Die
Stimmlippen
(auch: Stimmfalten,
lateinisch
plica vocalis
) sind paarige schwingungsfahige Strukturen im
Kehlkopf
. Sie sind ein wesentlicher Teil des stimmbildenden Apparates (
Glottis
) des Kehlkopfes, bestehend aus der von
Epithel
uberzogenen Stimmfalte, dem eigentlichen
Stimmband
(
Ligamentum vocale
), dem
Musculus vocalis
und den
Aryknorpeln
jeweils beider Seiten. Die Stimmlippen werden beidseits bei der
Phonation
(Stimmgebung) durch Anblasen aus dem
Brustkorb
in Schwingungen versetzt (
Bernoulli-Effekt
) und bilden so den Primarschall der
Stimme
.
Der Spalt zwischen den Stimmlippen wird als
Stimmritze
(
Rima glottidis
) bezeichnet. Die hinteren Enden der Stimmlippen sind mit den beiden Stellknorpeln (lat.
Cartilago arytaenoidea
, Mz.
Cartilagines arytaenoideae
) verbunden, welche die Stellung der Stimmlippen zueinander regulieren. Beim Atmen sind die Stimmlippen weit geoffnet, wodurch die Stimmritze eine charakteristische dreieckige Form erhalt. Die Weite der Stimmritze bzw. der Grad ihrer
Konstriktion
sind fur die
Artikulation
von
Sprachlauten
bedeutend. Durch den Musculus vocalis kann eine Anderung der Stimmlippenspannung und der Stimmlippendicke erreicht werden. In Verbindung mit dem
Musculus cricothyreoideus
, der ebenfalls die Spannung und Lange der Stimmlippen andert, entsteht ein sensibler
Regelkreis
, mit dessen Hilfe die
Lautstarke
und
Tonhohe
der menschlichen Stimme geregelt wird. An diesem Regelkreis ist noch eine Reihe weiterer Muskeln in unterschiedlicher Auspragung beteiligt.
Uber den Stimmlippen finden sich beidseits die
Taschenfalten
(Plicae vestibulares), die auch ?falsche Stimmbander“ genannt werden. Unter bestimmten krankhaften Bedingungen werden primar oder ausschließlich die Taschenfalten zur Stimmbildung verwendet, was eine rau und gepresst klingende Stimme zur Folge hat (Taschenfaltenstimme).
Wenn eine Opernsangerin einen besonders hohen Ton anstimmt, offnen und schließen sich die Stimmlippen ofter als 1000 Mal in der Sekunde. Wenn die Stimme durch einen
Glottisverschluss
(auch kurzfristiger Kehlkopfverschluss) unterbrochen wird, entsteht ein
Knacklaut
, so zum Beispiel vor ?u“ in ?beurteilen“ und vor allen Vokalen im
Anlaut
, wie in ?aber“.
Die Stimmbander konnen mit einem Kehlkopfspiegel oder einem
Laryngoskop
untersucht werden. Bei der Kehlkopfspiegelung kann durch Verwendung eines
Stroboskopes
der Schwingungsablauf der Stimmbander beurteilt werden. Zur funktionellen Untersuchung konnen mit einem
Laryngographen
die Stimmbandschwingungen aufgezeichnet werden.
Die Stimmlippen haben einen schichtformigen Aufbau. Die Basis bildet der
Stimmmuskel
(
Musculus vocalis
), daruber liegt die an
elastischen Fasern
reiche
Lamina propria
. Sie bildet vom Schildknorpel bis zum Aryknorpel eine bandartige, dem
Musculus vocalis
aufliegende Struktur, das
Ligamentum vocale
, das eigentliche ?Stimmband“. Die Oberflache der Stimmlippen und die Innenseiten der Aryknorpel sind von einer
Schleimhaut
(Mucosa) mit einem geschichteten
Plattenepithel
bedeckt, im Gegensatz zum ubrigen Kehlkopf, der von einem
Flimmerepithel
ausgekleidet ist. An der Stimmlippenoberflache besteht zwischen Epithel und Bindegewebe ein schmaler Zwischenraum, Reinke-Raum genannt, benannt nach
Friedrich Berthold Reinke
, der eine Verschiebung des Epithels gegenuber dem Bindegewebe ermoglicht (Randkantenverschiebung). Neuere elektronenmikroskopische Studien haben gezeigt, dass es sich nicht um einen vollstandig leeren Raum handelt, sondern auch Kompartimente enthalt.
[1]
Manche Wissenschaftler sind sogar der Ansicht, dass es sich beim Reinke-Raum lediglich um ein Artefakt handele und die Schicht des lockeren Bindegewebes besser als Reinke-Schicht bezeichnet wurde.
[2]
Eine (krankhafte) Ansammlung von gallertiger Flussigkeit im Reinke-Raum wird als
Reinke-Odem
bezeichnet.
Hirano, 1981, gruppierte die Schichten der Stimmlippen und entwickelte so das Body-Cover-Modell (Tabelle ?Schichtenaufbau“) mit den Funktionseinheiten Cover?Transition?Body. Dieses Drei- bzw. Funfschichtenmodell und die den unterschiedlichen Schichten zuzuordnenden unterschiedlichen mechanischen Eigenschaften (z. B. Dichte, Elastizitat, Konsistenz) sind eine der Grundlagen fur das Verstandnis der Bewegungsablaufe innerhalb der Stimmlippen.
Schichtenaufbau der Stimmlippen und funktionelle Einteilung nach dem Body-Cover-Modell
Epithel
|
|
Schleimhaut
|
Cover
|
Lamina propria
|
obere Schicht
|
Schleimhaut
|
Cover
|
mittlere Schicht
|
Stimmband
|
Transition
|
tiefe Schicht
|
Stimmband
|
Transition
|
Musculus vocalis
|
|
Muskel
|
Body
|
- anatomische Veranderungen
- funktionelle Veranderungen
- Heiserkeit
- Aphonie
, Stimmlosigkeit
- Krupp
, Lebensbedrohliche Verengung des Kehlkopfes durch Schwellung
- laryngopharyngeales Odem: Schwellung von
Glottis
und Speiserohreneingang zum Beispiel bei einer Intubation
- Angioodem
der Aryknorpeln: Isolierte Schwellung im hinteren Glottisbereich
- EILO
(exercise-induced laryngeal obstruction): Bei korperlicher Anstrengung entstehende Luftnot durch Schwellung im Stimmritzenbereich
- Laryngitis hypoglottica =
Pseudokrupp
: Luftnot durch Schwellung unterhalb der Stimmritzen
- neurologische Veranderungen
- Recurrensparese
: Lahmung der Stimmritze durch Veranderung des [Nervus recurrens]
- Entzundungen
- Neubildungen der Stimmritze
Umgangssprachlich werden die Stimmlippen auch Stimmbander genannt, obwohl das eigentliche Stimmband nur einen Teil der Stimmlippen ausmacht. Die Stimmlippen bestehen aus funf verschiedenen Schichten:
(von innen nach außen)
1. Musculus vocalis
2. Tiefste Schicht der Lamina Propria
3. Intermediare Schicht der Lamina Propria
4. Superfiziale Schicht der Lamina Propria (auch Reinke-Raum)
5. Schleimhautepithel
Das Stimmband (oder ligamentum vocalis) ist Teil der tiefsten Schicht der Lamina Propria.
In manchen Disziplinen, wie z. B. der
Phonetik
, ist der Begriff
Glottis
mit ?Stimmritze“ gleichbedeutend.
Der Ersatz der Stimmlippen durch
Tissue Engineering
wird erforscht.
[3]
Die Stimme verandert sich im Lauf des Lebens entsprechend von Veranderungen der Stimmlippen.
[4]
[5]
- Richard Luchsinger
,
Gottfried E. Arnold
:
Handbuch der Stimm- und Sprachheilkunde.
Band 1: Richard Luchsinger:
Die Stimme und ihre Storungen.
3., vollig umgearbeitete und wesentlich erweiterte Auflage. Springer, Wien u. a. 1970,
ISBN 3-211-80983-X
.
- Richard Luchsinger, Gottfried E. Arnold:
Handbuch der Stimm- und Sprachheilkunde.
Band 2: Gottfried E. Arnold:
Die Sprache und ihre Storungen.
3., vollig umgearbeitete und wesentlich erweiterte Auflage. Springer, Wien u. a. 1970,
ISBN 3-211-80984-8
.
- Minoru Hirano:
Clinical examination of voice.
Springer, Wien u. a. 1981,
ISBN 3-211-81659-3
.
- ↑
Dissertation - Gibt es Kompartimente im Reinke-Raum?
(PDF)
Abgerufen am 26. Juni 2018
.
- ↑
A. Prescher:
GMS | 27. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft fur Phoniatrie und Padaudiologie e. V. | Funktionelle Anatomie des Larynx.
Abgerufen am 14. Juli 2018
(englisch).
- ↑
Changying Ling, Qiyao Li, Matthew E. Brown, Yo Kishoto et al.:
Bioengineered vocal fold mucosa for voice restoration
. In:
Science Translational Medicine
.
Band
7
,
Nr.
314
, 2015,
S.
314
,
doi
:
10.1126/scitranslmed.aab4014
(englisch,
sciencemag.org
[abgerufen am 16. Juni 2019]).
- ↑
Habermann, Gunther:
Stimme und Sprache
. Stimmentwicklung und -Storungen im Laufe des Lebens - Das Altern der Stimme.
Thieme
, 2003,
doi
:
10.1055/b-0034-44836
.
- ↑
Entwicklung der Stimme.
meditinfo,
abgerufen am 17. Juli 2021
.