Die Bezeichnung
Alternative Rock
kam in den spaten 1970er Jahren auf und burgerte sich in den fruhen 1990er Jahren ein als Oberbegriff fur mehrere Varianten jenseits bis dahin ublicher Strukturen der Rock- und Popmusik. Dementsprechend ordnet sich
Alternative Rock
der Sammelbezeichnung
Alternative
unter. Gebraucht wird fur viele entsprechende Interpreten heute auch der Begriff
Indie-Rock
(von
englisch
independent
, ?unabhangig“), der allerdings ursprunglich dadurch abgegrenzt war, dass er sich auf Interpreten mit Vertragen bei
Independent-Labels
bezog,
Alternative Rock
dagegen auf Interpreten mit hoch dotierten Plattenvertragen und breiter Vermarktungsmoglichkeit. Allerdings richteten
Major-Labels
Subunternehmen ein oder kauften bestehende kleine Plattenfirmen auf. Die Begriffe
Independent
und
Indie-Rock
verloren dadurch an Bedeutung und wurden durch den Begriff
Alternative
zuerst erganzt, spater nahezu ersetzt.
[1]
Daher gilt Indie-Rock heute zumeist als Unterform des Alternative Rock.
Dave Thompson
benennt die Mitte der 1970er als den Ursprung des Alternative Rock und bezieht sich dabei auf die Veroffentlichungen von
Lou Reeds
Metal Machine Music
und
Patti Smiths
Album
Horses
sowie die Grundung der
Sex Pistols
. Alle drei Ereignisse sollten eine popkulturelle Welle der Ereignisse nach sich ziehen, die sowohl die stetige Verquickung von Musikstilen beinhaltete als auch fortwahrende
subkulturelle
Entwicklungen. Seinerzeit noch unter Begriffen wie
New Musik
,
New Wave
oder
Independent
bekannt, sollte der Begriff Alternative Rock fur eben jene subkulturellen Musikstile ab dem Beginn der 1990er Fuß fassen.
[2]
“Within little more than a year, Reed’s buzzing, cacophonous slab of noise was informing the first tentative steps of a world-be electric pioneers; Smith’s scream of consciousness babelogue was opening the floodgates through witch the entrie New York underbelly would pour into limelight; and the Sex Pistols were unleashing a horde of like-minded hooligans to forge a music, a fashion, and most of all, an attitude which ? with Reed and Smith tight to their hand ? rewrote the rule book in hateful crayon strokes, eight miles high.
And rule one was - there were no more rules”
?In etwas mehr als einem Jahr, zeigte Reeds kakophonisch brummende Larmscheibe die ersten Gehversuche einer kommenden Welt-elektronischer Musik- auf; offnete Smiths Aufschrei des Bewußtsein 'Babelogue' die Schleusen durch welche die Schattenseiten New Yorks sich ins Rampenlicht ergießen sollten; und entfesselten die Sex Pistols eine gleichgesinnte Horde Halbstarker, die eine Musik, eine Mode und besonders ? im engen Verbund mit Smith und Reed ? eine Einstellung begrunden sollten, welche das Regelwerk umschrieben, in acht Meilen großen und hasserfullt bunten Buchstaben.
Und die erste Regel lautete - es wurde keine Regeln mehr geben.“
Die Vermengung des ursprunglichen
Punkrocks
zur New Wave wurde durch Interpreten wie
The Clash
,
The Police
,
Public Image Ltd.
,
Siouxsie and the Banshees
und
The Damned
begunstigt, die den einstigen Punk um Elemente aus
Reggae
,
Glam Rock
oder
Funk
und
Roots-Reggae
erweiterten.
[4]
So experimentierten bereits fruh einige Vertreter des Punk mit zuvor als inkompatibel angesehenen Stilrichtungen. Ab der Mitte der 1980er versuchten sich ebenso Vertreter des
Hardcore Punk
, selbst eine Radikalisierung des
Punk
, an der Verknupfung ihrer Musik mit anderen Musikstilen. Ahnlich wie bereits zuvor im Punk ließen Interpreten wie
Black Flag
,
Husker Du
und
Agnostic Front
Elemente aus
Hip-Hop
,
Blues
und
Metal
in ihre Musik einfließen. Diese Melange brachte eine Fulle heterogener subkulturell orientierter
Rockmusik
hervor, die sich sichtlich von Punk und Hardcore abhob. Neben der kommerziell erfolgreichem New Wave wurden auch
Post-Punk
und
Post-Hardcore
als Oberbegriffe fur Musikstile jenseits des Mainstreams bekannt.
[5]
Andererseits begrundeten sich auch die teilweise kommerziell erfolgreichen Musikstile
Gothic Rock
,
Oi!
oder
Industrial
aber auch
Synthie-Pop
auf jenen Entwicklungen, die sich seit der Mitte der 1970er vollzogen.
[2]
In der zweiten Halfte der 1980er Jahre kam die Bezeichnung
New Wave
allmahlich außer Gebrauch. Zu dieser Zeit beherrschten
Hi-NRG
und
Eurodisco
sowie schlichte
Pop
-Interpreten die Charts, darunter auch Bands und Solokunstler, die anfangs selbst dem New Wave zugerechnet wurden und sich im Laufe der Zeit stufenweise von ihren Punk- und Post-Punk-Wurzeln entfernt hatten. Musiksender wie MTV widmeten sich verstarkt dem
Metal
- und
Sleaze-Rock
-Umfeld.
Mitte der 1980er aktuelle Independentstile wie
Noise-Rock
,
Shoegazing
,
Jazzcore
,
Madchester
,
Psychobilly
oder auch
Indie-Rock
erzielten nur regionale bis nationale Erfolge und konnten sich noch nicht international etablieren. Bis letztendlich Hardcore, Post-Punk und Post-Hardcore schrittweise popular wurde.
[6]
Martin Busser beschreibt diese Entwicklung aus der Sicht des Ende der 1980er popular werdenden Hardcore:
?[…] etwas geschah circa ab 1989, was die Szene beunruhigte und durcheinanderwirbelte: ein
Außen
begann dazuzukommen - ziemlich schlagartig wurde es eng und ungemutlich in den kleinen Laden, großere mußten her - […] schon begann eine leidenschaftliche Wortschlacht gegen die
Studentenschweine
auf der einen, die
Metaldeppen
auf der anderen Seite, die neuen Rezipienten der bislang streng gehuteten Szene.“
Ende der 1980er entdeckte auch die Musikindustrie das kommerzielle Potential der Spielarten des Post-Punk- und Post-Hardcore-Spektrums fur sich und begann bisherige Independent-Bands und -Label zu vereinnahmen. Die ersten Erfolge dieser Neuorientierung stellten sich spatestens mit dem großen
Grunge
- und
Crossoverboom
zum Beginn der 1990er Jahre ein.
[1]
?Mochte die Unterhaltungsindustrie diese Klange aus der Szene zum Ende der 80er noch mit latenter Skepsis betrachten, begannen spatestens mit dem jahen Welterfolg des Seattle-Trios
Nirvana
ihre marktstrategischen Fußangeln zu wirken.
Nirvana
kamen Ende 1991 mit ihrem zweiten Meilenstein-Album
Nevermind
beim renommierten Majorlabel
Geffen Records
heraus und erlebten stellvertretend fur das gesamte Genre einen Durchbruch ohne Vorbild. In den folgenden Jahren bildete die geschickt geschurte Massenhysterie um Anti-Stars,
Gen-X
-Lifestyle, Teenage Rebellion und Grunge Look den idealen Aufhanger fur die effektive Vermarktung jugendlicher Identifikationspole […].“
Crossover und Grunge betitelten jedoch nur zwei Begriffe der unter den Terminus Alternative Rock zusammengefassten Musikstile. Gemeinsam war allen Stilen und Interpreten die Verknupfung von Hard Rock, Punk oder Hardcore mit anderen Musikstilen, die durchaus auch dem
Mainstream
entsprechen konnten. Jene Stile, die Elemente aus popularen Musikformen wie
Hip-Hop
,
Funk
,
Folk Rock
oder
Popmusik
ubernahmen, erreichten eine großere Zielgruppe, ließen sich somit besser verkaufen und wurden daher verstarkt durch große Plattenfirmen und das Musikfernsehen gefordert.
[9]
Andererseits wurde der
Hype
um Grunge und Nirvana fur andere weniger Rock- oder Metalorientierte Stile im Bereich
Alternative
und Independent zum Verhangnis.
Robyn Hitchcock
erlauterte den Wandel nachdem Nirvana ihn von der Spitze der amerikanischen Alternative Charts verdrangt hatten.
?Einige der Leute, die zur selben Zeit wie wir ihren Durchbruch hatten, hatten inzwischen eine hohere Stufe der Karriereleiter erreicht[…], aber alle anderen wurden von dieser Entwicklung uberrollt[…]. Wir waren noch immer eine Alternative-Band, aber es hatte sich alles verandert, es war plotzlich wieder Rock geworden, lange Haare waren wieder in, man streckte wieder die Fauste in die Luft, kaufte Brezeln und brullte: 'Here we go!' Die Musiklandschaft hatte sich verandert[…].“
Nachdem sich Alternative Rock und Alternative Metal im Verlauf der 1990er etabliert hatten, wurden sie als moderne Variante der Independent- und Metalszene selbst zu einem popkulturellen Phanomen.
[11]
Heavy Rotation
im Musikfernsehen und -radio verdrangten weite Teile des bisherigen Rock- und Metalmainstreams.
[1]
Grunge und Crossover eroffneten weiteren Stilen eine potentielle Horerschaft, so dass die Musik jenseits des Mainstream immer weiter in den Fokus der Offentlichkeit geriet.
Der amerikanische Musiksender
MTV
richtete 1992 mit
Alternative Nation
neben dem wochentlichen
120Minutes
ein zweites tagliches Sendeformat fur den Bereich des
Alternative Rock
und
Alternative Metal
ein. Diese anhaltende Vermengung von Medien, Kunst und Kommerz fuhrte letztlich auch zur kommerziellen Nutzung des Alternative Rock zu Werbezwecken.
[1]
Die folgende Liste bezieht sich auf die in der Hochphase der 1990er Jahre popularen Interpreten und Stile. Zum Teil existieren keine eigenen Stilbezeichnungen jenseits des Alternative Rock und grobe Uberschneidungen zum Alternative Metal lassen sich in vielen Bereichen ausmachen.
Aus dieser Fulle unterschiedlicher Musikstile entwickelten sich erneut eigene Derivate und Abwandlungen, die in den 2000er Jahren aufgekommenen Rockstile wie
Post-Grunge
,
Dark Rock
,
New Prog
,
Indie-Rock
- und
Post-Punk
-Revival nahren sich aus den Erfolgen des Alternative Rock. Die in den 1990er Jahren gewonnene Aufmerksamkeit etablierte das Spektrum des Alternative Rock als festen Bestandteil der Musikindustrie. Bisheriger Mainstream und Alternative Rock erganzen sich seither gegenseitig. Die Formel "Alternative ist Rockmusik mit durchaus innovativen Stilelementen die ordentlich losrockt."
[12]
kennzeichnet auch die Schwierigkeit den uberaus umfassenden Begriff zu fassen. Die Idee der
innovativen Stilelemente
will Alternative Rock in Abgrenzung zu dem in den 1970ern und 1980ern entstandenen Mainstream Rock Stilen wie
Classic Rock
,
Sleaze Rock
und
Pop-Rock
setzen, schrankt Alternative Rock jedoch auch nicht ein.
Gegenwartige Rockmusik wird somit seither durch den Alternative Rock dominiert, Musikfernsehen, Radio und Zeitschriften rezipieren uberwiegend neue und alte Interpreten des Alternative Rock.
[13]
Bis in die Gegenwart hielten sich abwechselnd verschiedene Stile des Alternative Rock popular. Kunstler aus dem Alternative Rock gelten neben Pop und modernem
R ’n’ B
als lukrativer Faktor in der Musikindustrie. Titel von Interpreten wie
Stiltskin
,
Babylon Zoo
,
Caesars
,
Franz Ferdinand
,
The Killers
,
Mando Diao
wurden spatestens seit der Mitte der 1990er massiv in der Werbung eingesetzt. Daruber hinaus wurde mit dem Hype um Nirvana Alternative Rock zunehmend in Kinofilmen, Musikfernsehen und -radio protegiert.
[1]
Alternative Rock gilt bei Kritikern als allgegenwartiger Begriff, welcher der Musik und den Vertretern nicht gerecht wird. Durch die breite Etablierung unterschiedlicher Musikstile und Interpreten des Alternative Rock im musikalischen Mainstream hohlte sich der Begriff
Alternative
demnach selbstandig aus. Im Jahr 2000 hinterfragte
Dave Thompson
den Titel Alternative, ohne eine adaquate Antwort auf seine Frage zu wissen. Er stellte dabei nicht allein den Erfolg der Alternative-Rock-Bands als Kritikpunkt heraus, sondern hinterfragte die grundsatzliche Anwendung des Begriffs.
?It was never the most appropriate term for the music described, and became increasingly less so as the music itself began crossing into the mainstream. What […] was alternative about a band ?
U2
, REM, or Nirvana for example ? whose records sold into millions, whose tours could sell out sport field? Or […] why were a band like
Motorhead
considered a heavy metal act when their rudiments were clearly rooted in a raw punk ethic, while
Pearl Jam
were called alternative, when the opposite was true?“
?Es war nie der passendste Begriff, um die Musik zu beschreiben, und wurde es auch immer weniger, als die Musik selbst zunehmend in den Mainstream driftete. Was war an Bands alternativ ? wie zum Beispiel U2, REM oder Nirvana ?, die Alben millionenfach verkauften und deren Touren Stadien fullen konnten? Oder warum gilt eine Band wie Motorhead als Heavy Metal Act, obwohl sich ihr Ansatz auf dem rauen Ethos des Punk begrundet, wahrend Pearl Jam
alternative
genannt werden und das Gegenteil der Fall ist?“
- ↑
a
b
c
d
e
Marcel Anders:
Alternative wie lange noch?
In: Deese, Hillenbach, Kaiser, Michatsch:
Jugend und Jugendmacher
. Originalausgabe: Metropolitan, Munchen 1996,
ISBN 3-89623-050-6
, S. 55 ff.
- ↑
a
b
Dave Thompson:
Alternative Rock: Third Ear ? The Essential Listening Companion
. Miller Freeman Books, 2000,
ISBN 0-87930-607-6
.
- ↑
a
b
Dave Thompson:
Alternative Rock: Third Ear ? The Essential Listening Companion
. Miller Freeman Books, 2000,
ISBN 0-87930-607-6
, viii-introducion
- ↑
Barry Myers:
New Wave ist der Rock ’n’ Roll von heute
. In: Rolf Lindners:
Punk Rock
. 1981,
ISBN 3-88215-043-2
, S. 81
- ↑
Bettina Roccor
:
Heavy Metal. Die Bands. Die Fans. Die Gegner
. C. H. Beck, Munchen 1998, S. 76 ff.
- ↑
Martin Busser:
If the Kids are united
. 2010,
ISBN 3-930559-48-X
, S. 135
- ↑
Martin Busser:
If the Kids are united
. 2010,
ISBN 3-930559-48-X
, S. 134 f.
- ↑
Marcel Anders:
Alternative wie lange noch?
In: Deese, Hillenbach, Kaiser, Michatsch:
Jugend und Jugendmacher
. 1996,
ISBN 3-89623-050-6
, S. 57
- ↑
Genrebeschreibung auf
allmusic.com
- ↑
Hitchcock zitiert nach Dave Thompson:
Schattenwelt
. 2004,
ISBN 3-85445-236-5
, S. 316.
- ↑
Alternative Metal auf
allmusic.com
- ↑
Alternative Rock auf
Schallgrenzen.de
(
Memento
vom 28. August 2010 im
Internet Archive
)
- ↑
Alternative Rock auf
ew.com