Ottonisch-salisches Reichskirchensystem

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Der in der historischen Forschung umstrittene Begriff des ottonisch-salischen Reichskirchensystems bezeichnet eine Entwicklungsphase der Reichskirche zur Zeit der Ottonen und Salier , um die enge institutionelle und personelle Verbindung der weltlichen Macht des Konigtums ( lateinisch regnum ) der Ottonen und Salier und der Bistumer und Reichskloster ( sacerdotium ) im Heiligen Romischen Reich auf der Grundlage des Eigenkirchenwesens zu beleuchten.

Begriffskontroverse in der Forschung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

In der neueren Mediavistik wird vor allem diskutiert, ob sich der Begriff des ?Systems“ rechtfertigen lasst, da zum einen kein exakter Zeitpunkt angesetzt werden kann, ab dem das Reichskirchensystem als Konzept neu praktiziert worden ware. Es entwickelte sich vielmehr langsam und schrittweise aus Vorlaufern wie der frankischen Reichskirche um die Aufenthaltszentren der Konige, da dort ihre Durchsetzungskraft am starksten war, zu dem ?System“, das die altere Forschung als Idee Ottos I. erkannte. Zudem kann die Saule des sakral begrundeten Kaisertums bis ins Romische Reich unter Konstantin I. zuruckverfolgt werden. Der Monarch nimmt hierbei zwar keine Position direkt innerhalb der kirchlichen Organisation ein, erhalt jedoch eine besondere Legitimation, uber welche der gewohnliche weltliche Adel nicht verfugt. Otto der Große stellte sich als Konig des Ostfrankischen/Deutschen Reiches in diese Tradition und ließ sich bei seinem Herrschaftsantritt 936 durch einen der Erzbischofe salben . Mit dem Gewinn der Kaiserkrone 962 nahm er zudem eine im westlichen Europa einzigartige Position unter den christlichen Herrschern ein.

Eine scharfe Kritik an dem Begriff ?Reichskirchensystem“ außerte beispielsweise Timothy Reuter im Jahr 1982. [1] Er bestritt, dass im ostfrankischen Reich von koniglicher Seite eine regelrecht planmaßige und systematische Ubertragung von Herrschaftsrechten an die Kirche stattgefunden habe. Vielmehr stehe die Ausstattung der Hochkirchen mit Herrschaftsrechten im Zusammenhang mit einer koniglichen Patronagepolitik. Reuter wies außerdem darauf hin, dass in den westeuropaischen Reichen die Monarchen sich ebenfalls auf die kirchliche Organisation stutzten, wobei kirchliche Wurdentrager dort sogar eher eine großere Rolle gespielt haben.

Historische Praxis [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Als Ausgleich fur ihre Unterstutzung des Konigs erlangten die Bischofe jedenfalls vermehrt weltliche Macht. Genossen Bischofe und Abte seit Jahrhunderten das traditionelle Vorrecht der Immunitat , so wurden ihnen seit Otto I. Regalien ubertragen und die Grafenrechte in ihrer Residenz und in dem von dieser abhangigen Gebiet zugestanden. [2] Im Gegenzug mussten die Bischofe und Reichsabte, die seit dem 11. Jahrhundert zunehmend dem Reichsfurstenstand angehoren, das servitium regis , den Reichsdienst, leisten, dessen Umfang nicht genau festgelegt werden kann. Er umfasst auf jeden Fall und vorrangig die zeitweilige Beherbergung des reisenden Konigshofes ( Gastung ), das Stellen von Kontingenten fur das Reichsheer und Dienste auf diplomatischem und administrativem Gebiet. Der Kaiser hatte deshalb großes Interesse daran, einen entscheidenden Einfluss auf die Kandidatenkur zu gewinnen, die er mit der Investitur mit Ring und Stab abschloss.

Vor dem Hintergrund des Lehnswesens hatte diese Praxis einen entscheidenden Vorteil: Waren die weltlichen Vasallen stets bemuht, ihr Lehen in erbliches Eigengut umzuwandeln, so stellte sich bei Bischofen und Abten infolge des Zolibats die Frage der Erbschaft nicht: nach ihrem Tod fiel das Lehen wieder an den Lehnsherrn zuruck, der es erneut an einen treuen Vasallen vergeben konnte. Die Bedingung dafur war allerdings, dass der Kaiser tatsachlich uber die Kirchenhoheit verfugte. Dies war keineswegs selbstverstandlich, wie sich am Beispiel des Westfrankischen Reiches zeigte: Hier konnte der Konig im 10. und 11. Jahrhundert lediglich uber ein Drittel der Bistumer verfugen. Die Kontrolle uber die ubrigen war (zusammen mit zahlreichen anderen Hoheitsrechten) in die Hande seiner Vasallen geraten.

Zunachst verlief dieser Prozess im Ostfrankenreich ahnlich: Beim Herrschaftsantritt 919 von Konig Heinrich I. , dem Vater Ottos des Großen, hatten die Stammesherzoge von Bayern, Schwaben und Lothringen unter anderem auch das Recht zur Vergabe der Bischofsamter erlangt. Gerade fur die Person Heinrichs selber gilt dies im Besonderen, hatte er zuvor als Herzog von Sachsen die Bistumer seines Herrschaftsbereichs in eine Art Herzogskirche verwandelt. In den Folgejahren nutzte er seine erstarkende Position, um gerade das Recht auf Investitur wieder an das Konigtum zu ziehen. Dies ist besonders vor dem Hintergrund auffallig, dass er ansonsten den Herzogen eine gewisse Autonomie zubilligte. Er durfte sich also uber die Bedeutung der Kontrolle der Bistumer im Klaren gewesen sein. Allerdings hatten die Ottonen erst seit dem Tod Herzog Arnulfs von Bayern 937 und der Absetzung seines Sohnes die volle Gewalt uber alle Bistumer im Reich.

Um moglichst geeignete und vertraute Geistliche auf die freiwerdenden Amter zu setzen, griffen die Kaiser haufig auf Angehorige ihrer eigenen Hofkapelle zuruck. Diese Praxis geht auf die karolingischen Herrscher seit Karl dem Großen zuruck; so wie im Heiligen Romischen Reich wurde auch in anderen europaischen Konigreichen praktiziert.

Ende im Investiturstreit [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Durch das ?Reichskirchensystem“ gerieten die Geistlichen in zwei Einflussbereiche: den des Kaisers und den des Papstes. In der von der Abtei Cluny ausgehenden Kirchenreformbewegung wuchs der Widerstand gegen die Verweltlichung der geistlichen Amter. Der daraus erwachsende Investiturstreit , in dem es nur vordergrundig darum ging, ob nun weltliche oder geistliche Gewalt das Recht habe, die Bischofe zu investieren, konnte das ?Reichskirchensystem“ zwar nicht ganzlich abschaffen, aber doch die koniglichen Einflussmoglichkeiten erheblich einschranken. Das Wormser Konkordat von 1122 bildet dabei insofern eine Zasur, als der geistlichen Gewalt im Reich die Emanzipation von der weltlichen gelang; die Bischofe konnten die unmittelbare Verfugungsgewalt des Konigs uber sie zuruckdrangen und sich nach und nach eigene Herrschaftsrechte sichern. Damit war auch den Bischofen der Weg zu eigenen Territorialstaaten innerhalb des Reiches geebnet und das ottonisch-salische Reichskirchensystem faktisch am Ende.

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Tina Bode: Konig und Bischof in ottonischer Zeit. Herrschaftspraxis ? Handlungsspielraume ? Interaktionen (= Historische Studien. Nr. 506). Matthiesen, Husum 2015, ISBN 978-3-7868-1506-8 .
  • Josef Fleckenstein : Die Hofkapelle der Deutschen Konige . Band 1: Grundlegung. Die Karolingische Hofkapelle. Hiersemann, Stuttgart 1959. Band 2: Die Hofkapelle im Rahmen der Ottonisch-Salischen Reichskirche. Hiersemann, Stuttgart 1966 (= Monumenta Germaniæ Historica . Schriften. Bande XVI/1 und XVI/2).
  • Josef Fleckenstein: Problematik und Gestalt der ottonisch-salischen Reichskirche . In: Karl Schmid (Hrsg.): Reich und Kirche vor dem Investiturstreit . Thorbecke, Sigmaringen 1985, S. 83?98.
  • Oskar Kohler : Die Ottonische Reichskirche. Ein Forschungsbericht . In: Josef Fleckenstein u. a. (Hrsg.): Adel und Kirche. Gerd Tellenbach zum 65 Geburtstag dargebracht von Freunden und Schulern . Herder, Freiburg u. a. 1968, S. 141?204.
  • Timothy Reuter : The ‘Imperial Church System’ of the Ottonian and Salian Rulers. A Reconsideration . In: Journal of Ecclesiastical History 33 (1982), S. 347?374.
  • Leo Santifaller : Zur Geschichte des Ottonisch-Salischen Reichskirchensystems . Hermann Bohlaus Nachf., Wien 1964, S. 27?49.
  • Rudolf Schieffer : Der Ottonische Reichsepiskopat zwischen Konigtum und Adel . In: Fruhmittelalterliche Studien 23 (1989), S. 291?301.
  • Rudolf Schieffer: Ottonisch-salische Reichskirche . In: Lexikon des Mittelalters (LexMA) . Band   7 . LexMA-Verlag, Munchen 1995, ISBN 3-7608-8907-7 , Sp.   627   f .

Anmerkungen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Timothy Reuter: The ?Imperial Church System“ of the Ottonian and Salian Rulers. A Reconsideration. In: Journal of Ecclastiastical History , 33, 1982, S. 347?374. Dagegen: Josef Fleckenstein: Problematik und Gestalt der Reichskirche. In: Karl Schmid (Hrsg.): Reich und Kirche vor dem Investiturstreit. Festschrift Gerd Tellenbach. Sigmaringen 1985, S. 83?98.
  2. Jan Dhondt : Das fruhe Mittelalter (= Fischer Weltgeschichte . Band 10). Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 1968, S. 200 f.