Lotte in Weimar

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Erstdruck von 1939 mit Original-Verlagsumschlag

Lotte in Weimar ist der Titel eines 1939 [1] publizierten Goethe-Romans von Thomas Mann . Erzahlt wird in einer Mischung aus Wirklichkeit und Fiktion die Weimar-Reise Charlotte Kestners 1816. Sie hat vor 44 Jahren den jungen Dichter durch ihre Beziehung zu seinem Jugendwerk mit autobiographischen Bezugen, Werthers Leiden , inspiriert und ist als ?Lotte“ zum weiblichen Idol der Sturm und Drang-Zeit geworden. Nun will sie ihren inzwischen zur internationalen Beruhmtheit aufgestiegenen Freund wiedersehen.

Inhalt [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Uberblick [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Charlotte Kestner trifft mit Tochter Charlotte und Zofe Klara am 22. September 1816 fruhmorgens kurz nach acht mit der Postkutsche in Weimar ein und logiert im Gasthof ? Zum Elephanten “, dem ersten Haus am Platze. Ihr Ruf, das ?Urbild“ der Lotte in ? Die Leiden des jungen Werthers “, dem erfolgreichsten Roman der Sturm und Drang-Epoche, zu sein, hat sie uber die Jahrzehnte begleitet. Noch bevor sie ihre Schwester Amalie Ridel, den offiziellen Grund ihrer Reise, besucht, teilt sie sofort dem ?[v]erehrten Freund“ Goethe in einem kurzen Brief ihre Ankunft mit. Im zweiten Kapitel, wahrend sie sich von den Reisestrapazen ausruht, denkt sie an das Dreiecksverhaltnis mit dem jungen Dichter und ihrem Verlobten Johann Christian Kestner zuruck.

Kaum einlogiert, hat sich ihre Ankunft in der kleinen Residenzstadt herumgesprochen und die ersten Besucher melden sich an, welche die beruhmte Werther-Lotte sehen wollen und sie uber den Dichterfursten und die Weimarer Gesellschaft informieren. Der Kellner Mager, ein enthusiastischer Goethe-Kenner, halt mit seiner zitatenreichen Redseligkeit ihr Programm auf und erregt ihren Unmut (Kap. 1). Anschließend drangt sich Miss Rose Cuzzle. eine junge irische Zeichnerin (eine fahrende Stumperin wird Charlotte sie spater nennen) hartnackig in ihr Zimmer, deren Hobby das Skizzieren von Beruhmtheiten ist und die ihre Sammlung durch ein Lotte-Portrat erweitert (Kap. 2). Darauf geben sich einige Besucher die Klinke in die Hand, die sie v. a. als Medium benutzen, um sich uber ihr ambivalentes, zwischen Bewunderung und Abhangigkeit schwankendes Verhaltnis zu Goethe auszusprechen: Riemer , der ehemalige Privatlehrer von Goethes Sohn (Kap. 3), Adele , die 19-jahrige Tochter der Salonniere und Schriftstellerin Johanna Schopenhauer , beide mit Goethe befreundet (Kap. 4 und 5), und August von Goethe (Kap. 6). Ihrer aller Leben ? wie auch das Charlottes ? hat Goethe tief beeinflusst und nicht nur begluckt. Der Geheime Rat selbst tritt erst im letzten Romandrittel auf (Kap. 7 und 8) und ladt Charlotte zum Mittagessen ein. Hier begegnet sie einem freundlich distanzierten Gastgeber, der die Zeit seiner Jugendliebe in einem standigen Wandlungsprozess schon lange verarbeitet hat. Zu einer personlichen Aussprache kommt es erst am Schluss bei einer surrealistisch-traumhaften Begegnung der beiden in Goethes Kutsche (Kap. 9).

Hofratin Charlotte Kestner [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

?Charlotte Kestner mit blauer Haube“ (Kopie Christian Ahrbecks nach einem Olgemalde Johann Ludwig Hansen dem Alteren (1820))

Die Hofratin tragt seit vierundvierzig Jahren eine ?alte, unbeglichene, qualende Rechnung“, wie sie Riemer bekennt, mit sich herum. Sie nennt das qualende Ratsel beim Namen: ?Dichter ? Genugsamkeit“, ?Genugsamkeit mit Schattenbildern“, ?Genugsamkeit der Poesie“, schließlich gar ?Genugsamkeit des Kusses, aus dem, wie er [Goethe] sagt, keine Kinder werden.“ Diese Aussagen beziehen sich auf die im Werter erzahlte tragische Liebesgeschichte, zu der sie, ihr Verlobter und der Gerichts-Praktikant die Vorlagen lieferten, fur deren Authentizitat sich das Publikum interessiert. Der junge Dichter, so erinnert sich Charlotte (Kp. 2), das war ?der tolle Junge“, der sie ?von Herzen gekusst“ hatte, ?halb Wirbelwind, halb Melancholicus […] ein merkwurdiger Mensch […] barock wohl zuweilen von Wesen, in manchen Stucken gar nicht angenehm, aber so voller Genie und eigentumlich ergreifender Besonderheit.“ Er hatte ihr den Hof gemacht, aber entschieden hatte sie sich fur ihren braven Hans Christian, der altere Rechte hatte. ?[N]icht nur, weil Liebe und Treue starker gewesen waren als die Versuchung, sondern auch kraft eines tiefgefuhlten Schreckens vor dem Geheimnis im Wesen des Anderen“, dieses ?Unmensch[en] ohne Zweck und Ruh“. Andererseits, sinniert sie, sei es sonderbar, ?dass ein Unmensch so lieb und bieder, ein so kreuzbraver Junge sein konnte“. Charlotte erklart ihrem Besucher Riemer (Kap. 3), ein hinzukommender ?Dritter“ sei der Jungling Goethe gewesen, der sich als ?der liebe Teilnehmer“ gleichermaßen an sie und ihren braven Verlobten angehangt habe: ?Er kam von außen und ließ sich nieder auf diesen wohlbereiteten Lebensumstanden, […] war verliebt in unsere Verlobtheit.“ Gekrankt, dabei verstarkt mit dem Kopf zitternd, einem Altersleiden, beklagt sich die 63-Jahrige: ?In ein gemachtes Nest“ habe er ?das Kuckucksei seines Gefuhls gelegt“. Sie finde kein anderes Wort dafur als ?Schmarutzertum“. Um ?die Liebe zu einer Braut“ sei es dem Dichterjungling gegangen, der Braut eines Anderen. Dabei habe er die Freundschaft mit dem Brautigam missbraucht und hinter dessen Rucken die Braut mit Liebesschwuren verunsichert, ohne selbst Heiratsabsichten zu haben. Diese ?Genugsamkeit“ ist ihr 44 Jahre lang ein Ratsel geblieben und sie reflektiert uber ihre Rolle als Mittel zum Zweck und uber die Wirklichkeit und Moglichkeiten des Lebens. Trotz einem zufriedenen Familienleben mit dem zuverlassigen und treusorgenden Kestner hat Charlotte die Gedanken uber ein alternatives Leben nie ganzlich verdrangen konnen und sie hat Erinnerungsstucke aufbewahrt fur ein, wie sie Adele Schopenhauer erzahlt, im Deutschordenshof in Wetzlar einzurichtendes kleines Museum. Dem alten Freund will sie in einem weißen Kleid mit roten Schleifen, das sie nach dem alten Muster hat schneidern lassen, entgegentreten und sie ist neugierig, wie er auf den ?Scherz“ reagieren wird.

Kellner Mager (Kap. 1) [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Dem Kellner Mager gilt sowohl der erste als auch der letzte Satz des Romans: ?Der Kellner des Gasthofes ?Zum Elephanten‘ in Weimar, Mager, ein gebildeter Mann, hatte an einem fast noch sommerlichen Tage ziemlich tief im September des Jahres 1816 ein bewegendes, freudig verwirrendes Erlebnis.“ Und am Schluss heißt es: ?Frau Hofratin“, begrußt er Charlotte, ?willkommen wie immer! Mochten Frau Hofratin in unserem Musentempel einen erhebenden Abend verbracht haben! Darf ich diesen Arm offerieren zur sicheren Stutze? Guter Himmel, Frau Hofratin, ich muß es sagen: Werthers Lotte aus Goethes Wagen zu helfen, das ist ein Erlebnis ? wie soll ich es nennen? Es ist buchenswert.“

Lotte im weißen Kleid mit Schleifen und Werther (Brief am 16. Junius 1771). Illustration von Daniel Chodowiecki

Mager ist ein literarischer Enthusiast und Goethe-Bewunderer. Er zitiert oft aus den Werken des Meisters, kennt viele biographische Details und wird vom Autor deshalb ironisch als ein ?gebildeter Mann“ vorgestellt, aber zugleich durch seinen Ubereifer und seinen leitmotivisch wiederkehrenden Ausdruck ?buchenswert“ karikiert: Fur ihn ist der Besuch eine literarische Sensation und er genießt seine Schlusselrolle im Zentrum der Neugierigen. Standig sucht er das Gesprach mit der alten Goethe-Liebe. Als er endlich die gerade angekommene Hofratin in ihrem Gasthofzimmer allein lasst und nicht mehr auf sie einredet, muss er noch eine letzte Frage nach der biographischen Authentizitat von Werthers Abschiedsworten stellen und zeigt damit, dass er, wie viele Leser, nicht zwischen dichterischer Fiktion und Wirklichkeit differenziert.

Doktor Riemer (Kap. 3) [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Der Philologe Doktor Riemer war Hauslehrer von Goethes Sohn August. Danach hat ihn der Dichter weiter an sich zu binden gewusst, um auf seine lexikalische Gelehrsamkeit jederzeit zuruckgreifen zu konnen. Eigenstandigkeit und energische Tatkraft scheinen dem Freund des verlangerten morgendlichen Schlummers abzugehen. Obwohl er eine Universitatskarriere als Lebensziel ansieht, hat erst kurzlich eine Berufung an die Universitat Rostock ausgeschlagen, weil er sich nicht von dem Charisma des Goetheschen Weimar trennen konnte. Denn er ist dem Dichterfursten in ?lebenslanger Horigkeit“ verfallen und hat sich durch die Heirat mit Caroline Ulrich , der Gesellschafterin Christianes und Sekretarin Goethes, auch privat mit dem Haus verbunden. Wenn er seine Rolle als fleißiger Zuarbeiter des weniger arbeitssamen als genialen Dichters beklagt, liegt ?[e]in etwas verdrießlicher, gleichsam maulender Zug […] um seinen Mund“. Seine Rolle als Helfer des Meisters sieht er in Goethes Gedicht ?Fliegentod“ dargestellt. [2]

Obwohl Riemer mehrmals von ?Verzicht“, ?Kompromiss“, ?bitterer Ehre“ und ?Selbstentaußerung im Dienste einer Sache“ spricht, nimmt er diese Vorwurfe, auf Nachfragen Charlottes, sogleich zuruck und betont die Ehre, mit dem Meister zusammenarbeiten zu durfen und sein Vertrauen zu genießen, sogar als Ghostwriter Briefe fur ihn zu verfassen, die von den Adressaten fur authentisch gehalten werden. Diese Ausnutzung projiziert er auf die Besucherin. Er halt Charlotte und sich fur ?Complizen in der Qual“, denn Goethe habe das Privatleben der Freundin indiskret in der Offentlichkeit verbreitet und die Kestners damit lebenslang belastet. Aber er entschuldigt die Handlungen mit dem Vorrecht des gottahnlichen Dichterfursten, wenn er seine Erlebnisse in der Kunst verewige. Es gebe ein ?gottliches Schmarutzertum […] ein gottlich schweifendes Partizipieren an irdischem Gluck, […] die Liebesleidenschaft des Gotterfursten fur das Weib eines Menschenmannes, der fromm und ehrfurchtig genug ist, sich durch solche Teilhaberschaft nicht verkurzt und erniedrigt, sondern erhoht und geehrt zu fuhlen“. Riemer schwankt standig zwischen den Gefuhlen der Benachteiligung und der Bevorzugung. Mit drangendem Mitteilungsbedurfnis spricht er bewundernd uber Goethe, ? doch dann beginnt er, sich mehr und mehr uber die Kalte, die Gleichgultigkeit und vielleicht Verachtung der ?Handlanger“ zu beklagen, die von dem Großen ausgehe. In gut gesetzten Worten und gehobener Diktion berichtet er uber den nihilistischen Gleichmut Goethes, der so merkwurdig mit dessen personlicher Anziehungskraft kontrastiere. Sich mehr und mehr in Verwirrung redend, vergleicht schließlich der Goethe-Verfallene ? eine Bemerkung von ihm zitierend ? das Gedicht mit einem Kuss, den man der Welt gibt, und bricht ab. ?Er war bleich, Schweißtropfen standen auf seiner Stirn, seine Rindsaugen blickten glotzend, und sein offener Mund, dessen sonst bloß maulender Zug dem Ausdruck einer tragischen Maske ahnlicher geworden war, atmete schwer, rasch und horbar.“

Adele Schopenhauer (Kap. 4) [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Adeles Mitteilungen vom Weimarer Leben sind, wie diejenigen Riemers, zwiespaltig. Einerseits verehrt sie den großen Meister und lobt dessen liebevollen Umgang mit ihr und seine humorvollen Auftritte in der Gesellschaft, wenn er satirische Texte vortragt, andererseits sieht sie seine Tyrannei und Unduldsamkeit abweichenden Meinungen gegenuber (?Du sollst keine anderen Gotter haben neben mir“), so dass sie den weiblichen Musenverein der Hofdame Caroline von Egloffstein (?Linemuse“) vor ihm verheimlicht, weil man sich dort fur die romantische Literatur der neuen Zeit begeistert: ?Wir sind Kinder des neuen Lebens, wir Muselinen“. Die jungen Autoren wurden zwar den Meister nicht erreichen, aber eine neue Stufe reprasentieren, die ?Neueres, Eigeneres zu sagen hat als eine feststarre Große, die gebietend und wohl auch verbietend hineinragt in die frische Zeit“. Auch furchtet Adele (?Adelmuse“) den Spott des alten Geheimen Rates uber dichtende Frauen, denn er habe eine ?ironische Aversion gegen schongeistige Frauenzimmer“. [A 1] Ebenso vertreten die ?Muselinen“ im Politischen eine andere Position als Goethe, der offenbar in Napoleon einen kongenialen Geist gesehen und gehofft habe, dass er ?ein geeintes Europa unter seinem Scepter des Friedens genießen“ konne: ?Es war seit Erfurt zwischen ihm und dem Casar ein Verhaltnis von Person zu Person. Dieser hatte ihn sozusagen auf gleichem Fuße behandelt, und der Meister mochte die Sicherheit gewonnen haben, dass er fur sein Geistesreich, sein Deutschtum nichts von ihm zu befurchten hatte, dass Napoleons Genius der Feind des seinen nicht war.“

Ottilie von Pogwisch und August von Goethe (Kap. 5) [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Ausfuhrlich erzahlt Adele die Geschichten ihrer geistreichen und am antifranzosischen, preußischen Patriotismus interessierten Freundin Ottilie von Pogwisch und ihres, wie sein Vater, frankophilen Verlobten August von Goethe vor dem Hintergrund der napoleonischen Kriege und der Freiheitskampfe (Kap. 5). Sie furchtet um das Gluck Ottilies in der Ehe mit dem im Schatten des Vaters dahinlebenden, unoriginellen Stellvertreters einer ubermachtigen Personlichkeit und hoffte, als sich Ottilie zwei Jahre zuvor in den ?preußischen Helden“ Ferdinand Heinke , fur die ?Muselinen“ das ?Idealbild des vaterlandisch entflammten deutschen Junglings“, verliebte und diese in einen Lotte ahnlichen Konflikt zwischen Pflicht und Neigung geriet, auf ein Ende der Beziehung zu Augusts. Nun bittet sie Charlotte, ihren Einfluss zu nutzen, um Goethe von der Verbindung abzuraten.

Augusts Verlobung mit Ottilie (?Tillemuse“), der Tochter einer alt-adligen, aber verarmten Hofdame der Großherzogin Luise in Weimar, wird vom Geheimen Rat unterstutzt. Goethe, seit diesem Jahr verwitwet, mochte, dass das seinem grazilen Jungfrauenbild entsprechende ?Personchen“ (so nennt er sie scherzhaft) seine Schwiegertochter wird. August und sie sollen als Eheleute im Obergeschoss seines Hauses wohnen. Der Schwiegervater hatte damit die muntere, aparte Frau taglich um sich. Nach einem Gesprach mit Goethe unter vier Augen, uber dessen Verlauf sie sich beharrlich ausschweigt, entschließt sich Ottilie, nach einer wechselhafter Beziehungsgeschichte schließlich, August zu heiraten. Uber jene folgenreiche Unterredung gibt sie Adele gegenuber lediglich preis: ?Laß dir mit der Nachricht genugen, daß er reizend zu mir war.“ Adele vermutet, dass die Freundin die Werbung Augusts vielleicht aus einer vom Vater auf den Sohn ubertragenen Sympathie und Bewunderung, trotz der charakterlichen Unterschiede, akzeptiert und zudem in ihrer karitativ-idealistischen Neigung hofft, seine instabile Personlichkeit stutzen zu konnen.

August von Goethe (Kap. 6) [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Goethes Sohn macht im sechsten Kapitel Charlotte seine Aufwartung. Er kommt in Vertretung des Vaters, um die Angekommene zu begrußen und ihr eine Einladung zum Mittagessen ?im kleinen Kreis“ in drei Tagen zu uberbringen. Mit dem 27-jahrigen August tritt ihr das Bild des Jugendfreundes Goethe entgegen. Von Adele weiß sie, dass der großherzogliche Kammerrat von seinem Vater zusatzlich als ? Adlat “, Sekretar, Stellvertreter bei amtlichen Dingen und Gehilfe fur alles Mogliche eingespannt wird. [A 2] Auch in geistigen Dingen ist er, bis in die Formulierungen, das Sprachrohr des alten Goethe: ruckwartsgewandt an der klassischen Literatur und an dem Modell des Furstenhofes und nicht des neuen Verfassungsstaates orientiert und in Ablehnung der romantisch-nationalen Jugendkultur. Ebenso ordnet er sich in personlichen Dingen dem von ihm bewunderten Genie unter, wahrend er sich selbst bescheiden als praktischer Durchschnittsmensch bewertet. Unter anderem hat ihm der Vater die Teilnahme als Freiwilliger an den Scharmutzeln im Befreiungskrieg gegen Napoleon verboten, was ihm die Verachtung der Altersgenossen eingetragen hat. Die Trinkgewohnheiten seines Sohns beanstandet Goethe jedoch nicht, auch nicht dessen Umgang mit Frauen von zweifelhaftem Ruf. Zwar kommt August auch ihr als Schablone seines Vaters vor, aber Charlotte ist ? trotz einiger markanter Unterschiede ? geruhrt von der Ahnlichkeit zwischen dem Sohn und dem Goethe ihrer Jugendjahre. Außerdem versteht sie seine bis zum Jahzorn gesteigerte Klagen uber seine offene und versteckte Diskriminierung von der feinen Gesellschaft wegen seiner volkstumlichen und mit seinem Vater in ?wilder Ehe“ zusammenlebenden Mutter und der Arroganz des ?Geburtsadels“ gegenuber dem Goetheschen ?Verdienstadel“.

Als Gehilfe des Vaters ist August vertraut mit dem Privatleben und dem literarischen Schaffen des Vaters und er spricht mit Charlotte offen daruber, auch uber dessen Beziehungen zu Friederike Brion , Lili Schonemann und Marianne von Willemer , die mit der Jugendliebe zu Charlotte Buff vergleichbar sind, und uber deren Verarbeitung in der Literatur, z. B. im Schuldgefuhl des untreuen Liebhabers. Charlotte und August reflektieren in diesem Zusammenhang uber die Wirklichkeit und die Moglichkeiten des Lebens und uber die Nutzung von Menschen als Material fur die Dichtung und ihre Veroffentlichung. Fur August ist dem Schriftsteller die literarische Adaption des Privaten erlaubt, Charlotte ist daruber geteilter Meinung. Einerseits gefallt sie sich als Vorlage fur den beruhmtesten Roman Goethes, wahrend die anderen Freundinnen sich nur in Gedichten wiederfinden, andererseits hat sie Mitleid mit ihrem armen als Albert karikierten Mann. Die Frage nach den Moglichkeiten ist fur sie nur eine Spekulation, entscheidend sei die Wirklichkeit. Wichtig fur sie ist, dass sie kein Opfer war und die Entscheidung fur ihr Leben selbst getroffen hat. Am Ende des Gesprachs mit August spricht sie die Frage an, ob dieser wegen seiner eigenen Person von Ottilie geliebt wird. Sie spurt dann jedoch ihre Kompetenzuberschreitung, bricht ihre Rede ab und schließt mit dem Zuspruch: ?Konnt ihr euch leiden, ihr jungen Leute, so nehmt euch, tut’s ihm [Goethe] zuliebe und seid glucklich in euren Oberstuben.“

Goethe (Kap. 7) [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Goethe-Portrat von Heinrich Christoph Kolbe (1822)

Der 67-jahrige Goethe wird in den ersten 6 Kapiteln nur indirekt, im Bild seiner Umgebung charakterisiert. Nach dieser Vorbereitung des Lesers wechselt im 7. Kapitel der Schauplatz vom Hotel zum Haus am Frauenplan . In der zeitlich zu den ersten Kapiteln parallel verlaufenden Handlung ist der Dichter gerade aufgewacht. Nach Wahrnehmung des angebrochenen Tags ist vor Beginn des Tagesgeschaftes seine ?morgenfreundliche Laune getrubt und corrosiv angehaucht von argerlichem Sinnieren“. In einem inneren Monolog bzw. Bewusstseinsstrom , nur von Gesprachen mit seinen Hausangestellten unterbrochen, lasst er seinen Gedanken uber sein Leben und seine Werke in lockeren Assoziationsreihen freien Lauf und setzt damit zum Goethebild der Außenwelt den Gegenpol einer sich standig erneuernden Personlichkeit:

  • Sein genetisches Erbe und seine Sozialisation.
  • Das geistige Leben und die Natur. Die Verbindung von Gutem und Damonischem (?Ich habe nie von einem Verbrechen gehort, das ich nicht hatte begehen konnen“).
  • Die ?Lebenserneuerung aus dem Geist“ und die wechselseitige Relation zwischen Jugend und Alter: ?Gibt’s nicht Lustigeres als den Verrat an den Anhangern […] wenn man sich selbst uberwindet und die Freiheit gewinnt […] Die Existenz aufgeben, um zu existieren. […] der Mensch kennt die Wiederholung seiner Zustande, die Jugend im Alten, das Alte als Jugend“. ?So solltens die Deutschen halten, darin bin ich ihr Bild und Vorbild. Welt-empfangend und welt-beschenkend, die Herzen weit offen jeder fruchtbaren Bewunderung, groß durch Verstand und Liebe, durch Mittlertum, durch Geist.“ Einerseits fehlt ihm nach Schillers Tod ein ebenburtiger Partner, andererseits fand er immer neue Anregungen und Interessen, z. B. durch die neugotischen Faust- Illustrationen von Cornelius (1816), durch die Sammlung altniederlandischer Gemalde seines Freundes Sulpiz und v. a. durch persische Lyrik und viele Reiseberichte uber orientalische Lander, die ihn zu Gedichten des ? West-ostlichen Divans “ inspirierten.
  • Unzufrieden ist er mit der Rezeption einiger seiner Werke und mit gesellschaftlich-politischen Entwicklungen: Er kritisiert das Unverstandnis der ?grimmig[en]“ Deutschen fur seine sich aus ?Liebe und Parodie“ zusammensetzenden ?Cultur“, wobei ?Menge“ und ?Cultur“, d. i. die ?auserlesene Gesellschaft“, sich nicht ?reimen“, und die seiner Meinung nach zu geringe Wurdigung seiner naturkundlichen Studien durch die Wissenschaft. Die patriotische Begeisterung der jungen Leute im Kampf gegen Napoleon missfallt ihm genauso wie umsturzlerische republikanische Ideen, die Durchschnittsmenschen an der Leitung der Staaten beteiligen wollen und die Ordnung gefahrden.
  • Er reflektiert seine Faust II-Konzeption. Fausts Dienst an der Kaiserpfalz einerseits, die Welt der Antike mit Helena andererseits. Damit verbindet er Gedanken uber mannliche und weibliche Schonheit und das Motiv der Verfuhrung am Beispiel der Ballade Der Gott und die Bajadere : ?die erlittene, die tatig zugefugte -, suße, entsetzliche Beruhrung, von oben kommend, wenns den Gottern so beliebt: Es ist die Sunde, deren wir schuldlos schuldig werden“.

Dazwischen erteilt er seinem Diener Ferdinand , genannt Carl, Auftrage, diktiert ihm einen Entwurf an seinen Fursten uber den Fall Oken , kritisiert seinen Sekretar John wegen dessen Kritik an der Adelsherrschaft und seiner Sympathie fur einen Verfassungsstaat. Anschließend uberbringt ihm sein Sohn die Nachricht von Charlottes Ankunft. Goethe reagiert zuerst nicht darauf und spricht mit August uber Dinge, die ihn gerade interessieren: ein prachtiger Kristall fur seine Mineralien-Sammlung und der Kostumball des Fursten und er macht phantasievolle Vorschlage fur den Mummenschanz . Von August mehrmals an Charlottes Brief erinnert, entscheidet er sich fur die ?ubliche an distinguierte Weimar-Pilger: eine Einladung zum Mittagessen“ in kleiner Runde, die sein Sohn personlich uberbringen soll, und kommentiert: ?Die Vergangenheit verschwort sich mit der Narrheit gegen mich, um Trouble und Unordnung zu stiften. Konnt' sie sich's nicht verkneifen, die Alte, und mir's nicht ersparen?“

Junozimmer
Eingang zum Gelben Saal

Mittagessen im Goethehaus (Kap. 8) [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Die Zeit bis zum Treffen mit Goethe verbringt Charlotte bei ihrer Schwester Amalie Ridel mit Erinnerungen an ihre Geschwister und deren Kinder und Spaziergangen durch Weimar. Am 25. September trifft sich die eingeladene Gesellschaft im Goethehaus und wird von August in der Rolle des Hofmeisters empfangen und ins ?Junozimmer“ gefuhrt. Charlotte tragt ihr weißes Kleid als scherzhafte Erinnerung an die Freundschaft und ist neugierig auf den 67-jahrigen alten Freund und seine humorvolle Reaktion. Professor Meyers Charakterisierung ?Ein Mensch […] der jeden Tag, ja jede Stunde ein anderer ist, wird auch ein anderer geworden sein nach vierundvierzig Jahren“ bestatigt sich fur Charlotte, als der Hausherr seinen ihn erwartenden Gasten gegenubertritt: Sie ?erkannte ihn und erkannte ihn nicht.“ Der gesamte Ablauf hat etwas Zeremonielles, distanziert diplomatisch Unpersonliches: Goethe heißt sie und ihre Tochter mit großer Geste in seinem Haus willkommen. Ihr beider Besuch sei ein ?freudig-werte[r] Anlass“ fur das ?heitere Beisammensein“ der ?liebe[n] Freunde“. Auch in der Sitzordnung werden Charlotte und ihre Schwester als Tischnachbarinnen des Hausherrn an der mit ?mehr als burgerlicher Eleganz“ gedeckten Tafel im ?Gelben Saal“ hervorgehoben, aber es kommt nicht zu einem personlichen Gesprach uber die alte Freundschaft. Goethes patriarchalische Reden in ?wohlgeordnete[r] Sprechweise“ gelten meist der ganzen, gespannt mit ?Liebe und Freude“ an seinen Lippen hangenden 16-kopfigen Tafelrunde, der er hausvaterlich vorsitzt. Er erklart die Herkunft der Weine und des Eger Tafelwassers, verbindet dies mit Reiseanekdoten aus Bohmen, Schillers Wallenstein und der Geschichte des einzigen Uberlebenden eines Judenpogroms in Eger , der von der reuigen Stadt die Burgerrechte verliehen bekam. Im Zusammenhang mit dem Schillerdrama empfiehlt er Charlotte das Weimarer Theater und bietet ihr seine Loge an. Charlotte beobachtet die Kombination von Geistigem und weltlich Reprasentativem in Goethes Auftreten und die unterwurfige Begeisterung seiner ihm lauschenden Gaste, der auch sie sich nicht entziehen kann, mit gemischten Gefuhlen und fragt sich, ob es nicht ?geschmeichelter Knechtssinn“ ist. Bestatigt findet sie diesen Verdacht, als die Gaste uber das von ihnen als lasterlich und absurd empfundene von Goethe vorgetragene Zitat eines Chinesen, ?[d]er große Mann [sei] ein offentliches Ungluck“, ausgelassen lachen.

Nach Tisch erklart zeigt Goethe seinen Gasten seine Kupferstich-, Munzen- und Carlsbader Glasbechersammlungen. Auch daran wird Charlotte deutlich, dass fur ihn Schonheit und Liebe vorwiegend geistige und kunst-asthetisch-metaphorische Erfahrungen sind. Als Abschluss und einzige personliche Geste, will er ihnen den von ihm ?treulich […] in Ehren“ gehaltenen Schattenriss der Familie Kestner zeigen, den er allerdings ?im Durcheinander von bildlichen Dokumenten und Souvenirs“ nur mit Charlottes Hilfe findet. Dann verabschiedet er sich mit den Worten ?leben sie wohl […] Zu lange hat das Leben uns auseinandergehalten, als dass ich nicht von ihm fordern musste, Ihnen wahrend ihres Aufenthaltes wiederholt begegnen zu durfen. Zu danken ist nichts“.

Traumgesprach (Kap. 9) [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Ihre Enttauschung uber den Besuch beim Jugendfreund teilt Charlotte ihrem Sohn August in einem Brief mit: [A 3] ?Nur so viel, ich habe eine neue Bekanntschaft von einem alten Manne gemacht, welcher, wenn ich nicht wusste, dass es Goethe ware, und auch dennoch, keinen angenehmen Eindruck auf mich gemacht hat […] in seiner steifen Art“. [A 4]

Der Autor resumiert zu Beginn des 9. Kapitels: ?Charlotte blieb noch bis gegen Mitte Oktober in Weimar [...] Wir wissen nicht allzuviel uber den Aufenthalt der beruhmten Frau in der ebenfalls so beruhmten Stadt; […] war er auch hauptsachlich dem Zusammensein mit den lieben Verwandten gewidmet, so horen wir doch von mehreren kleineren und selbst ein paar großeren Einladungen, denen sie in diesen Wochen freundlich beiwohnte, und die sich in verschiedenen gesellschaftlichen Cirkeln der Residenz abspielten. […] Den Freund von Wetzlar sah sie bei keinem dieser Ausgange wieder. [A 5] […] Aber auch der Jugendfreund hat ihr einmal, fast schon zu ihrer Uberraschung, in diesen Wochen geschrieben“ und sie gebeten, sich zum Theaterabend am 9. Oktober seiner Kutsche zu bedienen. Er selbst konne nicht teilnehmen, er sei aber oft in Gedanken bei ihr gewesen. Gespielt wird Korners Trauerspiel Rosamunde und sie grubelt als Reaktion darauf uber die ?Grenzen der Menschheit, […] jenseits welcher weder Himmel noch Holle oder sowohl Himmel wie Holle [liegen].“ Auf der Ruckfahrt traumt sie, [A 6] neben Goethe zu sitzen und das bisher vermisste personliche Gesprach zu fuhren: Wahrend er ihr Wiedersehen als ?ein klein Capitel, fragmentarisch“ bezeichnet, gesteht sie ihm, dass sie nach Weimar kam, ?um eine Lust zu bußen, die [ihr] langst die Ruhe stahl: […] in deiner Große dich, worein das Schicksal [ihr] Leben hat verwoben, heimzusuchen und dieser Geschichte einen leidlich versohnlichen Abschluss zur Beruhigung fur [ihren] Lebensabend auszufinden.“ Sie wollte noch einmal ihrer Lebensmoglichkeit als Lotte nachspuren und sie mit ihrer Wirklichkeit vergleichen. Jetzt wird ihr bewusst, dass sie in einer Reihe mit ahnlichen Frauengestalten steht, denn Goethe erklart ihr, dass sie alle ?nur Eine in [s]einer Liebe ? und in [s]einer Schuld“ sind: ?Dies Leben ist nur Wandel der Gestalt, Einheit im Vielen, Dauer in dem Wandel.“ Charlotte sieht in dieser Philosophie der Entsagung zwar einen Gewinn fur den großen Kunstler, aber die Gefahr fur die ?Geringen“, zu verkummern wie Friederike Brion: ?Es ist etwas Furchterliches um die Verkummerung, das sage ich Dir! Und wir Geringen mussen sie meiden und uns ihr entgegenstemmen, aus allen Kraften. […] Bei Dir, da war es was anderes. […] Dein Wirkliches [das Lebenswerk], das sieht nach was aus. Nicht nach Verzicht und Untreue, sondern nach lauter Erfullung und hochster Treue.“ In Goethes Hausgesellschaft habe sie sich nicht wohlgefuhlt, denn es rieche dort in seiner Nahe allzu sehr nach Menschenopfer. Goethe erwidert darauf, auch er opfere sich wie die Licht verbreitende, aber sich verzehrende Kerze: [A 7] ?Einst verbrannte ich dir und verbrenne dir alle Zeit zu Geist und Licht.“ Alles sei Metamorphose: ?In meinem ruhenden Herzen, teure Bilder, mogt ihr ruhen ? und welch freundlicher Augenblick wird es sein, wenn wir dereinst wieder zusammen erwachen.“ [A 8] Mit dem Ausblick auf ein Wiedersehen im Jenseits flustert seine Stimme, bevor sie ?verhaucht“: ?Friede deinem Alter!“.

Der Wagen halt vor dem Hotel und Mager empfangt die Frau Hofratin als Werthers Lotte.

Entstehungsgeschichte und autobiographische Bezuge [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Nach Von der Luhes Untersuchung der Entstehungsgeschichte [3] unter Berucksichtigung u. a. des Kommentars von Frizen [4] ist die Idee vermutlich bereits 1932 entstanden, Lotte in Weimar als lustspielhaftes Gegenstuck zum Tod in Venedig zu verfassen: als ?eine intellektuelle Komodie, um mit den Mitteln der Komik und Parodie der Problematik bedrohter Kunstlerwurde zu begegnen“.

Thomas Manns Goetheportrat ist in vielen Zugen auch Selbstanalyse. Mann fuhlte sich Goethe wesensverwandt. In dem autobiographischen Text Die Entstehung des Doktor Faustus (1949) berichtet er, ?die besten Kapitel von Lotte in Weimar […] unter den, Unerfahrenen nicht zu beschreibenden Qualen einer wohl uber ein halbes Jahr sich hinziehenden infektiosen Ischias geschrieben“ zu haben. ?Nach Nachten, vor deren Wiederholung mich Gott bewahre, […] und in irgendeiner schrag angepaßten Sitzmanier an meinem Schreibtisch vollzog ich danach die Unio mystica mit Ihm, ?dem Stern der schonsten Hohe‘“. [A 9] Eine weitere Eigenschaft, die Gauklerei , [A 10] hat Mann auch bei Goethe entdeckt und lasst sie von Riemer Charlotte Kestner vortragen: man vernehme von Goethe oft Außerungen, ?die den Widerspruch zu sich selber schon in sich enthalten, ? ob um der Wahrheit willen [angesichts der Antinomien des Lebens] oder aus einer Art von Treulosigkeit und ? Eulenspiegelei.“

Am Beispiel der zum Goethe-Kult gesteigerten individuellen und kollektiv-nationalen Verehrung des 19. Jhs. fuhrte der Autor im amerikanischen Exil seinen Plan aus, wobei sich ?Lebens-, Werk- und Zeitgeschichte“ durchdrangen und ?das Verhaltnis von Dichtung und Wahrheit zu einem Vexierspiel mit beiden werden“ ließ. Deutlich erkennbar ist dies im 7. Kapitel in Manns Goethe in den Mund gelegter Kritik an den Deutschen, die sich ?jedem verzuckten Schurken glaubig hingeben, der ihr Niedrigstes aufruft, sie in ihren Lastern bestarkt und sie lehrt, Nationalitat als Isolierung und Rohheit zu begreifen, - dass sie sich immer erst groß und herrlich vorkommen, wenn all ihre Wurde grundlich verspielt […] Unseliges Volk, es wird nicht gut ausgehen mit ihm, denn es will sich selber nicht verstehen“. Auch die Außerungen Goethes im 8. Kapitel, ?schwer zu ergrunden sei angesichts des so erheblichen Beitrags, den [die Juden] der allgemeinen Gesittung geleistet, die uralte Antipathie, die in den Volkern gegen das judische Menschenbild schwele und jeden Augenblick bereit sei, in tatigen Hass aufzuflammen“ und ihn uberkomme zuweilen die Angst, ?es mochte eines Tages der gebundene Welthass gegen das andere Salz der Erde, das Deutschtum, in einem historischen Aufstande frei werden“, sind offenbar Thomas Manns eigene zeitbezogene Gedanken.

Thomas Mann (um 1939)

In diesem Zusammenhang floss die ?Wirklichkeit des Weltgeschehens“ in den Roman ein, die das Grundproblem der ?unauflosbare[n] Ambivalenz der modernen Kunstlerexistenz“ zwischen Leiden und Großen der Meister und Genies und ihre Aufopferung fur die Kunst, wie Thomas Mann seit 1933 sein Dilemma sieht, ins Extreme steigerte. V. a. das 7. Kapitel ist nach Von der Luhe ein ?Werk des Exils“ [A 11] denn die Demontage des Dichterfursten, der ?Wechsel zwischen Verehrung und Verachtung“, uberprufe auch das ?Goethe Bild des deutschsprachigen Exils“, den Dichter als ?Reprasentant eines besseren Deutschlands“. Dabei legte der Autor Goethe ein Problembewusstsein und eigene Gedanken zum Nationalsozialismus in den Mund, die falschlicherweise von Rezipienten als Goethe-Zitate (z. B. ?Wo ich bin…“) verstanden wurden. [A 12]

Nach Frizen ist der Goethe-Roman ein Produkt seiner eigenen Wirkungsgeschichte, ein ?Diskurseffekt“: ?Er ist im elementaren Sinne ein Kunstprodukt, denn Thomas Mann collagiert ihn aus Zitaten und Lesefruchten der unterschiedlichsten Art: aus Werk- und Selbstzitaten, aus den Gesprachen mit Eckermann, aus den Kompendien der Goethe-Philologie des 19. Jhs. und aus Selbstaußerungen Thomas Manns. Intertextualitat, Zitatismus, Mimikry, wechselseitige Spiegelungen.“ Manns Goethe-Roman spiele mit ?Gattungsnormen“ (Biographie, historischer Roman: Schilderung der Zeit- und Familiengeschichte aus den Perspektiven Adele Schopenhauers und August von Goethes, Komodie des Besucherreigens) ebenso mit dem ?Mythos des Gotterlieblings“, [5]

Die Goethe-Rezeption und -Desillusionierung verbindet Thomas Mann mit aktuellen Bezugen zur von Adele Schopenhauer im 5. Kap. ausfuhrlich geschilderten Situation der Weimarer Elite wahrend der napoleonischen Kriege: dem Wechsel von der Sympathie fur Napoleon und seiner politisch-gesellschaftlichen Neuordnung Europas unter franzosischer Fuhrung, bzw. der auch von Goethe vertretenen Humboldtschen Idee eines Weltburgertums zu einem preußisch orientierten Nationalismus, die negativen Erfahrung des Krieges und der Besetzung sowohl durch freundliche als auch feindliche Truppen. Die Isolation des alten Goethe gegenuber der romantisch-nationalbewussten Jugend spiegelt sich in Manns Bekenntnis aus dem Jahr 1936: ?Man ist nicht deutsch, indem man volkisch ist“. [6] V. a. die Kapitel 7 und 8 konnen als ?Kommentare zum Zeitgeschehen“ gelesen werden. In der Fiktion werde Goethe ?zum Sprachrohr gegenwartiger politisch-kunstlerischer Selbstverstandigungsbemuhungen“, aber zugleich wurden ?die eigenen aktuellen Note in der Goethe-Nachfolge, in der fiktiven ?unio mystica? mit dem großen Vorbild objektiviert“. Durch die Verbindung mit der Fiktion lasse der Autor seine Ansichten durch Goethe aussprechen. Dadurch werde ?jene nationale Kulturtradition im Raume der Kunst bewahrt, deren Zerstorung mit der Etablierung des nationalsozialistischen Regimes programmatisch erfolgt war.“ Durch das ?raffinierte Spiel mit Dichtung und Wahrheit“ gelange Mann zu einer ?subversiven, aber zugleich radikalen asthetischen und politischen Opposition gegen die Usurpation Goethes und der Weimarer Klassik durch die nationalsozialistische Ideologie und Politik.“ [7]

Historischer Hintergrund [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Nachricht Goethes vom
9. Okt. 1816 an Charlotte Kestner

Charlotte Kestners Aufenthalt in Weimar, 44 Jahre nach dem Erscheinen des Werther , ist historisch verburgt. Sie besuchte im September und Oktober 1816 zusammen mit ihrer Tochter Clara ihre mit dem Geheimen Kammerrat Cornelius Johann Rudolph Ridel seit 1791 verheiratete jungste Schwester Amalie. [8] Der junge Lizenziat der Rechte Ridel war auf die Bitte von Charlottes Ehemann Johann Christian Kestner von Goethe seinem Fursten empfohlen worden und erhielt 1787 eine Anstellung als Hofrat und Prinzenerzieher. 1799 wechselte er in die sachsen-weimarische Kammerverwaltung und bezog mit seiner Familie eine Wohnung im Haus mit der Palme in der Weimarer Schloßgasse 4.

1816 war Goethes private Situation problembelastet: Seine Frau Christiane starb im Juni 1816 nach langer Krankheit, sein Sohn August warb lange vergeblich um Ottilie von Pogwisch, bis diese schließlich der Heirat im Juni 1817 zustimmte. Literarisch hatte sich Goethe weit von der Sturm-und-Drang-Zeit entfernt. Er interessierte sich fur persische Lyrik und schrieb zusammen mit seiner Muse Marianne von Willemer Gedichte fur die 1819 veroffentlichte Anthologie West-ostlicher Divan . Uber den Besuch Charlotte Kestners in Weimar sind keine detaillierten Aussagen Goethes uberliefert. In seinem Tagebuch erwahnt er am 25. September jenes Jahres als einen Termin u. a. ?Mittag Riedels und Mad. Kastner von Hannover“. Im Besitz der Universitatsbibliothek Leipzig befindet sich eine Nachricht von Goethes Hand an Charlotte Kestner: ?Mogen [im Roman steht dafur ?Wenn‘] Sie sich, verehrte Freundin, heute abend meiner Loge bedienen, so holt mein Wagen Sie ab. Es bedarf keiner Billette. Mein Bedienter zeigt den Weg durchs Parterre. Verzeihen Sie, wenn ich mich nicht selbst einfinde, auch mich bisher nicht habe selbst sehen lassen, ob ich gleich oft in Gedanken bei Ihnen gewesen. Herzlich das Beste wunschend ? Goethe. W.d.9.Oktober 1816“ [9]

Thomas Mann weist in einem Brief an die Ur-ur-Enkelin Charlottes auf einige Unterschiede zwischen Wirklichkeit und Dichtung hin: ?Zu dem Mittagessen waren tatsachlich nur die Verwandten Charlottes, bei denen sie am 22. September eingetroffen war, geladen. Sie wohnte bei diesen und nicht, wie ich es darstellte, im Gasthaus zum Elephanten. Auch fand das Mittagessen nur in diesem engsten Kreise statt und war kein Diner von sechzehn Personen, wie ich es geschildert habe. Begleitet war Charlotte Kestner nicht von ihrer alteren Tochter Charlotte, sondern von einer jungeren namens Clara. […] Das Billet, das Charlotte aus dem Elephanten nach ihrer Ankunft an Goethe richtet, ist von mir frei erfunden.“ [10]

Rezeption [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Wie alle Werke Manns in Deutschland bis zum Ende der Naziherrschaft verboten, wurde das Buch 1946 im Zusammenhang mit dem Nurnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher Gegenstand besonderen Interesses, nachdem der Hauptanklager des britischen Konigreiches, Sir Hartley Shawcross , am Ende seines Schlusspladoyers am 27. Juli 1946 unwissentlich Passagen aus dem Roman als Goethezitate ausgegeben hatte:

"Vor vielen Jahren sagte Goethe vom deutschen Volk, daß eines Tages sein Schicksal es ereilen wurde:
Das Schicksal wird sie schlagen, weil sie sich selbst verrieten und nicht sein wollten, was sie sind. Daß sie den Reiz der Wahrheit nicht kennen, ist zu beklagen, dass ihnen Dunst und Rauch und berserkerisches Unmaß so teuer ist, ist widerwartig. Daß sie sich jedem verruckten Schurken glaubig hingeben, der ihr Niedrigstes aufruft, sie in ihren Lastern bestarkt und sie lehrt, Nationalitat als Isolierung und Roheit zu begreifen, ist miserabel.
Mit welch prophetischer Stimme hat er gesprochen ? denn dies hier sind die wahnwitzigen Schurken, die genau diese Dinge ausgefuhrt haben." [11]

Der Anklager nannte die Fundstelle des Zitates nicht. Eine Woche spater wurde bekannt, dass es dem Goethe-Monolog des 7. Kapitels aus Thomas Manns Roman ?Lotte in Weimar“ entnommen war, wo es wie folgt lautet:

Das Schicksal wird sie schlagen, weil sie sich selbst verrieten und nicht sein wollten, was sie sind. Daß sie den Reiz der Wahrheit nicht kennen, ist zu beklagen, dass ihnen Dunst und Rausch und all berserkerisches Unmaß so teuer ist, ist widerwartig. Daß sie sich jedem verzuckten Schurken glaubig hingeben, der ihr Niedrigstes aufruft, sie in ihren Lastern bestarkt und sie lehrt, Nationalitat als Isolierung und Roheit zu begreifen, […] ist miserabel.

Noch eine weitere Passage aus dem 7. Kapitel hatte Shawcross in seinem Pladoyer wiedergegeben, indem er ganz am Ende der Hoffnung Ausdruck gab, es mochten

"jene anderen Worte von Goethe zur Tat werden, nicht allein, wie wir hoffen, fur das deutsche Volk, sondern fur die gesamte Menschheit:
So sollten es die Deutschen halten... weltempfangend und weltbeschenkend, die Herzen offen jeder fruchtbaren Bewunderung, groß durch Verstand und Liebe, durch Mittlertum und Geist ? so sollten sie sein, das ist ihre Bestimmung. [12]

Die Londoner Tageszeitung Times , die am 29. Juli 1946 Auszuge aus Shawcross' Pladoyer abdruckte, wies spater in ihrer Literaturbeilage ( Times Literary Supplement 12. Oktober 1946) noch einmal auf seinen Irrtum hin. Die Suddeutsche Zeitung widmete sich der Angelegenheit in ihrer Ausgabe vom 30. Juli 1946.

Thomas Mann in Weimar (31.7. 1949)

?In Londoner offiziellen Kreisen schuf“, wie Thomas Mann spater in der ?Entstehung des Doktor Faustus“ schrieb, die Meldung, ?daß Shawcross nicht Goethe, sondern meinen Roman zitiert habe, … gelinde Verlegenheit“. Vom britischen Botschafter in Washington erhielt Thomas Mann am 16. August 1946 in seinem kalifornischen Exil einen Brief mit der Bitte ?um Aufklarung. In meiner Antwort gab ich zu, die ?Times‘ hatten recht, es handele sich um eine von ihren Urhebern gutgemeinte Mystifikation. Doch verburgte ich mich dafur, daß, wenn Goethe nicht wirklich gesagt habe, was der Anklager ihm in den Mund gelegt, er es doch sehr wohl hatte sagen konnen, und in einem hoheren Sinn habe Sir Hartley also doch richtig zitiert.“ Mann raumte allerdings ein, ?komische Verwirrung (...) angerichtet“ zu haben und dass die Angelegenheit ?ein peinliches Vorkommen“ bleibe. [13] Unsicher ist bis heute, ob Erika Mann , die Tochter Thomas Manns, die als Pressebeobachterin dem Prozess beiwohnte, eine Rolle bei der Aufklarung von Shawcross' Irrtum spielte. Uber sein Zustandekommen schrieb Thomas Mann in der ?Entstehung des Doktor Faustus“ Folgendes:

Schon wahrend des Krieges hatten einzelne Exemplare des Romans, aus der Schweiz eingeschmuggelt, in Deutschland kursiert, und Hasser des Regimes hatten aus dem großen Monolog des Siebenten Kapitels, worin das Authentische und Belegbare sich ununterscheidbar mit dem Apokryphen, wenn auch sprachlich und geistig durchaus Angepaßten mischt, einzelne dem deutschen Charakter recht nahetretende und Unheil prophezeiende Dikta ausgezogen, sie vervielfaltigt und sie unter dem Tarnungstitel ?Aus Goethes Gesprachen mit Riemer“ als Flugblatt unter die Leute gebracht. Ein Durchschlag davon oder die Ubersetzung des eigenartigen Falsums war dem britischen Anklager ... vorgelegt worden, und guten Glaubens, verfuhrt durch das Schlagende der Außerungen, hatte er in seinem Plaidoyer ausgiebige Anfuhrungen daraus gemacht.

In der deutschen Offentlichkeit wurde die ?Anklage Goethes gegen die Deutschen“ mit geteiltem Echo aufgenommen: Einige betrachteten das Zitat als zutreffende Beschreibung der Mentalitat wahrend der Nazijahre und letztlich gerechtfertigte Kritik, andere sahen Shawcross' Missgeschick als einen Beleg dafur, dass der Nurnberger Prozess ?Siegerjustiz“ und eine ?inszenatorische Darbietung“ mit vorher feststehendem Ausgang gewesen sei.

In den 1960er Jahren entzundete sich eine ahnliche Debatte an dem Eingestandnis des monologisierenden Roman-Goethe: ?Ich habe nie von einem Verbrechen gehort, das ich nicht hatte begehen konnen.“ Bei Goethe selbst, in den Maximen und Reflexionen , findet sich indes nur: ?Man darf nur alt werden, um milder zu sein; ich sehe keinen Fehler begehen, den ich nicht auch begangen hatte.“ Allerdings auch: ?Der Handelnde ist immer gewissenlos; es hat niemand Gewissen als der Betrachtende.“ [14] Das Salzburger Volksblatt und die Deutsche National-Zeitung und Soldatenzeitung schrieben 1965 von einem ?erbarmliche(n) Betrug“: ?Mann falschte Goethe in antideutschem Sinn“ [27. August 1965]. Louis Glatt nannte Manns Formulierung 1966 ein ?unwurdiges Attentat auf die geistige und sittliche Gestalt Goethes“ (?Zur Echtheit eines Goethe-Zitats bei Thomas Mann“, in: ?Neue Folge des Jahrbuchs der Goethe Gesellschaft“ vom 28. August 1966, S. 310?314). [15]

Adaptionen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Film [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Theater [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

UA: Theater Lubeck 2013 Regie: Pit Holzwarth. [17]

Lesung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Horspiel [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • 2004: Regie: Christian Jauslin. Sprecher: Dinah Hinz, Susanne Frobe, Michael Maassen. (81 Min). [19]

Ausgaben [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Thomas Mann: Lotte in Weimar. Roman . Bermann-Fischer, Stockholm 1939 (Erstausgabe)
  • Thomas Mann: Lotte in Weimar. Text und Kommentar. Große Kommentierte Frankfurter Ausgabe in zwei Banden. Herausgegeben von Werner Frizen . S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2003, Textband ISBN 3-10-048336-7 , Kommentarband ISBN 3-10-048335-9 .

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Stefan Zweig : Thomas Mann, ?Lotte in Weimar“ , in: Rezensionen 1902?1939. Begegnungen mit Buchern . 1983 ( E-Text )

Anmerkungen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Caroline von Egloffstein schreibt uber Goethe (April 1818): ?Wir haben bis jetzt unsere Musenscherze vor Goethe heimlich gehalten, weil er die dichtenden Frauen haßt und wir von ihm geliebt sein wollen; allein er weiß es nun und ? unparteiisch wie die Liebe ist ? findet er den Musenverein geistreich und wohlgethan!? ? O, unparteiischer Mann! Er hat sich sogar uber meine Kritik der Schriftsteller hochlichst ergotzt.“ (Zitat Nr. 716: zeno.org )
  2. Thomas Mann nutzte als Hauptquelle seiner Charakterisierung die 1918 erschienene August-Biografie Bodes : Goethes Sohn (Golo Maurer: Dieser arme Sohn . In: Die Zeit Nr. 8, 16. Februar 2023)
  3. Brief vom 4. Oktober 1816 (eckhard-ullrich: mein-goethe-lotte-in-weimar)
  4. Thomas Mann zitiert hier aus einem historischen Brief (Thomas Manns am 18. Juni 1951 an Charlotte Kestner, eine Nachfahrin der Titelheldin). ?Steife Art“ kann sich sowohl auf Goethes Formlichkeit beziehen, als auch auf seine Art, sich zu bewegen. Goethes Rumpf-Motilitat war in dieser Lebensphase eingeschrankt durch eine knocherne Verwachsung von acht Brustwirbeln [T 5 ?12]. Dazu waren rechts funf Rippen [T 6 -10], die normalerweise mit den zugehorigen Wirbeln durch Gelenke verbunden sind, durch Verknocherungen dieser Gelenke mit den jeweiligen Wirbelkorpern verfestigt. (Herbert Ullrich: Goethes Skelett ? Goethes Gestalt. In: Goethe-Jahrbuch 2006, S. 167?187).
  5. Von Goethe gibt es drei Tagebucheintragungen uber Charlotte Kestner: vom 25. September, vom 14. und vom 19. Oktober sowie die knappe Notiz in den ?Tag- und Jahresheften“. 1. Mittag Riedels und Mad. Kastner von Hannover. 25. Sept. 2. Abends bey Canzler von Muller: Egloffsteins, Kastners, Riedels. (14. Oktober). 3. Frau Hofrath Kastner und Coudray in der Loge. (19. Oktober). Lotte in Weimar . eckhard-ullrich.de
  6. Wie am Auftauchen und Verschwinden Goethes in der dunklen Kutsche erkennbar ist, entspringt die ?Erscheinung“ und ?Stimme“ Charlottes Phantasie, auch wenn der Inhalt des Gesprachs (insbesondere das darin zum Ausdruck kommende kunstlerische Credo Goethes) nicht ihrer Perspektive, sondern vielmehr der Thomas Mann entspricht. Diese Lesart wird durch den Autor selbst gestutzt. Er betont in seinem Brief vom 28. Mai 1951 an Henry Hatfield, dass es sich dort ?durchaus um ein Geistergesprach, eine Traumerei der aus dem Theater kommenden Lotte handelt, die aus sich selbst heraus genotigt ist, dem Roman etwas wie ein happy end zu geben“.
  7. Thomas Mann paraphrasiert die Flammen-Metaphorik des Divan-Gedichtes ?Selige Sehnsucht“. Gleichnishaft sieht Goethe im Roman den Dichter als Falter, der in der ?todlich lockenden Flamme“ der Kunst verbrenne, ?Leben und Leib“ opfernd ?zu geistiger Wandlung“
  8. Thomas Mann lasst hier Goethe sich selbst zitieren. Der Schlusssatz des Romans Die Wahlverwandtschaften ist fast identisch: ?welch ein freundlicher Augenblick wird es sein, wenn sie dereinst wieder zusammen erwachen.“ Zugleich erinnert die Situation an den Abschied Werthers von Lotte und Albert am Ende des ersten Romanteils: ?Wir werden uns wieder sehen“.
  9. S. 11; zu ?Stern der schonsten Hohe“ vgl. Dorothea Holscher-Lohmeyer: Johann Wolfgang Goethe S. 112 in der Google-Buchsuche
  10. Thomas Mann: ?Nun, was vom Gaukler in mir ist ? und im Kunstlermenschen uberhaupt ?, habe ich fruh denunziert, bin humoristisch daruber zu Gericht gesessen […].“ (am 29. Dezember 1953 an Hans Mayer )
  11. Das Werk entstand laut Thomas Manns Tagebuch zwischen dem 11. November 1936 und dem 25. Oktober 1939.
  12. Einige Außerungen wurden spater im Nurnberger Hauptkriegsverbrecherprozess zitiert, siehe unten im Abschnitt Rezeption

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. im Bermann-Fischer Verlag in Stockholm
  2. https://www.textlog.de/goethe/gedichte/fliegentod
  3. Irmela von der Luhe: Lotte in Weimar ? Thomas Manns Goethe zwischen Dichtung und Wahrheit . In: Thomas Mann Jahrbuch, Bd. 22 (2009), S. 9?21.
  4. Thomas Mann: Lotte in Weimar. Kommentar . Hrsg.: Werner Frizen. In Große kommentierte Frankfurter Ausgabe (GKFA) Bd. 9,2, (2003)
  5. Irmela von der Luhe: Lotte in Weimar ? Thomas Manns Goethe zwischen Dichtung und Wahrheit . In: Thomas Mann Jahrbuch, Bd. 22 (2009), S. 16 ff.
  6. zitiert in: Irmela von der Luhe: Lotte in Weimar ? Thomas Manns Goethe zwischen Dichtung und Wahrheit . In: Thomas Mann Jahrbuch, Bd. 22 (2009), S. 9
  7. Irmela von der Luhe: Lotte in Weimar ? Thomas Manns Goethe zwischen Dichtung und Wahrheit . In: Thomas Mann Jahrbuch, Bd. 22 (2009), S. 10.
  8. Lotte in Weimar , eckhard-ullrich.de
  9. Katalog er Ausstellung ≪450 Jahre Universitatsbibliothek Leipzig 1543?1993, 2. Aufl., S. 78 mit Abb.≫
  10. Thomas Mann am 18. Juni 1951 an Charlotte Kestner, Ur-ur-Enkelin von Charlotte Kestner, geb. Buff.
  11. Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem internationalen Militargerichtshof. Nurnberg 14. November 1945 ? 1. Oktober 1946. Bd. 19, Nurnberg 1948, S. 592. http://www.zeno.org/Geschichte/M/Der+N%C3%BCrnberger+Proze%C3%9F/Hauptverhandlungen/Einhundertachtundachtzigster+Tag.+Samstag,+27.+Juli+1946/Vormittagssitzung
  12. Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem internationalen Militargerichtshof . Nurnberg 14. November 1945 ? 1. Oktober 1946. Bd. 19, Nurnberg 1948, S. 593. http://www.zeno.org/Geschichte/M/Der+N%C3%BCrnberger+Proze%C3%9F/Hauptverhandlungen/Einhundertachtundachtzigster+Tag.+Samstag,+27.+Juli+1946/Vormittagssitzung
  13. Brief an Viktor Mann vom 4. Oktober 1946
  14. http://www.zeno.org/Literatur/M/Goethe,+Johann+Wolfgang/Aphorismen+und+Aufzeichnungen/Maximen+und+Reflexionen/Aus+%C2%BBKunst+und+Altertum%C2%AB/F%C3%BCnften+Bandes+erstes+Heft.+1824
  15. Lotte in Weimar. Text und Kommentar. Große Kommentierte Frankfurter Ausgabe in zwei Banden. Kommentar von Werner Frizen. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2003, ISBN 3-10-048335-9 , S. 171
  16. Lotte in Weimar auf progress-film.de ( Memento vom 2. Oktober 2012 im Internet Archive )
  17. S. Fischer Verlag GmbH, Theater & Medien Frankfurt am Main
  18. 13 Audio-CDs, Universal Music
  19. Der Horverlag

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Commons : Lotte in Weimar  ? Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien