Versuch uber Schiller
Zum 150. Todestag des Dichters ? seinem Andenken in Liebe gewidmet
ist ein
Essay
von
Thomas Mann
, aus dem er am 8. Mai 1955 in Stuttgart (
BRD
) und am 14. Mai 1955 in Weimar (
DDR
) die Festreden bei den
Schiller
-Feiern gehalten hat.
Thomas Manns Laudatio auf den Dichter des
Lieds von der Glocke
setzt ein mit einer niederdruckenden Beschreibung der Beisetzung im Mai 1805 auf dem Jacobsfriedhof in Weimar und endet mit einer eindringlichen Klage. Die ?rohe, raffgierige“ Menschheit, durch zwei Weltkriege uberhaupt nicht klug geworden, rustet im
Kalten Krieg
auf ? mit der
Wasserstoffbombe
. Der Text lasst sich als Vermachtnis des im August 1955 verstorbenen Thomas Mann lesen.
Der Essay ist nicht nur ein Danklied an den toten Dichter. Er enthalt auch Polemik gegen ?die frechen Romantiker“, die Schillers Pathos verlachten.
Tieck
wird mehrfach genannt. Goethes Verlautbarung dazu, vom Olymp herab gewettert: ?Ich nehme mir die Freiheit, Schiller fur einen Dichter, und fur einen großen zu halten!“
Die Lobrede zum Gedenken an Schiller, den ?fleißigsten der Dichter“, erweist sich bei naherem Hinsehen zugleich als liebevolles Gedachtnis an
Goethe
. ?Geliebter Freund!“ hat Schiller einmal nach Weimar hinuber geschrieben. Goethe hat den Ton nicht aufgegriffen. Doch der alternde Dichter denkt mit stillem Schmerz an Schiller zuruck: ?Er war ein großer, wunderlicher Mensch.“ Und: ?Schillers Anziehungskraft war groß, er hielt alle fest, die sich ihm naherten.“ Goethe meint, der Geist habe Schiller ?aufgefressen, die Idee der Freiheit ihn buchstablich getotet“: ?Es ist betrubend, wenn man sieht, wie ein so außerordentlich begabter Mensch sich mit philosophischen Denkweisen herumqualte, die ihm nichts helfen konnten“ (am 14. November 1823 zu
Eckermann
). Goethe schuf vermutlich verhaltnismaßig zwanglos. Er bedauert einerseits, dass ?in Schillers Gegenwart die Kunst manchmal zu einer gar zu ernsthaften Angelegenheit wurde“. Andererseits schilt er seine Schwiegertochter
Ottilie
, die Schiller langweilig findet: ?Ihr seid alle viel zu armselig und irdisch fur ihn.“
Thomas Mann bewundert Schillers Tatkraft, die ihn zum ?Herrn Hofrat von Schiller“ machte, und er schildert den Weg von den
Raubern
bis zum
Demetrius
-Fragment. Als Hohepunkt feiert Thomas Mann die große Leipziger Theaterauffuhrung der
Jungfrau
, die der Dichter im Jahre 1801 selbst miterlebte; die
Jungfrau von Orleans
, ein Kunstwerk, ?das Goethe sehr gefiel“. Thomas Mann wird des Zitierens aus dem
Wallenstein
nicht mude. ?Soll ich weiterzitieren?“, fragt er den Leser. ?Es ist so verlockend!“ Seine Auswahl regt zur Lekture des
Monstre-Werkes
an: ?Denn er stand neben mir, wie meine Jugend“ (Schiller,
Wallensteins Tod
, 5. Aufzug, 3. Auftritt).
Der an
Lungenschwindsucht
leidende Schiller musste nicht in die Schweiz reisen, um den
Tell
zu schreiben.
Nicht nur des rastlosen Dichters wird gedacht, sondern auch des Glucks, das Schiller in der Ehe mit
Charlotte von Lengefeld
erfuhr, einer ?lieblich-schlichten, zartlichen, harmonischen Natur“.
Nach dem oben Gesagten konnte der nicht zutreffende Eindruck entstehen, Goethe sei doch der Großere. Wir treten dem mit einem ?wundervollen Satz“ Schillers entgegen, der etwas aussagt uber das Geheimnis seiner weitreichenden Wirkung: ?Aber ich habe mir eigentlich ein eigenes Drama nach meinem Talente gebildet, welches mir eine gewisse Excellence darin gibt, eben weil es mein eigen ist.“ Zu dem Punkt hat Goethe auch mitzureden: ?Da streiten sich die Deutschen, wer großer sei, Schiller oder ich. Froh sollten sie sein, daß sie zwei solche Kerle haben, uber die sie streiten konnen.“
- Am 16. Dezember 1828 zu Eckermann: ?Die Deutschen konnen die Philisterei nicht los werden. Da quengeln und streiten sie jetzt uber verschiedene
Distichen
, die sich bei Schiller gedruckt finden und auch bei mir, und sie meinen, es ware von Wichtigkeit, entschieden herauszubringen, welche denn wirklich Schillern gehoren und welche mir. Als ob etwas darauf ankame, als ob etwas damit gewonnen wurde, und als ob es nicht genug ware, daß die Sachen da sind!“
- Am 23. Februar 1829 zu Eckermann: ?Sie sehen, wie Schiller ein großer Kunstler war und wie er auch das Objective zu fassen wußte, wenn es ihm als Uberlieferung vor Augen kam.“
- Am 1. Marz 1830 zu
Friedrich von Muller
: ?Schiller war ein ganz ein anderer Geselle als ich und wußte in der Gesellschaft immer bedeutend und anziehend zu sprechen. Ich hingegen hatte immer die alberne Abneigung von dem, was mich gerade am meisten interessierte, zu sprechen.“
Hermann Hesse
am 2. Juli 1955: ?… der
Versuch uber Schiller
, ein großartiges Werk großer Liebe, voll Akribie und dabei ebenso voll prachtvoller Einfalle, es ist ein reiner Genuß.“
- ↑
Versuch uber Schiller. Buch
. S. Fischer, Frankfurt am Main 2005,
ISBN 978-3-10-048282-2
(
dnb.de
[abgerufen am 15. Januar 2019]).