Die
Proms
sind eine traditionelle
Sommerkonzertreihe
in
London
. Alljahrlich finden zwischen Juli und September taglich Konzerte mit
klassischer Musik
, insgesamt uber 70 an der Zahl, statt, hauptsachlich in der
Royal Albert Hall
in
Kensington
.
Die englische Kurzbezeichnung
Proms
steht fur
promenade series
. Die Proms haben ihre Wurzeln dabei tatsachlich in den traditionellen, seit dem 18. Jahrhundert beliebten, ebenfalls in London entstandenen Promenadenkonzerten. Sie entwickelten sich jedoch schnell zu einem einzigartigen Musikfestival, das mit den Promenadenkonzerten allenfalls Gemeinsamkeiten in der Ausrichtung auf ein breites Publikum und einzelne Veranstaltungen mit popularen Musikstucken aufweist. Auch der namentliche Bezug blieb erhalten. Bei Konzerten in der
Royal Albert Hall
gibt es neben den Sitzplatzen auch sehr preiswerte Stehplatze (2018: sechs
Pfund
pro Konzert). Die Besucher, die sich fur diese Platze direkt vor der Buhne (in der
Arena
) oder auf der Galerie entscheiden, werden
Promenaders
(engl. ?Spazierganger‘) oder kurz
Prommers
genannt. Viele von ihnen besuchen die Konzerte schon seit Jahrzehnten, manche seit mehr als 40 Jahren. Einige verpassen wahrend einer Saison kein einziges Konzert. Jedes Konzert wird live im
BBC
Radio 3
ubertragen.
Die
Proms
haben traditionell keine Kleiderordnung. Die Konzertbesucher kommen oft direkt von der Arbeit (oder an freien Tagen aus den benachbarten
Kensington Gardens
) und sind dementsprechend angezogen: Vom Business-Anzug bis hin zu legerer Freizeitkleidung ist alles zu sehen. Selbst kurze Hosen, T-Shirts und Trainingsanzuge gehoren vor allem unter den Stehplatzzuschauern in der
Arena
zum normalen Bild. In der Pause finden auf dem Boden der
Arena
sogar kleine Picknicks statt. Aufmerksamkeit erregt bei den
Proms
eher schon feine Abendgarderobe: Sie wird meist von
Touristen
getragen, die mit den Ritualen der
Proms
nicht vertraut sind.
Die
Proms
werden außerhalb von Großbritannien oft falschlicherweise mit der beruhmten
Last Night of the Proms
, dem jeweiligen Abschlusskonzert einer Saison, gleichgesetzt. Dadurch entsteht das Missverstandnis, dass Verkleidungen, Troten, Fahnchen und witzige Zwischenrufe auch wahrend der ubrigen Konzertsaison zu beobachten seien. Das trifft jedoch genauso wenig zu wie die Annahme, das Programm der
Proms
bestehe ausschließlich aus leicht zuganglichen, popularen Werken (?Schunkelklassik“). Stattdessen gelten die
Prommers
in der Musikwelt als außergewohnlich leises, diszipliniertes, fachkundiges und aufgeschlossenes Publikum. Viele Konzerte der
Proms
bestehen außerdem aus zeitgenossischen, experimentellen oder wenig bekannten Werken der Kunstmusik.
Das erste Proms-Konzert fand am 10. August 1895 in der
Queen’s Hall
am Londoner Langham Place statt. Es wurde von Robert Newman initiiert. Die Konzertreihe entstand aus der Idee heraus, auch Menschen anzusprechen, die sich normalerweise nicht fur klassische Konzerte interessieren. Sie sollten mit gunstigen Kartenpreisen und einer zwangloseren Atmosphare (Essen, Trinken und Rauchen wurden ausdrucklich erlaubt) von einem Konzertbesuch uberzeugt werden.
Untrennbar mit den Konzerten verbunden ist der
Dirigent
Sir
Henry Wood
. Er war der musikalische Leiter des ersten Konzerts und hatte großen Anteil an der Erweiterung des
Repertoires
der spateren Konzerte. Seit den 1920er Jahren beinhalten die Konzerte auch populare, weniger anspruchsvolle Werke von zeitgenossischen Komponisten wie
Claude Debussy
,
Richard Strauss
und
Ralph Vaughan Williams
. Wahrend der ?Last Night of the Proms“ wird Woods
Buste
, die vor der
Orgel
in der Royal Albert Hall aufgebaut ist, von Vertretern der
Promenaders
mit
Lorbeerblattern
geschmuckt.
1927 ubernahm die
BBC
, die in der Nahe der Queen’s Hall im
Broadcasting House
heute noch Radioprogramme produziert, die Leitung der Konzerte. Die erste Ubertragung fand am 13. August 1927 statt.
[1]
1930 wurde das
BBC Symphony Orchestra
gegrundet, das nun auch die meisten Konzerte bespielte. Zu dieser Zeit gab es einzelne Konzerte, die ausschließlich bestimmten Komponisten gewidmet waren: Beispielsweise am Montag
Richard Wagner
, am Freitag
Ludwig van Beethoven
und an anderen Tagen weitere bedeutende Komponisten. Sonntags wurden keine Konzerte veranstaltet.
Mit dem Beginn des
Zweiten Weltkrieges
im Jahre 1939 zog sich die BBC von der Ausrichtung der Konzertreihe zuruck. Die
Proms
wurden mit privater Unterstutzung fortgesetzt, bis die Queen’s Hall 1941 nach einem
Luftangriff
ausbrannte. Ein Jahr darauf wechselten die Konzerte in ihre jetzige Heimstatt, die Royal Albert Hall und die BBC ubernahm wieder die Veranstaltung.
[1]
Ab den 1950er Jahren spielten auch immer mehr Gastorchester bei den
Proms
. 1963 ubernahmen die ersten internationalen Stardirigenten (wie
Leopold Stokowski
,
Georg Solti
und
Carlo Maria Giulini
) die Leitung, und 1966 spielte mit dem Radioorchester Moskau das erste auslandische Ensemble bei den
Proms
. Inzwischen ist fast taglich ein international renommiertes Spitzenorchester mit namhaften Solisten und Dirigenten zu horen.
Ein weiterer bedeutender Dirigent der Promenadenkonzerte war Sir
Malcolm Sargent
. Er leitete sie von 1948 bis 1966 als Chefdirigent. Eine nach ihm benannte Wohltatigkeitsorganisation veranstaltet jedes Jahr kurz nach Ende der Konzertsaison ein spezielles Promenadenkonzert.
Der heutige Spielplan der Promenadenkonzerte umfasst neben traditionell zeitgenossischen Klassikwerken auch
Alte Musik
.
Im Jahr 2022 endeten die
Proms
infolge des Todes von
Konigin Elisabeth II.
vorzeitig am 8. September; die beiden letzten Konzerte, darunter die
Last Night
, wurden abgesagt.
[2]
Die legendare ?Last Night of the Proms“, das Abschlusskonzert, das außerhalb von Großbritannien viel bekannter ist als die eigentliche Konzertsaison, findet in einer sehr gelosten Atmosphare statt. Neben popularer Klassik wird in der zweiten Halfte des Konzertes eine Reihe sogenannter patriotischer Werke aufgefuhrt. Dazu zahlen unter anderem
Hubert Parrys
Vertonung von
William Blakes
Gedicht
And did those feet in ancient time
(Die Hymne tragt zwar den Titel
Jerusalem
, das Gedicht selbst hat bei Blake jedoch keinen Titel. Es ist Teil seiner Dichtung
Milton
. Blakes Dichtung
Jerusalem
hat nichts mit dem Gedicht zu tun.),
Edward Elgars
Pomp and Circumstance March Nr. 1 (
Land of Hope and Glory
)
und
Rule, Britannia!
Bei den genannten Stucken ist es Tradition, dass das Publikum mitsingt und teilweise Union-Jack-Fahnchen schwingt und ebensolche Hute tragt. Die ?Last Nights of the Proms“ verbinden damit karnevalistische Frohlichkeit mit der Feierlichkeit eines klassischen Konzerts. Als Protest gegen den
Brexit
sind seit 2016 im Publikum zunehmend
Europaflaggen
zu sehen.
[3]
Das Konzert endet damit, dass die Nationalhymne gesungen wird, Zugaben erfolgen nicht; wobei oftmals vom Publikum allein
Auld Lang Syne
angestimmt wird. Oft stimmt der Chor dabei auch mit ein.
Auf Wunsch des bis 2004 amtierenden musikalischen Leiters des BBC Symphony Orchestra, des amerikanischen Dirigenten
Leonard Slatkin
, wurde der patriotische Anteil der ?Last Night“ verringert. Von 2002 bis 2007 wurde
Rule Britannia
nicht mehr als eigenes Stuck, sondern nur noch als Teil von
Henry Woods
Fantasia on British Sea Songs
, eines weiteren traditionellen Werks der ?Last Night of the Proms“, gespielt. Die Entscheidung, die ?Last Night“ auf diese Weise zu ?entscharfen“, wurde von einigen Promenaders begrußt, wahrend sie von anderen als ubertriebene
Political Correctness
kritisiert wurde. Seit 2008 wird jedoch wieder die ursprungliche Version aufgefuhrt.
2016, nach dem erfolgreichen
Brexit
-Volksentscheid, verteilte eine Gruppe von EU-Befurwortern zahlreiche aus Spenden finanzierte
Europaflaggen
, womit das Publikum demonstrieren sollte, ?wie Musikliebhaber die EU wertschatzen“. Ein Geldgeber der ?Brexit“-Kampagne konterte diesen von ihm empfundenen Angriff auf die ?Bastion der britischen Kultur und Identitat“ mit der Anschaffung zusatzlicher
Union Jacks
im Wert von 10.000 £
[4]
.
Am 13. September 2008 dirigierte erstmals Sir
Roger Norrington
die Last Night of the Proms. Am 7. September 2013 leitete
Marin Alsop
als erste Dirigentin die Last Night.
[5]
Das Interesse an der
Last Night
ubersteigt die Kapazitaten der
Royal Albert Hall
um ein Vielfaches. Daher ist es sehr schwer, Eintrittskarten fur dieses Konzert zu bekommen. Wer mindestens funf der regularen ?Proms‘ besucht hat, nimmt an einer Verlosung um Last-Night-Karten teil. Damit auch Touristen eine Moglichkeit zum Besuch des Abschlusskonzerts haben, gibt es fur Reiseveranstalter spezielle Kartenkontingente. Allerdings ubertragen verschiedene Fernsehsender die Last Night, in Deutschland der
NDR
und
3sat
. Die Ubertragung wird auch in den ARD-Kulturwellen ? bis einschließlich 2015 mit Ausnahme des
Bayerischen Rundfunks
? ubernommen, seit 2009 im Rahmen des
ARD-Radiofestivals
. Dabei werden auch Teile der Konzerte, die gleichzeitig in Nordirland, Wales und Schottland stattfinden, gezeigt. Radio O1 von
ORF
ubertragt seit 1996, prasentiert von Peter Kislinger, das gesamte Konzert live.
[6]
Weil die Royal Albert Hall den Andrang des Publikums nicht mehr bewaltigen konnte, wurde die ?Last Night“ 1996 um die ?Proms in the Park“ erganzt. Zeitgleich zu der klassischen Auffuhrung in der Albert Hall feierten seitdem bis zu 40.000 Personen im
Hyde Park
das musikalische Ereignis. Das Parkfestival hatte ein eigenes Live-Programm. Zum Abschluss wurde die Albert Hall per Großleinwand zugeschaltet, und die Zuschauer im Park stimmten mit in die traditionellen patriotischen Werke ein. In gleicher Weise feierten Nordiren, Schotten und Waliser einige Jahre lang gleichzeitig in Parks von
Belfast
,
Glasgow
,
Swansea
und
Manchester
mit.
Die letzten offiziellen ?Proms in the Park“ fanden 2019 statt. Die Freiluft-Veranstaltungen eroffneten auch den Touristen eine preiswerte Moglichkeit, die typische Atmosphare einer ?Last Night“ mitzuerleben.
- ↑
a
b
First BBC Promenade Concert 13 August 1927
.
(
Memento
vom 10. Oktober 2014 im
Internet Archive
) In: The BBC Story. August. bbc.co.uk. Ohne Datum.
- ↑
BBC Proms.
9. September 2022,
abgerufen am 9. September 2022
(englisch, Ankundigung auf der Startseite der BBC Proms: ?Following the very sad news of the death of Her Majesty the Queen, as a mark of respect, we will not be going on with Prom 71 on Friday 9 September, or the Last Night of the Proms on Saturday 10 September.“).
- ↑
Press Association:
EU flags waved at Last Night of the Proms in anti-Brexit protest.
In:
The Guardian.
10. September 2016,
abgerufen am 18. September 2021
(englisch).
- ↑
Brexit und Proms
, Gina Thomas, FAZ online, 11. September 2016
- ↑
Fiona Maddocks:
Marin Alsop, conductor of Last Night of the Proms, on sexism in classical music
.
In:
The Guardian
, 6. September 2013; abgerufen am 7. September 2013.
- ↑
Last Night of the Proms
, ORF, 9. September 2023