Philanthropismus

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Der Begriff Philanthropismus (nur Singular, auch Philanthropinismus ) stammt von altgriechisch φ?λο? philos (?Freund; liebend“) und ?νθρωπο? anthropos (?Mensch“). Als Philanthropismus wird die Lehre von der Erziehung zur Naturlichkeit, Vernunft und Menschenfreundschaft ( Philanthropie ) bezeichnet. Er ist der reformpadagogischen Bewegung in der Zeit der Aufklarung zuzuordnen und wurde in Deutschland sowie der Schweiz in der zweiten Halfte des 18. bzw. zum Beginn des 19. Jahrhunderts verbreitet.

Hauptprinzipien philanthropischer Padagogik

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  • Berucksichtigung der Altersstufenspezifik und Individualitat des Kindes
  • Anschaulichkeit des Unterrichts
  • Verwendung von spielerischen Elementen im Unterricht
  • Lehre zum selbststandigen Denken
  • religiose Toleranz (allgemeiner Religionsunterricht)
  • obligatorische korperliche Tatigkeiten ( Sportunterricht , Spielstunden)
  • Verbot der Korperstrafe
  • lebenspraktisch orientierte Inhalte (moderne Sprachen, Naturwissenschaften )
  • Handarbeitsunterricht
  • patriotische Erziehung (durch deutschen Sprach-, Literatur-, Geographie- und Geschichtsunterricht )
  • Prinzip der Gleichheit (gleiche Kleidung und gleiches Essen, unabhangig vom Stand)
  • Geschlechtliche Unterweisung

Durch seinen Lehrer Hermann Samuel Reimarus lernte Basedow von 1743 an die Erziehungsgrundsatze John Lockes kennen, der gefordert hatte, dass Lernen idealerweise frohliches Spiel sei. Kindererziehung sei als sport and play zu gestalten. In seiner eigenen Erziehungspraxis hat Basedow dann spielerische Lehrgesprache bevorzugt sowie einen lebensnahen Unterricht, der sinnlich, anschaulich, alltagsnah und frohlich ist und aus dem Spiel heraus entsteht. Wichtig war ihm die liebevolle Behandlung der Schuler. [1]

Besonders war Basedow daran gelegen, Kinder schon im Vorschulalter furs Lesen zu interessieren, da er das Lesenkonnen fur den Schlussel zum Lernerfolg in allen Fachern hielt. [1]

Geschichte des Philanthropismus

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Eine der Hauptfragen der Zeit der Aufklarung war die Frage nach der Verbesserung des Schulsystems und die Aufklarung des Volks. Das entstehende Schulsystem, welches noch stark von der Kirche abhangig war, konnte den stets wachsenden Bedarf nach Bildung nicht decken; auch machte der Wunsch nach religioser Toleranz neue Unterrichtskonzepte und staatliche Schulen notwendig. [2]

In diesem Zusammenhang beschaftigten sich viele Philosophen, Politiker und Denker dieser Zeit mit Erziehungs- und Bildungsproblemen. Manche von ihnen, die von Rousseaus naturlichem Erziehungskonzept stark gepragt waren und als hochstes Erziehungsziel eine Erziehung zu glucklichen, menschenfreundlichen und vernunftigen Menschen hatten, nannten sich Philanthropen.

Obwohl viele Philanthropen dank der stetig steigenden Zeitschriften- und Buchproduktion und intensiver Briefwechsel, gemeinsamer Reisen und offener Diskurse ihre Ideen gleichzeitig entwickelten, hielt man mit vollem Recht Johann Bernhard Basedow (1724?1790) fur den Grunder der philanthropischen Bewegung. Er entwickelte die ersten philanthropischen Konzepte, ohne Rousseau rezipiert zu haben. [3]

Johann Bernhard Basedow

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Johann Bernhard Basedow , der Sohn eines Peruckenmachers, hatte Theologie studiert und 1752 als Magister promoviert. Seine ersten praktischen Versuche zur Verbesserung des Unterrichts machte er bei seiner Arbeit als Privatlehrer . Die konservativen Lehrmethoden in der Lehre der lateinischen Sprache erbrachten fur ihn wenige Resultate. Er brachte anschauliche und spielerische Elemente in den Lehrprozess ein, die besonders erfolgreich waren, und konzentrierte sich auf ein Lernen durch Sprechen statt durch Lernen der Grammatik. Sein Zogling galt schon mit zehn Jahren als ?ein wohlgeubter Gymnasiast“. [4] Dieser Erfolg brachte Basedow auf den Gedanken, die Erziehungsmethoden weiterzuentwickeln.

Ab 1753 arbeitete Basedow als Professor in der Ritterakademie in Sorø auf Seeland (Danemark). In dieser Zeit verfasste er viele Schriften uber Bildung, Philosophie und Religion. Seine Gedanken und Werke uber religiose Toleranz brachten Basedow einen skandalosen Ruf ein.

1761 wurde Basedow wegen seiner religiosen Außerungen von der Ritterakademie entlassen und an das Gymnasium Christianeum in Altona (damals auch Danemark) versetzt. Dort konzentrierte sich Basedow auf die Entwicklung des Erziehungs- und Bildungssystems. 1763 entwarf er den Plan einer Musterschule, in der selbstandiges Denken, Menschenfreundschaft und Toleranz als Leitwerte einer aufgeklarten Gesellschaft vermittelt werden sollten. [3] 1766 erschien sein Buch ?Vorstellung an Menschenfreunde und vermogende Manner uber Schulen, Studien und ihren Einfluß in die offentliche Wohlfahrt, mit einem Plan eines Elementarbuchs der menschlichen Erkenntniß“. In diesem Werk formulierte Basedow sein Erziehungsprogramm, das spater als Philanthropismus bezeichnet wird.

In seinen Schriften spiegeln sich die Gedanken solcher Philosophen wie Rousseau , Locke , Comenius und seines ehemaligen Lehrers Richey und Reimarus wider.

1770 erschien der erste Teil von ?Elementarwerk“ (in manchen Quellen ?Elementarbuch“), ein zentrales Grundlagenwerk der philanthropischen Padagogik. Das ?Elementarwerk“, eine Sammlung von Kupferstichen mit ausfuhrlichen Beschreibungen, sollte das Kind von den ersten Kenntnissen bis in das akademische Studium hinein begleiten, ohne dabei die naturlichen Entwicklungsstufen zu uberspringen. [5]

Philanthropinum in Dessau

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Zahlreiche Schriften uber Erziehung brachten Basedow Ruhm ein. 1771 lud der Furst von Dessau Leopold Friederich Franz Basedow ein, um ihm bei seinen Planen zur Verbesserung der Landesschulen zu helfen. 1774 grundete Basedow seine erste Bildungsanstalt; er nannte sie Philanthropinum und bezeichnete sie als ?Schule der Menschenfreundschaft fur Lernende und junge Lehrer“. Das Philanthropinum sollte

  1. ein Seminar zur Bildung kunftiger Lehrer sein,
  2. ein Erziehungsinstitut fur Kinder beguterter Eltern von 6 bis 18 Jahren oder fur Pensionisten,
  3. eine Erziehungsanstalt fur 11- bis 15-jahrige arme Kinder, welche nach ihren Fahigkeiten entweder zu Padagogen oder zu Schulhaltern in niederen Schulen oder zu guten Bediensteten gebildet werden konnten. [6]

Zu dieser Zeit hatte Basedow viele gleichgesinnte Freunde und Anhanger. Manche von ihnen, wie zum Beispiel Joachim Heinrich Campe (1746?1818), Ernst Christian Trapp (1745?1818) und Christian Gotthilf Salzmann (1744?1811), haben im Philanthropinum Dessau unterrichtet. 1777 wurde in Dessau eine Philanthropische Gesellschaft gegrundet, die 26 Namen enthielt. In der Schweiz entstand zur gleichen Zeit die ?Societe des Philanthropes“.

Am Anfang war das dessauische Philanthropinum sehr erfolgreich und erregte großes Aufsehen nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Aber der Erfolg dauerte nicht lange an. 1793 wurde das Philanthropinum wegen organisatorischer und finanzieller Probleme und wegen schon lange andauernder Streitigkeiten zwischen den Lehrkraften geschlossen.

Selbst Basedow war von seiner Schopfung enttauscht, da er seine Ziele nicht verwirklicht sah. Bereits 1776 gab er vorlaufig und 1778 endgultig die Leitung des Philanthropinums ab und bis zum Ende seines Lebens war er schriftstellerisch tatig. Basedow starb 1790 in Magdeburg .

Philanthropische Praxis

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Basedows Anhanger versuchten, die philanthropischen Ideen weiterzuentwickeln und in der Praxis umzusetzen. So grundete Christian Gotthilf Salzmann 1784 die Erziehungsanstalt in Schnepfenthal, in der er die Grundgedanken des Philanthropismus, allerdings in zum Teil abgewandelter Form, zu verwirklichen trachtete. Christian Heinrich Wolke (1746?1806), der engste Freund und Lehrer seiner Tochter, wurde nach Russland berufen und versuchte dort die Ideen des Philanthropismus einzufuhren. Ernst Christian Trapp hat 1780 sein Werk ?Versuch einer Padagogik“ veroffentlicht, in dem er die padagogischen Grundgedanken des Philanthropismus in ein System zu bringen suchte. [7] Joachim Heinrich Campe , der nach Basedow die Leitung des Dessauer Philanthropinum ubernahm, aber kurz danach wegen eines Streits mit Basedow seine Stelle wieder verließ, wurde in der Folge als der bedeutendste ?Schriftsteller des Philanthropismus“ bezeichnet, weil er Jugendliteratur schrieb und in den Jahren 1785?1792 das 16-bandige Revisionswerk Allgemeine Revision des gesamten Schul- und Erziehungswesens konzipierte und herausgab.

Friedrich Eberhard von Rochow (1734?1805), der von Basedow ein bisschen distanziert war, hat schon 1773 (vor der Eroffnung des Dessauer Philanthropinums) eine Landschule eroffnet, die als erste philanthropische Schule uberhaupt galt.

Insgesamt existierten in Deutschland bis zu 60 Philanthropine, [8] dazu noch manche Bildungsanstalten nach philanthropischer Art in der Schweiz, Frankreich, Russland und Nordamerika.

Philanthropische Philosophie

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Philanthropische Erziehung hat sich in erster Linie an der Herstellung der gemeinnutzigen, gluckseligen und menschenfreudigen Patrioten orientiert. Die Formel ?Gluckliches Individuum = Glucklicher Staat“ wurde in aufklarerischer Zeit fast unbestreitbar. Wegen der damals politischen und religiosen Zersplitterung des Landes waren die Einpflanzung des Patriotismus und der religiosen Toleranz eine wichtige Aufgabe der philanthropischen Erziehung. Dafur wurden der Deutsch-, Nationalliteratur-, Geographie-, Geschichts- und allgemeine Religionsunterricht verwendet.

Philanthropen lehnten die Standbestimmung des Menschen durch Geburt ab und orientierten sich an Funktionsstanden, worin jeder Mensch nach seinen Moglichkeiten und seinem Konnen seinen Platz einnahm. Da die Philanthropisten fur die Standaufhebung kampften, versuchten sie die neue Generation auf jeden Stand vorzubereiten. Dafur wurden, neben der gleichen Schuluniform und gleichem Essen, im Dessauer Philanthropinum ?Standestage“ eingefuhrt. Die Menschen sollten auf ein gemeinnutziges Leben vorbereitet werden. Dazu sollten realistisch-lebenspraktische Aspekte, wie Fremdsprachen- und Naturwissenschaftsunterricht, Handarbeitsunterricht und Sportaktivitaten dienen. Außerdem besuchten die Schuler des Philanthropinums Produktionsstatten und Bauern.

Die kindgemaße Unterrichtsgestaltung, Beachtung der Altersstufe, Verwendung der Spiele und Anschauungsmittel sollten zum besseren Inhaltsverstandnis dienen, selbstandiges Denken vermitteln und Lernlust zu wecken.

Bedeutung des Philanthropismus in der Geschichte

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Die Lebenszeit des Philanthropismus war relativ kurz, aber in der Geschichte sehr bedeutsam. In padagogischer Hinsicht trug er wesentlich zur Entwicklung der Padagogik als Wissenschaft und zum Ansatz der Kinderpsychologie bei. Philanthropen waren die ersten, die die Bedeutung der Kleinkindererziehung und Behandlung des Sauglings und sogar Fotus beachteten.

Auf die Philanthropen geht der Turnunterricht zuruck. Auch solche Unterrichtsmethoden wie Anschauungsmittel und lehrende Spiele wurden erstmals von Philanthropen verwendet.

Die Philanthropen etablierten die Kinder- und Jugendliteratur als eigenstandige literarische Gattung. [9] Campe hat mit seiner Bearbeitung von Robinson Crusoe und mit anderen Werken großen Einfluss auf die Entwicklung der Kinder- und Jugendliteratur ausgeubt.

Auch auf dem Gebiet der systematischen geschlechtlichen Unterweisung leisteten die Philanthropen Pionierarbeit. Basedow machte bereits in seiner Philalethie (1764) auf die Bedeutung des Problems aufmerksam. Christian Gotthilf Salzmann gab im Jahre 1785 die erste Monographie zu dem Thema heraus ( Uber die heimlichen Sunden der Jugend ). Villaume und Oest schrieben Abhandlungen in Joachim Heinrich Campes Allgemeine Revision des gesamten Schul- und Erziehungswesens (6./7. Theil 1787). Christian Hinrich Wolke versuchte im Philanthropen in Dessau seine theoretischen Uberlegungen in die Praxis umzusetzen. [10]

Von politischer Perspektive haben Philanthropen eine entscheidende Rolle im Kampf um die Standesaufhebung gespielt.

Bekannteste Philanthropen

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Katharina Rutschky hat Teile des Philanthropismus 1977 als ? schwarze Padagogik “ eingestuft. [11] Sie bezog sich dabei auf die Padagogik der Aufklarung, die der Philanthropismus gerade zu reformieren trachtete.

Einzelnachweise

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  1. a b Jurgen Overhoff: "…aber mit Lust!" In: Die Zeit . 10. April 2003, abgerufen am 11. Dezember 2018 .
  2. Vgl. exemplarisch fur Basedow und das Philanthropin in Dessau: Jurgen Overhoff: Immanuel Kant, die Philanthropische Padagogik und die Erziehung zur religiosen Toleranz. In: Dina Emundts (Hrsg.): Immanuel Kant und die Berliner Aufklarung. Reichert, Wiesbaden 2000, ISBN 3-89500-156-2 , S. 133?147.
  3. a b Vgl. Jurgen Overhoff: Die Fruhgeschichte des Philanthropismus 1715?1771. Konstitutionsbedingungen, Praxisfelder und Wirkung eines padagogischen Reformprogramms im Zeitalter der Aufklarung. Niemeyer, Tubingen 2004, ISBN 3-484-81026-2 .
  4. Vgl. Jurgen Overhoff: Die Fruhgeschichte des Philanthropismus 1715?1771. Konstitutionsbedingungen, Praxisfelder und Wirkung eines padagogischen Reformprogramms im Zeitalter der Aufklarung. Niemeyer, Tubingen 2004, ISBN 3-484-81026-2 , S. 79.
  5. Vgl. Padagogen im Zeitalter der Aufklarung ? die Philanthropen: Johann Bernard Basedow, Friedrich Eberhard von Rochow, Joachim Henrich Campe, Christian Gotthilf Salzmann. In: Heinz-Elmar Tenorth (Hrsg.): Klassiker der Padagogik. Band 1: Von Erasmus bis Helene Lange. Beck, Munchen 2003, ISBN 3-406-60199-5 , S. 119?143, hier: S. 127.
  6. Max Muller:  Basedow, Johann Bernhard . In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 2, Duncker & Humblot, Leipzig 1875, S. 113?124.
  7. Karl-Heinz Gunther, Franz Hofmann, Gerd Hohendorf u. a.: Geschichte der Erziehung. Volk und Wissen, Berlin 1967, S. 170.
  8. Vgl. Heinz-Elmar Tenorth : Geschichte der Erziehung. Einfuhrung in die Grundzuge ihrer neuzeitlichen Entwicklung. 5. Auflage. Juventa, Weinheim 2010, ISBN 978-3-7799-1517-1 , S. 91.
  9. Vgl. Hans-Heino Ewers: Kinder- und Jugendliteratur der Aufklarung. Eine Textsammlung. Bibliographisch erganzte Ausgabe. Reclam, Stuttgart 1991, S. 6?13. (online) ( Memento vom 25. Oktober 2007 im Internet Archive )
  10. Friedrich Koch : Sexualitat, Erziehung und Gesellschaft. Von der geschlechtlichen Unterweisung zur emanzipatorischen Sexualpadagogik. Frankfurt 2000.
  11. Katharina Rutschky (Hrsg.): Schwarze Padagogik: Quellen zur Naturgeschichte der burgerlichen Erziehung . Ullstein, Berlin 1977, ISBN 3-548-35670-2 .