Boris Nikolajewitsch Jelzin
(
russisch
Борис Николаевич Ельцин
anhoren
ⓘ
/
?
, wiss.
Transliteration
Boris Nikolaevi? El'cin
; *
1. Februar
1931
in
Butka
, Ural-Oblast (heute Rajon
Taliza
,
Oblast Swerdlowsk
); †
23. April
2007
in
Moskau
) war ein
sowjetischer
bzw.
russischer
Politiker
. Von 1991 bis 1999 war er der erste
Prasident Russlands
und zudem das erste
demokratisch
gewahlte
Staatsoberhaupt
in der
Geschichte Russlands
.
Boris Jelzin kam als altester Sohn von Klawdja Wassiljewna, geborene Starygin, und Nikolaj Ignatjewitsch Jelzin im Dorf Butka im
Ural
zur Welt.
[1]
Die Eltern waren Bauern. Jelzin wuchs mit zwei jungeren Geschwistern auf.
Aus wirtschaftlicher Not musste die Familie einige Jahre spater in die Stadt
Beresniki
ziehen. Um die Familie zu ernahren, arbeitete der Vater als Bauarbeiter, wahrend die Mutter nachts zu Hause nahte. In Beresniki ging Jelzin zur Schule.
[2]
[3]
[4]
Wahrend der Zeit des
Zweiten Weltkrieges
stahlen der junge Jelzin und seine Kameraden zwei
RGD-33
Handgranaten
aus einem Munitionsdepot. Als Jelzin spater die Granate auseinandernehmen wollte, um die Funktionsweise zu studieren, explodierte sie. Im Krankenhaus wurden ihm Zeigefinger und Daumen der linken Hand
amputiert
.
[5]
Von 1949 bis 1955 studierte Jelzin am
Polytechnischen Institut des Urals
in
Swerdlowsk
und schloss als
Bauingenieur
ab. Er wurde Chefingenieur und ubernahm die Bauverwaltung des ?Jushgorstroi“-Trusts.
Im Jahr 1956 heiratete er die Bauingenieurin Naina Iossifowna Girina, mit der er zwei Tochter bekam,
Tatjana
und Jelena.
Im Jahr 1961 trat Jelzin in die
KPdSU
ein, 1963 wurde er Leiter des Wohnungsbaukombinats in Swerdlowsk. Von 1976 bis 1985 war er als erster Sekretar des Gebietskomitees Parteichef von Swerdlowsk. 1977 befahl Jelzin auf Anordnung des Moskauer
Politburos
die Zerstorung des
Ipatjew-Hauses
, in dem 1918 der
letzte russische Zar
und seine Familie von
Bolschewiki
umgebracht worden waren
. Das Haus wurde am 27. Juli 1977 uber Nacht abgerissen.
[6]
Ein weiterer Schritt in seiner Parteikarriere war 1981 die Wahl ins
Zentralkomitee
der KPdSU, in dem er das Amt des Leiters der Abteilung fur Bauangelegenheiten ubernahm. Im Oktober 1985 wurde Jelzin zusatzlich 1. Sekretar des Stadtkomitees (Parteichef) von
Moskau
und Kandidat (nicht stimmberechtigtes Mitglied) des Politburos. In Moskau setzte er sich personlich gegen das Verschieben knapper Lebensmittel ein; er beendete die vorher ubliche Praxis, halbfertige Mietskasernen bereits den Mietern zu ubergeben, und rettete einige beliebte alte Gebaude vor dem drohenden Abriss. Anfang Mai 1986 berichtete er auf dem
DKP
-Parteitag in Hamburg als erster KPdSU-Politiker im Westen ausfuhrlich uber die
Nuklearkatastrophe von Tschernobyl
.
[7]
Er profilierte sich wahrend der
Perestroika
als Radikalreformer und geriet dadurch sowohl mit
Michail Gorbatschow
als auch mit
strukturkonservativen
Kraften in der KPdSU in Konflikt. Schließlich verlor Jelzin seine bisherigen Amter. Im November 1987 wurde er als Moskauer Parteichef abgelost und im Februar 1988 von seinen Pflichten als Kandidat des Politburos entbunden. Stattdessen war er bis 1989 1. Stellvertretender Vorsitzender der Staatlichen Baubehorde mit dem Rang eines Ministers. Auf dem
XXVIII. Parteitag der KPdSU
gab er am 12. Juli 1990 seinen Austritt aus der Partei bekannt.
Bei den ersten demokratischen Wahlen im Marz 1989 wurde Jelzin Mitglied des
Kongresses der Volksdeputierten
der
Sowjetunion
. Im Wahlkreis Moskau erhielt er dabei 89 Prozent der Stimmen. Im Mai 1989 zog er auch in den
Obersten Sowjet
ein und bildete dort mit anderen Reformpolitikern die erste parlamentarische Oppositionsgruppe.
Am 12. Juni 1991 wurde Jelzin bei den
ersten russischen Prasidentschaftswahlen
zum Prasidenten der Russischen Teilrepublik (
RSFSR
) gewahlt und war maßgeblich an der Auflosung der Sowjetunion beteiligt. Wahrend des
Augustputsches
1991 gegen
Gorbatschow
bezog er offentlich Stellung gegen die Putschisten und verschanzte sich im
Weißen Haus
in Moskau, das von der Bevolkerung erfolgreich gegen Angriffe verteidigt wurde. Der Machtverfall der KPdSU und der
Zerfall der Sowjetunion
waren nun nicht mehr aufzuhalten. Im November 1991 erließ Jelzin ein Dekret, das die bisherige Staatspartei auf dem Gebiet der RSFSR verbot.
Er und seine Amtskollegen
Leonid Krawtschuk
(
Ukraine
) und
Stanislau Schuschkewitsch
(
Belarus
) erklarten am 8. Dezember 1991 in den
Belowescher Vereinbarungen
, dass die Sowjetunion ?ihre Existenz beendet“ habe
[8]
und grundeten die
Gemeinschaft Unabhangiger Staaten
(GUS). Jelzin war nunmehr Prasident eines unabhangigen Russland.
Das
Parlament der Ukraine
hatte diese zuvor am 24. August 1991 fur unabhangig erklart; bei einem am 1. Dezember 1991 abgehaltenen Referendum bestatigte die Mehrheit der Wahlberechtigten diese Entscheidung (siehe
Geschichte der Ukraine (seit 1991)
).
Boris Jelzin wurde bei der
Prasidentschaftswahl am 12. Juni 1991 gewahlt
und
1996 wiedergewahlt
. Er war bis zu seinem Rucktritt am 31. Dezember 1999 im Amt, also insgesamt 8½ Jahre.
Im Laufe des Jahres 1991 stellte er ein Team aus Wirtschaftsreformern unter der Leitung von
Jegor Gaidar
zusammen. Diese entschieden sich, Polens ?Schocktherapie“ als Modell fur die Umstellung auf den Kapitalismus heranzuziehen. Im Oktober 1991 kundigte Jelzin eine Aufhebung aller
Preiskontrollen
mit 1. Januar 1992 an.
[9]
Um die Inflation zu kontrollieren, wurden ein
Austeritatsregime
eingefuhrt und Staatsausgaben fur das Sozialsystem und Forderungen gekurzt. Nach dem Beispiel der Tschechoslowakei wurde eine
Coupon-Privatisierung
durchgefuhrt, jedoch gelangten die an alle Burger ausgegebenen Gutscheine fur den Erwerb von Aktien ausgewahlter Staatsunternehmen schnell an Zwischenhandler, die sie an die
Nomenklatura
weiterverkauften.
[10]
Dies trug wesentlich zum Entstehen der postsowjetischen
Oligarchie
bei.
Fruh kam es zu Verwerfungen in Jelzins Regierung. Der nationalistische, der Armee nahestehende Vizeprasident
Alexander Ruzkoi
kritisierte die Regierung fur den ?okonomischen Volkermord“ und forderte ein hartes Vorgehen gegen tschetschenische Separatisten.
[11]
Jelzin kam zunehmend in Konflikt mit dem
Volksdeputiertenkongress
(dem gewahlten Parlament). In der
Verfassungskrise 1993
loste er das Parlament, das sich seinen Wirtschaftsreformen widersetzt hatte, ohne Rechtsgrundlage auf. Daraufhin enthob das Parlament Jelzin seines Amtes und ernannte den bisherigen Vizeprasidenten Ruzkoi zum neuen Prasidenten. Jelzin setzte sich mit Hilfe des
Militars
aber durch.
Gegen Ende seiner Regierungszeit geriet Russland in eine schwere
Wirtschaftskrise
, wahrend der sich das
Bruttonationaleinkommen
halbierte. Ungeachtet aller innenpolitischen Probleme nahm Jelzin als erster russischer Prasident am
G-7-Gipfeltreffen
der westlichen Industrienationen am 8. Juli 1994 in
Neapel
teil. Die Wirtschaftsmisere ging weiter, unter anderem wegen des Ruckgangs der Roholpreise wahrend der
Asienkrise
(1997/1998). Am 17. August 1998 war Russland
zahlungsunfahig
, sogar die Guthaben auf Privatkonten wurden eingefroren.
In Jelzins Amtszeit fiel auch der
Erste Tschetschenienkrieg
(1994 bis 1996).
Geruchte uber eine
Alkoholkrankheit
Jelzins gab es wahrend seiner ganzen Amtszeit.
[12]
So habe Jelzin 1994 in Berlin ein Orchester, welches anlasslich des Abzugs der russischen Truppen aus Deutschland spielte, in stark alkoholisiertem Zustand ?dirigiert“ und sei auch bei offentlichen Wahlkampfauftritten betrunken gewesen.
[13]
[14]
Am 31. Dezember 1999 erklarte Jelzin seinen Rucktritt, er ubergab um 12 Uhr
Moskauer Zeit
die Regierungsgeschafte an Ministerprasident
Wladimir Putin
. Eine der ersten Amtshandlungen Putins garantierte Jelzin dann die Freiheit vor Strafverfolgung (
Amnestie
).
Gesundheitlich war Jelzin bereits seit Ende seiner Amtszeit als russischer Prasident stark angeschlagen. Mehrere
Herzinfarkte
hatten in den 1990er Jahren
Bypassoperationen
notwendig gemacht.
Laut dem US-amerikanischen Politikwissenschaftler und US-Vizeaußenminister
Strobe Talbott
hatte Jelzin vor seinem Tod ihm nahe stehenden Personen erzahlt, dass es ein großer Fehler gewesen sei, Putin als seinen Nachfolger auszuwahlen.
[15]
Jelzin starb am Nachmittag des 23. April 2007 um 15:45 Uhr im Alter von 76 Jahren im
Moskauer Regierungskrankenhaus
an
Herzinsuffizienz
. Mehr als 25.000 Trauernde zogen an seinem in der russisch-orthodoxen
Christ-Erloser-Kathedrale
in Moskau aufgebahrten Sarg vorbei und erwiesen dem Toten die letzte Ehre.
[16]
Das
Requiem
wurde am 25. April 2007 in der
Christ-Erloser-Kathedrale
abgehalten. Neben der russischen Prominenz um Wladimir Putin und Michail Gorbatschow waren unter anderem
George Bush sen.
,
Bill Clinton
,
John Major
,
Horst Kohler
und
EU-Außenkommissarin
Benita Ferrero-Waldner
anwesend. Die
Zelebranten
waren der
Metropolit
Juwenali
von
Krutizy
und
Kolomna
, Metropolit Kyrill von Smolensk und Kaliningrad (der spatere
Kyrill I.
) und Metropolit
Kliment
von
Kaluga
und Borowsk.
[17]
Im Anschluss an die Totenmesse wurde der Sarg auf einer
Geschutzlafette
durch das Zentrum Moskaus zum
Friedhof des Neujungfrauenklosters
gefahren, wo Jelzin seine letzte Ruhe fand.
Es war das erste Staatsbegrabnis nach
russisch-orthodoxem Ritus
seit mehr als 100 Jahren.
[18]
Auch in
Jekaterinburg
, wo er studiert hatte, und in seinem westsibirischen Heimatdorf
Butka
wurden Trauerfeiern zu Ehren Jelzins abgehalten.
[19]
Die
KP
-Fraktion im russischen Parlament verweigerte am Tag der Beisetzung Jelzins eine Schweigeminute fur den ersten Prasidenten des postsowjetischen Russlands mit der Begrundung, dass man niemals den Zerstorer des
Vaterlandes
ehren werde.
[20]
In spateren Jahren wurde auf dem Friedhof des
Neujungfrauenklosters
nach Planen seiner Witwe ein monumentaler Gedenkstein in den russischen Nationalfarben am Hauptweg aufgestellt.
1996 erhielt Jelzin den
Deutschen Medienpreis
in
Baden-Baden
. 2002 wurde ihm die
Ehrenburgerschaft
der Stadt
Jerewan
verliehen.
[21]
2006 zeichnete ihn die lettische Prasidentin
Vaira V??e-Freiberga
mit dem hochsten Orden Lettlands fur seine ?historische Rolle“ bei der ?Befreiung Lettlands“ aus.
Am 27. Mai 2009 wurde in einem Teil der ehemaligen
Senats- und Synodengebaude
im Zentrum
Sankt Petersburgs
durch den russischen Prasidenten
Dmitri Medwedew
die
Bibliothek des Prasidenten B. N. Jelzin
(Президентская библиотека имени Бориса Николаевича Ельцина) eingeweiht. Sie umfasst derzeit fast 40.000 Bucher zur
russischen Geschichte
, vom Zarentum uber die Sowjetunion bis zum heutigen Russland.
In seiner Heimatstadt Jekaterinburg (im Ural) wurden eine Hauptstraße und die
Technische Universitat des Uralgebiets
nach Jelzin benannt.
[22]
In einem
Boris-Jelzin-Zentrum des Uralgebiets
werden zudem Schriftstucke, Bucher und Fotografien des ersten Prasidenten Russlands ausgestellt, die vor allem mit seinen Regierungsjahren in der Swerdlowsker Region zu tun haben.
Ferner soll in Jekaterinburg das
Zentrum des historischen Erbes des ersten russischen Prasidenten Boris Jelzin
eroffnet werden mit einer Außenstelle in Moskau. Das Zentrum, dem jahrlich ein Budget von 1,225 Milliarden Rubel aus Foderationsgeldern zur Verfugung steht, soll auch ein Museum, eine offentliche Bibliothek und ein Archiv erhalten.
[23]
Seit 2011 gibt es in Jekaterinburg eine
Jelzin-Statue
. Die Einweihungszeremonie wurde vom damaligen russischen Prasidenten Dmitri Medwedew begangen.
[24]
Seit 2013 besteht das
Boris-Jelzin-Denkmal
in Tallinn.
- Aufzeichnungen eines Unbequemen
, aus dem Russischen von
Annelore Nitschke
. Droemer Knaur, Munchen 1990,
ISBN 3-426-26467-6
.
- Die Alternative. Demokratie statt Diktatur
. Mit weiteren Beitragen von Ruslan Chasbulatow, Grigori Jawlinski und Viktor Jaroschenko (mit der Rede Jelzins ?An die Burger Rußlands“ vom 19. August 1991), Goldmann, Munchen 1991.
- Auf des Messers Schneide. Tagebuch des Prasidenten
. Siedler, Berlin 1994,
ISBN 3-88680-520-4
.
- Mitternachtstagebuch. Meine Jahre im
Kreml
. Propylaen, Berlin / Munchen 2000,
ISBN 978-3-5490-7120-5
.
In der frei zuganglichen bibliographischen Internet-Datenbank
RussGUS
[25]
werden zu ?Jelzin“ weit uber 500 Literaturnachweise angeboten.
[26]
- Barbara Kerneck-Samson:
Boris Jelzin ? Ein Portrat
. Heyne, Munchen 1991,
ISBN 3-453-04451-7
.
- John Morrison:
Boris Jelzin ? Retter der Freiheit
. Ullstein, Berlin 1991,
ISBN 3-550-07510-3
.
- Wladimir I. Solowjow; Elena Klepikowa:
Der Prasident. Boris Jelzin ? Eine politische Biographie
. Rowohlt, Berlin 1992,
ISBN 3-87134-043-X
.
- Wolfgang Strauß
:
Drei Tage, die die Welt erschutterten. Vom Untergang des sowjetischen Multikulturalismus ? Boris Jelzin und die russische Augustrevolution
. Gesamtdeutscher Verlag, Wesseling 1992,
ISBN 3-928415-04-2
.
- Oleg M. Popzow:
Boris Jelzin. Der Prasident, der nicht zum Zaren wurde ? Russland und der Kreml 1991?1995
. Edition Q, Berlin 1995,
ISBN 3-86124-226-5
.
- Ljew Suchanow:
Drei Jahre mit Jelzin: Aufzeichnungen des engsten Mitarbeiters
. Coppenrath, Munster 1995,
ISBN 3-8157-1295-5
.
- Heiko Pleines:
Wirtschaftseliten und Politik im Russland der Jelzin-Ara (1994?1999)
. LIT, Munster 2003,
ISBN 978-3-8258-6561-0
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Russland setzt Jelzin ein Denkmal | NZZ.
Abgerufen am 8. Juni 2020
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- ↑
RussGUS Datenbank/Database
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Humboldt-Universitat zu Berlin. Institut fur Bibliothekswissenschaft
- ↑
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