Kolonial-Flagge
Indien (lila) als Teil des britischen Kolonialreiches (rot)
Britisch-Indien
(
englisch
British India
oder
British Raj
, von
Hindi
[
???
]
r?j
[
r?ːd?
]
Anhoren
ⓘ
/
?
)
[1]
bezeichnet im engeren Sinne das
britische
Kolonialreich auf dem indischen Subkontinent zwischen 1858 und 1947. Britisch-Indien entstand nach der Niederschlagung des
Indischen Aufstands von 1857
, indem die bisherigen Besitzungen der
Britischen Ostindien-Kompanie
in eine
Kronkolonie
umgewandelt wurden.
Britisch-Indien umfasste zur Zeit seiner großten Ausdehnung nicht nur das Territorium der heutigen Republik
Indien
, sondern auch die Territorien der heutigen Staaten
Pakistan
,
Bangladesch
,
Bhutan
,
Myanmar
sowie Teile von
Kaschmir
(unter heutiger Kontrolle der
Volksrepublik China
). Kleinere Gebiete unter Kontrolle anderer Staaten auf dem indischen Subkontinent waren
Portugiesisch-Indien
und
Franzosisch-Indien
.
Niederlandisch-Indien
bezieht sich auf das heutige Indonesien (siehe
Niederlandische Besitzungen in Sudasien
).
Im Jahr 1876 wurde Konigin
Victoria
von Großbritannien zur
Kaiserin von Indien
ausgerufen, und das Kaiserreich Indien
(Indian Empire)
galt als das ?Kronjuwel des britischen Empire“
(the Jewel in the Crown of the British Empire)
.
Eine Besonderheit Britisch-Indiens war, dass nur etwa zwei Drittel seiner Bevolkerung und die Halfte der Landflache unter direkter britischer Herrschaft standen. Der Rest befand sich unter der Herrschaft von einheimischen Furstendynastien, die in einem personlichen Treueverhaltnis zur britischen Krone standen. Es gab insgesamt mehr als 500 solcher
Furstenstaaten
, die sehr unterschiedlich groß waren. Manche
Maharadschas
herrschten nur uber einige Dorfer, einige dagegen uber ausgedehnte Lander mit Millionen Untertanen.
Unter der Bezeichnung
Indien
war diese Union Teilnehmer beider Weltkriege, Grundungsmitglied des
Volkerbundes
, der
Vereinten Nationen
und Teilnehmer der
Olympischen Spiele
von
1900
,
1920
,
1928
,
1932
und
1936.
1947 erlangte Britisch-Indien seine Unabhangigkeit und durch die
Teilung Indiens
wurde es in zwei
Dominions
aufgespalten, die
Indische Union
und
Pakistan
. Die Provinz
Burma
(das heutige Myanmar) im Osten Britisch-Indiens war bereits 1937 zu einer eigenstandigen Kolonie erklart worden, die schließlich 1948 die Unabhangigkeit erlangte.
[2]
[3]
Bangladesh
war bis 1971 als
Ost-Pakistan
Provinzialstaat von Pakistan und erlangte infolge des
Bangladesch-Krieges
seine Unabhangigkeit.
Die folgenden Abschnitte bedurfen einer grundsatzlichen Uberarbeitung. Naheres sollte auf der
Diskussionsseite
angegeben sein. Bitte hilf mit, sie zu
verbessern
, und entferne anschließend diese Markierung.
Erstmals kamen die Briten zu Beginn des 18. Jahrhunderts als Handelsmacht nach Indien. Vorher hatte es in Indien lediglich kleinere Kolonien wie die der Portugiesen oder Niederlander gegeben. Im fruhen 18. Jahrhundert war die
Mogul-Herrschaft
bereits in einer starken wirtschaftlichen und politischen Krise und deshalb stark ins Schwanken geraten. Wahrenddessen etablierten sich die Briten als Regionalmacht in Indien, jedoch alles im Namen des Mogulherrschers. Es kam zu keiner direkten Kolonialisierung, jedoch wurde der Einfluss der Briten mit der Zeit immer starker. Nach dem Zerfall der
Mogulmacht
mit dem Tode
Aurangzebs
im Jahr 1707 stieg das Reich der
Marathen
(1674?1818, gegrundet von
Shivaji
) in Sudwestindien auf. Die Marathen waren die letzte indische Großmacht vor der britischen Herrschaft, die in den
Marathenkriegen
zwischen 1775 und 1818 besiegt wurden. Neben ihnen spielten noch die Machthaber von
Hyderabad
und
Mysore
eine Rolle in der indischen Politik, wobei die Fiktion eines weiter bestehenden Mogulreiches bis 1857 aufrechterhalten wurde, weil es den legalen Rahmen jeder Herrschaft bildete.
In der 2. Halfte des 18. Jahrhunderts dehnten die
Briten
bzw. die Britische Ostindien-Kompanie nach Verdrangung der
Franzosen
(
Karnatische Kriege
) und
Portugiesen
(
Goa
) ihren Machtbereich in Indien aus.
[4]
Zunachst sicherten sie unter
Robert Clive, 1. Baron Clive
nur ihre Handelsinteressen in
Bengalen
ab, doch aus einem reinen Engagement im
Indienhandel
entwickelten sich handfeste Machtinteressen. Die Kompanie mischte sich in die Streitigkeiten der indischen Fursten ein (
Schlacht bei Plassey
1757) und ubernahm von den Mogulkaisern das Steuerprivileg in Bengalen. 1758 hatte es Clive noch abgelehnt, 1765 nahm er es an.
Arthur Wellesley 1. Schlachtbild Indien
Bald erwiesen sich die Briten als ehrgeizige und flexible Machthaber. 1769 kam
Warren Hastings
, er wurde 1771 Gouverneur von Bengalen und wies seine Leute an, die Verwaltung zu ubernehmen: bis dahin hatte sich die Kompanie hinter der fiktiv aufrechterhaltenen Herrschaft des
Nawabs
versteckt. Er und seine Nachfolger verknupften indische Soldaten mit europaischer Kriegsfuhrung und britische Handelsgewinne mit indischen Steuern, bekampften die (bei Indern und Briten gleichermaßen weitverbreitete)
Korruption
, schlossen Schutzvertrage ab und ubernahmen immer mehr Landstriche. Wo sie nicht selbst an der Macht waren, dienten Beamte der Ostindien-Kompanie als Berater.
Die Briten konnten dabei mit dem Amt des
Generalgouverneurs
und seines Beratungsgremiums (1773, nach 1784 dann ein Aufsichtsrat in London) eine einheitliche Politik organisieren. Auf der Gegenseite stand ein von vielen Konflikten zerrissenes Indien, in dem sich immer eine Partei fand, die bereit war, mit den Briten zu paktieren. Der technologische Vorsprung durch die industrielle Revolution trat hinzu und seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts konnte die Ostindische Kompanie so immer weitere Teile Indiens unter ihre Kontrolle bringen. 1803 fiel Delhi an die Briten, womit auch der Mogulkaiser (nach wie vor der nominelle Herrscher Indiens) deren Kontrolle unterstand.
Mit den großen Gebietseroberungen wurde die Kompanie immer desorganisierter. Ihre Angestellten wurden durch Bestechungsgelder von indischen Fursten und den Privathandel Millionare,
[5]
wahrend die Kriegskosten von den Aktionaren gedeckt werden mussten und die Kompanie hoch verschuldet war. Mehrere Gesetze wandelten die Ostindische Kompanie daher 1773
(Regulating Act)
, 1784
(
India Act
)
, 1793, 1813 (weitreichende Abschaffung des Handelsmonopols), 1833/4 (Verwaltungskorperschaft ohne Handelskontore) von einer Handelsgesellschaft schrittweise in eine autonome Verwaltungsorganisation unter Kontrolle der britischen Regierung. Die Handelsangestellten wurden durch Beamte ersetzt und Indien dem britischen Handel geoffnet, womit das Monopol der Gesellschaft gebrochen war.
Karte des indischen Subkontinents (?Hindostan“) aus dem Jahr 1814
Der Erfolg der Briten war muhsam erkauft, vor allem konnten sie die auseinandergehenden kulturellen Vorstellungen der Verwaltung zunachst nicht verbinden. So ließ Warren Hastings das
islamische Strafrecht
bestehen, weil es einfach zu handhaben war. Ab 1774 gab es dann einen Obersten Gerichtshof nach englischem Gesetz, der aber nach einer Festlegung von 1781 nur fur Europaer galt. Die grausamsten Strafen des islamischen Gesetzes (
Pfahlen
,
Verstummeln
) wurden abgeschafft, aber bis 1861 gab es kein verbindliches Strafgesetzbuch; die Briten verließen sich vielmehr auf einheimische Rechtsexperten. Englisch wurde erst in den 1830er Jahren zur Verwaltungssprache, davor war es das Persische. Alles in allem waren die Briten bis weit ins 19. Jahrhundert hinein nicht in der Lage, die Verwaltung zu ordnen und zu vereinheitlichen: Es gab nicht benotigte Amter, widerspruchliche Vertrage, falsche Interpretationen fruherer Rechtspraxis usw. ? kurz ein Chaos in allen Besitz-, Steuer-, Amts- und Hoheitsfragen.
Auch bemuhte man sich in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts, das altehrwurdige
Landwirtschaftssystem
Indiens dem europaischen System des Grundbesitzes anzupassen. Somit wurde eine Verschuldung des Bodens durch
Spekulantentum
eingeleitet (Boden konnte unter den Briten bei Zahlungsunfahigkeit verkauft werden; 1793 ?dauerhafte Verpachtung“ schafft neue Grundeigentumer).
Silberrupie aus der ?
Madras Presidency
“, gepragt vor der Vereinheitlichung der Munzen 1835; die Briten orientierten sich bis dahin an der einheimischen Gestaltung.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts traten Beamte (z. B. Justizminister Lord Macaulay), die sich die Umwandlung Indiens im englischen Sinne und die Vermittlung fortschrittlicher, christlicher Werte ins Programm schrieben, an die Stelle der Geschaftsleute, die sich einst um intensive Sprach- und Landeskenntnisse bemuhten. Zum Beispiel wurden 1834 die bis dahin ublichen Ehen und gesellschaftlichen Beziehungen mit Indern verboten und eine Trennung zwischen den beiden Gruppierungen eingefuhrt.
Ein wichtiger Schritt war die Kartierung des Subkontinents.
George Everest
setzte den
Great Trigonometric Survey
, begonnen von
Lambton
1806, ab 1823 bis 1841 fort. 1832 fuhrte er die ebenfalls von Lambton begonnene indische
Meridiangradmessung
,
The Great Arc
, bis 1841 durch. Dieser umfasst mehr als 21° von der Sudspitze Indiens bis
Nepal
nordlich von
Dehradun
(2,400 km).
Lord Dalhousie
ubte 1848?1856 das Amt des Generalgouverneurs aus. Er schuf mit großer Energie ein enges Gewebe einer straff organisierten Verwaltung. Die alten Freiraume der Art ?Schafft Ordnung im Land, macht die Leute glucklich und sorgt dafur, dass es keinen Spektakel gibt“ gab es fur die Beamten (viele davon auch im zivilen Bereich arbeitende Offiziere) nun nicht mehr. Die in Indien gultige Praxis der
Adoption
von Thronfolgern wurde dem Einspruchsrecht des Generalgouverneurs unterworfen und Lord Dalhousie annektierte so eine Handvoll dieser abhangigen
Furstenstaaten
(sog.
Doctrine of Lapse
). Daneben gab es in
Avadh
(Hauptstadt:
Lucknow
, heute Teil von
Uttar Pradesh
) eine wiederholt angeprangerte Misswirtschaft, die ihm zum Vorwand diente, es 1856 ebenfalls zu annektieren (wenn auch diesmal auf Anweisung seiner Direktoren in
London
hin).
Entlastung von
Lucknow
, 1857
Die Klasse der Grundeigentumer war ebenfalls von den Reformen des Lords betroffen. Im
Dekkan
wurden rund 20.000 Grundstucke teils unter zweifelhaften Anspruchen enteignet, ohne dass man althergebrachte Werte und Sitten respektierte und Ungerechtigkeiten ausglich. (Den
Jats
in der Umgebung von Delhi hatte man ihr Weideland z. B. steuerlich wie Ackerland veranlagt ? sie litten unter der Steuer.) In den Gefangnissen wurde die Kastentrennung aufgehoben, indem man alle miteinander essen ließ. Die
Brahmanen
wurden durch moderne westliche Erziehung um ihre Autoritat gebracht.
Die Folgen dieser energischen Politik spurte man im
Sepoy-Aufstand
. Dieser Aufstand wird verschiedentlich als erste Unabhangigkeitsbewegung gegen die Briten gesehen, da er auf dem Widerstand gegen Beschneidung angestammter Rechte und Traditionen beruhte. Es gab nicht nur eine Unzufriedenheit, die sich durch alle Kasten zog, sondern auch die angestammte Fuhrerschaft, fur einen Aufstand:
Nana Sahib
, verantwortlich, fur das
Massaker an englischen Frauen und Kindern
in
Kanpur
, war z. B. der Adoptivsohn des letzten
Peschwas
Baji Rao II.
und wurde durch Dalhousies Politik um seine Rente gebracht. Er hatte einen fahigen General namens
Tantia Topi
. Die
Rani
von
Jhansi
Lakshmibai
, eine legendare Aufstandsfuhrerin, war um die Nachfolge ihres Adoptivsohnes gebracht worden. Auch der Exkonig von Avadh hatte seine Agitatoren in den Sepoy-Regimentern und viele Sepoys stammten von dort.
Die nach europaischem Vorbild ausgebildeten indischen Soldaten (
Sepoy
) wurden von Briten befehligt und zahlten 1830 187.000 Mann gegenuber 16.000 Briten. Inder konnten lediglich bis zum Kompaniefuhrer aufsteigen. Das Krafteverhaltnis am Vorabend des Aufstandes war wie folgt: 277.746 Sepoys gegen 45.522 britische Soldaten. Trotzdem siegten die Briten und im Nachhinein begrundete die Politik Dalhousies nicht nur die Zeit des imperialistischen Britisch-Indien, sondern auch den modernen indischen Einheitsstaat.
Karte des Kaiserreichs Indien
Nach dem Sepoy-Aufstand 1857/58 endete die Herrschaft der Ostindien-Kompanie, ihre letzten Machtbefugnisse bzw. Sonderrechte wurden an die Krone ubertragen.
Dies geschah mit dem
Government of India Act 1858
, den das britische Parlament am 2. August 1858 auf Antrag von Premierminister
Palmerston
verabschiedete. Kernpunkte des Gesetzes waren:
- die Ubernahme aller Territorien in Indien von der Ostindien-Kompanie, die zugleich die ihr bisher ubertragenen Macht- und Kontrollbefugnisse verlor.
- die Regierung der Besitzungen im Namen der Konigin
Victoria
als
Kronkolonie
. Es wurde ein
Secretary of State for India
an die Spitze des
India Office
, das von London aus die behordliche Verwaltung beaufsichtigte, gestellt.
- die Ubernahme allen Vermogens der Gesellschaft und das Eintreten der Krone in alle zuvor geschlossenen Vertrage und Abmachungen.
Gleichzeitig wurde der letzte Mogulkaiser
Bahadur Shah II.
abgesetzt. Von nun an regierte der Rat des Generalgouverneurs, welcher dem
India Office
in London unterstand. Den Indern wurden dieselben Rechte wie den Briten zugesagt und auch der Zugang zu allen Regierungsposten. Tatsachlich aber machten es scharfe Aufnahmebedingungen den Indern in der Regel fast unmoglich, hohere Positionen in der Verwaltung zu erlangen. Die Furstenstaaten konnten wieder durch Adoption weitervererbt werden.
1876 nahm
Konigin Victoria von Großbritannien
den Titel ?
Kaiserin von Indien
/Kaisar-i Hind“ an und dokumentierte damit, dass Indien zur Hauptstutze des
britischen Weltreiches
geworden war. Der Kaisertitel wurde nicht zuletzt geschaffen, um eine Art legale Basis fur die britische Herrschaft zu schaffen: schließlich hatte die Ostindische Kompanie bis zuletzt im Namen des Mogulkaisers regiert. Das ?Kaiserreich Indien“ war geteilt in die Gebiete unter direkter Kontrolle (knapp 2/3 des Landes) und in die Gebiete unter einheimischen Fursten, den sogenannten
Furstenstaaten
(
Princely States
oder
Native States
). Daher wurde fur den Generalgouverneur 1858 der zusatzliche Titel
Vizekonig
eingefuhrt.
Im 19. Jahrhundert fiel
Birma
nach mehreren Kriegen (1852, 1866 und 1886) unter britische Herrschaft und wurde am 1. Januar 1886 Teil von Britisch-Indien. Der letzte Konig von Birma wurde mit seiner Familie durch die britische Besatzung ins Exil nach Indien geschickt, wo er auch starb.
Auch gab es immer wieder langwierige
Kampfe an der Nordwestgrenze
zu
Afghanistan
, wo auch dem befurchteten
russischen
Vordringen begegnet werden sollte. Eine direkte Kontrolle uber Afghanistan erwies sich aber als undurchfuhrbar. 1893 wurde die
Durand-Linie
gezogen, die bis heute die Grenze zwischen Pakistan und Afghanistan bildet.
[6]
?British Raj“, die Verwaltungsaufteilung
Ein Brite in Indien
An der Spitze der Provinzverwaltungen stand je nach Große ein
Gouverneur
oder
(Chief) Commissioner:
- Ajmer-Merwara
: 1871 von den Nordwestprovinzen getrennt.
- Belutschistan
: Die unter direkter Herrschaft stehenden Teile Belutschistans wurden 1887 als Provinz organisiert, erster Kommissar wurde
Robert Groves Sandeman
.
- Bengalen
(Bengal):
1765 Prasidentschaft der Britischen Ostindien-Kompanie. Nach den Kriegen gegen die Marathen erweitert. 1858 Provinz, umfasste auch das heutige Bihar. 1874, 1905?1912 geteilt, bei Wiedervereinigung der Kernlande wurden
Bihar
und
Orissa
abgetrennt.
- Berar
: Territorium des
Nizam von Hyderabad
, ab 1853 unter britischer Verwaltung, 1903 mit den Zentralprovinzen vereinigt.
- Bombay
: 1668 Prasidentschaft der Britischen Ostindien-Kompanie. In den Kriegen gegen die
Marathen
erweitert. 1858 Provinz.
- Delhi
, wurde nach dem Umzug der Regierung von Kalkutta zum 30. Sept. 1912 eigene Provinz
(Delhi Imperial Enclave)
aus dem Punjab ausgegliedert, das Gebiet 1915 erweitert.
- Madras
(amtlich
Presidency of Fort St. George
): 1640 gegrundet, 1652 Prasidentschaft der Britischen Ostindien-Kompanie, Ende des 18. Jahrhunderts stark erweitert. 1858 Provinz.
- Mysore
&
Coorg
: 1869?1881, danach wieder eigene Furstenstaaten.
- Nagpur
: 1853 aus einem annektierten Furstenstaat geschaffen, 1861 an die Zentralprovinzen angeschlossen.
- Nordwestprovinzen
(
North-Western Provinces,
Hauptstadt
Agra
): 1835 von der Prasidentschaft Bengalen abgetrennt; 1877 gemeinsame Verwaltung mit Oudh; 1902 formelle Vereinigung der beiden Provinzen und Umbenennung in
United Provinces of Agra & Oudh
(?Vereinigte Provinzen von Agra und Oudh‘).
- Oudh
: 1857 annektierter Furstenstaat, seit 1877 von den Nordwestprovinzen verwaltet.
- Punjab
: 1849 aus in den
Sikh-Kriegen
erworbenen Territorien gebildet. 1901 verkleinert, als die North-West Frontier Province (
Nordwest-Grenzprovinz
) gebildet wurde.
- Zentralprovinzen
(Central Provinces):
1861 aus der Vereinigung von
Nagpur
mit den
Saugor- und Nerbudda-Territorien
entstanden. Nach dem Anschluss von Berar 1903 in
Central Provinces and Berar
umbenannt.
- Randgebiete
- Aden
und
Persian Gulf Residency
:
1932 von der Prasidentschaft Bombay getrennt; Ersteres wurde 1937 eigenstandige Kronkolonie.
- Assam
: 1874 von Bengalen abgetrennt, 1905 vergroßert und in
Eastern Bengal & Assam
umbenannt.
- Andamanen und Nikobaren
: 1872 als eigene Provinz organisiert.
- Birma
:
Lower Burma
(Unter-Birma) 1862 gebildet aus
Arakan
,
Pegu
und
Tenasserim
, 1886 um
Upper Burma
(Ober-Birma) erweitert, 1937 vom Kaiserreich Indien abgetrennt und zur eigenstandigen Kronkolonie erhoben.
Nach den Bestimmungen des
Government of India Act von 1919
(in Kraft ab dem 1. April 1921) bestanden elf Provinzen unter einem Gouverneur
(Governor’s Provinces)
. Dieser war dem Londoner Parlament verantwortlich und fur funf Jahre ernannt. Beigegeben war ihm ein
Council
mit zwei bis vier ernannten Mitgliedern. Sofern Inder gewisse Fragen entscheiden durften, stellten sie zwei bis drei Fachminister. Jede Provinz hatte ein
Legislative Council,
das im dreijahrigen Turnus gewahlt wurde. 1935 wurden die Provinzen
Sindh
(Hauptstadt
Karatschi
) und
Orissa
neu geschaffen. Die
North-West Frontier Province
(NWFP) wurde am 9. November 1901 aus dem
Punjab
ausgegliedert und von
Peschawar
aus verwaltet.
Die Provinzen zerfielen weiter in
Divisions
unter Kommissaren
(Commissioner),
in Madras wurden sie als
Collectorates
bezeichnet. Diese waren wiederum in
Districts
(1935: 273) unterteilt, deren gesamte Verwaltung von einem
District Officer
oder
Deputy Commissioner
geleitet wurde.
Sindh
wurde 1936 von
Bombay
getrennt.
Panth-Piploda
wurde 1942 vom Furstenstaat
Jaora
abgetreten.
- Volksvertretungen
Provinzen (vor 1935)
[7]
|
Hauptstadt (S: im Sommer)
|
Abgeordnete im
Council of State
(ernannt/gewahlt)
|
Abgeordnete im
Legislative Council
(ernannt/gewahlt)
|
Abgeordnete des Provinzparlaments
Gesamt (ernannt/gewahlt)
|
Anzahl Furstenstaaten
|
Madras
|
Madras, S:
Ootacamund
|
2 / 5
|
4 / 16
|
132* (34 /
0
98)
|
?
|
Bombay
|
Bombay, Poona; S:
Mahabaleshwar
|
2 / 6
|
6 / 16
|
114* (28 /
0
86)
|
152
|
Bengalen
|
Kalkutta, S: Darjeeling
|
2/ 6
|
5 / 17
|
140 (26 / 114)
|
?
|
United Provinces of Agra and Oudh
|
Allahabad, S:
Nainital
|
2 / 5
|
3 / 11
|
123* (23 / 100)
|
?
|
Punjab
|
Lahore, S:
Shimla
|
3 / 3
|
2 / 12
|
0
94* (23 /
0
71)
|
0
21
|
Bihar & Orissa
|
Patna, Ranchi
|
1 / 4
|
2 / 12
|
103 (27 /
0
76)
|
0
26
|
Central Provinces (mit Berar)
|
Nagpur, S:
Pachmarhi
|
- / 2
|
3 /
0
6
|
0
73* (18 /
0
55)
|
0
15
|
Assam
|
Shillong
|
- / 1
|
3 /
0
6
|
0
53 (14 /
0
39)
|
0
16
|
In Birma hatten Frauen zwar 1923 das Wahlrecht erhalten.
[8]
Dieses war aber, ebenso wie bei Mannern, ein
Zensuswahlrecht
, das vom Steueraufkommen abhing. Da nur Mannern eine
Kopfsteuer
auferlegt wurde und daher wesentlich mehr Manner als Frauen Steuer bezahlten, kann hier nicht von vergleichbaren Kriterien fur die Geschlechter gesprochen werden.
[9]
Frauenwahlrecht mit hoher Einkommensqualifikation bestand auch auf gesamt-indischer Ebene und zu den mit * gekennzeichneten Legislaturen.
Dazu kamen funf Provinzen, denen ein auf drei Jahre ernannter
Chief Commissioner
vorstand; ohne Volksvertretung unterstanden sie direkt der Zentralregierung:
- Andamanen und Nikobaren
mit dem Hauptort
Port Blair
, dessen beruchtigtes Gefangnis
Circular Jail
zur Verbannung politischer Gefangener genutzt wurde. Zu den 28.000 Einwohnern (1937) kamen 6.158 Straflinge; 1921 waren es 11.500 gewesen
- Ajmer-Merwana
mit der Sommerhauptstadt
Mount Abu
- Belutschistan
, Hauptstadt
Quetta
; der
tahsil
Quetta war bis 1879 Teil des Staates
Kalat
. 1886 kamen Bori, 1887 Khetran, 1889 Zhob und Kakar Khurasan, 1896 Chagai und West-Sinjrani, 1899 Nuski Niabat sowie 1903 Nasirabad hinzu.
- Der Status von Delhi blieb unverandert; es bestand eine Legislatur aus 41 ernannten und 104 gewahlten Abgeordneten
- Coorg
unterstand seit 1881 dem Residenten von Mysore. Die beratende Versammlung hatte 20 Mitglieder, von denen funf aus dem Staatsdienst kamen.
Furstenstaaten
Zu den als Protektorate unter verschiedenen
Agencies
zusammengefassten Furstenstaaten (1941: 560, davon 119 mit
Salutrecht
).
Quit-India-Bewegung
1942
1885 wurde der
Indische Nationalkongress
(INC) gegrundet, der zu Beginn lediglich die Funktion hatte, mit Anfragen und Bitten auf die Kolonialregierung zuzugehen. Es handelte sich zunachst um eine eher elitare Vereinigung, ?die westlich gebildet sowie von europaischem Denken gepragt war und darauf brannte, Regierungsverantwortung zu ubernehmen“ (
Gita Dharampal-Frick; Manju Ludwig und lima raja
: Kolonialisierung und Unabhangigkeit, 153).
[10]
Im weiteren Verlauf der Geschichte war es dann ebendieser INC, der entscheidend auf die Unabhangigkeit Indiens einwirkte. Wegen des wachsenden Einflusses der Hindus im INC kam es 1906 zur Grundung der rivalisierenden
Muslimliga
. Der INC und die Muslimliga verfassten 1916 gemeinsam eine Erklarung mit Forderungen nach indischer Unabhangigkeit (
Lucknow-Pakt
). Diese wurde von der britischen Regierung im August 1917 mit einer politischen Absichtserklarung beantwortet, Indien einen allmahlichen Ubergang zur Selbstregierung zuzugestehen.
Nach dem Ersten Weltkrieg, in dem 1,3 Millionen Mann der
Indischen Armee
auf britischer Seite kampften, war das weiterhin unter britischer Herrschaft stehende Indien eines der Grundungsmitglieder im
Volkerbund
. Mit
Mahatma Gandhi
kam der INC zu seinem wohl bekanntesten und auch charismatischsten Fuhrer. Er verstand es, eine große Menschenmenge zu bewegen und den Prozess der Unabhangigkeit Indiens auf eine nachste Ebene zu befordern. So kam es in der Zwischenkriegszeit zum gewaltlosen Widerstand gegen die britische Herrschaft. Die
Swadeshi-Bewegung
(abgeleitet aus dem Sanskrit: ?swa“ ? selbst, ?desh“ ? Land: eigenes Land) war eine von Gandhi unterstutzte Stromung, die eine Bewegung des Boykotts auslandischer Produkte wie Stoffe, Kleidung und Salz war. Gandhi selbst kleidete sich in ein handgewebtes knielanges Hufttuch, ein schlichtes Hemd und grobe Sandalen.
[11]
Gandhi bemuhte sich um die politische Einheit von Hindus und Muslimen, er traumte von einem einheitlichen, ungeteilten Indien. In seinen Bestrebungen um Unabhangigkeit waren religiose und politische Motivationen auf eine eigentumliche Weise verschrankt. Beispielsweise waren seine politischen Maßnahmen stets ?von religiosen Ritualen (Gebete, Fasten, Prozessionen) begleitet“ (
Michael Bergunder
: Pluralismus und Identitat, 162).
[12]
1919 fand das
Massaker von Amritsar
statt, bei dem mindestens 379 Demonstranten von britischen Soldaten erschossen wurden. Zwischen 1920 und 1922 fand die sogenannte
Kampagne der Nichtkooperation
statt, die von Gandhi initiiert wurde. 1930 fand der beruhmte
Salzmarsch
statt. Doch trotz der großen nationalen wie auch internationalen Resonanz konnten keine weitreichenden Veranderungen in Bezug auf eine Mitregierung oder gar eine Unabhangigkeit erzielt werden. 1935 wurden im
Government of India Act von 1935
Wahlen zu Provinzparlamenten in die Wege geleitet, die der INC 1937 in sieben von elf Provinzen gewann. Im selben Jahr wurde
Birma
zur unabhangigen Kronkolonie erhoben.
Obwohl die indische Offentlichkeit nicht mit den
Nationalsozialisten
sympathisierte und Großbritanniens Haltung gegenuber Deutschland begrußte, erklarten die fuhrenden politischen Krafte Indiens (wie
Subhash Bose
), nur in den
Krieg
eintreten zu wollen, wenn Indien im Gegenzug seine Unabhangigkeit erhalten wurde. Der britische Generalgouverneur
Lord Linlithgow
erklarte beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges den Kriegszustand des Indischen Empire mit Deutschland, jedoch ohne die indischen Politiker zu konsultieren. Durch diesen Schritt wurde deutlich, wie wenig die bisher gewonnene Mitregierung im Bezug auf eine Selbstbestimmung bedeutete, sodass die Forderung nach Unabhangigkeit nach Kriegsende durch den INC laut wurde. Diese Forderungen wurden jedoch abgelehnt und die darauf folgenden Aufstande und Unruhen gewaltsam niedergeschlagen. Zu Beginn des Krieges hatte Indien eine Armee von rund 200.000 Mann, bei seinem Ende hatten sich 2,5 Millionen Mann gemeldet, die großte
Freiwilligen-Armee
im Zweiten Weltkrieg. In diesem Krieg verlor Indien nach offiziellen Zahlen 24.338 Soldaten, 64.354 wurden verwundet und 11.754 blieben vermisst. Aufgrund des kriegsbedingten Nahrungsmangels verhungerten schatzungsweise zwei Millionen Menschen (siehe auch
Hungersnot in Bengalen 1943
).
[13]
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es entgegen den Ankundigungen zu Verhandlungen uber eine mogliche Unabhangigkeit Indiens. Beteiligt waren neben Mahatma Gandhi auch dessen Nachfolger
Jawaharlal Nehru
als Vertreter des INC und auch Mohammed Ali Jinnah, der Fuhrer der Muslimliga, der die Grundung Pakistans als Ziel verfolgte. Der unterschiedlichen Interessen und Vorstellungen wegen kam es zum Streit und einem plotzlichen Ende der Verhandlungen. Die Folge waren Unruhen zwischen Muslimen und Hindus, und da sich Großbritannien nicht imstande sah, Herr der Lage zu werden, wurde die Unabhangigkeit beider Staaten in Aussicht gestellt. Diese sollte eigentlich erst im Juni 1948 erfolgen, von britischer Seite aus entschied man sich spontan zu einer schnelleren Machtubergabe schon im Juni 1947. Nach der
Zwei-Nationen-Theorie
(siehe auch
Mountbattenplan
) wurde das Land dabei in einen hinduistischen Teil (das heutige Indien) und einen muslimischen Teil (das heutige
Pakistan
)
aufgeteilt
. Zum damaligen Pakistan gehorte auch das heute unabhangige
Bangladesch
. Die ubersturzte Machtubergabe und unuberlegte Grenzziehungen fuhrten zu schwerwiegenden Konflikten zwischen beiden Staaten.
Dass es uberhaupt zu einer Zwei-Nationen-Losung kam, steht unter anderem in Verbindung mit den religios-nationalen Interessen Gandhis. Fur ihn stellte sich Indien ?in erster Linie als eine religiose Idee“ (
Michael Bergunder
: Pluralismus und Identitat, 162)
[14]
dar. Den Hinduismus verstand Gandhi als eine inkludierende Religion. Es war fur ihn klar, dass auch andere Religionen einen Weg zu Gott darstellten, jedoch galt fur Gandhi zugleich, zumindest implizit, das Primat des Hinduismus. Ein Beispiel dafur ist sein Einsatz fur die Heiligkeit der Kuh. Diese wollte er indisch-islamischen Gruppierungen gegenuber durchsetzen und machte ihnen so ihre religiosen Uberzeugungen streitig. Jinnahs Forderung in den Verhandlungen ab 1945 nach einem muslimischen Pakistan ist als eine Abgrenzung zu Gandhis vereintem Indien zu verstehen, das dieser im Sinne eines umschließenden Hinduismus dachte. Jawaharlal Nehru, der maßgeblich an den spateren Verhandlungen teilnahm, vertrat hingegen eine strikte Trennung von Religion und Politik. Fur ihn sollte die Politik Indiens deshalb unter dem Vorzeichen des Sakularismus und nicht eines hindu-nationalen Bewusstseins stehen.
Unter der Herrschaft der Ostindischen Kompanie war Indien immer mehr zum wirtschaftlichen Ausbeutungsobjekt herabgesunken. Die indische Weberei als Industriezweig wurde z. B. durch die beginnende Maschinenproduktion in Europa ruiniert: Der europaische Markt war verschlossen, und zur gleichen Zeit fuhrte Großbritannien Fertigkleidung in Indien ein; Indien wurde zum Absatzmarkt, wahrend die Textilexporte rasch zuruckgingen.
Das wirtschaftliche Monopol der Ostindischen Kompanie wurde schon 1813 abgeschafft, sie hatte aber nach wie vor die Verwaltung inne und einige Privilegien. Neben ihr stiegen nun sogenannte
Agency Houses
auf, die eigene Unternehmungen finanzierten, aber noch keine ausreichende Kapitaldecke besaßen. Die Investitionen hielten sich in engen Grenzen, denn der europaische und amerikanische Markt waren sicherer und hatten bessere logistische Voraussetzungen vorzuweisen. Eine Reihe von Pleiten der
Agency Houses
und die Einstellung samtlicher Handelsgeschafte der Kompanie 1833/4 erlaubte es daher einem Inder einzusteigen:
Dwarkanath Tagore
(1794?1846). Danach stieg der Einfluss des britischen Kapitals wieder an, beispielsweise im Zusammenhang mit dem Eisenbahnbau. Als Gegenmaßnahmen zur schlechten Infrastruktur begann man 1839 mit dem Ausbau der
Grand Trunk Road
, einer schon seit der Mogulzeit bestehenden Straße von Delhi ausgehend, die bis
Kalkutta
gefuhrt wurde. Banken wurden eingerichtet, Dampfer auf den Flussen eingesetzt, und ab 1853 begann man mit dem Bau der ersten (schon in den 1840er Jahren projektierten) Eisenbahnlinie. Allgemein galt Britisch-Indien als das ?Kronjuwel des britischen Empire“
(the Jewel in the Crown of the British Empire)
.
[15]
Im sozialen Bereich kam es zu weiteren Veranderungen. Die
Sklaverei
wurde abgeschafft und die
Witwenverbrennung
wurde 1829 zumindest im Gebiet unter direkter britischer Verwaltung verboten. 1829 ging die Regierung auch gegen die
Thugs
vor, eine Mordersekte der Gottin
Kali
. Einer der Vorkampfer einer Art geistiger Erneuerung Indiens war der Brahmanensohn
Ram Mohan Roy
(1772?1833), der sich gegen das
Kastenwesen
, Witwenverbrennung und Unterdruckung der Frauen wandte. Sein Ziel war es,
Hinduismus
und
Christentum
in Einklang zu bringen, denn er ging davon aus, dass beide Glaubensrichtungen im Kern moralisch und rational waren.
Nach dem Sepoy-Aufstand wurden den Indern dieselben Rechte wie Briten zugesagt, und auch (bei entsprechender Befahigung) der Zugang zu allen Regierungsposten. Das hatte den Aufstieg vieler modern ausgebildeter Inder in der Verwaltung zur Folge, auch in hohere Posten bei der Armee. Auch unter direkter britischer Herrschaft fand eine gesteuerte Entwicklung der Kolonie statt, die dem Prinzip folgte, Rohstoffe in der Kolonie zu gewinnen, diese im Heimatland zu verarbeiten und die Kolonie gleichzeitig als Absatzmarkt fur Fertigprodukte zu verwenden. Daher wurde Indien kaum
industrialisiert
, es fand nur ein Ausbau der Infrastruktur ? insbesondere der Eisenbahn ? statt. Hauptprodukte der Kolonie waren
Baumwolle
und
Tee
sowie Jute; auch große Mengen an
Getreide
(
Weizen
) wurden nach Großbritannien exportiert.
Das Eisenbahnnetz von Britisch-Indien umfasste im Jahr 1909 etwa 45.000 bis 50.000 km.
Die Nutznießer der Modernisierung Indiens (Straßen, Kanale, Eisenbahnen, Fabriken, Colleges und Universitaten, Zeitungen usw.) waren trotz allem in erster Linie die Briten. Denn letztendlich unterstand die indische Verwaltung der Kontrolle des
India Office
in London und damit dem britischen Parlament, nicht den Indern. Die Sprache der Oberschicht war
Englisch
. Die Gesetze galten zwar fur alle, wurden jedoch von den Briten gemacht, und die wirtschaftlichen Gewinner waren zunachst sie, dann erst die entstehende indische Mittelschicht.
Technische Errungenschaften wie etwa der Buchdruck wurden von den Indern selbst aufgenommen, und es entstand eine lebhafte indische Presse.
An der Masse der Bauern (oft ungebildet und verschuldet) und Handwerker ging die Modernisierung vorbei, sie war fur sie ein Fremdgut ohne Beziehung zur eigenen Tradition. Dafur verscharften die Umstellung auf den Anbau von Exportprodukten wie
Baumwolle
anstelle von Grundnahrungsmitteln und die hohe Steuerbelastung die
Armut
auf dem Land.
Durre
und
Hochwasser
verursachten immer wieder
Hungersnote
mit Millionen Opfern. Entsprechend ihrer
Laissez-faire
-Wirtschaftspolitik unternahmen die Briten wenig, um den Hungernden beizustehen. Der Wirtschaftsanthropologe Jason Hickel und sein Co-Autor Dylan Sullivan schatzen, dass Indien eine Ubersterblichkeit von 165 Millionen Menschen aufgrund des britischen Kolonialismus zwischen 1880 und 1920 erlitten hat.
[16]
Besonders die zahlreichen Kolonialkriege und der Unterhalt der Armee verursachten massive Ausgaben. Als 1858 die Krone die direkte Herrschaft ubernahm, ubernahm sie nicht nur die Schulden der Ostindischen Kompanie, sondern entschadigte auch deren Anteilseigner großzugig, was zu einer vergleichsweise hohen Staatsschuld
(India Debt)
fuhrte. Die
Staatsfinanzen
waren meist defizitar, was durch einen Exportuberschuss ausgeglichen werden musste und so durch permanenten Geldabfluss
(drain)
zur dauerhaften Verarmung des Landes fuhrte. Bei den im Folgenden gegebenen Zahlen ist die Inflation zu berucksichtigen: Preisindex 1873 = 100, 1913 = 143, 1920 = 281, bezogen auf ganz Indien,
[17]
die im Zweiten Weltkrieg einen weiteren Schub erhielt.
Die wichtigste Einnahmequelle war und blieb die Grundsteuer
(land revenue),
obwohl ihr Anteil im Laufe der Zeit insgesamt abnahm.
[18]
Mit dem
Permanent Settlement
(1793) war eine dem britischen System nachempfundene Struktur geschaffen worden. Großgrundbesitzer
(
zamindar
)
waren indirekt fur das Eintreiben der Steuer verantwortlich. Die Einkunfte der Mittelsmanner aus der Landpacht stiegen zwischen 1793 und 1872 um das Siebenfache, es wurde jedoch nur etwas mehr als die doppelte Steuer abgeliefert. Im Suden war eine direktere Form der Steuerzahlung, das
Ryotwari
-System, ublich. Zwischen 1881 und 1901 stiegen die Einnahmen um weitere 22 %
[19]
Auf lokaler Ebene wurde von den Dorfern noch eine Steuer zur Bezahlung der Dorfvorsteher
(chaukidar)
erhoben. Etliche Zamindar erfanden ihre eigenen Abgaben, etwa fur den Unterhalt ihrer Elefanten. Die Steuereintreibung wurde vielfach durch Erpressung, Zwangsvollstreckung, aber auch haufig Gewalt betrieben.
Die Einfuhrung von Gebuhren auf die Nutzung von Waldern und Weiden
(forest revenue)
durch die Briten, traf besonders die
Tribals,
die traditionell Walder als Allmende genutzt hatten, und fuhrte im 19. Jahrhundert zu zahlreichen
Aufstanden
, die samtlich blutig niedergeschlagen wurden.
Plane zur Einfuhrung einer
Einkommensteuer
wurden seit 1860 entworfen, zu ihrer Einfuhrung kam es erst 1886, um die hohen Kriegskosten der Vorjahre zu decken. Die Steuerbasis wurde 1917 stark erweitert.
Die Umsatzsteuer
(sales tax)
war regressiv gestaltet und wurde 1888 stark erhoht. Verbrauchssteuern z. B. auf Alkohol gewannen an Bedeutung (1882: 6 Mio. Rs., 1920: 54 Mio.). Die
Salzsteuer
, die besonders das einfache Volk betraf, war vom Gesamtbetrag nie bedeutend. Zur Erlaubnis eines Geschaftsbetriebs war eine Gebuhr fur die Konzession
(license fee)
fallig.
Die Zolle wurden aus politischen Grunden niedrig gehalten, um die Einfuhr von Fertigguter aus dem Mutterland, besonders Stoffe, nicht zu beeintrachtigen. Fur das Tatigwerden von Behorden und Gerichten wurden Schreibgebuhren
(stamp duty)
in Form von Gebuhrenmarken verlangt.
Der großte Posten im indischen Staatshaushalt waren immer die
Kosten der Armee.
Dazu zahlten nicht nur Aufwendungen in Indien, auch ein Großteil der britischen Kriegskosten 1885?86 gegen den
Mahdi
und beim
Boxeraufstand
(1900/01) wurde von Indien getragen, weiterhin die Kosten aller uberseestationierten indischen Einheiten. Der Anteil am Haushalt stieg von 41,9 % 1881 auf 45,4 % 1891 und bis 1904 auf 51,9 %. Ein Drittel der Armee hatte nach dem
Sepoy-Aufstand
aus europaischen Soldaten zu bestehen, die etwa den dreifachen Sold eines Inders erhielten.
Nach 1873 kam es zu einer schleichenden
Entwertung der Rupie,
die auf dem Silberstandard basierte, gegenuber dem goldgedeckten Pfund.
[20]
Dies war insbesondere fur die Zahlung der
Home Charges
bedeutsam. Bei diesen handelte es sich um in Pfund abgerechnete Ausgaben, die an das Mutterland abgefuhrt wurden. Sie betrugen 1901 £ 17,3 Mio., wovon 6,4 Mio. Zinsen auf verburgte Schuldverschreibungen aus dem Eisenbahnbau waren, weitere drei Millionen zur Bedienung der allgemeinen Staatsschuld dienten. £ 4,3 Mio. dienten zum Unterhalt der britischen Truppen nur £ 1,9 Mio. dienten dem Kauf von Material. Darin enthalten waren auch Pensionen fur ehemalige Angehorige des
Indian Civil Service
(ICS) und britische Offiziere, zusammen £ 1,3 Mio. Auch die Kosten des
India Office
in London wurden hieraus bezahlt.
[21]
- Joachim K. Bautze:
Das koloniale Indien. Photographien von 1855 bis 1910.
Fackeltrager, Koln 2007,
ISBN 978-3-7716-4347-8
.
- Sabyasachi Bhattacharyya:
Financial Foundations of the British Raj. Menand Ideas in the post-mutiny Period of Reconstruction of Indian Public Finance, 1858?1872.
Indian Institute of Advanced Study, Simla 1971.
- Ulbe Bosma:
Emigration: Colonial circuits between Europe and Asia in the 19th and early 20th century.
2011. Auf:
Europaische Geschichte Online
.
Zugriff am: 17. November 2015.
- Lawrence James:
Raj. The Making and Unmaking of British India.
Little, Brown and Co, London 1997,
ISBN 0-316-64072-7
.
- Denis Judd:
The Lion and the Tiger. The Rise and Fall of the British Raj, 1600?1947.
Oxford University Press, Oxford u. a. 2004,
ISBN 0-19-280358-1
.
- Yasmin Khan:
The Raj at War. A People’s History of India’s Second World War.
The Bodley Head, London 2015,
ISBN 978-1-84792-120-8
.
- Dharma Kumar, Tapan Raychaudhuri (Hrsg.):
The Cambridge economic history of India.
Band 2: Dharma Kumar, Meghnad Desai (Hrsg.):
C. 1757 ? c. 1970.
Cambridge University Press, Cambridge u. a. 1983,
ISBN 0-521-22802-6
.
- Bernd Lemke
,
Martin Rink
:
Britisch-Indien. Vom Beginn der europaischen Expansion bis zur Entstehung Pakistans.
In:
Bernhard Chiari
,
Conrad Schetter
(Hrsg.):
Pakistan
(=
Wegweiser zur Geschichte.
). Im Auftrag des
Militargeschichtlichen Forschungsamtes
herausgegeben. Schoningh, Paderborn u. a. 2010,
ISBN 978-3-506-76908-4
, S. 2?15.
- Joseph E. Schwartzberg (Hrsg.):
A historical atlas of South Asia
(=
Association for Asian Studies. Reference Series.
2). 2nd impression, with additional material. Oxford Univ. Press, New York, NY u. a. 1992,
ISBN 0-19-506869-6
.
- Philip J. Stern:
The Company-State. Corporate Sovereignty And The Early Modern Foundations Of The British Empire In India.
Oxford University Press, Oxford u. a. 2011,
ISBN 0-19-539373-2
.
- ↑
raj, n.
In:
Oxford English Dictionary.
Online-Ausgabe (2001), ?Etymology: < Hindi
r?j
state, government < Sanskrit
r?jya
kingship, realm, state < the same base as
r?jan
king“.
- ↑
Robert H. Taylor:
Colonial Forces in British Burma: A National Army postponed.
In: Karl Hack, Tobias Rettig (Hrsg.):
Colonial Armies in Southeast Asia
(=
Routledge Studies in the Modern History of Asia.
33). Routledge, London u. a. 2006,
ISBN 0-415-33413-6
, S. 195?209, hier S. 207.
- ↑
Michael W. Charney:
A History of Modern Burma.
Cambridge University Press, Cambridge u. a. 2009,
ISBN 978-0-521-85211-1
, S. 46?72.
- ↑
William Dalrymple
:
The Anarchy. The Relentless Rise of the East India Company.
London u. a. 2019.
- ↑
Die Angestellten wurden zumindest bis zur Zeit von
Cornwallis
(reg. 1786?93) schlecht bezahlt. Sie durften aber auf eigene Faust Handel treiben und dafur auch eine gewisse Quote des Frachtraums der Gesellschaft beanspruchen.
- ↑
Durand Line Agreement, 12. November 1893
, abgerufen am 1. November 2022.
- ↑
ohne Birma
- ↑
Jad Adams:
Women and the Vote. A World History.
Oxford University Press, Oxford 2014,
ISBN 978-0-19-870684-7
, Seite 437.
- ↑
Jad Adams:
Women and the Vote. A World History.
Oxford University Press, Oxford 2014,
ISBN 978-0-19-870684-7
, Seite 440.
- ↑
Gita Dharampal-Frick, Manju Ludwig:
Die Kolonialisierung Indiens und der Weg in die Unabhangigkeit.
In: Lpb, Landeszentrale fur politische Bildung Baden-Wurttemberg (Hrsg.):
Indien
(=
Der Burger im Staat.
Jg. 59, Heft 3/4,
ISSN
0007-3121
). Weinmann, Filderstadt 2009, S. 157?173.
- ↑
Bernard Imhasly:
Radikal einfach: Gandhis Gewand war ein Statement.
Neue Zurcher Zeitung, 1. Oktober 2019, abgerufen am 18. August 2023.
- ↑
Michael Bergunder
:
Religioser Pluralismus und nationale Identitat. Der Konflikt um politische Legitimierung des indischen Staates.
In: Michael Bergunder (Hrsg.):
Religioser Pluralismus und das Christentum. Festgabe fur Helmut Obst zum 60. Geburtstag
(=
Kirche ? Konfession ? Religion.
Bd. 43). Vandenhoeck & Ruprecht, Gottingen 2001,
ISBN 3-525-56547-X
, S. 157?173.
- ↑
Johannes H. Voigt
:
Indien im Zweiten Weltkrieg
(=
Studien zur Zeitgeschichte.
Bd. 11). Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1978,
ISBN 3-421-01852-9
, S. 304 (zugleich: Stuttgart, Universitat, Habilitations-Schrift, 1973).
- ↑
Michael Bergunder:
Religioser Pluralismus und nationale Identitat. Der Konflikt um politische Legitimierung des indischen Staates.
In: Michael Bergunder (Hrsg.):
Religioser Pluralismus und das Christentum. Festgabe fur Helmut Obst zum 60. Geburtstag
(=
Kirche ? Konfession ? Religion.
Bd. 43). Vandenhoeck & Ruprecht, Gottingen 2001,
ISBN 3-525-56547-X
, S. 157?173.
- ↑
The British Empire.
Abgerufen am 20. September 2016
(englisch).
- ↑
Jason Hickel und Dylan Sullivan:
Capitalism and extreme poverty: A global analysis of real wages, human height, and mortality since the long 16th century.
In:
World Development
.
ELSEVIER, Januar 2023,
S. Volume 161, January 2023, 106026
,
abgerufen am 27. Dezember 2022
(englisch).
- ↑
Judith M. Brown:
Gandhi’s Rise to Power. Indian Politics 1915?1922
(=
Cambridge South Asian Studies.
11). Cambridge University Press, London u. a. 1974,
ISBN 0-521-08353-2
, S. 125.
- ↑
Sumit Sarkar:
Modern India. 1885?1947.
Macmillan, Delhi u. a. 1983,
ISBN 0-333-90425-7
, S. 17 f: gesamt: 1881: 42 %, 1901: 39 %;
Madras Presidency
: 1880: 57 %, 1920: 28 %
- ↑
Sumit Sarkar:
Modern India. 1885?1947.
Macmillan, Delhi u. a. 1983,
ISBN 0-333-90425-7
, S. 17: 1881: 19,67
crore
Rs., 1901 (nach Jahren verheerender Hungersnot): 23,99 crores Rs.
- ↑
Sumit Sarkar:
Modern India. 1885?1947.
Macmillan, Delhi u. a. 1983,
ISBN 0-333-90425-7
, S. 17: 1873: 1 R. = 2'; 1893: 1 R. = 1' 2d, d. h. ?42 %
- ↑
alle Zahlen nach: Sumit Sarkar:
Modern India. 1885?1947.
Macmillan, Delhi u. a. 1983,
ISBN 0-333-90425-7
, besonders Kapitel II:
Political and Economic Structure.