Marsyas

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Perugino : Apoll und Marsyas , 1495?1500, Louvre , Paris
Der geschundene Marsyas (Louvre)

Marsyas ( altgriechisch Μαρσ?α? Marsyas , lateinisch und deutsch ?Marsyas‘) ist eine Gestalt der griechischen Mythologie . Er ist ursprunglich der Flussgott des gleichnamigen Flusses, der bei Kelainai entspringt, einer im Altertum bluhenden Stadt im sudlichen Phrygien an den Quellen des Maander . In der griechischen Mythologie ist er ein Satyr (oder Silen), ein halbgottliches Wesen, Sohn des Hyagnis , Begleiter der Kybele . Verschiedene antike Autoren variieren die mit ihm verbundenen Sagen, so etwa Herodot (7,26) oder Ovid ( Metamorphosen 6,382-400).

Neben verschiedenen anderen Varianten des Marsyas-Mythos ist folgende eine vielleicht ursprungliche: Athene als Gottin der Erfindungsgabe und Weisheit erfand nach der Enthauptung der Gorgone Medusa die Aulos genannte Doppelflote sowie eine bestimmte Melodie, die die Totenklage der Euryale , der Schwester Medusas, nachahmte. Als sie aber beim Spiel ihr Gesicht in einem Wasser gespiegelt sah und bemerkte, dass das Spielen des Instruments ihr Gesicht entstellte, warf sie die Flote fort. Marsyas, der als Begleiter der rasenden und Trommeln schlagenden Kybele durch Phrygien zog, fand das Instrument, erlernte dessen Spiel und war schließlich so von seiner Kunst uberzeugt, dass er Apollon zum Wettkampf forderte. Die Musen , welchen das Schiedsamt zufiel, sahen zunachst Marsyas als den Uberlegenen an. Als jedoch Apollo seinem Kitharspiel noch den Gesang hinzufugte, konnte dieser als Sieger hervorgehen. Apollon hangte Marsyas zur Strafe fur den Frevel, ihn herausgefordert zu haben, an einer Fichte (dem heiligen Baum der Kybele) auf. Dem aufgehangten Satyr wurde bei lebendigem Leib die Haut abgezogen . Aus seinem Blut entsprang der gleichnamige Fluss Marsyas. Palaiphatos berichtet: ?Ich selbst sah den Fluss in Phrygien, der nach ihm benannt ist. Und die Phryger sagen, daß der Fluss aus dem Blut des Marsyas entstand.“ Herodot (5. Jh. v. Chr.) weiß: ?In der Stadt Kelainai hangt auch die Haut des Satyrn Marsyas. Diese hat nach der Sage der Phrygier Apollon dem Marsyas abgezogen und hier aufgehangt.“ [1] Ahnlich Xenophon (4. Jh. v. Chr.): ?Hier soll Apollon dem Marsyas, nachdem er ihn im Wettstreit besiegte, die Haut abgezogen und sie in der Quellgrotte aufgehangt haben. Darum heißt der Fluss Marsyas.“ [2]

Mit einiger Wahrscheinlichkeit, auch im Vergleich mit dem Fluss des Midas -Mythos, der nachweislich goldhaltig ist, war der Marsyas ein eisenoxidhaltiger kleiner Bach oder Fluss, dessen rote Farbe mit Blut und also mit einem ?gottlichen Gericht“ der Vorzeit verbunden wurde. Das Ausmaß dieses ?Blutstroms“ konnte mit einer entsprechend großen Verletzung assoziiert worden sein, wie es das Abziehen oder Schinden der Haut von Tieren illustriert (die Strafe des Schindens ist fur den antiken griechischen Raum nicht belegt, war aber im alten Orient gangig).

Athena-Marsyas-Gruppe , Museo Gregoriano Profano , Rom
Athena-Marsyas-Gruppe im Botanischen Garten in Kopenhagen

Der Marsyas-Mythos ist, mutmaßlich, eine Variante der in der Antike weit verbreiteten Hybris -Allegorie, wo Halbgottliches oder Sterbliches sich uber Gottliches (Vollkommenes, Zeitloses) erheben will und zum Teil grausam bestraft wird (zu Stein oder Tier verwandelt, mit Wahnsinn geschlagen, mit Eselsohren versehen usw.).

Hybris war nach alter Vorstellung eine Nymphe , die mit Zeus den Gott Pan zeugte. Marsyas, hier mit Pan in antiken Darstellungen haufig gleichgesetzt, aber ohne die Attribute des Gottes, scheint darum eher ein Gleichnis fur die verstandlosen Triebe des Menschen zu sein. Illustriert wird die Hybris hier am Beispiel der Kunst. Die Kunste waren im altgriechischen Verstandnis die hochste Ausdrucksform des Wettstreits (des Agon ), da nur sie die Fertigkeit ( τ?χνη techn? ) mit der Weisheit ( σοφ?α sophia ) verbanden. Die Musen treten zum Teil selbst in den Wettstreit, teils uben sie das Richteramt in der Kunst aus. Die Weisheit ( Athene ) erfindet zwar die Kunst, hier die Flote, ihr Ausuben aber, also das Kunstwerk, ist gegen ihr (ruhendes) Wesen ? im Gleichnis verzerrt das Kunstwerk-Machen (poein) die Zuge der Gottin des Geistes. Die Begierden (Marsyas) folgen der Lust nach Anerkennung, die sich im Agon ausdruckt. Der Wahn der Lust, sie konne sich im Werk uber Vergangliches erheben, so alt wie die Kultur, fallt unter das gnadenlose Gericht der Musen und Apollons.

Der Marsyas-Mythos ist wohl keine Darstellung gegen das Kunstwerk an sich, sondern gegen den Kunstler, der das Werk nicht mit Demut und Unterwerfung macht, dessen Werk also nicht Ausdruck von Demut ist. Die beruhmten Anfange der abendlandischen Dichtung bei Homer werden oft in diesem Sinne gedeutet: ?Sage mir Muse“; ?Vom Zorn singe, o Gottin“. Die Ablehnung des Willens des Kunstlers ist seither immer wieder ausgedruckt worden. Etwa als Paradox von Michelangelo : ?Ich mochte wollen, Herr, das nicht von mir Gewollte.“ Ahnlich aber auch etwa Paul Cezanne : ?Aber wenn er [der Kunstler] dazwischenkommt, wenn er es wagt, der Erbarmliche, sich willentlich einzumischen in den Ubersetzungsvorgang, dann bringt er nur seine Bedeutungslosigkeit hinein, das Werk wird minderwertig.“ Und an anderer Stelle: ?Um das zu malen muß dann das Handwerk einsetzen, aber ein demutiges Handwerk, das gehorcht und bereit ist, unbewusst, zu ubertragen.“

Der Mythos ist außerdem ein Aition fur eine in der phrygischen Stadt Kelainai aufgehangte und ausgestellte Menschenhaut (vgl. Herodot 7,26).

Nach Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff zeigt der Mythos die attische Geringschatzung der phrygischen Flote und die Uberlegenheit der eigenen und vornehmen Kithara . [3] Die klassische Darstellung des Myron in der um 450 v. Chr. geschaffenen Athena-Marsyas-Gruppe zielt auf genau diesen Zusammenhang von Weisheit (Athene, Apollon, Kithara) und Begierde (Marsyas, Flote). Die Schindung ist somit auch ein Symbol der Katharsis , d. h. die irdische Hulle muss unter Schmerzen abgestreift werden, um zu einer hoheren Erkenntnisform zu gelangen. Um sich zu vergeistigen, muss das Naturwesen aller Lust entsagen, freudianisch gesprochen, handelt es sich um den schmerzhaften Sieg des Realitatsprinzips uber das Lustprinzip.

Darstellungen in der Kunst

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Mithilfe romischer Kopien, insbesondere der Marmorkopie aus dem Lateran in Rom , wurde die ursprungliche klassische Version der myronischen Gruppe rekonstruiert. Auch von dieser Figurengruppe wurden Kopien zu dekorativen Zwecken in Haus- und Gartenanlagen verwendet. Eine Bronzerekonstruktion der Myron-Gruppe befindet sich in der Liebieghaus Skulpturensammlung in Frankfurt am Main. Im Inneren des Museums befindet sich der antike Alberici-Sarkophag , der die Hautung des Marsyas zeigt.

In der romischen Welt wurde Marsyas als Symbol fur die Freiheit gedeutet, sowohl die Redefreiheit ( Parrhesia ) wie auch die politische Freiheit. Bereits ab dem fruhen 3. Jahrhundert v. Chr. befand sich eine Marsyas-Statue auf dem Forum Romanum . Der romische Gelehrte Servius erklart in seinem Aeneis -Kommentar, eine solche Statue fande sich auf den Marktplatzen verschiedener anderer Stadte, wo sie mit ihrer erhobenen Hand bezeuge, dass es der betreffenden Burgergemeinde an nichts fehle (? erecta manu testatur nihil urbi deesse “). [4]

Die Szene mit der Hautung des Marsyas fand unter anderem auch in der Renaissance durch den Maler Tizian 1570?1576 ihre Rezeption . Auch in spateren Kunstepochen kommt dieses Motiv vor. Jusepe de Ribera zum Beispiel verwendet dieses Motiv gleich mehrfach.

Eine moderne Form des Marsyas hat Alfred Hrdlicka geschaffen.

  • Heinz J. Drugh: Marsyas. In: Maria Moog-Grunewald (Hrsg.): Mythenrezeption. Die antike Mythologie in Literatur, Musik und Kunst von den Anfangen bis zur Gegenwart (= Der Neue Pauly . Supplemente. Band 5). Metzler, Stuttgart/Weimar 2008, ISBN 978-3-476-02032-1 , S. 413?417.
  • Dietrich Helms: Von Marsyas bis Kublbock. Eine kleine Geschichte und Theorie musikalischer Wettkampfe. In: Dietrich Helms, Thomas Phleps (Hrsg.): Keiner wird gewinnen. Populare Musik im Wettbewerb (= Beitrage zur Popularmusikforschung. Band 33). transcript, Bielefeld 2005, S. 11?39.
  • Otto Jessen : Marsyas . In: Wilhelm Heinrich Roscher (Hrsg.): Ausfuhrliches Lexikon der griechischen und romischen Mythologie . Band 2,2, Leipzig 1897, Sp. 2439?2460 ( Digitalisat ).
  • Klaus Junker : Die Athena-Marsyas-Gruppe des Myron. In: Jahrbuch des deutschen Archaologischen Instituts. Band 117, 2003, S. 127?184.
  • Andreas F. Kelletat: Der ungeschundene Marsyas. In: Dietmar Albrecht u. a. (Hrsg.): Unverschmerzt. Johannes Bobrowski: Leben und Werk. Meidenbauer, Munchen 2004, ISBN 3-89975-511-1 , S. 171?185.
  • Katia Marano: Apoll und Marsyas. Ikonologische Studien zu einem Mythos in der italienischen Renaissance (= Europaische Hochschulschriften. Reihe 28 [Kunstgeschichte], Band 324). Lang, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-631-32919-9 (zugleich Dissertation, Universitat Marburg 1993).
  • Luise Seemann: Marsyas und Moira. Die Schichten eines griechischen Mythos. diagonal, Marburg 2006, ISBN 3-927165-95-6 .
  • Luise Seemann: Zur Interpretation der Athena-Marsyas-Gruppe des Myron. In: Boreas. Munstersche Beitrage zur Archaologie. Band 32, 2009, S. 1?18.
  • Ursula Renner, Manfred Schneider (Hrsg.): Hautung. Lesarten des Marsyas-Mythos. Fink, Munchen 2006, ISBN 3-7705-4014-X .
Commons : Marsyas  ? Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Herodot, Historien 7,26
  2. Xenophon, Anabasis 1,2,8
  3. Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Der Glaube der Hellenen. Band 1, Berlin 1931, S. 189, A.2.
  4. Servius, Kommentar zu Vergil, Aeneis 4,58