Die Bruder Karamasow

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Titelseite der ersten Ausgabe des Romans Die Bruder Karamasow von Fjodor Dostojewski , November 1880
Portrat des Schriftstellers Fjodor Dostojewski , Ol auf Leinwand (1872) von Wassili Grigorjewitsch Perow , Tretjakow-Galerie , Moskau

Die Bruder Karamasow ( russisch Братья Карамазовы Bratja Karamasowy ), in manchen Ausgaben auch Karamasoff , ist der letzte Roman des russischen Schriftstellers Fjodor M. Dostojewski , geschrieben in den Jahren 1878?1880.

Inhalt [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Dostojewskis Roman hat einen ahnlichen Aufbau wie eine Kriminalgeschichte : Konfliktsituation in einer Familie, Mord, Recherchen und Verhaftung des Verdachtigen, Gerichtsverhandlung mit Zeugenaussagen, Pladoyers und Urteil. Der Leser verfolgt diese Ablaufe, erfahrt gegen Ende, wer der Tater ist, und erlebt die Entwicklung eines Justizirrtums mit. Die Bedeutung des Romans besteht allerdings in der Verbindung dieser Spannungselemente mit einer Darstellung der gesellschaftlichen Struktur und der politisch-philosophischen Diskussionen im damaligen Russland. Ein Abbild dieser Situation ist die Familie Karamasow mit Kindern aus verschiedenen legalen und illegalen Beziehungen, der Dienerschaft und den Liebesbeziehungen zu sozial unterschiedlich bewerteten Frauen. Der Roman endet fur die Beteiligten mit einer Katastrophe: Sie sind entweder korperlich oder seelisch krank oder mussen in die Verbannung gehen bzw. aus Russland fliehen. Dostojewskis Hoffnungstrager fur eine neue moralische Gesellschaft ist der am Schluss von den Jugendlichen umjubelte Alexej.

Hauptpersonen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Der 55-jahrige Patriarch Fjodor Karamasow entstammt dem alten, niederen Landadel und ist durch Spekulationshandelsgeschafte reich geworden. Um seine Familie kummert er sich nicht und uberlasst die Erziehung der Sohne, nach dem fruhen Tod seiner beiden Frauen, anfanglich dem Diener Grigori Kutusow und dessen Frau Marfa bzw. Verwandten, die fur eine Gymnasialausbildung sorgen. Er selbst lebt seine Leidenschaften hedonistisch aus.

Die auf wenige Tage im September und, nach einem Zwei-Monate-Sprung, November konzentrierte Haupthandlung beginnt mit der Ruckkehr der drei erwachsenen Sohne. Sie vertreten unterschiedliche Weltanschauungen und diskutieren diese untereinander und mit dem Vater. Das Verhaltnis wird aus finanziellen und personlichen Grunden, vor allem zwischen Fjodor und seinem altesten Sohn, immer spannungsreicher.

Wahrend ihrer Sommerferien in Staraja Russa lernten die Dostojewskis die Familie Menchow kennen, deren Tochter Agrippina dem Schriftsteller als Vorlage fur die Gestaltung der ?Gruschenka Swetlowa“ diente. Deshalb wird das gegenuber dem Dostojewski’schen gelegene Haus ?Gruschenka-Haus“ genannt.

Dmitri ist der alteste (28 Jahre) Sohn von Fjodor Karamasow und der einzige Nachkomme aus dessen erster Ehe mit Adelaida Iwanowna Miusow . Er ist Soldat und fuhrt ein zugelloses Leben, das gepragt ist von der ?karamasow’schen Seele“, das heißt emotional widerspruchlichen, sprunghaften Verhaltensweisen. Beispielhaft dafur ist seine komplizierte Beziehung zur stolzen Offizierstochter Katerina (Katja) Werchowzew . Da er sich in sie verliebt hat, sich aber von ihr wenig beachtet fuhlt, nutzt er einen finanziellen Engpass aus und schlagt ihr vor, die Schulden ihres Vaters zu begleichen und damit dessen Ehre zu retten, wenn sie seine Geliebte wird. Als sie gezwungenermaßen, in Uberwindung ihrer moralischen Einstellung einwilligt, verzichtet er, plotzlich sich der anderen Seite seines Wesens besinnend, großzugig auf ihre Gegenleistung. Nachdem er wieder einmal in großen Geldnoten, sie aber durch eine Erbschaft reich geworden ist, bietet sie ihm aus dankbarer Liebe ihr Geld und die Ehe an. Sie verloben sich, doch bald darauf verliebt sich Dmitri in Agrafena Swetlowa (Gruschenka) , die wegen ihres Vorlebens mit dem polnischen Offizier Mussjalowitsch und der Verbindung mit ihrem Wohltater, dem Kaufmann Samsonow, in der gehobenen Gesellschaft nicht anerkannt ist. Gruschenka hat eine seinem Charakter entsprechende ambivalente, leidenschaftliche Seele und wird auch von seinem Vater umworben.

Der 24-jahrige Iwan , der die Universitat besucht hat, verdient seinen Unterhalt mit Privatstunden und dem Schreiben von philosophischen Artikeln. Er verkorpert den aufgeklarten, verstandesorientierten, atheistischen Intellektuellen . Er bezweifelt, aus Enttauschung uber das von Gott nicht verhinderte Leid in der Welt, die Autoritat der christlichen Gebote und der damit verbundenen Belohnungen und Strafen. Deshalb sei der Mensch sein eigener Gott und folglich moralisch in seinen Entscheidungen und Taten frei. Diese Theorie fuhrt in Verbindung mit seiner unglucklichen Vaterbeziehung und der Gefolgschaft Smerdjakows zur Katastrophe. Ein weiterer Aspekt der komplexen Familienbeziehungen ist die Liebe Iwans zu Katerina, die sein Bruder bereit ist an ihn abzugeben. Sie ist verwirrt durch diese Situation zwischen Eifersucht auf Gruschenka und Achtung des ernsthaften Iwan, was nach dessen Selbstbeschuldigung, moralisch mitverantwortlich fur den Vatermord zu sein, zu einer Anderung ihrer Aussage im Laufe des Gerichtsprozesses und zur Belastung Dmitris fuhrt.

Iwans Ideen finden vor allem das Interesse seines mutmaßlichen, gleichaltrigen Halbbruders Pawel Smerdjakow . Dieser arbeitet im Haus Karamasow als Koch und alle Indizien, obwohl Fjodor sich nicht als Vater bekennt, sprechen dafur, dass er sein illegitimer Sohn [1] mit der geistesgestorten Lisaweta Smerdjastschaja, der ?Stinkenden“ ist. Er bewundert Iwan als seinen Mentor und ist bereit, da er an dessen Einverstandnis glaubt, fur ihn einen Mord zu begehen, um ihm zu einer großeren Erbschaft zu verhelfen. Er erhofft sich dadurch dessen Anerkennung. Als dieser jedoch uber seine Tat und seine eigenen unbewussten Wunsche entsetzt ist, erhangt er sich, ohne ein Gestandnis zuruckzulassen, und lasst damit zu, dass Dmitri verurteilt wird.

Alexej (?Aljoscha“) ist der jungste Sohn (20 Jahre) und Iwans Vollbruder. Er wird im Vorwort vom Erzahler zum Protagonisten erklart und begleitet den Leser die meiste Zeit. Er ist Novize und Schuler des Priestermonchs und Starez Sossima , der als Gegenfigur zu Fjodor gezeichnet wird und Alexejs geistiger Vater ist. Wie sein Vorbild Sossima vertritt Alexej ein russisch-orthodoxes Christentum, in dessen Zentrum Mitleid, gegenseitiges Verzeihen und Vergebung der Schuld stehen. Er versucht in den komplizierten personalen Beziehungen zu vermitteln und ist standig auf dem Weg von einer Person zur anderen, um sich die verschiedenen Geschichten anzuhoren, um Botschaften weiterzugeben und um Verstandnis fureinander zu werben. So gelingt es ihm, den neunjahrigen Iljuscha Snegirjow , der verachtet wird, weil sein Vater Nicolai Snegirjow ein aus dem Dienst entlassener, verarmter Soldat ist, mit seinen Schulkameraden, unter denen auch der von ihm bewunderte Kolja Krassotkin ist, auszusohnen. Alexej geht auch zuerst einmal auf die Heiratswunsche der psychisch-physisch kranken, in ihn verliebten 14-jahrigen Lisa Chochlakow ein, verlagert diese Wunsche jedoch geschickt in die Zukunft und hilft ihr so bei der Bewaltigung ihrer Krise. Mit dieser Einstellung verlasst er nach Sossimas Rat das Kloster.

Handlung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Die Haupthandlung beginnt mit Dmitris Streit mit dem Vater, der ihm angeblich Geld aus dem Erbe seiner Mutter schuldet und der um dieselbe Frau, Agrafena Alexandrowna, wirbt. An den ersten beiden Tagen (1. und 2. Teil) entfaltet sich diese Konfliktsituation zunehmend und eskaliert am dritten (3. Teil): Iwan fahrt aus Enttauschung daruber, dass sich Katerina trotz Dmitris Abwendung nicht von ihm losen kann, nach Moskau, wahrend Dmitri die ganze Zeit uber Geld fur ein Zusammenleben mit Gruschenka zu leihen versucht, das Vaterhaus beobachtet, um zu sehen, ob sie seinen Vater besucht, und dabei den ihn im Garten uberraschenden Diener Grigori niederschlagt. Schließlich erfahrt er von Gruschenkas Treffen mit ihrem fruheren Liebhaber, dem polnischen Offizier, in Mokroje und reist ihr nach. Inzwischen hat Smerdjakow die Situation genutzt, Fjodor ermordet, Spuren gelegt und die 3000 Rubel versteckt.

Im Prozess vor dem Bezirksgericht (4. Teil) wird Dmitri des geplanten Mordes und Diebstahls beschuldigt. Da er verschiedentlich geaußert hat, den Vater toten zu wollen, und ihn auch tatlich angegriffen hat, ist der Verdacht sofort auf ihn gefallen, zumal er am Tatort war (3. Teil, 8. Buch, 4. Kap.) und in derselben Nacht fur ein orgiastisches Fest mit Gruschenka in einer Gastwirtschaft des Dorfes Mokroje viel Geld verjubelt hat (3. Teil, 8. Buch, 5. und 6. Kap.), obwohl er vorher bei seinen Bekannten vergeblich großere Summen zu leihen versuchte. Der Staatsanwalt vermutet, dass er nach dem Mord die 3000 Rubel gestohlen hat, die sein Vater aufbewahrt hatte, um sie der Geliebten zu schenken, wenn sie ihn besucht. Es gibt zwar keine Tatzeugen, aber die Indizien sprechen gegen ihn und das Gericht glaubt nicht seiner von Katerina bestatigten, verworrenen Erklarung, dass das Geld ihr gehort. So wird Dmitri schließlich zur Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt. Anfanglich akzeptiert er dies als gerechte Strafe fur seinen Hass und seine Mordgedanken, willigt dann aber doch in die Fluchtplane seines Bruders Iwan ein. Er wird sich namlich zusammen mit seinem Bruder Alexej daruber bewusst, dass die Strafe, zumal er unschuldig ist, fur ihn zu schwer ware und er daran zu Grunde ginge. Der wirkliche Tater ist Smerdjakow, der Iwan den Mord gesteht (4. Teil, 11. Buch, 8. Kap.) und sich am Tag vor dem Prozessbeginn erhangt. Er hat geglaubt, durch die Tat einer unausgesprochenen Aufforderung Iwans nachzukommen.

Mit diesem Hauptstrang der Handlung sind weitere, die Thematik der Eltern-Kind-Beziehung illustrierende Geschichten verwoben: z. B. die der Gutsbesitzerin Katerina Chochlakow und ihrer ubersensiblen, seit einem halben Jahr an den Fußen gelahmten, in Alexej verliebten 14-jahrigen Tochter Lisa. Wahrend Frau Chochlakow wegen ihrer engen kommunikativen Vernetzung im Roman eine Verbindungsrolle spielt, bildet die Handlung um den Starzen Sossima (2. Teil, 6. Buch, 2. Kap.), einen hochangesehenen Monch aus einem Kloster nahe der Stadt, in dem Aljoscha eine Zeit lang gelebt hat, einen eigenen Schwerpunkt: eine Gegenwelt zur sakularisierten Stadt. Wie Sossima fungiert auch der verarmte ehemalige Soldat Nicolai Snegirjow als liebevoll-vaterliche Kontrastfigur zu Fjodor Karamasow: Sein an Schwindsucht erkrankter Sohn Iljuscha kann die Verspottung seines Vaters durch Dmitri nicht verwinden und stirbt am Ende des Romans.

Idee [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Grabmal Dostojewskis in Sankt Petersburg , mit dem Bibelwort Joh. 12, 24, das auch das Motto der Bruder Karamasow ist.

Die Bruder Karamasow sind als ?Roman einer Idee“ stark konstruiert: Drei Bruder, die fur verschiedene Prinzipien stehen (Iwan fur das Denken, Dmitri fur die Leidenschaft, Aljoscha fur schopferischen Willen) und die jeweils eine weibliche Figur an ihrer Seite haben, stehen zwei Vaterfiguren gegenuber: ihrem leiblichen Vater, der Zeugung und Tod symbolisiert, und dem Starzen Sossima als Verkorperung von Opfer und Auferstehung. Die Bruder sind durch ihren Hass auf den alten Karamasow in Schuld verstrickt und leben in Zerrissenheit (russisch: nadryw ). In Iwans Reflexionen spiegelt der Autor seine Kritik an der philosophisch-ethischen Verunsicherung der russischen Gesellschaft. Iwan steht fur den intellektuellen, westlich denkenden Zweifler an Gott und allen Werten, der sozusagen an der Aufklarung erkrankt ist, zugleich aber von tiefer Menschenliebe ergriffen ist. Seine Zweifel treiben ihn in den Wahnsinn: Er ist nicht sicher, ob ein in seinem Zimmer auftauchender kleiner Teufel eine eigenstandige transzendente Erscheinung oder seine eigene Projektion ist (4. Teil, 11. Buch, 9. Teil). Zudem muss er durch die drei Gesprache mit Smerdjakow erkennen, dass er diesem den Anlass zu dem Mord gegeben hat und in Wirklichkeit dessen Gebieter war. Doch vor Gericht will ihm niemand Glauben schenken, da er in einer Art Fieberwahn spricht. Vielmehr wird seine Aussage von der Anklage nur als Ausdruck seines Edelmuts gedeutet, da man ihm unterstellt zu lugen, um den Bruder zu entlasten.

Aus ihrer Verstrickung konnen die Sohne nur befreit werden, indem sie ihre Schuld und die dafur auferlegte Suhne annehmen (auch wenn sie im juristischen Sinne unschuldig sind) und statt egoistisch-egozentrisch nur um sich selbst zu kreisen, ihr Leben der ?werktatigen Liebe“ widmen. [2] Auf diesen Lebenssinn durch Suhne, Opfer und Nachstenliebe weist auch das Motto des Romans hin: ?Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fallt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“ ( Joh 12,24  LUT ).

Der Roman entfaltet eine Fulle tiefer Gedanken uber die christliche Religion und die in ihr aufgehobenen menschlichen Grundfragen nach Schuld und Suhne , Leid und Mitleid , Liebe und Versohnung . Dabei vermittelt Dostojewski durch die Figur des Starzen einen spezifischen Gottesglauben.

In der von Iwan verfassten Legende vom Großinquisitor (2. Teil, 5. Buch, 5. Kap.), die er Aljoscha als Ausdruck seiner tiefsten Uberzeugungen erzahlt, formuliert Dostojewski das Theodizee -Problem, wie auch durch die Frage Fjodors an seine beiden Sohne: ?Ist Gott tot?“ Fjodor kennt nur den Zweifel. Iwan kann und will einen Gott, der unschuldiges Leiden zulasst, nicht akzeptieren: ?Ich leugne gar nicht, daß es einen Gott gibt, aber diese von ihm geschaffene Welt lehne ich ab. Ich gebe ihm mein Eintrittsbillett in diese Welt zuruck.“ (2. Teil, 5. Buch, 4. Kap.). Entsprechend ubernimmt in seiner Legende der Großinquisitor die Macht auf der Erde und herrscht mit einem strengen Strafsystem, um das Leben der Menschen zu regeln. Den in der Welt erschienenen Jesus schickt er in die Transzendenz zuruck. Aljoscha verweist demgegenuber auf die Mitleidstat Gottes in Christus .

Erzahlform [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Ein anonymer Erzahler bzw. Verfasser (Vorwort), der sich als ein Einwohner ?unserer Stadt“ bezeichnet, gibt einerseits, gewissermaßen in auktorialer Weise, einen Uberblick uber die Familiengeschichte Karamasow (1. Teil, 1. Buch) und die Biographien und Vorstellungen anderer Personen. Andererseits werden die Handlungen und die darin integrierten Erzahlungen meist chronologisch und, in personaler Form , aus der Perspektive der Sohne, vorwiegend aus der Alexejs, prasentiert. Dabei erhalt der Autor die Spannung aufrecht, indem er die Ausfuhrung des Mordes ausspart und vor dem Prozessbeginn als Ruckblick einschaltet. Dadurch ermoglicht er auch dem Leser, die Indizienketten des Staatsanwaltes und des Verteidigers zu uberprufen.

Durch die differierenden Positionen, die vielen Gesprache und die darin vertretenen unterschiedlichen Bewertungen, z. B. der Karamasow-Sohne und ihrer Diskussionspartner sowie die ausfuhrlichen Analysen wahrend der Gerichtsverhandlung und Pladoyers, entsteht ein polyphones , polyperspektivisches Bild, das Michail Bachtin als typisch fur die Romane Dostojewskis beschrieben hat. [3]

Einflusse [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Nach dem Tod des jungsten Sohnes Alexej im Mai 1878 suchte Dostojewski im Juni desselben Jahres Hilfe beim Starez Amwrosi im Optina-Kloster bei Koselsk. Diese Erfahrung arbeitete der Autor in die Gestaltung des Starez Sossima [4] sowie in die Geschichte Snegirjows und des neunjahrigen Iljuscha mit ein, dessen Sterben und Begrabnis gegen Ende des Romans geschildert werden. In diesem Zusammenhang ist in der Kontrasthandlung zu dieser liebevollen Vater-Sohn-Beziehung die Namensgebung ?Fjodor“ fur den Vater Karamasow und ?Alexej (Aljoscha)“ fur dessen idealisierten jungsten Sohn, den Hoffnungstrager des Romans, von Bedeutung fur die Interpretation.

Kapitel 5 des ersten Buchs lehnt sich in der Darstellung des Starzentums stark an Kliment Zedergolms (auch Clement Sederholm genannt) wenige Jahre zuvor verfasste Hagiographie des Starez Leonid an. [5] Weitere Anregungen erhielt Dostojewski durch seine Freundschaft mit dem Religionsphilosophen Wladimir Sergejewitsch Solowjow und aus den philosophischen Schriften Nikolai Fjodorowitsch Fjodorows . [6]

Rezeption [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Die Rezeption des Werks war, sowohl im Negativen als auch im Positiven, von außergewohnlicher Intensitat. Die russischen Philosophen Wladimir Sergejewitsch Solowjow , Wassili Wassiljewitsch Rosanow und Nikolai Alexandrowitsch Berdjajew sowie der Schriftsteller Dmitri Sergejewitsch Mereschkowski nahmen verehrend Bezug auf die von Dostojewski entwickelten religiosen Ideen. Sehr kritisch sahen Dostojewski und insbesondere Die Bruder Karamasow Henry James , D. H. Lawrence , Vladimir Nabokov und Milan Kundera , welche unter anderem die morbide und depressive Grundstimmung des Romans bemangelten. [7] Nabokov hob den Mangel an außerem Realismus hervor: Anders als Tolstoi charakterisiere Dostojewski seine Personen nicht durch Details in Kleidung, Wohnung oder Umgebung, sondern durch ihre psychologische Reaktionen und ethische Situationen, wie es in Theaterstucken ublich sei:

?Der Roman Die Bruder Karamasow machte auf mich immer den Eindruck eines ausufernden Stuckes, mit gerade so viel Mobeln und Gerat, wie die verschiedenen Schauspieler brauchten: ein Tisch mit einer feuchten, runden Stelle, wo ein Glas stand, ein gelb angestrichenes Fenster, damit es so aussehen sollte, als ob draußen die Sonne schiene, oder ein Gebusch, das ein Buhnenarbeiter rasch noch besorgt und irgendwo hingestellt hat.“ [8]

Sigmund Freud bezeichnete Die Bruder Karamasow als einen der gewaltigsten Romane der Weltliteratur. Im Essay Dostojewski und die Vatertotung aus dem Jahr 1928 analysierte er das Werk psychoanalytisch und arbeitete dessen odipale Thematik heraus. [9]

Hermann Hesse sah im Jahr 1920 die Bruder Karamasow nicht als sprachliches Kunstwerk, sondern als Prophezeiung eines ?Unterganges Europas“, der ihm bevorzustehen schien. Statt der wertgebundenen Ethik Europas predige Dostojewski hier ?ein uraltes asiatisch- okkultes Ideal, […] ein Allesverstehen, Allesgeltenlassen, eine neue, gefahrliche grausige Heiligkeit“, die Hesse mit der Oktoberrevolution assoziierte:

?Schon ist […] der halbe Osten Europas auf dem Weg zum Chaos, fahrt betrunken in heiligem Wahn am Abgrund entlang, und singt dazu, singt betrunken und hymnisch wie Dmitri Karamasoff sang.“ [10]

Manche Interpreten sehen insbesondere in der Gestalt des Großinquisitors eine Verkorperung des Herrschaftswahns und des Totalitarismus , ein Vorabbild der kommenden Diktatur des atheistischen Sozialismus, deren Vordenker Iwan sei. Zum Stellenwert der Legende schrieb Dostojewski selbst 1879: ?Wenn der Glaube an Christus verfalscht und mit den Zielsetzungen dieser Welt vermengt wird, dann geht auch der Sinn des Christentums verloren. Der Verstand fallt dem Unglauben anheim, und statt des großen Ideals Christi wird lediglich ein neuer Turm zu Babel errichtet werden. Wahrend das Christentum eine hohe Auffassung vom einzelnen Menschen hat, wird die Menschheit nur noch als große Masse betrachtet. Unter dem Deckmantelchen sozialer Liebe wird nichts als offenkundige Menschenverachtung gedeihen.“ [11]

Fur den franzosischen Existenzialisten Albert Camus habe niemand in gleicher Weise wie Dostojewski ?der absurden Welt so eindringliche und so qualende Reize zu geben vermocht“. [12]

Die Ubersetzerin Swetlana Geier urteilt, Brat’ja Karamazovy weise ?in sublimater Form“ Zuge von Dostojewskis innerer Biographie auf. Damit habe er Gedanken seiner fruheren Romane, in denen er bis zur letzten Konsequenz nachverfolgte, was mit einem Menschen ohne Gott geschehe, ?korrigiert und vollendet“. [13]

Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki bezeichnete den Roman als den besten Roman der Welt:

?Als ich damals, meine Schulaufgaben und meine Freunde vernachlassigend, dieses Buch las, glaubte ich, es sei der beste Roman der Welt. Unter uns: Ich glaube es immer noch.“ [14]

Ubersetzungen ins Deutsche [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Fyodor Dostoyevsky, W. Komarowitsch: Die Urgestalt der Bruder Karamasoff, Dostojewskis Quellen, Entwurfe und Fragmente . Hrsg.: Rene Fulop-Miller, Friedrich Eckstein. R. Piper & Co., Munchen 1928 (erlautert von W. Komarowitsch mit einer einleitenden Studie von Sigm. Freud).
  • Alexander L. Wolynski: Das Reich der Karamasoff . R. Piper & Co., Munchen 1920.
  • Horst-Jurgen Gerigk (Hrsg.): Die Bruder Karamasow ? Dostojewskijs letzter Roman in heutiger Sicht, Elf Vortrage . Dresden University Press, 1997, ISBN 3-931828-46-8 .
  • Hermann Hesse : Die Bruder Karamasow oder Der Untergang Europas. In: Neue Rundschau . (1920 online bei archive.org) beziehungsweise ein neuerer Abdruck in: Volker Michels (Hrsg.): Hermann Hesse. Die Welt im Buch III. Rezensionen und Aufsatze aus den Jahren 1917?1925 . Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-518-41341-4 , S.   125?140 .
  • Peter Dettmering: Essay zu Karamasow ( online auf Google books)
  • Sigmund Freud : Dostojewski und die Vatertotung. Freud-Studienausgabe. Band 10, Frankfurt am Main 1969f., ( online auf Textlog )
  • Martin Steinbeck: Das Schuldproblem in dem Roman ?Die Bruder Karamasow“ von F. M. Dostojewskij. R. G. Fischer, Frankfurt am Main 1993, ISBN 3-89406-831-0 .
  • Robin Feuer Miller: The Brothers Karamazov: Worlds of the Novel . Yale University Press, New Haven 2008, ISBN 978-0-300-15172-5 .

Adaptionen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Verfilmungen

Oper

Theater

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Swetlana Geier : Brat’ja Karamazovy. In: Kindlers Literatur Lexikon im dtv . Band 3, Deutscher Taschenbuch Verlag, Munchen 1986, S. 1616.
  2. Swetlana Geier: Brat’ja Karamazovy. In: Kindlers Literatur Lexikon im dtv. Band 3, Deutscher Taschenbuch Verlag, Munchen 1986, S. 1616.
  3. Michail Bachtin: Probleme der Poetik Dostoevskijs . Ullstein 1988.
  4. Dirk Uffelmann: Der erniedrigte Christus. Metaphern und Metonymien in der russischen Kultur und Literatur. Bohlau, Wien 2010, S. 514.
  5. Leonard J. Stanton: Zedergol’m’s Life of Elder Leonid of Optina As a Source of Dostoevsky’s The Brothers Karamazov. In: Russian Review. 49, 4 (Oktober 1990), S. 443?455.
  6. Swetlana Geier: Brat’ja Karamazovy. In: Kindlers Literatur Lexikon im dtv. Band 3, Deutscher Taschenbuch Verlag, Munchen 1986, S. 1616.
  7. Robin Feuer Miller: The Brothers Karamazov: Worlds of the Novel . Yale University Press, New Haven 2008, ISBN 978-0-300-15172-5 , S.   7, 8 (englisch, eingeschrankte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  8. ?The novel The Brothers Karamazov has always seemed to me a straggling play, with just that amount of furniture and other implements needed for the various actors: a round table with the wet, round trace of a glass, a window painted yellow to make it look as if there were sunlight outside, or a shrub hastily brought in and plumped down by a stagehand.“ Vladimir Nabokov: Lectures on Russian Literature. Hrsg. v. Fredson Bowers. New York 1981, S. 71.
  9. Josef Rattner , Gerhard Danzer: Psychoanalyse heute: zum 150. Geburtstag von Sigmund Freud . Konigshausen & Neumann , Wurzburg 2006, ISBN 3-8260-3386-8 , S.   42 ( eingeschrankte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  10. Hermann Hesse: Die Bruder Karamasoff oder der Untergang Europas. Einfalle bei der Lekture Dostojewskis. In: Neue Rundschau . 1920, S. 376?388 ( online , Zugriff am 16. November 2013).
  11. Geir Kjetsaa: Dostojewskij: Strafling ? Spieler ? Dichterfurst. Gernsbach 1986, S. 411.
  12. Zit. nach Swetlana Geier: Brat’ja Karamazovy. In: Kindlers Literatur Lexikon im dtv. Band 3, Deutscher Taschenbuch Verlag, Munchen 1986, S. 1616.
  13. Swetlana Geier: Brat’ja Karamazovy. In: Kindlers Literatur Lexikon im dtv. Band 3, Deutscher Taschenbuch Verlag, Munchen 1986, S. 1616.
  14. Hochste Qualitat aus Rußland ? Wer ist der großte Romancier Abgerufen am 11. November 2016
  15. Wissenschaftliche Buchgesellschaft WBG, Darmstadt 1964, ohne ISBN, Dunndruckausgabe; Nachwort des Ubers, S. 1277?1286; Anmerkungen (Erlauterungen zu Begriffen) S. 1287?1295.
  16. Die Bruder Karamasow (Russland 1915) bei IMDb
  17. Die Bruder Karamasow (USA 1958) bei IMDb
  18. Die Bruder Karamasow (Sowjetunion 1969) bei IMDb
  19. Die Bruder Karamasow bei IMDb
  20. Karamasow (Tschechische Republik 2008) bei IMDb
  21. Die Bruder Karamasow (Russland 2009) bei IMDb
  22. Karada?lar showtvnet.com ( Memento vom 17. Marz 2012 im Internet Archive ) (Turkei 2010)
  23. Братья Карамазовы (Drama) auf der Internetseite des Tschechow-Kunsttheaters Moskau (russisch), abgerufen am 10. Juli 2020