Edward Frederick Lindley Wood, 1. Earl of Halifax
KG
,
OM
,
GCSI
,
GCMG
,
GCIE
,
PC
(*
16. April
1881
in
Powderham Castle
,
Devon
,
England
; †
23. Dezember
1959
in
Garrowby Hall
,
Yorkshire
, England), zwischen 1925 und 1934 auch bekannt als
Lord Irwin
und von 1934 bis 1944 als
Viscount Halifax
, war ein
britischer
Politiker
der
Konservativen Partei
. Er bekleidete seit 1922 verschiedene Ministeramter, war von 1926 bis 1931
Vizekonig von Indien
. In den 1930er Jahren wurde er zu einem der entschiedenen Verfechter der
Appeasement-Politik
gegenuber
Nazi-Deutschland
, fur die er ab 1938 als
Außenminister
verantwortlich war. Sein innerparteilicher Rivale
Winston Churchill
schob ihn Ende 1940 fur die Dauer des
Zweiten Weltkriegs
auf den Botschafterposten nach Washington ab.
Edward Wood war der vierte Sohn des
Charles Wood, 2. Viscount Halifax
, aus dessen Ehe mit Lady Agnes Courtenay, Tochter des William Courtenay, 11.
Earl of Devon
. Seine drei alteren Bruder starben, bevor sie das
Erwachsenenalter
erreichten, so dass er ab 1899 der
Heir apparent
seines Vaters war. Wood selbst wurde mit einem verkruppelten linken Arm ohne Hand geboren. Dank einer Prothese, die er sehr geschickt zu benutzen lernte, hatte diese Behinderung keinen Einfluss auf seine Fahigkeit, zu reiten, zu jagen oder zu schießen.
Winston Churchill
verlieh ihm spater den Spitznamen ?Holy Fox“ (?Heiliger Fuchs“), eine Anspielung auf seinen Namen, seine
Jagdleidenschaft
und seine Religiositat, da Wood wie sein Vater ein glaubiger
Anglo-Katholik
war.
Am
Eton College
und am
Christ Church College
der
Universitat Oxford
ausgebildet, gehorte Wood von 1910 bis 1925 als Abgeordneter des Wahlkreises
Ripon
dem
House of Commons
an. Als Offizier der
Queen's Own Yorkshire Dragoon
Yeomanry
kampfte er trotz seiner Behinderung im
Ersten Weltkrieg
, wurde
mentioned in despatches
und stieg 1915 in den Rang eines
Lieutenant-Colonel
auf. Ab 1917 ubernahm er eine Schreibtischtatigkeit als
Assistant Secretary
des
Minister of National Service
. 1918 schrieb er zusammen mit
George Ambrose Lloyd
, dem spateren
Baron Lloyd
, das Buch
The Great Opportunity
(?Die große Gelegenheit“). Er verfocht darin das Programm einer reformierten
Konservativen Partei
fur die Zeit nach der von dem Liberalen
David Lloyd George
gefuhrten Kriegskoalition.
Die Koalitionsregierung plante zwar, Wood zum
Generalgouverneur
in
Sudafrika
zu ernennen, aber die fuhrenden Politiker des
Dominions
lehnten ihn ab, da sie sich einen Minister im Kabinettsrang oder ein Mitglied der
Koniglichen Familie
wunschten. Zugleich rugte Winston Churchill, damals noch Mitglied der Liberalen und ein Freund Lloyd Georges, Wood wegen seiner Ambitionen auf den Posten eines Staatssekretars fur die Kolonien. Der verstimmte Wood votierte daher beim
Carlton-Club-Treffen
im Oktober 1922 fur den Sturz des
Kabinetts Lloyd George
und wurde 1922 Bildungsminister im Kabinett des Konservativen
Andrew Bonar Law
. Obwohl er an diesem Posten nicht interessiert war, behielt er ihn bis 1924. Seit 1922 war er auch Mitglied des
Privy Council
. Von 1924 bekleidete er bis 1925 mit ebenso wenig Engagement das Amt des Agrarministers im konservativen Kabinett
Stanley Baldwin
. Seine Karriere schien an einem Tiefpunkt angekommen.
Im Oktober 1925 wurde ihm das Amt des Vizekonigs von Indien als Nachfolger von
Rufus Isaacs, 1. Marquess of Reading
, vorgeschlagen. Konig
Georg V.
hatte ihn fur dieses Amt vorgeschlagen, wohl wegen seines familiaren Hintergrundes (sein Großvater war Indienminister) und seiner aristokratischen Herkunft. Nach einigem Zogern nahm er an. Ihm wurde dazu am 22. Dezember 1925 die erbliche
Peerwurde
eines
Baron Irwin
, of Kirby Underdale in the County of York, verliehen, weshalb er fortan als
Lord Irwin
bekannt war. Er erhielt dadurch einen Sitz im
House of Lords
und schied aus dem House of Commons aus. Er reiste am 17. Marz 1926 nach Indien ab und kam am 1. April 1926 in
Bombay
an. Er trat das Amt des Vizekonigs mit der Hoffnung an, die britisch-indischen Beziehungen zu verbessern und die Spannungen zwischen den verschiedenen Religionsgruppen im Lande zu beruhigen. Als tief religioser Mensch schien er die richtige Wahl, um mit
Mahatma Gandhi
umzugehen. In den ersten 19 Monaten nach seiner Berufung ignorierte er Gandhi jedoch. Als Vizekonig von Indien wurde er 1926 auch
Knight Grand Commander
und Großmeister des
Order of the Star of India
und des
Order of the Indian Empire
.
Seine Regierungszeit war durch eine Periode großer politischer Unruhe gekennzeichnet. Der Ausschluss von Indern aus der
Simon-Kommission
, die die Reife des Landes fur die Selbstregierung zu prufen hatte, provozierte ernste Gewalt und so war Wood zu Konzessionen gezwungen, die in London als zu weitgehend und in Indien als halbherzig empfunden wurden. Wahrend seiner Regierungszeit musste er mit verschiedenen Ereignissen fertigwerden, zum Beispiel mit dem Protest gegen den Bericht der Simon-Kommission, dem
Nehru-Bericht
, der Allparteienkonferenz, den 14 Punkten des Leiters der
Muslimliga
Mohammed Ali Jinnah
, der vom
Indischen Nationalkongress
geleiteten zweiten Kampagne
Zivilen Ungehorsams
unter der Fuhrung von Mahatma Gandhi und den Konferenzen am Runden Tisch zur Zukunft
Britisch-Indiens
.
Als Strategie ließ Wood alle Leiter des Kongresses inhaftieren und eroffnete daraufhin die Verhandlungen mit Gandhi. Die Kritik an Wood war nicht eben fair, aber er hatte einen Fehler gemacht, dessen Konsequenzen ernst waren, und die Unruhe wuchs. Wood versuchte, mit den indischen Politikern zu einem
Modus Vivendi
zu kommen; dies gipfelte in seinem Eintreten fur den Status eines
Dominions
. London verweigerte jedwede Konzessionen.
Mit wenig Manovrierraum fluchtete Wood in
Repression
; seine
Notstandsbefugnisse
zur Verhaftung Gandhis nutzend, verbot er offentliche Veranstaltungen und unterdruckte die rebellierende Opposition. Gandhis Verhaftung verschlechterte die Lage weiter. Letztlich entschied sich Wood (durch die Unterschrift unter den
Delhi-Pakt
) im Januar 1931 zu Verhandlungen, bei denen alle Interessen bei der Konferenz am Runden Tisch reprasentiert waren, um den
zivilen Ungehorsam
und den
Boykott
britischer Guter zu beenden. Die zwei Wochen dauernden Diskussionen gipfelten in einem Vertrag, der als
Gandhi-Irwin-Pakt
bezeichnet wurde, nach dem die Kampagne des Zivilen Ungehorsams ausgesetzt wurde.
Der Vertrag zwischen Gandhi und Wood wurde am 5. Marz 1931 unterzeichnet. Entscheidende Punkte waren:
- Der Kongress setzt die Bewegung des Zivilen Ungehorsams nicht mehr fort.
- Der Kongress nimmt an der Konferenz des Runden Tischs teil.
- Die Regierung zieht alle Befehle zur Zugelung des Kongresses zuruck.
- Die Regierung beendet alle Strafverfolgungen wegen Delikten ohne Gewaltanwendung.
- Die Regierung lasst alle Personen frei, die zu Haftstrafen im Zusammenhang mit ihrer Beteiligung an der Kampagne fur Zivilen Ungehorsam verurteilt wurden.
Es wurde ferner anerkannt, dass Gandhi an der zweiten Konferenz des Runden Tischs als einziger Reprasentant des Kongresses teilnahm.
Lord Irwin zollte am 20. Marz 1931 (bei einem Dinner, das die regierenden Prinzen gaben) Gandhis Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Patriotismus Respekt. Einen Monat nach dem Gandhi-Irwin-Pakt trat er zuruck und verließ Indien. Bei Lord Irwins Ruckkehr nach England im April 1931 war die Situation ruhig, aber binnen eines Jahres kollabierte die Konferenz und Gandhi wurde wieder verhaftet. In England wurde Lord Irwin 1931 als
Knight Companion
in den
Hosenbandorden
aufgenommen.
1931 lehnte Wood das ihm angebotene Amt des Außenministers ab, um einige Zeit zu Hause zu verbringen, aber unerklarlicherweise folgte dem 1932 sein Wiederaufstieg zum Bildungsminister im Kabinett des Vorsitzenden der
Labour Party
Ramsay MacDonald
, ein Amt, das er belebte durch seine fortgesetzte Rolle (jetzt im Hintergrund) in indischer Politik und Gesetzgebung, die Erlangung des Amts des Master of the Middleton Hunt im gleichen Jahr und seine Wahl zum
Kanzler
der Universitat Oxford 1933.
1934 erbte er beim Tod seines Vaters dessen Adelstitel als 3.
Viscount Halifax
und 5.
Baronet
, of Barnsley. In der Folgezeit gehorte er dem Kabinett in verschiedenen Amtern an: Funf Monate 1935 Kriegsminister, von 1935 bis 1937
Lordsiegelbewahrer
? gleichzeitig fungierte er als
Prasident des Oberhauses
? von 1937 bis 1938
Lord President of the Council
(dem protokollarisch vierthochsten Amt unterhalb der Monarchie) im Kabinett Baldwin und nach 1937 im Kabinett
Chamberlain
. 1937 wurde er zudem als
Knight Grand Cross
des
Order of St Michael and St George
ausgezeichnet.
Die Berufung von
Anthony Eden
als Außenminister 1935 schien anfangs gut zu Halifax’ Ansichten uber die zukunftige Richtung der britischen Außenpolitik zu passen, in die er sich zunehmend mit Ratschlagen einmischte. Die beiden befanden sich in bestem Einvernehmen (auch mit der vorherrschenden offentlichen Meinung in Großbritannien), dass die deutsche
Remilitarisierung des Rheinlands
im Marz 1936 ? ?ihrem eigenen Hinterhof“ ? keine ernste Bedrohung darstelle und insoweit begrußt werde, als es Deutschlands scheinbaren Fortschritt in Richtung Normalitat nach der Trubsal infolge des
Versailler Friedensvertrags
darstelle. Dennoch benutzte Chamberlain, nachdem er 1937 Baldwin als neuer
Premierminister
folgte, zunehmend verdeckte Kanale inklusive Halifax selbst, um diplomatisch tatig zu werden.
Halifax’ Freund
Henry ?Chips“ Channon
berichtete spater von Halifax’ erstem Besuch in
Nazi-Deutschland
1936: ?Er erzahlte mir, dass er all die Nazi-Fuhrer, selbst
Goebbels
, mochte, und er war sehr beeindruckt, interessiert und amusiert durch den Besuch. Er denkt, das Regime ist absolut fantastisch.“ In seinem Tagebuch notierte Halifax, dass er Hitler gesagt habe: ?Obwohl es viel am Nazi-System gab, das die britische Meinung tief verletzte, war ich nicht blind, was er (Hitler) fur Deutschland getan hatte und was er von diesem Standpunkt aus mit dem Hinausfegen des Kommunismus aus seinem Land erreicht hatte.“
Auf Einladung von
Hermann Goring
kam Halifax im November 1937 nach Deutschland. Der Vorwand war eine Jagdausstellung, aber Halifax waren strikte Instruktionen des
Foreign Office
mitgegeben worden, falls es zu einem Treffen mit
Adolf Hitler
kommen sollte. Einigen Augenzeugen zufolge soll Halifax beinahe einen internationalen Zwischenfall bewirkt haben, als er dem Diktator seinen Mantel ubergab in der Annahme, es handele sich um einen Diener. Hitler beurteilte seinen Besucher spater in seinen ?Dialogen im Fuhrerhauptquartier“ als ?einen Heuchler schlimmster Art und verlogen“. Bei den folgenden Diskussionen missachtete Halifax Edens Direktive, den Deutschen Warnungen bei Schritten gegenuber
Osterreich
und der
Tschechoslowakei
zukommen zu lassen. Er deutete im Gegenteil an, Großbritannien wurde einer Klarung der deutschen Gebietsforderungen, auch in Bezug auf
Danzig
, nicht im Wege stehen, sofern diese auf friedlichem Wege erreicht wurden. Er war außerdem gezwungen, Hitlers haarstraubenden Ratschlagen bezuglich des Umgangs mit den Problemen in Indien (?Erschießen Sie
Gandhi
“) freundlich zuzuhoren. Die Treffen waren generell unangenehm. Von Goring, einem passionierten
Jager
, der sich selbst zum ?
Reichsjagermeister
“ befordert hatte, erhielt er den Spitznamen ?Halalifax“ in Anspielung auf das
Halali
der Jager.
Halifax und Chamberlain gehorten beide der sogenannten
Cliveden-Clique
an, benannt nach dem
Landsitz
von
Lady Astor
, wo man sich traf und die
Appeasement-Politik
gegenuber Hitler-Deutschland und Mussolinis Italien abstimmte.
Außenminister
Anthony Eden zeigte sich zunehmend verargert von der Beharrlichkeit, mit der Chamberlain sich in sein Ressort einmischte und ? unterstutzt von Halifax ? das Appeasement insbesondere gegenuber
Benito Mussolini
weiterverfolgte. Eden, der in Mussolini einen unglaubwurdigen Gangster sah, trat daher am 20. Februar 1938 von seinem Amt zuruck. Halifax wurde sein Nachfolger. Drei Wochen spater kam es zum
Anschluss Osterreichs
an Nazi-Deutschland. Die Tschechoslowakei, bis dahin durch ihre
Festungsanlagen
im
Sudetenland
entlang der gemeinsamen Grenze relativ gut gegen einen Angriff durch das Deutsche Reich geschutzt, sah sich nun ernsthaft bedroht. Denn uber Osterreich ließ sich der Festungsgurtel leicht umgehen.
Halifax’ Umgang mit der Krise trug ihm große Kritik ein. Die britische Außenpolitik ging davon aus, dass europaische
Diktatoren
generell ehrenhaft, vernunftig und einem allgemeinen Krieg auf dem Kontinent abgeneigt seien. Alle drei Hypothesen stellten sich als falsch heraus. Das nachste Resultat dieser ernsten Fehleinschatzung war der Untergang der Tschechoslowakei, ihres Militars und ihrer (Rustungs-)Industrie, die sich Nazi-Deutschland einverleiben konnte, ohne dass ein Schuss fiel. Nach dem
Munchner Abkommen
, in dem die Tschechoslowakei zunachst das Sudetenland abtreten musste, hatte Prasident
Edvard Bene?
protestiert, dass er vor vollendete Tatsachen gestellt worden sei, ohne uberhaupt zur Munchner Konferenz eingeladen worden zu sein. Chamberlain hatte ihm darauf geantwortet, dass Großbritannien wegen des Sudetenlandes keinen Krieg beginnen werde. Halifax hatte ernste Zweifel, ob dies nicht zu einer kompletten
Zerschlagung der Tschechoslowakei
fuhren werde, die dann im Marz 1939 tatsachlich erfolgte. Aus der berechtigten Sorge, das britische Militar sei fur einen Krieg mit Deutschland nicht gerustet, unternahm er jedoch keinerlei Anstrengungen, die britische Außenpolitik zu andern. Er ließ es zu, dass Chamberlain ihn bei den fruchtlosen Konferenzen in
Berchtesgaden
,
Godesberg
und
Munchen
ins Abseits stellte und ohne ihn daran teilnahm.
Weitere Misserfolge verschlechterten die Lage zusatzlich: Am 7. April 1939 erfolgte die
italienische Besetzung Albaniens
, im selben Monat kundigte Hitler das im Juni 1935 geschlossene
deutsch-britische Flottenabkommen
, und am 22. Mai 1939 schlossen Italien und Deutschland den
Stahlpakt
, in dem sich beide Machte im Kriegsfall zu uneingeschrankter Unterstutzung verpflichteten. Auch dem
Hitler-Stalin-Pakt
, der unmittelbar zum
Zweiten Weltkrieg
fuhrte, gingen Fehleinschatzungen der Westmachte Großbritannien und
Frankreich
voraus. Deren Politik war seit Anfang der 1920er Jahre darauf gerichtet, die
Sowjetunion
von der Regelung mitteleuropaischer Streitfragen auszuschalten. Daher hatten sie die Bemuhungen
Stalins
, eine gemeinsame Front gegen das
Dritte Reich
zustande zu bringen, lange Zeit ignoriert. Zwar schlossen sie Ende Juli 1939 ein provisorisches Abkommen mit der Sowjetunion, aber die Bemuhungen uber ein erganzendes Militarabkommen blieben erfolglos. Dass Moskau gleichzeitig intensiv mit Berlin verhandelt hatte, bemerkte Halifax erst, als es zu spat war. So musste er am 1. September 1939 erleben, wie mit dem deutschen
Uberfall auf Polen
die internationalen Strukturen zerfielen, um deren Erhalt er sich bemuht hatte. Zuvor hatte Hitler noch eine umfassende Regelung der deutsch-britischen Beziehungen in Aussicht gestellt fur den Fall, dass Großbritannien Hitler freie Hand gegenuber Polen lassen wurde. Gleichzeitig hatte Hitler jedoch bereits den Angriffsbefehl auf Polen gegeben.
Chamberlains umstrittene Politik wahrend der Friedenszeit und seine erfolglose Kriegfuhrung bis zum Fruhjahr 1940 zwangen ihn am 9. Mai zum Rucktritt. Halifax galt als relativ popularer Kandidat fur seine Nachfolge, aber er erklarte noch am selben Tag, dass er als Premier nicht in Betracht komme, da er als Mitglied des
Oberhauses
nicht die Regierung wahrend eines Krieges fuhren konne. Schwerer noch fiel ins Gewicht, dass er fur die Labour Party nicht akzeptabel war, die angesichts der desolaten Kriegslage zum Eintritt in eine Allparteienregierung der Nationalen Koalition bewegt werden sollte. Die Labour-Fuhrung bestand auf Winston Churchill als Regierungschef, da er dem Appeasement schon fruh und vehement widersprochen hatte und als kompromissloser Gegner Hitlers galt. So trat Churchill am 10. Mai 1940 sein Amt an. Wenngleich Konservativer, hatte der neue Premier kaum Ruckhalt in der eigenen Parlamentsfraktion. Diese stand weiterhin mehrheitlich hinter Chamberlain und Halifax. Daher behielt Churchill beide in der Regierung, Chamberlain als
Lordprasident
.
Die gegensatzlichen politischen Einschatzungen waren damit jedoch nicht ausgeraumt. Als sich Ende Mai 1940, nach dem raschen Vormarsch der deutschen
Wehrmacht
im
Westfeldzug
, der Zusammenbruch der
Niederlande
,
Belgiens
und Frankreichs abzeichnete, brachte Halifax die Moglichkeit eines Verstandigungsfriedens mit Nazi-Deutschland ins Spiel. Er glaubte, durch die Vermittlung Mussolinis sei eine Einigung mit Hitler moglich, die diesem zwar die Herrschaft uber Westeuropa, dem Empire aber seine Unabhangigkeit und Unversehrtheit lassen wurde. Eine entsprechende Anfrage bei Mussolini solle noch vor der drohenden Vernichtung der
britischen Expeditionsstreitkrafte
erfolgen, die in der
Schlacht von Dunkirchen
eingekesselt waren, um bei Verhandlungen noch uber ein Faustpfand zu verfugen. Churchill dagegen hielt schon die Andeutung von Verhandlungsbereitschaft gegenuber Hitler fur einen großen Fehler, da dies die Schwache der eigenen Position offensichtlich machen und eine deutsche Invasion Großbritanniens geradezu herausfordern musse. Er forderte, moglichst große Truppenteile aus Dunkirchen zu evakuieren und zur Not auch ohne Frankreich weiterzukampfen. Dass Churchill sich mit seiner kompromisslosen Haltung schließlich gegen Halifax durchsetzte, bewertet der Historiker
John Lukacs
als entscheidende Wende im Zweiten Weltkrieg. Hitler sei einem Sieg nie wieder so nahegekommen wie Ende Mai 1940.
[1]
Die gelungene
Evakuierung der Truppen aus Dunkirchen
und die erfolgreiche Verteidigung Großbritanniens in der
Luftschlacht um England
bewirkten in der Offentlichkeit und im Parlament den endgultigen Meinungsumschwung zugunsten Churchills und seiner Position. Halifax selbst begrundete im August 1940 in einer Unterhausrede die Ablehnung eines vagen Friedensangebots von Seiten Hitlers. Als Außenpolitiker ohnehin gescheitert, wurde Halifax nun auch nicht mehr gebraucht, um die konservative Parlamentsfraktion auf Churchills Seite zu halten.
Der Labour-Abgeordnete
Aneurin Bevan
sagte in einer Unterhaussitzung am 5. November 1940: “The Foreign Office has had a long series of uninterrupted disasters for 10 years. It is the worst Department in the Government, and that is saying a great deal because some of them are pretty bad.” ? ?Das Außenamt blickt auf eine Serie ununterbrochener Katastrophen in den letzten 10 Jahren zuruck. Es ist das schlechteste aller Ministerien dieser Regierung, und das will etwas heißen, weil etliche davon ziemlich schlecht sind.“ Halifax wurde am 22. Dezember 1940 als Außenminister durch seinen Vorganger Anthony Eden ersetzt.
In seiner Halifax-Biographie geht
Andrew Roberts
auf den spaten Politikwechsel des Außenministers ein. Das Ringen um Frieden, so greifbar in Halifax’ Diplomatie bei Ausbruch des Krieges, sei durch Hitlers Abenteurertum so tief enttauscht worden, dass er gegenuber spateren Friedensangeboten weitgehend immun gewesen sei. Zum Beweis fuhrt Roberts an, dass Halifax auch die Initiativen ablehnte, die von Papst
Pius XII.
, den
niederlandischen
und
belgischen
Monarchen und nicht zuletzt vom
US-amerikanischen
Prasidenten
Franklin D. Roosevelt
ausgingen: Er war der Uberzeugung, dass die Unterstutzung Hitlers durch die Deutschen bei Kriegsbeginn zu uberwaltigend war und dass ohne die vollstandige
Diskreditierung
des Diktators jede Friedensregelung wertlos sei.
Andere Historiker weisen dagegen darauf hin, dass das
Foreign Office
dem deutschen
Widerstand
vom Herbst 1939 bis 1943 uber den
Vatikan
Angebote unterbreiten ließ, die eine territoriale Vergroßerung Deutschlands uber die Grenzen von 1938 hinaus einschlossen: Die Konservativen im deutschen Widerstand um
Carl Friedrich Goerdeler
, Generaloberst
Ludwig Beck
, Admiral
Wilhelm Canaris
,
Johannes Popitz
, von Hassel und
Adam von Trott zu Solz
suchten ? wie schon die demokratischen Politiker der Weimarer Republik ? eine Revision des Versailler Vertrages und die Wiederaufnahme des Deutschen Reiches in das Konzert der europaischen Machte. Dazu gehorten nach ihrer Vorstellung die Wiederherstellung der deutschen Ostgrenzen von 1914 inklusive der Beseitigung des
polnischen Korridors
, die Eingliederung Osterreichs,
Sudtirols
und des Sudetenlandes, eine deutsche Hegemonie auf dem
Balkan
und Anteil am europaischen Kolonialbesitz. Bei einem Treffen am 8. Januar 1940 mit
Lonsdale Bryans
, dem Kontaktmann fur
Ulrich von Hassell
, dem außenpolitischen Experten des konservativen deutschen Widerstands, wird Halifax zitiert mit den Worten, dass ?er ?personlich’ dagegen sei, wenn die Alliierten aus einer Revolution in Deutschland durch Angriff auf den
Westwall
Vorteile ziehen wollten…“, falls dies ein Regime an die Macht brachte, das zu Verhandlungen bereit sei.
Diese Linie gegenuber dem deutschen Widerstand wiederholte sich bei den Sondierungsbemuhungen von Papst Pius XII. am 28. Juni 1940 hinsichtlich der Bedingungen fur eine Friedensvermittlung, die Halifax am 22. Juli 1940 ziemlich brusk nur fur den Fall einer verhandlungsfahigen (deutschen) Regierung zuruckwies. Im Juli 1940 initiierte Halifax eine strikte Ablehnung des Foreign Office gegenuber deutschen Friedensfuhlern durch den
Apostolischen Nuntius
in
Bern
, den
portugiesischen
Diktator
Antonio de Oliveira Salazar
in
Lissabon
und den
finnischen
Premierminister wenige Wochen vor seiner Stellungnahme zu den ?vorsichtigen und halbgaren“ Vorschlagen des Papstes.
Winston Churchill und Lord Halifax waren sehr gegensatzliche Charaktere und pflegten keine enge Beziehung. Churchill behielt den Außenminister seines Vorgangers noch sieben Monate im Amt, um wahrend der Zeit der großten Bedrohung Großbritanniens die Einheit der Konservativen Partei und der Regierung zu demonstrieren. Wohl auch, um den fruheren Rivalen loszuwerden, machte Churchill Halifax zum britischen Botschafter in
Washington
. Ahnlich war er schon mit
Samuel Hoare
verfahren, einem weiteren Mitglied der Cliveden-Clique, das er auf den Botschafterposten in
Spanien
abgeschoben hatte.
Im Dezember 1940 schrieb Churchill an Roosevelt:
?I have now decided to ask for your formal agrement to the appointment of Lord Halifax as our Ambassador to the United States. I need not tell you what a loss this is to me personally and to the War Cabinet. I feel however that the transaction of business and the relationship between our two countries, and also the contact with you, Mr. President, are of such supreme consequence to the outcome of the war that it is my duty to place at your side the most eminent of my colleagues, and one who knows the whole story as it unfolds at the summit.
[2]
“
In den USA erwies sich Halifax anfangs als ungeschickt. Ihm unterliefen eine Reihe breit publizierter Fehltritte, zu denen auch einige schlecht aufgenommene Witze uber
Baseball
gehorten. Auf die amerikanische Offentlichkeit wirkte er als distanzierter, unnahbarer britischer
Aristokrat
, der er wohl auch war. Die Beziehungen insbesondere zu Prasident Roosevelt verbesserten sich schrittweise, aber Halifax spielte auch in Washington nur eine Nebenrolle, da Churchill enge personliche Kontakte in den USA nutzte. Einmal mehr wurde Halifax durch seinen Premierminister kaltgestellt und von sensiblen Diskussionen oft ausgeschlossen. Als alter Mann, der den Tod seines mittleren Sohns an der Front im Jahre 1942 betrauerte, war Halifax Washington leid und bat Anthony Eden, ihn zu ersetzen. Schließlich aber blieb er auf seinem Posten bis in die Amtszeit der Nachfolger Roosevelts und Churchills, Prasident
Harry Truman
und Premierminister
Clement Attlee
. Als die USA bei Kriegsende abrupt die Lieferungen aufgrund des
Leih- und Pachtgesetzes
aussetzten, von denen die britische
Wirtschaft
abhing, gelang Halifax keine fur Großbritannien vorteilhafte Losung. Auch die folgenden Darlehensverhandlungen waren davon belastet und endeten unbefriedigend fur das Vereinigte Konigreich.
Erfolgreicher war seine Beteiligung an einer Vielzahl internationaler Konferenzen. So nahm er vom 25. April bis 26. Juni 1945 an der
Konferenz von San Francisco
teil, die zur Grundung der
Vereinten Nationen
fuhrte, an deren erster Sitzung er Großbritannien vertrat. Den sowjetischen Außenminister
Molotow
beschrieb er in seinen Erinnerungen zwar als ?lachelnden Granit“, aber erneut glaubte er, dass Churchill, der zur selben Zeit den Begriff des
Eisernen Vorhangs
pragte, die Bedrohung durch diesen neuen weltpolitischen Gegner uberschatzte. 1957 veroffentlichte er seine Autobiographie
The Fulness of Days
.
Am 11. Juli 1944 wurde er zum
Earl of Halifax
erhoben. Nach seinem Ruckzug aus der aktiven Politik 1946 ubernahm er fast nur noch
Ehrenamter
wie die des Kanzlers der
Universitat Sheffield
, des Kanzlers des Hosenbandordens und des Vorsitzenden der
BBC
. 1946 wurde er mit dem
Order of Merit
ausgezeichnet. Er starb unmittelbar vor
Weihnachten
1959 auf seinem Anwesen Garrowby Hall.
Am 21. September 1909 hatte er Lady Dorothy Evelyn Augusta Onslow (1885?1976), Tochter des
William Onslow, 4. Earl of Onslow
, geheiratet. Mit ihr hatte er funf Kinder:
Seine Adelstitel fielen 1959 an seinen altesten Sohn Charles.
Der Nachwelt ist Lord Halifax vor allem als Vertreter der verfehlten britischen Appeasement-Politik gegenuber Nazi-Deutschland und als innerparteilicher Gegenspieler Churchills in Erinnerung geblieben. Halifax’ Politik und seine Motivlage wird bis heute kontrovers beurteilt.
In dem Roman
The Remains of the Day
von
Kazuo Ishiguro
sowie in dem darauf basierenden, 1993 veroffentlichten Film
Was vom Tage ubrig blieb
klingt das Dilemma der Appeaser an, die in dem aufrichtigen Bemuhen, den Frieden zu bewahren, den Krieg nur umso wahrscheinlicher machten. In dem Film wird Halifax von
Peter Eyre
dargestellt. Auch das Kinodrama
Die dunkelste Stunde
von 2017, das in den kriegsentscheidenden Tagen Ende Mai 1940 spielt und dessen Darstellung sich an John Lukacs orientiert, schildert den Gegensatz zwischen Churchill und Halifax, hier verkorpert durch
Stephen Dillane
. Ein positiveres Bild zeichnete
Richard Attenborough
1982 in dem Spielfilm
Gandhi
. Sir
John Gielgud
ist darin in der Rolle des kompromissbereiten Halifax zu sehen, der als Lord Irwin Vizekonig von Indien war.
- ↑
John Lukacs:
Funf Tage in London. England und Deutschland im Mai 1940
, Siedler-Verlag, Berlin 2000
- ↑
www.nationalchurchillmuseum.org
- Autobiographie ?
Fullness of Days
, Collins, 1957
- Alan Campbell-Johnson:
Viscount Halifax: A biography
, R. Hale, 1941
- Frederick Winston Furneaux Smith:
Earl of Halifax: the life of Lord Halifax
, Hamilton, 1965
- John Lukacs
:
Funf Tage in London
. England und Deutschland im Mai 1940
, Siedler-Verlag, Berlin 2000
- Andrew Roberts
: *
The Holy Fox: A Biography of Lord Halifax
. Weidenfeld & Nicolson, London 1991.
ISBN 0-297-81133-9
.
Botschafter des Vereinigten Konigreichs in den Vereinigten Staaten