Merkantilismus
(von
franzosisch
mercantile
‚kaufmannisch‘
,
lateinisch
mercator
‚Kaufmann‘
) ist eine
Wirtschaftspolitik
, die moglichst viele Waren
aus dem Land ausfuhren
mochte und moglichst wenig Waren
ins Land lasst
. Ziel war eine positive
Leistungsbilanz
. Dazu wurde auch auf das Erreichen einer positiven
Handelsbilanz
abgezielt, speziell mit
fertigen Produkten
.
Der Grund dafur war, dass
absolutistisch
regierte Staaten wachsende und sichere Einnahmen anstrebten. Die Herrscher bezahlten ihre
stehenden Heere
, immer mehr
Beamte
und hatten einen großen reprasentativen Aufwand. In den freien Handel
einzugreifen
wurde wirtschaftspolitische Praxis. Exporte von Fertigwaren wurden aktiv gefordert und Importe von Fertigwaren gehemmt.
Zunftprivilegien
wurden abgebaut, der Markt innerhalb eines Staates wurde gefordert, indem man Binnenzolle abschaffte. Erste Strukturen des modernen
Kapitalismus
entstanden.
Diese Wirtschaftspolitik pragte die moderneren Lander in Europa und Bereiche in Afrika vom 16. Jahrhundert bis ins spate 18. und fruhe 19. Jahrhundert. In der
Wirtschaftstheorie
wird diese Zeit auch als
Fruhkapitalismus
bzw. in der
Geschichtswissenschaft
als
Proto-Industrialisierung
bezeichnet. Der Merkantilismus in Frankreich wurde durch die
Physiokratie
, im ubrigen Europa durch die
klassische Nationalokonomie
verdrangt. Seit dem 19. Jahrhundert wird eine Wirtschaftspolitik, die auf
Leistungsbilanzuberschusse
und eine
protektionistische
Beschaftigungsstabilisierung ausgerichtet ist, als
Neo-Merkantilismus
bezeichnet.
Uberblick
Verschiedene Stromungen theoretischer und praktischer Wirtschaftspolitik, die unter dem Begriff des Merkantilismus zusammengefasst werden, dominierten vom 16. bis zum 18. Jahrhundert das politische Handeln. Die große Vielfalt der praktischen Empfehlungen kann nicht als eine geschlossene Theorie verstanden werden. Gleichwohl beruhten die Empfehlungen auf theoretischen Uberlegungen, die erste Ansatze einer Wirtschaftstheorie darstellten.
[1]
Das oberste Ziel des Merkantilismus war die Mehrung des Reichtums des jeweiligen Herrschers. Die Steigerung der
Staatseinnahmen
sollte Macht und Einfluss des Landesherren starken. Dazu wurde vor allem ein hohes
Bevolkerungswachstum
angestrebt. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt war der Zusammenhang zwischen Lohnhohe und Beschaftigung. Insbesondere durch ein hohes Bevolkerungswachstum sollte das Lohnniveau niedrig und das Arbeitskraftepotential hoch gehalten werden (Forderung der
preislichen Wettbewerbsfahigkeit
gegenuber auslandischer Produktion). Zudem wurde erwartet, dass ein Bevolkerungswachstum automatisch die Inlandsnachfrage (
consumptio interna
) erhohe. Die Forderung des inlandischen Handwerks und vor allem von
Manufakturen
sollte der Steigerung der Produktion und einer Substitution des Imports von Fertigwaren durch inlandische Produkte dienen. Die Geldpolitik zielte auf eine Vereinheitlichung des Munzwesens und die Vermeidung von Geldabflussen in das Ausland.
[2]
[3]
Außerdem strebten Merkantilisten die Schaffung eines
Binnenmarktes
durch Abschaffung der inlandischen Zolle und Vereinheitlichung der Gewichte und Maße an.
Eine Grundannahme des Merkantilismus war die Annahme von
Unterbeschaftigung
, die durch aktive Wirtschaftsforderung gelindert werden sollte. Man erkannte fruh den Zusammenhang zwischen
Geldumlauf
,
Geldmenge
und dem Stand der Beschaftigung. Merkantilisten strebten deshalb neben der Vermehrung der Geldmenge
Handelsbilanzuberschusse
an. Die Theorie, dass Handelsbilanzuberschusse im Inland Wirtschaftswachstum ankurbeln, geht auf
Thomas Mun
zuruck.
[3]
Handelsbilanzuberschusse bewirken nach Ansicht der Merkantilisten zunehmende Inlandsbeschaftigung und, wenn das Geld nicht gehortet wird, auch eine zunehmende Inlandsnachfrage (consumptio interna).
[4]
Erste Ansatze okonomischer Theorie
Erst zu Beginn der
Neuzeit
begannen sich erste Gelehrte mit wirtschaftswissenschaftlichen Themen zu befassen, insbesondere auf dem Gebiet der Geldtheorie. Die Theoretiker des Merkantilismus gehorten zu den Pionieren der Volkswirtschaftslehre.
[5]
Erst das merkantilistische Versprechen von Steuermehreinnahmen durch Wirtschaftsforderung motivierte Konige und Fursten dazu, an Universitaten erste Lehrstuhle fur Wirtschaftswissenschaften einzurichten. Besonders deutlich wurde dies im Heiligen Romischen Reich deutscher Nation, wo u. a.
Veit Ludwig von Seckendorff
,
Philip Wilhelm von Hornick
,
Georg Heinrich Zincke
,
Johann Heinrich Gottlob von Justi
und Joseph von Sonnenfels einen Lehrauftrag fur
Kameralwissenschaft
erhielten.
[6]
Veit Ludwig von Seckendorff wurde vom preußischen Konig sogar mit der Grundung der
Friedrichs-Universitat Halle
beauftragt.
Theorem der aktiven Handelsbilanz
In der fruhen Neuzeit wurde das Denken von der simplen Gleichsetzung ?Reichtumb das ist Gelt“ dominiert.
[7]
Hinzu kam, dass fruhe Monetaristen wie
Thomas Gresham
und
John Hales
und die
Bullionisten
um
Thomas Milles
die staatlichen Edelmetallreserven als Maßstab fur die wirtschaftliche und militarische Starke eines Staates nahmen, da es damals noch keine Messgroßen fur das
Volkseinkommen
gab. Im
Vereinigten Konigreich
wurde die Devise am konsequentesten umgesetzt und eine
bullionistische
Geldpolitik betrieben. Da man Geld und Gold mit Reichtum gleichsetzte, wurde ein Ausfuhrverbot fur Geld und Edelmetalle erlassen. Das Ausfuhrverbot wurde noch durch eine
Devisenbewirtschaftung
erganzt. Der gesamte Zahlungsverkehr mit dem Ausland musste uber den ?King’s Exchanger“ abgewickelt werden. Dieser sollte darauf achten, dass mit jedem Geschaft mehr Geld nach England hereinfloss als hinaus.
[8]
Die bullionistische Sichtweise wurde von
Thomas Mun
in seinem Hauptwerk
England’s Treasure by Forraign Trade
(veroffentlicht 1664) fur zu eng erklart. Es konne nicht darauf ankommen, im Außenhandel mit jedem einzelnen Staat einen Uberschuss zu erzielen, sondern durchaus sinnvoll sein, viele Rohstoffe und Rohwaren zu importieren, um diese nach Verarbeitung in England zu hoheren Preisen im Ausland zu verkaufen. Es solle nur darauf geachtet werden, dass in der Gesamtbilanz des Außenhandels ein Uberschuss besteht.
[8]
“The ordinary means therefore to encrease our wealth and treasure is by Forraign Trade, wherein wee must ever observe this rule; to sell more to strangers yearly than wee consume of theirs in value.”
?Deshalb besteht das ubliche Mittel um unseren Wohlstand zu mehren und die Schatztruhe zu fullen im Außenhandel, bei dem wir diese Regel befolgen mussen: Wir mussen jahrlich mehr an Auslander verkaufen als wir von diesen wertmaßig kaufen.“
?
Thomas Mun
:
England’s treasure by forraign trade.
1630 (veroffentlicht 1664)
Damit gelang erstmals eine logische Trennung von Reichtum und Geld. Zudem schuf Mun damit eine
Außenhandelstheorie
, die sich von der Betrachtung der
Kapitalbilanz
loste. Die Bullionisten verfolgten das Ziel einer positiven Kapitalbilanz durch Vermeidung jeglicher Kapitalabflusse. Dies fuhrte zwar automatisch zu einer positiven Zahlungsbilanz, schrankte aus Sicht von Thomas Mun aber den Außenhandel und damit die Entfaltung der Produktivkrafte ubermaßig ein. Mun riet dazu, eine positive
Zahlungsbilanz
durch geeignete Gestaltung des Außenhandels zu erzielen. Der Fokus ruckte damit auf die
Handelsbilanz
. Konkret empfahl Mun alle Importe außer die von Rohwaren zu beschranken, die Exporte von Fertigwaren zu fordern und den Außenhandel moglichst nur uber inlandische Transportunternehmer zuzulassen.
[9]
Ahnliche Empfehlungen hatte bereits
Jean Bodin
1576 in seinen
Les six livres de la republique
entwickelt. Durch Ausfuhrzolle auf Waren, deren Import fur das Ausland unerlasslich ist, durch niedrige Einfuhrzolle auf benotigte Rohstoffe und durch hohe Importzolle auf auslandische Fertigprodukte sollte auf eine aktive Handelsbilanz (
Handelsbilanzuberschuss
) hingewirkt werden.
[8]
Diese Thesen bildeten die Kernidee des Merkantilismus und von Muns Schrift ?England’s Treasure by Forraign Trade“, die 1664 von seinem Sohn veroffentlicht wurde. Sie blieb, so
Karl Marx
, ?fur weitere hundert Jahre merkantilistisches Evangelium. Hat der Merkantilismus also ein epochemachendes Werk ?als eine Art Inschrift am Eingang‘, so ist es dieses…“
[10]
?Wir finden … bei Dolmetschern des Merkantilsystems … sehr weitlaufige Predigten daruber …, wie die Kapitalistennation den andern dummeren Nationen das Verzehren ihrer Waren … uberlassen, dagegen die produktive Konsumtion zu ihrer Lebensaufgabe machen muss“, das erinnere oft ?an analoge asketische Ermahnungen der Kirchenvater“, urteilt Marx uber den merkantilistischen Anspruch, mehr zu exportieren als zu importieren.
[11]
Charles Davenant geht uber Mun hinaus, rat dazu, neben Rohstoffen auch Konsumguter einzufuhren, die im Ausland billiger hergestellt werden konnen. Dadurch wurden Krafte freigesetzt fur die inlandische Exportproduktion und hohere Handelsprofite moglich.
[12]
Im Merkantilismus gilt nicht der Handel generell als die Quelle des Reichtums. Sonst hatten seine Protagonisten auch auf den Binnenhandel statt nur auf den Außenhandel setzen mussen.
[13]
Streng merkantilistisch ist die Auffassung, dass die Starkung der eigenen zu Lasten der fremden Volkswirtschaften geht, dass im Außenhandel der eine gewinnt, was der andere verliert. Die Merkantilisten, so Marx, ?muss man sich… nicht so dumm vorstellen, wie sie dargestellt werden von den spateren Vulgar-Freetraders.“
[14]
In fast allen ihren Schriften findet sich, so Werner Sombart der Satz, ?dass die nationale Arbeit die Quelle des Volksreichtums sei; zum Teil mit fast genau denselben Worten, mit denen Adam Smith den
Wealth of Nations
einleitet.“
[15]
Sombart zitiert Davenant: ?the Wealth of all nations arises from the labour and industry of the people.“
[16]
Wie William Petty hangen alle großen Merkantilisten der Arbeitswerttheorie an, auch wenn sie, schrankt Marx ein, allein
die
Arbeit fur produktiv erklaren, ?deren Produkte, nach dem Ausland geschickt, mehr Geld zuruckbringen, als sie gekostet haben.“
[17]
Profit entstunde, weil der Preis großer als der Wert der Waren sei. ?Dies das alte Merkantilsystem. Der Wert besteht darin, dass ich kein Aquivalent, sondern mehr als das Aquivalent bekomme.“
[18]
Geldlehre
Eine einfache (naive)
Quantitatstheorie
des Geldes entwickelte
Jean Bodin
vor dem Hintergrund des starken Edelmetallzuflusses aus den Kolonien und der dadurch verursachten Inflation der Gold- und Silberwahrungen (
Preisrevolution
). Demnach stehen Geldmenge und Geldwert in einem umgekehrten Verhaltnis zueinander, das heißt, der Geldwert ist umso geringer, je hoher die Geldmenge ist.
[19]
John Law
sah es umgekehrt: Die Preise (und mit ihnen die Geldmengen) seien gestiegen, weil das Silber in den 200 Jahren von 1500 bis 1700 auf ein Zwanzigstel seines Wertes gefallen war.
[20]
Entgegen spaterer Kritik von
Adam Smith
propagierten die fuhrenden Merkantilisten keineswegs eine simple Gleichsetzung von Geld mit Reichtum.
John Locke
war der erste, der in seiner 1668 verfassten, aber erst 1692 veroffentlichten Schrift
Some Considerations of the Consequences of the Lowering of Interest, and Raising the Value of Money
auf die Relevanz der
Geldumlaufgeschwindigkeit
hinwies. Diese Erkenntnis wurde spater von
Richard Cantillon
in dem
Essai sur la nature du commerce en general
vertieft. Die Merkantilisten propagierten eine rasche Geldumlaufgeschwindigkeit und verurteilten Geldhortung:
[19]
?Der Wert des Geldes besteht einzig in seiner Verkehrung: je offter es aus einer in eine andere Hand rouliret, je mehr bringet es seinem Eigenthumer ein. Wann aber in Casten es verschlossen lieget, ist es kein Gold, sondern eine Todte und inutile Erde; und je mehr davon steril liegend […]: je starker wird dadurch aller Handel und Wandel geschwachet und verhindert.“
Bei den meisten Merkantilisten standen hinsichtlich der Funktionalitat des Geldes die Funktionen als Tauschmittel sowie als Recheneinheit und Wertmaßstab im Vordergrund, weniger aber die Wertbewahrungsfunktion. Zur Zeit des Merkantilismus bestanden die Wahrungen in der Regel aus
Kurantmunzen
. Zur Ausweitung der Geldmenge mussten also Edelmetalle angekauft werden. Wahrend Spanien sehr viel Gold und Silber aus den Kolonien gewann, verfugten viele andere europaische Staaten uber wenig bis keine Gold- und Silberbergwerke. Diese Staaten konnten Edelmetalle zur Munzpragung nur aus Außenhandelsuberschussen gewinnen. Von
Wilhelm von Schroder
stammt die Uberlegung, der Volkswirtschaft durch Ausgabe landesfurstlicher
Wechsel
einen
monetaren
Impuls zu geben.
[21]
Die Ausweitung der Geldmenge fuhrte im ausgehenden Mittelalter und der fruhen Neuzeit zu einer weiteren Ausweitung der
Geldwirtschaft
, die wiederum eine starkere
Arbeitsteilung
forderte.
[22]
Nach der einfachen Quantitatstheorie des Geldes ware eigentlich davon auszugehen gewesen, dass eine Erhohung der Geldmenge und der Geldumlaufgeschwindigkeit, wie sie die Merkantilisten anstrebten, bei nicht sofort einsetzender Erhohung des Guterangebots zu Preissteigerungen (also einer Erhohung der Inflation) und somit uber Verschlechterung der preislichen Wettbewerbsfahigkeit zu einer Verschlechterung der Exportchancen und somit zu einer passiven Außenhandelsbilanz fuhren muss. Die Merkantilisten gingen jedoch von einem Zustand der
Unterbeschaftigung
aus. Die Produktionskapazitaten seien unterausgelastet, so dass ein Anstieg der Nachfrage uber eine gestiegene Geldmenge ohne großere Zeitverzogerung zu einer Erhohung der Produktion fuhren wurde. Eine steigende Geldmenge fuhre also zu keiner Erhohung der Inflation.
[8]
Zins und Reichtum
?Eine der bedeutendsten Leistungen des Merkantilismus fur die Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise“, schreibt
Gunter Fabiunke
, ?war die Uberwindung des … monopolistischen Wucherzinses.“
[23]
Er behinderte die Entfaltung des Kapitals in Zirkulation und Produktion. Vor allem
Josiah Child
trat dafur ein, das zinstragende Kapital dem kommerziellen und industriellen Kapital unterzuordnen.
Karl Marx
bezeichnet ihn als den großen ?Bekampfer des Wuchers“
[24]
und als den ?Vater des normalen englischen Privatbankiertums“, des modernen kapitalistischen Kredit-, Bank- und Borsenwesens.
[25]
?Wenn es der Handel ist“, so Child, ?der ein Land bereichert, und wenn die Herabsetzung des Zinses den Handel vermehrt, so ist eine Herabsetzung des Zinses oder die Beschrankung des Wuchers ohne Zweifel eine fruchtbare Hauptursache der Reichtumer einer Nation … Die Zinsreduktion kann eine Vermehrung des Reichtums, und die Vermehrung des Reichtums kann eine noch großere Zinsreduktion verursachen… Ich bin der Verteidiger der Industrie, und mein Gegner verteidigt die Faulheit und den Mußiggang.“
[26]
Monopole
Die meisten Theoretiker wie z. B.
Josiah Child
oder
Charles Davenant
lehnten
Monopole
prinzipiell strikt ab, sahen in einzelnen Monopolgesellschaften aber auch Vorteile. In der Praxis wurden Monopole im Inlandsmarkt abgelehnt, Monopole zur Ausschaltung auslandischer Konkurrenz aber bisweilen befurwortet.
[27]
Friedrich Engels
betont scharfer: ?Das Monopol war das Feldgeschrei der Merkantilisten, die Konkurrenz der Schlachtruf der liberalen Okonomen.“
[28]
Er bezeichnet die Smithsche Kritik des Merkantilismus als einen notwendigen Fortschritt, weil ?das Merkantilsystem mit seinen Monopolen und Verkehrshemmungen gesturzt wurde.“
[29]
Im Deutschen Reich wandte sich vor allem
Johann Joachim Becher
gegen Monopole, also die Situation, dass ein großerer Markt von nur einem Anbieter bedient wird, weil ein Monopol nur einen ernahrt, obwohl der Markt bei optimaler Konkurrenzsituation fur mehrere Anbieter existenzsichernde Geschafte moglich machen wurde. Er wandte sich auch gegen
Polypole
, also eine Situation, wo mehrere Anbieter einen Markt bedienen, der so klein ist, dass er nur zur Existenzsicherung von einem Anbieter ausreicht. Außerdem bezeichnete er Propole (Verkaufskartelle) als schadlich, weil sie dazu fuhren, dass Waren zunachst im Lager angehauft werden, damit sie spater einzeln zu Uberpreisen verkauft werden konnen. Damit leistete Becher einen ersten Beitrag zur
Marktformenlehre
.
[30]
[31]
Mit Reichstagsbeschluss von 1671 wurden Monopole verboten, Kartellabsprachen untersagt und die Vergabe kaiserlicher Privilegien abgeschafft.
[32]
Arbeitsmarkt
Aus dem Ziel der Forderung von Exporten und der Verringerung der Importe folgt, dass eine hohe Produktion zu konkurrenzfahigen Preisen erzielt werden musste. Hierzu war es erforderlich, dass eine Reserve an billigen und fleißigen Arbeitskraften zur Verfugung stand. 1720 formulierte John Cary, dass die
Arbeit
fleißiger Menschen den Wohlstand der Nation ausmache. Deshalb sollten die Arbeitslosen nicht der Bettelei oder bestenfalls zweifelhaften Methoden des Gelderwerbs uberlassen werden, sondern in
Arbeitshausern
bei relativ niedrigem Lohn eine Arbeit vom Staat zugewiesen bekommen. In seinem Werk
An Essay Towards Regulating the Trade and Employing the Poor of this Kingdom
pries er den Export von Fertigwaren als eine Moglichkeit, die Lohne fur die englischen Tagelohner vom Ausland bezahlen zu lassen.
[33]
William Petty
sah darin auch den Vorteil, dass die Arbeit im arbeitsteiligen Manufaktursystem der Arbeitshauser besonders effizient sein konnte. In seinem
Treatise of Taxes and Contributions
(1662) formulierte er, dass selbst eine vollig sinnlose Tatigkeit Nachfrageimpulse ausloste, deren Multiplikatoreffekt den Reichtum der Nation mehren wurde. Auch die Substitution von Importen durch Ansiedlung von Gewerben, die bisher im Ausland produzierten, sollte durch niedrige Arbeitslohne gefordert werden.
[27]
?Es ist vielleicht besser, dass ein Volk kein Land hat, als dass ein Land kein Volk hat“, sagt Charles Davenant.
[34]
Die reifen Merkantilisten sind, wie
Jurgen Kuczynski
bemerkt, fur ?eine zunehmende Bevolkerung, die arbeitet, die vollbeschaftigt ist. Daher wird … umgekehrt Arbeitslosigkeit als ein ernstliches Ubel angesehen, gegen das man ankampfen muss, ebenso wie gegen ?Mußiggang‘.“
[35]
Fruhe Ehen und eine große Kinderzahl werden gefordert, die Einwanderung erleichtert. Der Staat erlasst Blutgesetze gegen Arbeitsscheue und Vagabunden, unterstutzt den Bau von Arbeitshausern und lange Arbeitszeiten.
[36]
Marktgesetze und Marktungleichgewichte
Ein Vertreter des spaten Merkantilismus war
James Denham-Steuart
. In seinen
Inquiry into the Principles of Political Economy
(1767) benutzte er als erster die Begriffe
Angebot
und
Nachfrage
. Nach Denham-Steuart ist der
Marktpreis
bestimmt durch die Produktionskosten zuzuglich dem Gewinnaufschlag, den die Nachfragesituation zulasst. Sein intellektueller Konkurrent, der Begrunder der
Klassischen Nationalokonomie
Adam Smith
sah in seinem Werk
The Wealth of Nations
(1776) den Marktpreis als im Wesentlichen durch die Produktionskosten bestimmt an, die Nachfrage hatte bei ihm einen geringeren Einfluss auf den Preis als bei Denham-Steuart.
[37]
Den
Grenznutzen
kannten beide Autoren noch nicht. Die ersten modernen
Marktdiagramme
entwickelte erst
Alfred Marshall
.
Denham-Steuarts Markttheorie fuhrte in der Praxis dazu, dass er uberbordenden staatlichen Interventionismus kritisierte. Anders als Adam Smith glaubte er aber, dass Marktungleichgewichte durch staatliche Intervention schneller beseitigt werden konnten als dies der Markt selbst vermag. Sein Werk wurde daher trotz gewisser Parallelen von der
klassischen Nationalokonomie
um Adam Smith eher kritisch gesehen. Breit rezipiert wurde es hingegen von der
Historischen Schule der Nationalokonomie
.
[6]
Kolonien
Die Besiedlung von Kolonien fuhrte zu einer Bevolkerungsabwanderung aus dem Mutterland und wurde daher von Merkantilisten nicht uneingeschrankt begrußt. Der Vorteil von Kolonien bestand darin, dass von dort Rohstoffe bezogen werden konnten, deren Bezug uber andere Lander tatsachlich oder potentiell Beschrankungen unterworfen war. Zudem dienten die Kolonien als Absatzmarkt fur Fertigwaren des Mutterlandes. John Cary empfahl daher, die Besiedlung einzelner Kolonien davon abhangig zu machen, ob die Kolonien den Beschaftigungsgrad im Mutterland erhohen konnten.
[27]
Besonderheiten des Kameralismus
Der
Kameralismus
ist die deutsche Variante des Merkantilismus, die sich graduell von den anderen Varianten unterscheidet. Wahrend sich die meisten Merkantilisten auf die Forderung des Handels und des Gewerbes konzentrierten, empfahlen die Kameralisten wie Johann Joachim Becher und
Philip Wilhelm von Hornick
eine gleichgewichtige Entwicklung von Landwirtschaft, gewerblicher Fertigung und Handel, damit die Inlandsnachfrage aus allen drei Sektoren ausreichend bedient werden kann. Vor dem Hintergrund der massiven Bevolkerungsverluste durch den
Dreißigjahrigen Krieg
? in vielen Territorien des Deutschen Reiches hatte sich die Bevolkerungszahl halbiert ? hatte sogar der landwirtschaftliche Sektor gewaltige Produktionsruckgange zu verzeichnen. Becher formulierte deshalb, dass die merkantilistische Formel: ?Je mehr Menschen an einem Ort zusammenkommen, desto mehr konnen voneinander leben“ nur dann funktioniere, wenn alle Sektoren expandieren.
[21]
[38]
Wahrend andere Varianten des Merkantilismus in erster Linie Gewinne aus dem Handel anstreben und den Wohlstand der Nationen daher als Nullsummenspiel betrachteten, bei der eine Nation nur durch gunstigere Handelsbedingungen auf Kosten anderer Nationen zu Wohlstand gelangen kann, entstand nach Ansicht des Kameralismus Wohlstand bereits durch
Produktion
. Fur die Kameralisten war der Wohlstand der Nationen also kein Nullsummenspiel.
[39]
Die theoretische Grundlage der
Peuplierungspolitik
, also der (Wieder-)Besiedlung entvolkerter oder dunn besiedelter Gebiete bildete der 1656 veroffentlichte
Teutsche Furstenstaat
von
Veit Ludwig von Seckendorff
. Ein weiterer wichtiger Vertreter war
Joseph von Sonnenfels
. Er sah im Bevolkerungswachstum sogar den eigentlichen Grund fur die Fortentwicklung einer Volkswirtschaft. Seiner Ansicht nach wird eine Bevolkerungszunahme bestmoglich durch Arbeitsbeschaffung stimuliert. Demnach bewertete er den Außenhandel auch weniger anhand von Leistungsbilanzdaten, sondern anhand der Beschaftigungsbilanz.
[21]
Daruber hinaus begann das merkantilistische Schrifttum in Deutschland, sich uber
Haushalt
,
Verwaltungs
- und
Besteuerungsverfahren
,
Staatskredite
und staatliche
Buchfuhrung
Gedanken zu machen und diese zu systematisieren. Weitere bekannte Kameralisten sind
Johann Heinrich Gottlob von Justi
,
Caspar Klock
und
Wilhelm von Schroder
.
Die Kameralisten, von denen sich viele untereinander als Gegner betrachten, setzen auf eine Kettenwirkung: ?Furstliche Macht durch Geldreichtum ? Geld durch Abgabenerhebung ? Abgaben durch prosperierende Produzenten ? Vermehrung der Abgaben durch Vermehrung der arbeitsfahigen Bevolkerung.“
[40]
Karl Marx
nennt den deutschen Kameralismus einen ?Mischmasch von Kenntnissen, deren Fegfeuer der hoffnungsvolle Kandidat deutscher Burokratie zu bestehn hat.“
[41]
Fur
Friedrich Engels
ist die Kameralistik ?ein von einer eklektisch-okonomischen Sauce angespulter Brei von allerhand Allotriis, wie sie einem Regierungsreferendarius zum Staatsexamen nutzlich zu wissen sind.“
[42]
Jurgen Kuczynski
sieht Kameralisten und Colbertisten nicht als Merkantilisten. ?Wenn man an die gesellschaftlichen Verhaltnisse in Deutschland denkt, dann wird sofort klar, daß die deutschen Kameralisten, das heißt die hochsten Verwaltungsbeamten der feudalen Territorialherren bzw. solche Denker, die ihnen gelehrte Ratschlage zur Durchfuhrung ihrer Aufgaben geben wollen, unmoglich Merkantilisten sein konnen.“ Der Handel spiele bei ihnen keine große Rolle. ?Ihre wichtigste Aufgabe war vielmehr die Beschaffung von Geld fur ihren Feudalherrn durch Ausplunderung der Untertanen, also eine Finanzaufgabe.“
[43]
Der Kameralismus stand in Deutschland ganz im Dienste der Feudalklasse.
August Oncken
nannte ihn den ?Merkantilismus des deutschen Zwergstaates“ und ein ?System der landesfurstlichen Wohlstandspolizei.“
[44]
Mag die kameralistische Zielsetzung auch die Auffullung der furstlichen Schatzkammer (Camera) gewesen sein, von entscheidender Bedeutung sei gewesen, so der Wirtschaftshistoriker
Hans Mottek
, ?daß sie den besten Weg zur Erreichung dieser Ziele nicht mehr nur in der einfachen Steuererhohung bzw. der Steigerung der Waffenvorrate erblickten, sondern vielmehr in der Forderung gerade der gewerblichen Produktion mit allen Mitteln. Das war moglich, weil die Fursten und ihre Ratgeber unter dem Einfluß der merkantilistischen Ideologie standen, die vom Burgertum, insbesondere vom englischen Burgertum, ausging.“
[45]
Bei aller Verschiedenheit zwischen dem englischen Merkantilismus und dem deutschen Kameralismus gibt es zwei Gemeinsamkeiten, die zeigen, dass sich englisches und deutsches Burgertum in einer Zwangslage befanden: Eine auf die Forderung der Produktion gerichtete Wirtschaftspolitik und die Uberprufung, teilweise Uberwindung alter monetaristischer Vorstellungen. Ging es dem Monetarsystem um die Schatzbildung, so orientiert das Merkantilsystem auf die Ruckfuhrung des Geldes in die Zirkulation zwecks Verwertung.
[46]
Wenig okonomische Theorie in Frankreich
In Frankreich gab es zwar eine umfangreiche merkantilistische Wirtschaftspolitik, aber wenige theoretische Arbeiten hieruber.
Barthelemy de Laffemas
fuhrte in seinen
Les Tresors et richesses pour mettre l’Estat en splendeur
die Unterkonsumtionstheorie ein. Eine der fruhen Schriften war auch
Traite d’economie politique
(1615), die
Antoine de Montchretien
fur Ludwig XIII. verfasste. Am bekanntesten sind Einzelschriften von
Sebastien Le Prestre de Vauban
, von denen einige durch Ludwig XIV. verboten wurden. In der Regierungszeit von Ludwig XV. wurden die theoretischen Arbeiten bereits durch die
physiokratischen
Kritiker des franzosischen Merkantilismus dominiert.
[47]
Einer der letzten franzosischen Theoretiker des Merkantilismus war
Francois Veron de Duverger Forbonnais
(1722?1800).
Wirtschaftspolitik
In der Wirtschaftspolitik ergaben sich gewisse regionale Unterschiede, die darauf zuruckzufuhren sind, dass die Forderung der produktiven Krafte eines Landes bzw. Territoriums je nach dem Entwicklungsstand und den geografischen Gegebenheiten zu unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Praferenzen fuhrte:
- In England und den Niederlanden wurde eine Variante des Merkantilismus verfolgt, die als ?Kommerzialismus“ bezeichnet wird. Hier lag der Schwerpunkt auf der Forderung von Handel und Verkehr, insbesondere dem Handel mit den eigenen Kolonien.
- In Frankreich dominierte der ?Colbertismus“, benannt nach dem maßgeblichen Wirtschaftspolitiker und Finanzminister
Jean-Baptiste Colbert
. Hier dominierte eine ausgepragt dirigistische Handels-, Verkehrs- und Gewerbepolitik. Der Colbertismus strahlte auf viele kontinentaleuropaische Staaten aus.
- Bei der deutschen Variante des Merkantilismus, dem Kameralismus, stand die Finanz- und Steuerpolitik des Landes im Zentrum, da die Situation der Staatsfinanzen der deutschen Furstentumer nach dem Dreißigjahrigen Krieg ganz besonders angespannt war. Die Aufgabe der deutschen Fursten bestand daher zunachst vor allem darin, die gewaltigen Bevolkerungsverluste durch den Dreißigjahrigen Krieg und die damit einhergehenden wirtschaftlichen und finanziellen Probleme zu beheben. Oberste Maxime war daher die ?Peuplierungspolitik“, also eine Forderung der Bevolkerungszunahme. Die Kameralisten bemuhten sich um eine gleichgewichtige Entwicklung der heimischen Produktivkrafte in Landwirtschaft, Handwerk bzw. Industrie und Handel.
[38]
- Ubereinstimmend fordern vor allem der deutsche, russische und franzosische Staat in einem fruhen Stadium die Manufakturen und die kapitalistische Produktion. Fur einen historischen Moment decken sich in den absolutistischen Staaten Europas die Interessen der Monarchie mit denen der Bourgeoisie. Der Feudaladel fordert so Anderungen, die seinen Untergang herbeifuhren werden.
[48]
Großbritannien
Vorgeschichte
Im Gegensatz zu fast allen anderen europaischen Staaten war England bereits vor dem Merkantilismus frei von Binnenzollen. Durch
Einhegung
wurde einerseits die Rentabilitat der Landwirtschaft erhoht, andererseits wurden viele Landarbeiter arbeitslos und drangten in die Stadte. Dort gerieten die Handwerkerlohne unter Druck; so sank z. B. der Lohn eines Zimmermanns von 1480 bis 1630 um zwei Drittel. 1634 verbot
Karl I.
den Bau mechanischer Sagemuhlen, damit die Holzsager nicht arbeitslos wurden.
[49]
Entwicklung
Bereits unter
Elisabeth I.
begann England, den Außenhandel durch Grundung und staatliche Unterstutzung von Handelskompanien wie die
Moskovy Company
(1554), die
Levant Company
(1581) und die
Britische Ostindien-Kompanie
(1600) zu fordern. Gleichzeitig wurde der auslandische Handel mit England stark behindert. 1598 wurde mit dem
Stalhof
die Niederlassung der
Hansekaufleute
in
London
geschlossen. Insbesondere die Außenhandelskompanien erforderten teure staatliche Hilfen; zur Minderung der Abhangigkeit von Staatsgeldern sollte vermehrt Privatkapital gesammelt werden. Um eine Verselbstandigung des Kapitalmarkts, insbesondere eine erleichterte Akkumulation von Kapital zu ermoglichen, wurde 1571 mit der
Royal Exchange
die erste Borse in London eroffnet. Mit der Grundung der Kolonie
Virginia
(1584) wurde anfangs noch keine koharente Strategie verfolgt.
[49]
1620 kam es bei dem Export von englischen Tuchen in andere europaische Staaten zu einer
Absatzkrise
.
Jakob I.
berief deshalb eine Sachverstandigenkonferenz ein, an der u. a. Thomas Mun teilnahm. Es kam zu einer offentlichen Kontroverse uber die Wirtschaftspolitik, in welcher die aufstrebenden gewerblichen Unternehmer die Aufhebung jeglicher
Erbuntertanigkeit
forderten, damit weiterhin reichlich billige Arbeitskrafte verfugbar blieben. Weiterhin forderten sie Schutzzolle und merkantilistische Gewerbeforderung. Mit den Forderungen gerieten sie in Konflikt mit dem Landadel, der eine offene Konkurrenz zwischen adliger Großlandwirtschaft und Gewerbebetrieben um das Arbeitskrafteangebot furchtete und fur Lohn- und Preisregulierungen eintrat. Der Konflikt zog sich bis in den
Burgerkrieg von 1642 bis 1649
, in dem die gewerblichen Unternehmer das Parlament und der Landadel den Konig unterstutzten. Mit der Niederlage des Konigs und der Berufung
Oliver Cromwells
zum Lordprotektor hatte auch der Landadel den Kurzeren gezogen. Die merkantilistische Position der Gewerbetreibenden gewann die Oberhand. Mit den
Navigationsakten
von 1651 wurde bestimmt, dass alle Uberseeguter nur auf englischen Schiffen transportiert werden durften. Dies stellte eine bedeutende Benachteiligung der Kolonien gegenuber dem Mutterland dar. Gegenuber den anderen europaischen Staaten wurde bestimmt, dass Importe nach England nur auf englischen Schiffen stattfinden durften. Die Durchsetzung in der Praxis hing allerdings von der Verhandlungsposition des englischen Konigs gegenuber dem Ausland ab.
Karl II.
erneuerte das Exportverbot fur Wolle und erließ ein Importverbot fur auslandische Tuche.
[50]
Zolle wurden auch fur Importe aus den Kolonien erhoben. Insbesondere fur Fertigwaren wurde der Zoll so hoch angesetzt, dass er legalen Handel praktisch unterband. Die Zolle fur den Handel zwischen den Kolonien waren oft hoher als die Zolle auf den Handel mit England. Die Benachteiligung der Kolonien fuhrte zu Spannungen mit England, u. a. zur
Boston Tea Party
. Ein typisch merkantilistischer Handelsvertrag war der
Methuenvertrag
, den England 1703 mit Portugal schloss. In dem Vertrag wurde vereinbart, dass englische bzw. portugiesische Waren zu außergewohnlich geringen Zollen in das Partnerland und die portugiesischen Kolonien exportiert werden durften. In der Folge brach die im Entstehen begriffene portugiesische Textilindustrie zusammen, wahrend portugiesischer Wein auf dem englischen Markt den franzosischen
Burgunderwein
verdrangte.
[51]
Der zunehmende
Pauperismus
(strukturelle Armut) wurde mit dem
Armengesetz
von 1662 mit der Statuierung einer Arbeitspflicht begegnet. Es wurden
Arbeitshauser
eingerichtet, die zunachst von Privaten betrieben wurden, wegen anhaltender Unrentabilitat dann aber 1723 verstaatlicht wurden.
Kinderarbeit
war in der Landwirtschaft seit jeher ublich, im 18. Jahrhundert hielt sie auch im Textilgewerbe Einzug. 1720 wurden Gewerkschaften verboten, um das Preisniveau niedrig zu halten. Der Einfluss der Zunfte wurde ganzlich beseitigt. Eine Nebenwirkung davon war die Vernachlassigung der Handwerkerausbildung. Ab 1672 wurden gezielt niederlandische Handwerker angeworben, spater auch hugenottische Facharbeiter. 1669 wurden Lebensmittelimporte aus Holland und Frankreich und sogar aus Irland und Schottland verboten. Auf die entstandene Lebensmittelknappheit hin wurde 1689 der Export von Getreide verboten. Die Niederlande wurden in verschiedenen Seekriegen zwischen 1652 und 1674 als europaischer Machtfaktor und als Handelskonkurrent weitgehend ausgeschaltet. Die franzosische Kolonial- und Handelskonkurrenz wurde in mehreren Kriegen zwischen 1688 und 1763 ebenfalls weitgehend ausgeschaltet.
[52]
Der Merkantilismus pragte das Landschaftsbild in einigen Regionen Großbritanniens sowohl durch den Bau von Schifffahrtskanalen (z. B.
Bridgewater-Kanal
, Thames & Severn Canal), den fruhen sogenannten
Narrowboat
-Kanalen, als auch durch Trockenlegung von Sumpfen und ahnliche Projekte. Die Maximierung der landwirtschaftlichen Produktion durch Umwandlung von ?nutzlosem Land“ in Agrarflache erhohte nach merkantilistischer Auffassung auch die wirtschaftliche Starke einer Nation, da mit einer Erhohung der
Agrarproduktion
fallende Preise fur Lebensmittel und demzufolge fur Manufakturarbeit erwartet werden konnten.
Abkehr vom Merkantilismus
1757 wurde die Kontrolle der
Mindestlohne
durch einen Friedensrichter aufgehoben. Die Gestaltung der Lohne sollte alleine den Marktkraften uberlassen werden. Mit dem
Eden-Vertrag
von 1783 wurde der Außenhandel zwischen England und Frankreich starker an Freihandelsprinzipien ausgerichtet.
[53]
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts blieb die Außenhandelspolitik merkantilistisch gepragt. Seitdem ist die englische Außenhandelspolitik von der Idee des Freihandels bestimmt. Mit der
Industrialisierung
, die in England fruher begann als in anderen Landern, stieg die Produktivitat und Wettbewerbsfahigkeit der englischen Industrie stark an. Die Abkehr vom Merkantilismus und hin zu einer Freihandelspolitik erfolgte zu einem Zeitpunkt, als der Freihandel großeren Nutzen versprach. Den eigenen Kolonien gewahrte England aber auch im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts keinen Freihandel, die Kolonialpolitik blieb merkantilistisch.
[54]
Frankreich
Der Merkantilismus hatte in Frankreich bereits im fruhen 16. Jahrhundert eingesetzt, bald nachdem die
Monarchie
die wichtigste Macht in der franzosischen Politik geworden und den Adel aus seiner regionalen Einflussmoglichkeit verdrangt hatte. 1539 wurde eine Verordnung erlassen, der zufolge Wollguter aus Teilen der
habsburgisch
beherrschten Gebiete (Spanien und Teile Flanderns) nicht mehr eingefuhrt werden durften. Ein Jahr spater wurden zahlreiche Restriktionen gegen den Export von Gold in Kraft gesetzt.
Nach einer Periode 30-jahriger Burger- und Religionskriege entschloss sich der siegreiche
Hugenotte
Henri de Navarre zum
Katholizismus
uberzutreten und als Konig
Heinrich IV.
ab 1594 zu regieren. Er ubertrug das Amt des Finanzministers seinem alten hugenottischen Freund und Waffenkameraden
Sully
, der bei Amtsantritt neben vollig zerrutteten Staatsfinanzen ein verwustetes Land mit brachliegender Landwirtschaft und darniederliegendem Handwerk und durch Rauberbanden und marode Verkehrswege geschrumpften Handel vorfand. Sully war der bedeutendste fruhe franzosische Vertreter des Merkantilismus. Die ersten wirtschaftspolitischen Maßnahmen dienten der Erschließung des Binnenhandels. Hierzu wurden Straßen und Kanale gebaut. Ein besonderes technisches Meisterwerk war der 1681 fertiggestellte
Canal du Midi
. Mit dem
ordonance civil
von 1667 wurde das Justizwesen vereinheitlicht und damit fur Kaufleute uberschaubarer. Weiterhin sollten alle Inlandszolle abgeschafft werden, dies gelang bis 1664 fur die Halfte Frankreichs.
[55]
Zugleich wurden die Zolle fur Importe immer weiter erhoht, beispielsweise stieg der Zoll auf englische Tuche von 6
Livres
(1632) uber 30 Livres (1653) auf 80 Livres (1667). Ausfuhrzolle wurden gesenkt oder ganz aufgehoben.
[56]
Der Hohepunkt des franzosischen Merkantilismus war eng verknupft mit
Jean-Baptiste Colbert
, der 1665 Generalkontrolleur der Finanzen und 1669 Staatssekretar des koniglichen Haushalts wurde. Seine Variante des Merkantilismus wird auch als ?Colbertismus“ bezeichnet. Sein Ziel war die Steigerung der franzosischen Exporte, um mehr Gold ins Land zu holen und eine Million neue Arbeitsplatze in Manufakturen zu schaffen. Um eine gleichbleibend hohe Qualitat der Manufakturwaren sicherzustellen, ubertrug er den Zunften die Aufgabe, die Produktion zu kontrollieren. Spitzenprodukte erhielten ein konigliches Gutesiegel. Colbert verlangerte die Arbeitszeit, indem er die Zahl kirchlicher Feiertage reduzierte. Ein Versammlungs- und Streikverbot fur Arbeiter sollte niedrige Lohne sicherstellen. Spater wurden Herstellungsmethoden, Maße und Farben der Produkte sowie die Arbeitszeiten in Gewerbeverordnungen detailliert geregelt und von halbstaatlichen Kontrollorganen uberpruft. Mit der
Manufacture nationale des Gobelins
ubernahm der Staat selbst die Produktion von sehr hochwertiger
Tapisserie
. Colbert gelang es 1665, die hollandische Tuchfabrikantenfamilie Van Robais dafur zu gewinnen, in Abbeville die
Manufacture royale des Rames
zu errichten, mit der die Produktion feiner Tuche in Frankreich begrundet wurde. Weiterhin wurden unzahlige Maulbeerbaume angepflanzt, um in Frankreich ein
Seidengewerbe
zu begrunden. Unternehmer, die neue Produktionsverfahren beherrschten, wurden mit Steuernachlassen, einer Monopolstellung oder staatlichen Darlehen angeworben.
[57]
Der Ausbau der Kriegsflotte war eine Voraussetzung fur die Teilnahme am Welthandel. Unter Ludwig XIV. stieg Frankreich nach England und den Niederlanden zur drittstarksten Seemacht auf. Es wurden Kolonien und Handelsstutzpunkte gegrundet, z. B. 1603 Neufundland und 1659 Haiti. Die franzosische Handelsflotte vergroßerte sich bis 1683 auf 80.000 Tonnen (zum Vergleich: England verfugte uber 560.000, die Niederlande und die Hanse jeweils uber 100.000 Tonnen).
[56]
Um 1700 erkannte man im
conseil de commerce
, dass man nicht einerseits Frankreich autark machen und andererseits andere Nationen zwingen konnte, franzosische Waren zu kaufen. In Abkehr von der Außenhandelspolitik Colberts wurden wichtige Hafenstadte zu
Freihafen
erklart. Nach 1713 wurden außenhandelsfreundlichere Handelsvertrage abgeschlossen.
[58]
Heiliges Romisches Reich deutscher Nation
Durch den
Dreißigjahrigen Krieg
sank die Bevolkerungszahl von 16 auf 10 Millionen. Produktionsstatten und landwirtschaftliches Betriebsvermogen waren weitgehend zerstort. Die Mundungen von Rhein, Weser und Oder in die Nord- bzw. Ostsee waren in niederlandischem bzw. schwedischem Besitz, so dass der Handel von der Steuer-, Zoll- und Stapelpolitik der Niederlande bzw. von Schweden abhangig war. Alle Versuche, das Munzwesen zu vereinheitlichen, scheiterten an Partikularinteressen der souveran gewordenen deutschen Fursten.
[58]
Der Versuch von Kaiser
Leopold I.
, eine reichseinheitliche Wirtschaftspolitik durchzusetzen, scheiterte letztlich. Die Wirtschaftspolitik der deutschen Territorien war eher durch ein Gegeneinander als durch ein Miteinander gekennzeichnet.
[59]
Geldpolitik
Fur die Merkantilisten war die Vereinfachung und Vereinheitlichung des
Munzwesens
ein wesentliches Mittel zur Forderung des Handels. Im politisch zersplitterten Heiligen Romischen Reich deutscher Nation konnte eine einheitliche Munzordnung nicht erreicht werden, da jeder Territorialherr sein eigenes Geld herstellte. Hinzu kam, dass wahrend der ersten und zweiten
Kipper- und Wipperzeit
massenhaft unterwertige Munzen gepragt wurden. Die deutschen Kaufleute entzogen sich den Problemen zunehmend dadurch, dass sie Zahlungen im bargeldlosen Zahlungsverkehr (
Giroverkehr
) uber Banken abwickelten. Damit begann die
Giralgeldschopfung
durch die Banken. Eine der ersten modernen deutschen Banken war die 1619 gegrundete
Hamburger Bank
, die als
Rechnungswahrung
die
Mark Banco
schuf. Der Nutzen war so offensichtlich, dass die Grundung weiterer Girobanken staatlich gefordert wurde. Weitere großere Banken waren die 1621 in Nurnberg gegrundete
Banco Publico
, die 1698 in Leipzig gegrundete Banco di Depositi, die 1706 gegrundete Wiener Stadtbank und die 1765 fur Preußen gegrundete Konigliche Giro- und Lehn-Banco.
[60]
Bevolkerungspolitik
Viele Konige und Fursten versuchten, das Bevolkerungswachstum durch die Forderung von Eheschließungen zu erhohen. Beispielhaft war die Bevolkerungspolitik in dem vom Dreißigjahrigen Krieg besonders stark verwusteten Brandenburg-Preußen. Mit dem
Edikt von Potsdam
versprach 1685
Kurfurst Friedrich Wilhelm
den Hugenotten Sicherheit und auch weitreichende Privilegien wie z. B. umfangreiche Befreiungen von Steuern und Zollen, Subventionen fur Wirtschaftsunternehmen und staatliche Besoldung der hugenottischen Prediger. Bis 1720 wurden 20.000 franzosische
Hugenotten
im Land angesiedelt. Es handelte sich vorwiegend um hochqualifizierte Handwerker, die in Preußen die Produktion von hochwertigen Gutern und Luxusgutern wie Hute, Seifen, Porzellan, Modeartikel und Seide begrundeten und so eine
importsubstituierende Wirtschaftsentwicklung
anschoben.
Friedrich Wilhelm I.
betrieb eine planmaßige Besiedlungspolitik, indem er auslandische Bankiers, Kaufleute, Manufakturisten, Textil- und Metallhandwerker mit Patenten und
Privilegien
anzulocken suchte. 1732 siedelte Brandenburg-Preußen 15.000
Salzburger Exulanten
an.
Friedrich der Große
ließ durch Trockenlegung des
Warthe
-,
Netze-
und
Großen Bruchs
neuen Siedlungsraum schaffen. Allein im Warthebruch konnten 58.000 Familien in tausend neu gegrundeten Dorfern angesiedelt werden. In seiner Regierungszeit verdoppelte sich die Bevolkerung Brandenburg-Preußens.
[61]
Durch
Meliorationsmaßnahmen
vergroßerte sich die landwirtschaftliche Anbauflache beispielsweise in Schlesien um 15 % und in Hinterpommern um 10 %.
[62]
Erheblichen Einfluss auf die Landwirtschaft und Bevolkerungsentwicklung hatte die
Einfuhrung der Kartoffel
, die gegenuber dem Getreideanbau weniger anspruchsvoll ist und einen deutlich hoheren
Flachenertrag
bringt. Die Durchsetzung des Kartoffelanbaus erforderte vielerorts offentliche Aufklarungsarbeit. In
Preußen
erließ
Friedrich II.
1756 den ersten seiner sogenannten
Kartoffelbefehle
, mit dem er seinen Beamten die Weisung gab:
[62]
?[…] denen Herrschaften und Unterthanen den Nutzen von Anpflantzung dieses Erd Gewachses begreiflich zu machen, und denselben anzurathen, dass sie noch dieses Fruh-Jahr die Pflantzung der Tartoffeln als einer sehr nahrhaften Speise unternehmen“
Der Legende nach ließ er sogar einen Kartoffelacker von Soldaten bewachen, um die Bauern zum Stehlen und zum eigenen Anbau der vermeintlich besonders wertvollen Pflanzen zu verleiten. Den endgultigen Durchbruch erzielte der Kartoffelanbau in Deutschland nach der Hungersnot von 1770/72.
[62]
Die osterreichische Bevolkerungspolitik konzentrierte sich auf die ?Impopulation“ des durch die
Turkenkriege
entvolkerten Groß-Ungarn. Neben freiwilligen Einwanderern wurden auch ?Herumtreiber und Arbeitsscheue“ aus den osterreichischen Kernlanden, Aufstandische aus dem Schwarzwald, kriegsgefangene Preußen und osterreichische Invaliden zwangsweise zur Belebung der Landwirtschaft und zum Aufbau von Bergwerken im Banat in Groß-Ungarn angesiedelt.
[63]
Gewerbeforderung
Merkantilisten waren bestrebt, die u. a. auf dem
Zunftzwang
beruhende Macht der
Zunfte
zu begrenzen, denn eine starke Beschrankung des Zugangs zur Handwerkerschaft stand dem Ziel der Expansion der handwerklichen Produktion entgegen. So erlaubte die Reichszunftordnung von 1731 auch ?unehrlichen“ Leuten, wie den Nachkommen der Nachtwachter, der Stadtdiener oder von Schafern ein Handwerk zu erlernen.
[64]
Maßnahmen zur Beschrankung der Macht der Zunfte stießen in der Regel auf deren Widerstand und wurden nach Moglichkeit hintertrieben. Auch deshalb forderten die staatlichen Merkantilisten die Errichtung von Manufakturen, die nicht im Zunftwesen organisiert waren. In Manufakturen arbeiteten mehrere Dutzend Menschen gegen Arbeitslohn fur den Manufaktur-Unternehmer. Anders als Handwerker fertigten die einzelnen Arbeiter die Ware nicht von Anfang bis Ende, sondern in arbeitsteiligen Abschnitten. Die Arbeitsteilung erlaubte eine Spezialisierung auf einzelne Arbeitsabschnitte, dadurch war die Produktivitat hoher als im traditionellen Handwerk.
[65]
1751 wurde in Osterreich die Frauenarbeit an Webstuhlen zugelassen, da der
Weberlohn
?allzu hoch“ war. Die in das Wiener Gnadenstockhaus eingewiesenen Bettler wurden zu Spinnarbeiten verpflichtet. ?Asoziale“ wurden in Arbeitshauser eingewiesen. Die 1675 von Johann Joachim Becher in Wien eingerichtete Textilmanufaktur diente zugleich als Lehrstatte zur Fachausbildung von Arbeitern im Textilgewerbe.
Maria Theresia
erließ 1765 Ausbildungsordnungen, mit denen sie zur ?Begrunderin des berufsbildenden Schulwesens in Osterreich“ wurde.
[63]
Die Ansiedlung von Gewerbetreibenden und insbesondere von Manufakturen wurde oft durch
Subventionen
, Steuerprivilegien und verbilligte Kredite gefordert. Oft wurden auch Gebaude und Holz aus den staatlichen Forsten kostenlos uberlassen. Die finanzielle Unterstutzung durch den Staat sollte den Gewerbetreibenden uber die erste Durststrecke hinweghelfen. Viele Manufakturen gingen nach Wegfall der Subventionen bankrott, weil es nicht gelungen war, die Unternehmen mit ausreichender Wirtschaftlichkeit zu etablieren. So uberlebte beispielsweise die preußische Seidenindustrie nur so lange, wie sie staatliche Hilfen erhielt. Erfolgreicher verlief in Preußen die Ansiedlung von kriegswichtigen Manufakturen wie z. B. das
Konigliche Lagerhaus
(eine Tuchmanufaktur). 1740 wurde das Departement fur Manufactur- und Commerciensachen gegrundet, um die Produktionstechniken preußischer Manufakturen zu verbessern. Wo sich keine inlandischen Unternehmer bereitfanden und auch keine auslandischen Unternehmer angeworben werden konnten, versuchten Konige und Fursten auch mit der Grundung staatlicher Manufakturen die Gewerbetatigkeit auszuweiten.
[66]
Schaffung eines Binnenmarktes
Durch den Bau von
Straßen
und
Kanalen
wurden die Transportkapazitaten erhoht und die Transportkosten verringert; damit wurde der Binnenmarkt besser erschlossen. Beispielsweise verband der 1662?1669 gebaute
Friedrich-Wilhelm-Kanal
die Elbe uber die Spree mit der Oder. Dies fuhrte zu einer Expansion von Handel und Binnenschifffahrt.
[65]
In Osterreich bemuhte man sich seit 1604 um die Verringerung der Binnenzollgrenzen, um einen großeren Wirtschaftsraum zu schaffen. Mit der Reform von 1775 blieben aber immer noch zehn Binnenzollgebiete. Die Erschließung des osterreichischen Binnenmarktes erfolgte hauptsachlich durch den Straßenbau. Kanalprojekte wurden zwar auch ins Auge gefasst, scheiterten aber an Geldmangel.
[67]
Ausfuhrbeschrankungen fur Rohstoffe
In der Annahme der Begrenztheit von Rohstoffen wurde eine Außenhandelspolitik empfohlen, die den Export von Rohstoffen vermindert und den Import von Rohstoffen begunstigt.
[3]
Nach Empfehlung der Merkantilisten sollten Rohstoffe auch moglichst im Inland verarbeitet werden, damit die Wertsteigerung durch inlandische Wertschopfung erfolgt. Dies fuhrte bisweilen dazu, dass der Export von Rohstoffen staatlicherseits beschrankt wurde. Beispielsweise war die Schafzucht in Brandenburg aufgrund von Plunderungen im Dreißigjahrigen Krieg stark zuruckgegangen. Zum Schutz der inlandischen Wollweber verbot Brandenburg-Preußen deshalb ubergangsweise den Export von Wolle nach England.
[68]
Brandenburg-Preußen erließ 1684 zur Forderung der heimischen Textilindustrie noch einmal ein Ausfuhrverbot von Wolle anlasslich der Zuwanderung hugenottischer Textilfabrikanten. Flankiert wurde dies durch einen zehnprozentigen Einfuhrzoll fur auslandische Textilien. Der Zoll konnte sich auf 25 Prozent erhohen, wenn ein einheimischer Produzent nachwies, gleichartige Textilien herzustellen. 1719 wurde das Ausfuhrverbot erneuert, was zu einem Handelskrieg mit Sachsen fuhrte.
[69]
In Osterreich war ab 1750 die Ausfuhr von Rohstoffen wie
Pottasche
, Rohhaute, Kupfer und Blei verboten.
[67]
Einflussnahme auf die Handelsbilanz
Auf Initiative des Kameralisten
Johann Joachim Becher
verbot Osterreich 1673 den Import franzosischer Luxuswaren wie Uhren, Schmuckgegenstande, Teppiche, Perucken usw. Auf dem Reichstag von 1675 wurde das im Auftrag des brandenburgisch-preußischen Kurfursten
Friedrich Wilhelm
erstellte Memorial ?wider die Einfuhrung und Verkaufung der franzosischen Waaren“ diskutiert. Frankreich betrieb zu der Zeit eine Außenpolitik, die stark auf
Subsidien
-Zahlungen an befreundete Staaten beruhte. Deshalb war das Ziel der Verringerung franzosischer Außenhandelsuberschusse auch außenpolitisch-militarischer Natur. Es ging aber nicht nur um die wirtschaftliche Flankierung des
Reichskriegs gegen Frankreich
, sondern auch um die Starkung der Wirtschaftsbasis des Deutschen Reiches, indem das inlandische Handwerk gefordert und der Abfluss von Geld nach Frankreich verhindert werden sollte. Denn: ?so konnten etliche 100 000 Personen in Teutschland mehr ernehret, von dem schadlichen mussiggang abgehalten, und mithin auch daß gelt und volck in Teutschland conserviret werden.“ Das Gesetz wurde auf dem Reichstag verabschiedet. Den Friedensschluss von 1679 nahmen aber viele Reichsstande zum Anlass, das Importverbot wieder aufzuheben.
[68]
[59]
Auch in Osterreich wurde die Begrundung neuer Produktionszweige mit Einfuhrverboten flankiert. So folgte z. B. auf die Grundung der ersten Zuckerraffinerie in Fiume (1750) 1755 ein generelles Einfuhrverbot von Zucker. 1751 begann die Samtproduktion in Wien, 1756 wurde die Einfuhr von Samt verboten. 1751 wurde eine Nadelfabrik in Liechtenworth gegrundet, 1758 der Import von Nadeln und ?Nurnberger Waren“ verboten.
[67]
In der Praxis fuhrten Einfuhrbeschrankungen oder Einfuhrverbote oft zu unerwunschten Gegenreaktionen. Als das Deutsche Reich kurz nach dem Dreißigjahrigen Krieg den Import niederlandischer Fertigwaren verbot, antworteten die Niederlande mit einem Importverbot fur deutsche Waren. Daraufhin warben die Gesandten von Brandenburg und Koln auf dem
Reichstag
fur Vergeltungsmaßnahmen. 1711 verabschiedete der Reichstag eine Verordnung uber
Retorsionsmaßnahmen
, mit denen eine Diskriminierung deutscher Produkte beantwortet werden konnte.
[70]
Merkantilisten empfahlen zur Exportforderung auch Exportpramien sowie Finanzierungshilfen fur Exporteure.
[70]
Spanien
Spanien verfugte im Zeitalter des Absolutismus uber zahlreiche Kolonien, aus denen jedes Jahr große Mengen an Gold und Silber in das Mutterland flossen. Dies fuhrte in Spanien und ganz Europa zu einer starken Inflation (
Preisrevolution
), da damals das Wahrungsregime der
Goldumlaufwahrung
dominierte, der Geldwert also mehr oder weniger dem Materialwert der Munze entsprach und folglich vom Goldpreis abhing. Da das Gold zunachst in Spanien in Umlauf kam, war dort die Inflation am hochsten. Dadurch waren die spanischen Waren teurer als andere europaische Waren, was den Export lahmte, wahrend ein großer Anreiz zum Import von Waren nach Spanien bestand. Dies schwachte das spanische Gewerbe und die Landwirtschaft.
[71]
“Spain is the living Instance of this Truth, the Mines of Peru and Mexico made the People think themselves above Industry, an Inundation of Gold and Silver swept away all useful Arts, and a total Neglect of Labour and Commerce has made them as it were the Receivers only for the rest of the World.”
?Spanien ist der lebende Beweis fur diese Wahrheit, die Mienen von Peru und Mexiko ließen die Menschen glauben, dass sie keine Industrie brauchen, eine Flut von Gold und Silber schwemmte alle nutzlichen Kunstfertigkeiten hinweg, eine totale Vernachlassigung von Arbeit und Handel machte es fur die ganze Welt zu Empfangern.“
?
erasmus philips
:
1720
[71]
Verscharft wurde das Problem noch dadurch, dass die spanischen Herrscher eine
bullionistische
Poilitk betrieben. Der Export von Gold und Silber in das Ausland war bei Todesstrafe verboten. Die Episode der europaischen
Preisrevolution
beweist zwar, dass spanisches Gold dennoch in großem Umfang mithilfe von Bestechung und Schmuggel ins Ausland gelangte. Die Politik hat aber zweifellos die Transaktionskosten erhoht, so dass der
Geldmengen-Preismechanismus
nie ganz zum Ausgleich fuhren konnte. Kein anderes Land hielt so lange an einer bullionistischen Politik fest wie Spanien.
[72]
Finanzminister
Louis Ortiz
empfahl in den 1550er Jahren, dass Spanien den Import von Fertigwaren und den Export von Rohmaterial verbieten musse, um in der Gewerbeproduktion mit den anderen europaischen Staaten auf Augenhohe zu bleiben. Ahnliche Empfehlungen gab 150 Jahre spater
Jeronimo de Uztariz
dem spanischen Konig
Philipp V.
[71]
Die spanischen Konige waren aber zu schwach, die wirtschaftspolitischen Empfehlungen umzusetzen. Stattdessen wurde das spanische Reich von den Zentrifugalkraften der verschiedenen Landesteile erschuttert, die zu Revolten in Portugal, Katalonien, Sizilien und dem
Konigreich Neapel
und letztlich zur Abspaltung der spanischen Niederlande und Portugals fuhrten.
[73]
Niederlande
Die Niederlande waren im 16. und 17. Jahrhundert die fuhrende Wirtschaftsmacht und fur ganz Europa ein Vorbild. Die
Republik der Sieben Vereinigten Provinzen
, die durch ihre Handelsvormachtstellung zum Finanzzentrum Europas geworden war, hatte kein Interesse an Handelsbeschrankungen. Auch gab es wenig staatliche Reglementierungen der Wirtschaft, so dass ein Teil der Literatur die Wirtschaftspolitik der Niederlande nicht dem Merkantilismus zuordnet. Die
Niederlandische Ostindien-Kompanie
und die
Niederlandische Westindien-Kompanie
kam starker als die englischen und weit starker als die franzosischen Pendants ohne staatliche Hilfe und Einfluss aus. Die Kompanien grundeten
Kolonien
u. a. in Indonesien und
Surinam
und betrieben dort vor allem Pfeffer-, Gewurznelken- und Zuckerrohrplantagen um diese Handelsguter in Europa zu verkaufen.
[74]
[75]
Die niederlandische Handelsflotte war um 1650 so dominant, dass sie nicht nur den Handel mit niederlandischen Waren und mit den fur die Niederlande bestimmten Importguter durchfuhrte, sondern auch als Logistiker den Transport fremder Waren zwischen europaischen Staaten durchfuhrten. Sie profitierten anfangs sogar von dem Handel zwischen England und den englischen Kolonien. Durch die aggressive merkantilistische Handelspolitik Englands wurden niederlandische Handler mit Hilfe der
Navigationsakten
und einer wachsenden englischen Kriegsflotte aber zunehmend aus dem Handel herausgedrangt.
[76]
Ubriges Europa
Die anderen Nationen Europas ubernahmen den Merkantilismus ebenfalls in unterschiedlichem Umfang. In Mitteleuropa und den nordischen Landern wurde der Merkantilismus nach dem
Dreißigjahrigen Krieg
popular, mit
Christina I. von Schweden
und
Christian IV. von Danemark
als nennenswerten Befurwortern.
[77]
Kolonien
Die merkantilistische Politik europaischer Staaten zwang den Kolonien die Art auf, wie sie in die Weltwirtschaft integriert wurden. Die Kolonien dienten der Rohstoffproduktion fur das Mutterland und den Export eventueller Uberschusse in andere europaische Lander. Zugleich dienten Kolonien als Absatzmarkt fur im Mutterland hergestellte Fertigwaren. Einige europaische Lander, insbesondere England, verboten ihren Kolonien, selbst Fertigwaren herzustellen oder Fertigwaren aus anderen Landern als England zu importieren. Eine starke Verflechtung mit dem Mutterland bestand vor allem fur die britischen Kolonien in Amerika und die portugiesische
Guanabara-Bucht
. Die portugiesischen Kolonien sudlich von Rio de Janeiro hatten hingegen wenig wirtschaftlichen Austausch mit Portugal.
[78]
Mit den Navigationsakten verbot England bestimmte Waren wie Zucker, Indigo, Baumwolle, Tabak, Teer, Pech und Terpentin an andere Lander zu verkaufen. Der Handel war nur zwischen den englischen Kolonien und England erlaubt. Damit reduzierte England seine Abhangigkeit von anderen europaischen Staaten. Hatte England fruher Tabak und Zucker aus Sudamerika sowie Teer, Pech und Terpentin aus Skandinavien bzw. den Balten importiert, wurden diese Waren zunehmend nur noch aus den britischen Kolonien bezogen. Mit der zunehmenden Ausdehnung und Erschließung der Kolonien stieg auch die Warenproduktion. So konnte 85?90 % des nach England verkauften Tabaks von englischen Kaufleuten an andere europaische Lander weiterverkauft werden. Es kam auch zu einer starken Ausweitung des
atlantischen Dreieckshandels
, der maßgeblich auf
Sklavenhandel
beruhte. Der Handel mit den Kolonien kam hauptsachlich den englischen Handlern, Schiffseigentumern, Kapitalgebern, Arbeitern und Seeleuten zugute.
[79]
Damit keine Industriekonkurrenz aus den Kolonien entstehen sollte, verbot England 1699 den Export von Wollkleidung aus den Kolonien. 1732 wurde der Export von Huten aus den Kolonien verboten. Die Eisenproduktion war den nordamerikanischen Kolonien erlaubt, da England die Abhangigkeit von skandinavischem Eisen reduzieren wollte. Die Produktion von Eisenwaren war den Kolonien zwar verboten, das Verbot wurde aber nicht geachtet. Bis 1775 entfielen auf Pennsylvania, Maryland und New Jersey 15 % der Weltproduktion. England versuchte auch vergeblich den Eigenhandel nordamerikanischer Handler mit der Karibik zu unterbinden. Dieser Konflikt war einer der Grunde die zum
Amerikanischen Unabhangigkeitskrieg
fuhrten.
[80]
Portugal versuchte seiner brasilianischen Kolonie eine ahnliche Politik aufzuzwingen. 1571 erhielten portugiesische Schiffe das exklusive Recht fur den Handel mit Brasilien. Allerdings war die portugiesische Marine zu schwach um das Verbot durchzusetzen. Im 16. Jahrhundert wurde der Handel mit Brasilien zu 66 % von niederlandischen Kaufleuten betrieben. Brasilianischer Zucker wurde zu einem Großteil in den Niederlanden raffiniert und dann weiterverkauft. Im 17. Jahrhundert verdrangten englische Kaufleute die niederlandischen aus dem Handel mit Brasilien. 1785 verbot Portugal den Brasilianern jede Art von Industrie, mit Ausnahme der Herstellung von Sklavenkleidung und der Herstellung von Sacken fur den Export von landwirtschaftlichen Produkten. Aufgrund des
Methuenvertrags
profitierte davon aber nicht die portugiesische, sondern die englische Industrie.
[81]
Durch die
Sklavenarbeit in den Kolonien
konnte Europa mit billigen Waren uberschwemmt werden. In den Kolonien gelangten die Plantagenbesitzer zu großem Wohlstand, die restliche Wirtschaft hingegen wurde eher gedampft. Eine Ausnahme bildete
Neuengland
, das die Vorteil des englischen Protektionismus zu nutzen wusste, die fur sie nachteiligen Verbote aber zu unterlaufen verstand. Die merkantilistische Politik wurde in den Kolonien weniger durch direkten Zwang der Mutterlander durchgesetzt, sondern beruhte im Wesentlichen auf der Kooperation der Eliten in den Kolonien. Die in der Zeit des Kolonialismus angelegten Wirtschaftsstrukturen uberdauerten das Ende des Kolonialismus.
[82]
Einordnung
Begriffsgeschichte
Der Begriff Merkantilismus ist keine Selbstbezeichnung, sondern wurde von den Begrundern der klassischen Nationalokonomie um
Adam Smith
und
John Ramsay McCulloch
eingefuhrt. Diese verstanden unter Merkantilismus die Verwechslung von Reichtum mit Geld und das ihrer Ansicht nach sinnlose Unterfangen, Handelsbilanzuberschusse anzustreben. Sie kritisierten Merkantilismus als eine Politik, die nur dazu diene, privilegien- und monopolversessene Kaufleute zu stutzen. In den Debatten des fruhen 19. Jahrhunderts wurde Merkantilismus als protektionistischer Gegenpol zum
Freihandelsgedanken
der klassischen Nationalokonomie und zum
Laissez-faire
des
Manchesterliberalismus
verstanden. Die Debatte fuhrte zu einer Uberspitzung der Unterschiede und zu einem deformierten Verstandnis des Merkantilismus, dessen Protagonisten
Protektionismus
keineswegs als Selbstzweck bzw. erstrebenswerten Dauerzustand sahen. Auch die Freihandelstheorie von Adam Smith wurde von den Manchesterliberalen um
Richard Cobden
viel doktrinarer ausgelegt als sie ursprunglich gedacht war. Im spaten 19. Jahrhundert erfuhr der Merkantilismus durch Wirtschaftshistoriker wie
Wilhelm Roscher
und
Gustav Schmoller
eine positive Uminterpretation dergestalt, dass im Merkantilismus das Entstehen des modernen, starken Staates gesehen wurde. Der Wirtschaftshistoriker
Donald Cuthbert Coleman
stellte 1980 die These auf, dass es einen Merkantilismus nie gegeben hat, weil Theorie und Praxis ganzlich inkoharent gewesen seien. In der wissenschaftlichen Diskussion hat sich zwar die Erkenntnis durchgesetzt, dass die merkantilistischen Theoretiker oft unsystematisch und inkonsequent arbeiteten. Gleichwohl halten die meisten Historiker an dem Begriff Merkantilismus fest, weil in einer uber reinen Pragmatismus hinausgehenden Systematik und zumindest in einigen Punkten praktischer Wirtschaftspolitik ein gemeinsamer
modus operandi
erkennbar ist.
[83]
[84]
Lars Magnusson
beispielsweise definiert Merkantilismus als ein Bundel ahnlicher Vorstellungen, wie durch Außenhandel und Manufakturen Macht und Wohlstand des fruhmodernen Staates vergroßert werden konnten.
[39]
Zeitgenossische Kritik
Zeitgenossische Kritik wurde u. a. von den
Physiokraten
geaußert. Sie kritisierten den Dirigismus und im Falle Frankreichs auch die Vernachlassigung der Landwirtschaft.
Vincent de Gournay
formulierte als Gegenmotto zum Merkantilismus: ≪
Laissez faire, laissez passer, le monde va de lui-meme
≫ (deutsch: ?Lasst es geschehen, lasst es vorubergehen, die Welt bewegt sich von selbst weiter“).
[85]
David Hume
kritisierte die Vorstellung, Außenhandel als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln zu betrachten. Vielmehr fuhre der Reichtum anderer Lander zu einer verstarkten Nachfrage nach Importgutern, so dass sich der Reichtum auch auf andere Lander ubertrage:
[86]
“Were our narrow and malignant politics to meet with success, we should reduce all our neighbouring nations to the same state of sloth and ignorance that prevails in MOROCCO and the coast of BARBARY. But what would be the consequence? They could send us no commodities: They could take none from us: Our domestic commerce itself would languish for want of emulation, example, and instruction: And we ourselves should soon fall into the same abject condition, to which we had reduced them.”
?Um unsere kleingeistige und bosartige Politik erfolgreich zu machen, sollten wir all unsere Nachbarnationen auf den gleichen Stand der Faulheit und Unwissenheit reduzieren, der in Marokko und an der Barbarenkuste herrscht. Aber was ware die Folge? Sie konnten uns keine Waren schicken: Sie konnten uns keine Waren abnehmen: Unser heimischer Handel wurde selbst erlahmen, aus Mangel an Nachahmung, Vorbild und Belehrung: Und wir wurden selbst bald in denselben klaglichen Zustand fallen, auf den wir sie zu reduzieren versuchen.“
?
David Hume
:
Essay
OF THE JEALOUSY OF TRADE
, 1759/60
David Hume formulierte auch eine lange Zeit sehr einflussreiche Kritik an der merkantilistischen Lehrmeinung, dass stetige Außenhandelsuberschusse anzustreben seien. Er fuhrte aus, dass es der
Goldautomatismus
unmoglich mache, stetige Außenhandelsuberschusse zu erzielen. Die Anhaufung von Gold aus Außenhandelsuberschussen fuhre zu einer Erhohung der Geldmenge und damit zu einer hoheren Inflation. Dies wiederum fuhrt uber steigende Preise (unter den Bedingungen einer Goldumlaufwahrung) zu einer Verschlechterung der Exportchancen und einer Erhohung des Importanreizes.
Josiah Tucker
widersprach dem insoweit, als eine Erhohung der Geldmenge den Anstoß zu vertiefter Arbeitsteilung, neuen Bedurfnissen und verbesserten Technologien geben konne. Er unterschied den Fall, dass die Erhohung der Geldmenge durch Ausbeutung von Kolonien oder der Entdeckung neuer
Minen
entstand und den Fall, dass der Goldzufluss durch Wirtschaftstatigkeit bewirkt wird. Im ersteren Fall kame es (wie in Spanien) zu steigenden Preisen und einem Anstieg der Untatigkeit, also zu einer realen Verarmung des Landes. Im letzteren Fall kame es zu einer dynamischeren wirtschaftlichen Entwicklung und steigendem Wohlstand. Heute ist der von Hume ausformulierte Goldmechanismus grundsatzlich volkswirtschaftlich allgemein anerkannt.
[87]
Allerdings hat sich die Volkswirtschaftslehre insoweit weiterentwickelt, dass die Inflation nicht von der Entwicklung der Geldmenge allein abhangt, sondern von der Entwicklung der Geldmenge in Relation zum Wirtschaftswachstum. In neuerer Zeit wird dem Merkantilismus von
keynesianischen
,
neukeynsianischen
und
monetaristischen
Okonomen zugutegehalten, dass die Anhaufung moglichst großer Goldbestande bei einem Wahrungsregime der Goldumlaufwahrung durchaus rational war. Denn wenn das Wachstum der Geldmenge hinter dem Wirtschaftswachstum zuruckbleibt, kann die Wirtschaft in eine
Deflation
geraten und deshalb das Wirtschaftswachstum unter dem Potential bleiben. Eine andere Frage ist aber, ob Freihandelspolitik dem Ziel der Goldanhaufung nicht besser hatte dienen konnen.
[88]
Aktuelle Einordnung
Kritisch wird angemerkt, dass die merkantilistische Vorstellung von internationalem Wettbewerb als Nullsummenspiel zu den vielen
Kabinettskriegen
beigetragen habe. Dem wird entgegengehalten, dass Wirtschaftspolitik im Zeitalter des Absolutismus nur Mittel zum Zweck der Machtpolitik war und Kriege nie allein aus wirtschaftlichen Motiven gefuhrt wurden. Am Beispiel der Vertreibung der Hugenotten aus Frankreich zeigt sich, dass machtpolitische Uberlegungen oft wichtiger waren als okonomische Rationalitat.
[89]
Die Historiker
Gijs Rommelse
und
Roger Downing
verwarfen 2012 die These, dass merkantilistische Wirtschaftspolitik fur die ersten beiden englisch-niederlandischen Kriege als Kriegsgrund eine Rolle gespielt habe. Der Grund sei vielmehr die Enttauschung der Englander daruber gewesen, dass die seinerzeit aufstrebenden Hollander eine starkere Bindung an England ablehnten.
[39]
Im Marz 2012 diskutierten Historiker in den Raumlichkeiten des
deutschen historischen Instituts in Paris
uber das Thema
Merkantilismus? Wiederaufnahme einer Debatte
und stellten dabei mehrheitlich fest, dass situative Handlungsempfehlungen der Merkantilisten in der Rezeption oft als Dogmen missverstanden wurden.
Guillaume Garner
verwies darauf, dass die Zustimmung bzw. Ablehnung von Schutzzollen durch Handler und Produzenten stark von der jeweiligen individuellen Marktsituation abhingen und wenig von abstrakten Uberlegungen.
Thomas Simon
betonte die Notwendigkeit, Kommerzialismus und Colbertismus starker vom deutschen Kameralismus zu unterscheiden. Wahrend Kommerzialismus und Colbertismus auf der Ansicht basiere, erst durch Handel konnten Gewinne realisiert werden, entstehe nach Ansicht der Kameralismus Wohlstand bereits durch Produktion. Fur die Kameralisten war der Wohlstand der Nationen also kein Nullsummenspiel, bei dem eine Nation nur auf Kosten einer anderen Wohlstand erlangen konnte.
Jean-Yves Grenier
verwies auf eine starke
scholastische
Tradition des Merkantilismus. Im Binnenmarkt waren Monopole verpont, weil ein gerechter Preis realisiert werden sollte. Im Außenhandel jedoch waren Monopole nutzlich, um moglichst hohe Renditen zu erzielen. Aus theologischen Grunden sei jeder zu nicht mehr als standesgemaßem Konsum verpflichtet gewesen.
Moritz Isenmann
vertrat in seinem Aufsatz
War Colbert ein Merkantilist?
die These, dass Colbert von fruheren Historikern einseitig interpretiert wurde. Die Außenhandelspolitik Colberts bestand darin, durch Einfuhrzolle Preisvorteile auszugleichen. Uber den Absatzerfolg sollte nicht der gunstigste Preis, sondern die Qualitat der Produktion entscheiden. Eine Handels- und Machtpolitik auf Kosten der Nachbarn sei in Wirklichkeit nicht die Strategie Frankreichs, sondern Großbritanniens gewesen.
Jochen Hook
,
Burkhard Nolte
und
Junko Therese Takeda
arbeiteten heraus, dass staatlicher Dirigismus im 18. Jahrhundert von geringer praktischer Relevanz war. Der absolutistische Staat hatte viel weniger Kontrollmoglichkeiten, als es die heutigen modernen Staaten haben. Aus der Tatsache, dass staatliche Vorschriften standig erneuert wurden, lasst sich schließen, dass diese keine nachhaltige Wirkung entfalteten.
[39]
Basis des Merkantilismus war der steigende Geldbedarf des absolutistischen Staates. Es zeigte sich, dass die Ausweitung und Entfaltung der Produktivkrafte der Volkswirtschaft des Mutterlandes die Steuereinnahmen erhohten. Daraus erwuchs ein Interesse an Volkswirtschaftslehre. In der Praxis des Merkantilismus drehte sich der Schwerpunkt der Uberlegungen weniger um die Nutzenmaximierung fur alle Untertanen, als vielmehr um die Starkung der wirtschaftlichen und finanziellen Basis des Staates. Daraus folgern einige Historiker, dass der Merkantilismus nicht nur zeitgleich mit dem politischen Absolutismus auftrat, sondern dass Merkantilismus die okonomische Auspragung des Absolutismus war. Dagegen wird argumentiert, dass z. B. der franzosische und brandenburgisch-preußische Merkantilismus zwar durchaus von staats- und planwirtschaftlichen Elementen durchsetzt war, dass das letztendliche Ziel aber nicht eine Staatswirtschaft war, sondern die Privatisierung international wettbewerbsfahiger Unternehmen. In diesem Sinn wird der brandenburgisch-preußische Merkantilismus auch als Vorbereiter des Privatkapitalismus interpretiert. Die Geldknappheit des absolutistischen Staates zwang dazu, nur Kernbereiche der jeweiligen Volkswirtschaft zu fordern. In Frankreich war das die Luxusguterindustrie, in England der Handel, in Deutschland das Gewerbe und der Agrarsektor. Das war gleichsam eine Vorwegnahme der Fuhrungssektor-Konzeption.
[90]
Der Merkantilismus war nur Mittel zum Zweck der Starkung der Finanzkraft eines Landes. Daraus erklart sich, dass sich keine geschlossene koharente Theorie entwickelte, sondern Theorie und Praxis von Pragmatismus dominiert wurden. Direkte Nutznießer des Merkantilismus waren neben den Landesfursten die Unternehmer, Verleger und Großhandler. Deren Aufstieg ging mit einem Bedeutungsverlust der Zunfte und Gilden sowie des Landadels einher. Die wirtschaftlichen Folgen des Merkantilismus sind schwer einzuschatzen, da es keine brauchbaren Statistiken aus der Zeit gibt. Einerseits hat die Entwicklung eines Binnenmarktes und die Begrundung neuer Gewerbezweige sicherlich der Volkswirtschaft genutzt. Andererseits schlug die Gewerbeforderung oftmals im blanken Dirigismus um, der das Unternehmertum schwachte. Im Falle Frankreichs wird auch die einseitige Ausrichtung auf den sekundaren und tertiaren
Sektor
kritisiert, denn drei von vier Arbeitskraften arbeiteten in der Landwirtschaft.
[91]
Vergleich mit anderen Wirtschaftssystemen
Im Gegensatz zum Merkantilismus sieht der
klassische Wirtschaftsliberalismus
staatliche Eingriffe als grundsatzlich schadlich an. Nach dem Idealbild des klassischen Wirtschaftsliberalismus soll sich der Staat darauf beschranken, eine fur alle Menschen unterschiedslos verbindliche Rechtsordnung zu errichten, die militarische Verteidigung gegenuber Angriffen anderer Staaten sicherzustellen und einige fur die gesellschaftliche und okonomische Entwicklung relevante
offentliche Guter
wie innere Sicherheit, Rechtsprechung, und Infrastruktur bereitzustellen.
[92]
Der klassische Wirtschaftsliberalismus propagiert zudem
Freihandel
als in jeder Situation erstrebenswert. Der
Laissez-Faire-Liberalismus
bzw.
Manchesterliberalismus
verkurzte die Argumentation des klassischen Wirtschaftsliberalismus dahingehend, dass sich der Staat jeglicher Beeinflussung von Wirtschaftsprozessen enthalten sollte, auch im Falle von
Marktversagen
und sozialen Missstanden. Jegliche
Konjunkturpolitik
wurde ebenfalls abgelehnt.
[93]
Der
Neoliberalismus
im Sinne des
Ordoliberalismus
sieht im Gegensatz dazu die Notwendigkeit staatlicher Eingriffe bei Marktversagen.
[94]
Der
Neomerkantilismus
sah Freihandel als ein auf lange Sicht uberlegenes Prinzip an. Im Gegensatz zum klassischen Wirtschaftsliberalismus wurde aber ein vorubergehender Handelsprotektionismus (
Erziehungszoll
) und Staatsintervention zur Stutzung junger, noch nicht konkurrenzfahiger Industriezweige befurwortet. Mitte des 19. Jahrhunderts hatte England einen erheblichen Vorsprung in der Industrialisierung und hatte deshalb einen großen Vorsprung im Produktionsvolumen und der Produktionseffizienz.
Alexander Hamilton
und
Friedrich List
, die geistigen Begrunder des Neomerkantilismus waren daher der Ansicht, dass eine Industrialisierung der Vereinigten Staaten und Deutschlands nicht von selbst erfolgen konnte.
[95]
Ende des 19. Jahrhunderts und von 1929 bis Mitte der 1930er Jahre gab es weitere als Neomerkantilismus bezeichnete Phasen, in denen aus Anlass von
Wirtschaftskrisen
viele Staaten eine ausgepragte
Schutzzollpolitik
,
Beggar-thy-Neighbor-Politik
und zum Teil
Devisenbewirtschaftung
verfolgten.
[96]
Die Wirtschaftspolitik entwickelter kapitalistischer Lander weist im spaten 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts, wenn auch unter veranderten Bedingungen im Vergleich zur Entstehungs- und Blutezeit des Merkantilismus, gewisse merkantilistische Zuge auf, sofern sie auf Exportuberschusse, Wirtschaftswachstum, hohe Beschaftigung und niedrige Lohnstuckkosten setzt.
John M. Keynes
begrundet staatliche Eingriffe in die Wirtschaft, sein ?view of economic relationship is in many ways strikingly similar to that of the mercantilists“,
[97]
so dass seine Lehre mitunter als Neomerkantilismus bezeichnet wird. Freihandels- und daruber hinausgehende Abkommen wie TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership, geplantes, nicht realisiertes Abkommen zwischen der EU und den USA) oder CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement, zwischen der EU und Kanada) haben das Ziel, den Absatz der Waren in anderen Landern zu erleichtern. Sie starken den Einfluss der Kapitale aus den dominanten Volkswirtschaften. Unternehmen aus wirtschaftlich schwacheren Staaten wird der Absatz ihrer Fertigwaren erschwert. Im ungunstigsten Fall zerstoren Exportforderungen der hochentwickelten Staaten in schwacheren Landern durch Billigimporte deren heimische Markte.
[98]
Das heute am weitesten verbreitete Wirtschaftssystem wird als
marktwirtschaftlicher Interventionismus
bezeichnet, ein Beispiel ist die
Soziale Marktwirtschaft
. Das System sieht einen staatlichen Ordnungsrahmen vor, innerhalb dessen sich die Wirtschaft frei entfaltet. Vorubergehende Staatsinterventionen in den Wirtschaftsprozess werden dann befurwortet, wenn sie der besseren Funktionsfahigkeit des Marktes dienen. In diesem Wirtschaftssystem gibt es auch Raum fur
Sozialpolitik
.
[99]
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Merkantilismus und Liberalismus in der preussischen Gewerbepolitik von 1815 bis 1844 unter besonderer Berucksichtigung Berlins
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Weblinks
Einzelnachweise
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Rainer Gommel:
Die Entwicklung der Wirtschaft im Zeitalter des Merkantilismus 1620?1800.
S. 41, 42.
- ↑
Rainer Gommel:
Die Entwicklung der Wirtschaft im Zeitalter des Merkantilismus 1620?1800.
S. 44, 45.
- ↑
a
b
c
Rainer Gommel:
Die Entwicklung der Wirtschaft im Zeitalter des Merkantilismus 1620?1800.
S. 42.
- ↑
Rainer Gommel:
Die Entwicklung der Wirtschaft im Zeitalter des Merkantilismus 1620?1800.
S. 47?48.
- ↑
Richard Tilly:
Geschichte der Wirtschaftspolitik.
S. 8.
- ↑
a
b
Richard Tilly:
Geschichte der Wirtschaftspolitik.
S. 11.
- ↑
Drei Flugschriften uber den Munzstreit der sachsischen Albertiner und Ernestiner um 1530
, zitiert nach Richard Tilly:
Geschichte der Wirtschaftspolitik.
S. 8.
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a
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