Als
Kanzlerbungalow
wird das ehemalige Wohn- und Empfangsgebaude des deutschen
Bundeskanzlers
in
Bonn
bezeichnet. Es wurde von 1964 bis 1999 zu diesem Zweck genutzt. Der Bungalow befindet sich im Park zwischen dem
ehemaligen Bundeskanzleramt
(heutiges
Bundesministerium fur wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
) und dem
Palais Schaumburg
, dem Bonner Dienstsitz des
Bundeskanzlers
. Er steht in etwa an der Stelle der ehemaligen
Villa Selve
, die 1955 abgerissen wurde.
[1]
Das Gebaude gilt als bedeutendes Beispiel der 1960er-Jahre-Architektur mit Traditionen bis zuruck in die 1920er-Jahre und steht seit 2001 unter
Denkmalschutz
.
[2]
Außerdem ist es eine Station des Geschichtsrundwegs
Weg der Demokratie
.
Der spatere Bundeskanzler
Ludwig Erhard
gab ? noch in seiner Funktion als Wirtschaftsminister ? die
Residenz
als Symbol weltoffener und moderner Gesinnung der
Bundesrepublik Deutschland
in Auftrag. Sein Vorganger,
Konrad Adenauer
, war taglich von seinem Privathaus in
Rhondorf
nach Bonn gekommen. Der Architekt
Sep Ruf
, der mit Erhard befreundet war und bereits dessen Privathaus erbaut hatte, wurde 1963 beauftragt, ein reprasentatives und modernes Gebaude in der Tradition der
klassischen Moderne
im Park des damaligen
Bundeskanzleramts
, des
Palais Schaumburg
, zu errichten.
[3]
Der Bau (ca. 1963?1966) gilt als herausragendes Beispiel westdeutscher Nachkriegsarchitektur. Die Baukosten betrugen rund zwei Millionen
Deutsche Mark
.
[4]
Der beabsichtigte Eindruck der Schwerelosigkeit fuhrte zu einem Entwurf, der auf einer
Stahlskelettkonstruktion
mit Punktstutzen und Flachdach beruhte. Es handelt sich um zwei gegeneinander versetzte Quadrate mit 24 m × 24 m und 20 m × 20 m Außenlange, die jeweils uber einen 8 m × 8 m großen
Atriumhof
verfugen.
Das großere Quadrat ist den Reprasentationsfunktionen vorbehalten. Es verfugt neben der Eingangs- und Empfangshalle uber ein Arbeitszimmer, einen großen Empfangsraum, einen Speiseraum, die Kuche sowie ein Familienesszimmer, das zum Wohn- und Schlaftrakt uberleitet.
Die Raumkonstruktion ist variabel und erlaubt Durchblicke. Schiebe- und Versenkwande machen flexible Raumkombinationen moglich. So konnen beispielsweise ein Musikzimmer und eine Kamindiele abgetrennt werden.
Die Kanzler- und Gattin-Schlafraume im Wohnquadrat sind spiegelbildlich und haben jeweils Ankleide, Arbeitsecke, Schlafraum und Bad. Sie ziehen sich U-formig um das Schlaf-Atrium mit Schwimmbassin. Weiterhin sind dort drei Dienstbotenzimmer mit Teekuche, zwei Gastezimmer, ein privater Wohnraum und der Personalaufenthaltsraum am Ubergang zur Kuche untergebracht.
Im Zuge der verscharften Sicherheitsmaßnahmen wahrend der Bedrohung durch die
RAF
wurde 1977 eine
Panzerglasfront
vor die Terrasse gesetzt; diese sollte einen womoglichen Beschuss vom rechtsrheinischen Ufer aus abwehren. 1983/84 wurde außerhalb des Bungalows ein zusatzlicher Keller zur Einlagerung von auswechselbarem Mobiliar gebaut.
[5]
Die Materialien sind dem Zeitgeist entsprechend edel und schlicht. Fußboden und Terrassen sind in
Travertin
gefliest, die Decken mit brasilianischer
Kiefer
abgehangt. Die Ausstattung, die Ruf auch bei den Mobeln ? zum Beispiel bei dem Entwurf von Lampen mit
Leinengewebe
,
Pergament
oder Japanrinde und Tischen aus Glas und Metall ? maßgeblich gestaltete, wurde durch die verschiedenen Bewohner verandert und erganzt.
[6]
[7]
Der damals amtierende
Bundesschatzminister
Werner Dollinger
ubergab am 12. November 1964 den Schlussel an Ludwig Erhard. In seiner Ansprache bekennt sich dieser zur Architektur des Gebaudes:
?Sie sehen hier das Haus so gebaut […] in der Ausstattung, in der Anordnung, wie es dem Wesen meiner Frau und mir gemaß ist.
[8]
“
Die Einstellung der Bundeskanzler zum Gebaude war unterschiedlich. Bundeskanzler Adenauer wird folgender Ausspruch zugeschrieben:
?Ich weiß nicht, welcher Architekt den Bungalow gebaut hat, aber der verdient zehn Jahre.
[9]
“
Wahrend Auftraggeber Erhard den Bau lobte, bemangelte sein Nachfolger
Kurt Georg Kiesinger
fehlende Behaglichkeit. Er ließ durch die Innenarchitektin
Herta-Maria Witzemann
mittelalterliche Kunstwerke und
Stilmobel
aufstellen.
Willy Brandt
blieb in seiner Außenminister-Dienstvilla (
Kiefernweg 12
) und nutzte den Bungalow nur fur reprasentative Zwecke wie beispielsweise Empfange und ließ dort nach einer Intervention des Bundesprasidenten
Gustav Heinemann
auch Staatsgaste ? darunter als erste vom 27. bis 30. April 1971 das belgische Konigspaar
Baudoin
und
Fabiola
[10]
? ubernachten.
Helmut Schmidt
wohnte acht Jahre dort. Fur die private Nutzung zahlten die Bundeskanzler jeweils Miete an den Bund.
Am langsten bewohnte
Helmut Kohl
den Kanzlerbungalow: beinahe 17 Jahre von 1982 bis zum 30. September 1999. Sein Amtsnachfolger
Gerhard Schroder
(Wahl zum Bundeskanzler am 27. Oktober 1998) zog auf Grund des nahenden Umzuges nach Berlin nicht in den Kanzlerbungalow ein und ließ weiterhin Helmut Kohl dort wohnen. Dieser bezeichnete den Bungalow als ?absurdes Bauwerk ? im Sinne einer Wohnung eines Bundeskanzlers“.
[11]
Diese Kritik bezog sich auf den privat genutzten Teil, der sehr eng und wenig komfortabel ausfiel. Kohl anderte ? wie mehr oder weniger alle auf Erhard folgenden Hausherren ? die Raume nach seinem personlichen Geschmack. Er ließ Seidenstoff uber die Klinkerwande ziehen, einen Halogen-Sternenhimmel im Esszimmer installieren und dort einen großen Perserteppich auslegen. Schroder uberließ Kohl bis zum Regierungsumzug den privaten Schlafteil des Bungalows und nutzte nur sporadisch den Reprasentationsteil.
[12]
[13]
[14]
Seit dem Umzug der
Bundesregierung
nach
Berlin
1999 steht das Gebaude leer; im zum Gelande gehorenden Palais Schaumburg befindet sich seit 2001 der Zweitsitz des Bundeskanzleramts. Das
Bundesministerium fur wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
zog Ende 2005 in das in unmittelbarer Nachbarschaft liegende,
fruhere Bundeskanzleramt
und dessen Erweiterungsbauten, jedoch nicht in den Kanzlerbungalow, da dieser sich nicht fur die Nutzung durch das Ministerium eignete. 2003 wurde der Bungalow kurzzeitig fur einige Sendungen des TV-Politmagazins
Kanzlerbungalow
des
WDR
genutzt.
In Berlin war eigentlich vorgesehen, im so genannten
Kanzlergarten
des neuen
Kanzleramtes
wiederum eine Kanzlerresidenz zu errichten. Dazu kam es aus Kostengrunden nicht. Stattdessen gibt es dort nur eine kleine Wohnung im obersten Stock des Mittelbaus, die von Gerhard Schroder nur in der Woche benutzt wurde. Angela Merkel wohnte weiterhin in ihrer Privatwohnung in Berlin-Mitte.
Zwischen 2007 und 2009 sanierte und restaurierte die
Wustenrot Stiftung
den Kanzlerbungalow.
[15]
Die Stiftung
Haus der Geschichte
der Bundesrepublik Deutschland richtete eine kleine Dauerausstellung ein und bietet Gruppenfuhrungen an. Daruber hinaus wird das Gebaude fur Veranstaltungen, wie Lesungen und Konzerte, genutzt.
[16]
2014 war der Kanzlerbungalow zentraler Teil des deutschen Beitrags der
14. Architekturbiennale
in
Venedig
. Er wurde von dem Schweizer Architektenduo Alex Lehnerer und Savvas Ciriacidis als einziger Beitrag 1:1 in den deutschen Pavillon eingebaut.
[17]
Als zentrales Mobelstuck des Ausstellungsbeitrags diente das von Ruf entworfene, sogenannte
Kanzlersofa
, das mittlerweile in Kleinstserie wieder hergestellt wird.
[18]
[19]
[20]
[21]
[22]
?Der optische Gesamteindruck der Gebaudegruppe wird durch die lichte und schwerelose Eleganz bestimmt, die jenseits von jedem Pathos Heiterkeit und Wurde zugleich ausstrahlt. (…) Der Bewohner empfindet Weitraumigkeit, grenzenlose Offenheit, Sachlichkeit, Ordnung. (…) Mit dem Eindruck des Geoffneten, Schwerelosen, dabei streng geordneten paart sich der Eindruck des Differenzierten in Material und Gruppierung. Durch die Differenzierung werden Uniformitat, Kalte, Starrheit vermieden ? Eigenschaften, die der modernen Architektur immer wieder zum Vorwurf gemacht werden.“
?Im Bonner Regierungsviertel finden sich nicht viele gute Beispiele fur ?demokratisch‘-transparentes Bauen. Eines der besten ist zweifellos das Wohn- und Empfangsgebaude fur den Amtssitz des Bundeskanzlers. (…) Klare Gliederung, konsequente Durchgestaltung, sorgfaltige Abstimmung der Materialien und harmonische Einbindung in die landschaftliche Umgebung zeichnen den Bau aus. (…) [R]uhig und ausgewogen, leicht und schwerelos gehalten, voller Durchblicke nach allen Seiten, legt er die private und staatliche Existenz des Bewohners gleichermaßen offen (…).“
?[Der Kanzlerbungalow] ist die Wohnhaus-Variante der Berliner Nationalgalerie von
Mies van der Rohe
? streng horizontal, provozierend offen mit seinen rundum verglasten Wanden, Transparenz-Geometrie im Park mit einem artigen Atriumkern bescheidener Intimitat. Stets leidend an dem Konflikt, daß hier die moderne Abschaffung des burgerlichen Individuums mit den altmodischen Bedurfnissen hochst privater Wohnfunktion versohnt werden muß.“
?[Erhard] ist eines der wenigen Beispiele moderner Architektur in Bonn zu verdanken. Das ist um so erstaunlicher, als gerade dieser Kanzler mit konservativer Behaglichkeit verbunden wird. (…) Kanzler Kiesinger bewies (…) nicht gerade Sachverstand oder auch nur Toleranz, als er den Bungalow (…) mit einem Eisenbahnwaggon verglich. Ein Vergleich, der den Feinheiten des Grundrisses Hohn spricht.“
- Sep Ruf. Kanzlerbungalow, Bonn
, Texte: Andreas Schatzke/Joaquin Medina Warmburg, Edition Axel Menges, Stuttgart/London 2009,
ISBN 978-3-932565-72-4
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- Georg Adlbert:
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, Prestel, Munchen/Berlin/London/New York, NY 2009,
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. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 1997,
ISBN 3-496-01150-5
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- Innenansichten
-
Wiederherstellung des Arbeitszimmers Erhards im Kanzlerbungalow. Die Offnung der Bucherregale, die bei Erhard durch Schrankturen verdeckt waren, geht auf
Kiesinger 1966?1969
zuruck.
-
Wiederherstellung des Speisezimmers wie zur Amtszeit und im Stil
Kohls 1982?1998
(2009)
-
Empfang im Kanzlerbungalow durch Kanzlergattin
Hannelore Kohl
(1988)
-
Gastebuch
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Lokalzeit
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Das Kanzlersofa auf der 14. Architekturbiennale in Venedig
(
Memento
des
Originals
vom 25. April 2017 im
Internet Archive
)
Info:
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@1
@2
Vorlage:Webachiv/IABot/www.wand-raum.de
vom 11. Juni 2014, abgerufen am 24. April 2017
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Bundeshauptstadt Bonn. Ein Danaergeschenk?
In:
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50.721461111111
7.1179138888889
Koordinaten:
50° 43′ 17,3″
N
,
7° 7′ 4,5″
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