Zeichentrickfilm

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Rotoskopie : Ein galoppierendes Pferd nach den Reihenaufnahmen von Eadweard Muybridge

Ein Zeichentrickfilm ist eine Spezialform der Animation und besteht aus vielen, meist per Hand hergestellten Zeichnungen, die zeitlich nacheinander prasentiert werden. Durch geringfugige Anderung des Inhalts, von Bild zu Bild, entsteht beim Betrachter der Eindruck, dass es sich um ein Bewegtbild handelt.

Die Hexe und ihr Haustier . Animation im Stil eines Daumenkinos. 101 Bilder in 14 Sekunden.

Die technisch einfachste Art, den Effekt eines Zeichentrickfilms zu erzeugen, ist das Durchblattern eines Daumenkinos .

Geschichte [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Szenenbild aus dem Zeichentrickfilm Gertie the Dinosaur (1914)

Die ersten gezeichneten Filme schuf der Franzose Emile Reynaud , mit Hilfe des von ihm entwickelten Praxinoskops . Um 1877 stellte er mit diesem Verfahren, das als Vorlaufer der Kinematographie galt, seine ersten animierten Bilder vor. 1906 gilt als das Geburtsjahr des Zeichentrickfilms, als der US-Amerikaner J. Stuart Blackton mit Humorous Phases of Funny Faces seinen ersten vollstandig animierten Film prasentierte. Zwei Jahre spater veroffentlichte der Franzose Emile Cohl seine ersten Zeichentrickfilme, die er direkt auf Filmstreifen zeichnete.

Besonders popular wurden die Filme des Karikaturisten Winsor McCay , der 1911 seine Comicreihe Little Nemo in einem Kurzfilm umsetzte und 1914 mit Gertie the Dinosaur die erste populare Zeichentrickfigur schuf. Infolgedessen entstanden Anfang der 1920er Jahre viele Studios, deren bekannteste die von Max Fleischer ( Koko der Clown , Betty Boop , Popeye ), Pat Sullivan ( Felix the Cat ), Bud Fisher ( Mutt and Jeff ) und Walt Disney ( Micky Maus ) waren. In diesen Studios wurde das arbeitsteilige System von Spezialisten entwickelt, welches bis heute besteht, und den bis dahin allein arbeitenden Animator abloste.

Der erste Animationsfilm in Spielfilmlange war der in Argentinien von Quirino Cristiani geschaffene Film ? El Apostol “ aus dem Jahr 1917; jedoch handelte es sich dabei nicht um Zeichentrick, sondern um einen Flachfigurenfilm . Bei einem Brand im Jahr 1926 wurden samtliche Kopien des Films zerstort. In Europa wurde mit dem schwedischen ?Kapitan Grogg“ eines der fruhen Werke des Zeichentrickfilms geschaffen. In Deutschland wirkten Rudolf Leonard, Otto Dely sowie Lotte Reiniger , die mit ihren Silhouetten-Animations -Filmen große Popularitat erlangten. In Osterreich waren Ladislaus Tuszy?ski und Peter Eng die ersten Trickfilmzeichner. [1]

Technische Entwicklung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Installation zum Abfilmen der Cels
Ausmalen einer Folie (?Cel“)

In den Anfangen wurden die Zeichnungen noch direkt auf den Film gezeichnet. Kurze Zeit spater wurde dieser Prozess durch ein leicht verbessertes Verfahren abgelost, bei dem die Papierblatter mit den Zeichnungen unter die Kamera gelegt und aufgenommen wurden. Etwa ab 1920 wurden die Zeichnungen auf Folien (? Cels “) ubertragen, welche es ermoglichten, die Animation mit aufwendigen Hintergrunden zu kombinieren. 1928 kam der Ton hinzu, ab 1930 die Farbe (in dem Revuefilm King of Jazz mit dem Orchester Paul Whiteman ). 1933 entwickelte der Erfinder und Zeichner Ub Iwerks , der bis 1930 fur Disney gearbeitet hatte, die Multiplan-Kamera , mit der flache Hintergrundelemente auf verschiedenen Ebenen unabhangig voneinander bewegt werden konnten, und so einen raumlicheren Eindruck erzeugten. In den 1950er Jahren adaptierte Iwerks das Xerox-Kopiersystem, welches die Zeichnungen direkt auf Folie kopierte. Die glatten per Hand ?geinkten“ Umrisslinien wurden von einem viel raueren Bleistiftstrich abgelost. Stephen Bosustov entwickelte bei UPA einen neuen, grafisch orientierten Stil mit weniger Details, der besser fur das neue Medium Fernsehen geeignet war. In der Folge entwickelten er und andere Studios die ?Limited Animation“. Um nicht standig komplette Figuren neu zeichnen zu mussen, wurde eine Figur so auf mehrere Ebenen verteilt, dass nur noch die sich tatsachlich bewegenden Teile neu gezeichnet werden mussten. Diese von Kritikern beklagte Entwicklung war vor allem dem geringen Budget des Fernsehens geschuldet.

Der Computer zog relativ spat in die Zeichentrickwelt ein. Zuerst in den Kameraraum, wo ungefahr ab 1970 Kamerafahrten vom Rechner kalkuliert und ausgefuhrt wurden. In den 1990er Jahren ersetzte das Einscannen das fruhere Kopieren der Zeichnungen; nachfolgende Arbeitsschritte wie Kolorieren und Kamera fanden jetzt im Computer statt. Heutige Produktionssysteme in großen Studios automatisieren moglichst viele Arbeitsgange, aber immer noch ist ein Zeichentrickfilm vor allem eine handwerkliche Arbeit, die entweder mit Bleistift und Papier oder auf einem Grafiktablett ausgeubt wird. An einem abendfullenden Zeichentrickfilm arbeiten etwa 20 bis 400 Menschen und es werden mehrere zehntausend Zeichnungen angefertigt.

Neuere Entwicklungen integrieren haufig auch dreidimensional am Computer erstellte Objekte, die hauptsachlich fur Fahrzeuge oder sich bei Kameraschwenks bewegende Objekte eingesetzt werden. Aber auch bei Charakteren werden teilweise Computeranimationen eingesetzt, die beispielsweise realistisch fallendes Haar ermoglichen, sich aber in die klassisch erstellten Zeichnungen integrieren.

Arbeitstechniken [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Der klassische Arbeitsablauf großer Studios beginnt mit einem Drehbuch und dem Entwurf der handelnden Figuren. Das Drehbuch ist Grundlage fur das Storyboard , in dem fur jede Einstellung mindestens eine Zeichnung steht, aus der Kameraeinstellung, Bewegung der Figuren und Art des Hintergrundes erkennbar sind. Nach dem Storyboard werden Layouts gezeichnet, und zwar in der Große, in der sowohl Animatoren wie Hintergrundkunstler arbeiten. Fur jede Figur existiert ein Model Sheet einschließlich einer Figurine , die die verbindlichen Vorlagen fur alle Zeichner darstellen.

Ublicherweise werden, wenn das Drehbuch komplett ist, die Dialoge der Figuren aufgenommen. Ein Trackreader (heutzutage oft eine Software) ubertragt sie Laut fur Laut in die X-Sheets (? exposure sheets , auch dope sheet“). Das X-Sheet ist ein einzelbildgenaues Drehbuch fur jede einzelne Einstellung (die im Animationsbereich ?Szene“ genannt wird), das fur den Animator und den Kameramann verbindlich ist. Pro Einzelbild enthalt es eine Zeile, in der eingetragen wird, welcher Laut gerade zu horen ist und welche Zeichnungen unter die Kamera gelegt werden sollen. Außerdem werden samtliche Kamerabewegungen festgehalten.

Zeichentisch fur Entwurfe von Zeichentrickfilmen

Der Animator erhalt das Storyboard, die notigen Modelsheets, eine Kopie des Layouts und das X-Sheet. Er entwirft nun mit einigen skizzenhaften Zeichnungen das Gerust der Animation, die Schlusselbilder (engl. Keyframes ) oder Hauptphasen. Das sind jene Zeichnungen, die die Bewegung definieren. Um seine Arbeit zu uberprufen, nimmt er sie mit dem linetester auf, einer Software, die per Videokamera aufgenommene Zeichnungen auf einem Rechner abspielt. Dabei kann er jede Zeichnung so lange in der Zeit verschieben, bis das Timing passt. Sind der Animator und der Regisseur mit der Szene zufrieden, geht die ? rough animation “ zum Assistenten des Animators. Der zeichnet die ?cleanups“, also Reinzeichnungen der Schlusselbilder, getreu nach den Vorgaben des Modelsheets, und fugt evtl. ? breakdowns “ hinzu. Das sind Zeichnungen zwischen den Schlusselbildern, die die Bewegung noch genauer definieren. Der wachsende Stapel Papier gelangt nun zum Inbetweener oder Zwischenphasenzeichner, der die immer noch fehlenden Zeichnungen zwischen die bereits existierenden einfugt.

Fur normale Bewegungen genugen 12 Zeichnungen pro Sekunde Film. Bei extrem schnellen Bewegungen oder Bewegungen quer durchs Bild braucht es bis zu 24 Zeichnungen, damit die Abstande zwischen den Positionen nicht so groß werden und die Bewegungsillusion nicht zerstort wird. Bei Studios wie Disney liegt der Durchschnitt bei etwa 18 Zeichnungen pro Sekunde. TV-Serien kommen stellenweise mit 6 Zeichnungen pro Sekunde aus. Im Laufe der Jahre wurden viele Techniken entwickelt, um Zeichnungen zu sparen, und die Bewegungsillusion statt durch Anfertigung vieler Zeichnungen durch die Wahl der Bildausschnitte, Schnitte oder Kamerafahrten uber Standbilder zu erzeugen.

Des Weiteren ist es ublich, die Zeichnungen in verschiedene Ebenen aufzuteilen: In Dialogszenen wird zum Beispiel nur die Mundbewegung animiert, der Korper jedoch nur wenig. Auch werden oft Zeichnungen wiederverwendet. In einer Dialogszene wird zum Beispiel der Korper in einer Schleife animiert, um eine naturliche Bewegung zu simulieren. Dieses Aufteilen in Ebenen wird normalerweise durch den Keyanimator vorgenommen. Daher hat das X-Sheet zwar eine Zeile pro Belichtung, aber mehrere Spalten fur die verschiedenen Ebenen.

Sind samtliche Zeichnungen vorhanden und ist die Szene mehrfach getestet und abgenommen, kann sie koloriert werden. Fruher wurden samtliche Zeichnungen auf Folie ubertragen oder kopiert und diese dann per Hand auf der Ruckseite ausgemalt. Heutzutage findet das Kolorieren immer mehr im Computer statt. Der Colorist arbeitet am Bildschirm an den eingescannten Zeichnungen. Animationssoftware kann dabei viel automatisieren, per Hand wird beispielsweise nur noch das erste Bild einer Szene koloriert, dann koloriert der Computer alle weiteren Phasen, und schließlich werden nur noch eventuelle Fehler per Hand korrigiert.

In der Zwischenzeit werden die Hintergrunde gemalt. Fruher trafen sich die Hintergrunde mit den bemalten Folien unter der Kamera wieder, heute werden auch sie eingescannt oder sogar ganz am Computer gemalt. Das Zusammenstellen ( Compositing ) der verschiedenen Teile der Animation uber dem Hintergrund bietet Gelegenheit, noch Spezialeffekte einzufugen. Sind alle Einzelteile eingefugt, wird die Szene gerendert und entweder digital gespeichert oder auf Film ausbelichtet.

Fur sich wiederholende Bewegungen oder Ablaufe werden Endlosschleifen oder Animationszyklen erstellt. Beispiele hierfur sind Fließbewegungen in Gewassern, laufende oder fliegende Tiere oder sich bewegende Fahrzeuge, die vor einen sich andernden Hintergrund gelegt werden. Im Falle einer schreitenden Vorwartsbewegung wird die Figur animiert, einen Schritt mit dem einen Fuß, dann einen Schritt mit dem anderen Fuß zu machen und dieses dann in einen Loopzyklus gesetzt, so dass die Bewegungen sich nahtlos aneinanderreihen.

Moderne Zeichentrickfilme [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Die Produktion von abendfullenden Zeichentrickfilmen furs Kino ist seit 2004 zuruckgegangen. Der Erfolg von Pixar und anderen Produzenten von CGI -Animationsfilmen bewog das Management der Walt Disney Company , keine klassischen Zeichentrickfilme mehr zu produzieren. Die Kuhe sind los (2004) sollte der vorlaufig letzte Kino-Zeichentrickfilm der Disney-Studios sein. Mit Kuss den Frosch kehrte Disney 2009 jedoch zum klassischen Zeichentrickfilm zuruck. Auch andere Studios sind von der Umorientierung ihrer Geldgeber weg vom 2-D, hin zum 3-D-Film betroffen, obwohl der wirtschaftliche Erfolg Pixars eher in seiner inhaltlichen und kunstlerischen Virtuositat begrundet liegt. Nachdem Disney Pixar fur 7,4 Milliarden US-Dollar ubernommen hat, entschied John Lasseter als neuer kunstlerischer Leiter Disneys, diese Managemententscheidung ruckgangig zu machen.

Weltweit werden weiterhin lange Zeichentrickfilme, vor allem aber Fernsehserien produziert. Disney selbst betreibt Studios in Japan und Australien, die in klassischer Technik hauptsachlich fur den wachsenden Home-Video-Markt arbeiten. In Japan ( Studio Ghibli ), Korea ( SEK Trickfilmstudios in Nordkorea ), Taiwan und China wachst die Trickfilmindustrie, die entweder als Zulieferer fur europaische und amerikanische Firmen arbeitet oder mit Produktionen in Eigenregie vor allem den heimischen Markt beliefert. Herausragende kunstlerische Personlichkeiten wie Hayao Miyazaki verweigern sich grundsatzlich dem 3-D-Boom: ?Wir benutzen die Technik, die grafisch am besten aussieht. Und Handzeichnungen sind dazu immer noch die geeignetste Methode.“

In Europa werden dank des Cartoon-Programms der EU in den letzten Jahren verstarkt abendfullende Zeichentrickfilme hergestellt, die meisten davon fur Kinder. Durch die Fortschritte der computergestutzten Produktion verschwimmen die Grenzen zwischen 2D und 3D zusehends, entscheidend fur die Wahl eines Produktionsdesigns sind nicht mehr so sehr die Kosten, sondern hauptsachlich kunstlerische und Marketing-Grunde.

Siehe auch [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Portal: Animation  ? Ubersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Animation

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Matthias C. Hanselmann: Der Zeichentrickfilm. Eine Einfuhrung in die Semiotik und Narratologie der Bildanimation. Schuren, Marburg, 2016. ISBN 978-3-89472-991-2 .
  • Walt Disney, Bob Thomas, Paul Hartley: Die Kunst des Zeichenfilms. Bluchert, Hamburg 1960, DNB 450148025 .
  • Frank Thomas , Ollie Johnston : Disney Animation. The Illusion of Life . Abbeville Press, New York 1981, ISBN 0-89659-698-2 .
  • Rolf Giesen (Hrsg.): Das große Buch vom Zeichenfilm. Comicaze Verlagsgesellschaft, Berlin 1982, ISBN 3-923266-00-6 .
  • Leonard Maltin : Der klassische amerikanische Zeichentrickfilm. (OT: Of Mice and Magic ). Heyne, Munchen 1991, ISBN 3-453-86042-X .
  • Jerry Beck (Hrsg.): The 50 Greatest Cartoons. As Selected by 1000 Animation Professionals . JG Press / Layla, North Dighton 1998, ISBN 1-57215-271-0 .
  • Rolf Giesen: Lexikon des Trick- und Animationsfilms. Die große Welt der animierten Filme. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2003, ISBN 3-89602-523-6 .

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Wiktionary: Zeichentrickfilm  ? Bedeutungserklarungen, Wortherkunft, Synonyme, Ubersetzungen

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. S. Walter Fischer: Technisches. In: L’Estrange Fawcett: Die Welt des Films. Amalthea-Verlag, Zurich, Leipzig, Wien 1928, S. 213.