Als
offentlich-rechtliche
Satzung
bezeichnet man in Deutschland
Rechtsnormen
, die von einer mit
Satzungsautonomie
ausgestatteten
juristischen Person des offentlichen Rechts
fur ihren Bereich erlassen werden.
Offentlich-rechtliche Satzungen beruhen auf einer offentlich-rechtlichen Satzungsautonomie, wahrend privatautonome Satzungen in der Privatautonomie grunden. Das Selbstverwaltungsrecht juristischer Personen des offentlichen Rechts wird auch
Autonomie
genannt, weshalb man herkommlich im offentlichen Recht auch von
autonomer Satzung
spricht
[1]
? auch wenn in einem weiteren Sinn die privatrechtlichen Satzungen ebenfalls ?autonome Satzungen“ sind.
Der herkommliche (offentlich-rechtliche) Satzungsbegriff wird vom
Bundesverfassungsgericht
so referiert:
?Unter einer Satzung versteht man gemeinhin Rechtsvorschriften, die von einer dem Staat eingeordneten juristischen Person des offentlichen Rechts im Rahmen der ihr gesetzlich verliehenen Autonomie mit Wirksamkeit fur die ihr angehorigen und unterworfenen Personen erlassen werden.
Satzungen sind objektives Recht. Sie haben mit den Rechtsverordnungen gemein, daß sie nicht in dem von der Verfassung fur die Gesetzgebung vorgeschriebenen Verfahren zustande kommen, unterscheiden sich von den Rechtsverordnungen jedoch dadurch, daß sie von einer nichtstaatlichen Stelle erlassen werden.“
?
BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1959 ? 2 BvF 1/58 ? ?Preußischer Kulturbesitz“ ? openJur 2011, 118081 ? Rn. 128 f.
(openjur.de)
Die
Funktion
der Selbstverwaltungsautonomie umschreibt das Bundesverfassungsgericht wie folgt:
?Die Verleihung von Satzungsautonomie hat ihren guten Sinn darin, gesellschaftliche Krafte zu aktivieren, den entsprechenden gesellschaftlichen Gruppen die Regelung solcher Angelegenheiten, die sie selbst betreffen und die sie in uberschaubaren Bereichen am sachkundigsten beurteilen konnen, eigenverantwortlich zu uberlassen und dadurch den Abstand zwischen Normgeber und Normadressat zu verringern. Zugleich wird der Gesetzgeber davon entlastet, sachliche und ortliche Verschiedenheiten berucksichtigen zu mussen, die fur ihn oft schwer erkennbar sind und auf deren Veranderungen er nicht rasch genug reagieren konnte. Das Bundesverfassungsgericht hat niemals in Zweifel gezogen, daß sich der Autonomiegedanke sinnvoll in das System der grundgesetzlichen Ordnung einfugt".“
?
BVerfG, Beschluss vom 9. Mai 1972 ? 1 BvR 518/62, 1 BvR 308/64 ? ?Facharzt“ ? zu C. II. 2. der Grunde
(servat.unibe.ch)
Selbstverwaltungskorperschaften konnen durch Satzung
objektives Recht
fur ihren Aufgabenbereich setzen. Dieses Selbstverwaltungsrecht folgt fur die Kommunen aus
Art. 28
Abs. 2 GG, der bestimmt, dass den Gemeinden das Recht gewahrleistet sein muss, alle Angelegenheiten der ortlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.
Nach den
deutschen Gemeindeordnungen
konnen die Gemeinden ihre eigenen Angelegenheiten durch Satzung regeln (
Satzungsgewalt
; z. B. § 10 Abs. 1 Niedersachsisches Kommunalverfassungsgesetz (NKomVG)). Der
Gemeinderat
erlasst, andert oder hebt Satzungen auf (§ 58 Abs. 1 Nr. 5 NKomVG). Fur die Gemeinde sind wesentliche Fragen in einer
Hauptsatzung
zu regeln (§ 12 Abs. 1 NKomVG). In ihr sind u. a. auch Regelungen zu treffen, wie die Verkundung von Rechtsvorschriften erfolgt (§ 11 Abs. 1, S. 2 NKomVG). Die Satzung ist sodann durch den
Burgermeister
zu unterzeichnen und offentlich bekannt zu machen (§ 11 Abs. 1, S. 1 NKomVG). Nach Bekanntmachung muss die Satzung nebst Anlagen fur jedermann einsehbar sein (§ 10 Abs. 4 NKomVG).
Der Erlass einer Satzung durch Organe einer Selbstverwaltungskorperschaft ist ein wesentliches Merkmal autonomer Rechtsetzung. Dieses Selbstverwaltungsrecht folgt fur die Kommunen aus
Art. 28
Abs. 2 GG, der bestimmt, dass den Gemeinden das Recht gewahrleistet sein muss, alle Angelegenheiten der ortlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. ?Der Terminus ?regeln‘ gewahrleistet nicht allein den Erlass von Verwaltungsakten, sondern ein generelles Ordnen durch Satzung.“
[2]
Satzungen mussen wie andere Rechtsnormen (etwa
Gesetze
) inhaltlich hinreichend
bestimmt
sein (
Art. 20
Abs. 3 GG). Danach mussen auch fur den juristischen Laien Inhalt und Tragweite einer Satzung weitgehend
subsumierbar
sein. Schließlich muss eine Satzung verhaltnismaßig sein, was durch spezifische Befreiungsregelungen erreicht werden kann. Dann sind Satzungen materiell rechtmaßig. Satzungen konnen die Verfassung der jeweiligen Korperschaft konstituieren und daruber hinaus auch Detailregelungen fur ihr spezifisches Aufgabengebiet enthalten. Wesentliches ist hingegen durch Parlamentsgesetz zu regeln.
[3]
Zum Verfassungsrecht gehort in einer Satzung insbesondere die Errichtung der
Organe
einer Korperschaft, die Beschreibung des Aufgabengebiets und die Festlegung ihrer Finanzhoheit. Die Organe haben vertretende, kontrollierende oder stimmrechtsausubende Funktion. Das der Korperschaft kraft Gesetz zugewiesene Aufgabengebiet wird durch die Satzung konkretisiert und umsetzbar gemacht. Insbesondere wird geregelt, welche Aufgaben fur welchen Personenkreis zur Verfugung stehen und ob und inwieweit Gebuhren oder Beitrage in bestimmter Hohe zu entrichten sind.
[4]
In der
Haushaltssatzung
wird die Aufstellung eines
Haushaltsplans
geregelt. Auch die Haushaltssatzung unterliegt den satzungsrechtlichen Regelungen.
Anstalten haben keine (Zwangs-)Mitglieder und mussen daher durch Satzung unter den Voraussetzungen des § 13 NKomVG einen
Anschluss- und Benutzungszwang
fur den ubertragenen Aufgabenkreis anordnen. Aus der Ermachtigung zum Erlass einer gemeindlichen Satzungen muss sich zweifelsfrei entnehmen lassen, welchen Gegenstand die Satzung betreffen darf.
[5]
Ein Anschluss- oder Benutzungszwang darf nur durch Satzung angeordnet werden. Die Gemeinden durfen diesen Anschluss- oder Benutzungszwang fur solche Einrichtungen einfuhren, die der
Volksgesundheit
dienen (insbesondere
Straßenreinigung
,
Mullabfuhr
,
Wasserversorgung
, Abwasserbeseitigung,
Energieversorgung
). Wahrend der Anschlusszwang grundstucksbezogen ist und nur Grundstuckseigentumer und Erbbauberechtigte verpflichtet, ist der Benutzungszwang personenbezogen und verbietet die Benutzung ahnlicher Einrichtungen.
[6]
Schließlich kann zwischen Satzungen mit Außen- und mit bloßer
Innenwirkung
unterschieden werden.
[7]
Wahrend Satzungen mit Außenwirkung verbindlich auch fur Dritte (etwa Burger) sind, gelten Satzungen mit Innenwirkung ausschließlich fur die jeweilige Korperschaft, die Organe und fur deren Verwaltung. Zu letzterer Gruppe ist beispielsweise die Hauptsatzung und die Haushaltssatzung zu zahlen.
Der Satzungsinhalt wirkt gegenuber den betroffenen Burgern wie eine Rechtsnorm. Die betroffenen Kreise werden durch den Inhalt berechtigt und verpflichtet. Die die Ordnungswidrigkeit ahndende Verwaltungsbehorde im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG ist die Gemeinde. Eine gegen
hoherrangiges Recht
verstoßende Satzung ist
nichtig
, entfaltet also von Beginn an (
ex tunc
) keinerlei Rechtswirkungen.
[8]
Sofern es die Landesverfassungen vorsehen, konnen Satzungen durch eine
Normenkontrollklage
gemaß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO uberpruft werden.
Der
vorsatzliche
oder
fahrlassige
Verstoß gegen ein
Gebot
oder
Verbot
einer Satzung kann eine
Ordnungswidrigkeit
darstellen. Ob und wann dies der Fall ist bestimmt sich nach Maßgabe der Gemeindeordnungen des jeweiligen Landes. Keinesfalls jedoch stellt jeder Verstoß automatisch eine Ordnungswidrigkeit dar. So obliegt es im Land Hessen der rechtssetzenden Gemeinde eine entsprechende schuldhafte Zuwiderhandlung durch entsprechende Verweisung in der Satzung zur Ordnungswidrigkeit zu erklaren (§ 5 Abs. 2, S. 2 HGO).
[9]
Im Unterschied hierzu stellt beispielsweise im Land Niedersachsen ein schuldhafter Verstoß gegen ein Gebot oder Verbot der gemeindlichen Satzung automatisch eine Ordnungswidrigkeit dar, ohne dass es hierfur einer gesonderten Bestimmung bedarf, sofern nur in der Satzung auf den Bußgeldtatbestand hingewiesen wurde (§ 10 Abs. 5 NKomVG). Es handelt sich dabei um einen sog.
Blanketttatbestand
.
[10]
Satzungen haben durch die Erhebung von Gebuhren und Abgaben erhebliche finanzielle Auswirkungen auf die hierdurch belasteten Burger und mussen deshalb den Grundsatz der Abgabengerechtigkeit befolgen. Eine satzungsbedingte Gebuhrenfestsetzung ist dann zu beanstanden, wenn hierdurch die hierfur geltenden (landes-)rechtlichen Obergrenzen (Verbote der Kostenuberdeckung und unangemessenen Gewinnerzielung) uberschritten werden.
[11]
Satzungsautonomie haben etwa auch
offentlich-rechtliche Rundfunkanstalten
und die
Deutsche Bundesbank
.
[13]
- Fritz Ossenbuhl:
Satzung.
In: Josef Isensee, Paul Kirchhof (Hrsg.):
Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland.
III, 2005,
ISBN 3-8114-3302-4
, § 66.
- ↑
Carl Creifelds
(Begrunder):
Rechtsworterbuch.
22. Auflage. Beck, Munchen 2016,
ISBN 978-3-406-69046-4
:
Satzung
- ↑
Carmen Winkler:
Satzung (Kommunalrecht).
In: Horst Tilich, Frank Arnold (Hrsg.):
Deutsches Rechts-Lexikon.
3. Auflage. Band 3, 2001, S. 3676.
- ↑
BVerfGE 33, 125, 157; Wesentlichkeitstheorie
- ↑
Mustersatzung fur Anstalten des offentlichen Rechts in NRW
@1
@2
Vorlage:Toter Link/www.kua-nrw.de
kua-nrw.de
(
Seite nicht mehr abrufbar
, festgestellt im Januar 2021.
Suche in Webarchiven
)
- ↑
BVerwG, Urteil vom 9. Marz 1990, Az.: 8 C 20.88
- ↑
Friedrich-Ebert-Stiftung, Kommunalakademie, Anschluss- oder Benutzungszwang, Juli 2004, S. 1.
(PDF-Datei; 254 kB)
- ↑
Carmen Winkler:
Satzung (Kommunalrecht).
In: Horst Tilich, Frank Arnold (Hrsg.):
Deutsches Rechts-Lexikon.
3. Auflage. Band 3, 2001, S. 3676.
- ↑
BVerwG, Urteil vom 29. September 2004, Az.: 10 C 3.04, S. 9.
- ↑
Gerhard Bennemann, Uwe Daneke, Helmut Schmidt u. a.:
PdK Hessen Hessische Gemeindeordnung (HGO)
. 14. Auflage. Verlag C. H. Beck, Munchen 2017,
§ 5 Rn. 40
.
- ↑
Henning Bahr:
BeckOK Kommunalrecht Niedersachsen
. Hrsg.: Johannes Dietlein, Veith Mehde. Verlag C. H. Beck, Munchen 2019,
§ 10 Rn. 37
.
- ↑
BVerwG, Urteil vom 17. April 2002, BVerwGE 116, 188
- ↑
Die Satzung von Anstalten des offentlichen Rechts wird oft
Anstaltsordnung
genannt
- ↑
Gerhard Robbers:
Satzung.
In: Gorres-Gesellschaft (Hrsg.):
Staatslexikon. Recht, Wirtschaft, Gesellschaft.
7., vollig neu bearb. Auflage. Band 4, 1988, Sp. 1001?1002 [1001]. Im Falle der Bundesbank wird in
§ 7
Abs. 1, S. 2
Bundesbankgesetz
allerdings von ?Organisationsstatut“ gesprochen. In
§ 2
S. 1
Bundesbankgesetz
wird bestimmt, dass es um ?eine bundesunmittelbare juristische Person des offentlichen Rechts“ handelt.