Die
kleindeutsche Losung
der
deutschen Frage
war eine von zwei diskutierten Losungen wahrend der
Revolutionszeit von 1848/49
und danach, welche Gebiete zu einem geeinten Deutschland gehoren sollten. Ein Kleindeutschland war ein gesamtdeutscher Staat ohne Osterreich.
Die andere wurde
großdeutsche Losung
genannt. Im Jahr 1848 war
Osterreich
noch ein erheblich großerer Staat als heute. Ein Teil des damaligen Osterreichs gehorte zum Bundesgebiet des
Deutschen Bundes
. Es handelt sich unter anderem um die Gebiete, die heute zur
Republik Osterreich
, zu
Sudtirol
und zu
Tschechien
gehoren. Neben diesem bundeszugehorigen Teil Osterreichs gab es noch das bundesfremde Osterreich mit Gebieten, die heute in
Ungarn
,
Italien
und weiteren Staaten liegen.
Die Befurworter eines Kleindeutschlands lehnten es ab, ganz Osterreich in den neuen deutschen Bundesstaat aufzunehmen. Sie hatten allenfalls die bundeszugehorigen Teile akzeptiert. Eine solche Trennung Osterreichs lehnte der
osterreichische Kaiser
jedoch ab.
Nachdem die kleindeutsche Losung 1867?1871 realisiert worden war, verlor die Bezeichnung an Bedeutung: Seitdem wird Deutschland im Wesentlichen mit diesem Kleindeutschland gleichgesetzt. Weiterverwendet wurde der andere Begriff, großdeutsch, fur eine Einbeziehung von Osterreich in einen gesamtdeutschen Staat.
Der
Deutsche Bund
von 1815 war die Grundlage fur die Diskussionen in der
Frankfurter Nationalversammlung
1848/1849 fur das entstehende
Deutsche Reich
. Die meisten Abgeordneten gingen wie selbstverstandlich davon aus, dass das Bundesgebiet zum Reichsgebiet werden sollte. Teilweise sollte es daruber hinausgehen, namlich auch die Provinzen im Osten Preußens umfassen, die der Bund schon vor Zusammentritt der Nationalversammlung aufgenommen hatte. Hinzu kam ferner
Schleswig
, das als
danisches
Lehen nicht zum Bund gehorte, aber in der Vorstellung der deutschen Nationalbewegung untrennbar mit dem Bundesglied
Holstein
verbunden war.
Im Oktober 1848, spatestens im Marz 1849, wurde uberdeutlich, dass das
Kaisertum Osterreich
kein Teil des Reiches werden konnte. Die osterreichische Regierung lehnte es ab, dass nur ein Teil des osterreichischen Gesamtstaats sich anschließen durfte. Eine wichtige Vorentscheidung war im Dezember 1848 der Sturz des
Kabinetts Schmerling
: Der Vorsitzende des gesamtdeutschen Ministerrats,
Anton von Schmerling
, war Osterreicher und wurde nun durch den Hessen
Heinrich von Gagern
ausgetauscht.
Der neue
Reichsministerprasident
Gagern befurwortete einen
Doppelbund
: Deutschland ohne Osterreich sollte ein Bundesstaat werden. Dieser
engere Bund
wurde spater
Kleindeutschland
genannt, was die geografische Ausdehnung betraf. Kleindeutschland sollte dann in einem
weiteren Bund
, einem Staatenbund, mit ganz Osterreich verbunden sein.
[1]
Die Frage großdeutsch/kleindeutsch spaltete die Nationalversammlung und die deutsche Offentlichkeit. Je feindseliger Osterreich sich verhielt,
[2]
desto mehr Anhang gewann aber die kleindeutsche Losung, wie sie dann in der
Frankfurter Reichsverfassung
erkennbar ist. Die Verfassung hielt jedoch theoretisch den Beitritt derjenigen osterreichischen Gebiete offen, die zuvor zum Deutschen Bund gehort hatten, also die großdeutsche Losung.
1849/50 bemuhte Preußen sich, Kleindeutschland als
Erfurter Union
zu verwirklichen. Dieser Bundesstaat sollte alle deutschen Gebiete außer Osterreich umfassen, aber insgesamt konservativer und foderalistischer als das Deutsche Reich der Revolutionszeit sein. Allerdings gelang es Preußen schon zu Beginn nicht, Bayern und Wurttemberg fur diese Politik zu gewinnen, und spater sprangen mit Hannover und Sachsen weitere Mittelstaaten ab. Nach der
Herbstkrise 1850
, in der es fast zum Krieg zwischen Preußen bzw. der Union und vor allem Osterreich und Bayern gekommen ware, musste Preußen die Unionspolitik aufgeben.
In seinem
Bundesreformplan vom 10. Juni 1866
stellte Preußen ein preußisch-bayerisch gefuhrtes Kleindeutschland vor. Nach dem Sieg uber Osterreich im Deutschen Krieg konnte Preußen seine Vorstellungen teilweise verwirklichen, mit dem
Norddeutschen Bund
von 1867. Die verbleibenden suddeutschen Staaten schlossen sich diesem Nationalstaat 1870/71 an; so entstand das ?
Deutsche Reich
“.
Da Osterreich und Liechtenstein nicht dazugehorten, war das
Deutsche Kaiserreich
(1871?1918) die Verwirklichung von Kleindeutschland. Im Gegensatz zu 1848?1850 fehlten
Luxemburg
und
Limburg
; zum Reich gehorten aber außer Schleswig auch
Elsass-Lothringen
, das im Krieg gegen Frankreich erobert worden war.
In der
Zwischenkriegszeit
wurde die Frage ?kleindeutsche oder großdeutsche Losung“ noch einmal aufgeworfen. Nach dem
Zerfall der Habsburgermonarchie
am Ende des
Ersten Weltkriegs
entstand eine neue politische Landkarte. Die nichtdeutschen Gebiete machten sich selbstandig, wahrend die Politiker und die Bevolkerung von
Deutschosterreich
sich der
deutschen Republik
anschließen wollten. Dies hatte in etwa der großdeutschen Losung von 1848 entsprochen, allerdings ohne den vornehmlich tschechisch bewohnten Teil Bohmens. Dieser Zusammenschluss wurde in den
Pariser Vorortvertragen
(
Vertrag von Saint-Germain
,
Vertrag von Versailles
) ausdrucklich verboten.
1938 erzwang
Adolf Hitler
den
Anschluss seines Heimatlandes Osterreich
(Wiedervereinigung genannt) an das
nationalsozialistische Deutsche Reich
, das von da an (amtlich 1943) als
Großdeutsches Reich
bezeichnet wurde. Nach der
Kapitulation Deutschlands
1945 brach dieses Reich wieder auseinander, und Osterreich wurde ? als selbstandiger Staat ? mit dem
Staatsvertrag
von 1955 wiederhergestellt. Die heutige Situation mit Deutschland und Osterreich kann man in gewissen Sinne als kleindeutsche Losung ansehen.
- ↑
Ernst Rudolf Huber:
Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789
. Band II:
Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830 bis 1850
. 3. Auflage, W. Kohlhammer, Stuttgart [u. a.] 1988, S. 800/801.
- ↑
Frank Moller:
Heinrich von Gagern. Eine Biographie.
Habilitationsschrift, Universitat Jena, 2004, S. 324/325.