trat am 1. Januar 1995 im Rahmen der sogenannten ?
EFTA-Erweiterung
“ der Europaischen Union bei.
Das Land hatte mehrfach die
EU-Ratsprasidentschaft
inne, so von Juli bis Dezember 1999, Juli bis Dezember 2006 und Januar bis Juli 2020.
[5]
In den Anfangsjahren der Mitgliedschaft erfreute sich diese einer betrachtlichen Popularitat.
[6]
Finnland trat auch im Gegensatz zum benachbarten Schweden und zu Danemark der
Eurozone
bei. Alle finnischen Regierungen haben wiederholt Bekenntnisse zur Mitgliedschaft des Landes in der Europaischen Union abgegeben, dabei aber durchaus auch Verbesserungsbedarf hinsichtlich des Funktionierens der EU-Institutionen angemahnt.
[7]
- ↑
a
b
Jan Store:
EU Membership Has Been Good for Finland
@1
@2
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.
Diplomaatia, No. 137/138, Februar 2015
- ↑
a
b
c
d
Suomen EU-kansanaanestys 1994
(Bericht des finnischen Außenministeriums, 1994, bearbeitet von Pertti Pesonen).
ISBN 951-724-014-7
(Finnisch, mit englischer Zusammenfassung)
- ↑
Laki neuvoa-antavasta kansanaanestyksesta Suomen liittymisesta Euroopan unionin jaseneksi: 3 § Kysymyksenasettelu ja vastausvaihtoehdot.
Abgerufen am 5. November 2016
(finnisch).
- ↑
Lag om en radgivande folkomrostning angaende fragan om Finland skall bli medlem av Europeiska unionen : 3 § Fragestallningen och svarsalternativen.
Abgerufen am 5. November 2016
(schwedisch).
- ↑
Europaische Union: Finnland.
Europaische Union,
abgerufen am 5. November 2016
.
- ↑
Finland and the EU: In and happy.
The Economist
, 9. Oktober 1997,
abgerufen am 5. November 2016
(englisch).
- ↑
Finland in the European Union.
Amt des finnischen Premierministers, archiviert vom
Original
(nicht mehr online verfugbar) am
5. November 2016
;
abgerufen am 5. November 2016
(englisch).
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@1
@2
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Nationale Referenden zur Ratifikation von Vertragen mit der
EWG
,
EG
oder der
EU