Unter
Skisprungtechnik
versteht man die Art und Weise, wie ein Skispringer seinen Sprung ausfuhrt. In der uber 100-jahrigen Geschichte des
Skispringens
gab es mehrere unterschiedliche Techniken fur Anlauf, Absprung, Flughaltung und Landung. Durch die Anderung der Technik im Laufe der Jahre konnten immer großere Weiten erreicht werden.
Mit ?Flugsystem“, vereinfachend auch ?System“ genannt, wird meist in Sportkommentaren und -berichten (siehe
[1]
[2]
) das Zusammenwirken der Sprungtechnik-Details in der Flugphase des Sprungs bezeichnet.
Das Skispringen entwickelte sich Ende des 18. Jahrhunderts in der
norwegischen
Provinz
Telemark
aus der
alpinen Abfahrt
. In den Anfangen wurde hier uber großere Schneehugel, schneebedeckte Holzhaufen und Scheunendacher gesprungen. Hierbei wurde der sogenannte ?Optrakke-Stil“ verwendet. Bei diesem Stil nahmen die Skispringer etwa 15 Meter oberhalb des Absprungpunktes die Startposition ein. Beim Anlauf wurden die Knie gebeugt und der Oberkorper leicht nach vorne gebracht. Kurz vor Erreichen der Schanzentischkante wurde der Oberkorper aufgerichtet. Am Ende der Anlaufbahn ließ sich der Skispringer in die Hohe schleudern. Wahrend der Flugphase wurden die Beine leicht angezogen, um den Sprung moglichst hoch wirken zu lassen. Mit diesem Stil konnten Weiten um 10 bis 20 Meter erreicht werden. Der erste nachweislich gemessene Sprung fand 1808 statt. Leutnant
Olaf Rye
gelang ein Sprung von 9,5 Metern uber einen kunstlich aufgeworfenen Schneehugel. 1860 erreichte der damals beruhmteste Springer
Sondre Norheim
, ein
Zimmermann
und Skibauer aus dem Telemarker Dorf
Morgedal
, eine Weite von 30,5 Metern. Diese Weite wurde 33 Jahre lang nicht uberboten.
Weil der
Landungsdruck
bei einem schragen Aufsprungwinkel erheblich geringer ist, wurde die Aufsprungzone von der Ebene in den Hang verlegt. Diesen neuen Gegebenheiten wurde auch der Sprungstil angepasst. Es bildete sich der so genannte ?Sta-rak-Stil“ (
sta-rak
= aufrecht stehen). Hierbei wurde aufrecht, fast kerzengerade gesprungen. Dies sah eleganter aus und gab daher hohe Haltungsnoten, die damals wesentlich wichtiger waren als die Weitenpunkte. Die einzige Gemeinsamkeit mit dem Optrakke-Stil war das krampfhafte Rudern mit den Armen, um die Balance zu halten. Ein mitgefuhrter Balancestock erwies sich als eher hinderlich und verlor an Bedeutung. 1883 war es
Torju Torjussen
, der nach einem Sprung im Sta-rak-Stil die
Telemarklandung
einfuhrte, die bis heute hohe Wertungsnoten gibt. Im Auslauf brachte sich der Springer mit einem abschließenden Telemarkschwung oder einer Scherenstellung der Skier endgultig zum Stehen.
Auf Grund hoherer Haltungsnoten entwickelte sich der ?Truppe-ned-Stil“ (Spitzen tief). Dieser ahnelte dem Sta-rak-Stil, jedoch wurden die Skier hierbei parallel zum Hang gefuhrt, das heißt, die Skispitzen zeigten nach unten. Das damit verbundene Senken der Skispitzen wirkte sich allerdings erheblich auf die Sprungweite aus, da der erhohte Luftwiderstand den Springer merklich bremste und ihm somit Schwung nahm.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wanderten viele norwegische Skispringer in die
USA
aus, da sie hier mit Skispringen Geld verdienen konnten. Wahrend in Norwegen die
Asthetik
, also die Haltungsnoten, im Vordergrund standen, war das Publikum in den USA eher an großen Weiten und spektakularen Sprungen als an einem schonen Stil interessiert. Zwischen 1900 und 1930 wurden alleine 12 der 20 aufgestellten Weitenweltrekorde von norwegischen Springern in Nordamerika aufgestellt. Daher kamen die meisten Weiterentwicklungen in den folgenden Jahren aus den USA. Hier wurden immer großere Sprunganlagen gebaut, was sich nicht nur auf die Weiten, sondern auch auf die Anfahrtsgeschwindigkeit und den damit verbundenen
Luftwiderstand
auswirkte. Daher musste der Sprungstil erneut angepasst werden. Es setzte sich ab 1912 der ?Vorlagen-Stil“ durch. Bei diesem Stil wurde in der Flugphase der Oberkorper in den Huften nach vorne gebeugt, um so den Luftwiderstand zu verringern. Erstmals Erfolg mit dem neuen Stil hatte
Jacob Tullin Thams
, der die Konkurrenz bei seinem uberlegenen Olympiasieg 1924 in
Chamonix
deutlich deklassierte. Es wurde aber immer noch mit den Armen wahrend des Fluges gerudert.
[3]
In den 30er Jahren war der Norweger
Birger Ruud
einer der besten Skispringer, was sich an zahlreichen Titeln (Olympiasieg 1932 und 1936, dreifacher Weltmeister zwischen 1931 und 1937) zeigte.
[4]
Er sprang den sogenannten ?Konigsberger Stil“. Dieser Sprungstil zeichnete sich durch einen extrem starken Huftknick aus.
Eine weitere Variante des Vorlagen-Stils benutzte
Sepp Bradl
, der 1936 in
Planica
als erster die 100-Metermarke erreichte. Statt zu rudern, streckte er seine Arme nach vorne.
Dr.
Reinhard Straumann
, ein Schweizer Flugzeugingenieur und selbst ehemaliger Skispringer, erkannte als erster bereits 1924 an den Sprungen von Thams den entscheidenden Einfluss der Luft als tragendem Faktor. Daher beschaftigte er sich ab 1926 erstmals wissenschaftlich mit dem Skispringen und untersuchte die Beziehung von Geschwindigkeit, Technik, Korperhaltung und Schanzenprofilen. Er fuhrte hierzu Messungen bei Sprungveranstaltungen durch und experimentierte mit Springerpuppen im
Windkanal
der Universitat Gottingen. Er veroffentlichte 1926/27 seine Theorie uber die
aerodynamisch
gunstigste Korperhaltung. Er kam zu der Erkenntnis, dass der Springer die besten Weiten erzielen kann, wenn er eine Flughaltung annimmt, die dem aerodynamischen Prinzip von
Flugzeugtragflachen
nachempfunden ist. Seine Theorie wurde jedoch erst 20 Jahre spater praktisch umgesetzt. In den 1940er Jahren studierte er diesen theoretisch entwickelten Stil mit einigen Springern ein. Die Technik variierte dabei im Auspragungsgrad der Korpervorstreckung und ging teilweise in eine fast gestreckte Flughaltung uber. Weiter instruierte er die Springer nach dem Absprung die Arme ganz ruhig an den Korper zu legen und die Hande neben die kaum noch geknickten Huften wie Flossen zum Steuern des Fluges zu benutzen. Diese Technik wurde zunachst als
Dascher-Stil
bezeichnet. Spater wurde sie, wegen der Korperhaltung, auch
Tropfen-Stil
oder
Fisch-Stil
[5]
genannt. Eine weitere Bezeichnung ist
Finnischer Stil
, da der neue Stil von Straumann zu einer Domane einiger junger finnischer Springer wurde. Ab 1953, bei der ersten
Vierschanzentournee
, etablierte sich dieser Stil, jedoch wurde bis in die 1960er Jahre weiterhin von einigen Springern die Variante mit ausgestreckten Armen bevorzugt. Im Zusammenhang mit dem Ende der 1980er Jahre entstandenen V-Stil wird der Fisch-Stil heute meistens wegen der parallelen Skihaltung als
Parallel-Stil
bezeichnet. Bis in die 1980er Jahre hinein dominierte, mit leichten Variationen, die nach vorne gestreckte Flughaltung mit paralleler Skifuhrung. Besonders zu erwahnen sind hier drei Skispringer:
Toni Innauer
,
Matti Nykanen
und
Jens Weißflog
. Toni Innauer sprang 1976 bei der
Oberstdorfer
Skiflugwoche einen so perfekten Fisch-Stil, dass er funfmal die beste Haltungsnote 20 erhielt. Matti Nykanen und Jens Weißflog dominierten die 1980er Jahre und lieferten sich oft spannende Zweikampfe um die Siege.
Eine weitere Neuerung der spaten 1980er Jahren ist die Einfuhrung des sogenannten Happle-Balkens, von welchem sich der Skispringer auf den Anlauf begibt. Erstmals bei Olympischen Spielen fand er 1988 Anwendung. In Sarajevo 1984 startete man noch aus den Luken.
Eine weitere Neuentwicklung fand 1975 in der
DDR
statt. Hier entdeckten Techniker, dass es beim Anlauf aerodynamisch gunstiger ist, die Arme nach hinten zu nehmen, anstatt wie bisher nach vorne. Diese Anlaufhaltung setzte sich sehr schnell durch.
Jan Boklov
, ein bis dahin fast unbekannter
schwedischer
Skispringer, der eher wenig Erfolg hatte (45. im Weltcup 1986/87 mit 12 Punkten), sollte Ende der 1980er Jahre das Skispringen revolutionieren. Eher durch Zufall erkannte er im Jahr 1986 den Vorteil einer geanderten Beinhaltung: Um bei einem missgluckten Trainingssprung einen Sturz zu vermeiden, nahm er die Beine auseinander und sprang dadurch noch drei bis funf Meter weit, bis er schließlich sicher landete. Nach dieser Beobachtung begann er diesen Stil, der damals noch ?Froschstil“ oder auch
Boklov-Schere
genannt wurde, zu trainieren. Eine vergleichbare Technik hatte seit 1969 bereits der Pole
Mirosław Graf
angewandt und war damit auch beim Weltcup-Springen in
Zakopane 1980
gestartet. Graf erzielte mehrfach große Weiten, erhielt jedoch regelmaßig schlechte Haltungsnoten, sodass sich seine Technik zunachst nicht durchsetzte.
[6]
Boklov sprang vermutlich bei der Vierschanzentournee in der Saison 1986/87 das erste Mal mit dem neuen, ungewohnlichen Stil. Die Variante stieß auch in seinem Fall auf Ablehnung, da er den asthetischen Anspruchen nicht genugte. Vor allem die Norweger, darunter der Prasident des Skisprungkomitees
Torbjørn Yggeseth
, wehrten sich gegen den neuen Stil des Schweden, daher bekam er fur diesen Stilbruch hohe Abzuge bei den Haltungsnoten (statt 19 oder 19,5 Punkte nur 14 oder 15 Punkte). Diese Abzuge konnte er nicht immer durch die großeren Weiten kompensieren, was sich an den Ergebnissen aus der Saison 1986/87 und 1987/88 zeigt (1986/87 beste Platzierung 10. in Innsbruck, 1987/88 zwar zwei 2. Platze in
Lahti
, jedoch auch mehrfach nicht unter den besten 30, Gesamtergebnis Platz 10 im Weltcup mit 64 Punkten).
In der Saison 1988/89 gelang ihm jedoch der endgultige Durchbruch mit seinem neuen Stil. Beim zweiten Weltcupspringen der Saison in
Lake Placid
siegte er das erste Mal. Er gewann in dieser Saison insgesamt funf Weltcupspringen und war 18 Mal unter den ersten zehn Springern, was den Weltcup-Gesamtsieg bedeutete. Nach dieser Saison war klar, dass der neue Stil, der mittlerweile
V-Stil
genannt wurde, konkurrenzfahig zum klassischen Stil mit paralleler Skifuhrung war. Bereits in der nachsten Saison begannen einige Springer mit der Umstellung auf den neuen Stil. Dies sorgte fur Diskussionen in Springer-, Trainer- und Funktionarskreisen. Nachteil dieses Stils waren weiterhin die hohen Abzuge bei den Haltungsnoten. Jan Boklov konnte in den folgenden Jahren nicht mehr von seiner ?Erfindung“ profitieren. So belegte er am Ende der Saison 1989/90 Platz 14 mit 80 Weltcuppunkten. Nur zu Beginn dieser Saison war er noch unter den Top Ten zu finden. Gegen Ende der Saison schaffte er oftmals keinen zweiten Durchgang. In der darauffolgenden Saison wurde er noch 50. im Gesamtweltcup.
Bereits Anfang der 80er Jahre sprang der
kanadische
Springer
Steve Collins
einen ?umgekehrten V-Stil“.
[7]
Dieser Stil glich einem ?Schneepflug-Stemmbogen“. Trotz der hohen Punktabzuge bei der Haltung wurde er 1980 so Juniorenweltmeister.
Fur die meisten etablierten Springer war die Umstellung auf den V-Stil schwierig, fur viele fuhrte der Durchbruch der neuen Technik zur Beendigung ihrer Karriere. Es gab nur acht Springer, die mit beiden Stilen gewonnen haben.
Ernst Vettori
war der erste Springer, dem dies gelang. Er gewann am 2. Dezember 1991 in
Thunder Bay
sein erstes von insgesamt zwei Springen im V-Stil. Das beste Ergebnis von diesen acht Springern hat
Jens Weißflog
aufzuweisen. Ihm gelangen nach der Umstellung noch elf Siege.
Dieter Thoma
gewann immerhin noch funfmal im V-Stil. Die weiteren Springer, die in beiden Stilen gewonnen haben, sind der Italiener
Roberto Cecon
, die Osterreicher
Andreas Felder
(vier Siege),
Heinz Kuttin
und
Stefan Horngacher
und der Finne
Ari-Pekka Nikkola
. Felder (* 1962), Vettori und Jens Weißflog (beide * 1964) gehorten bei der Umstellung bereits zu den alteren Skispringern, die ubrigen waren damals erst Anfang 20. Alle anderen Springer, die spater im V-Stil gewannen, haben vorher nie im Parallelstil gewonnen, oder lernten schon vor ihrem Weltcupdebut um. Am 24. Marz 1991 gewann mit
Ralph Gebstedt
in Planica letztmals ein Athlet mit der Paralleltechnik einen Weltcup-Wettbewerb.
Dass der V-Stil eine Revolution im Skispringen hervorgerufen hat, zeigen die folgenden Beispiele:
Einer der ersten Springer, die sich relativ schnell auf den neuen Stil umstellten, war der junge
Schweizer
Skispringer
Stephan Zund
, der 1990 sein Debut im Weltcup gab.
1989 war Stephan Zund noch im Europacup unterwegs, als ihm beim
Neujahrsspringen
in
Garmisch-Partenkirchen
der ungewohnliche Scherenstil von Jan Boklov auffiel. Im darauffolgenden Sommer begann er mit Juniorentrainer
Robert Rathmayr
die Umstellung auf den V-Stil. Zund war einer der ersten Stilisten unter den V-Springern mit einem sehr guten Fluggefuhl und einer sicheren Technikbeherrschung.
In der ersten Weltcupsaison 1990 landete er bereits nach einigen Springen auf Platz 8 und spater sogar auf Platz 3. Dies bedeutete den 21. Platz im Gesamtweltcup. Die darauffolgenden Jahre waren die erfolgreichsten fur Stephan Zund. Er belegte Platz 3 und 5 im Gesamtweltcup. Als danach seine Leistungen nachließen, begann Stephan Zund radikal sein Gewicht zu verringern. Nach dem Ende seiner Karriere machte er offentlich auf diese neue, durch den V-Stil hervorgerufene Problematik beim Skispringen aufmerksam. Seine Kritik war zum Teil Ausloser der Regelanderung, die 2004 den
Body-Mass-Index
als Maß fur die Skilangen brachte.
Das wohl beste Einzelbeispiel fur einen Skispringer, der durch den neuen V-Stil profitierte, ist der
Finne
Toni Nieminen
. Der damals erst 16-Jahrige begann im Sommer 1991 damit, seinen Sprungstil umzustellen, und dominierte anschließend die Saison 1991/1992. Am 1. Dezember 1991 gewann er, damals international noch vollig unbekannt, das erste Weltcupspringen der Saison in
Thunder Bay
. In dieser Saison gewann er insgesamt acht Weltcupspringen und ging als Top-Favorit zu den Olympischen Spielen in
Albertville
. Dort gewann er Gold von der Großschanze und fuhrte das finnische Team zum Sieg.
[8]
Ein weiterer Erfolg war der Gesamtsieg in der Vier-Schanzen-Tournee. Nach dieser Saison ließen seine Leistungen nach. Dies lag zum einen an Gewichts- und Wachstumsproblemen, aber auch daran, dass durch seine Erfolge nun fast die gesamte Weltspitze den neuen V-Stil ubernahm. Ein Uberraschungserfolg gelang Toni Nieminen noch, als er am 17. Marz 1994 in Planica als erster Springer einen Sprung uber 200 m stand (vorher war
Andreas Goldberger
bei 202 m schlecht gelandet).
Die erste Nationalmannschaft, die fruhzeitig komplett auf den V-Stil umstellte, war die
osterreichische
. Nach den Erfolgen von Jan Boklov 1989/90 beauftragte der osterreichische Trainer Toni Innauer Dr. Wolfram Muller vom Institut fur Medizinische Physik und Biophysik in
Graz
damit, die Vor- und Nachteile des V-Stils zu untersuchen. Da diese Untersuchungen ergaben, dass die Springer durch den neuen V-Stil 26 bis 28 Prozent mehr Auftrieb erhalten, was großere Weiten bedeutete, stellte Innauer vor dem Winter 1991/92 seine komplette Mannschaft um. Auch etablierte Springer wie
Andreas Felder
,
Ernst Vettori
und
Heinz Kuttin
mussten umlernen. Daraufhin dominierte die osterreichische Mannschaft die Saison, was sich an 5 von 7 moglichen olympischen Medaillen und den Platzierungen der Springer zeigte (Rathmayr und Felder Platz 2 und 3 im Weltcup, Hollwarth und Rathmayr Platz 2 und 3 bei der Vier-Schanzen-Tournee, funf Osterreicher in den Top Ten des Gesamtweltcups, nur Toni Nieminen war besser). Begunstigt wurde dies jedoch auch dadurch, dass man sich vor der Saison geeinigt hatte, nur noch 0,5 statt bisher ubliche 1,5 Punkte fur einen Sprung im V-Stil abzuziehen.
Nach den großen Erfolgen der Osterreicher in der Saison 1991/92 war der Siegeszug des V-Stils nicht mehr aufzuhalten. Nun stellten auch die ubrigen Nationen nach und nach ihren Sprungstil um. Der
japanische
Sprungverband legte fest, dass bei den Olympischen Spielen 1992 in
Albertville
ausschließlich im V-Stil gesprungen wird.
Noriaki Kasai
, der sich noch kurz zuvor gegen eine Umstellung gewehrt hatte, stand Ende Februar erstmals auf dem Treppchen und beendete die Saison mit der bis dahin besten Serie eines japanischen Springers.
Kazuyoshi Funaki
stellte sich erst im Sommer 1992 um. In der Saison 1992/93 stabilisierte er seinen Stil und wurde am Ende japanischer Vizemeister in seiner Altersklasse (damals noch nicht im Weltcup). In der Saison 1994/95 schrieb er Skisprunggeschichte, als er bei seinem ersten Weltcupspringen mit dem V-Stil gewann. Am darauffolgenden Tag wurde er Sechster. Die erste Modifikation des V-Stils erfolgte 1992 in Albertville ebenfalls durch die Japaner.
Takanobu Okabe
war einer der ersten Springer, der den so genannten ?flachen V-Stil“ ausfuhrte. Dieser Stil zeichnet sich durch ein weiter geoffnetes ?V“ und eine extreme Korpervorlage aus. Windkanaluntersuchungen bestatigten, dass diese Lage aerodynamisch gunstiger ist. Jedoch verhinderte die FIS noch im selben Jahr diesen extremen Sprungstil durch eine Reglementierung der Bindungsposition. Spater wurde der extreme V-Stil durch Springer wie
Jakub Janda
wieder angewendet.
Die deutschen Springer stellten sich erst sehr spat um. Einer der ersten war
Christof Duffner
, der noch 1990 den V-Stil erlernte und sich infolgedessen fur die Olympischen Spiele qualifizierte. Zu diesem Zeitpunkt sprangen
Dieter Thoma
und
Jens Weißflog
noch den alten Stil und waren daher in Albertville chancenlos. Nach den Erfolgen der Osterreicher und anderer Springer erkannten schließlich auch sie, dass eine Umstellung unausweichlich war und trainierten vor der Saison 1992/93 den neuen V-Stil ein. Obwohl ihnen diese Umstellung erst sehr schwerfiel, errangen beide spater noch Erfolge im neuen Stil (Olympiasieg Weißflog, Podestplatze fur Thoma bei Olympia, WM und der Tournee).
Durch die V-Haltung fliegen die Springer aufgrund des großeren
Luftwiderstands
deutlich langsamer, als wenn sie die Ski eng geschlossen vor dem Korper halten. Gleichzeitig erzielen sie mehr
Auftrieb
. Dadurch gleiten die Springer ahnlich wie ein
Base-Jumper
mit
Wingsuit
in einem flacheren Winkel ins Tal.
Der V-Stil brachte aber auch Probleme mit sich. Die Springer flogen mit der neuen Technik nur noch vier Meter hoch uber den Hang und wesentlich weiter. Hatte man die Aufsprunghange nicht angepasst, so waren die Springer reihenweise uber den
kritischen Punkt
hinaus gesprungen, was zu einem hoheren Aufsprungdruck und damit hoheren Verletzungsrisiko gefuhrt hatte. Die Sprunghugel wurden also umgebaut und so der flacheren, aber langeren Flugbahn, angepasst. Weiterhin wurde durch Verringerung der
Schanzentischneigung
die Flugbahn angepasst.
Es traten aber weitere Probleme auf. So beobachtete man zum Beispiel in der Saison 1993/94 zehn Falle von plotzlich auftretenden Vorwartsrotationen im Flug. Dies hatte zur Folge, dass viele Springer, darunter auch sehr gute wie
Andreas Goldberger
und
Werner Rathmayr
, sturzten. Deshalb wurde Wolfram Muller, der schon vorher physikalische Untersuchungen fur Anton Innauer und die Osterreicher durchgefuhrt hatte, damit beauftragt, diesen Phanomenen auf den Grund zu gehen. Es wurden umfangreiche Messreihen im Windkanal unternommen und die Fluge vieler Springer genau untersucht. Es zeigte sich, dass die hoheren Auftriebskrafte in Kombination mit nach hinten versetzten Bindungen zu instabilen Fluglagen fuhren. Wolfram Muller schlug also vor, die Vorderskilange zu reglementieren (siehe auch ?flacher V-Stil“ im Abschnitt ?Team Japan“). Die Folge dieser Regelanderung war, dass in der folgenden Saison nur ein Sturz verzeichnet wurde.
Weitere Untersuchungen, zum Beispiel an einem Andreas-Goldberger-Modell oder einem 76er
Anton-Innauer
-Modell, zeigten, dass heute beim Skispringen die Luftkrafte, die auf einen Springer einwirken, bis zu 80 % großer sind als zu Innauers Zeiten. Damit hat heute die Bedeutung der Flugphase wesentlich zugenommen. Der kraftige Absprung ist nicht mehr der dominante Faktor fur große Weiten. Die Kunst des Absprungs liegt heute darin, moglichst schnell in eine aerodynamisch gunstige Position fur den Flug zu kommen und hierbei moglichst viel Geschwindigkeit vom Anlauf mitzunehmen. Ein weiterer wichtiger Faktor ist das Gewicht des Springers. Bereits 1 kg weniger bringen 1 bis 2 Meter Sprungweite mehr. Deshalb waren die Springer gegen Ende der 1990er Jahre allesamt leicht (
Christof Duffner
60 kg bei 182 cm; Andreas Goldberger 56 kg bei 170 cm). Durch viele Diskussionen uber Gewichtsprobleme bei den Skispringern (
Magersucht
) wird seit 2004 durch den
Body-Mass-Index
die Skilange geregelt. Dies fuhrte dazu, dass viele Springer deutlich an Gewicht zulegen mussten, um optimale Skilangen springen zu konnen.
Seit etwa 2017 gilt ein sogenannter
H-Stil
als vorteilhaft, bei dem die hinteren Enden der Ski wahrend des Fluges einen deutlich großeren Abstand voneinander haben als bei dem ursprunglichen V-Stil.
[9]
- Jens Jahn,
Egon Theiner
:
Enzyklopadie des Skispringens
. Agon Sportverlag, 2004,
ISBN 3-89784-099-5
.
- H. Schwameder:
Biomechanics research in ski jumping, 1991?2006.
In:
Sports Biomechanics.
Band 7, 2008, S. 114. (Ubersichtsartikel auf Englisch)
- H. Schwameder, E. Muller:
Biomechanische Beschreibung und Analyse der V-Technik im Skispringen.
In:
Spectrum der Sportwissenschaften.
Band 7, 1995, S. 5?36.
- ↑
SZ
Problem Brechstange
sueddeutsche.de
- ↑
Berliner Morgenpost
Neue Regeln lassen die alten Helden absturzen
morgenpost.de
- ↑
Jacob Tullin Thams ? Video und Bilder
. Auf:
www.olympic.org
- ↑
Birger Ruud ? Video
. Auf:
www.olympic.org
- ↑
Thomas Gmur:
Andreas Dascher.
In:
Historisches Lexikon der Schweiz
.
15. August 2002
.
- ↑
Karriereruckblick Mirosław Graf
auf
skijumping.pl
(polnisch), abgerufen am 9. September 2020.
- ↑
Kurier-Artikel, Bild 16 der Slideshow
abgerufen am 2. Janner 2015.
- ↑
Toni Nieminen ? Video und Bilder
. Auf:
www.olympic.org
- ↑
OESV-Adler verpassten Umstellung auf den H-Stil
In: tt.com