Heinrich Wilhelm Neumann
(*
17. Januar
1814
in
Breslau
; †
14. Oktober
1884
in Popelwitz bei Breslau, heute Popowice in Wrocław) war ein
deutscher
Psychiater
, der sich in der fruhen
Wissenschaftstheorie
seines Fachgebiets einen bleibenden Namen gemacht hat.
Heinrich Neumann entstammte einer judischen Familie. Er war der Sohn des Orientalisten Immanuel Moritz Neumann (1778 oder 1779?1865) aus Brody und der Caroline, geb. Braniss. Sein Vater war seit 1808 Oberlehrer an der
Koniglichen Wilhelms-Schule
; sein alterer Bruder (* 1811) war der spatere Pastor Ludwig Neumann, der ab 1837 die deutsche evangelische Gemeinde in
Rio de Janeiro
betreute. Im April 1826, als Heinrich zwolf Jahre alt war, legte sein Vater sein Schulamt nieder, ließ sich unter dem Einfluss der
Londoner Missionsgesellschaft
mit seiner gesamten Familie taufen und nahm die Vornamen Heinrich Christlieb (auch Christoph) an.
[1]
Er wurde 1837 Lektor fur
hebraische
Sprache an der
Universitat Breslau
.
1836 promovierte Heinrich Neumann der Jungere in Breslau und war anschließend Regimentschirurg. In der Revolutionszeit versuchte er als Assistent in der schlesischen Anstalt
Leubus
eine ≫konstitutionelle Verwaltung≪ einzufuhren. Dabei sollten alle Personalgruppen Sitz und Stimme erhalten. Die traditionellen Psychiater bezeichnete Neumann als ≫eingesessene Kaste≪. Dadurch war er in Leubus nicht mehr langer tragbar. Beim polnischen Aufstand 1849?1850 war er Militararzt.
1852 grundete er die Privatirrenanstalt Popelwitz bei Breslau, die er als ≫Medizinalanstalt≪ bezeichnete und deren Leiter er war. 1859 gab er an der Heilanstalt Erlangen unter A. Solbrig sein ?
Lehrbuch der Psychiatrie
“ heraus.
[2]
Dieses Buch war in drei Teile untergliedert:
- Physiologische Einleitung
- Allgemeine Pathologie
- Specielle Pathologie und Therapie
Im zweiten Teil ging Neumann auf die psychiatrische Krankheitslehre ein.
Christian Roller
, der Grunder der fur die europaische Psychiatrie wegweisenden Anstalt
Illenau
, betonte in seiner 1831 erschienenen Schrift ?Die Irrenanstalt nach allen ihren Beziehungen“, dass die Arbeitstherapie ein Mittel arztlicher Behandlung sei, nicht eine okonomische Maßregel. Er befurchtete jedoch, dass
Johann Michael Leupoldt
und Neumann in Erlangen aus der Psychiatrie ?fast ein
Arbeitshaus
“ zu machen schienen. Seit 1862 war Neumann ordentlicher Professor. 1867 leitete er die psychiatrische Abteilung des Allerheiligenhospitals in Breslau. 1874 wurde er zum Direktor der psychiatrischen Universitatsklinik Breslau ernannt. 1881 verkaufte er die Anstalt Popelwitz. 1883 erschien sein Werk ?Leitfaden der Psychiatrie“.
[3]
[4]
[5]
Heinrich Neumann gilt als einer der ersten Anstaltsgrunder in Deutschland. Durch das Konzept der
Einheitspsychose
hat er sich einen bleibenden Namen in der Psychiatrie gemacht. Er gilt als ?Urvater“ der Psychiatrie, weil sich verschiedenste Generationen von Psychiatern auf ihn beriefen.
Karl Ludwig Kahlbaum
, der Grunder klinischen Psychiatrie in Deutschland, knupfte an
Johann Spielmann
und Heinrich Neumann an, indem er den Verlauf der Krankheit zum wichtigen Kriterium bei der Beurteilung der Schwere der Krankheit machte.
[4]
Emil Kraepelin
griff diesen Gedanken wieder bei Kahlbaum auf. Außerdem gilt Neumann als Begrunder der ?analytischen Methode“ in der Psychiatrie. Diese ergab entscheidende Impulse fur
Carl Wernicke
und fur
Sigmund Freud
.
[5]
[6]
- Lehrbuch der Psychiatrie
. 1859.
- Leitfaden der Psychiatrie
. 1883.
- ↑
Schlesiens Literatur im Jahre 1826.
In:
Monatschrift von und fur Schlesien
Jg. 1829, Bd. 2, Juli, S. 420 (
Web-Ressource
).
- ↑
Neumann, Heinrich:
Lehrbuch der Psychiatrie
. Erlangen 1859, 242 Seiten, 309 Paragraphen.
- ↑
Degkwitz, Rudolf
et al. (Hrsg.):
Psychisch krank
. Einfuhrung in die Psychiatrie fur das klinische Studium. Urban & Schwarzenberg, Munchen 1982,
ISBN 3-541-09911-9
; Seite 360.
- ↑
a
b
Peters, Uwe Henrik
:
Lexikon Psychiatrie, Psychotherapie, Medizinische Psychologie
. Urban & Fischer, Munchen
6
2007;
ISBN 978-3-437-15061-6
; Seite 387
(online)
.
- ↑
a
b
Dorner, Klaus
:
Burger und Irre
. Zur Sozialgeschichte und Wissenschaftssoziologie der Psychiatrie. [1969] Fischer Taschenbuch, Bucher des Wissens, Frankfurt / M 1975,
ISBN 3-436-02101-6
; Seite 312 f., 314.
- ↑
Jaspers, Karl
:
Allgemeine Psychopathologie
. Springer, Berlin
9
1973,
ISBN 3-540-03340-8
; Anhang § 4 Historisches uber Psychopathologie als Wissenschaft. Schilderer und Analytiker Seite 708.