Das
Londoner Statut
(vollstandiger amtlicher Titel:
Londoner Viermachte-Abkommen vom 8. August 1945
, auch
Londoner Charta
oder
Nurnberger Charta
) legte Rechtsgrundlagen und Prozessordnung des Internationalen und der amerikanischen Militargerichtshofe fest, die fur die
Nurnberger Prozesse
ins Leben gerufen wurden. Am 8. August 1945 wurde auf der
Londoner Konferenz
das
Londoner Viermachte-Abkommen
von Vertretern der
Hauptalliierten
des
Zweiten Weltkriegs
unterzeichnet. Das
Statut
des
Internationalen Militargerichtshofs
war ein Annex dieses Abkommens.
[1]
Es wird heute als ?Geburtsurkunde des
Volkerstrafrechts
“ angesehen.
[2]
In
materiell-rechtlicher
Hinsicht bildete das Londoner Statut die Basis des
Kontrollratsgesetz Nr. 10
, das die Justizbehorden der alliierten
Militarregierungen
der Strafverfolgung in den
Nurnberger Nachfolgeprozessen
zugrunde legten.
Das Statut baute auf der ?
Erklarung zu den deutschen Graueltaten
“ (
Declaration of German Atrocities
) auf, die auf der Moskauer
Drei-Machte-Konferenz
im Oktober 1943 von den
Vereinigten Staaten von Amerika
, der
Sowjetunion
und
Großbritannien
unterzeichnet wurde. Das Gericht sollte fur solche Kriegsverbrecher zustandig sein, ?fur deren Verbrechen ein geographisch bestimmter Ort nicht gegeben ist“. Andere Kriegsverbrecher sollten entsprechend der Moskauer Erklarung in die Lander uberfuhrt werden, in denen sie ihre Verbrechen begangen hatten, und dort vor nationale Gerichte gestellt werden.
Der Text des Statuts wurde von den Rechtsdelegationen der vier alliierten Machte beraten, die unter der Fuhrung des britischen
Lordkanzlers
Sir
William Jowitt
, der Sir
David Maxwell Fyfe
nach der Auflosung der
Kriegsregierung Churchills
abloste, in London tagten. Die amerikanische Delegation wurde vom Richter am
Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten
Robert H. Jackson
geleitet, die franzosische vom Richter am Pariser
Cour de cassation
Robert Falco
. Der stellvertretende Vorsitzende des
Obersten Sowjetischen Gerichtshofs
Iona Nikittschenko
war Leiter der sowjetischen Delegation und
Kronanwalt
Sir
Hartley Shawcross
der britische Delegationsleiter.
Das Londoner Statut wurde von den USA, der Sowjetunion und Großbritannien unterzeichnet, zusatzlich aber auch von der
Provisorischen Regierung der Franzosischen Republik
. Es sah eine Beitrittsmoglichkeit fur weitere Lander der
Vereinten Nationen
vor.
[3]
Die vier Signatarmachte stellten auch je einen Richter fur den Internationalen Militargerichtshof in Nurnberg, der den
Nurnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher
fuhrte.
Das Statut bestimmte, dass ein Internationaler Militargerichtshof gebildet werden sollte, der Hauptkriegsverbrecher der europaischen
Achsenmachte
aburteilen und bestrafen sollte. Er sollte insbesondere das Recht haben, alle Personen abzuurteilen, die einzeln, als Mitglieder einer Organisation oder Gruppe folgende Verbrechen begingen:
Zwei dieser Kategorien waren zuvor nicht kodifizierte
Strafnormen
des
Volkerrechts
. Unter ?Verbrechen gegen den Frieden“ wurde Planung, Einleitung und Durchfuhrung eines
Angriffskriegs
verstanden, sowie die Beteiligung an einem gemeinsamen Plan oder an einer Verschworung dazu. Als ?Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ wurden diejenigen Maßnahmen definiert, die sich abseits der Kriegshandlungen gegen die Zivilbevolkerung eines Landes richteten. Darunter fielen die Ermordung, Versklavung und Deportation von Zivilisten, Verfolgungen aus politischen, rassistischen oder religiosen Grunden. Damit war die Problematik der
Ruckwirkung
gegeben, weil die Gesetze zum Zeitpunkt der Begehung dieser Taten nicht bestanden.
Im Statut wurde außerdem geregelt, dass eine Amtsposition weder ein Strafhindernis sein noch sich
strafmildernd
auswirken sollte. Damit wurde die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Regierungsangehorigen etabliert. Auch die Strafbarkeit der Ausfuhrung
verbrecherischer Befehle
wurde festgelegt, wobei jedoch dem Militargerichtshof ein
Ermessensspielraum
eingeraumt wurde, die
Gehorsamspflicht
als strafmildernd einzustufen.
In verfahrensmaßiger Hinsicht ubernahm das Statut weitgehend
angelsachsische Rechtstradition
. Entsprechende Regelungen zur Prozessordnung im Statut
[4]
ermoglichten es dem Gericht, auf Protokolle der Anklagebehorde aus der Vernehmung von Zeugen und Auskunftspersonen (so genannte
Affidavits
) zuruckzugreifen. Diese Personen mussten vom Gericht nicht selbst angehort werden. Beweismaterial konnten die Richter zuruckweisen, wenn es ihnen als ?unerheblich“ erschien. Nicht nur diese Regelungen sollten fur die rasche Abwicklung der Prozesse sorgen, sondern es sollte den Angeklagten außerdem die Moglichkeit genommen werden, den Prozess durch den Vorwurf in die Lange zu ziehen, auch die Alliierten hatten Kriegsverbrechen begangen (?
tu quoque
“).
[5]
Zusatzlich konnten sie eigene Beweise zu ihrer Entlastung vorlegen und Zeugen ins Kreuzverhor nehmen. Das Urteil war nach Art. 26 endgultig und unanfechtbar.
Das Statut war auch die Grundlage fur die
finnische
Rechtsordnung, die vom finnischen Parlament am 11. September 1945 verabschiedet wurde und die Kriegsschuld-Prozesse in Finnland ermoglichte.
- ↑
Statut fur den Internationalen Militargerichtshof vom 8. August 1945
, Universitat Marburg, abgerufen am 18. Mai 2017.
- ↑
Gerhard Werle
und
Florian Jeßberger
:
Volkerstrafrecht
, 3. Auflage, Tubingen 2012, Rn. 15.
eingeschrankte Vorschau
in der Google-Buchsuche
- ↑
Griechenland, Danemark, Jugoslawien, die Niederlande, die Tschechoslowakei, Polen, Belgien, Abessinien, Australien, Honduras, Norwegen, Panama, Luxemburg, Haiti, Neuseeland, Indien, Venezuela, Uruguay und Paraguay traten dem Abkommen bei.
- ↑
Vgl. Art. 19 des Statuts des Internationalen Militartribunals.
- ↑
Annette Weinke
:
Die Nurnberger Prozesse
. C .H. Beck, 2015,
ISBN 3-406-53604-2
,
S.
23
(
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