Reunionspolitik
(von
franzosisch
reunion
?Vereinigung‘) bezeichnet die Politik des
franzosischen
Konigs in der zweiten Halfte des 17. Jahrhunderts, die auf die
Annexion
jener Gebiete des
Heiligen Romischen Reichs
zielte, die nach franzosischer Auffassung mit bestimmten unter franzosischer
Souveranitat
stehenden Territorien rechtlich verbunden waren und daher mit diesen ?
wieder
vereint“ werden sollten. Im Zuge der Reunionspolitik fuhrte Frankreich die sogenannten
Reunionskriege
:
Ludwig XIV.
setzte 1679 auf Vorschlag von
Colbert de Croissy
sogenannte
Reunionskammern
[1]
in
Metz
,
Breisach
,
Besancon
und
Tournai
ein, die mit Hilfe alter Vertrage (meist bezogen auf mittelalterliche
Lehensverhaltnisse
) die angebliche historische Zugehorigkeit bestimmter Gebiete gerichtlich feststellen sollten. Diese Gerichtsverfahren dienten dazu, den expansionistischen Zielen Ludwigs XIV. eine juristische Legitimation zu verschaffen. Sie beruhten auf fragwurdigen Grundlagen und waren auch schon im 17. Jahrhundert und selbst innerhalb Frankreichs umstritten. Ausgangspunkt der Argumentation waren jene Territorien des Heiligen Romischen Reiches, die im
Westfalischen Frieden
von 1648 und in den
Vertragen von Nimwegen
1678/79 mit Anerkennung des Reiches unter die Herrschaft des franzosischen Konigs gekommen waren, namentlich die drei
Bistumer Metz
,
Toul
und
Verdun
, die zehn Reichsstadte des Elsasses und der
Sundgau
, die
Franche-Comte
und weitere Lander.
Nach franzosischer Auffassung waren mit diesen Abtretungen auch alle Gebiete, die irgendwann einmal in lehnsrechtlicher Abhangigkeit von diesen Territorien gestanden hatten, als ?Dependenz- und Pertinenzstucke“ der Souveranitat des franzosischen Konigs unterworfen. Man benutzte zur Durchsetzung dieses Anspruchs das juristische Mittel der Reunionsklage, mit der im alten Recht der Inhaber eines Gutes gegen dessen Aufteilung beispielsweise durch Erben vorgehen und seine ?Wiedervereinigung“ einfordern konnte, wenn ein Dismembrationsverbot (Aufteilungsverbot) bestand. Die Reunionspolitik ging also von der Verfassungsstruktur des Lehnsrechtes aus und benutzte die (vermeintlichen) Rechte der zwischen 1648 und 1679 durch den franzosischen Konig erworbenen Herrschaftstitel als Hebel. Sie behauptete dagegen nicht, dass die zu annektierenden Gebiete fruher einmal franzosisch gewesen seien.
Die eigens geschaffenen Reunionskammern sprachen die Urteile freilich durchweg im Sinne des franzosischen Konigs. Die betroffenen Fursten oder Stadte erhielten daraufhin die Aufforderung, sich der franzosischen Souveranitat zu unterwerfen und wurden militarisch besetzt.
Auf diese Weise wurden bis 1688 große Teile des
Elsasses
,
Luxemburgs
, der
Pfalz
und des heutigen
Saarlandes
in den franzosischen Staat eingegliedert, da das Heilige Romische Reich zu einem militarischen Widerstand nicht in der Lage war (nicht zuletzt wegen des gleichzeitigen
Turkenkrieges
). Gleichzeitig wurden Gebiete, fur die eine angebliche historische Zugehorigkeit nicht rekonstruierbar war, von Frankreich annektiert, wie beispielsweise 1681 die Stadt
Straßburg
. Wegen des Turkenkrieges gestanden Kaiser und Reich im
Regensburger Stillstand
1684 Ludwig XIV. zu, fur 20 Jahre militarisch und politisch nichts gegen die Reunionen zu unternehmen, sofern der Sonnenkonig sich mit dem bisher Erworbenen zufrieden gebe.
Nachdem Frankreich 1688 in der
Kurpfalz
einmarschiert war, um angebliche Erbrechte
Liselottes von der Pfalz
, der Schwagerin des Konigs, zu beanspruchen, entschloss sich das Reich zum Krieg, um die Reunionen ruckgangig zu machen (
Pfalzischer Erbfolgekrieg
).
1697 wurde im
Frieden von Rijswijk
ein Großteil der Reunionen aufgehoben, die Kurpfalz, Luxemburg,
Lothringen
, die
Grafschaft Mompelgard
und die Gebiete in der Pfalz und im Saarland wurden an ihre Herrscher zuruckgegeben und blieben beim Heiligen Romischen Reich. Allerdings musste das Reich die franzosischen Reunionen im Elsass und die Annexion von Straßburg anerkennen.
- Guido Braun:
Von der politischen zur kulturellen Hegemonie Frankreichs. 1648?1789
(=
Deutsch-Franzosische Geschichte.
4). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2008,
ISBN 978-3-534-14702-1
, S. 38 ff. (mit weiterer Literatur).
- Christine Petry: ≫
Faire des sujets du roi
≪ ?
Rechtspolitik in Metz, Toul und Verdun unter franzosischer Herrschaft (1552?1648)
(=
Pariser Historische Studien
, herausgegeben vom Deutschen Historischen Institut Paris, Band 73). R. Oldenbourg, Munchen 2006 (
Google Books
)
- Martin Wrede
:
Ludwig XIV. Der Kriegsherr aus Versailles.
Theiss, Darmstadt 2015,
ISBN 978-3-8062-3160-1
, S. 150 ff.
- ↑
Reunionskammern
, Lexikoneintrag in:
Meyers Großes Konversations-Lexikon
. 6. Auflage, Band 16, Leipzig/Wien 1908, S. 838?839 (
Zeno.org
).