Corpus iuris civilis

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Corpus iuris civilis, 1663

Das Corpus Iuris Civilis ( C.I.C. oder, zur besseren Unterscheidung vom kirchlichen Corpus Iuris Canonici , auch CICiv , dt.: ?Bestand des zivilen Rechts“) ist eine spatantike Gesetzessammlung des ostromischen Kaisers Justinian aus den Jahren 528 bis 534 n. Chr. Die Kompilationen wurden begrifflich zunachst als Corpus iuris bekannt und tragen den zusatzlichen Hinweis auf das Privatrecht ( civilis ) seit der Zeit des franzosischen Humanismus .

Die in einer spaten Restaurationsphase romischer Reichskultur entstandene Sammlung verschmolz vorklassisches mit in der Hauptsache klassischem Privatrecht. Erganzt wurde es durch nachklassische Rechtsanordnungen , die vornehmlich durch Kaiserkonstitutionen ergingen. Das zunachst in bloßer Vulgartradition stehende Fallrecht geriet ? im Mantel des Gesetzesrechts ? nach dem Untergang des Romischen Reiches weitgehend in Vergessenheit. Erneut aufgegriffen wurde es erst ab dem fruhen 12. Jahrhundert mit Wiederentdeckung einer Handschrift der Digesten . Fortan wurde es im Universitatsbetrieb zunehmend wissenschaftlich behandelt und einer Vielzahl von Bearbeitungen unterzogen, um es praxistauglich zu machen. Ausgangspunkt dafur waren die Glossatoren und im Anschluss die Kommentatoren .

Das Corpus bestand aus vier Buchern und war jahrhundertelang die wichtigste Textgrundlage des in weiten Teilen Europas bis ins 19. Jahrhundert angewandten romischen Rechts . Teil des Gemeinen Rechts im Heiligen Romischen Reich wurde es kraft Gewohnheitsrecht und im Rahmen der Idee einer translatio imperii . Sein Inhalt unterlag mehrstufigen und vielschichtigen Rezeptionsprozessen auch ist er in zahlreiche moderne Gesetzeswerke und Rechtsordnungen eingegangen. Wie kein anderes Recht unterlag das Corpus einer eingehenden Rezeptionsgeschichte und hat bis heute große Bedeutung fur die Rechtshistoriographie .

Name [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Der neuzeitliche Werktitel Corpus Iuris Civilis wurde erst im Humanismus gelaufig. Prominent erscheint er auf der 1583 erschienenen Druckausgabe der justinianischen Texte von Dionysius Gothofredus und hat sich seither allgemein durchgesetzt. Die Bezeichnung der Sammlung als corpus iuris (? Korpus des Rechts “) entspricht dagegen dem zeitgenossischen justinianischen Sprachgebrauch und findet sich auch im Mittelalter, etwa bei dem Glossator Accursius im 13. Jahrhundert. [1] [2]

Entstehung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Unter Leitung Justinians hochgebildeten Palastquastors Tribonian wurden die noch gultigen Kaisererlasse , die ab der Regierungszeit Hadrians verfasst wurden, Bestandteil des Codex Iustinianus . Dessen Kodifikation wurde im Jahr 529 erstveroffentlicht. Ende 533 erlangte dann eine Zweitauflage Gesetzeskraft, die bereits modifiziertes Recht wiedergab. Diese Fassung ist die bis heute bekannt gebliebene. Als Einleitung fur das viergliedrige Gesamtwerk wurden die Institutiones Iustiniani vorangestellt, ein Anfangerlehrbuch (fur den Rechtsunterricht), das sich an alte Lehrbucher anlehnte, insbesondere an das Werk des Hochklassikers Gaius . Die Institutionen wurden 533 zusammen mit der Zweitauflage des Codex promulgiert. Ebenfalls aus dem Jahr 533 stammt der Mittelteil des Gesamtwerks, die Digesten , die auch als Pandekten bezeichnet werden. Den Abschluss bildeten zwei Jahre spater ? 535 ? die Novellae . Dabei handelte es sich um eine Sammlung von Nachtragsgesetzen ( leges novellae ), die im Gegensatz zu den im Codex untergebrachten vorangegangenen Kaisererlassen ausschließlich aus der justinianischen Zeit stammten. Zumeist sind sie lediglich in griechischer Fassung uberliefert. Die Bucher des Corpus dienten dem Rechtsverkehr, der Rechtstheorie und dem Rechtsunterricht gleichermaßen. In den ersten vier Jahren wurden Auszuge aus der klassischen Rechtsliteratur studiert und im letzten, dem funften, Jahr die Kaiserkonstitutionen. [3]

Die Neu kodifikation des romischen Rechts stellte eine Meisterleistung dar, besonders angesichts der Kurze der Zeit. Altere Codices wurden in dem Zusammenhang obsolet und außerdem erleichterte das uberarbeitete Gesetzgebungswerk die zukunftige Prozessfuhrung erheblich. Zur Problematik der Interpolationen unter Justinian gibt es umfangreiche Literatur. [4] In mancherlei Hinsicht, so beispielsweise bezuglich der Rechtsstellung von Frauen und Sklaven , handelte es sich beim Corpus iuris civilis (CIC) um ein aus heutiger Perspektive fortschrittliches Gesetzeswerk. Aus dem Blickwinkel der damaligen Zeit trug es hingegen recht konservative Zuge, da in mehreren Punkten ein letztes Mal den Vorstellungen der romischen Rechtstradition gegenuber den Forderungen der christlichen Kirche der Vorrang eingeraumt wurde. So blieb beispielsweise die Scheidung noch immer ausdrucklich erlaubt, und auch die privatrechtliche Stellung der Frau , die sich im Verlauf der romischen Kaiserzeit stetig verbessert hatte, war nach dem CIC noch deutlich privilegierter, als spater im christlichen Mittelalter .

Den historischen Hintergrund der Neukodifikation bildete der stetige und schon von den Zeitgenossen als unaufhaltsam wahrgenommene Einflussverlust der romischen Hochkultur der klassischen Zeit . Justinian orientierte sich in diesem Punkt wehmutig ruckwarts und bezog sich ausdrucklich auf die bedeutende Rechtsliteratur der romischen Vergangenheit. Man beschloss deshalb, das hochdifferenzierte klassische Recht, das in einer verwirrenden Vielzahl an Rechtsquellen (alte Gesetze, Kaiserspruche, Schriften von Juristen etc.) verstreut existierte, bezuglich seiner noch brauchbaren und auch erneuerbaren Anteile in einem Werk zusammenzufassen und dann zu bewahren. Dabei sollte dasjenige Recht ausgeschieden werden, das in der Spatantike keine Geltung mehr beanspruchen konnte; alte Rechtsquellen wurden teils modifiziert und damit an die neue Rechtslage angepasst. Bestimmte Rechtstexte wurden schlicht weggelassen oder umformuliert und damit an die Bedurfnisse der Zeit angepasst. Erste Kodifikationsversuche waren schon von Diokletian unternommen worden, der die Codizes Gregorianus und Hermogenianus auf den Weg bringen ließ. [5] [6] Allein sie blieben Stuckwerk, ebenso wie der Codex Theodosianus , dessen Verfasser nur in der Lage waren, Konstitutionen der vergangenen 125 Jahre aufzuarbeiten. [7]

Aufbau und Abfassungszeit [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Die Teile des Corpus Iuris Civilis sind:

  • Institutiones (= ein juristisches Lehrbuch zur Einfuhrung in Codex und Pandekten, das vom Gesetzgeber gleich mitveroffentlicht wurde und somit besondere Autoritat hat. Nicht zu verwechseln sind die Institutionen mit den Institutiones des Gaius . Die Institutionen orientieren sich lediglich an dem Werk des Gaius.)
  • Pandekten | Digesta (lateinisch: geordnete Darstellung) oder Pandectai (griechisch: allumfassend), 533/534 (= Zusammenfassung des geltenden Rechts)
  • Codex Iustinianus (= gesammelte noch gultige Kaisergesetze seit dem 2. Jahrhundert n. Chr.)
  • Novellae : Kaiserliche Gesetze, die nach dem Jahr 534 erlassen wurden, wurden in verschiedenen Novellensammlungen gesammelt und veroffentlicht. Obwohl die Novellen Justinians auf Latein und, soweit sie den Osten betrafen, daneben auch auf Griechisch publiziert worden sein durften, ging die offizielle lateinische Version in den allermeisten Fallen fruh verloren, da man in Ostrom ab dem 7. Jahrhundert kein Latein mehr verstand, weshalb man sehr lange irrtumlich annahm, es habe sie nicht gegeben. [8] Im Mittelalter war dann in Westeuropa das sogenannte Authenticum verbreitet ? eine Novellensammlung mit 134 Novellen: die griechischen nun in lateinischer (Ruck-)Ubersetzung. Heute wird ublicherweise eine Novellensammlung mit 168 Novellen verwendet: die griechischen in der Originalsprache.

Die einzelnen Teile des Corpus Iuris Civilis sind in Bucher eingeteilt und jedes Buch wiederum in Titel. Jeder Titel wiederum ist in leges (Einzahl: lex , deutsch: Gesetz) unterteilt, die manchmal noch eine Untergliederung in Paragraphen aufweisen konnen.

Geschichte des Corpus Iuris Civilis in Spatantike und Fruhmittelalter [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Die Rezeption des antiken Rechts im Mittelalter sollte sich als ein wichtiger Aspekt bei der Entwicklung des modernen Rechts erweisen. In der Spatantike zerfiel das Romische Reich faktisch (nicht staatsrechtlich ) in zwei Reichsteile. Das Westromische Reich ging im Verlauf der Volkerwanderung unter, wahrend sich das Ostromische Reich noch jahrhundertelang halten konnte; bis ins 7. Jahrhundert blieb Ostrom dabei ein erkennbar romisch-spatantiker Staat. Wohl weil Kaiser Justinian aus einer der lateinischsprachigen Balkanprovinzen stammte, lag es fur ihn nahe, das alte Romische Reich wiederherzustellen. Er fuhrte eine Restaurationskampagne (gegen Vandalen , Ostgoten und Westgoten ), so dass die Ostromer im Westen teilweise wieder Fuß fassen konnten. In dieser Zeit des Aufbruchs wurde das Corpus Iuris Civilis geschaffen und ab 529 auch in den wiedergewonnenen Gebieten im Westen in Kraft gesetzt. Jedoch konnte das Ostromische Reich große Teile seiner bis 554 wiedergewonnenen Gebiete in Italien nicht lange gegen die seit 568 anruckenden Langobarden halten; bis 625 fiel Sudspanien wieder an die Westgoten, und Africa ging dann gegen Ende des 7. Jahrhunderts an die Araber verloren. Das Corpus Iuris Civilis galt in Italien zwar fur die romischen Burger weiter, doch war es von der weiteren Rechtsentwicklung weitgehend abgeschnitten. Recht wurde nur noch uber die Novellen der ostromischen Kaiser in Byzanz gesetzt, wo sich das Griechische nach Justinian immer mehr durchsetzte. Deshalb wurden auch die meisten Novellen der Novellensammlungen (s. o.) nach 535 nicht nur auf Latein, sondern daneben in griechischer Sprache abgefasst ? nur jene Gesetze, die sich explizit auf die lateinischsprachigen Gebiete des Reiches oder auf das gesamte Imperium Romanum bezogen, fuhrten zu Ausnahmen. Doch spatestens ab dem 7. Jahrhundert wurde das Lateinische im Osten ungebrauchlich, sodass Griechisch nunmehr die Rechtssprache wurde und das Corpus Iuris Civilis ubersetzungspflichtig wurde. Die lateinische Version der meisten Novellen ging verloren (s. o.).

Im westlichen Teil des ehemaligen Romischen Reiches blieb das Corpus Iuris Civilis , auf das zum Beispiel Papst Gregor der Große um 600 wiederholt Bezug nahm, noch eine gewisse Zeit bekannt. Das einst hochkomplexe klassische romische Recht war auf die aktuellen Lebensumstande der Zeit Justinians angepasst und verkurzt worden. Die einhergehende Simplifizierung geschah nicht erst durch den Einfluss germanischer Rechtsbrauche, vielmehr war sie schon in den spatantiken Entwicklungen, spater bekannt geworden als das Vulgarrecht , angelegt gewesen. Nach der Volkerwanderung fehlte dem Corpus allerdings die Interpretation durch entsprechend versierte Juristen und einschneidender noch, die Gesetzestexte fanden keinen gesellschaftlichen Ruckhalt mehr, weil sich die Rechtsvorstellungen verandert hatten. Die germanischen Herrscher der Nachfolgereiche erließen eigene Gesetze, Sammlungen von romischen und germanischen Rechten (siehe insoweit auch: Germanische Stammesrechte ). Letztere basierten eher auf dem (alteren) Codex Theodosianus von 438 als auf dem Codex Iustinianus . Man beschaftigte sich demzufolge auch immer weniger mit dem romischen Recht ? dies umso eher, als die ostromischen Kaiser nach 600 ihren politischen Einfluss auf Westeuropa weitgehend einbußten und ihr Reich in eine tiefe Krise geriet. Um diese Zeit verlor Latein im Osten endgultig den Status einer Rechts- und Verwaltungssprache, so dass die byzantinischen Gelehrten das Corpus Iuris fortan regelmaßig nicht mehr verstanden.

Der umfangreichste Teil des Corpus Iuris Civilis , die Digesten , geriet ab Mitte des 7. Jahrhunderts in West und Ost in Vergessenheit. Fur Jahrhunderte waren die Digesten damit ?verschollen“, bis sie Mitte des 11. Jahrhunderts wiederentdeckt wurden, in der Darreichung der Handschrift der sogenannten Littera Florentina . Daran schloss sich eine bewegte Zeit der Auseinandersetzungen mit den Fragmenten des Textes an, verstarkt vorangetrieben ab der zweiten Halfte des 11. Jahrhunderts durch Irnerius in Bologna .

Wiederentdeckung und Rezeption [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Digestorum, seu Pandectarum libri quinquaginta. Lugduni apud Gulielmu[m] Rouillium, 1581. Biblioteca Comunale ?Renato Fucini“ di Empoli

Die Wiederentdeckung der Digesten durch oberitalienische Gelehrte ebnete den Weg fur die Entstehung der modernen Jurisprudenz . Durch die Vervollstandigung der justinianischen Quellen hatte das Gesamtwerk eine Bedeutung erlangt, die als Offenbarung verstanden wurde. Dem Werk wohnte die ratio scripta inne, mit ihr verbunden, unbeschranktes Vertrauen. [9] Als erster bearbeitete Irnerius das Werk in großem Umfang wissenschaftlich. Es wird davon ausgegangen, dass er ausgebildeter Rhetorik ­lehrer war, der viel Erfahrung mit antiken Texten, darunter Rechtsliteratur, hatte. In der Zeit des Irnerius lieferten gegenwartsbezogene Rechtstexte kein den Digesten vergleichbares Niveau. Die germanischen Rechtsaufzeichnungen des fruhen Mittelalters wurden im Vergleich zum wiederentdeckten romischen Recht von den spateren humanistischen Juristen gar als ?Barbarengesetze“ abgetan. Irnerius muss uber die Qualitat der Digesten erstaunt gewesen sein, weshalb er sich dafur interessierte, die weitgehend unbekannte Materie zu erschließen. Er unterrichtete die Digesten auch, zunachst wohl im Rhetorikunterricht, spater im Rechtsunterricht.

Diejenigen Schuler, die die wissenschaftliche Beschaftigung mit den Digesten und dann auch den anderen Teilen des Corpus Iuris Civilis fortsetzten, waren die so genannten Glossatoren . Sie gingen aus der neu gegrundeten Rechtsschule von Bologna hervor. Das Studium dort war bald von so hohem Ansehen, dass Studenten aus ganz Europa nach Bologna stromten, um die Texte kennenzulernen. Spater entstanden auch an anderen Orten, zunachst Oberitaliens, dann in ganz Europa Universitaten mit wissenschaftlichem Rechtsunterricht (vgl. Gemeines Recht ). Nach klassischer Auffassung geschah die Arbeit der Glossatoren als Glossierung des geltenden Rechtes, da die romisch-deutschen Konige im Rahmen der Idee einer translatio imperii die Nachfolger der romischen Kaiser seien. Diese Auffassung wird jedoch als ubertrieben angesehen, so soll die Arbeit davon angetrieben worden sein, dass das Corpus iuris als eine ?Art zeitlose Rechtsoffenbarung“ angesehen wurde. [10] Die Idee einer translatio imperii wurde auch nur innerhalb des Reiches als eine mogliche Geltung romischen Rechtes rezipiert. [10] So ist bekannt, dass im fruhen 15. Jahrhundert die Idee gegenuber den Stadten Volterra und Lucca vertreten wurden, die zur terra imperii gehorten. Eine Rezeption des romischen Rechtes hing dabei stark von der kaiserlichen Autoritat ab und mit zunehmender Schwache dieser Autoritat begann das Argument der translatio imperii aus der rechtswissenschaftlichen Diskussion zu verschwinden. [11] An seine Stelle trat eine Geltung des romischen Rechtes aufgrund eines angeblich von Lothar III. erlassenes Gesetz von 1137. Zuerst taucht diese Stelle in nicht-juristischer gelehrter Literatur, beim Reformator Philipp Melanchthon , auf. [11]

Nach dem Studium gingen die Studenten als gelehrte Juristen wieder in ihre Heimatlander zuruck, um dort zunachst hohe Amter in der kirchlichen und in der weltlichen Verwaltung zu ubernehmen. [12] In der Ausubung ihrer Aufgaben konnten die Juristen ihre am romischen Recht erlernten Fahigkeiten anwenden, teils wendeten sie auch Rechtsinhalte des Corpus Iuris praktisch an. Spater ubernahmen die in Bologna ausgebildeten Juristen auch Amter in der Rechtsprechung und verdrangten dort allmahlich die ?ungelehrten Richter“ ( Laienrichter ), die das Romische Recht nicht studiert hatten, sondern Recht aufgrund lokaler Rechtsgewohnheiten sprachen. Ein Hohepunkt dieser Entwicklung ist die Schaffung des Reichskammergerichts , des hochsten Gerichts im Heiligen Romischen Reich , in dem die Halfte der rechtsprechenden Assessoren gelehrte Juristen sein mussten. Das romische Recht (und damit auch das CIC) spielte bereits in der Reichspolitik der romisch-deutschen Kaiser ab Friedrich I. Barbarossa eine nicht zu unterschatzende Rolle, da die Kaiser auf Grundlage des spatantiken Rechts versuchten, ihre eigene Position zu starken. Der letzte Kaiser, der dann Gesetze in das CIC einfugen ließ, war Heinrich VII. zu Beginn des 14. Jahrhunderts. Nach Einschatzung von Historikern ist jedoch die Rolle des CIC in dieser Zeit aber auch nicht zu uberschatzen, so sei ?die Bedeutung des Privatrechts im Mittelalter außerst gering.“ [13] Nach der Einschatzung einiger Wissenschaftler forderten diese kaiserlichen Handlungen, wie unter anderem, dass sich Friedrich I. beim Reichstag von Roncaglia 1158 von vier Juristen aus Bologna beraten ließ, und insbesondere die Berufung von ausgebildeten Juristen aber die Rezeption des romischen Rechtes als Teil des romisch-kanonischen Rechtes. [12]

Lotharische Legende und usus modernus [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Im 16. Jahrhundert wurde die Geltung des romischen Rechtes nicht mehr auf die Idee einer translatio imperii gestutzt, sondern auf das Gesetz Lothar III., bekannt geworden auch als Lotharische Legende . [11] Hermann Conring analysierte die Legende und kam zu dem Schluss, dass die Darstellung der Wahrheit kaum entsprechen konnte. Seiner Auffassung nach habe sich das romische Recht im Wege der vielfaltigen wissenschaftlichen Rezeptionen verbreitet und seine praktische Anwendung sei Ausdruck der Geltung von Gewohnheitsrecht. Auch sah Conring die Rezeption des Corpus Iuris Civilis rein historisch, das Corpus hatte durch Entwicklungen des germanischen Recht, wie den Sachsenspiegel , ersetzt werden sollen. [14] Nach Entwicklungen dieser Art galt das Corpus nicht mehr in Kraft via in complexu , jeder Rechtssatz musste sich seine Geltung durch den Nachweis einer ?tatsachlichen Rezeption“ erst verdienen. [15]

Das Corpus Iuris Civilis bildete im kontinentalen Europa, in stiller Ubereinkunft und uber nahezu dreizehn Jahrhunderte Dauer, neben dem Corpus Iuris Canonici die maßgebliche Rechtsquelle fur das Gemeine Recht . [12] Diese Ubereinkunft wird in einigen rechtshistorischen Schriften als eine Rezeption kraft Gewohnheitsrechtes beschrieben. [16] [13] In der Praxis kam es zu einer Kombination von romischem, kanonischem und einheimischem Recht, dem sogenannten usus modernus . Dieser brachte in spaterer Entwicklung auch einige Kodifikationen hervor, etwa den Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis von 1756, der das romische Recht in Bayern in rein subsidiare Wirkung abdrangte. [14]

Zeit ab dem Aufkommen des Naturrechts [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Mit dem Wiederaufleben des Naturrechts verstandigten sich einige Lander Kontinentaleuropas auf die Ablosung des Corpus. Sie schufen nationale Rechtskodifikationen. Sie bauten allerdings auf dem wissenschaftlich bearbeiteten Recht des Corpus Iuris Civilis auf. In seiner Tradition stehen der franzosische Code civil , das preußische Allgemeine Landrecht und auch das osterreichische Allgemeine Burgerliche Gesetzbuch . In Deutschland galt das Corpus in verschiedenen Gebieten bis zum Inkrafttreten des Burgerlichen Gesetzbuchs (BGB) am 1. Januar 1900 fort, wenn auch nur subsidiar. Auch das BGB hat seine Wurzeln im wissenschaftlich bearbeiteten CIC. Damit beschaftigt sich die Pandektenwissenschaft .

Interpolationskritik [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Sehr spat erst setzte die sogenannte Interpolationenkritik ein. Es handelt sich um eine in der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts beginnende romanistische Forschung, die Untersuchungen daruber durchfuhrt, inwieweit alte klassische Rechtstexte in der Spatantike verandert, verfalscht oder missdeutet wurden. Um die Rechtspflege nicht zu gefahrden, wurde sie uber viele Jahrzehnte unterdruckt, denn die Autoritat des CIC durfte nicht untergraben werden. [9] [17]

In erster Reihe und umfassend machten sich Otto Lenel , Otto Gradenwitz und Fridolin Eisele in Deutschland um die Kritik der justinianischen Texte verdient, in Italien war auf dem Gebiet vornehmlich Ilario Alibrandi tatig. Nachdem zunachst noch davon ausgegangen wurde, dass alle nicht-klassischen Anteile des CIC auf Justinians personliches Einwirken und das seiner Beamten zuruckzufuhren sei, verdeutlichten Joseph Aloys August Partsch und Fritz Pringsheim seit den 1910er Jahren, dass veruntreuende Glosseme und Textanderungen schon in fruheren ? vor Justinians Ara liegenden ? Zeiten vorgenommen wurden. Beide Wissenschaftler legten offen, dass die nachklassischen Textgestalter sich der ursprunglichen Rechtsmasse in verschiedenen Zeiten genahert haben mussten und in schwer zu identifizierenden Schichten die Originale zunehmend verbargen, vermuteten andererseits aber, dass ostromische Rechtsschulen dafur verantwortlich gewesen seien. [18]

Erst Ernst Levy reprasentiert den heutigen Forschungsstand. Er deckte auf, dass sehr viele klassische Textfassungen bereits im 3. und fruhen 4. Jahrhundert abhandenkamen und fur Justinian gar nicht mehr zur Verfugung standen. Als Ursache fuhrt er das bewusste Eingriffen in die Materien an. Diese waren den Juristen der Zeit zu kompliziert geworden und waren deshalb zu trivialisieren. Diese Prozesse gingen von den westlichen Rechtsschulen aus. Die Textuberarbeitungen erfullten dabei den Zweck der Vereinfachung der Rechtspraxis . Fritz Schulz , H. J. Wolff und Franz Wieacker wandten sich in der Folge einer methodisch fein ausgearbeiteten, in der Folgezeit in Teilen auf revisionspflichtigen, ?Textstufenforschung“ zu. In Anlehnung an den italienischen Forscher Salvatore Riccobono , der die bis hierher beschriebenen Vorgange als innere Evolution bezeichnete, betont Max Kaser schließlich den ab dem 5. Jahrhundert verstarkt auf das romische Recht einwirkenden Hellenismus , dessen rechtliche Aufarbeitung in erheblichen Teilen bis heute ausstehe. [19]

Ausgaben des Corpus Iuris Civilis [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Siehe auch [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Wikisource: Corpus iuris civilis  ? Quellen und Volltexte (Latein)

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Friedrich Carl von Savigny : Geschichte des Romischen Rechts im Mittelalter . Bd. 3, 2. Aufl., Mohr, Heidelberg 1834, S. 517 Fn. a).
  2. Okko Behrends : Corpus Iuris Civilis. In: Lexikon fur Kirchen- und Staatskirchenrecht. Band 1. Schoningh, Paderborn 2000, S. 370.
  3. Detlef Liebs: Wenn Fachliteratur Gesetz wird - Inwieweit Wurden Romische Juristenschriften Im Lauf Der Jahrhunderte Uberarbeitet? , in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung fur Rechtsgeschichte (Romanistische Abteilung). Band 135, Heft 1, 2018. S. 404, 406.
  4. Vgl. Detlef Liebs: Wenn Fachliteratur Gesetz wird - Inwieweit Wurden Romische Juristenschriften Im Lauf Der Jahrhunderte Uberarbeitet? , in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung fur Rechtsgeschichte (Romanistische Abteilung). Band 135, Heft 1, 2018. Ab S. 404 ff.
  5. Herbert Hausmaninger , Walter Selb : Romisches Privatrecht , Bohlau, Wien 1981 (9. Aufl. 2001) (Bohlau-Studien-Bucher) ISBN 3-205-07171-9 , S. 48.
  6. Fritz Sturm : Ius gentium. Imperialistische Schonfarberei romischer Juristen , in: Romische Jurisprudenz ? Dogmatik, Uberlieferung, Rezeption / Festschrift fur Detlef Liebs zum 75. Geburtstag, hrsg. von Karlheinz Muscheler , Duncker & Humblot, Berlin (= Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen. Neue Folge, Band 63), S. 663?669.
  7. Detlef Liebs: Wenn Fachliteratur Gesetz wird - Inwieweit Wurden Romische Juristenschriften Im Lauf Der Jahrhunderte Uberarbeitet? , in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung fur Rechtsgeschichte (Romanistische Abteilung). Band 135, Heft 1, 2018. S. 395?473 (397 f.; 404 ff.).
  8. Wolfgang Kaiser: Die Zweisprachigkeit reichsweiter Novellen unter Justinian. Studien zu den Novellen Justinians. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung fur Rechtsgeschichte . Romanistische Abteilung. Bd. 129, Heft 1, 2012, S. 392?474, doi:10.7767/zrgra.2012.129.1.392 .
  9. a b Max Kaser : Romische Rechtsquellen und angewandte Juristenmethode. In: Forschungen zum Romischen Recht , Bd. 36, Bohlau, Wien/Koln/Graz 1986, ISBN 3-205-05001-0 , S. 119?121.
  10. a b David Kastle-Lamparter: Welt der Kommentare: Struktur, Funktion und Stellenwert juristischer Kommentare in Geschichte und Gegenwart . Mohr Siebeck, 2016, ISBN 978-3-16-154142-1 , S.   292 .
  11. a b c Peter Oestmann : Wege zur Rechtsgeschichte: Gerichtsbarkeit und Verfahren . UTB, 2021, ISBN 978-3-8252-5709-5 , S.   133 .
  12. a b c Josef Bongartz: Gericht und Verfahren in der Stadt und im Hochstift Wurzburg: Die furstliche Kanzlei als Zentrum der (Appellations-)Gerichtsbarkeit bis 1618 . Vandenhoeck & Ruprecht, 2020, ISBN 978-3-412-51822-6 , S.   74 .
  13. a b Ungestorter Gebrauch der Freiheit und Erfullung der Pflichten des Wohlwollens im Privatrecht des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794: Klaus Luig . In: Friedrich Ebel (Hrsg.): Gemeinwohl ? Freiheit ? Vernunft ? Rechtsstaat: 200 Jahre Allgemeines Landrecht fur die Preußischen Staaten. Symposium der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, 27.-29. Mai 1994 . Walter de Gruyter, 2011, ISBN 978-3-11-090285-3 .
  14. a b Udo Fink: Rechtsreformuberlegungen in Kurmainz unter besonderer Berucksichtigung des Wirkens von Hermann Andreas Lasser und Hermann Conring . In: Irene Dingel, Michael Kempe, Wenchao Li (Hrsg.): Leibniz in Mainz: Europaische Dimensionen der Mainzer Wirkungsperiode . Vandenhoeck & Ruprecht, 2019, ISBN 978-3-647-57127-0 , S.   115 .
  15. Rudolf Hoke: Osterreichische und deutsche Rechtsgeschichte . Bohlau Verlag Wien, 1996, ISBN 978-3-205-98179-4 , S.   139 .
  16. Friedrich Endemann: Romisches Privatrecht . In: Grundrisse der Rechtswissenschaft . Original von 1925. Band   12 . De Gruyter, 2017, S.   25 , doi : 10.1515/9783111656687 .
  17. Grundlegend zur Interpolationenforschung: Leopold Wenger : Die Quellen des romischen Rechts . 1953. S. 855 ff.
  18. Max Kaser: Das Romische Privatrecht. Erster Abschnitt. Das altromische, das vorklassische und klassische Recht. C. H. Beck, Munchen 1955 ( Zehnte Abteilung, Dritter Teil, Dritter Band, Erster Abschnitt ) § 2 ( Quellen und Literatur ), S. 6.
  19. Max Kaser: Das Romische Privatrecht. Erster Abschnitt. Das altromische, das vorklassische und klassische Recht. C. H. Beck, Munchen 1955 ( Zehnte Abteilung, Dritter Teil, Dritter Band, Erster Abschnitt ) § 2 ( Quellen und Literatur ), S. 7.