Unter
Repressalie
(aus mittellateinisch
reprensalia
, das Sich-zuruck-Nehmen von etwas Weggenommenem, spater an
pressen
angelehnt) wird eine Zwangsmaßnahme verstanden, die ein
Staat
gegen einen anderen Staat ergreift, um diesen zur Aufgabe eines
Volkerrechtsverstoßes
und zur Ruckkehr zum volkerrechtskonformen Verhalten zu bewegen. Repressalien sind selbst volkerrechtswidrige Maßnahmen, die nur dann zulassig sind, wenn keine andere Moglichkeit mehr besteht, dem
Unrecht
eines anderen entgegenzutreten. Weil Repressalien auch selbst immer den Charakter einer Rechtsverletzung haben, ist bei ihnen der Grundsatz der
Verhaltnismaßigkeit
zu beachten. Eine Gleichartigkeit der Repressalie mit der vorangegangenen Rechtsverletzung ist dabei nicht der Maßstab.
Repressalien dienen der staatlichen
Selbsthilfe
zur Durchsetzung des Volkerrechts, wo andere Instrumente versagt haben oder nicht greifen. Nur unter diesen Voraussetzungen stellt eine Repressalie keine Rechtsverletzung dar. Gegenrepressalien sind unzulassig.
[1]
Die Uberschreitung der Grenze zulassiger Repressalien, der ?Repressalien-Exzess“, ist allerdings selbst ein volkerrechtliches Delikt, gegen das wiederum Repressalien ergriffen werden konnen.
Zusammen mit den
Retorsionen
werden Repressalien als
Gegenmaßnahmen
bezeichnet.
Die seit Mitte des 20. Jh. betriebene Schaffung einer internationalen Rechtsordnung hat unter anderem das Ziel, die vermeintliche Notwendigkeit zur Selbsthilfe zu beschranken. Da mit der Notwendigkeit auch die Zulassigkeit entfallt, fuhrt dies zu einer Abnahme der Bedeutung von Repressalien zugunsten von
Sanktionen
internationaler Organisationen, insbesondere auch des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
.
Die Anwendung oder Androhung von Gewalt ist keine erlaubte Repressalie, weil das
Allgemeine Gewaltverbot im Volkerrecht
keine Ausnahmen kennt. Zur Durchsetzung des Volkerrechts sind nur gewaltfreie Repressalien zulassig. Typische Repressal-Maßnahmen sind z. B. Strafzolle und die Verweigerung von Zahlungen oder anderen Verpflichtungen, ein
Boykott
oder ein
Embargo
, das Einfrieren von Guthaben oder der Eingriff in Vertragsverhaltnisse. Eigene Verpflichtungen, die nach dem
Volkervertragsrecht
bindend sind, werden dabei suspendiert. (
siehe auch
Wirtschaftssanktion
).
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siehe Diskussion ?Empfehlung“
Im
humanitaren Volkerrecht
wurden eine Reihe von Repressal-Verboten kodifiziert. Ursachlich war hierbei die Praxis,
Kriegsgefangene
und die Zivilbevolkerung in
besetztem Gebiet
zum Ziel von Repressalien zu machen.
Aufgrund der Erfahrungen im
Ersten Weltkrieg
wurden deshalb im Genfer
Abkommen uber die Behandlung der Kriegsgefangenen
von 1929 Repressalien gegen Kriegsgefangene ausdrucklich verboten.
Schon im Ersten Weltkrieg war neben der Geiselnahme eine weitere Repressalmaßnahme praktiziert worden. Die Festnahme von Geiseln und die Androhung ihrer Totung sollte das Wohlverhalten der Bevolkerung erzwingen. ?Suhnegefangene“ dagegen wurden erst nach einer Widerstandshandlung der Bevolkerung festgenommen und getotet, um die Bevolkerung von weiteren Widerstandshandlungen abzuschrecken.
Das
NS-Regime
ignorierte sowohl das Haager als auch das Genfer Abkommen und exerzierte regelmaßig drastische Suhnemaßnahmen, oftmals ohne Berucksichtigung der wahren Tater und unter Umkehrung der Schuld. Beispiele fur Repressalien des NS-Regimes: Nach dem Attentat auf
Reinhard Heydrich
im Mai 1942 wurden die zwei tschechischen Dorfer
Lidice
und
Le?aky
dem Erdboden gleichgemacht und die Bevolkerung erschossen bzw. in
Konzentrationslager
deportiert. In der Folge kam es zu uber 3000 Todesurteilen gegen tschechische Burger. Generalfeldmarschall
Wilhelm Keitel
erließ am 16. September 1941 eine Weisung des
Oberkommandos
der
Wehrmacht
zur Partisanenbekampfung in Jugoslawien, den sogenannten
Suhnebefehl
:
?Der Fuhrer hat nunmehr angeordnet, daß uberall mit den scharfsten Mitteln einzugreifen ist, um die Bewegung in kurzester Zeit niederzuschlagen. […] Als Suhne fur ein deutsches Soldatenleben muß in diesen Fallen im allgemeinen die Todesstrafe fur 50 bis 100 Kommunisten als angemessen gelten. Die Art der Vollstreckung muß die abschreckende Wirkung noch erhohen.“
[2]
Nachdem sich nicht ausreichend Kommunisten im Gewahrsam des NS-Regimes befanden, wurden, um die vorgeschriebenen Zahlen an Hinrichtungen einzuhalten, die internierten judischen Fluchtlinge des
Kladovo-Transportes
erschossen.
Der Schutz der Zivilbevolkerung, der bereits in den
Haager Abkommen
von 1899 und 1907 ansatzweise geregelt war, wurde im
Genfer Abkommen uber den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten
1949 festgeschrieben. Ausschlaggebend war der exzessive Gebrauch von Gewaltmaßnahmen gegen die Zivilbevolkerung in den deutsch-besetzten Gebieten Europas, insbesondere auch die
Geiselnahme
und -totung. Die erste Genfer Konvention von 1949 verbietet jede Repressalie gegen Verwundete, Kranke, Sanitatspersonal und dazugehorige Gebaude und Materialien. Die zweite Genfer Konvention von 1949 wiederholt dieses Verbot fur den Seekrieg. Die
Zusatzprotokolle von 1977
haben dieses Verbot verstarkt.
Bis 1860 spielten die Repressalien eine große Rolle im Kriegsverhalten. Die Kriegsparteien hofften, durch die Androhung von Repressalien konnten sie die Gegenseite von Verstoßen gegen die Kriegsgebrauche und internationales Recht abhalten. Mit der nationalen
Kodifizierung
des Kriegsrechts und der strafrechtlichen Ahndung von
Kriegsverbrechen
und internationalen Ubereinkunften, wie der
Haager Landkriegsordnung
und den
Genfer Konventionen
wurden die Repressalien langsam weniger benotigt.
[3]
Auch die Besetzung fremden
Staatsgebietes
wie z. B. die
Ruhrbesetzung
1923 war fruher eine zulassige Repressalmaßnahme.
1928 stellte ein internationales Schiedsgericht im
Naulila-Fall
, bei dem das deutsche Vorgehen beim Angriff auf
Cuangar
in der neutralen portugiesischen Kolonie
Angola
(auch Portugiesisch-Westafrika) im Jahr 1914 verhandelt wurde, die Anforderungen an Repressalien fest: a) Vorausgehender Verstoß des bestraften Staates, b) nach Verhandlungen bleiben die Wiedergutmachungsanspruche unerfullt und c) darf die Repressalie nicht unverhaltnismaßig zum vorausgegangenen Rechtsbruch sein.
[4]
- Christophe Wampach:
Armed Reprisals from Medieval Times to 1945
(= Jochen von Bernstorff [Hrsg.]:
Studien zur Geschichte des Volkerrechts
.
Band
40
). Nomos, Baden-Baden 2020,
ISBN 978-3-8487-7718-1
(englisch, zugleich
Dissertation
an der
Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universitat Bonn
2020).
- Udo Fink, Ines Gillich:
Humanitares Volkerrecht
. Nomos, Baden-Baden 2023,
ISBN 978-3-8487-7838-6
,
S.
299?304
(Kapitel: Die Repressalie).
- Johannes Hebenstreit:
Repressalien im humanitaren Volkerrecht
(=
Volkerrecht und Außenpolitik.
Bd. 64). Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2004,
ISBN 3-8329-0655-X
(Zugleich: Salzburg, Universitat, Dissertation, 2003).
- Andreas Toppe:
Militar und Kriegsvolkerrecht. Rechtsnorm, Fachdiskurs und Kriegspraxis in Deutschland 1899?1940
, Munchen 2007,
ISBN 978-3-486-58206-2
- ↑
Hans-Jurgen Schlochauer
(Hrsg.):
Worterbuch des Volkerrechts.
Band 3:
Rapallo-Vertrag bis Zypern.
=
R ? Z.
2., vollig neu bearbeitete Auflage. de Gruyter, Berlin 1962.
- ↑
Zitiert nach Gerd R. Ueberschar, S. 147.
- ↑
Anthony D´Amato:
National Prosecution for International Crimes
, erschienen in
International Criminal Law
, Vol. 3, Hrsg. M. Cherif Bassiouni, Nijhoff Publishers, 2008,
ISBN 978-90-04-16533-5
, S. 294
- ↑
Boleslaw Adam Boczek:
International Law: A Dictionary
, Scarecrow Press, 2005,
ISBN 0-8108-5078-8
, S. 112