Karl-Heinz Dellwo
(*
11. April
1952
in
Opladen
) ist ein ehemaliger deutscher
Terrorist
der
Rote Armee Fraktion
(RAF). Er war 1975 an der
Geiselnahme und den Ermordungen in der deutschen Botschaft in Stockholm
beteiligt und wurde zu zweimal
lebenslanger Freiheitsstrafe
verurteilt. Seit seiner Freilassung 1995 arbeitet er als
Dokumentarfilmer
,
Verleger
und Gastwirt.
Karl-Heinz Dellwo war als junger Mann zunachst in verschiedenen Berufen tatig (u. a. als kaufmannischer Lehrling (
Industriekaufmann
),
Seemann
, Aushilfsfahrer und
Brieftrager
), bevor er sich im Mai 1973 an der
Hausbesetzung in der Hamburger Ekhofstraße
beteiligte. Wegen der Hausbesetzung war er ein Jahr in Haft. In der Hausbesetzerszene lernte er
Susanne Albrecht
kennen, die sich wie er in einem
Komitee gegen Folter
engagierte und mit der er bis zu seinem Untertauchen 1975 zusammen war.
Karl-Heinz Dellwos alterer Bruder
Hans-Joachim Dellwo
wurde 1975 RAF-Mitglied, sagte sich davon jedoch nach seiner Verhaftung 1977 los.
[1]
Karl-Heinz Dellwo lebt mit seiner Lebensgefahrtin
Gabriele Rollnik
im
Hamburger
Schanzenviertel
.
[2]
Dellwo schloss sich der RAF an und beteiligte sich an der
Geiselnahme
in der
deutschen Botschaft in Stockholm
, bei der zwei Botschaftsangehorige ermordet wurden. Zwei Mitglieder des RAF-Kommandos zogen sich bei der unbeabsichtigten
Detonation
eines von ihnen praparierten
Sprengsatzes
schwerste Verletzungen zu, an denen sie spater starben.
Dellwo wurde mit den anderen drei uberlebenden Tatern (
Hanna Krabbe
,
Bernd Rossner
und
Lutz Taufer
) verhaftet und am 20. Juli 1977 u. a. wegen zweifachen gemeinschaftlichen
Mordes
in
Tateinheit
mit Geiselnahme zu zweimal
lebenslanger Freiheitsstrafe
verurteilt.
[3]
[4]
Eine angebliche schriftliche Erklarung Dellwos, die bei der Festnahme des RAF-Mitglieds
Stefan Wisniewski
in Paris gefunden wurde und in der Dellwo die
Entfuhrung des Flugzeugs ?Landshut“
kritisierte, wurde vom
niedersachsischen Verfassungsschutz
als fingierter Beweis in der Affare um das sogenannte
Celler Loch
missbraucht.
[5]
Dellwo wurde im Fruhjahr 1995 zur Bewahrung aus der Haft entlassen und hat sich wiederholt zu seiner Mitgliedschaft in der RAF offentlich geaußert.
[6]
1993 erschien in der Zeitschrift
arranca!
ein Auszug aus dem 77-seitigen Text
Mitten im Nebel
, den Dellwo 1990 verfasst hatte und der eine fruhe grundsatzliche Reflexion aus dem Innenkreis der RAF darstellt.
[7]
In der Zeitschrift
Die Beute
erschien 1997 in der Nr. 15/16 ein weiterer Auszug aus diesem Text.
Dellwo war 1997 in Zurich Podiumsteilnehmer anlasslich des
Kongresses uber den Bewaffneten Kampf in Europa
. Er vertritt seit Jahren offentlich die Position, dass der
Tod der Gefangenen in Stammheim
1977 ein ?Selbstmord unter staatlicher Beobachtung“ gewesen sei.
[8]
2004 drehte der schwedische Regisseur
David Aronowitsch
den Dokumentarfilm
Stockholm 75
, in dessen Mittelpunkt er Dellwo stellte.
2007 erschien ein von der Psychoanalytikerin
Angelika Holderberg
herausgegebenes Buch, in dem mehrjahrige Gesprache zwischen der Psychoanalytikerin und mehreren ehemaligen deutschen Terroristen wiedergegeben werden. Unter den Autoren ist auch Karl-Heinz Dellwo.
Seit 2004 arbeitet Karl-Heinz Dellwo mit seiner Firma bellaStoria Film als
Regisseur
und
Dokumentarfilmer
. 2006 erschienen seine beiden ersten
Dokumentarfilme
Neben der Spur
und
du kannst
.
In
Neben der Spur
geht es um Kinder aus einem Jugendheim im
Wendland
bei ihrem
Work-camp
-Aufenthalt im ehemaligen
KZ Theresienstadt
.
[9]
[10]
Der Frankfurter
Kriminologe
Peter-Alexis Albrecht
schrieb: ?Uberzeugender als in diesem Dokumentarfilm lassen sich konstruktive und einfuhlsame gesellschaftliche Alternativen zum traditionellen Zugriff staatlicher Kontrolle nicht darstellen.“
[11]
Der im Auftrag von
Amnesty International
erstellte Dokumentarfilm
du kannst
spannt ? von Reflexionen uber die
Folter
in
Abu Ghraib
ausgehend ? einen Bogen hin zu Interviews uber die Moglichkeit, gegen Menschenrechtsverletzungen anzugehen. Der ehemalige UN-Sonderberichterstatter
Jean Ziegler
schrieb dazu: ?Dein Film ist ganz ausgezeichnet. Er schafft Bewusstsein, informiert genau und mobilisiert. Vor allem: Er gibt Hoffnung.“
[12]
In dem 2013 erschienenen Spielfilm
Krasser Move
des Hamburger
No-Budget-Filmemachers
Torsten Stegmann
spielt Dellwo eine Nebenrolle als Kapitan.
[13]
2007 erschien sein Buch
Das Projektil sind wir
, in dem er die
68er-Bewegung
und deren Kulmination in der RAF in Interviewform aufarbeitet und analysiert. Das Buch erhielt positive Rezensionen u. a. in der
Suddeutschen Zeitung
und der
taz
. Gottfried Oy hob hervor: ?Dellwo gelingt es im Unterschied zu den professionellen Zeitzeugen, rationale Begrundungen wie emotionale Motivation des Widerstands einzufangen.“
[14]
2009 grundete Dellwo den
Laika-Verlag
, dessen Geschaftsfuhrer er ist.
[15]
Dort gab er die
Bibliothek des Widerstands
heraus.
[16]
Dellwo war 2019 Mitbegrunder der
Galerie der abseitigen Kunste
, die sich auf den Gebieten Sprache, Ton, Bild, Kunst bewegt und in der auch Bucher erscheinen.
Zusammen mit Schriftsteller
Heinz Strunk
betrieb er zwischen 2017 und 2018 das Restaurant
Cantina Popular
im Hamburger Schanzenviertel.
[17]
[18]
- Das Projektil sind wir. Der Aufbruch einer Generation, die RAF und die Kritik der Waffen. Gesprache mit Tina Petersen und Christoph Twickel.
Edition Nautilus
, Hamburg 2007,
ISBN 978-3-89401-556-5
.
- Discorso sulle origini della lotta armata.
In:
Primo Moroni
:
Le Parole e la lotta armata.
Shake Edizioni, Milano 2009,
ISBN 978-88-88865-74-4
.
- Zur RAF ? Interview und Reflexion.
In:
Die Aktion
.
Heft 216, Mai 2009.
- mit
Uwe Soukup
und
Karl Heinz Roth
:
Der 2. Juni 1967.
(Bibliothek des Widerstands). Laika-Verlag, Hamburg 2010,
ISBN 978-3-942281-70-6
.
- mit
Achim Szepanski
und J. Paul Weiler:
RIOT ? Was war da los in Hamburg?: Theorie und Praxis der kollektiven Aktion.
, Laika-Verlag, Hamburg 2018,
ISBN 978-3-944233-91-8
.
- ↑
Oliver Tolmein:
Was macht denn der Lutz Taufer?
In:
konkret
.
Heft 02, 2005.
- ↑
Tobias Becker, Claudia Voigt:
Chancenviertel.
In:
Der Spiegel
25/2017 vom 17. Juni 2017, S. 18?22, hier S. 19.
- ↑
Der Kopf fangt an zu drohnen
auf spiegel.de
- ↑
Lamento
auf zeit.de
- ↑
Rolf Cantzen
:
?Aktion Feuerzauber“ ? Das Celler Loch
,
SWR2 Wissen/Archivradio
, aus der Reihe
Politkrimis
vom 12. Oktober 2007
- ↑
Michael Sontheimer:
RAF-Erbe: ?Wir mussten verlieren“.
In:
einestages
.
11. Oktober 2007. (Interview)
- ↑
Karl-Heinz Dellwo:
… mitten im Nebel.
In:
arranca!
Nr. 3, Dezember 1993, abgerufen am 18. August 2011.
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Frank Bachner, Axel Vornbaumen:
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In:
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Neben der Spur.
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Neben der Spur.
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Edition Nautilus: Pressestimmen zu ?Das Projektil sind wir“
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Internet Archive
)
- ↑
Impressum des Laika-Verlags
- ↑
Arno Widmann:
Wir mussen doch revoltieren
Originaltext nicht mehr online daher uber Wayback-machine (PDF; 816 kB) In:
Berliner Zeitung
.
Nummer 46·23./24. Februar 2013, Karl-Heinz Dellwo im Interview uber die Bibliothek des Widerstands
- ↑
Michael Allmaier
:
Cantina Popular: Eine Volkskuche ist das nicht
,
Die Zeit
, 8. Mai 2017
- ↑
Stevan Paul
:
Lokaltermin: Cantina Popular
,
Suddeutsche Zeitung
, 9. Juni 2017
- ↑
JSTOR
:
43203034