Sola scriptura

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Propagandistische Allegorie des Prinzips sola scriptura

Der Ausdruck sola scriptura ( lateinisch fur ?allein durch die Schrift“) bezeichnet einen theologischen Grundsatz der Reformation und der reformatorischen Theologie , nach dem die Heilsbotschaft hinreichend durch die Bibel vermittelt wird und keiner Erganzung durch kirchliche Uberlieferungen bedarf. Daraus entwickelte die lutherische Orthodoxie in Anbindung an die lutherischen Bekenntnisschriften das Schriftprinzip .

Gemeinsam mit den Prinzipien sola fide (?allein durch den Glauben“), sola gratia (?allein durch Gnade“) und solus Christus (?allein Christus“) und soli Deo gloria (?Ehre Gott allein“) bildet er die Grundsatze der Reformation.

Schematische Darstellung zu Luthers Rechtfertigungslehre , modifiziert nach P. Blickle (1992) [1]

Ursprung des Ausdrucks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Die Wendung sola scriptura geht zuruck auf Martin Luthers Formulierung, dass allein die Schrift herrsche ( ?solam scripturam regnare“ ), [2] die er in seiner Rechtfertigung Assertio (?Freiheitserklarung“) von 1520 gegen die von Leo X. ausgestellte Bannandrohungsbulle verwendete. Auch die anderen drei Solae gehen auf Martin Luther zuruck.

Sola scriptura und Schriftauslegung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Luthers Ansatz [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Luther versuchte durch das sola scriptura einen verlasslichen, unveranderlichen Maßstab in der theologischen Auseinandersetzung mit der romisch-katholischen Kirche zu finden, da sich menschliche Urteile im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder als irrig herausgestellt hatten.

So sei es im Spatmittelalter durch die Verwendung des vierfachen Schriftsinns zu einer enormen Vielfalt von Auslegungen der Schrift gekommen. Somit wurden auch Brauche und Lehren begrundet, die sich vollig vom biblischen Zeugnis entfernt hatten (beispielsweise der geschaftsmaßige Ablasshandel ). Diesem Zustand wollte Luther entgegenwirken.

Die Forderung des sola scriptura sollte dabei keineswegs zum Ausdruck bringen, dass nur der genaue Wortlaut der Heiligen Schrift fur das Leben eines Christen ausschlaggebend sei, wie dies in der Neuzeit als Programm des christlichen Fundamentalismus formuliert wurde. Vielmehr ging es um die Frage, wer die Schrift recht auslegt. Nach der Vorstellung Luthers konnte dies nur durch die Schrift selbst geschehen, da sie ?durch sich selbst glaubwurdig, deutlich und ihr eigener Ausleger“ ( ?per se certissima, apertissima, sui ipsius interpres“ ) sei. [3] Auch sollte nicht das Schriftstuck Bibel sakralisiert werden, sondern das in ihm enthaltene Wort Gottes standig neu zur Sprache kommen ( viva vox werden). Bei diesem Vorgang sei der Mensch nur passiv ? er empfange das unverfugbare Wort.

Damit diese Unverfugbarkeit nicht wiederum zur Willkur der Schriftauslegung fuhrt, betonte Luther die ?Mitte der Schrift“. Diese Mitte liege in der Christusbotschaft , die somit der innere Maßstab der Schrift sei. Von hier aus sei es moglich, kirchliche Entscheidungen und sogar die einzelnen Schriften der Bibel zu kritisieren ? je nachdem, ob sie ?Christum treyben“, [4] also das Evangelium den Glaubigen zufuhren oder nicht.

Klarheit der Schrift [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Gegen diese Lehre wurde von romisch-katholischer und humanistischer Seite, insbesondere von Erasmus von Rotterdam , eingewandt, die Schrift brauche immer eine externe Auslegung, da sie voller unverstandlicher, ?dunkler“ Stellen sei. Luther proklamierte hierauf die Klarheit der Schrift ( claritas scripturae ). Sogar in einer ?doppelten Klarheit“ prasentiere sich der Inhalt der Bibel: die außere Klarheit des Textes ( claritas externa ) werde bestatigt durch die innere Klarheit ( claritas interna ), die der Heilige Geist im Herzen des Horers bzw. Lesers wirke. [5]

Romisch-katholische Antwort [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Die romisch-katholische Kirche reagierte auf dem Konzil von Trient (1545?1563) mit einer Prazisierung ihrer Schriftlehre. In der vierten Sessio (1546) wurde ein Dekret verabschiedet, demzufolge die gottliche Wahrheit nicht allein in der Schrift, sondern in der Verbindung von Schrift und Tradition zu finden sei ( ?in libris scriptis et sine scripto traditionibus“ begrundet in Joh 16,13  EU ). [6] Damit wurde die rechte Auslegung der Bibel durch das kirchliche Lehramt bekraftigt, da nur so das Wirken des Heiligen Geistes als sicher gelten konne ( Joh 14,26  EU ). Die Bibel selbst erlange ihre Autoritat erst durch die Kirche, die ja auch alter sei als die Bibel. Das kirchliche Lehramt habe den Bibelkanon festgelegt, was ebenfalls die Autoritat der Kirche uber die Bibel zeige.

Ostlich-orthodoxe Sichtweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Die Ostkirchen lehnen das Prinzip der sola scriptura ab.

Wirkungsgeschichte [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Gegen die romisch-katholische Lehre formulierte die lutherische Orthodoxie in der Konkordienformel (1577) den eigenen Standpunkt. So heißt es in deren Epitome , dass ?allein die Heilige Schrift der einig Richter, Regel und Richtschnur“ ( ?sola sacra scriptura iudex, norma et regula“ ) sowie ? Probierstein “ ( ?lydius lapis“ ) fur alle kirchlichen Lehren und Traditionen sein konne. [7] Die Schrift wurde seitdem als norma normans (?norm-stiftende Norm“) bezeichnet, die kirchlichen Bekenntnisse im Gegenzug als norma normata (?normierte Norm“), da sie sich aus der Schrift ableiteten.

Basierend auf den Formulierungen der Bekenntnisschriften und vor allem Luthers Bezeichnung der Schrift als ?principium primum“ [3] arbeitete die lutherische Orthodoxie im 17. Jahrhundert das Schriftprinzip aus. Durch die aristotelische Kategorie des Prinzips wurde die Bibel als unhinterfragbares Axiom lutherischer Theologie festgeschrieben. [8] Auch die Lehre von der Verbalinspiration der Schrift wurde in diesem Zusammenhang entwickelt. Nach Wolfhart Pannenberg grundet die Autoritat der Heiligen Schrift fur die reformatorische Theologie darauf, dass ?sie nicht Menschenwort, sondern Gottes eigenes Wort ist.“ [9]

Durch die historisch-kritische Bibelforschung kam es zu einer Erschutterung dieser dogmatischen Grundlage. Man spricht seither von der ?Krise des Schriftprinzips“. [10] Ungeachtet dieser seit dem 18. Jahrhundert bestehenden Krise halt die Evangelische Kirche an dem reformatorischen Grundsatz des sola scriptura fest. Es heißt zum Beispiel in den Grundartikeln der Kirchenordnung der Evangelischen Kirche im Rheinland: ?Sie bekennt mit den Kirchen der Reformation, dass die Heilige Schrift die alleinige Quelle und vollkommene Richtschnur des Glaubens, der Lehre und des Lebens ist und dass das Heil allein im Glauben empfangen wird.“

Folgen fur den Kirchenbau [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Vor der Reformation kam es im Gottesdienst vor allem auf die Messe an, und zwar besonders auf den Moment der Wandlung . Der Priester hob die Hostie moglichst hoch ( Elevation ), dass sie in den langsrechteckigen Kirchenschiffen deutlicher zu sehen war; in großeren Kirchen wurde fur die bessere Sicht auf die Handlungen am Altar ein Hochchor eingebaut. Im evangelischen Gottesdienst dominierte aber die Predigt. Deswegen wurden die Grundrisse der Kirchen verandert: zur Querkirche , der einzigen rein evangelischen Sakralbauform, oder zum Zentralbau (Quadrate oder Achtecke, die sich in einen Kreis einschreiben lassen), der im Protestantismus weniger haufig verwirklicht wurde. Die Kanzel wurde moglichst nahe in die Mitte der Kirche geruckt, um bessere Horbarkeit der Predigt fur alle Gottesdienstteilnehmer zu ermoglichen. In kleineren Kirchen sollte derselbe Zweck durch die Errichtung eines Kanzelaltars erreicht werden: Das Wort, die Predigt sollte auch rein raumlich in den Mittelpunkt des Gottesdienstes gestellt werden.

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Quellen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Sekundarliteratur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Gerhard Ebeling : ?Sola scriptura“ und das Problem der Tradition. In: ders.: Wort Gottes und Tradition. Studien zu einer Hermeneutik der Konfessionen. Auflage 2. Gottingen 1966, S. 91?143.
  • Hartmut Gunther: Das Schriftverstandnis der Konkordienformel. In: Bekenntnis zur Wahrheit. Aufsatze uber die Konkordienformel. Erlangen 1978; S. 25?34.
  • Rochus Leonhardt : Grundinformation Dogmatik. Ein Lehr- und Arbeitsbuch fur das Studium der Theologie. Auflage 2. Vandenhoeck & Ruprecht, Gottingen 2007, S. 106?111.
  • Bernhard Rothen: Die Klarheit der Schrift. Martin Luther: Die wiederentdeckten Grundlagen. Vandenhoeck & Ruprecht, Gottingen 1990.
  • Hermann Sasse : Sacra Scriptura. Studien zur Lehre von der Heiligen Schrift. Erlangen 1981.
  • Armin Wenz : Das Wort Gottes ? Gericht und Rettung. Untersuchung zur Autoritat der Heiligen Schrift in Bekenntnis und Lehre der Kirche (= Forschungen zur systematischen und okumenischen Theologie; 75). Vandenhoeck & Ruprecht, Gottingen 1996, ISBN 3-525-56282-9 (Dissertation an der Friedrich-Alexander-Universitat Erlangen-Nurnberg 1994).
  • Mathias Mutel: Mit den Kirchenvatern gegen Martin Luther? Die Debatten um Tradition und auctoritas patrum auf dem Konzil von Trient. Schoningh, Paderborn 2017 (= Konziliengeschichte . Reihe B., Untersuchungen).

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Peter Blickle : Die Reformation im Reich. 2. Auflage, UTB 1181, Eugen Ulmer, Stuttgart 1992, ISBN 3-8001-2626-5 , S. 44
  2. Martin Luther: Wahrheitsbekraftigung aller Artikel Martin Luthers, die von der jungsten Bulle Leos X. verdammt worden sind (=  D. Martin Luthers Werke . WA 7). 1897, S.   98 (Latein: Assertio omnium articulorum M. Lutheri per bullam Leonis X. novissimam damnatorum . 1521.).
  3. a b Martin Luther: Wahrheitsbekraftigung aller Artikel Martin Luthers, die von der jungsten Bulle Leos X. verdammt worden sind (=  D. Martin Luthers Werke . WA 7). 1897, S.   97 (Latein: Assertio omnium articulorum M. Lutheri per bullam Leonis X. novissimam damnatorum . 1521.).
  4. Martin Luther: Drucktext der Lutherbibel 1522?1546: Das Neue Testament. Zweite Halfte: Episteln und Offenbarung (=  D. Martin Luthers Werke . WA DB 7). 1897, S.   384 .
  5. Martin Luther: Uber den geknechteten Willen (=  D. Martin Luthers Werke . WA 18). 1908, S.   606?609 (Latein: De servo arbitrio . 1525.).
  6. Heinrich Denzinger : Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen. Herausgegeben von Peter Hunermann . 44. Auflage. Herder, Freiburg im Breisgau u. a. 2014, (Originaltitel: Enchiridion Symbolorum, definitionum et declarationum de rebus fidei et morum , 1501. S. 87 f.) ISBN 978-3-451-37012-0 (Lateinisch-Deutsch).
  7. Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche , S. 769
  8. Johannes Wallmann: Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation , 6. Auflage, 2006, S. 98.
  9. Wolfhart Pannenberg: Systematische Theologie , Band 1. Gottingen 1988, S. 41. Pannenberg fuhrt auf den Folgeseiten aus, in welcher Weise diese Auffassung im 18. und 19. Jahrhundert in der Theologie zunehmend aufgegeben wurde.
  10. Wolfhart Pannenberg: Die Krise des Schriftprinzips. In: Derselbe: Grundfragen systematischer Theologie , Band 1. Gottingen 1962, S. 11?21. An anderer Stelle betont Pannenberg, dass sich seit Johann Salomo Semler ?eine Unterscheidung zwischen Schrift und Wort Gottes zunehmend durchgesetzt“ habe. (Pannenberg 1988, S. 56).