Kausalitat
(von
lateinisch
causa
, ?Ursache“, und
causalis
, ?ursachlich,
kausal
“) ist die
Beziehung
zwischen
Ursache
und
Wirkung
. Sie betrifft die Abfolge von
Ereignissen
und
Zustanden
, die aufeinander bezogen sind. Demnach ist
A
die Ursache fur die Wirkung
B
, wenn
B
von
A
erzeugt wird.
Vom Begriff der Ursache werden im Alltag oft die Begriffe
Grund
,
Anlass
und
Bedingung (
Voraussetzung
)
unterschieden; uber die genaue Abgrenzung herrscht allerdings keine Einigkeit. Meistens gilt:
- die
Bedingung
als eine besondere Art der Ursache, namlich eine zeitlich streng vor der Wirkung liegende und in irgendeiner Weise besonders herausragende, ohne die eine entsprechende Wirkung nicht eintritt;
- der
Anlass
als
zufalliger
, ?unwesentlicher“ Ausloser einer Wirkung neben einer ?eigentlichen“, ?wesentlichen“ Ursache;
- der Begriff
Grund
als Element rationaler Uberlegungen oder Begrundungen im Gegensatz zur
Naturkausalitat
.
Unterschieden werden
monokausale
und
multikausale
Erklarungen von Ereignissen und Phanomenen. Bei einer monokausalen Erklarung wird angenommen, dass
genau ein
(
altgriechisch
μ?νο?
monos
?alleinig‘, ?einzig‘) Ereignis ein weiteres Ereignis verursacht. Es ist auch moglich, dass dieses
eine
ursachliche Ereignis mehrere Wirkungen entfaltet. Bei einer multikausalen Erklarung sind mehrere (
lateinisch
multi
?viele‘) Ursachen im Spiel. Sie bewirken ein oder auch mehrere Ereignisse.
In einer
Kausalkette
(auch
Wirkungskette
oder
Ursache-Wirkungs-Kette
genannt) bewirkt ein Ereignis ein anderes, das selbst wiederum ein weiteres Ereignis bewirkt usw. ? bis das letzte Ereignis der Kette bewirkt wurde. Die Ursachen sind in ihr streng
zeitlich nacheinander gereiht
und durchweg voneinander
abhangig
.
Die moderne
Geschichtswissenschaft
erklart jedes Ereignis multikausal.
Historiker
stehen vor dem Problem, eine große Zahl von teils miteinander
interdependenten
Ursachen gewichten und strukturieren zu mussen. Dazu rechnen etwa Personen,
Institutionen
, Handlungen, Ereignisse,
Strukturen
,
Prozesse
,
Mentalitaten
und
Ideologien
, die jeweils kurz-, mittel- oder langfristig wirken konnen. Auch der Zufall wird nicht ausgeschlossen. Der Althistoriker
Alexander Demandt
etwa listet in seinem 1984 erschienenen Werk uber den
Untergang des Romischen Reiches
210 Kausalfaktoren auf, die von der Nachwelt zu dessen Erklarung angefuhrt wurden.
[1]
Mit Bezug auf den Aufstieg des
Nationalsozialismus
schreibt der Historiker
Kurt Bauer
: ?Monokausale Erklarungsansatze versagen klaglich, wenn es um komplexe Ursachen und Zusammenhange geht, die den Nationalsozialismus geschichtsmachtig werden ließen.“
[2]
In den
Sozialwissenschaften
gelten monokausale Erklarungen als Ausfluss einseitiger
Weltanschauungen
und Ideologien, die, wie das
Worterbuch der Soziologie
urteilt, ?fur die modernen praxisbezogenen
Erfahrungswissenschaften
allenfalls als Ausgangsprobleme verwertbar“ seien.
[3]
Sie werden haufig als unterkomplex abgetan.
[4]
So kritisieren etwa die niederlandischen Soziologen Hans van der Loo und
Willem van Reijen
die
marxistische
Grundannahme, die
soziookonomische
?Basis“
wurde stets bestimmen, was im ?Uberbau“, also in
Politik
,
Recht
oder
Kultur
geschehe, als monokausal. Man musse vielmehr davon ausgehen, dass es eine gegenseitige Beeinflussung der diversen Handlungsfelder gebe, ohne dass sich ein
Primat des einen
oder
des anderen
nachweisen lasse.
[5]
Monokausale Erklarungen sind typisch fur
Verschworungstheorien
, in denen alle moglichen Ereignisse einzig den Machenschaften der als extrem machtig imaginierten Verschworer zugeschrieben werden.
[6]
Die Kausalordnung ist eine
Halbordnung
, die als
Relation
der kausalen Abhangigkeit innerhalb einer Menge von Ereignissen definiert wird: Ein Ereignis A ist die Ursache von Ereignis B (A < B) oder umgekehrt (A > B), oder die Ereignisse beeinflussen sich gegenseitig nicht (A || B), das heißt: A und B sind
kausal unabhangig
oder
nebenlaufig
. Außerdem wird die Kausalitat von den meisten Theoretikern als
transitiv
betrachtet: Wenn das Ereignis A eine Ursache von B und B eine Ursache von C ist, dann ist A auch eine Ursache von C (wenn A < B und B < C ist, dann ist auch A < C). Andere wenden dagegen ein, dass zumindest unsere gewohnliche Urteilspraxis bezuglich der Kausalitat nicht transitiv ist, da wir bei der Suche nach der Ursache eines Ereignisses stets nach dem unmittelbar verursachenden Ereignis forschen.
Die kausale Abhangigkeit und die sich daraus ergebende Kausalordnung sind sehr wichtig in verschiedenen Wissenschaftszweigen. Insbesondere wird in einigen Bereichen der Physik, Informatik und Philosophie die
Zeit
an sich uber die Kausalordnung definiert, statt umgekehrt (siehe
Happened-Before-Relation
). Der Begriff der ?
Gleichzeitigkeit
“ verliert dann an Bedeutung, man spricht stattdessen von
kausal unabhangigen
Ereignissen. Ob zwei solche Ereignisse auch gleichzeitig erscheinen, hangt ganzlich vom Standpunkt des Beobachters ab.
In der Physik besagt das Kausalitatsgesetz, dass es keine Wirkung ohne Ursache gibt. Es hangt damit eng mit der Forderung nach
Determinismus
zusammen: Kennt man den Zustand eines Systems in allen Parametern, so kann man daraus mit Hilfe der Naturgesetze einen zukunftigen Zustand berechnen.
[7]
Max Born
hingegen hebt hervor, dass Kausalitat durch zwei Eigenschaften gepragt ist, namlich die
Nahwirkung
und die Aufeinanderfolge. Beide Eigenschaften sind in der newtonschen Gravitation verletzt, die davon ausgeht, dass die Gravitation eine instantane Fernwirkung besitzt. Dies wird durch die Einfuhrung des
Feldbegriffs
durch
Michael Faraday
und der Grenzgeschwindigkeit in Einsteins Relativitatstheorie korrigiert.
[8]
In der Quantenmechanik wird das Prinzip der Kausalitat durch eine große Anzahl von Messungen aufrechterhalten, die sich im Mittel wieder kausal verhalten.
[9]
Kausalitat impliziert eine
strenge Halbordnung
:
- Die Ursache der Ursache einer Wirkung ist auch (indirekte) Ursache der Wirkung selbst (Transitivitat).
- Eine Wirkung darf nicht direkte oder indirekte Ursache ihrer selbst sein (Irreflexivitat), da sonst Widerspruche auftreten konnen, wie zum Beispiel das
Großvater-Paradoxon
.
In der
klassischen Mechanik
ist es aufgrund der angenommenen instantanen Fernwirkung und der damit verbundenen Gleichzeitigkeit bestimmter Ereignisse schwierig, eine Kausalordnung zu definieren, in der die Ursache
vor
der Wirkung stattfindet. Wenn im
dritten newtonschen Axiom
von ?actio“ und ?reactio“ die Rede ist, so finden beide gleichzeitig statt. Newton hatte dabei keinen Kausalzusammenhang im Sinn, sondern stellte als Grundlage der Dynamik auf, dass beide Krafte eben gleich groß und entgegengesetzt sind.
Was Max Born mit ?Aufeinanderfolge“ meint, ist in der klassischen Physik leicht auszudrucken: Die Ereignisse, die ein bestimmtes Ereignis kausal beeinflussen konnen (also [Mit-]Ursache dieses Ereignisses sein konnen), liegen in der Vergangenheit dieses Ereignisses. Umgekehrt liegen die Ereignisse, die von einem bestimmten Ereignis kausal beeinflusst werden konnen, in der Zukunft dieses Ereignisses.
In der Relativitatstheorie hingegen hat die
Relativitat der Gleichzeitigkeit
zur Folge, dass es bei zwei Ereignissen vom
Bezugssystem
abhangt, welches Ereignis fruher oder spater stattfindet. Dies scheint die Einfuhrung einer Kausalitatsordnung zu erschweren. Da sich Wirkungen aber maximal mit
Lichtgeschwindigkeit
ausbreiten konnen, ist die Vergangenheit ein
Kegel
in der
Raumzeit
, der so genannte
Vergangenheitslichtkegel
(man spricht dabei auch von der
absoluten Vergangenheit
); ebenso ist die Zukunft durch den
Zukunftslichtkegel
gegeben.
Sowohl die
spezielle Relativitatstheorie
als auch die
allgemeine Relativitatstheorie
stimmen in der Beschreibung von Kausalitat bis hierhin uberein. Die
Krummung
als zusatzliche Eigenschaft der Raumzeit in der allgemeinen Relativitatstheorie verkompliziert die
Kausalstruktur
, denn sie kann bewirken, dass sich die Zukunfts- und Vergangenheitskegel eines Ereignisses schneiden (siehe
Kausalstruktur: Diamant-Menge von Raumzeitpunkten/Kausaldiamant
). Damit konnen geschlossene Kurven auftreten, entlang derer sich die Zeit immer vorwarts bewegte. Fur einen Beobachter auf so einer geschlossenen
Weltlinie
traten zwar alle Ereignisse geordnet nacheinander ein, aber sie wiederholten sich nach einem Durchlauf der Schleife, wodurch kein Anfang oder Ende der Kausalordnung festgestellt werden kann. Nur in so genannten
kausalen Raumzeiten
sind Vergangenheits- und Zukunftslichtkegel
getrennt
.
Die
Kopenhagener Deutung
der
Quantenmechanik
lehrt, dass wir auf Grund prinzipiell einschrankender Naturgesetze lediglich die
Wahrscheinlichkeit
von spateren Beobachtungen vorhersagen konnen ? was im einzelnen Fall nun tatsachlich geschieht, hangt vom
objektiven Zufall
ab (siehe
Kollaps der Wellenfunktion
). Obwohl sich die Natur also auf mikroskopischer Ebene nicht deterministisch verhalt, ist sie im folgenden Sinne kausal: Nur wenn alle physikalisch moglichen Zustande
B
in Abhangigkeit von Zustand
A
abgeleitet werden konnen, kann man von Kausalitat sprechen. Ergibt sich
B
jedoch auch aus
C
, ist
A
nicht die Ursache von
B
. Hierbei ist zu beachten, dass Determinismus eine viel starkere Aussage beinhaltet als die schiere Kausalitat. Zudem ist eine Situation vorstellbar, in der ein einzelnes Ereignis zugleich Ursache und Wirkung eines anderen Ereignisses sein kann, auch wenn dies unseren Alltagserfahrungen widerspricht.
[10]
Die
De-Broglie-Bohm-Theorie
ist eine deterministische Interpretation der Quantenmechanik, die Unvorhersagbarkeit der zukunftigen Systemzustande ergibt sich bei dieser Interpretation aus einer nicht ausreichend genauen Kenntnis der
Anfangsbedingungen
.
Der
ontologische
Zufall der Kopenhagener Deutung wird in der De-Broglie-Bohm-Theorie durch eine
epistemische
(erkenntnistheoretische) Unbestimmbarkeit ersetzt.
Die Frage, ob jedes physikalische Ereignis
eindeutig
durch eine Menge von Ursachen vorherbestimmt ist, ob also das Universum als Ganzes
deterministisch
ist, scheint in der Quantenmechanik somit nicht mit einem klaren Ja beantwortet werden zu konnen.
Albert Einstein
sagte dazu: ?Gott wurfelt nicht“. Was uns als
Zufall
erscheint, hangt demnach in Wirklichkeit nur von unbekannten Ursachen ab. Auch der
freie Wille
des Menschen ware schiere Illusion. Einstein zog hier eine Parallele zur
Unfreiheit des Willens
nach
Schopenhauer
. Diese Ansicht Einsteins fuhrte ihn zu der erst Jahre nach seinem Tode
falsifizierten
Ansicht, dass die
Quantenmechanik
durch sogenannte ?
verborgene Variablen
“ erganzt werden musse (siehe auch
EPR-Paradoxon
und
Bellsche Ungleichung
).
Allerdings ist der Satz vom nichtwurfelnden Gott kaum haltbar, wie die Geschichte der Physik im 20. Jahrhundert gezeigt hat. Schon in den Gesprachen mit
Niels Bohr
wahrend der 1920er Jahre bekam Einstein den Widerspruch zu spuren. ??Gott wurfelt nicht‘, das war ein Grundsatz, der fur Einstein unerschutterlich feststand, an dem er nicht rutteln lassen wollte. Bohr konnte darauf nur antworten: ?Aber es kann doch nicht unsere Aufgabe sein, Gott vorzuschreiben, wie Er die Welt regieren soll.‘“
[11]
Obwohl Einstein einen großen Ruf als Wissenschaftler hatte, blieb seine Ansicht die einer Minderheit, und heute, fast sechzig Jahre nach seinem Tod, haben verfeinerte Experimente Einsteins Position noch weiter geschwacht. ?Die jungsten quantenoptischen Experimente durften genugen, Einstein im Grabe rotieren zu lassen.“ (
Paul Davies
)
[12]
Wahrend die Betrachtung einer Ursache und einer Wirkung als
schwache
Kausalitat bezeichnet wird, verlangt die
starke
Kausalitat, dass leichte Variationen in den Anfangsbedingungen nur leichte Variationen in den Wirkungen verursachen. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn sich die Anfangsbedingungen in der Nahe eines
labilen Gleichgewichts
befinden: Ein kleiner Stoß auf eine Kugel, die sich im labilen Gleichgewicht auf einem Berggipfel befindet, kann alle moglichen Richtungen bewirken, in die die Kugel rollt. Dies fuhrt im Rahmen der Chaostheorie beispielsweise zur Frage, ob der Schlag eines Schmetterlingsflugels in Brasilien einen Tornado in Texas verursachen kann.
[13]
In der Informatik spielt Kausalitat auf zwei Arten eine große Rolle: einerseits als nachtragliche Aussage daruber, welche Ereignisse zu welchen anderen Ereignissen gefuhrt haben. Das ist vor allem bei einer Kommunikation in
Verteilten Systemen
mit mehreren Sendern und Empfangern wichtig, zum Beispiel um sicherzustellen, dass Anweisungen in der richtigen Reihenfolge ausgefuhrt werden, auch dann, wenn sich Nachrichten im Netzwerk uberholen. Zu diesem Zweck werden vor allem
Logische Uhren
eingesetzt, die es erlauben, aufgrund von
Zeitstempeln
die
Kausalordnung
von Ereignissen zu bestimmen.
Andererseits kann man bei
Computerprogrammen
leicht im Vorhinein sagen, welche Aktion welche
Daten
benotigt, und von wo diese bereitgestellt werden. So ergibt sich eine Kausalordnung daruber, welche Operation das Resultat welcher anderen benotigt. So konnen Ablaufe entsprechend geplant und insbesondere
sequentialisiert
oder
parallelisiert
werden.
Forschende erhoffen sich, dass Methoden des
maschinellen Lernens
wie
Reinforcement Learning
kunftig noch mehr zum Verstandnis realer Kausalitaten anwendungsnaherer Wissenschaftszweige wie unten genannter oder
Politikgestaltung
beitragen konnen (
causal machine learning
).
[14]
In der Systemtheorie bezeichnet man ein System als ?kausal“, wenn seine Ausgangswerte nur von den aktuellen und vergangenen Eingangswerten abhangen. Die Sprungantwort oder Impulsantwort eines solchen Systems verschwindet fur negative Zeiten. Ein System, das nicht kausal ist, bezeichnet man als
akausales System
.
Die
vorsokratische
griechische Philosophie fragte nach dem ?Urgrund“ allen Seins. Dies ist allerdings nicht nur mit dem Suchen einer ?Ursache“ im heutigen Gebrauch des Wortes zu verstehen. Vielmehr suchten sie nach einer Art Urstoff oder einem allumfassenden Prinzip, dem
Arche
bzw. in Prinzipien wie dem Warmen, dem Kalten, dem Feuer oder der Luft.
Der Begriff der Ursache (
aition
bzw.
aitios
,
aitia
, griech.: α?τιον, α?τιο?, α?τια) hatte zunachst eine moralisch-juristische Bedeutung und bezeichnet einen Verantwortlichen oder Schuldigen. Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. wurde er von den
hippokratischen
Arzten zur Bezeichnung der Ursachen von Krankheiten (siehe auch den Begriff der
Atiologie
) und damit zum ersten Mal eindeutig im kausalen Sinn verwendet. Auch wurde zwischen Krankheit und
Krankheitssymptomen
bzw. Anzeichen von Krankheit unterschieden, wahrend ein Begriff fur die Wirkung noch fehlte.
[15]
Demokrit
war einer der ersten Philosophen, der die Vorstellung einer umfassenden Kausalitat im Sinne von Ursachen und Wirkungen vertrat.
Platon
setzt die Wirkung mit dem Werdenden gleich. Jedes Werdende muss eine Ursache haben. Er kritisiert jedoch die Annahme, dass Prinzipien die Ursachen fur ein Jegliches seien. Diese stehen in keinem notwendigen Zusammenhang mit den zu erklarenden Gegebenheiten. Ein und dasselbe konne nicht Ursache fur Gegensatzliches sein, und aus gegensatzlichen Ursachen konne nicht ein und dasselbe resultieren. Als letzte Ursachen mussen also Ideen angenommen werden.
[16]
Daneben ist die
Notwendigkeit
die letzte Quelle der materiellen Bedingtheit der Welt.
Fur
Aristoteles
impliziert die Kenntnis einer Erklarung,
warum
einer Sache etwas zukommt. Er fuhrt vier verschiedene Arten von ?Ursachen“ (
aitia
Pl.
aitiai
) auf, die den vier Weisen entsprechen, in denen Warum-Fragen beantwortet werden konnen:
- causa formalis
: die Formursache (z.B: Warum zerkleinert eine Sage Holz? Wegen der Form des Sageblatts ? die funktionsgerechte Form macht das Wesen der Sage aus)
- causa finalis
: die Zweckursache (Wozu wird gesagt? Um Brennholz zu gewinnen)
- causa materialis
: die Materialursache (Warum besteht die Sage aus Metall? Sie muss hart genug sein, um Holz zu zerkleinern)
- causa efficiens
: die Wirkursache (Warum bewegt sich die Sage? Weil sie jemand bewegt)
Form und Ziel hangen nach Aristoteles oft eng miteinander zusammen; sie schließen an die ursachliche Rolle der Ideen bei Platon an. Viele Wirkungen sind allerdings auf das Material zuruckzufuhren (so z. B. das Rosten). Die Material- und die Wirkursache wurden bei Platon vernachlassigt.
[17]
Doch steht fur Aristoteles selbst die
causa finalis
im Vordergrund, wahrend die
causa efficiens
dem modernen Kausalitatsbegriff nahersteht.
[18]
Diese aristotelische Unterteilung in vier Arten von Ursachen ist philosophiegeschichtlich bedeutsam und wurde von vielen anderen Philosophen aufgegriffen, teilweise verandert und weiterentwickelt. Der Begriff
aitia
bedeutet bei Aristoteles mehr als der heutige Begriff Ursache. Alle
aitiai
einer Sache angeben zu konnen heißt, Wissen uber diese Sache zu besitzen. Auch Naturprozesse sind zielgerichtet und konnen so erklart werden. Der
Zufall
hingegen folge keiner Regel.
Die
causa materialis
und die
causa formalis
bestimmen laut Aristoteles das
Sein
eines Gegenstandes: die Form durchdringt den an sich ungeformten, qualitatslosen und unbewegten Stoff (d. h. die Materie) und bildet ihn zu einem konkreten, wirklichen Ding.
- Beispiel: Die
causa materialis
einer Bildsaule ist das Erz, aus dem sie besteht; die
causa formalis
hingegen die Kunst des Bildhauers, der sie formt. Die
causa efficiens
und die
causa finalis
beziehen sich dagegen auf das
Werden
der Gegenstande. Die
causa efficiens
wird im Sinne eines außeren Anstoßes der Bewegung verstanden und die
causa finalis
als der Zweck, um dessentwillen etwas geschieht, eine bestimmte Tatigkeit ausgefuhrt wird etc.
- Beispiel: Der Vater ist die
causa efficiens
des Kindes; die Gesundheit ist
causa finalis
des Sportes (vgl. Aristoteles, Metaphysik 1013a 24 bis 1014a 25).
Im Hellenismus verschiebt sich das Interesse am Kausalgeschehen von theoretischen zu praktischen Fragen. Nach
Epikur
ist es das Ziel der Erforschung von Ursachen, den Menschen die Unruhe zu nehmen, die ihnen unverstandliche Phanomene bereiten.
Zenon von Kition
und die
Stoa
anerkennen im Unterschied zu Aristoteles ausschließlich die wirkende Ursache. Fur sie ist die Ursache stets ein Korper, der auf andere wirkt. Es gebe Ursachen (lat.:
causa continens
), die lange Wirkungsketten in Gang setzen und dauerhaft aufrechterhalten konnen.
[19]
Die Scholastik, hier der
Thomismus
, ubernahm im Wesentlichen Aristoteles’ Kategorisierung der Ursachen. Allerdings fuhrt sie eine Rangordnung unter den Ursachen ein und ordnet dabei die weniger bedeutenden Material- und Wirkursachen den
hoheren Form- und Zweckursachen
unter. Wichtig ist das Hinzutreten einer
ersten Ursache
(
causa prima
), namlich
Gottes
, fur die Schopfung der Welt und als ihr erster Beweger. Die Komplexitat der Themen machte bisweilen auch noch weitere Kategorien und Unterteilungen notwendig.
- Beispiel: Ein Sunder empfangt die Beichte. Wir haben: Causa formalis sind die Lossprechungsworte (?Ego te absolvo a peccatis tuis in nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti“.) Causa materialis
proxima
, nahere Stoffursache, sind die Bußhandlungen bzw. der Vorsatz, sie zu tun (?beten Sie ein Vaterunser und ein Glaubensbekenntnis“), und das Bekenntnis als solches. Causa materialis
remota
, entferntere, sind die zu vergebenden Sunden. Causa efficiens
primaria
, erste Wirkursache, ist Jesus Christus in gottlicher und menschlicher Natur. (Seine heilige Menschheit wird nicht als causa instrumentalis aufgefuhrt, das ware zwar nicht ganz falsch, aber ein wenig nestorianisierend.) Causa efficiens
secundaria
, zweite, ist der Priester. Causa finalis
primaria
ist (wie immer) die außere Verherrlichung Gottes. Causa finalis secundaria ist das Heil des Ponitenten. Causa
meritoria
, Verdienstursache, ist das Erlosungswerk Christi. Causa
instrumentalis
, werkzeugliche Ursache, ist die heiligmachende Gnade, die durch das Sakrament wiederhergestellt wird. Causa
dispositiva
, also notwendige Bedingung, ist die Beichtvollmacht, die der Priester von einem rechtlich zustandigen Oberen, in der Regel seinem Bischof, erhalten haben muss.
Der
Okkasionalismus
sieht als eigentliche, einzig wahrhafte Ursache allen Geschehens die gottliche Vorstellung, wahrend die endlichen, korperlichen Dinge nur Anlasse, Gelegenheitsursachen (
causae occasionales
) sein sollen, in denen sich das Wirken des gottlichen Geistes manifestiert.
Eine in der neuzeitlichen Philosophie weit verbreitete Auffassung vom Wesen der Ursache und der Kausalitat wurde im Wesentlichen von
David Hume
(1711?1776) begrundet. Hume definiert Ursache als
?einen Gegenstand, dem ein anderer folgt, wobei allen Gegenstanden, die dem ersten gleichartig sind, Gegenstande folgen, die dem zweiten gleichartig sind. Oder mit anderen Worten: wobei, wenn der erste Gegenstand nicht bestanden hatte, der zweite nie ins Dasein getreten ware.
[20]
“
Hume wendet sich entschieden gegen die Vorstellung einer
notwendigen Verknupfung
von Ursache und Wirkung, da er in seiner
empiristischen
Erkenntnistheorie keinerlei berechtigten Anlass fur eine solche Vorstellung findet. Die Quelle unserer falschen Vorstellung einer notwendigen Verknupfung sei die gewohnheitsmaßige Verbindung von Ursache und Wirkung.
?Wenn aber viele gleichformige Beispiele auftreten und demselben Gegenstand immer dasselbe Ereignis folgt, dann beginnen wir den Begriff von Ursache und Verknupfung zu bilden. Wir
empfinden
nun ein neues Gefuhl […]; und dieses Gefuhl ist das Urbild jener Vorstellung [von notwendiger Verknupfung], das wir suchen.
[21]
“
Die Kausalitat wird also als eine zuverlassig, regelmaßig zusammen auftretende bivariate Kovariation von Ereignissen definiert. Von dem gemeinsamen Auftreten wird nicht zuruckgeschlossen auf eine vorher schon dagewesene Kausalitat. Dass in der Vergangenheit ein Ereignis A zwar immer gefolgt war von einem Ereignis B und wir das als gesichert annehmen, muss nicht mit Bestimmtheit heißen, dass es auch fur alle Zukunft so sein wird, dass dem Ereignis A auch immer Ereignis B folgen wurde. Aus diesem Grunde kann man nach Hume keine Naturgesetze definieren, denn von Gesetzen als einem allgemeinen Zusammenhang zu sprechen, lasst sich rational nicht begrunden. Es ware lediglich gewohnheitsmaßig wahrgenommenes, gemeinsames Aufeinandertreffen von Ereignissen. Auch von der objektiven Welt als solcher zu sprechen ergibt nach Hume keinen großen Sinn, denn die Welt jenseits unserer eigenen Vorstellungen gibt es nicht als solche, die wir erfahren konnten. Wir haben bloß sensorische Eindrucke von einer Welt und diese sensorischen Eindrucke wurden sich verandern. Wir haben nur sensorische Eindrucke der Welt und haben Schwierigkeiten, gesicherte Annahmen und Kenntnisse der Welt als solche zu formen. Und selbst uber uns konnen wir nicht als Subjekte reden, denn jeder von uns ist in seiner eigenen Erfahrung nicht als Subjekt direkt gegeben. Wir haben zwar eigene Gedanken, aber von diesen auch nur die Eindrucke, wir haben zwar eine Ahnung unserer Bewegung, aber auch von diesen auch nur die eigenen Eindrucke. Deshalb sind wir wie Bundel unserer eigenen Impressionen uber uns selber. Hume hat sich mit seiner Arbeit deshalb weg von der Frage, was Kausalitat ist, bewegt und hat eigentlich durch die Zweifel an der Existenz der Kausalitat eher den Fokus auf die Frage, warum wir Kausalitat als solche uberhaupt behaupten, gelenkt.
Nach Hume ist es also problematisch von mehreren Beobachtungen auf die Gultigkeit eines induktiven Schließens folgern zu wollen. Das, was wir als Regelmaßigkeit wahrnehmen, seien keine Gesetzmaßigkeiten uber wirkliche Zusammenhange (siehe
Skeptizismus David Humes
).
Im Zusammenhang mit einer bloßen
Wahrscheinlichkeit
der Kausalitat spricht man von einer
Regularitatstheorie der Kausalitat
. Nach derartigen Theorien ist sie nur durch
statistische
Untersuchungen bestimmbar, nicht durch logische Schlusse. Demnach lassen sich grundsatzlich keine sicheren
Prognosen
aufstellen. David Hume zufolge mussen folgende
notwendige und hinreichende Bedingungen
erfullt sein, um eine Ereignisfolge als Ursache-Wirkung-Beziehung einordnen zu konnen:
- e
1
liegt
zeitlich
unmittelbar vor e
2
.
- e
1
liegt
raumlich
unmittelbar neben e
2
.
- Immer wenn ein
Vorkommnis
vom Typ e
1
auftritt, lasst sich ein Vorkommnis vom Typ e
2
beobachten.
Die Auffassung, dass es keine notwendigen kausalen Verbindungen in der Welt gibt, weil lediglich raumlich benachbarte Ereignisse in zeitlicher Abfolge beobachtet werden konnen, wird in der modernen
Wissenschaftstheorie
als
Humesche Metaphysik
bezeichnet.
[22]
Materialistische
und
mechanizistische
Philosophien, die besonders im 18. Jahrhundert in Frankreich verbreitet waren, fuhrten alle Ursachen letztlich auf mechanischen Druck und Stoß (?Tanz der Atome“) zuruck. Ahnliche Vorstellungen gab es schon in der Antike bei
Demokrit
und
Epikur
. Ansatze zur Uberwindung des rein mechanischen Ursachenbegriffs findet man bei
Ludwig Feuerbach
, der eine vollstandige Reduzierbarkeit von Erscheinungen der hoheren Bewegungsformen (d. h. Leben, Denken, Geschichte) auf die Mechanik zumindest bezweifelt.
Immanuel Kant
unterschied von der ?Kausalitat nach Gesetzen der
Natur
“ eine ?Kausalitat durch
Freiheit
:“
?Wenn ich jetzt (zum Beispiel) vollig frei und ohne den notwendig bestimmenden Einfluss der Naturursachen von meinem Stuhle aufstehe, so fangt in dieser Begebenheit samt deren naturlichen Folgen ins Unendliche eine neue Reihe schlechthin an, obgleich der Zeit nach diese Begebenheit nur eine Fortsetzung der vorhergehenden Reihe ist. Denn diese Entschließung und Tat liegt gar nicht in der Abfolge bloßer Naturwirkungen und ist nicht eine bloße Fortsetzung derselben; sondern die bestimmenden Naturursachen horen oberhalb derselben in Ansehung dieses Ereignisses ganz auf, das zwar auf jene folgt, aber daraus nicht erfolgt und daher zwar nicht der Zeit nach, aber doch in Ansehung der Kausalitat ein schlechthin erster Anfang einer Reihe von Erscheinungen genannt werden muss.“
[23]
Im Gegensatz zu Hume sieht Kant die Kausalitat als Notwendigkeit an. Er argumentiert, dass der Kausalgedanke zur inneren Struktur der Erkenntnis gehore, wenn jede besondere Kausalregel aus der Erfahrung stammt, weil man sonst die Welt gar nicht verstehen konne. Fur Kant liegt der Beweis fur die Notwendigkeit der Kausalitat in der zugleich logischen wie chronologischen Abfolge der Zeit. Er verdeutlicht dies in der Kritik der reinen Vernunft an dem Beispiel der Beobachtung einer Kugel und einer Einbuchtung in einem Kissen. Hier gebe es nur einen logischen Schluss von der Kugel als Ursache zur Einbuchtung als Wirkung. Der umgekehrte Schluss ware absurd. (Beispiel aus der 2. Analogie der Erfahrung: Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetze der Causalitat)
[24]
?Die Physik hat die Kantsche Definition der Kausalitat weitgehend bestatigt und als Postulat in ihre wichtigsten Theorien aufgenommen.“ In der speziellen Relativitatstheorie von
Einstein
, die zwar eine
Zeitdilatation
, nicht jedoch eine Zeitumkehr zulasst, bleibt die Kausalitat im Sinne der zeitlichen Folge erhalten. Ebenso wird das Zufallskonzept der
Quantentheorie
nicht verletzt.
[25]
Zum einen muss man von seinen eigenen Gedanken eine Gewissheit haben, dass sie in dem eigenen Geiste vorhanden sind (Selbstbewusstsein). Zum anderen konnen nicht alle Begriffe des eigenen Geistes aus der reinen Erfahrung stammen, da man die Eindrucke, die man erhalt, ansonsten nicht kategorisieren konne. Man muss also schon Begriffe voraussetzen, um Ideen aus sensorischen Eindrucken bilden zu konnen. Und zu diesen schon a priori vorhandenen Begriffen zahlte Kant auch den Begriff der Kausalitat. Damit ist Kausalitat nicht ein aus Impressionen gebildeter erst im Nachhinein konstruierter Denkinhalt, sondern die Moglichkeit uberhaupt Erfahrung zu sammeln setzt den Begriff der Kausalitat schon voraus, ist also notwendig um Erfahrung uberhaupt erst machen zu konnen. Wir wurden ansonsten bloß sensorische Eindrucke gewinnen und nicht die Fahigkeit besitzen, diese zu Sinn stiftenden und kategorialen Erfahrungszusammenhangen zu konstruieren. Wie ein Kleinkind, das in ein Kaleidoskop blickt, wurden wir die Welt nicht zusammenfugen konnen und wurden nur das Spiel des Lichtes im Kaleidoskop staunend betrachten und ehrfurchtig vom Spiel des Lichtes gebannt bleiben.
Diese objektive Welt kann durch die Naturwissenschaften erforscht werden, und wir nehmen auch a priori an, dass gewisse Gesetzmaßigkeiten darin gelten, worunter auch das Kausalitatsgesetz zu fallen scheint. Die Dinge fur sich bleiben uns jedoch verborgen, denn sie liegen außerhalb unserer menschlich erfahrbaren Welt. Uber sie konnen wir lediglich vernunftige Vermutungen anstellen, da sie der Erscheinungswelt auf unerkennbare Weise zugrunde liegen. Darunter fallen nach Kant z. B. die Idee von Gott, die Idee der Freiheit und die der unsterblichen Seele. Dort sei die Grenze unserer nach Vernunft moglichen Erkenntnis erreicht.
Friedrich Nietzsche
bestritt 1886 in
Jenseits von Gut und Bose
, dass es Ursachen
an sich
gebe: Sie gehorten vielmehr der ?
Zeichen
-Welt“ an, und Menschen wurden sie
mythologisch
?in die Dinge hineindichten“.
[26]
Nach
Ernst Mach
gibt es in der Natur weder reale Ursachen noch Kausalitatsverhaltnisse, sondern nur funktionale Beziehungen. Im
Konditionalismus
werden die Ursachen durch Bedingungen ersetzt. Bereits
John Stuart Mill
betrachtete als Ursache eines Dinges die volle Summe seiner Bedingungen.
Max Verworn
steigerte diese Auffassung ins Absolute: der Begriff der Ursache sei ein Uberbleibsel vorwissenschaftlicher Vorstellungen; jedes Geschehen sei nicht verursacht, sondern lediglich durch die Gesamtheit unendlich vieler, gleichwertiger Bedingungen bedingt.
Im
Dialektischen Materialismus
als der offiziellen, systematisch aufgebauten Philosophie, so wie sie im real existierenden Sozialismus gelehrt wurde, spiegeln die Kategorien ?Ursache“ und ?Wirkung“ nur einen Aspekt der komplexen Zusammenhange in Natur, Gesellschaft und Denken wider. Wesentlicher sind die
inneren Widerspruche
der Gegenstande, da sie Quelle und Triebkraft jeglicher Entwicklung sind. Bei jeder Veranderung, Entwicklung der materiellen Dinge, Prozesse, Systeme u. a. wirken
außere
und
innere Ursachen
zusammen.
Außere Ursachen
heißen die sich aus dem universellen Zusammenhang aller Dinge, Prozesse, Systeme ergebenden Einwirkungen derselben aufeinander; als
innere Ursachen
bezeichnet der Dialektische Materialismus die ihm zufolge allen materiellen Dingen, Prozessen, Systemen u. a. immanenten Widerspruche, die ihre Bewegung, Veranderung und Entwicklung bewirken. Außere und innere Ursachen bilden eine ?dialektische Einheit“: die inneren Ursachen werden nur wirksam durch die Existenz der außeren, die außeren Ursachen nur durch die Vermittlung der inneren. Das Verhaltnis von außeren und inneren Ursachen ist dabei relativ: was fur ein System innere Ursache ist, kann fur ein anderes System außere Ursache sein und umgekehrt.
John Leslie Mackie
fuhrte die
INUS-Bedingung
ein, um Ursachen identifizieren zu konnen: Ein Ereignis wird als Ursache eines Ergebnisses wahrgenommen, wenn es ein unzureichender (Insufficient) aber notwendiger (Necessary) Teil einer Bedingung ist, die selbst nicht notwendig (Unnecessary) aber hinreichend (Sufficient) fur das Ergebnis ist.
Das
Closest-World-Konzept
von David Lewis ist die heute weithin akzeptierte Grundlage einer allgemeinen Definition der Kausalitat. David Lewis stellt die
kontrafaktische Implikation
(Counterfactual Conditional Operator) in das Zentrum der Uberlegungen und er fuhrt als Beispiel an: ?Hatten Kangurus keine Schwanze, wurden sie umfallen“.
Eine Welt mit schwanzlosen Kangurus verstoßt offensichtlich gegen die Fakten. Wir mussen uns also eine Welt vorstellen, die zumindest in diesem einen Punkt von der Realitat abweicht. Diese ?Parallelwelt“ muss ansonsten in sich weitgehend stimmig sein und unserer Welt weitestgehend ahneln. Ansonsten konnten in dieser Welt ja auch Kangurus leben, die an Krucken gehen und deshalb nicht umfallen.
In
Causality
zeigt
Judea Pearl
, wie das Closest-World-Konzept konkretisiert werden kann.
Wie nun hangen kontrafaktische Implikation und Kausalitat zusammen? Dass der Steinwurf als Ursache der zerbrochenen Scheibe anzusehen ist, lasst sich so ausdrucken: Hatte ich den Stein nicht geworfen, ware die Scheibe nicht zersprungen. Wir mussen also auf die kontrafaktische Implikation der Negationen ubergehen: ?Stein nicht werfen“ impliziert kontrafaktisch ?Scheibe zerspringt nicht“.
Ein Ansatz, der am ehesten das erfasst, was intuitiv als Grund empfunden wird, wurde von
Leonard Talmy
entwickelt. In der
kognitiven Semantik
werden mit der von ihm eingefuhrten Kategorie der Kraftedynamik sprachliche Ausdrucke auf Kraftebeziehungen hin untersucht, die den beschriebenen Situationen zugrunde liegen. Die Theorie erlaubt erstmals eine feinere Unterscheidung zwischen verschiedenen Kausalitatsrelationen, die in der Sprache z. B. durch die Verben
verursachen
,
helfen
,
lassen
,
ermoglichen
,
verhindern
,
vorbeugen
,
abhangen (von)
usw. ausgedruckt werden. Aber auch die Semantik kausalitatsanzeigender Konjunktionen und Prapositionen wie
weil
,
obwohl
,
trotz
kann analysiert werden. Eine Vielzahl psychischer Krafte, die etwa durch
zwingen
,
uberreden
,
widerstehen
ausgedruckt werden, sind ebenso Gegenstand der Theorie. Damit ein Grund vorliegt, mussen zwei gegeneinander gerichtete Krafte, eine Handelnde (Agonist) und ein Gegenspieler (Antagonist) existieren. Fur sie gilt (im Fall einer Grund-Beziehung): Der Agonist hat eine intrinsische Tendenz zur Aktivitat, der Antagonist eine entgegengesetzte Tendenz zur Tragheit. Die Kraft des Agonisten ist großer als die des Antagonisten. Es wurde auch vorgeschlagen (Phillip Wollf), dass die Art der Kausalitat im kraftedynamischen Modell durch drei Dimensionen bestimmt ist, (1) der Tendenz des Antagonisten zum Resultat, (2) der Krafteopposition zwischen den beteiligten Einheiten und (3) dem (Nicht-)Eintreten des Resultats.
Die philosophischen Konsequenzen der Kausalitat sind besonders interessant in Verbindung mit der philosophischen Denkrichtung des
Determinismus
. Dort geht man davon aus, dass jedes Ereignis durch vorhergegangene Ereignisse fest vorbestimmt ist, sich also das Universum als
Kausalkette
entwickelt. Das bezieht sich auf alle Ebenen, auch auf die
Elementarteilchen
von
Energie
und
Materie
. Da nun das menschliche
Gehirn
auch aus Materie besteht, musste es sich demnach ebenfalls
deterministisch
verhalten, also in einer Weise, die theoretisch berechnet und vorherbestimmt werden kann.
Wenn unsere Vorfahren die hinter dem Gebusch vorblitzenden schwarzen und gelben Streifen (Wirkung) einem Tiger (Ursache) zuschrieben und sich davonmachten, waren sie gut beraten. Die schnelle Entscheidung, was wohl Ursache der Beobachtung sein konnte, und die daraus folgende Aktion waren lebenserhaltend. Die diesem Verhalten zu Grunde liegende
Kausalitatserwartung
gehort zu den ?angeborenen Lehrmeistern“ (
Konrad Lorenz
): Die ?Hypothese von der Ursache“ enthalt die ?Erwartung, dass Gleiches dieselbe Ursache haben werde. Dies ist zunachst nicht mehr als ein Urteil im Voraus. Aber dieses Vorurteil bewahrt sich… in einem derartigen Ubermaß an Fallen, dass es jedem im Prinzipe andersartigen Urteil oder dem Urteils-Verzicht uberlegen ist“ (
Rupert Riedl
, 1981
)
Angeborene Lehrmeister haben eine Kehrseite: sie konnen
Denkfallen
sein: ?Das biologische Wissen enthalt ein System vernunftiger Hypothesen, Voraus-Urteile, die uns im Rahmen dessen, wofur sie selektiert wurden, wie mit hochster Weisheit lenken; uns aber an dessen Grenzen vollkommen und niedertrachtig in die Irre fuhren“ (Rupert Riedl). Auf die Kausalitatserwartung geht zuruck, dass oftmals vorschnell der Pilot, Kapitan oder Lokfuhrer fur ein Ungluck verantwortlich gemacht wird.
Viele Beitrage zum Verstandnis der Kausalitats-Idee leistete die umfangreiche Forschung zur
Konditionierung
. Beginnend mit
Thorndikes
Katzenexperimenten uber
Pawlows
zufallige Entdeckung der
klassischen Konditionierung
und
Skinners
operante Konditionierung
wurden und werden zahlreiche Gesetzmaßigkeiten entdeckt, unter welchen Bedingungen die Vorstellung eines Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs entsteht. Der evolutionare Ursprung der Kausalitats-Idee ist wohl das Bedurfnis, zuverlassige Pradiktoren fur lebensnotwendige Ereignisse zu identifizieren.
[27]
In der
sozialwissenschaftlichen
Forschung, wie der
Psychologie
, wird oft die Frage gestellt, ob ein Training oder eine Therapie einen Effekt oder eine Wirkung hat.
Thomas D. Cook
und
Donald T. Campbell
formulierten 1979 in Anlehnung an
John Stuart Mill
drei Bedingungen, die fur einen Kausalzusammenhang notwendig sind:
[28]
- Kovarianz
: Veranderungen in der angenommenen Ursache (
unabhangige Variable
, UV) mussen mit den Veranderungen im angenommenen Effekt (
abhangige Variable
, AV) in einem systematischen Zusammenhang stehen. Wenn also z. B. Veranderungen in der psychologischen Behandlung stattfinden, mussen sich diese Manipulationen im Resultat, in der psychologischen Symptomatik, beobachten lassen.
- Zeitliche Abfolge: Die Ursache (UV) muss vor dem Effekt (AV) stattfinden.
- Keine alternativen Erklarungen: Die angenommene Ursache muss die einzige plausible Erklarung fur die Wirkung sein.
Es ist offensichtlich, dass die dritte Bedingung die schwierigste zu realisierende Bedingung ist. In einem
Sozialwissenschaftlichen Experiment
/
Experimentellen Design
konnen meist aus ethischen Grunden nicht alle Faktoren, die Einfluss auf die Wirkung haben konnten, kontrolliert werden, demzufolge kann ein Kausalzusammenhang nie mit einer absoluten Sicherheit angenommen werden. Beholfen wird sich bei Querschnittsuntersuchungen mit
Drittvariablenkontrolle
und mit
Panelstudien
.
Die
Sozialpsychologie
betrachtet als
phanomenale Kausalitat
die Tendenz in der
sozialen Kognition
, den wahrnehmbaren Objekten Ursache-Wirkungs-Beziehungen zuzuschreiben (sog.
Kausalattribuierung
), die, haufig im Verein mit Werturteilen uber diese Objekte, zu erheblichen Unterschieden in den Wahrnehmungsergebnissen fuhren.
[29]
In der
Therapie
von
Lernstorungen
favorisiert Dieter Betz (in: Teufelskreis Lernstorung, Psychologie Verlags Union, Munchen-Weinheim 1987; nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Geologen) das
Wirkungsgefuge
als Geflecht von sehr unterschiedlichen Ursachen, das uberschaubar gemacht werden muss, wenn Therapie eine Wirkung als
Intervention
haben soll: ?Wer isoliert am Symptom arbeitet, riskiert einen Padagogischen Teufelskreis.“ Als Grundlage fur diese Arbeit des Therapeuten sieht Betz die
Konflikt
strukturanalyse
(KSA).
Mit der
Statistik
kann zwar ein Zusammenhang zwischen zwei
Ereignissen
/
Variablen
nachgewiesen werden, jedoch keine Kausalitat. Kann man einen Zusammenhang (eine
Korrelation
) zwischen Ereignissen A und B nachweisen, dann gibt es mehrere Erklarungsmoglichkeiten:
- A konnte B verursachen.
- B konnte A verursachen.
- A und B konnten durch ein drittes Ereignis C verursacht sein (siehe auch
Scheinkorrelation
).
- Der Zusammenhang in den Daten konnte fehlerhaft oder zufallig, d. h. in Wahrheit gar nicht vorhanden, sein.
Falschlicherweise wird der Nachweis eines statistischen Zusammenhangs (
Korrelation
) oft als Kausalitat missinterpretiert. Erst durch zusatzliche Information, die nicht mittels Statistik gewonnen wurde, kann aus einer statistischen
Korrelation
auf eine Kausalitat geschlossen werden. Ein nur halb scherzhaft gemeintes Beispiel ist der Ruckgang der Geburtenrate und die Abnahme der
Storchenpopulation
in Westdeutschland Ende der sechziger Jahre. Aus der Tatsache, dass beide Entwicklungen zur gleichen Zeit und in etwa gleichem Umfang geschahen, kann nicht geschlossen werden, dass die Storche ursachlich etwas mit der Zahl der neugeborenen Babys zu tun haben.
Als Voraussetzung konnen Kausalitaten jedoch einfließen; z. B. in der
Regressionsanalyse
werden unabhangige (
) und abhangige Variablen (
) betrachtet. Dabei wird davon ausgegangen, dass die unabhangigen Variablen (
) auf die abhangigen Variablen (
) einwirken. Ob eine Variable jedoch eine unabhangige oder abhangige Variable ist, wird per Definition festgelegt und nicht durch Mittel der Statistik hergeleitet.
Es ließe sich eine kausale Beziehung formulieren, die nicht als
statistischer Zusammenhang
(
Kausalitat ohne Korrelation
) ablesbar ware: Zwischen einen Schalter, der eine Gluhlampe zum Leuchten bringt, wird ein
Zufallsgenerator
geschaltet, der das Schaltsignal in sein Gegenteil umwandeln
kann
(aber nicht
muss
). Bei Kenntnis der Schaltung ist dann zwar klar, dass die Stellung des Schalters einen Einfluss darauf hat, ob die Lampe zu einem bestimmten Zeitpunkt brennt oder nicht. Der Effekt dieses Einflusses ist aber weder vorhersagbar, noch statistisch nachweisbar. Bei Unkenntnis der Schaltung ware also nicht erkennbar, dass es uberhaupt einen Einfluss gibt.
In manchen Bereichen der
Okonometrie
begnugt man sich mit einem z. B. gegenuber der
Philosophie
eingeschrankten Kausalitatsbegriff. Bei diesem steht die zeitliche Ordnung der Variablen im Vordergrund. Entscheidend gepragt wurde der Kausalitatsbegriff der Okonometrie von
Clive W. J. Granger
. Dieser arbeitet mit der
Pramisse
, dass die
Vergangenheit
die
Zukunft
bestimmt und nicht umgekehrt. Sie besagt, dass eine Variable X fur Y Granger-kausal ist, wenn bei einer gegebenen Informationsmenge bis zum Zeitpunkt
t-1
im Zeitpunkt
t
die Variable
Y
besser prognostiziert werden kann, als ohne den Einbezug der Variablen
X
. Die Granger-Kausalitat kann in eine Richtung gelten oder auch in beide Richtungen (
Ruckkopplung
-
System
). Der Kausalitatsbegriff ist eng mit einem weiteren theoretischen Konzept der Okonometrie oder
Zeitreihenanalyse
verwandt, der
Exogenitat
.
Die Granger-Kausalitat ist
statistisch
testbar. Hierzu sei ein bivariates
VAR(p)-Modell
betrachtet:
Es liegt keine Granger-Kausalitat fur
auf
vor, wenn:
ist fur
nicht Granger-kausal, wenn:
Der Test auf Nicht-Granger-Kausalitat entspricht somit einem Test auf Null-Restriktionen fur bestimmte
Koeffizienten
. Die
Teststatistik
eines solchen Tests konnte bei Normalitat des
weißen Rauschens
wie folgt aussehen:
Dabei ist
- der Umfang der beiden Zeitreihen
- die Anzahl der Koeffizienten, die bei einer
Kleinste-Quadrate-Schatzung
verwandt werden, so dass die Zahl von Freiheitsgraden kleiner wird,
- die Anzahl der zusatzlichen Koeffizienten, mit denen die Variable
X
in die Kleinste-Quadrate-Schatzung einbezogen wird,
- die
Summe der quadrierten Residuen
der Kleinste-Quadrate-Schatzung der Gleichung
mit
Restriktionen,
- die Summe der quadrierten Residuen einer Kleinste-Quadrate-Schatzung der Gleichung
ohne
Restriktionen,
- als geschatzte
Varianz
von
, dabei ist
- die
Standardabweichung
.
Mit dem ermittelten Wert von F geht man in die entsprechende Tabelle von F, um die Wahrscheinlichkeit abzulesen, dass keine Granger-Kausalitat vorliegt. Dabei ist zu beachten, dass nur die (im Allgemeinen) geringere Wahrscheinlichkeit von
zutrifft. Die Wahrscheinlichkeit von
ist großer (im Allgemeinen) und nicht zutreffend.
Unter einem Kostenzurechnungsprinzip versteht man eine Vorgehensweise, um Kosten auf Bezugsgroßen umzurechnen. Wahlt man beispielsweise eine Produkteinheit als Bezugsgroße, so konnen in Abhangigkeit vom verwendeten Zurechnungsprinzip die Kosten dieser Einheit berechnet werden. Man erhalt so die Stuckkosten.
Die
Atiologie
(von
altgriechisch
α?τ?α
?Ursache“ und λ?γο? ?Vernunft, Lehre“) bezeichnet in der Antike in einigen philosophischen Schulen die Lehre von den Ursachen. Heute herrscht die medizinische Bedeutung des Begriffs vor.
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