Das
Relativpronomen
(auch:
Relativ[um], bezugliches Furwort
) ist ein
Wort
, das einen
Relativsatz
einleitet und damit diesen Satztyp markiert. Gleichzeitig ubernimmt es, als Pronomen, die Funktion einer Substantivgruppe, dient also als Subjekt oder Objekt im Relativsatz. Unter den Einleitungselementen von Relativsatzen sind Relativpronomen von
Relativadverbien
zu unterscheiden, da nur Pronomen fur die substantivtypischen Merkmale
Kasus
,
Numerus
,
Genus
flektiert werden.
Relativpronomen (bzw. -adverbien) stellen nur eine von mehreren moglichen Strategien dar, Relativsatze zu bilden. Relativpronomen sind zwar in europaischen Sprachen verbreitet, insgesamt gesehen im Sprachvergleich jedoch ein eher exotisches Phanomen (bei weitem die meisten Sprachen benutzen
uneingeleitete Relativsatze
).
[1]
Deutsche Sprache
Der, die, das
Die Flexion dieses Relativpronomens stimmt vollstandig mit der des
Demonstrativpronomens
der, die, das
und weitgehend mit der des bestimmten
Artikels
uberein; sie weicht von den Formen des Letzteren nur im Genitiv und in der Endung
-en
im Plural des Dativs ab.
Flexion des Relativpronomen
de+
Kasus
|
Mask
|
Neut
|
Fem
|
Pl
|
Nom
|
der
|
das
|
die
|
die
|
Akk
|
den
|
das
|
die
|
die
|
Dat
|
dem
|
dem
|
der
|
denen
|
Gen
|
dessen
|
dessen
|
deren, derer
|
deren, derer
|
Die von den Grammatikern des 19. Jahrhunderts formulierte Regel, wonach der Genitiv Plural des Relativpronomens einzig
deren
sei, wogegen der Genitiv Plural des Demonstrativpronomens je nach Funktion
deren
oder
derer
laute, hat sich nicht durchgesetzt und gilt mittlerweile als uberwunden; die beiden Varianten sind frei austauschbar:
[2]
- ?Er hatte einige Zauberspruche,
deren
er sich nicht mehr ganz entsinnen konnte.“
- ?Er hatte einige Zauberspruche,
derer
er sich nicht mehr ganz entsinnen konnte.“
Das Demonstrativ- und das Relativpronomen gehoren zu den wenigen Fallen in der deutschen Grammatik, in denen der Dativ
(der)
und der Genitiv
(deren)
im Femininum unterschiedliche Formen haben. Sonst trifft dies nur noch beim
Personalpronomen
(ihr; ihrer)
zu.
Welcher, welche, welches
Welcher, welche, welches
kann ebenfalls als Relativpronomen gebraucht werden ? allerdings im
Genitiv
im Singular Maskulinum und Neutrum nicht und im Femininum sowie im Plural nur selten:
[3]
Flexion des Relativpronomen
welch+
Kasus
|
Mask
|
Neut
|
Fem
|
Pl
|
Nom
|
welcher
|
welches
|
welche
|
welche
|
Akk
|
welchen
|
welches
|
welche
|
welche
|
Dat
|
welchem
|
welchem
|
welcher
|
welchen
|
Gen
|
?
|
?
|
(welcher)
|
(welcher)
|
Diese Pronomen werden insbesondere verwendet, um
Wortwiederholungen
durch Zusammentreffen von
der, die, das
mit einem gleichlautenden Artikel oder durch Relativsatze zweiter Ordnung zu vermeiden.
Beispiele:
- ?Der Mann,
der
der Straßenbahn nachlief … → Der Mann,
welcher
der Straßenbahn nachlief …“
- ?Die Frau,
der
der Hund gehort … → Die Frau,
welcher
der Hund gehort …“
- ?Das Kind,
das
das Spielzeug suchte … → Das Kind,
welches
das Spielzeug suchte …“
Diese Form findet sich fast ausschließlich in der
Schriftsprache
, in der
gesprochenen Sprache
kommt sie kaum vor.
[4]
Manchmal wird
welcher, welche, welches
als stilistisch unschon bezeichnet.
[5]
Im
Schweizerhochdeutschen
ist der relative Anschluss mittels
welch-
dagegen vergleichsweise beliebt.
[6]
Wer, was
Auch die
Interrogativpronomen
wer
und
was
dienen als Relativpronomen.
Kasus
|
Anim
|
Neut
|
Nom
|
wer
|
was
|
Akk
|
wen
|
was
|
Dat
|
wem
|
(was)
|
Gen
|
wessen
; (veraltet:)
wes
|
wessen
; (veraltet:)
wes
|
Wer
und
was
treten in
freien Relativsatzen
auf:
- ?
Wer
[= Derjenige/Diejenige,
der/die
] noch Fragen hat, soll sich melden.“
- ?Ich kaufe,
was
[= das,
was
] mir fehlt, nach der Arbeit ein.“
- ?Jeder soll bekommen,
wessen
er bedarf.“
- ?
Wes
das Herz voll ist, des gehet der Mund uber.“ (
Martin Luther
)
- ?Ich sage das,
wem
ich will.“
- ?Ich frage,
wen
ich will.“
Was
bezieht sich uberdies auf
Pronomen
sowie substantivierte
Adjektive
mit neutralem Genus:
- ?Sie sah nur das,
was
sie sehen wollte.“
- ?Das ist alles,
was
ich dir anbieten kann.“
- ?Das ist das Schonste,
was
(oder
das
) ich je erlebt habe.“
Was
bezieht sich auch auf einen ganzen ubergeordneten
Satz
:
- ?Wir machten den ganzen Tag frei,
was
uns eigentlich nicht erlaubt war.“
In der
Umgangssprache
kommt
was
auch in Positionen vor, die standardsprachlich
das
erfordern:
- ?Das Kind,
was
sich beim Spielen verletzt hat.“
Syntax der Relativpronomen
Das Relativpronomen leitet einen
Relativsatz
ein und tragt die Merkmale von
Numerus
und
Genus
des Substantivs, auf das es sich bezieht. Der
Kasus
des Relativpronomens richtet sich jedoch nach seiner grammatischen Funktion im Relativsatz.
Beispiel:
- ?Der Mann,
dem
ich noch Geld schulde, hat mir gestern einen Brief geschickt.“
In diesem Satz ist
- dem
= ein Relativpronomen
- Mann
= das Wort im
Hauptsatz
, auf das sich das Relativpronomen bezieht
- dem ich noch Geld schulde
= der Relativsatz
Die
Dativform
dem
erscheint, weil das Verb
schulden
im Relativsatz einen Dativ an seiner Erganzung verlangt; die Merkmale ?maskulin, Singular“ der Form
dem
sind hingegen dadurch bedingt, dass das aufgenommene Substantiv
Mann
diese Merkmale hat.
Abgrenzung zwischen Relativpronomen und Konjunktionen im Deutschen
In alteren Sprachstufen sowie in heutigen regionalen Varietaten des Deutschen kommen auch Relativsatz-
Konjunktionen
vor, die ein Relativpronomen begleiten oder ersetzen. Sie sehen oft oberflachlich wie Pronomen oder Adverbien aus. Sie unterscheiden sich von Pronomen am deutlichsten darin, dass ihre Form unveranderlich ist (wie etwa das
was
im zweiten Beispiel unten).
In
alemannischen
Dialekten und regionaler Umgangssprache werden Relativsatze mit
wo
eingeleitet, zum Beispiel im
Schwabischen
oder wie hier im
Schweizerdeutschen
:
[7]
- ?D Lidia Egger isch em Guurps sini langjeerig Privaatsekreteerin,
wo
fasch sovil waiss wie ire Scheff.“ (
Viktor Schobinger
)
Diese Verwendung von
wo
ist kein Adverb, sondern eine Konjunktion (siehe dazu unter
Relativadverb #Abgrenzung zur Relativsatz-Konjunktion wo
).
In anderen Dialekten, z. B. dem
Wienerischen
, tritt die ansonsten pronominale Form
was
als unveranderliches Wort in derselben relativen Funktion auf:
- ?I schwitz unter mein Hut,
den was
i immer aufsetz, ob’s schon ist oder regnen tut.“ (
Wolfgang Ambros
)
Die Abfolge
den was
zeigt an, dass im Relativsatz zwei verschiedene Positionen mit satzeinleitender Funktion verfugbar sind. Sie werden in der deutschen Grammatik als ?
Vorfeld
“ und danach ?linke Klammer“ unterschieden, in der Linguistik auch als ?Spezifikator“ und, danach folgend, ?Komplementierer“ des Nebensatzes (fur Einzelheiten siehe
Complementizer #Leere Komplementierer
). Neben der fehlenden Anpassung an das Genus des Bezugsworts ist also auch diese zweite Position von
was
ein Indiz fur den Status als Konjunktion.
Das altere Deutsch kennt
so,
das traditionell als
Nota relationis
bezeichnet wird. Es handelt sich ebenfalls nicht um ein Pronomen:
- ?Wenn sie,
so
singen oder kussen, mehr als die Tiefgelahrten wissen.“ (
Novalis
)
- ?Wie sich ein Vater uber Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr uber die,
so
ihn furchten.“ (Psalm 103, 13,
Lutherbibel
)
Latein
Das
Lateinische
kennt
qui
?der, welcher“,
quicumque
?jeder, der; wer auch immer“ und
quisquis
?jeder, der; wer auch immer“. Wie im Deutschen werden die Relativpronomina gebeugt, allerdings auch im Plural.
Flexion der lateinischen Relativpronomen
Numerus:
|
Singular
|
Plural
|
Kasus
|
Mask
|
Neut
|
Fem
|
Mask
|
Neut
|
Fem
|
Nom
|
qui
|
quod
|
quae
|
qui
|
quae
|
Gen
|
cuius
|
quorum
|
quarum
|
Dat
|
cui
|
quibus
|
Akk
|
quem
|
quod
|
quam
|
quos
|
quae
|
quas
|
Abl
|
quo
|
qua
|
quibus
|
Englische Sprache
Im Englischen werden die folgenden Formen als Relativpronomen verwendet:
[8]
Relativpronomen im Englischen
|
Subjekt
|
Objekt
|
Possessiv
|
Person
|
who
|
who(m)
|
whose
|
Sache
|
which
|
which
|
whose / of which
|
Zusatzlich gibt es noch die Relativpronomen
who-/which-/what(so)ever
. Schließlich kann hauptsachlich fur Sachen auch
that
verwendet werden. Uber den Status von
that
gibt es in der Literatur keine eindeutige Meinung, ob es sich um ein Relativpronomen handelt oder nicht: Wahrend einige Linguisten und vor allem traditionelle Grammatiken
that
als Relativpronomen oder Relativpartikel klassifizieren,
[9]
betrachten andere Linguisten, speziell aus der generativen Schule,
that
moglicherweise als
Complementizer
oder
Konjunktion
.
[10]
Fur den Gebrauch von Relativpronomen in der
englischen Sprache
ist zwischen notwendigen und nicht-notwendigen Relativsatzen zu unterscheiden
(defining
vs.
non-defining relative clauses)
.
[11]
Notwendige Relativsatze
Notwendige Relativsatze (auch bestimmende oder restriktive Relativsatze genannt) sind Relativsatze, die Auskunfte enthalten, die fur das Verstandnis des ubergeordneten Satzes unentbehrlich sind. Notwendige Relativsatze werden nicht durch ein Komma oder eine Sprechpause vom Hauptsatz abgetrennt. Als Relativpronomen stehen alle Formen zur Verfugung, auch
that
.
Vertritt das Relativpronomen ein
Subjekt
, so steht fur Personen
who
und fur Sachen
that
oder
which:
- The man who lives next door is very nice.
- This is the bag which/that I just bought.
Bei Konstruktionen mit Superlativen wird
that
auch in Bezug auf Personen verwendet:
- She was the best cook that ever lived in our town.
Wird ein
Objekt
vertreten, entfallt das Relativpronomen haufig (
Kontaktsatz
):
- I cannot do my duty without the woman (whom) I love.
(
Edward VIII.
)
- Today I’ve finally received the letter (that/which) I had been expecting for weeks.
Nicht-notwendige oder erganzende Relativsatze
Nicht-notwendige Relativsatze (auch erganzende Relativsatze genannt) sind Relativsatze, die erlauternde, entbehrliche Auskunfte enthalten. Sie werden vom Hauptsatz durch ein
Komma
und eine Sprechpause getrennt. Fur die Einleitung eines nicht-notwendigen Relativsatzes muss immer ein Relativpronomen verwendet werden; die Bildung eines Kontaktsatzes ist nicht moglich. Als Relativpronomen stehen alle Pronomen außer
that
zur Verfugung.
- My mother, who is a very intelligent woman, is interested in English literature.
- My car, which always breaks down after a few miles, is now in a garage for repairs.
Literatur
- Duden
. Die Grammatik.
Hrsg. von der Dudenredaktion. 8., uberarbeitete Auflage. Dudenverlag, Mannheim/Zurich 2009 (Duden Band 4).
- Adolf Lamprecht:
Grammatik der englischen Sprache
. 9. Auflage. Cornelsen-Velhagen & Klasing, Berlin 1989,
ISBN 3-464-00644-1
.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑
Viveka Velupillai:
An introduction to linguistic typology.
John Benjamnins, Amsterdam 2012. S. 139.
- ↑
Duden. Die Grammatik.
Hrsg. von der Dudenredaktion. 8., uberarbeitete Auflage. Dudenverlag, Mannheim/Zurich 2009 (Duden Band 4), Rn 376. Die altere Regel wird noch vertreten in:
Duden. Richtiges und gutes Deutsch.
Hrsg. von der Dudenredaktion. 4., neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Dudenverlag, Mannheim/Leipzig/Wien/Zurich 1997 (Duden Band 9), S. 618.
- ↑
Duden, Band 4
Die Grammatik.
8. Auflage. Dudenverlag, Berlin 2009, Rn. 403.
Duden, Band 9
Sprachliche Zweifelsfalle.
9. Auflage. Dudenverlag, Berlin 2021, Stichwort
Relativpronomen
, Abschnitt 3
der, die das / welcher, welche, welches.
- ↑
J. Alan Pfeffer: Die Relativpronomen
der
und
welcher
in Wort und Schrift. In: Die Unterrichtspraxis/Teaching German, Jg. 6 (2), 1973, S. 90?97.
Bei jstor.org
- ↑
Vgl. etwa
Relativpronomen, Interrogativpronomen, Interrogativartikel: welcher
auf
Canoonet
.
- ↑
Hans Bickel
,
Christoph Landolt
:
Schweizerhochdeutsch. Worterbuch der Standardsprache in der deutschen Schweiz.
2., vollstandig uberarbeitete und erweiterte Aufl. Hrsg. vom Schweizerischen Verein fur die deutsche Sprache. Dudenverlag, Berlin 2018,
ISBN 978-3-411-70418-7
, S. 105; vgl. auch
Cosmas II
, ein linguistisches Textkorpus des
Instituts fur Deutsche Sprache
.
- ↑
Vgl.
Schweizerisches Idiotikon
,
Bd. 15, Sp. 1 ff., Artikel
w?
(
Digitalisat
, vor allem Bedeutung
B.2,
Sp. 9 ff.).
- ↑
Lamprecht, Adolf.:
Grammatik der englischen Sprache
. 9. Auflage. Cornelsen-Velhagen & Klasing, Berlin 1989,
ISBN 3-464-00644-1
,
S.
169–173
.
- ↑
Lamprecht, Adolf.:
Grammatik der englischen Sprache
. 9. Auflage. Cornelsen-Velhagen & Klasing, Berlin 1989,
ISBN 3-464-00644-1
,
S.
173
.
- ↑
Bernard Comrie:
Relative Clauses. Structure and typology on the periphery of standard English
. In: Peter Collins, David Lee (Hrsg.):
The clause in English: in honour of Rodney Huddleston.
John Benjamins, Amsterdam, S. 81?91.
- ↑
Adolf Lamprecht:
Grammatik der englischen Sprache
. 9. Auflage. Cornelsen-Velhagen & Klasing, Berlin 1989,
ISBN 3-464-00644-1
,
S.
169?177
.