Jacques Hadamard
(
Jacques Salomon Hadamard
; *
8. Dezember
1865
in
Versailles
; †
17. Oktober
1963
in
Paris
) war ein
franzosischer
Mathematiker
.
Jacques Salomon Hadamard war der Sohn von Amedee Hadamard, eines Lehrers
judischer
Herkunft. Die Familie zog 1867 nach Paris, wo der Vater zunachst eine Stelle am
Lycee Charlemagne
, spater am
Lycee Louis-le-Grand
annahm. Jacques Hadamard besuchte beide Schulen und schloss die Schulausbildung 1883 mit Auszeichnungen in Mathematik und Mechanik ab.
Ab 1884 studierte er an der
Ecole normale superieure
in Paris. Zu seinen Lehrern gehorten unter anderen
Charles Hermite
und
Jean Gaston Darboux
. Nach seinem Abschluss 1888 arbeitete er zunachst als Lehrer an verschiedenen Schulen. Er wurde 1892 bei
Emile Picard
promoviert mit einer Arbeit uber Funktionen, die durch
Taylorreihen
definiert sind. Im gleichen Jahr erhielt er den
Grand Prix des Sciences Mathematiques
fur seine Arbeit zur Bestimmung der Anzahl der Primzahlen unterhalb einer gegebenen Grenze.
Ebenfalls 1892 heiratete Jacques Hadamard Louise-Anna Trenel, die er seit seiner Kindheit kannte. Beide zogen nach
Bordeaux
, wo Hadamard eine Stelle als
Dozent
an der dortigen Universitat erhielt. Am 1. Februar 1896 wurde er dort Professor fur Astronomie und Mechanik. Wahrend seiner Zeit in Bordeaux veroffentlichte er 29 Arbeiten auf verschiedensten Gebieten der Mathematik. Als die bedeutendste Arbeit aus dieser Zeit wird der Beweis des
Primzahlsatzes
im Jahr 1896 angesehen. In Bordeaux kamen auch seine beiden altesten Sohne zur Welt.
1897 wechselte Hadamard an die
Sorbonne
nach Paris. Wahrend der
Dreyfus-Affare
(ein Beispiel fur
Antisemitismus
im Frankreich des
Fin de siecle
) ergriff er Partei fur
Alfred Dreyfus
, den Ehemann seiner Cousine
Lucie
. 1898 erschien der erste Band seiner
Lecons de Geometrie Elementaire
zur zweidimensionalen Geometrie, dem 1901 ein Band zur dreidimensionalen Geometrie folgte.
1898 erhielt Hadamard den
Prix Poncelet
fur seine Arbeiten der vergangenen zehn Jahre. Er konzentrierte sich von nun an mehr auf die mathematische Physik, betonte aber stets, mehr Mathematiker als Physiker zu sein. In dieser Zeit schrieb er bahnbrechende Arbeiten uber
partielle Differentialgleichungen
und uber
Geodasie
. Er bearbeitete auch die Themenkreise geometrische
Optik
,
Hydrodynamik
und
Grenzwertprobleme
.
Wahrend seiner ersten funf Jahre in Paris wurden ein weiterer Sohn und zwei Tochter geboren.
Er erhielt zahlreiche weitere Auszeichnungen und wurde 1906 zum Prasidenten der
Societe Mathematique de France
gewahlt. 1912 erhielt er einen Ruf als Professor fur Analysis an die
Ecole polytechnique
in Nachfolge von
Marie Ennemond Camille Jordan
. Im gleichen Jahr nahm er den durch den fruhen Tod von
Henri Poincare
frei gewordenen Platz in der
Academie des Sciences
an.
1916 fielen seine beiden alteren Sohne innerhalb weniger Wochen in der
Schlacht um Verdun
. Hadamard verarbeitete seine Trauer, indem er sich noch intensiver in die Mathematik vertiefte. 1920 bekam er einen Lehrstuhl fur Analysis an der
Ecole Centrale
, behielt aber seine Posten an der Ecole polytechnique und am
College de France
. Im selben Jahr wurde er in die
American Academy of Arts and Sciences
gewahlt, 1926 in die
National Academy of Sciences
. Seit 1913 war er auswartiges Mitglied der
Koniglich Danischen Akademie der Wissenschaften
und seit 1920 der
Koniglich Niederlandischen Akademie der Wissenschaften
(KNAW),
[1]
seit 1922 assoziiertes Mitglied der
Academie royale des Sciences, des Lettres et des Beaux-Arts de Belgique
[2]
sowie korrespondierendes Mitglied der
Akademie der Wissenschaften der UdSSR
, 1929 wurde er Ehrenmitglied dieser Akademie.
[3]
In dieser Zeit bis 1933 reiste er viel und besuchte unter anderem zweimal die
Vereinigten Staaten
. Er veroffentlichte unermudlich Arbeiten und Bucher von hoher Qualitat.
Zwischen den Weltkriegen wandelte sich Hadamards politische Einstellung zum linken Spektrum. 1924 wurde er Ehrenmitglied der
London Mathematical Society
. 1928 hielt er einen Plenarvortrag auf dem
Internationalen Mathematikerkongress
in
Bologna
(Le developpement et le role scientifique du calcul fonctionnel). 1932 wurde er zum auswartigen Mitglied der
Royal Society
gewahlt. Nach dem Ausbruch des
Zweiten Weltkriegs
und dem Fall Frankreichs konnte er mit seiner Familie in die USA fliehen. Er erhielt eine befristete Gastprofessur an der
Columbia-Universitat
. 1944 fiel auch sein dritter Sohn im Krieg. Er verließ die USA, ging zunachst nach
England
und kehrte bei Kriegsende nach Frankreich zuruck.
Nach dem Krieg wurde er Friedensaktivist. Seine Nahe zur Kommunistischen Partei hatte 1950 beinahe die Teilnahme am
International Congress
in
Cambridge (Massachusetts)
verhindert. Die Einreise wurde dem inzwischen 85-Jahrigen erst nach Fursprache seiner amerikanischen Kollegen erlaubt. Er wurde Ehrenvorsitzender des Kongresses. 1951 war Hadamard erster Trager des internationalen
Antonio-Feltrinelli-Preises
. 1956 erhielt er die
Medaille d’or du CNRS
.
Die Nachricht vom todlichen Bergunfall seines Enkels 1962 scheint den Lebenswillen Hadamards gebrochen zu haben. Er verließ seine Wohnung nicht mehr und starb im Oktober des folgenden Jahres.
Hadamard war eine dominierende Personlichkeit in der franzosischen Mathematik und wirkte mit seinem Seminar in Paris schulbildend. Zu seinen Doktoranden zahlen
Maurice Frechet
,
Paul Levy
,
Szolem Mandelbrojt
,
Andre Weil
,
Marc Krasner
.
[4]
Nach Hadamard sind zum Beispiel der
Hadamard-Code
, der
Satz von Cauchy-Hadamard
, der Satz von
Cartan-Hadamard
, die
Hadamard-Ungleichung
,
Hadamard-Matrizen
,
Satz von Hadamard
, das
Hadamard-Gatter
, der
Hadamardsche Dreikreisesatz
und die
Hadamard-Transformation
benannt.
Verschiedene Probleme sind von ihm angestoßen worden und nach ihm benannt. Zum Beispiel gibt es das Hadamard-Problem der maximalen Determinante, das nach dem Maximalwert der
Determinante
fur Matrizen fragt, deren Koeffizienten in geeigneter Weise eingeschrankt sind. Hadamard selbst bewies 1893 eine obere Schranke fur den Betrag der Determinante komplexer n-mal-n-Matrizen, deren Koeffizienten aus der
Einheitskreisscheibe
stammen.
[5]
In der Theorie partieller Differentialgleichungen gibt es ein Hadamard-Problem,
[6]
das danach fragt, ob die Wellengleichung die einzige Gleichung ist, die das
Huygenssche Prinzip
erfullt, das nach Hadamard nur in geraden Dimensionen
gelten kann. Es wurde spater negativ gelost (
Karl Stellmacher
,
Paul Gunther
). Allgemeiner wird im Hadamard-Problem nach einer Charakterisierung der Gleichungen gefragt, die ein Huygenssches Prinzip erfullen.
?Die Logik genehmigt lediglich die Eroberungsfeldzuge der Intuition.“
?
Jacques Hadamard (1945)
- An Essay on the Psychology of Invention in the Mathematical Field.
Princeton University Press, 1945; Neuausgabe unter dem Titel
The Mathematician’s Mind: The Psychology of Invention in the Mathematical Field.
ebd. 1996;
ISBN 0-691-02931-8
,
Online
- Œuvres de Jacques Hadamard.
Band I, II, III, IV. Editions du Centre National de la Recherche Scientifique, Paris, 1968.
- Le probleme de Cauchy et les equations aux derivees partielles lineaires hyperboliques
, Hermann 1932 (Vorlesungen Yale, englische Ausgabe
Lectures on Cauchy’s problem in linear partial differential equations
, Yale University Press, Oxford University Press 1923, Reprint Dover 2003)
- La serie de Taylor et son prolongement analytique
, 2. Auflage, Gauthier-Villars 1926
- La theorie des equations aux derivees partielles
, Peking, Editions Scientifiques, 1964
- Lecons sur le calcul des variations
, Band 1, Paris, Hermann 1910,
Online
- Lecons sur la propagation des ondes et les equations de l’hydrodynamique
, Paris, Hermann 1903,
Online
- Non-Euclidean geometry in the theory of automorphic functions
, American Mathematical Society 1999
- Four lectures on Mathematics, delivered at Columbia University 1911
, Columbia University Press 1915 (1. The definition of solutions of linear partial differential equations by boundary conditioins, 2. Contemporary researches in differential equations, integral equations and integro-differential equations, 3. Analysis Situs in connection with correspondendes and differential equations, 4. Elementary solutions of partial differential equations and Greens functions),
Online
- Lecons de geometrie elementaire
, 2 Bande, Paris, Colin, 1898 1906 (englische Ubersetzung
Lessons in Geometry
, American Mathematical Society 2008),
Band 1
,
Band 2
- Cours d’analyse professe a l’Ecole polytechnique
, 2 Bande, Paris, Hermann 1925/27, 1930 (Band 1:
Complements de calcul differentiel, integrales simples et multiples, applications analytiques et geometriques, equations differentielles elementaires
, Band 2
Potentiel, calcul des variations, fonctions analytiques, equations differentielles et aux derivees partielles, calcul des probabilites
)
- Essai sur l'etude des fonctions donnees par leur developpement de Taylor. Etude sur les proprietes des fonctions entieres et en particulier d'une fonction consideree par Riemann
, 1893,
Online
- Sur la distribution des zeros de la fonction
et ses consequences arithmetiques
, Bulletin de la Societe Mathematique de France, Band 24, 1896, S. 199?220 (Beweis Primzahlsatz)
Online
- Szolem Mandelbrojt, Laurent Schwartz:
Jacques Hadamard.
In:
Bulletin AMS.
Band 71, 1965, S. 107?129.
- Paul Levy
, Szolem Mandelbrojt,
Bernard Malgrange
,
Paul Malliavin
:
La Vie et l’œuvre de Jacques Hadamard (1865?1963).
In:
L’Enseignement Mathematique.
1967.
- Vladimir Maz’ya
,
Tatyana Shaposhnikova
:
Jacques Hadamard, A Universal Mathematician.
American Mathematical Society and London Mathematical Society, 1998,
ISBN 0-8218-0841-9
.
- ↑
Past Members: Jacques S. Hadamard.
Koniglich Niederlandische Akademie der Wissenschaften,
abgerufen am 6. Mai 2023
(mit Link zur Biografie, niederlandisch).
- ↑
Academicien decede: Jacques Salomon Hadamard.
Academie royale des Sciences, des Lettres et des Beaux-Arts de Belgique,
abgerufen am 22. September 2023
(franzosisch).
- ↑
Auslandische Mitglieder der Russischen Akademie der Wissenschaften seit 1724: Hadamard, Jacques Salomon.
Russische Akademie der Wissenschaften,
abgerufen am 13. Dezember 2019
(russisch).
- ↑
Mathematics Genealogy Project
- ↑
Hadamards Maximum Determinant Problem, Mathworld
- ↑
Hadamard
Lectures on Cauchy´s problem in linear partial differential equations
, Yale University Press 1923