Das
Corpus Iuris Civilis
(
C.I.C.
oder, zur besseren Unterscheidung vom kirchlichen
Corpus Iuris Canonici
, auch
CICiv
, dt.: ?Bestand des zivilen Rechts“) ist eine
spatantike
Gesetzessammlung des
ostromischen
Kaisers
Justinian
aus den Jahren 528 bis 534 n. Chr. Die
Kompilationen
wurden begrifflich zunachst als
Corpus iuris
bekannt und tragen den zusatzlichen Hinweis auf das Privatrecht (
civilis
) seit der Zeit des
franzosischen Humanismus
.
Die in einer spaten Restaurationsphase
romischer
Reichskultur entstandene Sammlung verschmolz
vorklassisches
mit in der Hauptsache
klassischem
Privatrecht. Erganzt wurde es durch
nachklassische
Rechtsanordnungen
, die vornehmlich durch
Kaiserkonstitutionen
ergingen. Das zunachst in bloßer
Vulgartradition
stehende
Fallrecht
geriet ? im Mantel des Gesetzesrechts ? nach dem
Untergang des Romischen Reiches
weitgehend in Vergessenheit. Erneut aufgegriffen wurde es erst ab dem fruhen 12. Jahrhundert mit Wiederentdeckung einer Handschrift der
Digesten
. Fortan wurde es im Universitatsbetrieb zunehmend wissenschaftlich behandelt und einer Vielzahl von Bearbeitungen unterzogen, um es praxistauglich zu machen. Ausgangspunkt dafur waren die
Glossatoren
und im Anschluss die
Kommentatoren
.
Das
Corpus
bestand aus vier Buchern und war jahrhundertelang die wichtigste Textgrundlage des in weiten Teilen
Europas
bis ins 19. Jahrhundert angewandten
romischen Rechts
. Teil des
Gemeinen Rechts
im
Heiligen Romischen Reich
wurde es kraft
Gewohnheitsrecht
und im Rahmen der Idee einer
translatio imperii
. Sein Inhalt unterlag mehrstufigen und vielschichtigen
Rezeptionsprozessen
auch ist er in zahlreiche moderne Gesetzeswerke und
Rechtsordnungen
eingegangen. Wie kein anderes Recht unterlag das
Corpus
einer eingehenden
Rezeptionsgeschichte
und hat bis heute große Bedeutung fur die
Rechtshistoriographie
.
Der neuzeitliche Werktitel
Corpus Iuris Civilis
wurde erst im Humanismus gelaufig. Prominent erscheint er auf der 1583 erschienenen Druckausgabe der justinianischen Texte von
Dionysius Gothofredus
und hat sich seither allgemein durchgesetzt. Die Bezeichnung der Sammlung als
corpus iuris
(?
Korpus
des
Rechts
“) entspricht dagegen dem zeitgenossischen justinianischen Sprachgebrauch und findet sich auch im Mittelalter, etwa bei dem
Glossator
Accursius
im 13. Jahrhundert.
[1]
[2]
Unter Leitung Justinians hochgebildeten
Palastquastors
Tribonian
wurden die noch gultigen
Kaisererlasse
, die ab der Regierungszeit
Hadrians
verfasst wurden, Bestandteil des
Codex Iustinianus
. Dessen Kodifikation wurde im Jahr 529 erstveroffentlicht. Ende 533 erlangte dann eine Zweitauflage Gesetzeskraft, die bereits modifiziertes Recht wiedergab. Diese Fassung ist die bis heute bekannt gebliebene. Als Einleitung fur das viergliedrige Gesamtwerk wurden die
Institutiones Iustiniani
vorangestellt, ein Anfangerlehrbuch (fur den Rechtsunterricht), das sich an alte Lehrbucher anlehnte, insbesondere an das Werk des
Hochklassikers
Gaius
. Die Institutionen wurden 533 zusammen mit der Zweitauflage des Codex promulgiert. Ebenfalls aus dem Jahr 533 stammt der Mittelteil des Gesamtwerks, die
Digesten
, die auch als
Pandekten
bezeichnet werden. Den Abschluss bildeten zwei Jahre spater ? 535 ? die
Novellae
. Dabei handelte es sich um eine Sammlung von Nachtragsgesetzen (
leges novellae
), die im Gegensatz zu den im Codex untergebrachten vorangegangenen Kaisererlassen ausschließlich aus der justinianischen Zeit stammten. Zumeist sind sie lediglich in
griechischer
Fassung uberliefert. Die Bucher des Corpus dienten dem Rechtsverkehr, der Rechtstheorie und dem Rechtsunterricht gleichermaßen. In den ersten vier Jahren wurden Auszuge aus der klassischen Rechtsliteratur studiert und im letzten, dem funften, Jahr die Kaiserkonstitutionen.
[3]
Die Neu
kodifikation
des
romischen Rechts
stellte eine Meisterleistung dar, besonders angesichts der Kurze der Zeit. Altere Codices wurden in dem Zusammenhang obsolet und außerdem erleichterte das
uberarbeitete
Gesetzgebungswerk die zukunftige Prozessfuhrung erheblich. Zur Problematik der Interpolationen unter Justinian gibt es umfangreiche Literatur.
[4]
In mancherlei Hinsicht, so beispielsweise bezuglich der Rechtsstellung von
Frauen
und
Sklaven
, handelte es sich beim
Corpus iuris civilis
(CIC) um ein aus heutiger Perspektive fortschrittliches Gesetzeswerk. Aus dem Blickwinkel der damaligen Zeit trug es hingegen recht
konservative
Zuge, da in mehreren Punkten ein letztes Mal den Vorstellungen der romischen Rechtstradition gegenuber den Forderungen der christlichen Kirche der Vorrang eingeraumt wurde. So blieb beispielsweise die
Scheidung
noch immer ausdrucklich erlaubt, und auch die privatrechtliche
Stellung der Frau
, die sich im Verlauf der
romischen Kaiserzeit
stetig verbessert hatte, war nach dem CIC noch deutlich privilegierter, als spater im christlichen
Mittelalter
.
Den historischen Hintergrund der Neukodifikation bildete der stetige und schon von den Zeitgenossen als unaufhaltsam wahrgenommene Einflussverlust der romischen Hochkultur der
klassischen Zeit
. Justinian orientierte sich in diesem Punkt wehmutig ruckwarts und bezog sich ausdrucklich auf die bedeutende Rechtsliteratur der romischen Vergangenheit. Man beschloss deshalb, das hochdifferenzierte klassische Recht, das in einer verwirrenden Vielzahl an Rechtsquellen (alte Gesetze, Kaiserspruche, Schriften von Juristen etc.) verstreut existierte, bezuglich seiner noch brauchbaren und auch erneuerbaren Anteile in einem Werk zusammenzufassen und dann zu bewahren. Dabei sollte dasjenige Recht ausgeschieden werden, das in der
Spatantike
keine Geltung mehr beanspruchen konnte; alte Rechtsquellen wurden teils modifiziert und damit an die neue Rechtslage angepasst. Bestimmte Rechtstexte wurden schlicht weggelassen oder umformuliert und damit an die
Bedurfnisse der Zeit
angepasst. Erste Kodifikationsversuche waren schon von
Diokletian
unternommen worden, der die Codizes
Gregorianus
und
Hermogenianus
auf den Weg bringen ließ.
[5]
[6]
Allein sie blieben Stuckwerk, ebenso wie der
Codex Theodosianus
, dessen Verfasser nur in der Lage waren, Konstitutionen der vergangenen 125 Jahre aufzuarbeiten.
[7]
Die Teile des Corpus Iuris Civilis sind:
- Institutiones
(= ein juristisches Lehrbuch zur Einfuhrung in Codex und Pandekten, das vom Gesetzgeber gleich mitveroffentlicht wurde und somit besondere Autoritat hat. Nicht zu verwechseln sind die Institutionen mit den
Institutiones
des
Gaius
. Die Institutionen orientieren sich lediglich an dem Werk des Gaius.)
- Pandekten
| Digesta
(lateinisch: geordnete Darstellung) oder
Pandectai
(griechisch: allumfassend), 533/534 (= Zusammenfassung des geltenden Rechts)
- Codex Iustinianus
(= gesammelte noch gultige Kaisergesetze seit dem 2. Jahrhundert n. Chr.)
- Novellae
: Kaiserliche Gesetze, die nach dem Jahr 534 erlassen wurden, wurden in verschiedenen Novellensammlungen gesammelt und veroffentlicht. Obwohl die Novellen Justinians auf Latein und, soweit sie den Osten betrafen, daneben auch auf Griechisch publiziert worden sein durften, ging die offizielle lateinische Version in den allermeisten Fallen fruh verloren, da man in Ostrom ab dem 7. Jahrhundert kein Latein mehr verstand, weshalb man sehr lange irrtumlich annahm, es habe sie nicht gegeben.
[8]
Im Mittelalter war dann in Westeuropa das sogenannte
Authenticum
verbreitet ? eine Novellensammlung mit 134 Novellen: die griechischen nun in lateinischer (Ruck-)Ubersetzung. Heute wird ublicherweise eine Novellensammlung mit 168 Novellen verwendet: die griechischen in der Originalsprache.
Die einzelnen Teile des
Corpus Iuris Civilis
sind in Bucher eingeteilt und jedes Buch wiederum in Titel. Jeder Titel wiederum ist in
leges
(Einzahl:
lex
, deutsch: Gesetz) unterteilt, die manchmal noch eine Untergliederung in Paragraphen aufweisen konnen.
Geschichte des
Corpus Iuris Civilis
in Spatantike und Fruhmittelalter
[
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Die
Rezeption
des antiken Rechts im
Mittelalter
sollte sich als ein wichtiger Aspekt bei der Entwicklung des modernen Rechts erweisen. In der
Spatantike
zerfiel das Romische Reich faktisch (nicht
staatsrechtlich
) in zwei Reichsteile. Das
Westromische Reich
ging im Verlauf der
Volkerwanderung
unter, wahrend sich das
Ostromische Reich
noch jahrhundertelang halten konnte; bis ins 7. Jahrhundert blieb Ostrom dabei ein erkennbar romisch-spatantiker Staat. Wohl weil Kaiser
Justinian
aus einer der lateinischsprachigen
Balkanprovinzen
stammte, lag es fur ihn nahe, das alte Romische Reich wiederherzustellen. Er fuhrte eine Restaurationskampagne (gegen
Vandalen
,
Ostgoten
und
Westgoten
), so dass die Ostromer im Westen teilweise wieder Fuß fassen konnten. In dieser Zeit des Aufbruchs wurde das
Corpus Iuris Civilis
geschaffen und ab 529 auch in den wiedergewonnenen Gebieten im Westen in Kraft gesetzt. Jedoch konnte das Ostromische Reich große Teile seiner bis 554 wiedergewonnenen Gebiete in Italien nicht lange gegen die seit 568 anruckenden
Langobarden
halten; bis 625 fiel Sudspanien wieder an die Westgoten, und
Africa
ging dann gegen Ende des 7. Jahrhunderts an die Araber verloren. Das
Corpus Iuris Civilis
galt in Italien zwar fur die romischen Burger weiter, doch war es von der weiteren Rechtsentwicklung weitgehend abgeschnitten. Recht wurde nur noch uber die Novellen der ostromischen Kaiser in Byzanz gesetzt, wo sich das Griechische nach Justinian immer mehr durchsetzte. Deshalb wurden auch die meisten Novellen der Novellensammlungen (s. o.) nach 535 nicht nur auf Latein, sondern daneben in griechischer Sprache abgefasst ? nur jene Gesetze, die sich explizit auf die lateinischsprachigen Gebiete des Reiches oder auf das gesamte
Imperium Romanum
bezogen, fuhrten zu Ausnahmen. Doch spatestens ab dem 7. Jahrhundert wurde das Lateinische im Osten ungebrauchlich, sodass Griechisch nunmehr die Rechtssprache wurde und das
Corpus Iuris Civilis
ubersetzungspflichtig wurde. Die lateinische Version der meisten Novellen ging verloren (s. o.).
Im westlichen Teil des ehemaligen Romischen Reiches blieb das
Corpus Iuris Civilis
, auf das zum Beispiel Papst
Gregor der Große
um 600 wiederholt Bezug nahm, noch eine gewisse Zeit bekannt. Das einst hochkomplexe klassische romische Recht war auf die aktuellen Lebensumstande der Zeit Justinians angepasst und verkurzt worden. Die einhergehende Simplifizierung geschah nicht erst durch den Einfluss germanischer Rechtsbrauche, vielmehr war sie schon in den spatantiken Entwicklungen, spater bekannt geworden als das
Vulgarrecht
, angelegt gewesen. Nach der Volkerwanderung fehlte dem Corpus allerdings die Interpretation durch entsprechend versierte Juristen und einschneidender noch, die Gesetzestexte fanden keinen gesellschaftlichen Ruckhalt mehr, weil sich die Rechtsvorstellungen verandert hatten. Die germanischen Herrscher der Nachfolgereiche erließen eigene Gesetze, Sammlungen von romischen und germanischen Rechten (siehe insoweit auch:
Germanische Stammesrechte
). Letztere basierten eher auf dem (alteren)
Codex Theodosianus
von 438 als auf dem
Codex Iustinianus
. Man beschaftigte sich demzufolge auch immer weniger mit dem romischen Recht ? dies umso eher, als die ostromischen Kaiser nach 600 ihren politischen Einfluss auf Westeuropa weitgehend einbußten und ihr Reich in eine tiefe Krise geriet. Um diese Zeit verlor Latein im Osten endgultig den Status einer Rechts- und Verwaltungssprache, so dass die byzantinischen Gelehrten das
Corpus Iuris
fortan regelmaßig nicht mehr verstanden.
Der umfangreichste Teil des
Corpus Iuris Civilis
, die
Digesten
, geriet ab Mitte des 7. Jahrhunderts in West und Ost in Vergessenheit. Fur Jahrhunderte waren die Digesten damit ?verschollen“, bis sie Mitte des 11. Jahrhunderts wiederentdeckt wurden, in der Darreichung der Handschrift der sogenannten
Littera Florentina
. Daran schloss sich eine bewegte Zeit der Auseinandersetzungen mit den Fragmenten des Textes an, verstarkt vorangetrieben ab der zweiten Halfte des 11. Jahrhunderts durch
Irnerius
in
Bologna
.
Die Wiederentdeckung der Digesten durch oberitalienische Gelehrte ebnete den Weg fur die Entstehung der modernen
Jurisprudenz
. Durch die Vervollstandigung der justinianischen Quellen hatte das Gesamtwerk eine Bedeutung erlangt, die als Offenbarung verstanden wurde. Dem Werk wohnte die
ratio scripta
inne, mit ihr verbunden, unbeschranktes Vertrauen.
[9]
Als erster bearbeitete
Irnerius
das Werk in großem Umfang wissenschaftlich. Es wird davon ausgegangen, dass er ausgebildeter
Rhetorik
lehrer war, der viel Erfahrung mit antiken Texten, darunter Rechtsliteratur, hatte. In der Zeit des Irnerius lieferten gegenwartsbezogene Rechtstexte kein den Digesten vergleichbares Niveau. Die germanischen Rechtsaufzeichnungen des fruhen Mittelalters wurden im Vergleich zum wiederentdeckten romischen Recht von den spateren humanistischen Juristen gar als
?Barbarengesetze“
abgetan. Irnerius muss uber die Qualitat der Digesten erstaunt gewesen sein, weshalb er sich dafur interessierte, die weitgehend unbekannte Materie zu erschließen. Er unterrichtete die Digesten auch, zunachst wohl im Rhetorikunterricht, spater im Rechtsunterricht.
Diejenigen Schuler, die die wissenschaftliche Beschaftigung mit den Digesten und dann auch den anderen Teilen des
Corpus Iuris Civilis
fortsetzten, waren die so genannten
Glossatoren
. Sie gingen aus der neu gegrundeten
Rechtsschule von Bologna
hervor. Das Studium dort war bald von so hohem Ansehen, dass Studenten aus ganz Europa nach Bologna stromten, um die Texte kennenzulernen. Spater entstanden auch an anderen Orten, zunachst Oberitaliens, dann in ganz Europa Universitaten mit wissenschaftlichem Rechtsunterricht (vgl.
Gemeines Recht
). Nach klassischer Auffassung geschah die Arbeit der Glossatoren als Glossierung des geltenden Rechtes, da die romisch-deutschen Konige im Rahmen der Idee einer
translatio imperii
die Nachfolger der romischen Kaiser seien. Diese Auffassung wird jedoch als ubertrieben angesehen, so soll die Arbeit davon angetrieben worden sein, dass das
Corpus iuris
als eine ?Art zeitlose Rechtsoffenbarung“ angesehen wurde.
[10]
Die Idee einer
translatio imperii
wurde auch nur innerhalb des Reiches als eine mogliche Geltung romischen Rechtes rezipiert.
[10]
So ist bekannt, dass im fruhen 15. Jahrhundert die Idee gegenuber den Stadten
Volterra
und
Lucca
vertreten wurden, die zur
terra imperii
gehorten. Eine Rezeption des romischen Rechtes hing dabei stark von der kaiserlichen Autoritat ab und mit zunehmender Schwache dieser Autoritat begann das Argument der
translatio imperii
aus der rechtswissenschaftlichen Diskussion zu verschwinden.
[11]
An seine Stelle trat eine Geltung des romischen Rechtes aufgrund eines angeblich von
Lothar III.
erlassenes Gesetz von 1137. Zuerst taucht diese Stelle in nicht-juristischer gelehrter Literatur, beim Reformator
Philipp Melanchthon
, auf.
[11]
Nach dem Studium gingen die Studenten als gelehrte Juristen wieder in ihre Heimatlander zuruck, um dort zunachst hohe Amter in der kirchlichen und in der weltlichen Verwaltung zu ubernehmen.
[12]
In der Ausubung ihrer Aufgaben konnten die Juristen ihre am romischen Recht erlernten Fahigkeiten anwenden, teils wendeten sie auch Rechtsinhalte des
Corpus Iuris
praktisch an. Spater ubernahmen die in Bologna ausgebildeten Juristen auch Amter in der Rechtsprechung und verdrangten dort allmahlich die ?ungelehrten Richter“ (
Laienrichter
), die das Romische Recht nicht studiert hatten, sondern Recht aufgrund lokaler Rechtsgewohnheiten sprachen. Ein Hohepunkt dieser Entwicklung ist die Schaffung des
Reichskammergerichts
, des hochsten Gerichts im
Heiligen Romischen Reich
, in dem die Halfte der rechtsprechenden
Assessoren
gelehrte Juristen sein mussten. Das romische Recht (und damit auch das CIC) spielte bereits in der Reichspolitik der romisch-deutschen Kaiser ab
Friedrich I. Barbarossa
eine nicht zu unterschatzende Rolle, da die Kaiser auf Grundlage des spatantiken Rechts versuchten, ihre eigene Position zu starken. Der letzte Kaiser, der dann Gesetze in das CIC einfugen ließ, war
Heinrich VII.
zu Beginn des 14. Jahrhunderts. Nach Einschatzung von Historikern ist jedoch die Rolle des CIC in dieser Zeit aber auch nicht zu uberschatzen, so sei ?die Bedeutung des Privatrechts im Mittelalter außerst gering.“
[13]
Nach der Einschatzung einiger Wissenschaftler forderten diese kaiserlichen Handlungen, wie unter anderem, dass sich Friedrich I. beim Reichstag von Roncaglia 1158 von vier Juristen aus Bologna beraten ließ, und insbesondere die Berufung von ausgebildeten Juristen aber die Rezeption des romischen Rechtes als Teil des romisch-kanonischen Rechtes.
[12]
Im 16. Jahrhundert wurde die Geltung des romischen Rechtes nicht mehr auf die Idee einer
translatio imperii
gestutzt, sondern auf das Gesetz Lothar III., bekannt geworden auch als
Lotharische Legende
.
[11]
Hermann Conring
analysierte die Legende und kam zu dem Schluss, dass die Darstellung der Wahrheit kaum entsprechen konnte. Seiner Auffassung nach habe sich das romische Recht im Wege der vielfaltigen wissenschaftlichen Rezeptionen verbreitet und seine praktische Anwendung sei Ausdruck der Geltung von Gewohnheitsrecht. Auch sah Conring die Rezeption des
Corpus Iuris Civilis
rein historisch, das Corpus hatte durch Entwicklungen des germanischen Recht, wie den
Sachsenspiegel
, ersetzt werden sollen.
[14]
Nach Entwicklungen dieser Art galt das Corpus nicht mehr in Kraft via
in complexu
, jeder Rechtssatz musste sich seine Geltung durch den Nachweis einer ?tatsachlichen Rezeption“ erst verdienen.
[15]
Das
Corpus Iuris Civilis
bildete im kontinentalen Europa, in stiller Ubereinkunft und uber nahezu dreizehn Jahrhunderte Dauer, neben dem
Corpus Iuris Canonici
die maßgebliche Rechtsquelle fur das
Gemeine Recht
.
[12]
Diese Ubereinkunft wird in einigen rechtshistorischen Schriften als eine Rezeption kraft
Gewohnheitsrechtes
beschrieben.
[16]
[13]
In der Praxis kam es zu einer Kombination von romischem, kanonischem und einheimischem Recht, dem sogenannten
usus modernus
. Dieser brachte in spaterer Entwicklung auch einige Kodifikationen hervor, etwa den
Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis
von 1756, der das romische Recht in Bayern in rein subsidiare Wirkung abdrangte.
[14]
Mit dem Wiederaufleben des
Naturrechts
verstandigten sich einige Lander Kontinentaleuropas auf die Ablosung des Corpus. Sie schufen nationale Rechtskodifikationen. Sie bauten allerdings auf dem wissenschaftlich bearbeiteten Recht des
Corpus Iuris Civilis
auf. In seiner Tradition stehen der franzosische
Code civil
, das preußische
Allgemeine Landrecht
und auch das osterreichische
Allgemeine Burgerliche Gesetzbuch
. In Deutschland galt das Corpus in verschiedenen Gebieten bis zum Inkrafttreten des
Burgerlichen Gesetzbuchs
(BGB) am 1. Januar 1900 fort, wenn auch nur subsidiar. Auch das BGB hat seine Wurzeln im wissenschaftlich bearbeiteten CIC. Damit beschaftigt sich die
Pandektenwissenschaft
.
Sehr spat erst setzte die sogenannte
Interpolationenkritik
ein. Es handelt sich um eine in der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts beginnende romanistische Forschung, die Untersuchungen daruber durchfuhrt, inwieweit
alte klassische
Rechtstexte in der Spatantike verandert, verfalscht oder missdeutet wurden. Um die Rechtspflege nicht zu gefahrden, wurde sie uber viele Jahrzehnte unterdruckt, denn die Autoritat des CIC durfte nicht untergraben werden.
[9]
[17]
In erster Reihe und umfassend machten sich
Otto Lenel
,
Otto Gradenwitz
und
Fridolin Eisele
in Deutschland um die Kritik der justinianischen Texte verdient, in Italien war auf dem Gebiet vornehmlich
Ilario Alibrandi
tatig. Nachdem zunachst noch davon ausgegangen wurde, dass alle nicht-klassischen Anteile des CIC auf Justinians personliches Einwirken und das seiner Beamten zuruckzufuhren sei, verdeutlichten
Joseph Aloys August Partsch
und
Fritz Pringsheim
seit den 1910er Jahren, dass veruntreuende Glosseme und Textanderungen schon in fruheren ? vor Justinians Ara liegenden ? Zeiten vorgenommen wurden. Beide Wissenschaftler legten offen, dass die
nachklassischen Textgestalter
sich der ursprunglichen Rechtsmasse in verschiedenen Zeiten genahert haben mussten und in schwer zu identifizierenden Schichten die Originale zunehmend verbargen, vermuteten andererseits aber, dass ostromische Rechtsschulen dafur verantwortlich gewesen seien.
[18]
Erst
Ernst Levy
reprasentiert den heutigen Forschungsstand. Er deckte auf, dass sehr viele klassische Textfassungen bereits im 3. und fruhen 4. Jahrhundert abhandenkamen und fur Justinian gar nicht mehr zur Verfugung standen. Als Ursache fuhrt er das bewusste Eingriffen in die Materien an. Diese waren den Juristen der Zeit zu kompliziert geworden und waren deshalb zu trivialisieren. Diese Prozesse gingen von den westlichen Rechtsschulen aus. Die Textuberarbeitungen erfullten dabei den Zweck der
Vereinfachung der Rechtspraxis
.
Fritz Schulz
,
H. J. Wolff
und
Franz Wieacker
wandten sich in der Folge einer methodisch fein ausgearbeiteten, in der Folgezeit in Teilen auf revisionspflichtigen, ?Textstufenforschung“ zu. In Anlehnung an den italienischen Forscher
Salvatore Riccobono
, der die bis hierher beschriebenen Vorgange als innere Evolution bezeichnete, betont
Max Kaser
schließlich den ab dem 5. Jahrhundert verstarkt auf das romische Recht einwirkenden
Hellenismus
, dessen rechtliche Aufarbeitung in erheblichen Teilen bis heute ausstehe.
[19]
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Vgl. Detlef Liebs:
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Detlef Liebs:
Wenn Fachliteratur Gesetz wird - Inwieweit Wurden Romische Juristenschriften Im Lauf Der Jahrhunderte Uberarbeitet?
, in:
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Wolfgang Kaiser:
Die Zweisprachigkeit reichsweiter Novellen unter Justinian. Studien zu den Novellen Justinians.
In:
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Max Kaser:
Das Romische Privatrecht. Erster Abschnitt. Das altromische, das vorklassische und klassische Recht.
C. H. Beck, Munchen 1955 (
Zehnte Abteilung, Dritter Teil, Dritter Band, Erster Abschnitt
) § 2 (
Quellen und Literatur
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Max Kaser:
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C. H. Beck, Munchen 1955 (
Zehnte Abteilung, Dritter Teil, Dritter Band, Erster Abschnitt
) § 2 (
Quellen und Literatur
), S. 7.