ADB:Hiller, Johann Adam

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Artikel ?Hiller, Johann Adam“ von Rochus von Liliencron in: Allgemeine Deutsche Biographie , herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 12 (1880), S. 420?423, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource , URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hiller,_Johann_Adam&oldid=- (Version vom 28. Mai 2024, 16:04 Uhr UTC)
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Band 12 (1880), S. 420?423 ( Quelle ).
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Hiller: Johann Adam H., Musiker, nach seiner 1784 verfaßten Autobiographie (s. u.) geb. am 25. December 1728 zu Wendischossig bei Gorlitz, † am 16. Juni 1804 zu Leipzig. Sein Vater, Schulmeister und Gerichtsschreiber des Orts, nannte sich eigentlich Huller. Diesen verlor der Knabe schon in seinem sechsten Jahre und nur fremde Unterstutzung nebst einigem Erwerb Hiller’s als Choralist machte es seiner Mutter moglich, ihn 1740?45 die Gorlitzer Schule besuchen zu lassen. Dann aber mußte er sich einige Zeit als Schreiber sein Brot erwerben, kehrte jedoch dem inneren Drange folgend dennoch bald zum Studium zuruck. Da er nicht nur ein wohl geubter Sanger war, sondern auch das Clavier und verschiedene andere Instrumente leidlich spielte, ward er in Dresden in das Alumneum der Kreuzschule aufgenommen. Mit einem an gesundheitswidrige Ueberanstrengung grenzenden Eifer wandte er jetzt alle Zeit, welche ihm die Schularbeiten und der tagliche Chorgesang ubrig ließen, auf musikalische Studien, gefordert durch K. F. Abel (s. Bd. I. S. 13) und namentlich durch Homilius , den damaligen Cantor der Kreuzschule, der ihm im Clavier- und Generalbaßspielen Unterricht gab. Als Hauptmittel zum theoretischen Selbststudium dienten ihm daneben Graun’sche und Hasse’sche Partituren, die er sich abschrieb (die Berliner Bibliothek besitzt eine Anzahl solcher von ihm gefertigter Abschriften Hasse’scher Opern). Hasse, dessen Werke er in Dresden in vorzuglichen Auffuhrungen [ 421 ] horen konnte, ward uberhaupt der Gegenstand seiner hochsten Bewunderung. Er componirte auch selbst schon mancherlei. 1751 bezog er, um die Rechte zu studiren, die Universitat Leipzig, wo er von Gottsched und Gellert freundlich aufgenommen und gefordert ward. Seinen Unterhalt erwarb er hauptsachlich durch Chorsingen, Orchesterspiel und Musikstunden, setzte daneben seine eigenen musikalischen Studien eifrig fort und trat auch mit einigen Beitragen zu den ?Erweiterungen der Erkenntniß und des Vergnugens“ als Dichter und Musikschriftsteller auf. Nach Ostern 1754 ubernahm er eine Hofmeisterstelle bei dem jungen Grafen Heinrich Adolf Bruhl, einem Neffen des Ministers . Mit diesem seinem Zogling verlebte er nun theils auf dessen vaterlichem Gute, theils in Dresden und zuletzt in Leipzig, wohin er den Studenten begleitete, glucklichere und sorgenlosere Tage, als bisher. Nur steigerten sich die Schwindelanfalle, an denen er litt, dergestalt, daß er im Januar 1760 seinen Abschied nahm. Auf eine ihm gewahrte kleine Pension verzichtete der angstlich gewissenhafte Mann schon nach einem Jahre wieder, da er trotz der Kriegsunruhen die Moglichkeit fand, sich durch fabrikmaßig betriebenes Uebersetzen aus dem Franzosischen zu ernahren (vgl. Meusel , G. T., Bd. 3). Seine Composition blieb inzwischen hauptsachlich dem Lied und der Cantate zugewandt. Unter dem Titel ?Musikalischer Zeitvertreib“ veranstaltete er damals eine periodische Sammlung von Musikstucken, die insofern Interesse hat, als, wie es scheint, sie die Anregung zu manchen bald folgenden ahnlichen Unternchmungen Anderer gegeben hat: zu dem ?Musikalischen Allerlei“, ?Musikalischen Mancherlei“, ?Musikalischen Vielerlei“ (letzteres von Ph. Em. Bach ), den ?Unterhaltungen“, ?Annee musicale“ etc. ? Im Sommer 1762 errichtete H. in Leipzig, da das sogen. ?offentliche Concert“ in den ?drei Schwanen“ uber die Kriegsunruhen ins Stocken gerathen war, ein ?Concert“ (d. h. ein Concertunternehmen) auf Subscription und setzte es fort, bis 1763 das ?große Concert“ wieder begann. Dessen Direction ward aber nun H. ubertragen; auch componirte er fur dasselbe einige Sinfonien, Partien und Cantaten. Um dem Concerte zu besseren Sangern zu verhelfen, verlegte er sich zugleich darauf, sowol Choristen als Solisten auszubilden; unter seinen ersten Schulerinnen finden wir zwei bald hochgefeierte Namen, Corona Schroter und die Schmehling, nachmalige Mara ; beide fur das ?Concert“ engagirt.

Um diese Zeit ward H. zugleich in eine andere, sehr folgenreich gewordene Thatigkeit gezogen. An allen deutschen Buhnen herrschte damals ausschließlich die italienische Oper; eine deutsche Oper gab es nicht. Die verheißungsvollen Anfange einer solchen, welche um den Beginn des Jahrhunderts von Hamburg ausgingen, waren langst wieder eingeschlafen. Den damaligen Wiener Burlesken mit Gesang kann man den Namen auch nur der Operette kaum zugestehen. Da kam der Theaterprincipal Koch in Leipzig 1765 auf den Einfall, das von Weiße 1762 nach Coffey’s ?The devil to pay“ unter dem Namen ?Der Teufel ist los oder die verwandelten Weiber“ mit dem Nachspiel ?Der lustige Schuster“ verfaßte und von Standfuß [WS 1] mit Musik versehene Singspiel in einer neuen Weiße’schen Bearbeitung wieder aufzufuhren. Er forderte H. auf, die neu eingelegten 29 Gesange dazu zu componiren. Diese Arbeit erfreute sich eines solchen Beifalles, daß sie thatsachlich der Ausgangspunkt der deutschen Oper geworden ist. H. selbst schrieb in den nachsten Jahren noch eine Reihe solcher Singspiele: ?Lisuart und Dariolette“ von Schiebeler , 1767), ?Lottchen am Hofe“ (1767), ?Die Liebe auf dem Lande“ (1768), ?Die Jagd“ (alle drei von Weiße, letztere 1760, nach Schwall’s ?Die Jagdlust Heinrichs IV.“ und dieses wieder nach Colle’s La partie de chasse de Henri IV. ), ?Die Muse“ (von Schiebeler), ?Die Schafer als Pilgrime“. ?Der Dorfbarbier“ (unter Mitarbeit Neefe’s , 1770), ?Der Erndtekranz“ (von Weiße, 1771), ?Der Krieg“, ?Die Jubelhochzeit“, [ 422 ] ?Das Grab des Mufti“, ?Poltis oder das gerettete Troja“. Die zwei oder drei ersten dieser Singspiele sah Goethe wahrend seiner Leipziger Studentenzeit unter dem ersten frischen Eindruck ihres Erscheinens auf der Buhne; offenbar dankt er ihnen seine bekannte, auch dichterisch so fruchtbar gewordene Vorliebe fur das Singspiel. Er besuchte damals H., um sich von ihm uber diese neue Erscheinung belehren zu lassen; doch wußte H. (wie Goethe spater schreibt, Hempel’sche Ausgabe, Bd. 28, S. 759) ?mit seiner wohlwollenden Zudringlichkeit, mit seiner heftigen, durch keine Lehre zu beschwichtigenden Lernbegierde sich so wenig als Andere zu befreunden“. Zu kampfen hatte ubrigens H. bei seinem Unternehmen nicht nur mit dem Theaterprincipal, der die Musik auf der untersten Stufe des Popularen festgehalten wissen wollte, ?so daß jeder Zuschauer im Stande ware, allenfalls mitzusingen“, sondern noch mehr mit der Unzulanglichkeit der Gesangskrafte. Denn von einem eigenen Opernpersonal war auf der deutschen Buhne damals noch keine Rede; hielt doch Goethe es noch 1808 fur nothig, die vollige Verschiedenheit der Oper vom Schauspiel zu betonen, als er die Trennung beider an seiner weimarischen Buhne in einem amtlichen Schreiben in Vorschlag brachte ( l. c . Bd. 27, Abth. 2, S. 41 ff.). Man verlangte eben einfach vom recitirenden Schauspieler eine ausreichende musikalische Bildung. Dabei legte man denn freilich einen außerst bescheidenen Maßstab an. Bei den Hiller’schen Opern, meint Goethe in dem eben erwahnten Schreiben, braucht man eigentlich gar keine Sanger, um sie ganz leidlich vorzutragen. Das Gleiche sagt in der That H. selbst: ?Das Theater ? schreibt er ? hatte gar keine eigentlichen Sanger und Sangerinnen, sondern wer von Natur eine leidliche Stimme und ein bißchen Tactgefuhl hatte, unternahm es in den Operetten zu singen.“ Was die Musik dabei verlor, kam freilich auf der anderen Seite der Darstellung wieder zu gut: unsere heutigen Opernsanger konnen in der Regel umgekehrt jene altere Operette nicht singen, weil sie sie nicht zu spielen verstehen.

Aus dem Gesangunterricht Hiller’s erwuchs allmahlig eine ordentliche Schule. 1775 errichtete er eine ?Musikubende Gesellschaft“, welche sich bereits an Handel’sche Werke wagen durfte, und dies wieder fuhrte ihn zu der Einrichtung sogenannter Concerts spirituels, welche der Vorfuhrung von Oratorien und geistlichen Musiken in der Advent- und Fastenzeit gewidmet waren und in denen sich H. namentlich um die Wiedererweckung Handel’s in Deutschland große Verdienste erworben hat. 1778 ging das ?offentliche Concert“ in seiner bisherigen Gestalt zu Grabe. Nun aber ward im Gewandhaus ein neuer großerer Concertsaal erbaut und eine Gesellschaft von 12 Vorstehern ubernahm Hiller’s Musikinstitut, indem sie ihn selbst zum Dirigenten mit 400 Thalern Gehalt ernannte. Zu Michaelis 1781 eroffnete er also die bis heute bluhenden und hochberuhmten ?Gewandhaus-Concerte“. Inzwischen war er 1779 von der Akademie zum Musikdirector an der Paulinerkirche, und ward 1784 vom Rath zum Musikdirector an der Neuen Kirche ernannt. Bei der Pensionirung von Doles endlich im J. 1789 ward H. dessen Nachfolger als Cantor an der Thomasschule. In solcher Stellung wirkte er in fast jugendlicher Frische und mit voller Freude auch an den neuen Erscheinungen in der Musik, wie an Mozart , bis zu seiner Pensionirung im J. 1800. ? Eine erfreuende Episode seines Lebens bildete eine Reise nach Kurland im J. 1782. Er war vom Herzog eingeladen worden, zwei von ihm ausgebildeten Sangerinnen dorthin das Geleit zu geben und ward wie vom Herzog so im v. der Recke’schen Hause mit großer Auszeichnung empfangen. 1786 fuhrte er in Berlin den Messias mit einer bis dahin dort nicht gekannten Massenhaftigkeit des Chors und Orchesters auf. ? Verheirathet war er schon seit dem Jahre 1765.

Die Zahl seiner Compositionen ist eine recht betrachtliche. Seine Lieder, von denen mehrere Sammlungen erschienen, waren sehr beliebt. Sie sowie die [ 423 ] Melodien seiner Singspiele horte man bald an allen Clavieren. Erinnern sich doch selbst unter der lebenden Generation die Aelteren noch heute seiner Melodie zu Weiße’s ?Als ich auf meiner Bleiche“. Von seinen schatzenswerthen musikalischen Schriften verdienen besonders genannt zu werden: die ?Anweisung zum musikalisch richtigen und zum musikalisch zierlichen Gesange“ (1774 und 1780); die ?Wochentlichen Nachrichten“, 4 Bde. (1766?70); die ?Lebensbeschreibungen beruhmter Musikgelehrten und Tonkunstler“, 1. (einziger) Band 1784, darin am Schluß die Selbstbiographie des ebenso bescheidenen wie achtungswerthen Kunstlers. Ein Mann nicht von hohen Gaben, aber von begeistertem und einsichtigem Streben, der sich zwar nicht durch Werke von dauerndem Werth, wohl aber durch das Erkennen und Einschlagen richtiger Wege zur Steigerung des Musiktreibens in seiner nachsten Umgebung an Gehalt und Technik unvergangliche Verdienste um das deutsche Musikleben uberhaupt erworben hat.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Johann Georg Standfuß (Geburtsdatum unbekannt, † um 1756?59), Ballettgeiger in Leipzig; Komponist und Mitbegrunder der Musiktheatergattung Singspiel.