Vilhjalmur Stefansson
(*
3. November
1879
in
Gimli
,
Manitoba
; †
26. August
1962
in
Hanover
,
New Hampshire
) war ein in
Kanada
geborener
Polarforscher
,
Ethnologe
und
Ernahrungswissenschaftler
.
Er war der Sohn von Johann Stefansson und Ingibjorg Johannesdottir ? beide Einwanderer aus
Arnes
, Island. Sein Geburtsort Gimli (75 km nordlich von
Winnipeg
am Winnipegsee gelegen) war eine islandische Grundung. Er fuhlte sich stark seinen Wurzeln verbunden und anderte seinen Taufnamen ?William“ spater in die islandische Form ?Vilhjalmur“. Obwohl nur mit geringer schulischer Grundausbildung aufgewachsen, brachte er sich autodidaktisch durch Lesen der Bibel, von Zeitungen und Fachbuchern ein weit gestreutes Wissen bei. Weitere Ausbildung wurde ihm jenseits der Staatsgrenze in den Vereinigten Staaten an der Universitat von
North Dakota
(1898?1902) zuteil, wohin seine Familie 1881 nach einer schweren Flut in seiner Heimat zog. An der Universitat von
Iowa
erwarb er 1903 den Artium Baccalaureus (
Bakkalaureus
der
Sieben freien Kunste
, USA: Bachelor of Arts, A.B.). Er studierte weiterhin
Anthropologie
an der
Harvard-Universitat
und lehrte das Fach spater dort zwei Jahre lang.
Bereits 1904 und 1905 fuhrte er
archaologische
und
anthropologische
Untersuchungen in
Island
durch und im Winter 1906?07 lebte er als Teilnehmer der
Anglo-Amerikanischen Polarexpedition
bei den
Inuit
am
Mackenzie
. In den darauffolgenden Jahren unternahm Stefansson mehrere Expeditionen in die
Arktis
und schloss deren
Kartographierung
ab. Er lebte zeitweise mit den Inuit zusammen, woruber er zahlreiche Schriften und Bucher veroffentlichte.
1915 entdeckte er die
Brock-Insel
, die
Borden-Insel
und die
Mackenzie-King-Insel
, die er fur einen Teil der benachbarten Borden-Insel hielt. Erst 1947 wurde sein Irrtum erkannt und berichtigt. Außerdem entdeckte er 1916 die
Meighen-Insel
und klarte die Geographie der
Findlay-Gruppe
auf, deren großte Insel die
Lougheed-Insel
ist.
Unter der Schirmherrschaft des
American Museum of Natural History
(AMNH) unternahmen er und
Rudolph Martin Anderson
eine ethnologische Studie uber die Bevolkerung der zentralarktischen sowie der nordamerikanischen Kusten. Hierbei entdeckte er 1910 die bis dahin unbekannten ?Blonden Eskimo“, welche bis dato noch nie einen weißen Menschen gesehen hatten.
1913?18 ubernahm er im Auftrag der kanadischen Regierung die Fuhrung einer Expedition zur Erforschung der Regionen im Westen der
Parry-Inseln
, die
?Canadian Arctic Expedition“
.
[1]
Drei
Segeldampfer
, die
Karluk
, die
Mary Sachs
und die
Alaska
, wurden ihm zur Verfugung gestellt. Sein Hauptschiff, die
Brigantine
Karluk
, wurde Ende 1913 vom Eis eingeschlossen und driftete nach Westen vor die sibirische Kuste. Es sank am 11. Januar 1914. Stefansson, der die
Karluk
wahrend der Drift verlassen hatte, setzte seine Expedition mit dem Schlitten uber den
arktischen Ozean
(
Beaufortsee
) fort. Der Versorgungsschlitten kehrte nach einiger Zeit um, wahrend er und zwei seiner Manner per Schlitten die Expedition weiterfuhrten und sich hauptsachlich von der Jagd ernahrten. Nach 96 Tagen erreichten sie im Herbst die rettende
Mary Sachs
. Mit ihr setzte er seine Expedition weiter fort. Seine Forschungsergebnisse beinhalteten auch die Entdeckung von neuem Land und die Festlegung der
Kontinentalplattengrenzen
. Die Reise mit ihren wissenschaftlichen Ergebnissen waren die Grundlage fur seine wissenschaftliche Anerkennung. Er konnte zudem die Entdeckungen des Forschers
Francis Leopold McClintock
erweitern. Wahrend dieser Expedition lebte er mehr als ein Jahr auf dem Polareis.
17 der 25 Schiffbruchigen der
Karluk
gelangten ? gefuhrt von Kapitan
Robert Bartlett
(1875?1946) ? auf die unbewohnte
Wrangelinsel
. In Begleitung des
Eskimos
Kataktovick erreichte Bartlett nach einer weiteren strapaziosen Wanderung die
sibirische
Kuste, wo er von den einheimischen
Tschuktschen
gastfreundlich aufgenommen wurde. Von dort schlug er sich auf einem ca. 1100 km Fußmarsch in 37 Tagen zur
Beringstraße
durch und schiffte sich nach
Alaska
ein. Erst dort konnte er die Rettung der Uberlebenden, deren Zahl sich durch Krankheiten und Auseinandersetzungen weiter verringert hatte, organisieren und im September 1914 gerade noch rechtzeitig vor dem nachsten Wintereinbruch mit dem gecharterten
Schoner
King & Winge
von Alaska aus bergen. Von den 25 Besatzungsmitgliedern der
Karluk
uberlebten nur 14. Die Rolle Stefanssons bei dieser Expedition ist umstritten. Einerseits wird ihm vorgeworfen, die
Karluk
mutwillig verlassen zu haben, andererseits war das personliche Verhaltnis zwischen ihm und Robert Bartlett wohl von Beginn an problematisch. Fest steht, dass die Ausrustung der
Karluk
und das Schiff selbst fur eine Expedition bzw. Uberwinterung bei weitem nicht ausreichend waren.
Am Anfang der 1920er Jahre versuchte Stefansson, dem
Britischen Reich
, dem Kanada als
Dominion
angehorte, den Besitz der Wrangelinsel zu sichern, indem er einen Siedlungsversuch initiierte. Am 16. September 1921 wurden der Kanadier Allan R. Crawford sowie die drei US-Amerikaner Frederick W. Maurer (1893?1923), Milton Galle (1902?1923) und Errol Lorne Knight (1893?1923) gemeinsam mit der Eskimofrau
Ada Blackjack
(1898?1983) auf der Insel abgesetzt. Ein 1922 von Stefansson entsandtes Versorgungsschiff musste auf Grund ungunstiger Eisverhaltnisse nach
Nome
zuruckkehren. Am 28. Januar 1923 verließen Crawford, Maurer und Galle die Insel, um das sibirische Festland zu Fuß zu erreichen. Sie sind seitdem verschollen. Der zuruckgebliebene Knight erkrankte an
Skorbut
und starb am 22. Juni. Am 19. August 1923 erreichte die
Donaldson
die Wrangelinsel und nahm Ada Blackjack als einzige Uberlebende an Bord. Dafur blieb der US-Amerikaner Charles H. Wells mit zwolf Eskimos auf der Insel. 1924 verkaufte Stefansson seine vermeintlichen Rechte an der Wrangelinsel an
Carl J. Lomen
(1880?1965), der in Alaska 40.000
Rentiere
besaß. Ein
sowjetisches
Kanonenboot unter dem Kommando von
Boris Wladimirowitsch Dawydow
(1884?1925) erreichte die Insel im August 1924 und schaffte die Siedler um Wells nach
Wladiwostok
.
[2]
Stefansson war zu Lebzeiten ein uberaus bekannter Wissenschaftler. Spater wurde er aufgrund seiner Verbindungen zum
Dartmouth College
, an dem er Direktor der Abteilung fur Polarstudien war, eine der fuhrenden Personlichkeiten im
Cold Regions Research and Engineering Laboratory
(CRREL) der
US-Armee
in
Hanover
.
Stefansson interessierte sich außerdem fur Ernahrungswissenschaften und -gewohnheiten, besonders die mit sehr
kohlenhydrat
armer Kost. Er dokumentierte die Tatsache, dass die Ernahrung der
Inuit
zu rund 90 % aus
Fisch
und
Fleisch
besteht und sie sich zum Teil sechs bis neun Monate im Jahr von nichts anderem ernahren. Zudem fand er heraus, dass auch er und seine
europaischen
Begleiter eine solche ?Null-Kohlenhydrat-
Diat
“ vollig gesund uberstanden. Als er von Medizinern auf diesen Punkt angesprochen wurde, willigten er und ein Begleiter ein, an einer einjahrigen Studie unter Aufsicht der
American Medical Association
(Amerikas großte Arztevereinigung) teilzunehmen. In der Studie sollte gezeigt werden, dass sich Menschen ausschließlich von Fisch und Fleisch ernahren konnen, ohne Vitamin-Erganzungen und ohne gesundheitliche Schaden davonzutragen. Die Ergebnisse wurden im
Journal of the American Medical Association
(JAMA) veroffentlicht. Beide Manner uberstanden die Studie ohne gesundheitliche Beeintrachtigungen.
Stefanssons personliche Aufzeichnungen und die Sammlung arktischer Gegenstande sind in der Bucherei des
Dartmouth College
(Dartmouth College Library) erhalten und der Offentlichkeit zuganglich.
Stefansson ist fur seinen Ausspruch ?Adventure is a sign of incompetence.“ (etwa: ?Wagnisse sind ein Zeichen von Inkompetenz.“) bekannt.
Schon zu seinen Lebzeiten wurde
Stefansson Island
, eine Insel an der Nordostspitze der
Victoria-Insel
, nach ihm benannt. Außerdem tragen das
Stefansson-Becken
im
Arktischen Ozean
(
82° 30′
N
,
133° 0′
W
82.5
-133
),
[3]
die
Stefansson Strait
auf der Ostseite der
Antarktischen Halbinsel
(
69° 26′
S
,
62° 25′
W
-69.433333333333
-62.416666666667
),
[4]
Stefansson Lake
und
Stefansson Creek
in den kanadischen
Nordwest-Territorien
[5]
sowie die
Stefansson Bay
an der Kuste des antarktischen
Kemplands
(
67° 20′
S
,
59° 8′
O
-67.333333333333
59.133333333333
)
[6]
seinen Namen. 1923 wurde er in die
American Philosophical Society
[7]
und 1958 in die
American Academy of Arts and Sciences
gewahlt.
Erscheinungsjahre nicht genau zu bestimmen, da unterschiedliche Daten vorliegen.
- My Life with the Eskimo
, 1912 (
online
, dt. Titel:
Das Geheimnis der Eskimos
)
- The Friendly Arctic
, 1922 (
online
, dt. Titel:
Lander der Zukunft
)
- Hunters of the Great North
, 1922 (
online
, dt. Titel:
Jager des hohen Nordens
)
- The Northward Course of Empire
, 1923 (
online
, dt. Titel:
Neuland im Norden
)
- The Adventure of Wrangel Island
, 1925 (
online
)
- Northward ho! An Account of the Far North
, 1927, (
online
)
- The Three Voyages of Martin Frobisher
, 1938, (
online
)
- Unsolved Mysteries of the Arctic
, 1938 (
online
)
- Iceland: The First American Republic
, 1939
- Ultima Thule
, 1940, (
online
)
- Greenland
, 1942
- Arctic Manual
, 1944
- Compass of the World
(Mitautor: Hans W. Weigert), 1944
- The Encyclopedia Arctica
(unveroffentlichtes Nachschlagewerk), 15 Bande 1947?1951 (als Herausgeber,
online
)
- Not by Bread Alone
, New York, MacMillan 1946; erweiterte Auflage unter dem Titel
The Fat of the Land
, New York, Macmillan, 1956, ²1961
- Great Adventures and Explorations
(Mitautor: Olive Rathbun Wilcox), 1947
- Northwest to Fortune
, 1958
- Cancer: Disease of Civilization? An anthropological and historical study
, 1960
- Discovery ? the autobiography of Vilhjalmur Stefansson
, 1964
- William L. McKinlay:
Karluk ? Die Geschichte einer verratenen Arktis-Expedition
, aus dem englischen
Karluk
ubersetzt von Gunter Seib, Kiepenheuer & Witsch, Koln 1999,
ISBN 3-462-02851-0
.
- Jenniver Niven:
Packeis ? Das Drama der kanadischen Polarexpedition von 1913
(=
The Ice Master
, ubersetzt von Sabine Schult), Hoffmann und Campe, Hamburg 2000,
ISBN 3-455-11335-4
.
- William R. Hunt:
Stef: A Biography of Vilhjalmur Stefansson, Canadian Arctic Explorer
, 1986,
ISBN 0-7748-0247-2
.
- Gisli Palsson
:
Writing on Ice: The Ethnographic Notebooks of Vilhjalmur Stefansson
; Dartmouth College Press, University Press of New England, Hanover, 2001,
ISBN 1-58465-119-9
.
- ↑
The story of the Canadian Arctic Expedition 1913?1918.
Canadian Museum of History
,
abgerufen am 19. Mai 2022
(englisch).
- ↑
Vilhjalmur Stefansson:
The Adventure of Wrangel Island
. Jonathan Cape, London 1926.
- ↑
Stefansson Basin
, Eintrag auf geographic.org (englisch, abgerufen am 29. Januar 2013).
- ↑
Stefansson Strait
, Eintrag auf geographic.org (englisch, abgerufen am 29. Januar 2013).
- ↑
Gazetteer of the Northwest Territories
. NWT Cultural Places Program, Prince of Wales Northern Heritage Centre 2017, abgerufen am 9. Januar 2018.
- ↑
Stefansson Bay
, Eintrag auf geographic.org (englisch, abgerufen am 29. Januar 2013).
- ↑
Member History: Vilhjalmur Stefansson.
American Philosophical Society,
abgerufen am 4. Dezember 2018
.