Karolina Maria Lanckoro?ska
(geboren
11. August
1898
in
Buchberg am Kamp
,
Osterreich-Ungarn
; gestorben
25. August
2002
in
Rom
)
[1]
war eine polnische Kunsthistorikerin.
Karolina Maria Adelajda Franciszka Ksawera Małgorzata Edina Grafin Lanckoro?ska war das zweite Kind des polnischen
Magnaten
im
k.u.k.
Osterreich-Ungarn
Karl Graf von Brzezie-Lanckoronski
und der preußischen Grafin Margarethe von
Lichnowsky
. Sie hatte eine jungere Schwester Adelheid (1903?1980), ihr Bruder Anton (1883?1965) stammte aus erster Ehe des Vaters. Der Bruder ihrer Mutter
Karl Max Furst von Lichnowsky
war zwischen 1912 und 1914 deutscher
Botschafter
in
London
.
Lanckoro?ska wuchs in Wien im
Palais Lanckoro?ski
auf und besuchte das
Schottengymnasium
. Mit Grundung der
Polnischen Republik
wurde sie 1918 polnische Staatsburgerin.
Sie wurde zu einer nationalbewussten Polin
Sienkiewiczscher
Pragung, die auch in der vierzig Jahre spater geschriebenen und achtzig Jahre spater veroffentlichten Autobiografie keine Abstriche von ihrer Distanzierung zu den ukrainischen, russischen und deutschen Nachbarstaaten und -volkern machte. In der Sicht der Grafin war die polnische Geschichte durch jahrhundertelange Konflikte mit den Nachbarstaaten und Nachbarvolkern gepragt. Das
Nachkriegspolen
der 1920er Jahre lag im Dauerstreit mit der
Weimarer Republik
und fuhrte einen kurzen
Krieg gegen die neu gegrundete Sowjetunion
. Die Herausbildung einer polnischen Identitat, die an den inneren sozialen Gegensatzen zu scheitern drohte, wurde auf Konflikte nach außen verlagert. Mit dem
Hitler-Stalin-Pakt
wurde Polen 1939 erneut geteilt,
Ostpolen
wurde erneut
ukrainisch
und blieb dies auch nach 1945.
Sie studierte von 1917 bis 1921 in Wien Kunstgeschichte und promovierte 1926 uber
Michelangelo Buonarroti
. An der
Johann-Kasimir-Universitat (
Uniwersytet Jana Kazimierza
)
im zu Polen gehorenden
Lemberg
(
Lwow
) habilitierte sie sich 1935 mit
Dekoracja malarska ko?cioła Il Gesu w Rzymie
und war damit Polens erste habilitierte Kunsthistorikerin. Sie erhielt eine Stelle als Assistenzprofessorin an der Universitat Lemberg. Ihr wissenschaftliches Interesse fur die italienische Kunst der Renaissance und des Barock korrelierte mit einer engen religiosen Bindung an die romisch-katholische Kirche. Die Familie Lanckoro?ski hatte ihren Stammsitz auf einer
Latifundie
in Galizien, die seit Kriegsende 1918 der Bruder Anton bewirtschaftete.
Nach dem
Uberfall auf Polen
konfiszierten die Deutschen in Wien am 17. Oktober 1939 das Palais und die darin enthaltene Sammlung. Da Anton Lanckoro?ski polnischer Staatsburger war, beriefen sich die Deutschen auf die zu diesem Zweck erlassene
Polenvermogensverordnung
.
[2]
Nach der sowjetischen
Besetzung Lembergs
durch die
Rote Armee
am 19. September 1939 konnte Lanckoro?ska sich nur noch kurze Zeit an der nun ukrainisch gewordenen Universitat halten. Um der
Deportation
durch das
NKWD
zu entgehen, ging sie mit gefalschten Papieren am 3. Mai bei
Przemy?l
uber die Grenze ins
Generalgouvernement
. Sie hatte sich bereits im Januar in Lemberg der polnischen Untergrundarmee
?Zwi?zek Walki Zbrojnej“
(ZWZ) angeschlossen und traf nun in Krakau auf den Vertreter der
Polnische Heimatarmee
(Armia Krajowa ? AK)
Tadeusz Komorowski
. Zunachst war sie in der Rotkreuz-Organisation bei der polnischen Kriegsgefangenenfursorge in Krakau tatig. Mit einer Vollmacht der Regierung des Generalgouvernements ausgestattet wurde sie Beauftragte des Hauptfursorgerats (RGO)
[3]
fur eine bessere Versorgung der Gefangnisinsassen. In dieser Funktion gelangte sie Anfang 1942 ins nun von den Deutschen eroberte ostgalizische
Stanisławow
. Der dortige Gestapo-Chef
Hans Kruger
ließ sie einsperren ? und brustete sich wahrend eines Verhors, er sei fur die
Ermordung ihrer 23 Lemberger Universitatskollegen
im Sommer 1941 verantwortlich. Durch Intervention aus Kreisen der
italienischen Konigsfamilie
und der Mussolini-Regierung entging Lanckoro?ska der drohenden Ermordung durch die SS und kam ins Gefangnis nach Lemberg. Ende 1942 zur weiteren Vernehmung nach Berlin verlegt glaubte sie in einem SS-internen Disziplinarverfahren als Zeugin gegen Kruger aussagen zu konnen, stattdessen kam sie als prominenter Haftling fur die nachsten zwei Jahre in das
Frauenkonzentrationslager Ravensbruck
. Wieder durch diplomatische Intervention, diesmal durch
Carl Jacob Burckhardt
, Prasident des
Internationalen Komitees vom Roten Kreuz
(IKRK), kam sie noch im April 1945 mit einem
Rotkreuz-Transport in die Schweiz
aus der Konzentrationslagerhaft frei.
Da nach ihrer Kenntnis nicht der nach Argentinien entkommene SS-Untersturmfuhrer
Walter Kutschmann
[4]
fur die
Ermordung der Lemberger Professoren
verantwortlich war, versuchte sie in dem Prozess gegen Hans Kruger
[5]
1968 gehort zu werden und reiste nach Deutschland. Kruger wurde wegen anderer Morde zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilt, in der Gerichtsverhandlung hatte
J. G. Burg
einen unruhmlichen Auftritt.
[6]
Die Morde an den Professoren ließen sich nach Ansicht der deutschen Staatsanwaltschaft nicht mehr aufklaren, so der Beschluss 1965 der Staatsanwaltschaft Hamburg: der Leitende Oberstaatsanwalt von Below erklarte, er habe ?das Verfahren abgestellt“, denn die “fur die Erschießung der Lemberger Professoren verantwortlichen deutschen Tater sind, wie mit Sicherheit feststeht, nicht am Leben”.
[7]
Fur funfundvierzig Jahre war sie eine nationalpolnische Emigrantin und lebte zunachst in
Freiburg in der Schweiz
und dann in Rom. Durch die kommunistische Machtergreifung in Polen war ihr als Aristokratin und ehemaliger Großgrundbesitzerin die Ruckkehr verwehrt, als polnische Exilantin merkte sie an: ?Wie glucklich war doch das Polen des 19. Jahrhunderts, in dessen Namen keiner das Recht hatte, die Unwahrheit zu sagen, und dessen Exilierte fur die gesamte zivilisierte Welt ein Symbol des Kampfes um die Freiheit des Menschen waren!“
[8]
Sie konnte wissenschaftlich arbeiten und publizieren. 1967 grundete sie die
Fondation Lanckoronski
[9]
[10]
mit Sitz in Freiburg im Uechtland. Sie war Mitbegrunderin des
Polnischen-Historischen Instituts in Rom
und dessen Direktorin von 1976 bis 1993. Nach dem Tod ihres Bruders
Anton
im Jahr 1965 hat sie die Kunstsammlung ihres Vaters ubernommen: Von dieser wurde ein Teil im Jahr 1950 bei einem Brandungluck im
Palast Hohenems
der befreundeten Familie
Waldburg-Zeil
zerstort,
[11]
andere Teile wurden von ihrem Bruder veraußert und weitere ließen sich erst nach muhsamen Restitutionsprozessen mit dem osterreichischen Staat wieder in die Sammlung eingliedern. Nach der politischen Wende in Polen vermachte Karolina Lanckoro?ska die Kunstsammlung der Gemaldegalerie im
Warschauer Konigsschloss
und den großen polnischen Bibliotheken. 82 Werke der Lanckoro?ska-Sammlung gingen an die Kunstsammlung im
Wawel
[12]
in
Krakau
, darunter
Bartolo di Fredi
,
Heiliger Augustin,
Simone Martini
,
Engel,
Sano di Pietro
,
Madonna
sowie von
Dosso Dossi
,
Jupiter, Merkur und Virtus.
Letzteres Bild war nach dem Krieg von Anton Lanckoro?ska an das
Kunsthistorische Museum
?zwangsverschenkt“ worden und wurde im Jahr 2000 restituiert.
[13]
Als Nationalpolin empfand sie ?die tiefste Dankbarkeit gegenuber dem Schopfer fur meine Zugehorigkeit zu einem Volk, das in diesem verzweifelten Kampf […] alle hohen Guter der Menschheit verteidigte“.
[14]
Fur ihre Tatigkeit wurde sie vom
Italienischen Staat
, den Organisationen der
Exilpolen
und nach der
Wende in Polen
vom
Polnischen Staat
vielfach geehrt. Die
Universitat Breslau
verlieh ihr einen
Doktor h. c.
- Mut ist angeboren. Erinnerungen an den Krieg 1939 ? 1945.
Aus dem Polnischen von
Karin Wolff
. Bohlau-Verlag, Wien 2003,
ISBN 3-205-77086-2
(zuerst polnisch 2001).
- die englische Ausgabe hat ein Vorwort von
Norman Davies
, Einleitung von Lech Kalinowski und El?bieta Orman.
- Studies on the Roman-Slavonic rite in Poland
(=
Orientalia Christiana analecta
161). Pont. Institutum Orientalium Studiorum, Rom 1961.
- Documenta ex Archivo Regiomontano ad Poloniam spectantia
. Rom : Institutum Historicum Polonicum, 1973?<1991>, Elementa ad fontium editiones, v. 30, etc. (Latein)
- Dekoracja ko?cioła ?Il Gesu“ na tle rozwoju baroku w Rzymie
. (Die Ausschmuckung der ?Il Gesu“-Kirche angesichts der Entwicklung des Barocks in Rom). Lemberg : Nakł. Towarzystwa Naukowego we Lwowie, 1935
- ↑
Caroline Grafin von Brzezie-Lanckoronski
auf
thepeerage.com
, abgerufen am 18. September 2016.
- ↑
Verordnung uber die Behandlung von Vermogen der Angehorigen des ehemaligen polnischen Staates
(PolVermVO) vom 17. September 1940 (RGBl. I, S. 1270); Peter Harclerode:
Lost Masters: World War II and the Looting of Europe's Treasureholds
. Welcome Rain Publishers, New York 2002,
ISBN 978-1-56649-253-9
.
- ↑
RGO, Zentraler Wohlfahrtsrat (poln.
?Rada Głowna Opieku?cza“
), eine polnische karitative Organisation wahrend des Ersten und Zweiten Weltkrieges.
- ↑
Walter Kutschmann
, geboren am 24. Mai 1914 in Dresden
DER SPIEGEL 28/1975
- ↑
yadvashem
(PDF; 130 kB)
Dieter Pohl
uber Kruger (englisch); deutsch in:
Gerhard Paul (Historiker)
&
Klaus-Michael Mallmann
Hgg.:
Karrieren der Gewalt.
Wissenschaftliche Buchgesellschaft
und Primus, Darmstadt, zuletzt 2011, S. 134?145.
- ↑
LG Munster 680506, BGH 720713. Verfahrensgegenstand:
Massen-, Gruppen- und Einzelerschiessungen von tausenden von Juden sowie von polnischen und ukrainischen Haftlingen und Widerstandskampfern in Stanislau und anderen Orten im Bereich der Sipo-Aussenstelle Stanislau im Rahmen mehrerer Aktionen (u. a. wahrend der 'Intelligenz-Aktion' im August 1941), sowie von judischen Mannern, Frauen und Kindern, die nach Ungarn gefluchtet, von den dortigen Behorden jedoch nach Galizien zuruckgeschickt worden waren. Massendeportationen von Juden aus Stanislau und Umgebung in die polnischen Vernichtungslager.
Auch:
jur justiz und ns-verbrechen / nazi crimes on trial
(
Memento
vom 14. Januar 2015 im Webarchiv
archive.today
)
- ↑
Gericht Hamburg Beschluß (Aktenzeichen 141 Js 12/65) zitiert bei:
Eingabe an Bundesprasident Rau 20. Mai 2002
(
Memento
des
Originals
vom 6. Marz 2014 im
Internet Archive
)
Info:
Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft. Bitte prufe Original- und Archivlink gemaß
Anleitung
und entferne dann diesen Hinweis.
@1
@2
Vorlage:Webachiv/IABot/lwowscy_profesorowie.republika.pl
. Siehe auch
Zygmunt Albert's Polish book ?Kazn Profesorow Lwowskich“, 2002
- ↑
Karolina Lanckoro?ska:
Mut ist angeboren,
S. 271.
- ↑
https://archive.today/2012.12.17-112509/https://appls2.fr.ch/hrcmatic/hrcintapp/externalCompanyReport.action?companyOfrcId13=CH-217-0670008-7&ofrcLanguage=1
- ↑
Siehe auch
en:Lanckoro?ski Foundation
in der englischsprachigen Wikipedia.
- ↑
Burghart Hafele: Die Kunstsammlung Lanckoronski im Palast Hohenems. In: emser almanach no. 14. 7. Jahrgang. Bucher-Druck Hohenems 2006, 54?70. (=Schriftenreihe des Kulturkreises Hohenems, Beitrage zu Hohenemser Themen).
ISBN 3-902525-46-0
. (
Volltext
auf
sagen.at.
Abgerufen am 15. Oktober 2011.)
- ↑
Agnieszka Janczyk, Kazimierz Kuczman, Joanna Winiewicz-Wolska:
Wawel-Sammlung
(
Memento
vom 27. September 2007 im
Internet Archive
)
- ↑
Schriftliche Beantwortung einer
Parlamentsanfrage
(
Memento
vom 3. August 2012 im Webarchiv
archive.today
), 5184/AB (XX. GP) (gem. § 91 (4) GOG).
- ↑
Karolina Lanckoro?ska:
Mut ist angeboren,
S. 180.