Dieser Artikel behandelt das Thema unter allgemeinen Aspekten. Zur Orthographie des Deutschen siehe
Deutsche Rechtschreibung
.
Die
Orthographie
(auch
Orthografie
; von
lateinisch
orthographia
,
[1]
altgriechisch
?ρθ??
orthos
(aufrecht, richtig) und
-graphie
) oder
Rechtschreibung
ist die allgemein ubliche Schreibweise der Worter (bzw.
Morpheme
), Silben oder Phoneme einer
Sprache
in der verwendeten
Schrift
. Eine davon abweichende Schreibung wird allgemein als
Rechtschreibfehler
bezeichnet. Orthographie ist zudem ?jede Methode, die Laute einer Sprache auf eine Menge von Schriftsymbolen abzubilden“
[2]
und wird auch als Bezeichnung fur das Gebiet der
Sprachwissenschaft
verwendet, das sich mit diesem Gegenstand beschaftigt.
Bei der Rechtschreibung in
Alphabetschriften
unterscheidet man zwei grundlegend unterschiedliche Ansatze:
Der phonemische Ansatz bezieht sich gewohnlich auf nur eine
Standardvarietat
der jeweiligen Sprache. In diesem Sinne uberwiegend phonemisch ist die Orthographie zum Beispiel des
Bulgarischen
,
Finnischen
,
Georgischen
,
Italienischen
,
Serbischen
,
Spanischen
und
Turkischen
. Die
Orthographie des Spanischen
etwa ist fur das kastilische Spanisch eher phonemisch als beispielsweise fur das argentinische oder das kubanische (die sich beide freilich keineswegs als nachrangige Dialekte, sondern eben als die argentinische bzw. kubanische Hochsprache begreifen).
Besonders fallt die stark etymologisch gepragte morphophonemische Orthographie des
Englischen
auf. Im Englischen kann eine Buchstabenfolge (z. B.
ough
) vier oder mehr verschiedene Aussprachen haben; umgekehrt kann eine bestimmte Lautfolge viele verschiedene Schreibweisen haben, je nachdem, in welchem Wort sie vorkommt, z. B. der Laut
[
?
]
(
stimmloser postalveolarer Frikativ
, ?sch“) als o
c
ean, fi
sh
, ac
ti
on,
s
ure usf.
Bemuht um eine Reform der englischen Rechtschreibung haben sich unter anderem der Monch Ormin, der im 13. Jahrhundert auf
Mittelenglisch
das
Ormulum
verfasste, und
George Bernhard Shaw
im 20. Jahrhundert, der ein Preisgeld fur eine vereinfachte Schreibung aussetzte, das Ronald Kingsley Read 1959 mit dem sogenannten
Shaw-Alphabet
gewann.
[3]
Auch das
Franzosische
schreibt sich entschieden etymologisch. Stellte Frankreich seine Orthographie auf eine rein phonemische Grundlage, ware die Familienahnlichkeit des Franzosischen mit den ubrigen romanischen Sprachen kaum mehr zu erkennen. Im Franzosischen kann ein Laut zahlreiche verschiedene Schreibweisen haben (z. B. die Graphemfolgen
au
,
aud
,
auds
,
ault
,
aulx
,
aut
,
auts
,
aux
,
eau
,
eaud
,
eaux
,
haut
,
hauts
,
ho
,
o
,
o
,
od
,
ods
,
oh
,
os
,
ot
,
ots
).
Die
Orthographie des Deutschen
hat sowohl phonemische als auch morphophonemische Elemente (nicht dargestellte
Auslautverhartung
, e/
a
-Schreibweise u. a.), allerdings mit nur relativ wenigen etymologischen Schreibweisen (eine Ausnahme bilden viele neuere Fremdworter und einige
Homophone
). Insbesondere bei Entlehnungen aus dem Englischen wird die Schreibweise nur selten an das deutsche Lautbild angepasst (
Keks
,
Streik
, aber nicht
(Korn-)Fleks
,
Kompjuter
,
Marschmello
u. a.). Allerdings wurden mit der
Rechtschreibreform von 1996
auf diesem Gebiet einige Eindeutschungen eingefuhrt (z. B.
Ketschup
,
Portmonee
), die aber nicht konsequent durchgefuhrt wurden (z. B.
Butike
mit
e
am Ende fur
Boutique
[bu?tiːk],
Orthografie
mit
th
fur
Orthographie
[??to??a?fiː]), nicht konsequent fortgefuhrt wurden und zum Teil wieder gestrichen wurden (z. B.
Ketschup
).
Eine Ubersicht uber die Rechtschreibprinzipien im Deutschen findet man unter Bezug auf die Forschungsliteratur bei Garbe,
[4]
der folgende Unterscheidungen trifft:
- 1. phonologisches Prinzip: eindeutige Zuordnung von
Graphemen
und
Phonemen
; so werden der sogenannte
Ich-Laut
und der
Ach-Laut
beide mit der Buchstabenfolge <ch> oder <Ch> wiedergegeben, da sie das gleiche Phonem realisieren;
- 2. graphemisches Prinzip: Beibehaltung tradierter Schreibweisen, zum Beispiel des sogenannten
Dehnungs-e
;
- 3. morphologisches Prinzip (auch: etymologisches Prinzip genannt): Worter, denen die gleiche Grundform zugrunde liegt, werden entsprechend gestaltet:
Gast ? Gaste
(statt: *
Geste
);
- 4. semantisches Prinzip: Worter, die gleich klingen, aber verschiedene Bedeutung haben, werden auch verschieden geschrieben:
Lied ? Lid
;
- 5. syntaktisches Prinzip: hier wird unter anderem die Großschreibung am Satzanfang und der Substantive genannt sowie die Rolle der Interpunktion fur die Satzgliederung;
- 6. pragmatisches Prinzip: hierher gehort die Großschreibung der Anredepronomina.
Unter dem graphemischen Prinzip fuhrt Garbe auch den Fall an, dass bei
Saal ? Sale
im Plural die Doppelschreibung des Vokals vermieden wird, andernorts als ?asthetisches Prinzip“ angefuhrt.
[5]
- Helmut Gluck
(Hrsg.):
Metzler-Lexikon Sprache.
4. Auflage. Verlag J. B. Metzler, Stuttgart/Weimar 2010,
ISBN 3-476-02335-4
.
- George A. Miller
:
Worter. Streifzuge durch die Psycholinguistik.
Herausgegeben und aus dem Amerikanischen ubersetzt von
Joachim Grabowski
und
Christiane Fellbaum
. Spektrum der Wissenschaft, Heidelberg 1993; Lizenzausgabe: Zweitausendeins, Frankfurt am Main 1995; 2. Auflage ebenda 1996,
ISBN 3-86150-115-5
, S. 56?60.
- Michael Schlaefer:
Grundzuge der deutschen Orthographiegeschichte vom Jahre 1800 bis zum Jahre 1870.
In:
Sprachwissenschaft
.
Band 5, Nr. 3, 1980.
- Michael Schlaefer:
Der Weg zur deutschen Einheitsorthographie vom Jahre 1870 bis zum Jahre 1901.
In:
Sprachwissenschaft.
Band 6, Nr. 4, 1981.
- Gunther Thome:
Deutsche Orthographie: historisch, systematisch, didaktisch.
2., verbesserte Auflage. isb-Fachverlag, Oldenburg 2019,
ISBN 978-3-942122-24-5
.
- ↑
Orthografie, Orthographie, die.
Duden online,
abgerufen am 8. August 2012
: ?lateinisch orthographia < griechisch orthographia, zu: graphein?= schreiben“
.
- ↑
George A. Miller
:
Orthographie.
In: George A. Miller:
Worter. Streifzuge durch die Psycholinguistik.
Herausgegeben und aus dem Amerikanischen ubersetzt von
Joachim Grabowski
und
Christiane Fellbaum
. Spektrum der Wissenschaft, Heidelberg 1993; Lizenzausgabe: Zweitausendeins, Frankfurt am Main 1995; 2. Auflage ebenda 1996,
ISBN 3-86150-115-5
, S. 56?60, hier: S. 56.
- ↑
George A. Miller:
Worter. Streifzuge durch die Psycholinguistik.
1996, S. 78.
- ↑
Burckhard Garbe:
Das sogenannte ?etymologische“ Prinzip der deutschen Schreibung.
In: Zeitschrift fur germanistische Linguistik, Nr. 8.2, 1980, S. 197?210, Schematische Ubersicht der Schreibprinzipien: S. 206?207.
- ↑
Burckhard Garbe:
Die deutsche Rechtschreibung. Zum Stand der Forschung und Perspektiven der Reform.
In: Zeitschrift fur germanistische Linguistik, Nr. 7.2, 1979, S. 232?240, hier: S. 235.