Constantin Caratheodory
(
griechisch
Κωνσταντ?νο? Καραθεοδωρ?
Konstantinos Karatheodori
; *
13. September
1873
in
Berlin
; †
2. Februar
1950
in
Munchen
) war ein
griechischer
Mathematiker
. In der Literatur findet sich der Nachname auch als
Karatheodori
,
Caratheodory
oder
Caratheodori
.
Caratheodory wurde als Sohn von Stephanos Caratheodory (1834?1908), einem griechischen Diplomaten im Dienste des
Osmanischen Reiches
, und von Despina Petrococchino (1850 bis vor 1879) geboren. Die Familie Caratheodory weist eine lange diplomatische Tradition auf und mehrere Familienmitglieder hatten wichtige Regierungsposten in
Konstantinopel
inne. Ein Großonkel,
Alexander Caratheodory Pascha
, der zugleich der Vater seiner Ehefrau Euphrosyne war, hatte 1878 als Außenminister die
Hohe Pforte
auf dem
Berliner Kongress
vertreten, an dem der Vater von Caratheodory ebenfalls teilnahm (als Sekretar). Die Familie stammt ursprunglich aus dem Dorf Vosnochori (Βοσνοχ?ρι), heute
Nea Vyssa
(Ν?α Β?σσα) bei
Orestiada
.
Caratheodory wuchs in
Brussel
auf, wo sein Vater ab 1875 Botschafter war. Bereits in seinen Jugendjahren wurde seine mathematische Begabung deutlich und er gewann diverse schulische Auszeichnungen. Zweimal gewann er bei den
Concours generaux
aller hoheren Schulen des Landes den ersten Preis in Mathematik. 1891 legte er das belgische Abitur ab und trat als
eleve etranger
in die
Ecole Militaire de Belgique
in Brussel ein. Das Ingenieurstudium an dieser Kadettenanstalt schloss er nach vier Jahren ab.
Als Bauingenieur im Offiziersrang begab er sich 1895 in das Osmanische Reich nach
Mytilene
(
Lesbos
), um dort beim Ausbau des Straßennetzes zu helfen. Weitere Bauprojekte verhinderte der
Griechisch-Turkische Krieg
1896/97. Caratheodory ging nach
London
, um wenig spater fur eine britische Firma am
Suezkanal
zu arbeiten. In
Assiout
arbeitete er zwei Jahre lang als Assistant-Engineer fur die
Nil
-Regulierung. In seiner Freizeit beschaftigte er sich mit der Mathematik und studierte die Werke
Camille Jordans
, insbesondere dessen
Cours d'Analyse
. Er fuhrte Messungen im Eingang der
Cheops-Pyramide
durch, die er auch veroffentlichte. Hier fasste er zur großen Uberraschung seiner Familie den Entschluss, sich kunftig ausschließlich mit der Mathematik zu beschaftigen.
Caratheodory besuchte die Universitaten
Berlin
(1900?1901) und
Gottingen
(1902?1904). Fur seine
Promotion
an der Universitat Gottingen, die zu dieser Zeit wegen ihrer herausragenden Mathematiker weltweit einen hervorragenden Ruf genoss, wahlte er das Thema
Uber die diskontinuierlichen Losungen in der Variationsrechnung
. In Gottingen wurde die Begabung Caratheodorys erkannt und noch am Vortag des
Rigorosums
trat
Felix Klein
an ihn mit dem Vorschlag heran, sich in Gottingen zu habilitieren. Den Doktorgrad erwarb er am 1. Oktober 1904. Sein Doktorvater war
Hermann Minkowski
. Bereits im Marz des darauffolgenden Jahres erhielt er die
venia legendi
, die Lehrbefugnis. Seine Habilitationsschrift wurde ohne Einhaltung einer Frist vorgelegt. Drei Jahre lang arbeitete er in Gottingen als Privatdozent. 1908 wechselte er nach
Bonn
, ein Jahr spater, 1909, wurde er
ordentlicher Professor
an der
Technischen Hochschule Hannover
. Im Jahr darauf wurde er an die neu gegrundete
Technische Hochschule Breslau
berufen. 1913 kehrte er als Nachfolger von Felix Klein nach Gottingen zuruck. 1918 folgte er dem Ruf nach Berlin. Zusammen mit
Albert Einstein
wurde er 1919 in die
Preußische Akademie der Wissenschaften
aufgenommen. Bei der Aufnahme Caratheodorys hatte kein Geringerer als
Max Planck
die Laudatio gesprochen. Im selben Jahr wurde er zum korrespondierenden Mitglied der Gottinger
Akademie der Wissenschaften
gewahlt.
[1]
Im Jahre 1920 erhielt er den Ruf der
Universitat Smyrna
im heutigen
Izmir
, die ihn zum Prasidenten ernannte. Er trug maßgeblich zu deren Aufbau bei, aber seine Arbeit endete 1922 mit dem
Einmarsch der Turken
im Ruin. Caratheodory konnte noch rechtzeitig seine Familie ? Frau, Sohn und Tochter ? auf der Insel
Samos
in Sicherheit bringen, um allein nach Smyrna zuruckzukehren. Dort organisierte er die Rettung kostbaren Schriftguts der Universitat, das er auf Booten nach Griechenland transportieren ließ. Danach fand Caratheodory mit seiner Familie Zuflucht in
Athen
.
Hier
lehrte er bis zum Jahre 1924.
1924 wurde er Nachfolger von
Ferdinand Lindemann
an der
Universitat Munchen
. 1925 wurde er als ordentliches Mitglied in die Mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse der
Bayerischen Akademie der Wissenschaften
gewahlt. Den Antrag fur seine Aufnahme hatte
Alfred Pringsheim
mit unterzeichnet. Caratheodory war 1927 Mitunterzeichner des Antrags dieser Klasse, Albert Einstein, mit dem er regelmaßigen Briefkontakt pflegte, als korrespondierendes Mitglied aufzunehmen. An der Akademie war Caratheodory unter anderem mitverantwortlich fur die Herausgabe der Werke von
Johannes Kepler
. Ihn und seine Kollegen
Oskar Perron
und
Heinrich Tietze
bezeichnete man als ?Munchner Dreigestirn der Mathematik“.
1928 hielt Caratheodory sich langere Zeit in den
Vereinigten Staaten
auf. Er hielt Gastvortrage an der
University of Pennsylvania
, in
Harvard
, in
Princeton
sowie an der
University of Texas at Austin
und an der
University of Texas at San Antonio
.
1930 trug die griechische Regierung die Bitte an ihn heran, die Neuorganisation der Universitaten Athen und Thessaloniki zu organisieren. Caratheodory folgte dieser Bitte, obwohl Munchner Kollegen wie
Arnold Sommerfeld
versuchten, ihn zum Bleiben zu bewegen. Wahrend dieser Zeit schrieb er auch fur die große griechische Enzyklopadie einen Beitrag uber Mathematik. Auf der
Akropolis
untersuchte er den
Parthenon
. Nach Erledigung dieses Auftrages kehrt er nach Munchen zuruck. 1938 erfolgte seine
Emeritierung
. Die Zeit des
Nationalsozialismus
verbrachte er zuruckgezogen als Kirchenvorstand der
Griechischen Kirche zum Erloser am Munchner Salvatorplatz
, wobei er nach einjahriger Pause wieder eine Vorlesung uber Potentialtheorie hielt. Im Sommer 1946 hielt er nach schwerer Erkrankung seinen ersten Vortrag beim Mathematischen Colloquium in Munchen zum Thema ?Uber Lange und Oberflache“. Ende Januar 1950 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand erneut. Am 2. Februar verstarb er an seinem Leiden. Caratheodory ist auf dem Munchner
Waldfriedhof
begraben.
[2]
Seine Frau Euphrosyne war bereits am 29. Juli 1947 verstorben.
Caratheodory war stark von
David Hilbert
beeinflusst. Er lieferte fundamentale Ergebnisse in vielen Gebieten der Mathematik, insbesondere in der Theorie der
partiellen Differentialgleichungen
, der
Funktionentheorie
(z. B.
Caratheodorysche Metrik
), der
Variationsrechnung
und der Maß- und Integrationstheorie.
Seine Beitrage zur Variationsrechnung, Funktionentheorie,
geometrischen Optik
,
Thermodynamik
sowie zur
theoretischen Physik
beeinflussten viele namhafte Mathematiker. Aus der Korrespondenz mit Albert Einstein geht hervor, dass Caratheodory diesem wichtige mathematische Erklarungen fur seine Grundlegung der
Relativitatstheorie
geben konnte. Der neue Feldbegriff, den Caratheodory in die Variationsrechnung eingefuhrt hat, sollte große Folgen haben. Caratheodory leitete daraus eine Ungleichung ab, die 20 Jahre spater unter anderem Namen als
Bellmansche
Gleichung oder Ungleichung in der mathematischen Welt Aufsehen erregt, die Grundlage wird fur das Prinzip der
dynamischen Optimierung
und seither weit uber die Mathematik hinausstrahlt.
Seine Untersuchungen uber einfache Integrale in der Variationsrechnung blieben nicht auf die Ebene beschrankt, sondern er entwickelte sie weiter fur den Raum. Daneben arbeitete er an Variationsproblemen mehrfacher Integrale. Auch der Optik, der
Mechanik
sowie der Planetenbewegung widmete er als Akademiemitglied mehrere Abhandlungen. Einen besonderen Platz nahm aber die Thermodynamik ein. Schon seine 1909 erschienene Veroffentlichung auf diesem Gebiet (
Erste axiomatisch strenge Begrundung der Thermodynamik
) fand große Beachtung durch Planck und
Max Born
.
In der
Funktionentheorie
ist der
Fortsetzungssatz von Caratheodory
sein 1913 bewiesenes Resultat,
[3]
dass eine
konforme Abbildung
der
Einheitskreisscheibe
auf ein von einer
Jordan-Kurve
begrenztes Gebiet eine
stetige, bijektive
Fortsetzung auf den Rand der Einheitskreisscheibe hat. Des Weiteren ist nach ihm sein 1912 gefundenes Resultat
[4]
benannt, dass die
lokal gleichmaßige Konvergenz
einer Folge von konformen Abbildungen der Einheitskreisscheibe der
Kernkonvergenz
der Bildgebiete entspricht. In der
Differentialgeometrie
wird ihm die
Vermutung von Caratheodory
zugeschrieben, die die Existenz mindestens zweier
Nabelpunkte
auf jeder glatten, geschlossenen und konvexen Flache postuliert (die Vermutung ist offen).
1926 fuhrte er den allgemeinen Beweis, dass kein System aus Linsen und Spiegeln ohne
optische Abbildungsfehler (Aberrationen)
existiert, mit der Ausnahme des trivialen Falls fur ebene Spiegel. 1940 veroffentlichte er gemeinsam mit
Bernhard Schmidt
eine
Theorie eines Spiegelteleskops
zur Theorie des
Schmidt-Teleskops
, dessen erstes Exemplar dieser in
Hamburg-Bergedorf
gebaut hatte und von dem bald weitere z. B. auf dem
Mount Palomar
folgten. 1932 hielt er einen Plenarvortrag auf dem
Internationalen Mathematikerkongress
in
Zurich
(Uber die analytischen Abbildungen durch Funktionen mehrerer Veranderlicher).
Er hat diverse weitere mathematische Lehrsatze entdeckt, darunter das
Maximumprinzip
. Der
Maßerweiterungssatz von Caratheodory
ist bis heute Gegenstand zahlreicher mathematischer Untersuchungen.
Die Ludwig-Maximilians-Universitat Munchen hat 2002 in Anerkennung seiner Leistungen einem der großten Horsale des Mathematischen Instituts in einer Feierstunde den Namen
Constantin-Caratheodory-Horsaal
verliehen. Unter den Gasten war seine Tochter Despina Rodopoulou-Caratheodory.
[5]
Caratheodory erfreute sich wegen seines außergewohnlichen analytischen Verstandes und seiner fachlichen Kompetenz, zugleich aber auch wegen seiner personlichen Integritat einer hohen Wertschatzung weit uber sein Fach hinaus. Neben seinen zahlreichen Verdiensten in der
Mathematik
ist Caratheodory aber auch fur sein außergewohnliches Sprachtalent bekannt. Seine Muttersprachen waren Griechisch und Franzosisch. Zusatzlich publizierte er die meisten seiner Arbeiten auf Deutsch, und er sprach fließend Englisch, Italienisch und Turkisch.
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- Funktionentheorie.
2 Bande. 2. Auflage. Birkhauser, 1961 (englische Ubersetzung
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- Mass und Integral und ihre Algebraisierung.
Birkhauser, 1956 (englische Ubersetzung:
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- Uber eine Verallgemeinerung der Picardschen Satze.
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- ↑
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Die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften zu Gottingen 1751?2001
(=
Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Gottingen, Philologisch-Historische Klasse.
Folge 3, Bd. 246 =
Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Gottingen, Mathematisch-Physikalische Klasse.
Folge 3, Bd. 50). Vandenhoeck & Ruprecht, Gottingen 2001,
ISBN 3-525-82516-1
, S. 56.
- ↑
Grab von Caratheodory auf dem Munchner Waldfriedhof (Grabfeld 303,
Lage
48.10522
11.49014
,
Bilder
)
- ↑
C. Caratheodory:
Uber die gegenseitige Beziehung der Rander bei der konformen Abbildung des Inneren einer Jordanschen Kurve auf einen Kreis.
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Mathematische Annalen.
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- ↑
C. Caratheodory:
Untersuchungen uber die konformen Abbildungen von festen und veranderlichen Gebieten.
In:
Mathematische Annalen.
Band 72, 1912, S. 107?144.
- ↑
Constantin Caratheodory-Horsaal
(PDF; 1,8 MB), mathe-lmu, Nr. 7/2002, Hrsg. Forderverein Mathematik in Wirtschaft, Universitat und Schule an der Ludwig-Maximilians-Universitat Munchen e.V., S. 9.