Mein Vaterland
(
tschechisch
Ma vlast
) JB 1:112 ist ein
Zyklus
von sechs
sinfonischen Dichtungen
des
tschechischen
Komponisten
Bed?ich Smetana
, der als vollstandiges Werk am 5. November
[1]
1882 im
Sofien-Palast Prag
uraufgefuhrt
wurde. Smetana komponierte den Zyklus zwischen 1874 und 1879 im Stadium der vollstandigen Ertaubung. Die
Spieldauer
betragt circa 75 Minuten.
Bed?ich Smetana gilt neben
Antonin Dvo?ak
,
Zden?k Fibich
,
Leo? Jana?ek
,
Josef Suk
und
Bohuslav Martin?
als einer der bedeutendsten tschechischen Komponisten. Zu seinen Lebzeiten gehorte das heutige
Tschechien
noch als
Konigreich Bohmen
zum
Vielvolkerstaat
Osterreich-Ungarn
. Wie zahlreiche Mitstreiter im politischen Bereich arbeitet Smetana auf musikalischem Terrain am Aufbau einer nationalen Kultur, die sich der Dominanz der
Habsburgermonarchie
entgegenstellt. Seine Strategie: eine radikale
Programmmusik
, deren Komposition nicht nur ?innermusikalischen“ Gesetzen und Strukturen folgt, sondern u. a. mittels
Tonmalerei
auf Außermusikalisches verweist.
[2]
Fur Smetana stand das tschechische Nationalstreben mit seiner personlichen Situation zusammen: Bislang war es ihm nicht gelungen, sich als Musiker, Dirigent oder Pianist uberregional einen Namen zu machen. Nun bot sich ihm die Moglichkeit, in Prag ein modernes Musikleben aufzubauen und sich dadurch gleichzeitig die finanzielle Grundlage und den Freiraum fur seine eigenen kunstlerischen Vorhaben zu schaffen. Die Stilisierung zum ?Begrunder der tschechischen Nationalmusik“ wurde wesentlich durch seine geschickte Wahl von Stoffen und Motiven gefordert, vor allem aber durch eine gezielt lancierte Erhebung des Komponisten zum Leitidol der tschechischen Nation.
[3]
Die Komposition von
Ma vlast
steht in engem thematischem Zusammenhang mit der Oper
Libu?e
aus dem Jahr 1872, die Smetana als nationales Festspiel konzipiert hatte. Der Zyklus, dessen Entstehungszeit von der volligen
Ertaubung
des Komponisten uberschattet wurde, war zunachst als Vierteiler geplant; erst nach einer dreijahrigen Schaffenspause entstanden die letzten beiden Teile. Smetana erkrankte wahrend der Kompositionsarbeit schwer und notierte im Herbst 1874 in sein Tagebuch:
?Schon fast eine ganze Woche sitze ich zuhause, darf nicht ausgehen. Muß meine Ohren in Watte eingehullt haben und volle Ruhe bewahren. Ich furchte das Außerste: daß ich vollig mein Gehor verloren habe. Ich hore nichts! Wie lange soll dieser Zustand noch wahren? Sollte ich nie mehr genesen?“
Ma vlast
geht von
Liszt
aus und zugleich uber ihn hinaus. Kritiker meinten, Smetana habe den Meister ?uberliszten“ wollen. Wahrend dessen sinfonische Dichtungen literarische Stoffe in Musik verwandeln, stellt Smetana die musikalische uber die erzahlerische Logik. Zwar sind auch bei ihm deskriptive Elemente wesentlich ? denn was ware Programmmusik ohne Programm? ?, doch finden sich neben Schilderungen konkreter außermusikalischer Vorgange viele allgemein gehaltene Beschworungen mythischer Figuren, historischer Orte und
bohmischer
Landschaften.
[4]
Smetana, der durch seine Opern, insbesondere durch seine
Prodana nev?sta
(
Die verkaufte Braut
) zum Begrunder der tschechischen Nationalmusik wurde, leistete mit seinem Zyklus symphonischer Dichtungen
Ma vlast
(
Mein Vaterland
) auch einen wichtigen Beitrag auf dem Gebiet der tschechischen Programmmusik. In seiner Art bildet dieser Zyklus geradezu ein instrumentales Gegenstuck zur festlichen Oper
Libu?e
: ?Beide Werke stimmen gedanklich in der Glorifikation der Heimat und der Nation miteinander uberein, so wie es das Gebot der Zeit war [...], in der der nahezu hundertjahrige aktive Kampf des politisch unterdruckten tschechischen Volkes um seine Eigenart und um volles kulturelles und politisches Ausleben seinen Hohepunkt erreicht hatte.
Ma vlast
und
Libu?e
sind geradezu Symbole dieser sich vollendenden nationalen Wiedergeburt.“ In den sechs Werken des Zyklus vertonte Smetana nationale Mythen (
Vy?ehrad
,
?arka
), nationale Geschichte (
Tabor
), die Schonheit der Natur und das tschechische Volksleben im Tanz und Gesang (
Vltava
,
Z ?eskych luh? a haj?
[Aus Bohmens Hain und Flur]) und schließlich auch ein hymnisches Glaubensbekenntnis zur glanzenden Zukunft der tschechischen Nation (
Blanik
). Nach der verhaltnismaßig raschen Entstehung der ersten zwei Paare symphonischer Dichtungen wurde der Zyklus am 18. Oktober 1875 mit
Aus Bohmens Hain und Flur
vorlaufig abgeschlossen. Der Komponist sprach von ihm als einer ?
Tetralogie
“, die zunachst den Namen
Vlast
[Das Vaterland] trug. Erst dem sechsteiligen, am 9. Marz 1879 vollendeten Zyklus gab Smetana wahrend der Vorbereitungen zur Drucklegung des Werkes den endgultigen Titel
Ma vlast.
Im Bewusstsein der Einmaligkeit seines Werkes und im Interesse von dessen Verbreitung strebte der ansonsten nicht gerade praktisch veranlagte Komponist zunachst die Drucklegung der
Vltava
an. Wahrend seiner Reise zu Spezialisten fur Ohrenkrankheiten nach Wien und Wurzburg im April 1875 bot er die Partituren der drei ersten symphonischen Dichtungen dem Musikverlag
B. Schott’s Sohne
in Mainz zum Druck an ? allerdings vergeblich. Ahnlich negativ verliefen die Verhandlungen mit der Berliner Firma
Bote & Bock
im Jahre 1878, obwohl der Komponist sich bereit erklart hatte, einen fur ihn eigentlich unwurdigen Kompromiss einzugehen: ?Ich verlange kein Honorar, bis auf einige Freiexemplare.“ Erst nachdem der Prager Buchverleger Franti?ek Augustin Urbanek damit anfing, Musikalien zu publizieren, kam es zur Veroffentlichung des gesamten Zyklus
Mein Vaterland
. Zwischen Dezember 1879 und Juni 1880 erschienen zunachst leichter verkaufliche Bearbeitungen fur Klavier zu vier Handen, bevor ab 1880 die sechs Werke dann auch in gedruckten Partituren und mit gedrucktem Stimmenmaterial publiziert wurden. Bald nach dem Erscheinen des Drucks sandte Smetana je ein Exemplar des
Vy?ehrad
und der
Vltava
an
Franz Liszt
:
?Die beiden ersten Nummern habe ich nun mir erlaubt, Ihnen, mein Meister, zu senden in
Partitur
und 4handigem
Klavierauszug
. Alle sechs sind zu wiederholten Malen hier in Prag und zwar mit außergewohnlichem Erfolge aufgefuhrt worden, sonst bloß in
Chemnitz
die ersten zwei. In Folge des großen Erfolges hat der hiesige Verleger Urbanek den Aufwand der Herausgabe riskirt.“
Smetana selbst hatte im Vertrag mit Urbanek vom 14. Mai 1879 ein sehr niedriges Honorar vorgeschlagen: je Komposition 40 Gulden fur Partitur und Stimmen und 30 Gulden fur den Klavierauszug zu vier Handen, insgesamt also 420 Gulden fur den gesamten Zyklus, dessen Vervollstandigung im Druck er nicht mehr erlebte. Zu seinen Lebzeiten erschien nach dem
Vy?ehrad
und der
Vltava
nur noch die Ausgabe von
Aus Bohmens Hain und Flur
(1881).
Smetana gehorte nicht zu denjenigen Komponisten, die der Offentlichkeit zu ihren Werken inhaltliche Deutungen und literarische Kommentare lieferten. In einer Zeit weit verbreiteter Vermittlung von Musik durch das geschriebene Wort erwartete man jedoch, zumal bei einer symphonischen Dichtung, dass der Autor dem Publikum den ?Inhalt“ seiner Musik in Worten mitteilte. Smetana verhielt sich diesem Verlangen gegenuber etwas zuruckhaltend: Seiner Ansicht nach war fur die grundlegende Orientierung und Einstimmung des Horers der Werktitel allein schon ausreichend. Smetana baute in erster Linie auf die Beredsamkeit und Autarkie seiner Musik und meinte, dass ?jedem Horer erlaubt [sei], alles andere seiner Phantasie zu uberlassen und nach seinem Geschmack hinzuzudichten, was immer er will.“ Außerdem fuhlte sich Smetana wahrscheinlich auch gar nicht genugend literarisch qualifiziert, um selbst Programme zu seinen sinfonischen Dichtungen fur die Offentlichkeit zu verfassen. Er verließ sich dabei vielmehr auf wortgewandte Journalisten, die das, wenn gewunscht, nach seinen Angaben und Intentionen zu besorgen hatten. So konnen die in der Presse vor der Urauffuhrung 1875 und im Erstdruck 1880 zur
Vltava
erschienenen Erlauterungen, obwohl sie nicht aus der Feder Smetanas stammten, in gewisser Hinsicht als autorisiert angesehen werden.
Einem zeitgenossischen Bericht zufolge sah Smetana Unterschiede zwischen den symphonischen Dichtungen von
Ma vlast
und seinen sogenannten schwedischen sinfonischen Dichtungen
Richard III., Vald?tyn?v tabor
(
Wallensteins Lager
) und
Hakon Jarl.
Letztere galten ihm als ?freilich wahre sinfonische Dichtungen. Ich habe sie in Schweden direkt unter dem Eindruck geschrieben, den auf mich in Weimar die sinfonischen Dichtungen von Liszt ausgeubt haben. Sie haben vollkommen die Form wie bei Liszt.“ Mit den sinfonischen Dichtungen von
Ma vlast
dagegen habe ?es eine ganz andere Bewandtnis: in diesen erlaubte ich mir eine spezifische, ganz neue Form zu bestimmen; sie haben eigentlich nur den Namen sinfonische Dichtungen.“
[5]
Der Zyklus
Ma vlast
hatte zur Entstehungszeit sowie im 20. Jahrhundert nachhaltigen Einfluss auf die Bildung einer tschechischen Identitat; hielt diese Musik doch sogar den Widerstand und Uberlebenswillen tschechischer KZ-Haftlinge aufrecht. Die Auffuhrung von
Ma vlast
bildet (im Anschluss an die tschechische Nationalhymne
Kde domov m?j
) traditionell jedes Jahr am 12. Mai, dem Todestag des Komponisten, die Eroffnung des Musikfestivals
Prager Fruhling
.
Der sinfonische Zyklus
Ma vlast
besteht aus sechs eigenstandigen Teilen:
Nr.
|
Titel
|
Opus
|
Entstehungszeit
|
Erstveroffentlichung*
|
Orchesterbesetzung
|
Tempoangaben
|
Tonart
|
Spieldauer
|
1.
|
Vy?ehrad
|
T
110
JB
1:112/1
|
1872?74
|
Prag, 1880
Verlag: Urbanek
|
Piccolo, Flote (2), Oboe (2), Klarinette (2), Fagott (2), Horn (4), Trompete (2), Posaune (3), Tuba, Pauke, Triangel, Becken, Harfe (2), Violine (2), Viola, Cello, Kontrabass
|
Lento ? Largo maestoso ? Grandioso poco largamente ? Allegro vivo ma non agitato ? Meno mosso ? Piu allegro e poco agitato ? Piu mosso agitato ? Piu lento ? Lento ma non troppo ? Largamente
|
Es-Dur
|
ca. 16'
|
2.
|
Vltava
(Die Moldau)
|
T 111
JB 1:112/2
|
1874
|
Prag, 1880
Verlag: Urbanek
|
1. Flote, 2. Flote (auch Piccolo), Oboe (2), Klarinette (2), Fagott (2), Horn (4), Trompete (2), Posaune (3), Tuba, Pauke, Triangel, Becken, Große Trommel, Harfe, Violine (2), Viola, Cello (2), Kontrabass
|
Die beiden Quellen der Moldau: Allegro commodo non agitato ? Waldjagd ? Bauernhochzeit: L’istesso tempo, ma moderato ? Mondschein; Nymphenreigen: L’istesso tempo ? Tempo I ? St. Johann-Stromschnellen ? Die Moldau stromt breit dahin: Piu moto ? Vy?ehrad-Motiv ? Entschwinden in der Ferne
|
e-Moll
|
ca. 12'
|
3.
|
?arka
|
T 113
JB 1:112/3
|
1875
|
Prag, 1888
Verlag: Urbanek
|
Piccolo, Flote (2), Oboe (2), Klarinette (2), Fagott (2), Horn (4), Trompete (2), Posaune (3), Tuba, Pauke, Triangel, Becken, Violine (2), Viola, Cello, Kontrabass
|
Allegro con fuoco ma non agitato ? Piu moderato assai ? Moderato ma con calore ? Moderato ? Molto vivo ? Piu vivo
|
a-Moll
|
ca. 10'
|
4.
|
Z ?eskych luh? a haj?
(Aus Bohmens Hain und Flur)
|
T 114
JB 1:112/4
|
1875
|
Prag, 1881
Verlag: Urbanek
|
Piccolo, Flote (2), Oboe (2), Klarinette (2), Fagott (2), Horn (4), Trompete (2), Posaune (3), Tuba, Pauke, Triangel, Becken, Violine (2), Viola, Cello, Kontrabass
|
Molto moderato ? Allegro poco vivo, ma non troppo ? Meno vivo ? Allegro, quasi Polka ? Tempo I ? Allegro ? L'istesso tempo, ma un poco meno vivo ? Presto
|
g-Moll
|
ca. 13'
|
5.
|
Tabor
|
T 120
JB 1:112/5
|
1878
|
Prag, 1892
Verlag: Urbanek
|
Piccolo, Flote (2), Oboe (2), Klarinette (2), Fagott (2), Horn (4), Trompete (2), Posaune (3), Tuba, Pauke, Becken, Violine (2), Viola, Cello, Kontrabass
|
Lento ? L'istesso tempo ? Molto vivace ? Lento ? Molto vivace ? Piu mosso ? Lento maestoso ? Piu animato
|
d-Moll
|
ca. 12'
|
6.
|
Blanik
|
T 121
JB 1:112/6
|
1879
|
Prag, 1894
Verlag: Urbanek
|
Piccolo, Flote (2), Oboe (2), Klarinette (2), Fagott (2), Horn (4), Trompete (2), Posaune (3), Tuba, Pauke, Triangel, Becken, Violine (2), Viola, Cello, Kontrabass
|
Allegro moderato ? Andante non troppo ? Piu allegro ma non molto ? Piu mosso ? Meno mosso ? Tempo di marcia ? Grandioso ? Tempo I ? Piu vivo ? Largamente maestoso ? Grandioso, meno Allegro ? Vivace
|
d-Moll
|
ca. 15'
|
*Alle sechs Teile wurden zum ersten Mal im Verlag Urbanek veroffentlicht, kamen jedoch 1879?80 zunachst als Bearbeitungen fur Klavier vierhandig heraus.
Themen des Zyklus
Ma vlast
sind
Mythen
(Nr. 1 und 3),
Landschaft
(Nr. 2 und 4) sowie
Geschichte
(Nr. 5 und 6) der tschechischen Heimat Bed?ich Smetanas.
wurde von Ende September bis zum 18. November 1874 komponiert und am 14. Marz 1875 in Prag uraufgefuhrt.
Die tschechische
Akropolis
namens Vy?ehrad, Stammsitz der legendaren ersten bohmischen Herrscher, bildet das Eingangsportal. Smetana stimmt im raunenden Tonfall des Barden sein wehmutiges ?Es war einmal“ an, dem sich dann umso feierlicher das hoffnungsvolle ?Es wird wieder sein“ beigesellt. Zwei Harfen prasentieren das elegische, bald schon vom ganzen Orchester ins Heroische gewendete Hauptthema. Dessen Umbildung, einer sturmischen kontrapunktischen Durchfuhrung unterworfen, schildert die nunmehr auf der Burg und im Lande ausbrechende Zwietracht: ein gewaltiger Kampf, der letztlich zur Zerstorung des Vy?ehrad fuhrt. Volkstumliche friedliche Stimmen vermogen sich nicht lange zu behaupten. Am Ende steht der resignative Ruckblick auf eine entschwundene ruhmreiche Zeit.
[4]
Vy?ehrad
zeichnet die Geburt des tschechischen Volkes auf dem gleichnamigen Burgberg durch die Stammesmutter Libu?e und ihren Gemahl P?emysl. Prachtig wie die damalige, zu Smetanas Zeiten freilich vollig verfallene Festung ist naturlich das Hauptmotiv, das in den spateren Stucken des Zyklus immer wieder anklingt.
[6]
Die
Vltava (Die Moldau)
entstand in der Zeit vom 20. November bis zum 8. Dezember 1874 und wurde am 4. April 1875 in Prag uraufgefuhrt. Das Werk erschien gemeinsam mit
Vy?ehrad
im Dezember 1879 im Urbanek-Verlag in einer Fassung fur Klavier vierhandig; im Februar 1880 folgten die Partitur und die Stimmen, die Smetana selbst korrigiert hatte.
Die
Moldau
gilt als der tschechische Fluss schlechthin, sozusagen als Lebensader des Landes, deren Verlauf Smetana mit seiner Musik folgt. Das allseits bekannte Werk dient u. a. im schulischen Musikunterricht haufig als eines der Paradebeispiele fur
Programmmusik
mit
Tonmalerei
und gehort heutzutage zu den beliebtesten und meistgespielten sinfonischen Dichtungen uberhaupt.
Vltava
reiht
rondoartig
mehrere Episoden aneinander, deren Geschehnisse exakt durch Uberschriften in der Partitur bezeichnet sind. So symbolisieren die Sechzehntelketten der Floten und Klarinetten ganz zu Beginn ?Die Quellen der Moldau“, die auch die folgende, von den Hornern dominierte ?Waldjagd“ begleiten. Ebenfalls an den Ufern des Flusses wird eine ?Bauernhochzeit“ gefeiert, mit ihrem zundenden Polka-Rhythmus wohl die ? neben der
Ouverture
zur Oper
Die verkaufte Braut
? fesselndste Apotheose bohmischer Volksmusik aus Smetanas Feder. Ihr folgt ein geheimnisvoll glanzender ?Nymphenreigen im Mondschein“, der wieder in das Moldau-Thema mundet. Doch eilt der Fluss jetzt unaufhaltsam einer dramatischen Gefahr entgegen: den heute nicht mehr existierenden, weil im
Stausee ?t?chovice
versunkenen ?St. Johann-Stromschnellen“. Das Hauptthema ist nur noch bizarren Bruchstucken zu entnehmen, schaumend und beangstigend drangen sich die Tonmassen zusammen, bevor sie endlich ins Freie sturzen. ?Die Moldau stromt breit dahin“ heißt der letzte Abschnitt; sie zieht am Burgwall des Vy?ehrad vorbei und sorgt derart auch musikthematisch fur einen sinnvollen, zyklischen Abschluss dieser Tondichtung.
[4]
wurde am 20. Februar 1875 fertiggestellt und am 17. Marz 1877 uraufgefuhrt.
Mit der popularen
Vltava
konnte sich
?arka
nie messen. Sie wurde zu Lebzeiten Smetanas nicht einmal gedruckt, sondern erschien nur in einer vierhandigen Klavierfassung. Zur Begrundung verweist man gern auf die angeblich mindere Qualitat des schroffen, blutrunstigen Stuckes. In Wahrheit jedoch enthalt die
Ballade
alles, was sich zumindest
Amazonen
von einem konsequenten
Geschlechterkampf
erwarten durfen. Die bohmische Amazonenkonigin
?arka
lockt den
Rittersmann
Ctirad in den Hinterhalt, indem sie ihm weibliche Hilflosigkeit vorgaukelt. Er glaubt mit ihr im Lager ein Liebesfest feiern zu konnen, wird dann aber mit den Seinen erbarmungslos abgeschlachtet (
Bohmischer Magdekrieg
). Die Frauen flechten Ctirad den anderen Mannern zur Abschreckung ins Rad. Dieser uberlebt jedoch die Tortur und lasst ?arka nach dem endgultigen Sieg lebendig begraben. Markig rhythmisierte Kampfszenen, ein munterer
Marsch
und nachtliche Waldstimmungen garantieren
?arkas
effektvolle Wirkung.
[4]
wurde am 18. Oktober 1875 beendet und am 10. Dezember 1878 uraufgefuhrt. Smetana konzipierte das Werk ursprunglich als Finale eines vierteiligen Vaterland-Zyklus (siehe
Entstehung und Wirkung
).
Auf großere Zustimmung durfte seit jeher die unleugbar kunstvoller gestaltete
Pastorale
Z ?eskych luh? a haj?
(gelaufiger Titel im Deutschen:
Aus Bohmens Hain und Flur
) rechnen. Ihr Titel entspricht vollkommen dem Klischee vom sanftmutigen, weichen Charakter Smetanas. Dabei ist das Erlebnis der Natur, wie es uns eingangs die wogenden Figuren der Holzblaser und Streicher schildern, eher rauschhaft als idyllisch. Wir befinden uns inmitten einer heroischen Landschaft. Erst zogerlich verklingend weicht diese uberwaltigende Szenerie beschaulicheren Naturimpressionen, dem Spaziergang eines naiven Dorfmadchens und dessen jubelnden Sommerliedchen, gefolgt von der herrlich koloristisch eingefangenen Mittagsstille, einem fugierten Choral von Wallfahrern und der unvermeidlichen Polka. Die abschließende Coda nimmt noch einmal, jetzt eindeutig ins Freudvolle gewendet, Motive der Einleitung auf.
[4]
Z ?eskych luh? a haj?
konnte im Grunde landliches Leben uberall auf der Welt darstellen. Wie sehr Smetana mit seinen ?Gedanken und Gefuhle beim Anblick der bohmischen Heimat“ jedoch den bohmischen Nerv traf, zeigt folgende Rezension der
Urauffuhrung
:
?Das Werk eines wahren Dichters und zudem so rein patriotisch! Jedes Thema ist von so entschieden tschechischem Charakter, dass es uns vorkommt, als wurden wir uns in jedem wie in einem Volkslied betrachten.“
[7]
wurde am 13. Dezember 1878 fertiggestellt und am 4. Januar 1880 uraufgefuhrt.
Tabor
ist erfullt von martialischen Eruptionen, von Trotz und Zorn. Den musikalischen Kern bildet der alte
Hussiten
-
Choral
Kto? jsu bo?i bojovnici
(?Die ihr Gottes Streiter seid“). Die sudbohmische Stadt
Tabor
war eine Grundung und spatere Hochburg der
Taboriten
, des radikalen Flugels der nach dem 1415 von der
Inquisition
hingerichteten
Reformator
Jan Hus
benannten Hussiten. Sie ist ein Ortssymbol der
hussitischen Freiheitsbewegung
, so wie der Choral zum Klangsymbol der bohmischen Reformation wurde, vergleichbar dem protestantischen ?
Ein feste Burg ist unser Gott
“. Von gespenstisch langen Pausen unterbrochene Hornerrufe formulieren die ersten vier Tone des Chorals, außerst suggestiv begleitet von einer schwermutig fallenden Melodielinie in den Streichern. Der gesamte Satz ist ? stark an
Wagners
?
Walkurenritt
“ erinnernd ? großtenteils monothematisch und endet mit der markerschutternden Manifestation dieses Choralthemas.
[4]
wurde am 9. Marz 1879 beendet und am 4. Januar 1880 gemeinsam mit der
Tondichtung
Tabor
uraufgefuhrt.
Auch
Blanik
, benannt nach einem Berg in der Nahe Tabors, in dem ein Ritterheer ? angefuhrt vom
Heiligen Wenzel
? verborgen schlaft und dem tschechischen Land in schlechtesten Zeiten helfen soll, benutzt den Hussiten-Choral, gestaltet ihn jedoch nach den heftigen Eingangsakkorden zunehmend optimistisch. Visionen eines noch ausstehenden nationalen Glucks kleiden sich in tanzerisch-heitere Melodik. Am Ende kehrt Smetana zum Leitmotiv des Kopfsatzes Vy?ehrad zuruck und rundet damit den sechsteiligen Zyklus ab: Die Burg Vy?ehrad erscheint noch einmal als grandios verklarte Erinnerung einstiger Große ? und ermahnt die Tschechen, sich auf die Kraft der Freiheit zu besinnen.
[4]
- Linda Maria Koldau
:
Die Moldau. Smetanas Zyklus ?Mein Vaterland“
. Bohlau, Koln 2007,
ISBN 978-3-412-15306-9
.
- Milan Pospi?il
:
Studienpartitur
(Urtext), Ernst Eulenburg & Co. GmbH, Mainz 1999.
- Milan Pospi?il:
Vorwort.
In:
Smetana. Vltava. Die Moldau. Symphonische Dichtung. Symphonic Poem. Partitur.
Urtext Breitkopf & Hartel Partitur Bibliothek, EOS 20472 (
online
auf issuu.com).
- ↑
lt. Pospi?il
Vorwort
am 5. Oktober.
- ↑
Zednik:
?Die Moldau“ ? Grundstein der tschechischen Musikkultur.
Abgerufen am 4. Oktober 2020
.
- ↑
Linda Maria Koldau:
Die Moldau. Smetanas Zyklus ?Mein Vaterland“
. Bohlau, Koln 2007.
- ↑
a
b
c
d
e
f
g
Volker Tarnow:
Werkeinfuhrung: Bed?ich Smetana - Mein Vaterland, Zyklus sinfonischer Dichtungen.
WDR Sinfonieorchester, 2019,
abgerufen am 15. April 2020
.
- ↑
Milan Pospi?il:
Mein Vaterland (Vorwort zur Studienpartitur)
. Ernst Eulenburg & Co. GmbH, Mainz 1999.
- ↑
Regina Karol
Linda Maria Koldau: ?Die Moldau. Smetanas Zyklus ?Mein Vaterland‘“. Das Hauptwerk des tschechischen Nationalkomponisten.
Rezension auf sandammeer.at (
online
, abgerufen am 20. Juni 2021).
- ↑
Gerhard Anders:
Bed?ich Smetana. Aus Bohmens Hain und Flur. Urtext, h[rs]g. von Hugh MacDonald, Partitur.
Rezension auf dasorchester.de (
online
, abgerufen am 20. Juni 2021).